3,49 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,49 €
Lausche dem Flüstern und öffne dein Herz! Nach einem traumatischen Erlebnis in ihrer Heimat flieht Aeryn nach Australien, wo sie durch einen Zufall – oder ist es doch Vorsehung? – auf der Station der Andersons landet. Der Weißdorn vor ihrer neuen Bleibe, ein sogenannter Feenbaum, ist für die Irin ein Zeichen: Hier ist sie richtig. Und so nimmt das Schicksal wenig später seinen Lauf, als sie zu einem Pferd gerufen wird, das seinen neuen Besitzer, Jett, nicht an sich heranlässt. Zunächst ist der zurückgezogen lebende, wortkarge Ex-Rodeostar skeptisch, doch Aeryn öffnet mit ihrer lichtvollen Art nicht nur das Herz der wilden Stute, sondern auch das seine. Es könnte so schön sein, würde sich nicht jemand von Aeryns offen gelebter altschamanischer Heilkunst provoziert fühlen. Plötzlich steht Jetts mühevoll aufgebaute Existenz vor dem Aus und die junge Liebe des Paars auf dem Prüfstand …“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Ein Flüstern am Horizont
Mariella Woolf
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
©2023 Mariella Woolf
c/o Deri Service GmbH, Dorfstr. 24, CH-5606 Dintikonhttp://[email protected]
Coverdesign; -bilder: Acelya SoyluLektorat: Tanja BalgKorrektorat: Korrektoratia Eileen AtlasBuchsatz: Verena Blumenfeld – Veanyu Buchdesign
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und dürfen ohne Genehmigung der Autorin nicht weitergegeben werden. Sämtliche Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Dieses Buch enthält Themen, die auf manche Personen triggernd wirken können. Folgende Themen werden angesprochen: Gewalt, Missbrauch, Blut
Mit einem Knall fiel die Haustür ins Schloss. Das Geräusch drang Aeryn tief ins Herz, jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Ein böses Omen …?, schoss es ihr durch den Kopf.
Die Hände tief in den Taschen des schwarzen Hoodies versenkt, die Kapuze über den Kopf gezogen sah Glen sie finster an. Sobald sich ihre Blicke trafen, wandte er sich ab und ging wortlos ins Wohnzimmer. Ich hätte ihn nicht reinlassen sollen. Doch nun war es zu spät.
Aeryn hatte sich vor einigen Monaten von Glen getrennt – die toxische Beziehung mit ihm hatte im Laufe der Zeit viel Schaden in ihrer Seele angerichtet, war ein stetiges Auf und Ab der Gefühle gewesen. Am meisten hatten ihr die ewigen Diskussionen um nichts und seine aus der Luft gegriffenen Eifersuchtsszenen zugesetzt. Als sie ihn schließlich vor vollendeten Tatsachen stellte und sich von ihm trennte, bekam er einen Nervenzusammenbruch … Es brach ihr schier das Herz, den Mann, den sie einst geliebt hatte, am Boden zerstört zu sehen. Vor ein paar Tagen hatte Glen sie dann um ein Treffen gebeten, und Aeryn hatte beschlossen, ihm diese Chance zu gewähren, obwohl ihr Vater sie anflehte, es nicht zu tun. Er hatte Glen nie gemocht, ihn seiner Tochter zuliebe aber akzeptiert. Aeryn hatte das gewusst und so immer seinen wachsamen Blick auf sich und vor allem auf Glen gespürt. Als hätte ihr Vater sie damit beschützen wollen.
Angespannt folgte sie ihm ins Wohnzimmer. „Setz dich doch“, sagte sie mit ruhiger Stimme und unterdrückte nur mit Mühe die Angst, die bereits unter der Oberfläche kratzte, sich in ihrem Bauch sammelte und ihn sich heftig und schmerzhaft zusammenziehen ließ. Glen setzte sich in den Sessel und sprang dann sofort wieder auf, begann rastlos auf und ab zu gehen. Er schob die Hände tief in die Hosentaschen, zog sie sogleich wieder heraus. Als würde die Nervosität regelrecht aus ihm heraussprudeln … Aeryn trat ihm in den Weg und endlich blieb Glen stehen. Er sah fürchterlich aus. Sein schwarzer Hoodie war mit Flecken überzogen, das Haar hing ihm fettig ins Gesicht und dunkle Schatten umrandeten seine leblosen Augen. Aeryn hatte das Gefühl, er würde durch sie hindurchsehen. Nicht gut. Was hier gerade passiert, ist wirklich … absolut … gar nicht … gut.
„Glen?“, fragte Aeryn möglichst ruhig. „Was ist los?“
„Du bist gestern mit einem anderen Mann ausgegangen. Ich hab dich gesehen“, zischte er in einem so verächtlichen Ton, dass es ihr kurz den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte.
Sie hob die Augenbrauen und wich zurück. Instinktiv wusste sie, dass sie nun ganz genau überlegen musste, was sie sagte. Die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren, ihr Herz zog sich vor Angst schmerzhaft zusammen. „Wir … waren nur etwas zusammen trinken, Glen … Da ist nichts zwischen uns.“
Mit zwei großen Schritten kam er zu ihr, packte sie an der Kehle und drückte sie gegen die Wand. „Lüg mich nicht an, du Schlampe!“
Aeryn rang verzweifelt nach Luft. Mit beiden Händen umklammerte sie seinen Arm und versuchte ihn wegzudrücken.
„Verkauf mich nicht für dumm! Ich habe gesehen, wie ihr euch geküsst habt!“ Sein Griff wurde noch fester, schränkte die Luftzufuhr noch mehr ein.
Aeryn ächzte. „Glen … es tut mir leid … Ich wollte das nicht …“
Doch statt ihn zu besänftigen, heizten ihre Worte seine Wut noch weiter an. Er packte sie an den Haaren – Aeryn schrie vor Schmerz auf – zog sie daran brutal durchs Wohnzimmer und schleuderte sie aufs Sofa.
„Glen …“, beschwor Aeryn ihn mit zitternder Stimme. „Hör bitte auf. Du tust mir weh.“
„Ich tu dir weh?!“ Er stieß ein verbittertes Lachen aus. „Du hast mich hintergangen, du mieses Miststück! Du bist eine richtige Hexe! Belogen und betrogen hast du mich – und dafür wirst du büßen!“
Tränen rannen ihr unaufhaltsam über die Wangen. „Das ist nicht wahr, und das weißt du ganz genau! Wir sind seit Monaten getrennt und ich … ich liebe dich einfach nicht mehr!“ Sie hatte es kaum ausgesprochen, da wusste sie auch schon, dass es ein Fehler gewesen war.
In seinen Augen veränderte sich etwas, sie schienen gefährlich zu blitzen, regelrecht aus den Augenhöhlen zu treten. Seine Nasenflügel bebten und Speichel triefte aus seinem Mundwinkel. Er sah aus wie die Ausgeburt des Teufels.
