Ein Cowboy zum Verrücktwerden - Mariella Woolf - E-Book
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Ein Cowboy zum Verrücktwerden E-Book

Mariella Woolf

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Beschreibung

Macs Leben wird komplett von ihrem psychopathischen Bruder beeinflusst; er unterdrückt sie, trifft alle Entscheidungen. Als die Lage schließlich eskaliert, flieht sie Hals über Kopf und taucht auf einer Rinder-Ranch mitten im Nirgendwo des Australischen Northern Territorys unter. Dort lernt sie den charismatischen Hudson kennen, und während anfangs die Fetzen fliegen, werden daraus schon bald Funken. Mac scheint endlich frei zu sein – bis das Schicksal sie plötzlich einholt … „Eine Geschichte über Mut, Vertrauen und eine unerwartete und Liebe.“

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ein Cowboy zum Verrücktwerden

Mariella Woolf

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 

 

©2024 Mariella Woolfc/o Deri Service GmbH, Dorfstr. 24, CH-5606 Dintikon

http://mariellawoolf.com

[email protected] 

Coverdesign: Nancy Salchow

Lektorat, Satz, Layout: Tanja Balg

Korrektorat: Textwerkstatt Anne Paulsen; Korrektoratia Eileen Atlas

Grafiken: #831556008 © Alina Tymofieieva, #281147603 © Victor Moussa, #77376688 © stockpics, #94482505 © Markomarcello – alle (auch KI-)Grafiken unter Standard-Lizenz erworben

bei Adobe Stock https://stock.adobe.com

 

ISBN: 978-3-754-67337-9

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und dürfen ohne Genehmigung der Autorin nicht weitergegeben werden. Sämtliche Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufälli

Prolog

Verdammt, ich bin so was von dumm!

Mit einem Trick war es ihm gelungen, sie herzulocken. Er wolle ihr gern ein Erbstück ihrer verstorbenen Großmutter geben, hatte er ihr versichert. Und sie – Mac – war gutgläubig zu ihm gefahren. Nicht in der Höhle des Löwen, nein, dort wäre es im Vergleich ausgesprochen angenehm gewesen – sie war direkt in der Hölle gelandet. Nun stand sie dem Teufel höchstpersönlich gegenüber. Er, der ihr so vertraut und doch so fremd geworden war.

Ungläubig starrte Mac ihn an. „Was soll ich?!“

„Du hast mich schon verstanden.“ Er stand wie ein Sieger vor ihr, breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine kalten Augen sahen sie selbstgefällig an.

Wut machte sich in ihr breit und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Bist du verrückt geworden, oder was?!“, fauchte sie. „Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!“

Unvermittelt stieß er sie gegen die Wand, packte sie an der Kehle und drückte zu. Nach Luft japsend versuchte sie seine riesige Pranke mit beiden Händen von ihrem Hals zu lösen, doch er ließ nicht locker.

„Hör auf …“, wimmerte sie. „Du tust mir weh …“

Groß und bedrohlich stand er vor ihr. Er war viel zu nah. „Hör mir jetzt gut zu, du wertloses kleines Luder! Du wirst genau das machen, was ich von dir verlange, oder du wirst es bitter bereuen – das verspreche ich dir.“ Abrupt ließ er sie los.

Hustend und nach Luft ringend hielt sich Mac ihre Kehle. Er hatte den Verstand verloren, anders konnte es nicht sein. „Das kannst du vergessen … Niemals würde ich auf eine so lächerliche Forderung eingehen … Was ist nur los mit dir …“ Sie sprach leise, sah ihn verständnislos an. Lautes Herzklopfen erfüllte ihren Körper. Trotz ihrer furchtbar großen Angst schob sie sich entschlossen an ihm vorbei und ging vermeintlich selbstbewusst auf den Ausgang zu. Brutal riss er sie von hinten an den Haaren zurück. Mac schrie auf vor Schmerz. Dann schlug er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht, erst links, dann rechts – so hart, dass sie beim zweiten Schlag fiel. Sie versuchte den Sturz noch abzufangen, knallte aber mit der rechten Schulter hart auf den Boden. Wieder packte er sie am Haar, zerrte sie auf die Beine. „Du kleines Miststück wirst genau das tun, was ich von dir verlange!“, zischte er.

Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Er war noch nie fair zu ihr gewesen, aber wann war er zu einem solchen Monster mutiert? „Du tust mir weh!“ Mac schluchzte.

Unbeeindruckt krallte er sich noch fester in ihr Haar und zerrte sie hinter sich her. Er öffnete eine Tür und schubste sie hart in eines der Gästezimmer, sie fiel erneut zu Boden. Sein Blick war grausam. „Du bleibst erst mal hier.“ Damit schloss er die Tür ab, ehe sich seine Schritte entfernten.

Das alles kam ihr so unwirklich vor. Sie setzte sich auf und ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Schulter. Ihre Wangen brannten von den Schlägen, doch dem schenkte sie keine große Beachtung. Sie zitterte am ganzen Körper, hatte Angst und Kopfschmerzen breiteten sich rasend hinter ihrer Stirn aus. Mac kroch zur verschlossenen Tür, rüttelte vergeblich daran und sah sich dann hastig nach einem anderen Fluchtweg um. Das Zimmer befand sich im zweiten Stock – wenn sie sich nicht den Hals brechen wollte, war aus dem Fenster zu steigen keine Option. Entmutigt lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Tür. Dummerweise hatte sie ihre Handtasche mit ihrem Handy im Auto liegen lassen. Wer konnte auch mit so etwas rechnen … Jeder, du dumme Kuh. Jeder hätte damit gerechnet! Angesichts der ausweglosen Lage schlug sie sich beide Hände vors Gesicht und gab sich dem Tränenstrom hin.

Nach einer Weile – Mac hatte jegliches Zeitgefühl verloren – hörte sie ein Klicken, gefolgt von einer leisen Stimme auf der anderen Seite der Tür. „Kommen Sie! Schnell!“

Sie rappelte sich auf und die Tür wurde geöffnet.

Mrs. Walsh, seine Haushälterin, stand vor ihr und gestikulierte heftig mit den Armen. „Schnell, Sie müssen von hier verschwinden, bevor er zurückkommt, sonst gnade Ihnen Gott.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, packte Mrs. Walsh Mac an der Hand und zerrte sie aus dem Zimmer.

