Ein harter Kavalier - Viola Maybach - E-Book

Ein harter Kavalier E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Herr Baron«, sagte Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Schloss Sternberg, »Herr von Roggen ist soeben eingetroffen und fragt, ob Sie Zeit für ihn haben.« »Herr von Roggen?« Friedrich von Kant sah den alten Butler fragend an. »Habe ich einen Termin mit ihm vergessen, Herr Hagedorn?« »Nein, Herr von Roggen ist unangemeldet gekommen.« Der Baron lachte leise, als er das Gesicht des Butlers sah. »Hat Ihnen sein Anblick wieder einen Schrecken eingejagt?« »Im ersten Augenblick schon«, gestand Eberhard Hagedorn. Alexander von Roggen hatte bei seinem ersten Besuch auf Sternberg einige Pferde des Gestüts gekauft, das Baron Friedrich aufgebaut hatte. Telefonisch hatte er sich seitdem öfter gemeldet, besucht hatte er das Schloss aber nicht mehr. Die Frage des Barons bezog sich auf Alexander von Roggens Äußeres: Eberhard Hagedorn und er sahen einander so ähnlich wie Brüder, manche fanden sogar wie Zwillinge. Das war für den alten Butler zuerst ein großes Problem gewesen, hatte er doch befürchtet, dass es einem Gast im Schloss unangenehm sein müsste, dem Butler zu ähneln. Aber Alexander von Roggen besaß Humor und Selbstbewusstsein, ihm bereitete die ungewöhnliche Situation Vergnügen, und so hatte sich auch Eberhard Hagedorn schließlich damit abgefunden. Aber ganz geheuer war ihm die Sache noch immer nicht. »Dann lassen Sie Herrn von Roggen doch bitte eintreten, Herr Hagedorn. Und bringen Sie uns bitte Tee und Kaffee.« »Sehr wohl, Herr Baron.« Friedrich erhob sich, um den Besucher zu begrüßen. Sein Büro befand sich in der Nähe der Eingangshalle im Hauptflügel des Schlosses. »Fein, dass Sie Zeit für mich haben, Herr von Kant!« Mit gewinnendem Lächeln kam

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Seitenzahl: 114

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Der kleine Fürst –143–

Ein harter Kavalier

Anfangs fand Marina Joachim einfach unmöglich

Viola Maybach

»Herr Baron«, sagte Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Schloss Sternberg, »Herr von Roggen ist soeben eingetroffen und fragt, ob Sie Zeit für ihn haben.«

»Herr von Roggen?« Friedrich von Kant sah den alten Butler fragend an. »Habe ich einen Termin mit ihm vergessen, Herr Hagedorn?«

»Nein, Herr von Roggen ist unangemeldet gekommen.«

Der Baron lachte leise, als er das Gesicht des Butlers sah. »Hat Ihnen sein Anblick wieder einen Schrecken eingejagt?«

»Im ersten Augenblick schon«, gestand Eberhard Hagedorn.

Alexander von Roggen hatte bei seinem ersten Besuch auf Sternberg einige Pferde des Gestüts gekauft, das Baron Friedrich aufgebaut hatte. Telefonisch hatte er sich seitdem öfter gemeldet, besucht hatte er das Schloss aber nicht mehr.

Die Frage des Barons bezog sich auf Alexander von Roggens Äußeres: Eberhard Hagedorn und er sahen einander so ähnlich wie Brüder, manche fanden sogar wie Zwillinge. Das war für den alten Butler zuerst ein großes Problem gewesen, hatte er doch befürchtet, dass es einem Gast im Schloss unangenehm sein müsste, dem Butler zu ähneln. Aber Alexander von Roggen besaß Humor und Selbstbewusstsein, ihm bereitete die ungewöhnliche Situation Vergnügen, und so hatte sich auch Eberhard Hagedorn schließlich damit abgefunden. Aber ganz geheuer war ihm die Sache noch immer nicht.