Spirit, Feen und Ahnen, bitte steht mir bei!, rief Aeryn die uralten Energien still zu sich. Sein Anblick widerte sie an, ließ sie vor Angst zittern. Ihr Herz schien sich gleich zu überschlagen, das ungute Gefühl verstärkte sich innerhalb von Sekunden um ein Tausendfaches, da riss Glen sie auch schon an den Haaren hoch. Hart krachte seine Faust in Aeryns Gesicht; sie hörte ein ohrenbetäubend lautes Knacken und sackte nach vorn. Er zerrte sie am Arm sofort wieder hoch und schlug ihr brutal in die Magengrube. Alle Luft wich aus ihren Lungen, der Schmerz explodierte, breitete sich im ganzen Körper aus. Aeryn schmeckte Blut. Ich muss hier weg … Er bringt mich um … Doch sie war wie gelähmt. Übelkeit stieg in ihr auf. Die Sicht verschwamm. Sie war wie in Trance.
Abrupt ließ er sie los, sodass sie mit dem Gesicht voran auf die Fliesen knallte. „Du gehörst mir! Verstehst du das?! Nur mir! Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich niemand haben!“, brüllte er.
Und dann sah Aeryn im Augenwinkel, dass er etwas aus der Bauchtasche seines Hoodies zog. Es war ein großes Fleischermesser.
„Da bringe ich dich lieber um. Erst dich – und dann mich.“
Aeryn nahm wahr, wie das Messer auf sie herabsauste, und endlich konnte sie die Trance abschütteln, gab einen gellenden Schrei von sich und riss ihre Arme instinktiv vors Gesicht.
Dann drang das Messer in ihren Körper.
Und wieder.
Und wieder.
Unsagbare Schmerzen.
Stille.
Alles rot.
Ein Schrei, der weder von ihr noch von Glen kam. „Aeryn! Um Gottes willen!“
Papa …
Schwärze.
Aeryn schlenderte durch die Menschenmasse des Buchanan Parks. Der strahlend blaue Himmel hob ihre Stimmung, zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Obwohl Mount Isa nicht gerade das schönste Städtchen inmitten der endlos weiten roten Wüste war, bot es doch eine willkommene Abwechslung. Im Nachhinein betrachtet musste es ein Impuls ihrer Seele gewesen sein, sich von dem riesigen, am Straßenrand stehenden Werbeplakat zum Mount-Isa-Mines-Rodeo zur Abfahrt inspirieren zu lassen.
Drei Tage sollte das riesige Volksfest rund um das Event dauern und war eine Mischung aus Wettbewerb zwischen Mensch und Tier sowie einem Fest der besonderen Mode. Aeryn schmunzelte. Ganz im Westernstyle wurden knackig sitzende Jeans – teils mit Fransen-Chaps darüber –, knappe Tops, hautenge T-Shirts sowie Hüte getragen, und so hatte sich Aeryn schließlich selbst einen passenden Cowboyhut gekauft, den sie nun voller Stolz trug.
Soeben hatte sie sich mit gemischten Gefühlen ein Team Roping angesehen. Bei dieser Disziplin wurde ein Bulle von zwei Reitern auf Pferden verfolgt. Der erste Reiter warf seine Lassoschlinge um den Hals oder die Hörner des Bullen, der andere sah zu, dass er mit seinem Lasso die Hinterbeine erwischte. Gemeinsam brachten sie das Tier dann zu Fall. Rodeo war alles andere als ein sicherer Sport – so viel stand fest. Beim Saddle Bronc Riding musste man sich acht Sekunden auf dem Rücken eines bockenden, halbwilden Hengstes – ein sogenannter Bronc – halten, wobei man sich nur mit einer Hand festhalten durfte. Zu guter Letzt war da noch das Ladies Barrel Racing gewesen. Dabei ritten die Frauen auf Zeit einen Parcours um drei 205-Liter-Fässer. Die besten schafften dies innerhalb von 18 Sekunden. Die Zuschauer jubelten, klatschten begeistert und feuerten ihre Favoriten lautstark an. Des einen Freud war des anderen Leid – Aeryns Herz brannte, wenn sie in die oft gestressten Augen der Tiere sah. Intuitiv stellte sie sich die Frage, wie es all diesen wundervollen, bemerkenswerten und vor allem unschuldigen Wesen dadurch wohl ergehen musste. Sie persönlich fand das … nicht so gut.
Gerade war Aeryn auf dem Weg zu den Panelboxen, in denen Bullen, Stiere, Broncs und Station Horses auf ihren Einsatz beim Rodeo warteten. Einer der Broncs fiel ihr schon von Weitem auf – er stand etwas abseits von den anderen Tieren in einem separierten Panel. Interessiert lehnte sich Aeryn an einen Zaun und beobachtete den Hengst. Sein schwarzes Fell glänzte unter der australischen Sonne – und sein perfekter Körperbau machte ihn zu einem besonders wertvollen Pferd. Stand er deshalb abseits? Der Rappe war einfach wunderschön, und doch strahlte er auch Angst aus. Aeryn stieß einen traurigen Seufzer aus.
Sobald sich jemand ihm auch nur ansatzweise näherte, spannte er die Muskeln an, warf den Kopf hin und her und schaute sich nervös um – er riss die Augen so weit auf, dass man das Weiße sehen konnte. Betrat jemand sein Panel, begann er herumzutänzeln, schlug drohend mit den Vorderhufen und stieg immer wieder, um die Menschen auf Abstand zu halten. Aeryns Herz zog sich bei diesem Anblick schmerzhaft zusammen.
Sie stand eine Weile da und beobachtete die Szene. Sie brauchte nur einen Blick auf den schwarzen Hengst zu werfen, um ihn zu fühlen, seine Gedanken zu lesen, seine fürchterliche Angst und die Unsicherheit zu spüren. Was musste er durchgemacht haben, dass er das Vertrauen in Menschen so verloren hatte? Das war mehr als nur das Verhalten eines halbwilden Pferdes – es war Wachsamkeit. Angst. Wenn es sein müsste, wäre er kampfbereit. Wir sind uns gar nicht mal so unähnlich … Aeryn hatte schon als kleines Mädchen gespürt, dass sie anders als die anderen Kinder war. Tiere suchten ihre Nähe, und wenn sie mit ihnen sprach, fühlten sie sich besser. Aeryn konnte sie in all ihrer Farbenpracht wahrnehmen, konnte die Aura, das Licht, das jedes Lebewesen in verschiedenen Farben umgab, sehen und lesen. Je nach Gemüts- und Gesundheitszustand konnte sich die Farbe verändern. Fühlte Aeryn, dass sie eine verwundete Seele vor sich hatte, versuchte sie dem Wesen seinen Frieden zurückzugeben – das war es, was sie seit jeher glücklich machte.