„Wieso tun Sie das? Wieso helfen Sie mir?“

„Ach Liebes, denken Sie, ich weiß nicht, was für ein Mensch er ist? Ich arbeite so lange für ihn und habe wahrlich genug mitbekommen. Ich kann doch nicht zulassen, dass Ihnen dieses Scheusal etwas antut. Jetzt verschwinden Sie. Und kommen Sie nie wieder zurück!“

Kapitel 1

Seit einer Stunde lag Brisbane hinter ihr und sie kam ihrem Ziel, dem Northern Territory, immer näher. Dort oben, am anderen Ende des Kontinents, würde sie hoffentlich niemand finden.

Nach der Flucht aus dem Haus ihres Bruders hatte sich Mac endgültig auf den Weg gemacht. Da ihre beste Freundin Jamie schon vor einiger Zeit befürchtet hatte, dass es irgendwann so weit kommen könnte, hatte sie Mac dazu gedrängt, sich auf diesen Fall vorzubereiten – genauer gesagt hatte Jamie ihr eines Tages gefälschte Papiere in die Hand gedrückt. Als Mac wissen wollte, wie sie an diese gekommen war, hatte ihre Freundin sie nur umarmt. Im Anschluss hatte Mac unter ihrem neuen Namen ein Bankkonto eröffnet und über einige Wochen hinweg immer wieder höhere Geldbeträge aus dem Treuhandfond von über einer halben Million – das Erbe ihrer geliebten Großmutter – auf das neue Konto überwiesen. Und nun hatte sie sich von Jamie verabschiedet und Perth hinter sich gelassen.

Mac flog zunächst nach Sydney und verbrachte die darauffolgenden sechzehn Stunden in einem Bus nach Brisbane. Um ihre Spuren zu verwischen, hatte sie sich dort einen Mitsubishi Outlander gekauft und bar bezahlt. Ihr Smartphone hatte sie noch in Perth samt SIM-Karte zerstört – neben dem Auto gehörte nun ein in Brisbane gekauftes Prepaidhandy zu ihren neuesten Errungenschaften. Die Nummer kannte noch nicht einmal Jamie, und das sollte auch erst mal so bleiben.

Mac fasste sich an die linke Wange. Sie war immer noch ein wenig geschwollen. Traurig dachte sie an den Mann, der ihr das angetan hatte. Geld, Macht und die Gier nach mehr von beidem machten Menschen zu egozentrischen, rücksichtslosen Kreaturen. Nur dass ihr Bruder auch noch ein sadistisch veranlagter Psychopath war, ein niederträchtiger, gefährlicher Mann, der vor nichts zurückschreckte und es genoss, wenn andere litten.

 

Ein Motelschild zog an ihr vorbei. Erst in diesem Moment bemerkte Mac, wie müde sie eigentlich war. Ich brauche dringend Schlaf. Kurzerhand beschloss sie, sich ein Zimmer zu nehmen. Mac atmete tief ein und wieder aus – die innere Unruhe war nach dem Vorfall geblieben. Sie fuhr das Motel an, checkte ein und bezahlte bar. Anschließend parkte sie das Auto auf der Rückseite des Gebäudes, damit es von der Straße aus nicht zu sehen war. Im Zimmer angekommen riegelte sie die Tür ab, ließ sich erschöpft aufs Bett fallen und schlief auf der Stelle ein.

 

Als Mac aus dem Schlaf hochschreckte, zeigte die Digitalanzeige des Weckers 5:47 Uhr. Sie war desorientiert und wusste zunächst nicht, wo sie sich befand. Ihr Puls raste. Der Flug … die Fahrt … das Motel. Ich bin in einem Motel. Stück für Stück kehrte die Erinnerung zurück. Obwohl Mac zwölf Stunden am Stück geschlafen hatte, fühlte sie sich abgespannt, hatte Kopfschmerzen, außerdem tat ihre Schulter weh. Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem Schmerzmittel, drückte eine Tablette aus dem Blister und spülte sie mit Wasser aus dem Zahnputzbecher runter. Dann duschte sie, wusch sich die Haare und putzte die Zähne. Für den nächsten Schritt hatte sie bereits am Tag zuvor eine Schere gekauft. Sie band ihr dunkelbraunes, langes Haar zu einem Zopf, den sie im Anschluss unterhalb des Haargummis abschnitt – dann kam der Feinschliff. Als sie fertig war, betrachtete sie sich kritisch im Spiegel. Hinten hatte sie den Bob etwas kürzer geschnitten, vorne umschmeichelten die Spitzen ihr Kinn. O Gott, meine schönen langen Haare … Sie verbat sich, weiter darüber nachzudenken, musste sich beeilen. Ruckartig drehte sie sich um, zog sich an und packte ihre Tasche.

Wenige Minuten später saß sie auch schon wieder in ihrem Outlander und fuhr weiter. Im nächsten Ort wollte sie erst mal einen Supermarkt ansteuern und sich für die kommenden Tage mit Wasser und Essen eindecken. Außerdem musste sie noch mal tanken, bevor sie endgültig ins Hinterland vordringen würde.

 

Mac war tagelang unterwegs. Trostlose Steppe, Wüste und Weideland wechselten sich ab, den Kängurus, die hier durch ihre natürliche Umgebung hüpften, schenkte sie kaum Beachtung. Die endlose Weite der Wildnis des Outbacks spiegelten ihre Gefühle. Während der Flucht hatte sie endlich Zeit, um ihr verlorenes Leben zu trauern. Sie hatte in den letzten Tagen viel geweint und aus Verzweiflung geschrien. Alles erschien ihr so aussichtslos. Wenn sie an die Zukunft dachte, überkam sie eine Angst, die ihr Herz wie eine Faust umschloss.

Für einen Neuanfang. Für ein neues Leben – während der ganzen Fahrt wiederholte sie diese beiden Sätze wie ein Mantra. In welche Richtung dieser Neuanfang führen sollte, musste sie früher als gedacht entscheiden: an einer Kreuzung des National Highways. Tennant Creek oder Darwin? Mac erinnerte sich an den wunderschönen Urlaub, den sie als Kind mit ihrer Großmutter dort verbracht hatte. Darwin!

 

Es dämmerte bereits, als urplötzlich ein Känguru auftauchte und mit einem Satz von links in den Outlander sprang. Mac schrie erschrocken auf, verriss das Lenkrad, der Wagen geriet ins Schleudern und verfehlte knapp den einzigen Baum am Straßenrand. Wie durch ein Wunder kam das Auto schließlich ohne Überschlag zum Stehen.