»Dann lassen Sie Herrn von Roggen doch bitte eintreten, Herr Hagedorn. Und bringen Sie uns bitte Tee und Kaffee.«

»Sehr wohl, Herr Baron.«

Friedrich erhob sich, um den Besucher zu begrüßen. Sein Büro befand sich in der Nähe der Eingangshalle im Hauptflügel des Schlosses.

»Fein, dass Sie Zeit für mich haben, Herr von Kant!« Mit gewinnendem Lächeln kam Alexander von Roggen auf ihn zu. »Und wie schön es ist, wieder einmal hier zu sein!«

Die beiden Männer begrüßten einander mit festem Händedruck.

»Sie hätten sich längst wieder einmal blicken lassen sollen, Herr von Roggen. Was verschafft uns denn heute die Freude Ihres unerwarteten Besuchs?«

Alexander von Roggen lachte. »Was glauben Sie wohl? Zum einen wollte ich Sie alle gern wiedersehen – aber ich gestehe, dass der Hauptgrund ein anderer ist.«

»Sie möchten also noch ein Pferd kaufen?«

»Zwei, um genau zu sein. Zwei Pferde, von denen Sie denken, dass sie gute Rennpferde werden können.«

»Damit bürden Sie mir eine große Verantwortung auf. Die Entwicklung eines Pferdes lässt sich nicht unbedingt vorhersagen.«

»Ich mache Ihnen bestimmt keine Vorwürfe, wenn die beiden später nicht gewinnen. Aber mich interessiert dieser ganze Rennbetrieb, ich habe angefangen, mich näher damit zu beschäftigen, und jeder Mensch braucht ein Hobby, als Ausgleich zur Arbeit.«

»Ein teures Hobby«, bemerkte der Baron mit einem Lächeln.

»In der Tat, ja«, gab sein Besucher zu.

Eberhard Hagedorn servierte die Getränke. Als er sich wieder zurückgezogen hatte, wechselte Alexander von Roggen das Thema. »Ich hörte, es gibt Bewegung in der sogenannten ›Affäre‹?«

Baron Friedrich nickte, während er einen Löffel Zucker in seinen Tee gab. »Zumindest hoffen wir das. Der angebliche Erstgeborene des Fürsten dürfte mittlerweile in Deutschland gelandet und sofort von Polizei und Justiz in Empfang genommen worden sein.«

»Dass diese Frau immer noch an ihrer Geschichte festhält, ist unglaublich«, murmelte Alexander von Roggen.

Die ›Affäre‹, die er angesprochen hatte, hielt die Sternberger seit mehreren Monaten in Atem. Eines Tages war ein Brief im Schloss eingetroffen, in dem eine Frau namens Corinna Roeder die Behauptung aufstellte, der Vater ihres Sohnes Sebastian sei der im vergangenen Jahr verstorbene Fürst Leopold von Sternberg. Sebastian Roeder war siebzehn Jahre alt und damit über ein Jahr älter als der eheliche Sohn des Fürstenpaares, Prinz Christian von Sternberg. Der Fürst war gemeinsam mit seiner Frau, Fürstin Elisabeth, bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen, Christian war seitdem also Vollwaise. Friedrichs Frau, Baronin Sofia von Kant, war eine Schwester Elisabeths, die Kants wohnten mit ihren beiden Kindern Anna und Konrad seit vielen Jahren ebenfalls auf Schloss Sternberg. So war es für alle selbstverständlich gewesen, dass Christian vom Ostflügel des Schlosses, wo er mit seinen Eltern gewohnt hatte, zu den Kants in den Westflügel zog, praktisch als ihr drittes Kind.