Bei Menschen verhielt sich das ein bisschen anders. Menschen konnten zu hässlichen, gemeinen Wesen werden. Sie urteilten über andere, ohne diese zu kennen. Sie waren respektlos, distanzlos, manchmal schlicht und ergreifend böse. Und obwohl Menschen sich verbal verständigen konnten, waren sie anscheinend unfähig die richtigen Worte zu benutzen. Und mit „richtig“ meinte sie, ohne jemanden damit zu verletzen. Sie hatten die Fähigkeit zu sprechen, und doch waren viele nicht mal in der Lage, eine einfache Frage zu stellen. Das hatte sie am eigenen Leib zu spüren bekommen … öfter und zuletzt heftiger, als ihr lieb war. Ja, sie zog Tiere den Menschen eindeutig vor. Sie hatte ihren Beruf an den Nagel gehängt und sich ihnen mit Leib und Seele verschrieben – etwas, das sie mit Stolz und Glück erfüllte. Sie hatte zwar zugleich den Ruf verspürt, nach Australien zu gehen, dies aber nie ernsthaft in Erwägung gezogen, schließlich lagen in Irland ihre Wurzeln. Letztendlich hatte das Universum die Nase voll gehabt und ihr einen sehr guten Grund geliefert, den Kontinent zu wechseln: Todesangst. Also hatte sie ihren ganzen Besitz verkauft, und nun war sie hier und beobachtete, wie die beiden Männer, die gerade an den Zaun getreten waren, alarmiert zurückwichen.
„Dieses Pferd ist gefährlicher als eine ganze Herde Büffel und somit völlig unbrauchbar!“, giftete der eine, wahrscheinlich der Besitzer, und schlug sich mit dem Cowboyhut verärgert auf den rechten Oberschenkel. „Ich habe schon versucht diesen Teufel zu verkaufen – aber niemand will ihn, weil er einfach unberechenbar ist.“
„Vielleicht solltest du ihn mal behandeln lassen“, sagte der andere Mann.
„Ach … behandeln lassen … Ich habe bereits Unmengen Geld in Tierärzte gesteckt.“
„Dann eben etwas Alternatives. Einen Tierkinesiologen oder so …?“
„Pff … für solchen Unfug habe ich nichts übrig.“
Die beiden Männer sahen den verängstigten Rappen nachdenklich an.
„Vielleicht sollte ich ihn einschläfern lassen. Der bringt nichts als Ärger …“, sagte der offensichtliche Besitzer kopfschüttelnd.
Entsetzt keuchte Aeryn auf. Das kann doch nicht sein Ernst sein! Man konnte doch ein Tier nicht einschläfern, nur weil es Angst hatte! Aeryn schnaubte verächtlich. Typisch Mensch … Noch bevor sie die Sache zu Ende gedacht hatte, setzte sie sich auch schon in Bewegung und ging langsam auf das Gehege zu, den Hengst immer im Sichtfeld. Die beiden Männer verfielen währenddessen in eine hitzige Diskussion – außer dem Pferd nahm niemand sie wahr, als sie sich vorsichtig mit den Ellbogen auf den Holzbalken des Gatters abstützte und die Augen schloss. Aeryn konzentrierte sich auf den schwarzen Hengst, atmete den unverkennbaren Pferdegeruch ein. Um sie herum trat alles in den Hintergrund, als würde sie in einen anderen Zustand ihres Seins eintauchen. Nur sie und das Pferd waren noch präsent. Ein unglaubliches Gefühl von Frieden durchströmte sie. Aeryn atmete zweimal tief durch, öffnete die Augen wieder und suchte in den Augen des Pferdes nach Bestätigung. Ja, sie nickte unmerklich. Es war bereit. Vorsichtig stieg Aeryn zwischen die Holzlatten hindurch in das Gehege. Immer genügend Abstand wahrend, damit der Hengst nicht noch mehr Angst bekam und niemand verletzt wurde. Mit lieblicher Stimme begann sie zu summen, ganz leise, tauchte ab in die Welt des Lichts – dorthin, wo Heilung passieren konnte. Der Rappe stand jetzt ganz still da, beobachtete sie interessiert und nahm die heilenden Schwingungen auf.
„Was zum Teufel?!“, rief der Besitzer jetzt erschrocken. „Sind Sie verrückt geworden? Kommen Sie da sofort r…“ Er verstummte, sobald er realisierte, welches Bild sich ihm bot. „Das ist ja …“, murmelte er ungläubig.
Einige Krähen – Boten des Schicksals – flogen mit lautem Krächzen über ihnen hinweg. Krähen, so sagte man in Aeryns Glauben, überbrachten Botschaften zwischen den Welten, lüfteten Geheimnisse und durchschauten Geheimniskrämerei. Sie unterstützten dabei, die Wahrheit aufzudecken, Lügner zu enttarnen und die eigenen Schattenseiten zu erforschen, ohne sich dafür extra in die Welt der Toten begeben zu müssen.
Geräuschvoll atmete Aeryn aus. Alle Umstehenden blickten verdutzt zuerst auf sie und dann auf den plötzlich ruhigen Hengst. Irritiertes Murmeln wurde zu aufgeregtem Getuschel, und Aeryn trat möglichst unauffällig den Rückzug an. Jetzt lag es am Besitzer, dem Pferd sein Vertrauen zu schenken und es zu würdigen. Ob das passieren würde? Aeryn hatte da so ihre Zweifel.
Zielstrebig eilte sie davon und mischte sich unter die Menschenmenge. Erst als sie sich sicher war, dass niemand ihr folgte, wurde sie wieder langsamer und steuerte einen Getränkestand an. Sie bestellte sich eine Cola und trank gierig.
„Entschuldigen Sie, junge Lady“, sagte plötzlich eine männliche Stimme hinter ihr.
Erschrocken wirbelte sie herum und hielt sich eine Hand auf ihr unmittelbar schneller schlagendes Herz. Von einer auf die andere Sekunde befand sich ihr komplettes Wesen in Alarmbereitschaft. Der ältere Mann hob ergebend die Hände. „Hey … sorry. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Alles gut.“
Misstrauisch beäugte sie ihn. Aeryn schätzte ihn auf etwa sechzig Jahre. Unter seinem Hut blitzte weißes Haar hervor. Sein Blick war weich, strahlte Wärme und Herzlichkeit aus. Wahrscheinlich verbrachte er viel Zeit in der Natur, denn seine faltige Haut war von der Sonne gebräunt. Eine zierliche Frau, etwa im gleichen Alter, gesellte sich zu ihm. Sie hatte eine faszinierende Ausstrahlung, hielt ihren Hut in der Hand, in der anderen eine Tasche. Ihre blondgesträhnten Haare waren zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden. Vorwurfsvoll sah sie den Mann an. „Seth! Habe ich dir nicht gesagt, du sollst die Frau in Ruhe lassen?!“ Im gleichen Augenblick wandte sie sich an Aeryn und ihr Blick wurde sofort weicher. Lächelnd reichte sie ihr die Hand. „Ich bin Colette Anderson, und das hier ist mein Mann Seth. Ich entschuldige mich hiermit aufrichtig für sein Verhalten, Liebes.“
„Äh … was?! Ich habe doch gar nichts gemacht“, verteidigte sich Seth. „Ich habe sie nur gegrüßt und wollte mich nicht vordrängen.“
„Zu Tode erschreckt hast du sie! Schau sie dir an – sie ist weiß wie ein Bettlaken.“
Jetzt musste Aeryn doch schmunzeln. Das Paar war einfach zu sympathisch und ihr inneres Radar befand: keine Gefahr.