O mein Gott! Das hätte tödlich enden können! Sobald Mac realisierte, was da gerade geschehen war, begann sie unkontrolliert zu zittern. Ihr schneller Herzschlag war das Einzige, was sie über Minuten hinweg wahrnahm. Dann öffnete sie vorsichtig die Autotür und stieg mit wackeligen Beinen aus. Ihre Knie drohten nachzugeben und sie stützte sich auf der heißen Motorhaube ab. Sobald sie sich ein wenig beruhigt hatte, richtete sie sich auf … und war erschüttert. Das Auto war ein Wrack, das Känguru tot.

Mist! Jetzt sitzt du richtig in der Tinte …

Die Straße war wenig befahren. Wie lange würde es dauern, bis ein Auto kam? Ich könnte das Handy benutzen, überlegte Mac. Wenn es hier draußen überhaupt Netz gibt.

Sie hatte noch nicht lange über eine Lösung nachgedacht, als plötzlich ein Pick-up kam. Vielleicht hatte sie ja doch Glück. Winkend ging sie dem Fahrzeug entgegen und der Wagen hielt an. Ein Cowboy stieg aus – sie schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Schnell kam er auf sie zu, sah sie besorgt an. „Geht es dir gut? Bist du verletzt?“

Mac fasste sich an den Kopf. „Beim Aufprall habe ich mir wohl den Kopf angeschlagen. Aber außer einem großen Schrecken geht es mir gut … glaube ich zumindest.“ Plötzlich drehte sich alles.

„Kipp mir bloß nicht um“, mahnte der Mann. „Komm, setz dich erst mal.“ Der Cowboy führte Mac zu seinem Pick-up und sie setzte sich auf den Beifahrersitz. Dann gab er ihr eine Flasche Wasser und sie nahm einen Schluck.

„Langsam trinken, und nur kleine Schlucke. Du könntest einen Schock haben.“

„Danke. Es geht schon wieder“, versicherte sie.

„Ich bin übrigens Gus. Gus Seymour“, stellte der Mann sich vor.

Mac zögerte. „Ich bin Ma…“ Sie stockte erschrocken. Nein, nein, nein … Verdammt! Ich bin doch jetzt Jo! „Also … Jo … Eigentlich heiße ich Jo, aber … aber alle nennen mich … Mac“, improvisierte sie und wurde gegen Ende immer leiser. Was für ein Quatsch, das glaubt mir doch keiner … Sie fixierte einen Punkt über dem Handschuhfach und hoffte, dass der Schwindel gleich wieder nachlassen würde.

„Ah, okay. Also gut, Mac, bleib einfach sitzen. Ich sehe mir den Schaden am Auto mal an.“

Während Gus um ihren Wagen herumging, wurde Mac das Ausmaß der Situation erst richtig klar. Stoßstange, Kotflügel, Licht und Blinker – vorne links war alles kaputt, die Windschutzscheibe zersplittert, die Spiegel weg. Sie musste einen Schutzengel gehabt haben. Gus telefonierte und kam nach dem Gespräch wieder zu ihr. „Also das sieht nicht gut aus. Tut mir leid, aber ich fürchte, der Wagen ist Schrott“, erklärte er. „Ich habe jemanden angerufen, der das Auto abschleppt, aber bis nach Katherine sind es noch eineinhalb Stunden Fahrt. Am besten kommst du erst mal mit mir zur Bradford Station, die liegt nur fünfzig Autominuten von hier entfernt. Von da aus können wir uns um alles kümmern.“

Mac zögerte, sah dann aber ein, dass ihr nichts anderes übrig blieb. „Na gut …“, sagte sie widerwillig. „Aber ich muss noch meine Sachen aus dem Auto holen.“

„Bleib sitzen, ich mach das. Wir nehmen einfach alles mit.“ Gus lächelte sie freundlich an, wobei sich Lachfalten um seine Augen bildeten.

Kapitel 2

Als Gus ihr auf der Fahrt von der Bradford Station erzählt hatte, hatte sich Mac eine kleine Station darunter vorgestellt – mit einem einfachen Haus, einem Stall, einer Scheune und Baracken für die Arbeiter. Was sie bei ihrer Ankunft jedoch sah, übertraf ihre Vorstellung bei Weitem: Imposant ragte das weiße Haupthaus im typischen Kolonialstil vor ihr auf. Es war zweigeschossig, hatte einen rechteckigen Grundriss und ein Giebeldach. Um das komplette Haus führte eine überdachte Veranda, und direkt in der Mitte der Hausfront war der Eingangsbereich. Rund um das Haus ragten Bäume in den Himmel und spendeten an heißen Tagen sicher genug Schatten. In gebührendem Abstand standen rechts vom Haupthaus hübsche kleine Bungalows, der Pferdestall mit großem Paddock befand sich links vom Haupthaus und daneben stand eine große Scheune. Bunte Blumen und Büsche rundeten das Gesamtbild ab. Gus hatte erklärt, dass zur Bradford Station ein Gebiet von rund achttausend Quadratkilometer gehörte, und sogar ein See befand sich in der Nähe des Hauses.

Vor dem ersten Bungalow parkte Gus seinen Truck und stieg aus. Erschöpft und verspannt tat es Mac ihm gleich. Kaum hatte sie die Fahrzeugtür zugeschlagen, öffnete eine ältere, hübsche Frau die Haustür. Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Da bist du ja endlich, Gus! Und wie ich sehe, hast du einen Gast mitgebracht.“ Ihr warmer Blick richtete sich auf Mac.

Mac mochte diese Frau auf Anhieb.