Vor allem Christian hatten Corinna Roeders Behauptungen tief getroffen, bedeuteten sie doch, dass sein Vater nicht nur ein Lügner, sondern auch ein Betrüger gewesen war, sollten sie sich als wahr erweisen. Er selbst glaubte fest an seinen Vater, so wie die ganze Familie, aber den Beweis zu erbringen, dass Corinna Roeder log, erwies sich als unerwartet schwierig. Ein Vaterschaftstest konnte nicht mehr gemacht werden, der Hubschrauber war seinerzeit völlig ausgebrannt. Außerdem legte Corinna Roeder ›Beweise‹ vor. Am stärksten für sie sprachen Fotos ihres Sohnes, den sie für ein Jahr in die USA geschickt hatte, um ihn aus den Auseinandersetzungen herauszuhalten. Sebastian Roeder sah dem verstorbenen Fürsten so ähnlich, dass sich die öffentliche Meinung nach anfänglichem Zögern auf Corinna Roeders Seite schlug.

Sie hatte im Übrigen keine große Unterstützung verlangt, sondern lediglich darum gebeten, die Ausbildung ihres Sohnes zu finanzieren, der hochbegabt war und besonderer Förderung bedurfte. Diese Bescheidenheit hatte ihr in der Bevölkerung viele Pluspunkte eingetragen. Zudem war ihre Geschichte einleuchtend: Damals, zu der Zeit, als sie angeblich eine Liebesbeziehung zu Fürst Leopold unterhalten hatte, war das Fürstenpaar nach Jahren des Wartens noch immer kinderlos gewesen. Konnte es da verwundern, dass der Fürst Trost in den Armen einer anderen Frau – die im Übrigen sehr attraktiv und sinnlich war – gesucht hatte?

Aber das Blatt hatte sich gewendet: Es fanden sich Zeugen von früher, die aussagten, Corinna Roeder, die ihren Namen und auch ihr Aussehen verändert hatte, sei früher mit einem Mann zusammen gewesen, der große Ähnlichkeit mit dem Fürsten gehabt habe. Dieser Mann, Sven Helmgart, hatte eine lange Karriere als Krimineller hinter sich, aber bisher hatte er nicht gefasst werden können.

Außerdem hatte sich ein Medaillon der Fürstin gefunden, von dem angenommen worden war, dass sie es bei dem Absturz getragen hatte. In seinem Inneren befand sich eine Locke von Fürst Leopold. Damit war es doch noch möglich, einen Gentest durchführen zu lassen und die Vaterschaft eindeutig zu klären.

Corinna Roeder, die seit einiger Zeit in Untersuchungshaft saß, blieb standhaft bei ihrer Version der Geschichte. Den Doppelgänger des Fürsten nannte sie ›den großen Unbekannten‹, den die Sternberger erfunden hätten, um die Wahrheit weiter leugnen zu können, und auch die Nachricht vom Medaillon mit der Locke hatte sie nicht dazu bewegen können, ihre Aussage zu ändern. Die Locke, sagte sie, könne von jedem stammen, niemand wisse ja, wo das Medaillon in der Zwischenzeit überall gewesen sei.

Doch ein erster Test hatte bereits festgestellt, dass die Locke von Christians Vater stammte. Nun stand nur noch eine Untersuchung Sebastian Roeders aus, um endgültige Klarheit zu gewinnen. Corinna Roeder hatte ihren Sohn angewiesen, in den USA zu bleiben, doch der Junge hatte sich über diese Anweisung hinweggesetzt und sich entschieden, nach Deutschland zu fliegen.

»Frau Roeder hat lange durchgehalten«, erwiderte Baron Friedrich auf Alexander von Roggens Bemerkung, »sie beharrt auch jetzt noch auf ihrer Darstellung.«

»Es muss für Sie alle schrecklich sein, aber wenn ich mir vorstelle, was Prinz Christian in den letzten Monaten durchgemacht hat …« Alexander von Roggen brach ab, wobei er langsam den Kopf schüttelte.