Aeryn stoppte ihren Outlander vor dem Haupthaus der Andersons und stieg aus. Die lange Fahrt hatte sie erschöpft, doch sobald ihre Füße den sandigen Boden berührten, erwachte ihre Neugier. Sie streckte sich, gähnte herzhaft und sah sich dann um.
Um das weiße Haupthaus zog sich eine überdachte Veranda mit gemütlich aussehenden Korbsesseln in Nähe des Eingangs. Links vom Haus entdeckte Aeryn einen großen Gemüsegarten und etwas entfernt befand sich ein halb offener Pferdestall mit großzügigem Außenbereich. Einige der Pferde dösten im Schatten, andere standen an der Raufe und kauten Heu. Ein Schmunzeln stahl sich auf Aeryns Lippen, als sie sah, wie ein offenbar jüngeres Pferd ein anderes in den Po zwickte und es aufgedreht zum Spielen aufforderte.
„Endlich!“ Die Haustür wurde aufgerissen und Colette Anderson eilte heraus. Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und lief mit ausgebreiteten Armen auf Aeryn zu. „Guten Morgen, meine Liebe! Ich freue mich so, dass du da bist!“
Aeryn lächelte. „Freut mich auch, Sie zu sehen!“
„Ach, Sie … Papperlapapp! Wir duzen uns hier – sonst wird es unnötig kompliziert bei den vielen Einwohnern.“ Dabei zwinkerte sie Aeryn verschwörerisch zu.
Eine Großstadt war das hier tatsächlich nicht gerade. Online hatte Aeryn gelesen, dass es sich bei Burketown um eine kleine Gemeinschaft von rund hundertsechzig Einwohnern handelte.
„Komm rein – du hast sicher Durst. Heute ist es ja wieder sehr heiß, nicht?“, plauderte Colette drauf los.
Aeryn fühlte sich auf der Stelle wohl und folgte ihr lächelnd. Das Innere des Hauses war in einem gemütlichen, rustikalen Landhausstil eingerichtet. Der helle Kamin hob sich von den massiven, dunklen Holzmöbeln ab, hier und da standen dekorative Antiquitäten und die Küche hatte diese unverwechselbar weißen Kassettenfronten. Zudem sorgten Pflanzen – Blumen, Gräser, hier und da drapierte Zweige – für Gemütlichkeit.
„Schön habt ihr es hier“, sagte Aeryn und setzte sich an den Küchentisch.
„Gefällt es dir? Ich bin Seth monatelang damit in den Ohren gelegen – das Haus hatte so dringend eine Renovierung nötig. Irgendwann konnte er mein Gejammer nicht mehr hören, und zack, hat er sich auch gleich noch das kleine Cottage nebenan vorgenommen. Das wirst du gleich sehen, denn da wirst du wohnen. Es ist ein richtiges Schmuckstück geworden“, schwärmte sie.
Aeryn trank das ihr servierte Glas Wasser in einem Zug aus und grinste in sich hinein. Ja, hier gefiel es ihr schon jetzt, und Colette war ihr noch sympathischer als bei ihrem Kennenlernen.
„So, meine Liebe, ich muss noch den Lunch für die Männer vorbereiten. Ich mache ihnen Sandwiches und bringe sie dann dorthin, wo sie arbeiten – dann vergeuden sie keine Zeit mit Hin- und Herfahren.“
„Wo sind sie denn?“, fragte Aeryn neugierig.
„Etwa dreißig Minuten von hier entfernt. Seth meinte, möglicherweise könnte dort eine Wasserquelle sein. Wenn du mich fragst, verrennt er sich da allerdings in etwas. Doch es ist ein Versuch wert und wenn man eine eigene Wasserquelle hat, hat man ein bedeutendes Problem weniger. Außerdem ist er stolz, wenn er etwas findet und ich Unrecht hatte – allein das ist es schon wert … Männer bleiben doch irgendwie immer zu einem gewissen Teil kleine Jungs.“ Sie zwinkerte verschwörerisch.
Aeryn lachte kurz auf. Colette schien eine humorvolle Frau voller Energie zu sein – so angenehm.
„Aber Schluss mit meinem Geplapper. Sicher bist du von der Reise müde. Ach, hast du einen Hut? So blass, wie du bist, musst du hier draußen gut auf deine Haut Acht geben.“
„Ja, liegt im Auto. Und ich pass gut auf mich auf – versprochen.“ Aeryn grinste und Colette nickte zufrieden.
Dann zog sie sich die Schürze aus. „Komm, ich zeige dir dein Cottage.“ Colette nahm sich im Vorbeigehen einen Hut von der Garderobe und trat hinaus. „Du kannst schon mal mit dem Auto vorausfahren. Da lang!“ Sie deutete auf einen ausgefahrenen, staubigen Weg. „Ich folge dir mit meinem Wagen. Dann kann ich den Männern gleich im Anschluss das Mittagessen vorbeibringen.“
Colette hatte nicht übertrieben – das Cottage war wirklich ein Schmuckstück. Es hatte eine eigene kleine Auffahrt, den Weg zum Haus säumten ein paar Gräser und Sträucher. Aeryn entdeckte einen Schaukelstuhl auf der Veranda und quietschte entzückt auf. Direkt malte sie sich aus, wie sie hier abends gemütlich sitzen und die Seele baumeln lassen würde. Einfach mal gar nichts tun. Sie sah sich voller Neugier weiter um und erstarrte fassungslos. Ungläubig starrte sie auf den blühenden Baum unweit des Cottages. Aeryns Herz begann wild zu pochen. Crataegus … dich hatte ich hier wirklich nicht erwartet.
In diesem Augenblick trat Colette neben sie. „Dieser Baum …“ Sie seufzte. „Der ist eine echte Lokalberühmtheit. Sogar die Presse war wegen ihm schon hier. Normalerweise wachsen hier in Burketown keine Bäume – die Dürre … du verstehst? Kurz nachdem Seth und ich geheiratet hatten, das war vor fünfunddreißig Jahren, ist er plötzlich einfach hier gewachsen. Ich habe keine Erklärung dafür, wie das passieren konnte. Erst wurde er zum hässlichen, kleinen Busch.“ Sie lachte kurz auf. „Ich habe mehrere Male versucht ihn wegzumachen. Aber er kam immer wieder zurück. Irgendwann habe ich dann einfach nachgegeben … hab es der Natur überlassen, und siehe da: Aus dem Busch wurde dieser unglaublich schöne Baum. Letzten Frühling trug er zum ersten Mal ein paar hübsche Knospen, und seit ein paar Tagen blüht er wie verrückt. Keine Ahnung, wie das möglich ist. Ich weiß nicht mal, was für ein Baum das genau ist.“
„Das kann ich dir sagen. Das ist Weißdorn“, erklärte Aeryn voller Ehrfurcht. Diesen Baum würde sie unter Hunderten erkennen. Jetzt hatte sie die Sicherheit – die Feen hatten sie geführt und ihr den Weg gewiesen und sie war nicht mehr allein, war es nie gewesen.
„Ach? Ein Weißdorn?“, fragte Colette.