„Ich bin Jenna, meine Liebe.“ Sie schloss Mac herzlich in die Arme, ehe sie die eigentlich Fremde genauer betrachtete. „Mein Gott, was ist denn mit deinem Kopf passiert?“

„Ich war gerade auf dem Weg nach Hause, als ich auf Mac traf. Sie hatte einen Unfall mit einem Känguru. Das Auto hat wohl einen Totalschaden und Mac hat sich den Kopf angeschlagen“, berichtete Gus seiner Frau. „Ich habe bereits Jess angerufen. Er kümmert sich um alles.“

„Es ist halb so schlimm, wirklich“, versuchte Mac zu beschwichtigen und tastete nach der Beule. Puh, doch ganz schön groß. „Eine kleine Pause und ein Beutel Eis, und schon ist alles wieder in Ordnung. Gibts hier in der Nähe ein Motel?“

Jenna sah sie entrüstet an. „Ich werde dich bestimmt nicht, verletzt wie du bist, wieder gehen lassen. Komm doch erst mal rein.“

Sobald Mac sich an den Küchentisch gesetzt hatte, drückte ihr Jenna vorsichtig einen Eisbeutel auf die Stirn. „Hier, halt den fest … Und du bist bestimmt ganz ausgehungert, Liebes.“ Wie aus dem Nichts zauberte sie einen Teller mit Steak und Bratkartoffeln hervor.

Beim Anblick der warmen Mahlzeit lief Mac das Wasser im Mund zusammen. Sie war tatsächlich schrecklich hungrig und hatte sich in den letzten Tagen hauptsächlich von Sandwiches ernährt. Genüsslich biss sie in das erste Stück Fleisch und hätte beinahe gestöhnt, so köstlich war es. Daraufhin verschlang sie die Mahlzeit regelrecht.

„Ich habe noch Apfelkuchen gebacken. Hier, nimm dir ein Stück, bevor die Jungs es merken, sonst gehst du leer aus.“ Grinsend stellte sie Mac ein Stück Kuchen hin.

„Bist du auf der Durchreise?“

Gus’ Frage traf sie völlig unvorbereitet, prompt verspannte sie sich. Jetzt keine unüberlegte Antwort geben … „Ich … also ich brauchte mal eine Auszeit … und den Norden wollte ich schon immer mal sehen“, antwortete sie ausweichend.

„Dann hast du keine konkreten Pläne?“, fragte er weiter.

Mac schüttelte den Kopf. Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht. Ihr primäres Ziel war es, Hauptsache weit weg zu sein. Im Prinzip hatte sie also keinen Plan, wie es weitergehen sollte. „Wieso fragst du?“ Mac sah ihn argwöhnisch an.

„Nun, ich würde dir gern ein Angebot unterbreiten.“

Auf Jennas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Sie schien bereits zu wissen, worauf er hinauswollte.

„Hast du Lust, eine Weile auf der Station mit anzupacken? Wir brauchen hier dringend Unterstützung und du scheinst mir genau die richtige Person dafür zu sein.“

„Hm … ich weiß nicht. Ich habe noch nie auf einer Station gearbeitet. Bist du dir sicher, dass ich das kann?“

„Kannst du reiten?“, fragte Gus.

„Als Kind habe ich es mal gelernt, aber das ist schon lange her.“

„Wenn du gern mit anpackst und ein bisschen reiten kannst, bist du genau die Richtige. Meine Jenna wünscht sich außerdem sehnlichst weibliche Gesellschaft und würde sich bestimmt freuen.“ Er zwinkerte seiner Frau zu.

„Das Leben hier ist oft hart und als einzige Frau inmitten einer Horde Männer zu leben macht es nicht einfacher“, gab sie zu.

Gus nahm einen Schluck von seinem Wasser. „Und wenn du keine Bank überfallen oder jemanden umgebracht hast, werde ich auch keine weiteren Fragen nach deinem Hintergrund stellen.“ Er sah Mac direkt in die Augen.

Tja, was soll ich da noch sagen. Scheiße …Ihr Pulsschlag beschleunigte sich und sie fühlte sich, als wäre sie auf frischer Tat ertappt worden. Entweder war Gus Hellseher oder ihr stand klar und deutlich „Ich bin auf der Flucht“ auf der Stirn. Sie überlegte kurz. Der Gedanke, sich direkt hier, mitten im Nirgendwo, zu verstecken, gefiel ihr eigentlich ganz gut. Sie wäre hier draußen so gut wie unauffindbar. Außerdem hätte sie eine Aufgabe, die sie von ihren Problemen ablenken würde. Zumindest vorerst. Und das war gut, sonst würde sie noch durchdrehen. Also sagte Mac kurzerhand zu.

„Schön, willkommen auf der Bradford Station!“ Gus war sichtlich erfreut und Jenna strahlte schon wieder über das ganze Gesicht.

„Du kannst in den leeren Bungalow ziehen.“ Jenna klatschte begeistert in die Hände. „Und essen kannst du bei uns – ich koche immer für alle.“

„Jenna wird dir alles zeigen und erklären, Mac. Ich lass euch beide jetzt allein, hab noch zu tun. Dein Gepäck findest du im Bungalow. Bis später.“ Und schon war Gus verschwunden und die beiden Frauen blieben allein zurück.

Jenna setzte sich zu Mac an den Tisch. „So, jetzt erzähl mal. Was führt dich hierher, Liebes?“

„Ach, ich brauchte mal einen Tapetenwechsel.“ Mac senkte ihren Blick. Sie wollte diese herzliche Frau eigentlich nicht anlügen. Allerdings war ihr bewusst, dass sie nicht einfach mit der Wahrheit herausrücken konnte. Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Unsicher schob sie sich eine Strähne aus dem Gesicht.

Falls Jenna etwas gemerkt hatte, sagte sie nichts. „Ja, das brauchen wir alle mal. Ich bin sicher, es wird dir hier gefallen.“ Und dann plapperte Jenna fröhlich drauf los, sodass sich Mac schnell gut aufgehoben fühlte. „Wir sind insgesamt neun Arbeiter, uns beide eingeschlossen, aber wir sind die einzigen Frauen hier auf der Station. Der Bungalow auf der linken Seite des Haupthauses ist frei. Dort wirst du mehr Ruhe haben als neben den Unterkünften der Männer. Komm, wir gehen direkt mal gucken.“ Jenna stand auf und nahm einen Schlüssel aus dem Schlüsselschrank. „Ich bin echt wahnsinnig froh, dass Gus so unerwartet mit einer neuen Mitarbeiterin zurückgekommen ist. Eine schöne Überraschung – manchmal fühle ich mich inmitten all der Männer einsam.“ Sie seufzte. „Aber keine Sorge, ich will dich nicht in Beschlag nehmen oder dich erdrücken. Fühl dich frei, das zu tun, was du möchtest.“

Zusammen gingen sie zu Macs Unterkunft, wobei sie die Bezeichnung Unterkunft absolut untertrieben fand. Der Bungalow war ein richtiges Schmuckstück. Bei ihrer Ankunft war er ihr gar nicht aufgefallen, denn er stand etwas abgelegen inmitten der Bäume – geschützt vor neugierigen Blicken. Das kleine Häuschen hatte eine überdachte Veranda, unter der eine Holzschaukel hing, und hinter dem Bungalow befand sich eine Gartenterrasse, von der aus der See zu sehen war. Im Inneren gab es eine offene Küche, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer mit Bad. Mac fühlte sich auf der Stelle wohl.