»Wir alle hatten Momente des Zweifels«, erwiderte der Baron. »Als wir die Fotos sahen, auf denen scheinbar Leopold mit dieser Frau und einem Kind zu sehen war …« Auch er ließ seinen Satz unbeendet. »Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, aber man hat das Gefühl, dass einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Alles, was eben noch als sicher galt, erweist sich plötzlich als trügerisch. Man zweifelt irgendwann an seinem eigenen Verstand und fragt sich, ob es möglich ist, dass ein Mensch, dem man hundertprozentig vertraut hat, in Wirklichkeit ein Doppelleben geführt hat, von dem man nichts ahnte.«

Er trank einen Schluck Tee. »Hinzu kommt, dass wir ja alle noch in Trauer sind, der Hubschrauberabsturz war im letzten Jahr. Christian ist fünfzehn Jahre alt, er hat beide Eltern verloren. Andere wären an einem solchen Schicksalsschlag zerbrochen, er jedoch hat seine eigene Art der Trauerbewältigung gefunden und war gerade dabei, die Freude am Leben neu zu entdecken. Und da kommt dieser Brief hier an und schlägt buchstäblich ein wie eine Bombe.«

»Sie hat wohl gedacht, Sie würden stillschweigend zahlen, um einen möglichen Skandal zu vermeiden.«

»Davon gehe ich aus. Sie hat ja nicht einmal besonders viel Geld verlangt, aber ich bin sicher, das war reine Taktik. Hätten wir gezahlt, sie wäre immer wieder gekommen. Und sie hat sehr genau darauf geachtet, ihren Brief nicht wie einen Erpresserbrief wirken zu lassen. Sie muss gute Berater gehabt haben, das Ganze war …« Friedrich suchte eine Weile nach dem richtigen Wort. »Da waren Profis am Werk«, sagte er schließlich.

»Und jetzt ist also der Junge hier, dieser Sebastian Roeder?«

»Ja. Er hat offenbar auf eigene Faust beschlossen, der Sache ein Ende zu bereiten, denn er muss wissen, was ihn hier erwartet.«

»Wenn er nicht freiwillig gekommen wäre, hätte das denn etwas geändert?«

»Oh ja«, seufzte der Baron. »Der Junge hat sich ja nichts zuschulden kommen lassen, man kann ihn nicht ohne Weiteres zwingen, etwas zu tun, was seiner Mutter mit großer Wahrscheinlichkeit schaden wird. Das wäre sicherlich noch eine längere juristische Auseinandersetzung geworden.«

Nachdenklich rührte Alexander von Roggen in seinem Tee. »Entschuldigen Sie bitte die Frage, Baron von Kant, aber haben Sie schon einmal überlegt, was Sie tun würden, wenn der Gentest den Beweis erbringt, dass dieser Sebastian Roeder tatsächlich Fürst Leopolds Sohn ist?«

Für einen Moment gefroren Friedrichs Gesichtszüge, dann lösten sie sich wieder, er nickte müde. »Das ist eine solche Horrorvorstellung, dass ich sie schnell verdränge, wenn sie sich in mein Bewusstsein schieben will. Aber ich sagte Ihnen ja schon: Wir hatten alle unsere Momente des Zweifels, auch Christian, wir haben offen darüber gesprochen. Aber diese Zeiten sind vorüber. Mittlerweile spricht so vieles gegen Corinna Roeder, dass ich mit der von Ihnen angesprochenen Möglichkeit nicht ernsthaft rechne.«

»Ich rechne auch nicht damit«, erklärte Alexander von Roggen, »obwohl ich das eigentlich nicht beurteilen kann. Aber nach allem, was Sie über Fürst Leopold erzählt haben, war er kein Mann, der sich so verhalten hätte.« Nach kurzer Pause setzte er hinzu: »Wobei man sich natürlich täuschen kann, das haben wir ja wohl alle schon einmal erfahren müssen.«

Eine Weile schwiegen beide, dann entschloss sich der Besucher, auf das eigentliche Anliegen seines Besuchs zurückzukommen. »Glauben Sie, Sie haben zwei Pferde für mich, die als Rennpferde Erfolg haben könnten?«

Der Baron war froh, nicht länger über die leidige ›Affäre‹ reden zu müssen, die das Leben im Schloss jetzt seit Monaten beherrschte. »Wir sind ein Gestüt, Herr von Roggen, ich habe eine ganze Anzahl an Pferden, die für Sie infrage kämen. Sie müssen sich nur zwei aussuchen.«