„Ja, genau. In Irland nennen wir sie auch Feenbäume.“
„Wie bitte? Feenbäume? Willst du damit sagen, da drin wohnen Feen?“ Colette lachte fröhlich auf. „Die gibt es doch gar nicht.“
„Natürlich gibt es Feen“, erklärte Aeryn wie selbstverständlich. „In Irland gibt es unzählige davon. Und im Weißdorn treffen sie sich, deshalb nennen wir ihn auch Wunschbaum.“
„Wunschbaum? Das gefällt mir doch schon viel besser. Aber dass es Feen geben soll, ist mir neu. Ich habe auf jeden Fall noch nie eine getroffen.“ Colette zwinkerte ihr zu.
Tja, ich schon, dachte Aeryn für sich. Sie machte sich nichts daraus – die Menschen hatten aufgehört zu sehen. Aber für sie war das hier ein Wink des Himmels, ein Zeichen. Genau hier wartete ihre zweite Chance, und die würde sie nutzen.
„Aber weißt du was?“, plapperte Colette weiter. „Wenn dir diese Bäume so wichtig sind, dann schenke ich dir diesen.“
„Oh, wow. Nein, das kann ich nicht annehmen.“ Aeryns Augen wurden tellergroß. „Einen Feenbaum kann man nicht einfach so verschenken – der muss bleiben, wo er ist. Man darf ihn nicht einfach entwurzeln. Das bringt Unglück!“
„Hmmm … ach so. Na dann gehört er einfach dir, solange du hier bist. Was meinst du?“
Aeryn strahlte über das ganze Gesicht. „Abgemacht! Danke!“
„Nun aber genug geredet. Richte dich doch schon mal ein, und wenn du was brauchst, komm einfach rüber. Abendessen gibt es um sechs.“ Und damit drehte sie sich auch schon um und ging.
Aeryn schaute noch einmal zum Feenbaum, die Brücke zur Anderswelt. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Ja, das hier war einfach eindeutig. Das hier war Schicksal. Spontan eilte sie zu ihrem Auto, kramte in ihrer Handtasche und zog eine weiße Schleife heraus. Damit ging sie zurück zu ihrem Weißdorn und befestigte das Band an einem Ast. In Gedanken bedankte sich Aeryn bei den Feen und äußerte einen Wunsch. Der Knoten, mit dem sie das Stoffband am Baum befestigte, war Teil eines uralten Bindezaubers. Durch die rituelle Schlaufen- und Knotenbildung wurde der Wunsch fest mit dem Baum und seinem Geäst verwoben. Glücklich trat Aeryn einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk. Die Enden der Schleife bewegten sich sanft in der angenehmen Brise, und zu ihr würden sich schon bald noch mehr gesellen – da war sich Aeryn sicher.
So, dann wollen wir mal. Aufgeregt wie ein kleines Mädchen machte sie sich auf, um ihr neues Zuhause zu erkunden. Sie war auf der Stelle begeistert. Das helle Wohnzimmer mit angeschlossener, kleiner Küchenzeile war ein Traum. Die großzügigen Fenster fluteten den Raum mit warmem Licht, sodass man die goldenen Sonnenstrahlen mit bloßem Auge sehen konnte. Kurz warf Aeryn noch jeweils einen Blick ins Schlafzimmer und ins Bad, dann trat sie zufrieden wieder auf die Veranda und setzte sich in den Schaukelstuhl. Auspacken konnte sie auch später noch – jetzt wollte sie erst mal ankommen, sich mit dem neuen Ort verbinden und einige Stunden der Ruhe und Stille genießen. Gedankenverloren strich sie sich über ihr linkes Schlüsselbein und seufzte glücklich. Ja, hier würde sie sich wohlfühlen.
Dass die Andersons sie in Mount Isa angesprochen hatten, war ein absoluter Glücksfall gewesen. Nach dem ersten Schreck waren sie ins Gespräch gekommen und Colette hatte ihr von der Station und den Tieren erzählt. Seth war außerdem von ihrem Umgang mit dem Rappen ehrlich fasziniert gewesen und hatte alles wissen wollen. Das Ganze hatte damit geendet, dass die Andersons Aeryn auf ihre Station eingeladen hatten, und für Aeryn hatte sich das Angebot gut angefühlt, sodass sie es angenommen hatte. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon so lange allein unterwegs gewesen – nun war es an der Zeit, erst mal eine Pause einzulegen, sich auszuruhen und vielleicht sogar wieder Freundschaften zu knüpfen.
Nach einer verdammt kurzen Nacht betrat Jett die überdachte Holzveranda des Haupthauses. Er spürte an den nackten Fußsohlen die kühle und grobe Struktur der Holzplanken – wie er das mochte –, dann stellte er seine dampfende Kaffeetasse auf das Geländer und streckte sich. Beim anschließenden ersten Schluck des heißen schwarzen Kaffees seufzte er selig. Sein Blick schweifte hinüber zur Koppel, wo seine neueste Errungenschaft vor sich hin döste. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, welcher Teufel ihn da eigentlich geritten hatte, ausgerechnet dieses Pferd zu kaufen. Es glich ja schon einem Wunder, dass er die schokoladenbraune Stute mit der hellen Mähne – ein Rocky Mountain Horse – so problemlos in den Pferdeanhänger bekommen hatte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, da mussten höhere Kräfte ihre Finger im Spiel gehabt haben. Was für ein verrückter Gedanke. Er lachte in sich hinein und schüttelte den Kopf. Aber von einer Sache war er überzeugt: Die Kooperationsbereitschaft beim Verladen war eine Ausnahme gewesen. Denn sobald er die Stute auf dem für sie separierten Teil der Koppel losgelassen hatte, war sie davongeprescht, als wäre der Teufel hinter ihr her. Seitdem hatte Jett sich ihr nicht weniger als zehn Metern nähern können. Er musste dringend mit Olivia reden. Vielleicht würde sie ja Zugang zu der Stute finden. Aber eins nach dem anderen … Zuerst würde er die morgendliche Ruhe auskosten. Zufrieden nahm Jett einen tiefen Atemzug und sein Blick glitt über die Station – sein Zuhause. Es war fünf Uhr morgens und schon bald würde die Sonne aufgehen – es war ein atemberaubendes Spektakel, wenn sich die Morgensonne als leuchtender rotorangegelber Feuerball am Horizont zeigte. Akazien und immergrüne Eukalyptusbäume spendeten an heißen Tagen Schatten und überhaupt war um das Haupthaus herum alles grün. Überall Sträucher, Gräser, außerdem Blumen in den verschiedensten Farben. Hier ist es einfach am schönsten … Jett atmete noch einmal tief durch, nahm den unvergleichlichen Duft seines Lands in sich auf, den Duft der Wildnis. Miss Stetson, seine australische Schleierkatze mit dem blauschwarzen Fell, blinzelte ihm aus ihren grünen Augen wohlwollend zu. Schnurrend strich sie um seine Beine und legte sich dann prompt über seine Füße.