„Ich hole dir noch ein paar Handtücher und was zu trinken, und dann werde ich dich allein lassen. Falls du etwas brauchst, kommst du einfach vorbei.“

 

Frisch geduscht saß Mac etwas später in einem der Schaukelstühle auf der Terrasse und betrachtete den atemberaubenden Sternenhimmel. Sie atmete tief ein. Es war das erste Mal seit einer langen Zeit, dass sich ihre permanente Angst etwas legte, und Mac entspannte sich. Endlich hatte sie Zeit, sich alles, was vorgefallen war, durch den Kopf gehen zu lassen. Sie befand sich am anderen Ende des Kontinents, fernab der Zivilisation, und war vorerst in Sicherheit.

Kapitel 3

Als Mac wieder wach wurde, lauschte sie zunächst der ungewohnten Stille. Dann erst öffnete sie ihre Augen und streckte sich. Ihr ganzer Körper schmerzte. Eigentlich wollte sie Jennas und Gus’ Angebot, nicht kochen zu müssen, gar nicht annehmen. Jetzt blieb ihr allerdings nichts anderes übrig, denn ihr Magen knurrte.

Sie zog sich eine Jeans und ein Shirt über, bürstete sich die Haare und band sie zu einem einfachen Pferdeschwanz. Bevor sie ihren Bungalow verließ, schlüpfte Mac noch in ihre Sneakers, dann machte sie sich auf den Weg zu Jenna. Es war erst sechs Uhr, und trotzdem herrschte bereits reger Betrieb auf der Station. Mac begegnete zwei jungen Männern – beide blond und groß, schätzungsweise um die Zwanzig –, die sie freundlich begrüßten. Jenna, Gus und ihre Söhne wohnten im größten Bungalow, der etwas abseits vom Farmhaus stand.

„Guten Morgen, meine Liebe!“, begrüßte Jenna sie fröhlich. „Komm rein und setz dich! Die anderen müssten auch jeden Moment da sein, dann lernst du alle kennen.“ Der herrliche Duft von Kaffee stieg Mac in die Nase, und sie setzte sich an den großen Küchentisch, auf dem von Brot, Marmelade und Honig bis hin zu Rührei, Käse, Wurst und Schinken alles vorhanden war. Mac musste etwas verblüfft dreingeschaut haben, denn Jenna lachte auf. „Die Jungs hauen rein wie eine ganze Armee. Nimm dir am besten gleich alles, was du willst, bevor sich diese Wilden darauf stürzen.“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, wurde die Tür aufgerissen und die beiden jungen Männer stürzten herein, gefolgt von Gus und vier weiteren Männern. Die Blondschöpfe – Dave und Josh – waren Jennas und Gus’ Söhne. Zwei Männer stellten sich als Duncan und Gordon vor, waren bereits seit vier Jahren Saisonarbeiter auf der Station, und die anderen beiden, Jack und Matt, waren Vater und Sohn, wobei Matt etwa in Macs Alter war. Die beiden kamen ursprünglich aus Sydney und waren ins Outback ausgewandert. Jacks Frau Lisa arbeitete als Flying Vet – als fliegende Tierärztin kam sie fernab der Zivilisation zum Einsatz und war oft wochenlang unterwegs. Da Jack das Stadtleben sattgehabt hatte, hatte er kurzerhand beschlossen, es etwas ruhiger angehen zu lassen. Matt war von der Idee, auf einer Station zu arbeiten, begeistert gewesen und zog mit. Jacks Frau kam so oft sie konnte auf die Station.

Da hat Jenna wirklich nicht übertrieben … Mac beobachtete amüsiert, wie sich alle auf das Essen stürzten. Die Atmosphäre am Tisch war ausgelassen, und nach dem Frühstück, von dem nicht ein Krümel übrig blieb, besprachen sie die Arbeiten, die an diesem Tag erledigt werden sollten. Gus war der Vorarbeiter und hatte das Sagen. Mac sollte sich an Matt halten und mit ihm zusammen die Pferde versorgen. Dave würde die Rinder füttern. Duncan und Josh mussten Zäune ausbessern und Gordon wäre mit der Reparatur von zwei defekten Kettensägen und einem Traktor beschäftigt.

 

„Hast du schon mal einen Pferdestall ausgemistet?“, fragte Matt, während er mit Mac zu den Ställen ging.

„Um ehrlich zu sein, nein. Ich habe zwar als Kind Reitunterricht bekommen, aber da kam man mit der Stallarbeit an sich nicht in Berührung. Und das ist auch ewig her … ich bin schon so lange nicht mehr geritten. Wer weiß, ob ich das überhaupt noch kann?“ Mac war verunsichert. Hätte sie das Jobangebot vielleicht doch ausschlagen sollen?

„Das macht nichts“, versicherte ihr Matt. „Wir machen alles Schritt für Schritt. Gus hat mir erzählt, dass du gestern einen Unfall hattest, schon deshalb werden wir es heute langsam angehen lassen. Du solltest dich nicht überanstrengen. Falls du dich unwohl fühlst, sagst du bitte Bescheid. Und für Reitunterricht können wir auch sorgen, wobei du wohl nur eine kleine Auffrischung brauchen wirst. Reiten ist wie Fahrradfahren – das verlernt man nicht.“

Mac musste über den Vergleich lachen und Matt stimmte mit ein.

„Ach, und nach dem Mittagessen müssen wir eine Tränke überprüfen. Die liegt ungefähr fünfzig Kilometer von hier entfernt“, redete Matt weiter.

Mac blieb der Mund offen stehen. „Was? So weit weg?“

Er lachte. „Ja, das ist hier nicht ungewöhnlich. Das zur Station gehörende Gelände ist sehr groß und die Rinder müssen ja überall Wasser haben. Und wenn wir schon mal dort sind, können wir auch gleich einen Blick auf die Tiere werfen.“

„Und wie kommen wir hin?“, wollte Mac wissen.