»Jetzt gleich?«, fragte Alexander von Roggen mit leuchtenden Augen. »Oder haben Sie keine Zeit?«

»Ich bin in der Tat etwas unter Druck, aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: Unser Stallmeister, Herr Wenger, wird Sie herumführen, er kennt die Pferde eher noch besser als ich. Sie treffen eine Vorauswahl, und in etwa einer Stunde komme ich dazu, dann können wir gemeinsam beraten.«

Alexander von Roggen erhob sich sofort. »Wunderbar!«, rief er. »Ich danke Ihnen vielmals, Herr von Kant. Kann ich gleich zu den Stallungen gehen?«

Der Baron hatte das Telefon bereits in der Hand. »Natürlich, ich sage Herrn Wenger Bescheid.«

Er sah seinem Gast mit einem Lächeln nach, wie er mit langen Schritten hinüber zu den Pferdeställen lief, während er seinem jungen Stallmeister Robert Wenger ausführliche Anweisungen gab.

»Alles klar, Herr Baron«, sagte dieser. »Ich weiß Bescheid. Unsere Geschäfte laufen also wieder besser?«

»So sieht es aus, Herr Wenger.«

Über diese Bemerkung des Stallmeisters dachte Friedrich noch länger nach. Ja, auch die Geschäfte hatten unter der ›Affäre‹ gelitten, so wie das soziale Leben der Familie. Früher war Schloss Sternberg selten ohne Gäste gewesen. Alle waren immer gern gekommen, für ein Wochenende oder auch für länger, und hatten die Gastfreundschaft der Familie mit Freuden in Anspruch genommen. Das hatte sich grundlegend geändert in den letzten Monaten. Es war still geworden im Schloss, der angeschlagene Ruf des verstorbenen Fürsten hatte dafür gesorgt, dass die Kants sich fragen mussten, ob viele der Menschen, die sie für ihre Freunde gehalten hatten, diese Bezeichnung auch wirklich verdienten. Nicht wenige hatten seit den ersten Gerüchten nichts mehr von sich hören lassen.

»So schnell kann das gehen«, hatte Baronin Sofia erst vor wenigen Tagen mit kaum verhohlener Bitterkeit gesagt. »Ein paar falsche Anschuldigungen, und plötzlich steht man allein da.«

»Nicht allein, Sofia«, hatte er widersprochen, aber im Grunde genommen musste er ihr Recht geben.

Während er noch diesen Gedanken nachhing, wurde die Tür geöffnet, und Sofia erschien. »Und ich dachte, du bist in deine Arbeit vertieft«, sagte sie, als sie ihn am Fenster stehen und in den Park hinaussehen sah.

»Alexander von Roggen ist überraschend gekommen, er will zwei Pferde kaufen. Da er länger nicht hier war, haben wir zuerst über die ›Affäre‹ gesprochen. Du weißt ja, wie das ist, das geht einem dann noch eine Zeit lang nach.«

Sie umarmte ihn. »Wir bekommen Besuch«, berichtete sie mit kaum verhohlener Freude in der Stimme.

»Besuch«, wiederholte er, wobei er das Wort in die Länge zog. »Seltsam, darüber habe ich gerade nachgedacht: Wie sehr sich unser Leben insgesamt verändert hat durch die ›Affäre‹. Besuch ist ja direkt eine Seltenheit für uns geworden. Wer kommt denn?«

Sie hatten sich vorgenommen, in Zukunft nicht mehr so großzügig zu sein mit ihren Einladungen – und diejenigen, die in den letzten Monaten nichts von sich hatten hören lassen oder ihnen sogar aus dem Weg gegangen waren, würden sie nicht mehr bei sich empfangen. Eine Konsequenz aus den schwierigen letzten Monaten würde sein, dass sie sich ihre Freunde besser aussuchten.

»Marina und Helena von Althenburg«, antwortete die Baronin.

»Wie schön«, sagte er aufrichtig erfreut.