Jett bückte sich und kraulte ihren Kopf. „Hey du. Na, hast du Hunger?“
Miss Stetson maunzte, drehte sich auf den Rücken und ließ sich von Jett den Bauch streicheln. „Ich geb dir gleich was.“ Er richtete sich schmunzelnd wieder auf und nahm noch einen Schluck Kaffee. Ja, er hatte in seinem Leben viel erreicht … Und darüber freust du dich jetzt, Junge. Fang jetzt nicht wieder an zu grübeln, ermahnte er sich innerlich – er kannte dieses Muster bereits. Erst war alles gut und von einem auf den anderen Augenblick wurde ihm bewusst, dass ihm eben doch etwas fehlte. Jedes verfluchte Mal, wenn er seine Schwester Olivia zu einem der Rodeos begleitete und in diesem Zuge aus seinem einsiedlerischen Leben herauskam, bemerkte er kurz darauf, was er in seinem Leben misste. Die eindeutigen Blicke, die Flirts und die manchmal sogar konkreten Einladungen der Frauen taten ihr Übriges. Eigentlich war er zufrieden mit seinem Leben … und doch konnte er nicht bestreiten, dass er sich nach einer Frau, einer Gefährtin, einer Vertrauten sehnte. Er wurde nicht jünger. Und flüchtige Bekanntschaften waren nicht das, was er wollte. Er wollte eine Familie gründen. Doch hier draußen war es einsam – oft verbrachte man Wochen, wenn nicht gar Monate ohne die Gesellschaft von anderen Menschen als denen aus dem direkten Umfeld. Die wenigsten, die nicht hier aufgewachsen waren, wollten sich so etwas antun, und die Frauen, die hier draußen lebten, waren in der Regel entweder alt oder bereits vergeben … meist beides.
Natürlich hatte es auch in Jetts Leben schon einige Frauen gegeben. Früher war er von Wettkampf zu Wettkampf gereist – damals hatten sich ihm die Rodeo-Beautys regelrecht an den Hals geworfen. Das ein oder andere Angebot hatte er angenommen, doch dabei war es auch geblieben … so war das nun mal, wenn man bereits am nächsten Tag weiterreisen musste. Immer weiter in eine neue Stadt, weiter zum nächsten Wettkampf. Irgendwann hatte er vom Reisen, der Hektik und vom Bullenreiten die Nase voll gehabt. Ja, es war seine Leidenschaft gewesen, sein Leben, doch Jett war nicht dumm. Bevor er verlor oder, noch schlimmer, sich ernsthaft verletzte, hatte er sich noch einen anderen Traum erfüllen wollen: die Headland Station. Vor zwei Jahren hatte er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere vom Bullenreiten verabschiedet, womit sein Liebesleben nun leider einen Tiefpunkt erlangt hatte. Er schüttelte den Kopf. So, genug gegrübelt.
Ein weiterer mit Arbeit vollgepackter Tag wartete auf ihn. Bevor er seine Schwester Olivia wecken würde, wollte er sich erst um die Pferde kümmern. Sie hatte sich am Vortag während des Rodeos in Daly Waters zunächst gut geschlagen, allerdings hatte sie der fiese Bulle doch abgebuckelt, ehe die acht Sekunden vorüber gewesen waren. Jett hatte tatenlos zusehen müssen, wie seine kleine Schwester mit der rechten Schulter hart auf dem Boden aufschlug und vor Schmerzen schrie. Glücklicherweise waren die Rodeo-Clowns – Cowboys in Turnschuhen und Harlekin-Kostüm – immer in der Arena und sorgten für die Sicherheit der Cowboys, indem sie die vor Wut schnaubenden Kolosse ablenkten und versuchten sie zurück ins Panel zu treiben. Sobald das wilde Tier wieder eingefangen war, konnte der Doc vor Ort sie untersuchen. „Vermutlich nur eine Schulterprellung … könnte sich aber auch um einen Sehnenriss handeln – das wäre schlecht. Den müsste man gezielt über mehrere Monate behandeln“, so seine vernichtende Diagnose. Vorerst würde Olivia also nicht arbeiten können, und trainieren schon gar nicht.
Jett öffnete die Fliegengittertür zum Haus und ließ Miss Stetson vor sich hineinschlüpfen. Erst fütterte er sie, dann schnappte er sich einen Apfel aus der Obstschale, die auf dem Küchentresen stand, biss hinein und begab sich schließlich zu den Ställen. Nach der Stallarbeit würde er ein herzhaftes Frühstück mit Toast, Rühr- und Spiegelei sowie Speck vorbereiten. Er liebte das Arbeiten mit und bei den Tieren, und ganz besonders liebte er seine Pferde. Sobald er den an einer Seite offenen Stall betrat, wurde er wie jeden Morgen mit freudigem, tiefen Brummeln begrüßt. Die Pferde lebten ganzjährig in diesem Offenstall und konnten selbst wählen, ob sie sich auf der Weide, auf dem Paddock mit der Heuraufe oder im überdachten Stallbereich aufhalten wollten. Durch diese Art der Haltung waren die meisten Tiere sehr ausgeglichen und außerdem wechselnde Wetterverhältnisse und Wildtiere wie etwa vorbeihoppelnde Kängurus gewohnt.
Er liebte es, morgens ganz allein im Stall zu sein. Alles war ruhig und es duftete würzig nach Heu und Pferd. In diesen Momenten schöpfte er Energie für den Tag. „Guten Morgen, ihr Schönen!“, begrüßte er die kleine Herde, dann machte er sich an die Arbeit und begann den Stall sauber zu machen, um ihn anschließend mit frischem Stroh einzustreuen.
Als die Pferde gefüttert und versorgt waren, wollte er noch nach der neuen Stute sehen. Er ging in ihren Bereich und zog das Kerngehäuse des gegessenen Apfels, das er extra für sie aufgehoben hatte, aus der Tasche. Sie stand in Stallnähe, doch sobald sich Jett näherte, warf sie den Kopf hin und her und schaute sich nervös um. Wieder nichts. Frustriert warf er den Apfelgriebs in Richtung eines Wallachs, der am Zaun stand und zu ihnen blickte. Der las das unerwartete Leckerli schnell auf, ehe es eines der anderen Pferde tat. Jett blieb unter einem der Bäume stehen und beobachtete den Wallach, als er im Augenwinkel etwas zu Boden plumpsen sah. Was war das denn?! Ein Jungvogel? Jett sah nach. Ja. Eindeutig. Und das kleine Tier – es war hässlich wie die Nacht – brauchte eindeutig Hilfe. Schon wieder … Wenn es so weiterging, würde sich die Headland Station noch in einen Gnadenhof verwandeln. Sein Blick glitt nach oben. Mist … zu hoch und zu gefährlich, um einfach mal so raufzuklettern. „Aber hier kannst du auch nicht bleiben – wenn Miss Stetson dich entdeckt, haben wir ein Problem.“ Jett langte nach hinten und zog seine Lederhandschuhe aus der hinteren Hosentasche, streifte sie sich über und nahm den kleinen Vogel vorsichtig hoch.
Olivia hob den Kopf, als Jett gleich darauf die Küche betrat. Ihr rechter Arm steckte in einer Schlinge und sie sah müde aus. Nach dem Rodeo waren sie sofort aufgebrochen, und dennoch hatten sie die Headland Station erst tief in der Nacht erreicht.