„Ganz einfach: mit dem Pick-up.“

Sie betraten den Stall und Mac atmete genüsslich den vertrauten Geruch ein. Sie musste unwillkürlich an ihre erste Reitstunde denken.

„Also, zuerst bringen wir die Pferde aufs Paddock, dann können wir hier in Ruhe arbeiten“, erklärte Matt. „Die Halfter hängen an den Boxentüren – siehst du ja. Schnapp dir einfach eins und los gehts.“

Zögerlich halfterte Mac das erste Pferd und stellte fest, dass ihr die Handgriffe noch immer vertraut waren. Ermutigt führte sie mit Matt so nach und nach alle Pferde nach draußen. Als alle Tiere an der großen Raufe Heu mümmelten, zeigte Matt seiner neuen Kollegin, wie die Boxen gemistet werden sollten. Darauf bedacht, Mac noch zu schonen, übernahm er die meiste Arbeit und erklärte dabei – sie war mehr Zuschauer als Helfer.

„Was steht jetzt an?“, wollte Mac nach getaner Stallarbeit wissen.

„Jetzt warten wir einen unserer Pick-ups. Das machen wir hier regelmäßig, denn auf einer Station bist du schnell mal Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Kilometer von der Zivilisation entfernt. Dann ist es gut, wenn man auch sicher wieder nach Hause kommt.“ Er lachte.

Die Scheune mit den Fahrzeugen glich einer Autowerkstatt. Zudem befanden sich nicht nur die Pick-ups darin, auch die landwirtschaftlichen Fahrzeuge waren dort untergestellt.

Bis zum Mittag arbeitete Matt an einem Pick-up, und Mac durfte bei einem Radwechsel mit anpacken.

Nach dem Mittagessen entschied Matt, allein zu einer Tränke zu fahren, damit Mac den restlichen Tag mit Jenna verbringen konnte.

Zusammen erledigten sie die Küchenarbeit. Anschließend gingen die beiden der Arbeit im Gemüsegarten nach, wobei die Bezeichnung Garten untertrieben war – er hatte eher die Größe eines kleinen Parks. Sträucher mussten gestutzt, Gemüse und Obst geerntet und einige Beete für die Aussaat vorbereitet werden. Auf Mac wirkt die Gartenarbeit beruhigend, und die Zeit verging wie im Flug.

 

Nach dem Abendessen setzte sich Mac mit Jenna und Gus an eine Feuerschale vor dem Bungalow. Nach und nach kamen auch die anderen und setzten sich dazu. Dave spielte ein Lied auf seiner Gitarre und es herrschte eine vertraute Atmosphäre.

Obwohl Mac im Gegensatz zu den anderen nicht viel gearbeitet hatte, war sie dennoch erschöpft. Sie war es gewohnt, stundenlang Haare zu schneiden, doch obwohl sie das meist stehend tat, unterschied sich diese Arbeit natürlich deutlich von der auf der Station. Aber immerhin hatte ihr ihr erster Arbeitstag hier Spaß gemacht, dachte sie zufrieden.

Duncan gesellte sich zu ihnen auf die Veranda.

„Hudson kommt nächstes Wochenende zurück“, sagte Gus.

„O Mann, wirklich?“, antwortete Duncan „Hudson habe ich ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Bleibt er dann eine Weile?“

„Ich denke schon. In zwei Wochen ist das Cattle Mustering und wir brauchen noch einen Piloten für den Viehtrieb. Ben kann sich dieses Jahr nicht loseisen – seine Frau ist hochschwanger und das Baby kann jeden Moment zur Welt kommen.“

„Hudson und Gordon fliegen“, fuhr Gus fort. „Das wird ganz besonders lustig – Hudson, unser Risikopilot.“ Beide lachten, während Jenna nur schnaubte.

„Dass ihr da noch lachen könnt … Er wird sich noch irgendwann umbringen …“

Sanft drückte Gus ihre Hand. „Du weißt doch, nichts und niemand könnte ihn daran hindern zu fliegen. Und er liebt nun mal die Gefahr.“

Mac lauschte gespannt, war aber schließlich zu erschöpft, um noch länger zu bleiben. Sie stand auf und verabschiedete sich. „Gute Nacht euch allen. Bis morgen.“

Wenig später fiel sie müde, aber zufrieden ins Bett.

 

Als sie am nächsten Tag zusammen am Mittagstisch saßen, verkündete Gus: „Ach, übrigens – Hudson hat vorhin angerufen. Es gibt eine Planänderung: Er kommt bereits in drei Tagen.“

Jennas Blick hellte sich vor Freude auf.

„Falls wir die Road Trains früher bekommen, können wir das Cattle Mustering etwas vorziehen“, fuhr Gus fort.

Jetzt wurden laut gejubelt. Mac musste unwillkürlich lachen. „Und was bedeutet das nun?“, wollte sie dann wissen.

Duncan grinste frech. „Das bedeutet, dass du so schnell wie möglich Motorrad- und Quadfahren lernen musst.“

„Genau. Und deine Reitstunden finden ab sofort zweimal täglich statt“, bekräftigte Matt mit einem Nicken.

Dave und Josh lehnten sich vor. „Außerdem müssen wir mit dir Lassowerfen üben.“ Sie klatschten einander ab. „Das wird ein Spaß.“

Macs Augen wurden immer größer. „O mein Gott, und das alles innerhalb von drei Tagen? Das schaffe ich doch nie!“

„Natürlich schaffst du das, Liebes“, wandte Jenna ein. „Und ich hab noch was für dich.“ Sie ging zur Garderobe und kam mit einem weißen Cowboyhut wieder, den sie Mac mit verschmitztem Lächeln reichte. „Und den hier brauchst du jetzt unbedingt. Du musst dich vor der Sonne schützen.“

Gus erhob sich. „Gut, dann lasst uns weitermachen, es steht noch haufenweise Arbeit an.“

Die gute Laune war ansteckend und Mac fühlte sich frisch und belebt. Die Angst vor ihrem Bruder wich der Erleichterung, ihm tatsächlich entkommen zu sein.