„Morgen …“, brummte sie mürrisch. Sobald sie jedoch entdeckte, was Jett in den Händen hielt, hellte sich ihre Miene auf. Sie kam näher. „Oh, wen hast du denn da mitgebracht?“
„Hab ihn bei der Koppel gefunden. Sieht ganz so aus, als würde er unsere Hilfe brauchen.“
Olivia holte eine kleine Pappkiste aus der Vorratskammer und stellte sie auf den Tisch. Schnell legte sie ein paar Tücher und eine kleine Decke hinein, sodass das Kleine ein Krankennest hatte.
Die Geschwister standen Schulter an Schulter da und starrten mit gesenkten Köpfen in die Kiste.
„Er ist wirklich hässlich …“, murmelte Jett.
Entrüstet rammte ihm Olivia den gesunden Ellbogen in die Seite, was ihm ein Grunzen entlockte. „Was redest du denn da?! Er ist so was von niedlich!“
„Na ja … wenn du Froschmaul und Glupschaugen als niedlich betrachtest. Bitte schön.“ Er lachte schnaubend und rieb sich mit der Hand die noch immer schmerzende Seite.
„Er ist ein Eulenschwalm“, sagte sie. „Hm … wir brauchen Rattenbabys und Innereien; am besten Hühnerherzen.“
Angewidert verzog Jett das Gesicht. „Ich schaue mal, was ich tun kann.“
„Beeil dich! Der Kleine muss alle drei bis vier Stunden fressen. Und in dreißig Tagen dürfte er dann auch schon flügge sein.“
„Ja, ist ja gut. Ich mache mich nach dem Frühstück direkt auf die Suche. Und danach müssen wir uns etwas für die neue Stute einfallen lassen. Wir können sie auf der Koppel nicht sich selbst überlassen. Sie braucht einen Namen und vermutlich auch jemanden, der sich mit ängstlichen Pferden auskennt. Willst du es mal mit ihr versuchen? Du hast doch ein Händchen für verängstigte Tiere.“
„Ich schaue sie mir mal später an. Aber ganz ehrlich? Ich glaube, dass das eine Nummer zu groß für mich sein könnte.“ Olivia sah aus dem Küchenfenster in Richtung Stall und runzelte die Stirn. „Warte mal … ich habe eine Idee.“
Jett kannte seine Schwester. Wenn sie sagte, dass sie es mit einem Tier nicht aufnehmen könnte, dann war es auch so. „Welche denn?“
„Es geht da ein Gerücht um. Als ich vor ein paar Wochen auf dem Rodeo in Mount Isa war, hat mir jemand von einer Frau erzählt, die zu einem total verängstigten Rappen ins Gehege gestiegen ist. Das Pferd soll anschließend zahm wie ein Lamm gewesen sein.“
„Ich glaube nicht, dass der Rappe an die Stute rankommt, was das angeht – sie dreht vor Angst wirklich beinahe durch, sobald ich mich ihr auch nur ansatzweise nähere.“
„Wir sollten Seth von der Anderson-Station fragen. Conor, sein Vorarbeiter, hat mir das erzählt. Er war ganz aus dem Häuschen.“
„Hm … ich weiß nicht. Daran ist doch was faul.“
Olivia zuckte mit den Schultern und verzog gleich darauf vor Schmerz das Gesicht. „Aua. Das war nicht schlau.“
„So schlimm?“, fragte Jett.
Mutlos ließ Olivia den Kopf hängen. „Ja, ziemlich. Ich fürchte, das war es mit meiner Karriere. Aber ich möchte jetzt nicht darüber sprechen. Das mit der Frau würde ich an deiner Stelle echt ausprobieren. Ich frage mal Colette. Die Andersons waren auch auf jenem Rodeo – vielleicht wissen die mehr darüber.“
„Na gut, mach das“, erwiderte Jett. Eigentlich war ihm alles recht – Hauptsache der Stute konnte die Angst genommen werden. Er machte sich auf den Weg, um Futter für das Raubvogelbaby zu besorgen.
Die australische Nachmittagssonne brannte sengend heiß auf Aeryn herab. Sie hatte die Pferde der Andersons zur Abkühlung gerade mit lauwarmem Wasser abgespritzt, schob sich ihren weißen Strohhut in den Nacken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie in den wolkenlosen Himmel. Vielleicht sollte ich ein Wetterritual machen und das Universum um Regen bitten?, überlegte sie, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Zuerst musste sie sich um ihre Lieblinge versorgen und sicherstellen, dass sie die Hitze gut überstehen würden. Sie war für das Wohlergehen der Pferde auf der Station verantwortlich und kümmerte sich zudem um die drei Ziegen und die Hühner.
Aeryn konnte es immer noch nicht fassen, dass sie auf dieser Station gelandet war. Jeden Tag wollte sie sich früher oder später kneifen, um zu überprüfen, ob das alles real war. Und dennoch wusste sie instinktiv, dass es die uralten universellen Energien gewesen waren, die sie hierhergeführt hatten. Diese Mächte, die sie warnten und ihr alles schenkten, was sie brauchte. Auch wenn sich Aeryn der Grund für ihre Anwesenheit auf der Station noch nicht erschloss – sie konnte deutlich spüren, dass sie es bald herausfinden würde. Zudem war es ein schamanisches Gesetz, dass alles so war, wie es sein musste. Immer. Und das zu wissen reichte Aeryn völlig aus.
Hier auf der Anderson Station fühlte sie sich beschützt – etwas, das sie lange Zeit nicht gefühlt hatte, obwohl sie als Kind und Jugendliche eine richtige Frohnatur gewesen war … stets gut gelaunt und positiv eingestellt. Doch die Erlebnisse – besonders die mit Glen – hatten sie zurückhaltend und vorsichtig werden lassen. Mit der Hilfe des Universums waren Aeryns körperliche Wunden zwar ganz langsam wieder verheilt, aber das Vertrauen in die Menschen hatte sie nicht wiedergefunden. Die psychischen Wunden lagen sogar noch immer offen. Die nächtlichen Albträume suchten sie auch jetzt ab und an heim, und es machte ihr zu schaffen, wenn sie Leute in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht im Blickfeld hatte. Doch der Heilungsprozess war im Gange, Aeryn arbeitete an sich, und das war das Wichtigste.