Kapitel 4

Während des Flugs dachte Hudson über das Treffen mit den Investoren am vorigen Tag nach. Bisher lief im Rahmen der Konzernübernahme alles nach Plan, wenn da nur sein ungutes Gefühl nicht gewesen wäre. Sein Instinkt sagte ihm, dass es noch Schwierigkeiten geben würde. Der größte Investor war ihm entschieden zu aggressiv vorgegangen – den Mann umgab eine berechnende Kälte. Die Erfahrung zeigte Hudson, dass er sich eigentlich lieber um einen neuen Investor bemühen oder das Projekt vorläufig ganz auf Eis legen sollte. Daher hatte er den nächsten Termin für in einem Monat angesetzt und hoffte, bis dahin genug Zeit zu haben, um sich Gedanken zu machen, wie es mit der Übernahme weitergehen sollte.

Aber zunächst würde er sich dem widmen, was er am liebsten tat: seinen Angestellten auf der Bradford Station unter die Arme greifen. Im Outback galten andere Regeln als in der Businesswelt. Keine gestressten Menschen, die von einem Termin zum anderen eilten, sich mit Kopfhörern von allem abschottend. Man konnte seine persönlichen Unsicherheiten nicht kaschieren, sondern musste sich der Wahrheit stellen. Selbst die Uhren schienen im Northern Territory langsamer zu laufen – man fand trotz der vielen Arbeit für alles Zeit. Man reinigte da draußen seine Seele.

Kommende Woche stand das jährliche Cattle Mustering an. Hudson freute sich jedes Jahr wieder auf den Viehtrieb. Die Station besaß zwei Hubschrauber, die in den letzten Jahren von Gordon und Ben geflogen worden waren. Er selbst hatte immer zur Bodencrew gehört. Doch dieses Jahr würde Hudson für Ben als Pilot einspringen – das würde ein ganz besonderer Spaß.

 

Nachdem die Maschine gelandet war, erwartete ihn Gus bereits in der kleinen Ankunftshalle.

„Schön, dich wieder hier zu haben, mein Freund!“, sagte er und schloss Hudson in eine väterliche Umarmung.

„Schön, wieder hier zu sein“, erwiderte Hudson. „Wie geht es dir?“

„Was soll ich sagen … Ich werde langsam alt.“ Gus lachte. „Nein, im Ernst, es geht mir wirklich gut. Nur mein Knie macht mir etwas zu schaffen. Aber du kennst Jenna, sie sorgt sich immer um mich und tut alles, damit es mir auch wirklich gut geht.“

„Wolltest du dein Knie nicht mal untersuchen lassen?“, erkundigte sich Hudson.

„Das war der Plan. Allerdings hatte ich einfach keine Zeit, und der Doc ist ja nicht gerade um die Ecke.“

Hudson betrachtete Gus ernst. „Ich möchte mir keine Sorgen um dich machen müssen, Gus. Also nimm dir bitte die Zeit und geh zum Arzt.“ Er machte eine kurze Pause. „Oooder“, der Schalk blitzte in seinen Augen, „ich werde Jenna erzählen, dass du gejammert hast.“

Gus blieb stehen. „Wirst du nicht.“

„Werde ich doch.“

Gus hob ergeben beide Hände hoch und brummte. „Ist ja schon gut. Ich gehe ja schon zum Arzt.“

Zusammen gingen sie zu Gus’ Pick-up und machten sich auf den Weg in Richtung Station.

Hudson kannte Gus bereits sein ganzes Leben lang. Als Kind hatte er die Sommerferien immer auf der Station seines Onkels verbracht, wo Gus – damals noch ein junger Mann – arbeitete. Ungeachtet des Altersunterschieds verstanden sich die beiden auf Anhieb – der Anfang einer tiefen Freundschaft, die ein ganzes Leben halten würde.

Hudsons Vertrauen in Gus war unerschütterlich, und als Hudson die Bradford Station schließlich erbte, beförderte er Gus zum Vorarbeiter – schließlich hatte der ihm alles beigebracht, was man über eine Station wissen musste.

„Wie geht es Jenna?“, fragte Hudson.

„Ach, du weißt doch, sie beklagt sich nie über etwas und ist glücklich, wenn sie auf der Station sein kann und ihre Jungs um sich hat.“

Das konnte Hudson nur bestätigen. Jenna war ein richtiges Cowgirl und Mutter mit Leib und Seele. „Und sonst irgendwas Neues?“, fragte er weiter.

„Hm … nichts Besonderes. Die Pferche für die Rinder stehen. Verstärkung haben wir bei den Nachbarn angefordert – Ed und Daniel Jackson helfen wie jedes Jahr gern. Somit haben wir genügend Leute, um die Rinder einzutreiben und zu mustern. Ach, und wir haben eine neue Arbeitskraft. Mac wird dir gefallen.“

„Das ist sehr gut. Ich denke, um die Rinder einzutreiben, brauchen wir höchstens einen Tag. Der Verkaufspreis ist ausgehandelt und die Road Trains für das Verladen der Tiere stehen auch schon bereit.“

„Wie immer bestens organisiert, unser Hudson … Aber diesmal warst du eine ganze Weile weg. Sei so gut – nimm dir etwas Zeit, rede mit den Arbeitern und reite außerdem mal richtig lang aus.“

Hudsons Gedanken schweiften ab. Ausreiten, das sollte er wirklich mal wieder. Er war nun zwei Monate nicht auf der Station gewesen und die Einsamkeit im Outback – wenn sein Pferd und er die einzigen Lebewesen zu sein schienen – hatte ihm gefehlt. Eigentlich sollte er deutlich mehr Zeit auf der Station verbringen. Oder vielleicht sesshaft werden? Seine Mutter pflegte zu sagen: „Hudson, such dir endlich ein Mädchen!“, aber für eine Frau hatte er eigentlich gar keine Zeit und Lust auf eine Beziehung schon gar nicht. Schnell verdrängte er das unbehagliche Gefühl und konzentrierte sich wieder auf das Jetzt.

Gus fuhr gerade die Auffahrt zur Station hoch, dann hielt er und stellte den Motor ab. Noch bevor Hudson aus dem Wagen springen konnte, wurde auch schon die Haustür aufgerissen und Jenna stürmte heraus. Sie öffnete die Autotür, packte Hudson und drückte ihn an sich.

„Hudson, mein Junge, du hast mir ja so gefehlt!“, beklagte sie sich. Sie liebte Hudson wie einen ihrer eigenen Söhne. „Hast du Hunger? Bestimmt hast du das. Komm, ich mache dir was zu essen.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, war sie schon auf dem Weg in die Küche.