Als die Andersons sie in Mount Isa angesprochen und ihr schließlich spontan einen Job angeboten hatten, war sie zuerst misstrauisch gewesen. Was wollten diese fremden Menschen von ihr? Aber Colette hatte sie so hoffnungsvoll angeschaut und Seth hatte mit seinem Hut in der Hand vor ihr gestanden und ihr erklärt, dass sie eine weitere kräftige Hand, die anpackte, und jemanden, der gut mit Tieren könne, gut gebrauchen konnten. Irgendetwas in ihren Augen hatte ihr Herz erwärmt – vielleicht waren es diese Verletzlichkeit und absolute Ehrlichkeit, die sich in ihren Augen widergespiegelt hatten, gewesen? Oder vielleicht auch einfach die Tatsache, dass ein fremder Mensch sein Vertrauen in sie setzte, ohne dass sie einander kannten. Ihr Bauchgefühl hatte ihr bestätigt, dass sie bei den Andersons keine Angst zu haben brauchte, und zumindest auf ihren Instinkt konnte sich Aeryn verlassen. Ausnahmslos. So hatte sie auch, als sie zum ersten Mal die alte Scheune betreten hatte, auf der Stelle gespürt, dass darin dunkle Energien zu Gange waren. Colette bestätigte ihre Vermutung, denn die freilaufenden Tiere mieden die Scheune – sogar Hund Jimmy blieb immer vor dem offenen Scheunentor sitzen. Nachdem Colette ihr Einverständnis gegeben hatte, räucherte Aeryn die Scheune bei einem altschamanischen Ritual mit weißem Salbei aus und schickte die dunklen Energien so ins Universum. Zum Erstaunen der Andersons hatte eine der Katzen kurz darauf in der Scheune ihre Kätzchen zur Welt gebracht, und Jimmy folgte Aeryn nun auf Schritt und Tritt.
Sie war froh, dass ihre Gastgeber ihren Gaben gegenüber so offen waren. Das erleichterte vieles. In der Regel kümmerte es Aeryn herzlich wenig, was die Leute davon hielten – selbst wenn sie sie als Hexe oder Betrügerin bezeichneten. Wenn Menschen etwas nicht kannten und Angst hatten, neigten sie zu irrationalem Handeln, dazu, zu verurteilen, zu ächten, zu missbilligen und einen zum Sündenbock zu machen. Das war schon vor Hunderten von Jahren so gewesen und hatte sich bis in die Jetztzeit kaum verändert.
„Aeryn!“
Seth, schoss es ihr durch den Kopf. Sie drehte sich um und winkte ihm lächelnd zu. „Was gibt es?“
„Ich möchte dich etwas fragen …“ Er machte eine kleine Pause. „Also … besser gesagt habe ich eine Bitte an dich.“
Misstrauisch beäugte Aeryn ihn.
„In Mount Isa warst du doch bei diesem Rappen und hast ihm … geholfen. Weiß der Teufel, wie du das gemacht hast, und deine Aktion war wirklich gefährlich“, sagte Seth mit tadelnder Stimme und kratzte sich unsicher am Hinterkopf.
Aufmerksam hörte Aeryn ihm zu. „Ja, ich kann mich an den Rappen erinnern. Er hatte tiefe seelische Wunden.“
„Also was ich sagen wollte … Die Sache mit den Tieren … Bist du eine Tierflüsterin oder so?“
Ausdruckslos starrte sie Seth an. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Aeryn seufzte ergeben. Schicksal, was hast du dir nur dabei gedacht? „Wie meinst du das?“, fragte sie dann vorsichtig. „Denkst du denn, dass es Menschen gibt, die sich mit Tieren unterhalten können?“
„Ich habe keine Ahnung, ich weiß nur, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Und seit du hier auf der Station bist, sind die Tiere alle unglaublich ausgeglichen und sie folgen dir wie Hunde“, Seth hob beide Hände hoch, „also versteh mich nicht falsch … Ich liebe Hunde, doch sie laufen einem nun mal ständig hinterher.“
Aeryn lachte laut auf. Das war schon immer so gewesen. Egal wohin sie ging, waren dort Tiere, kamen sie zu ihr, als spürten sie die von ihr ausgehende Energie.
„Um es auf den Punkt zu bringen“, sprach Seth weiter. „Unsere Nachbarn in Nicholson haben ein Pferd, das Probleme macht. Normalerweise kann Olivia gut mit Tieren umgehen – sie hat so was wie eine Auffangstation für verletzte Tiere –, doch bei diesem Pferd stößt sie an ihre Grenzen.“
„Und wie kommst du darauf, dass ich das Problem lösen kann?“
Seth trat nervös von einem Bein aufs andere und schlug unruhig mit seinem Hut auf den rechten Oberschenkel. „Also, ich habe dich hier schon ein paarmal mit dieser Trommel gesehen, und dann diese Sache mit dem Rappen in Mount Isa. Ah, und die Sache mit der Scheune nicht zu vergessen. Es kursieren Stimmen, Gerüchte in Burketown, dass du …“, er räusperte sich laut, „eine Heilerin bist.“
Fassungslos starrte Aeryn ihn an. Plötzlich war ihr Mund staubtrocken. Sie schluckte schwer, fühlte, wie das Herz in ihrer Brust hämmerte. Was hatte sie sich dabei gedacht, in Mount Isa diese unsichtbare, aber klare Grenze, die sie sich in Irland gesetzt hatte, zu überschreiten?! Nun würde wieder alles auf sie zurückfallen – so war es doch immer gewesen. Ihre Gedanken rasten, doch ihr Körper schien in einer Art Schockstarre zu sein.
„Ähm … Entschuldige, falls ich etwas Falsches gesagt habe, Aeryn. Die Headlands müssen eine andere Lösung finden.“
Seth wandte sich schon zum Gehen, da traf Aeryn eine Entscheidung. Ob sie wollte oder nicht – das war ihre Bestimmung. „Warte“, bat sie. „Erzähl mir mehr über dieses Pferd.“
Seths Miene hellte sich auf. „Komm, lass uns eine Pause machen und einen Kaffee trinken.“ Zusammen machten sie sich auf den Weg zu Colette. „Es ist gar nicht Olivias Pferd – ihr Bruder Jett hat es vor ein paar Tagen gekauft.“
„Und weiter?“
„Na ja, nach dem, was Olivia erzählt hat, ließ sich die Stute warum auch immer ohne Probleme in den Anhänger verladen. Allerdings war das wohl eine einmalige Sache, denn seit er sie im Offenstall freigelassen hat, kann sich ihr niemand nähern, ohne dass sie in Panik gerät.“
„Hm … verstehe. Was wird von mir erwartet?“
„Außer dass du mal einen kurzen Blick auf die Stute wirfst, nichts. Und du müsstest nach Nicholson fahren.“
„Okay …?“
Seth räusperte sich. „Dann schaust du dir das Tier an?“
Aeryn rang mit sich. „Na gut“, gab sie nach. „Bei Tieren kann ich nicht Nein sagen.“
„Du bist ein gutes Mädchen. Wenn du möchtest, begleite ich dich auf die Headland Station.“
„Das würdest du tun?“
„Natürlich, was denkst du denn?! Ich lasse dich doch nicht mutterseelenallein quer durchs Land reisen! Sind schließlich fast zweihundert Kilometer bis nach Nicholson.“
„Oh … zweihundert …“, hauchte Aeryn. Das war so ein Punkt, an dem ihr bewusst wurde, dass sie sich auch nach einem Jahr in Australien noch nicht an die unglaublich riesigen Distanzen gewöhnt hatte. Als Seth von Nachbarn gesprochen hatte, hatte Aeryn eher an eine fünfzehnminütige Fahrt gedacht, doch bis Nicholson waren es mindestens zweieinhalb Stunden.