Gus stieß zu ihnen. „Jenna, lass den Mann doch erst mal in Ruhe ankommen.“ Er schmunzelte.

„Das mache ich doch, du Dummkopf! Darum sollte er was essen!“, schoss sie zurück.

Hudson lachte. Genau das hatte er vermisst. „Warte doch noch etwas, Liebes. Ich würde vorschlagen, dass wir alle gemeinsam zu Abend essen. Was meinst du?“, fragte er sie.

„Das ist eine ausgezeichnete Idee!“ Und schon war sie weg.

„Jenna? Hast du Mac gesehen?“, rief Gus ihr hinterher.

„Ist mit Dave und Josh am See!“ Die Antwort aus dem Hausinnern klang dumpf.

„Dann stellen wir euch einander gleich mal vor“, sagte Gus zu Hudson.

Sie machten sich auf den Weg, sahen Duncan bei den Ställen und Gus gab ihm ein Zeichen, herzukommen. „Ich muss dringend die Pumpe am Wassertank reparieren.“ Und an Duncan gewandt fuhr Gus fort: „Geh du mit Hudson zum See. Josh, Dave und Mac sind dort – Hudson soll Mac kennenlernen.“

„Mach ich, Boss.“

 

Von Weitem hörte man bereits Gelächter, dann ein Jauchzen und dass etwas Großes ins Wasser platschte. Die Männer gingen den von Bäumen gesäumten Weg entlang, bis sie schließlich die Lichtung mit dem kleinen See erreichten. Der See war eingezäunt und bot Schutz vor unerwünschten Tieren. Somit war für die Sicherheit gesorgt und man konnte gefahrlos baden. Der Ort glich einer Oase. An einem überhängenden Ast war ein Seil befestigt und schwang über dem See, ein hölzerner Steg führte ins Wasser. Gerade wateten Dave und Josh darauf zu.

„Hey Hudson!“, rief Dave und die beiden kletterten auf den Steg.

„Sorry, wir sind zu spät – Vater wartet mit der Pumpe vom Wassertank auf uns. Wir sehen uns dann ja später noch“, sagte Josh und so eilten die Brüder davon.

„Wo ist Mac?“, rief ihnen Duncan hinterher.

„Schwimmt noch eine Runde!“, schrie Josh zurück.

„Dieser Mac ist ja schwer zu finden …“, brummte Hudson und stieß beinahe mit Duncan zusammen.

Der war plötzlich stehen geblieben, stieß den Atem aus und zischte: „Heilige Scheiße!“

Verwundert sah Hudson in dieselbe Richtung. Stumm klappte sein Mund auf und wieder zu. Das Bild, das sich ihm bot, machte ihn sprachlos: Aus dem See stieg eine Sirene in weißem Bikini. Sie hatte ihren Kopf in den Nacken gelegt und schob sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Sie sah bezaubernd aus. Sobald sie die beiden Männer bemerkte, eilte sie aus dem Wasser, hob ein Handtuch vom Boden auf und schlang es um ihren Körper.

„Wer ist diese Frau, und wo zum Teufel ist nun dieser Mac?!“, verlangte Hudson zu wissen. Er verstand gar nichts mehr.

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, krächzte Duncan: „Das ist Mac.“

Hudson hatte alles erwartet, aber ganz bestimmt nicht das. Sein Verstand war wie weggefegt, er hatte keine Chance, einen klaren Gedanken zu fassen. Mac war in Wirklichkeit gar kein Mann, sondern eine Frau! Und was für eine … Unwillkürlich hoben sich seine Mundwinkel zu einem wölfischen Grinsen. Seine Reaktion erstaunte ihn selbst, denn eigentlich stand er auf große Frauen, die Beine konnten gar nicht lang genug sein. Mac hingegen war klein, sehr kurvig und er fand sie unglaublich sexy. Während sich ihm Frauen nach seinem Beuteschema für gewöhnlich an den Hals warfen, war sie so völlig anders. Ihre Zurückhaltung war spürbar, und sein Instinkt sagte ihm, dass sich in nächster Zeit einiges ändern würde.

„Hi Mac!“, rief Duncan. „Ich wollte dir Hudson vorstellen, er ist gerade angekommen.“

„Hallo Mac.“

Ausdrucksstarke blaue Augen, umgeben von dichten, vom Wasser noch glitzernden Wimpern sahen ihn misstrauisch an. Zögerlich trat sie auf Hudson zu und reichte ihm ihre Hand. „Hudson. Freut mich, dich kennenzulernen.“

Er reichte ihr die Hand, und sobald ihre zarten, noch nassen Finger seine Haut berührten, lief durch seinen ganzen Arm ein Kribbeln. Ihre Haut strahlte eine Wärme aus, die direkt in seinen Körper floss, und die Berührung weckte in ihm das Verlangen nach mehr.

Kapitel 5

Während Mac sich nach einer ausgiebigen Dusche die Haare föhnte, ließ sie die letzte Stunde Revue passieren. Das Baden im See war herrlich gewesen. Dave und Josh waren so unbekümmert und sie hatte es in vollen Zügen genossen, sich von den beiden mitreißen zu lassen. Und dann war plötzlich er aufgetaucht. Sobald sie ihn wahrgenommen hatte, war da eine gewisse Abneigung ihm gegenüber gewesen, dabei kannte sie ihn nicht mal. Zweifellos, er war ein attraktiver Mann, und sie musste sich eingestehen, dass der Begriff attraktiv diesem Mann nicht ansatzweise gerecht wurde. Atemberaubend trifft da schon eher zu. Nie und nimmer war sie auf solch einen Anblick gefasst gewesen. Groß und maskulin. Etwa eins fünfundachtzig, schätzte sie. Mit seiner olivfarbenen Haut, den dunklen Augen und ebenso dunklen Haaren – an den Seiten raspelkurz, oben etwas länger und gestylt – war er eher der südländische Typ. Unter der hellen Jeans hatten sich harte Muskeln abgezeichnet, an den nackten Armen dicke Adern und ebenfalls Muskeln. Doch was sie wirklich nervös machte, war seine Ausstrahlung. Dieser Mann strahlte Dominanz und Selbstsicherheit aus, als bekäme er alles, was er wollte. Und dieses Grinsen … nur im Ansatz seines Mundwinkels … wie ihr Bruder sie schon so oft angegrinst hatte. Es sagte: Nimm dich in Acht.

---ENDE DER LESEPROBE---