Ein hartes Jahr - Melanie Kienast - E-Book

Ein hartes Jahr E-Book

Melanie Kienast

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Beschreibung

In diesem Schuljahr hat es Cassandra wirklich nicht leicht. Jeder scheint es auf sie abgesehen zu haben. Ein neuer Dozent, der es mit der Prügelstrafe allzu genau nimmt macht ihr ständig das Leben schwer. Außerdem wird sie Opfer von bösen Intrigen, gegen die sie sich kaum wehren kann. Doch als wäre das alles nicht schon schlimm genug wird sie auch noch erpresst. Cassandra ist völlig verzweifelt. Wer schreibt ihr nur immer wieder diese gemeinen Erpresserbriefe? Der Schreiber nennt sich selbst der Schatten und er scheint seinem Namen alle Ehre zu machen. Anscheinend weiß er über alles Bescheid und er droht sogar damit an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn Cassandra seine Befehle nicht befolgt.

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Seitenzahl: 395

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Ein hartes Jahr

TitelseiteDer Kampf um einen Platz im InternatNeues LebenDie RückkehrDer VertretungslehrerDie Strafe folgt auf dem FußPlanung ist allesRespektlosWer nicht hören kannRote Augen und ein langer TagLauter VorwürfeEine gerechte StrafeRetter in der NotSport ist MordAlles wird besserMalvina 2.0Auf der KrankenstationBöse IntrigeTiefergelegtVerschmähte LiebeMr. McCalls RückkehrEin Auto mit besonderer LadungAlles auf AnfangAuf BewährungMondfinsternisEin kleiner SpaziergangHoch zu RossCassandras VersprechenPfui Spinne!Getrennte FreundeDie schonungslose WahrheitNachbars KirschenDer Tag danachMax räumt aufDas Samenkorn gedeihtLiebesbeweisTrau, schau, wem!BerauschtBefragungErpressungPrügeleiEin seltsamer TraumTobsuchtsanfallKonsequenzenKlärende GesprächeEin kleines DankeschönPrivatvorstellungAuf Eis gelegtAlpträumeDas Unterbewusstsein spricht sich ausÜberführtLernzwangZu Gast beim SchulleiterEine letzte LektionImpressum

Ein hartes Jahr

Der Kampf um einen Platz im Internat

Cassandra folgte mit hängendem Kopf dem verschlungenen Pfad, der in Richtung Fort William führte. Sie schämte sich so sehr für das was sie getan hatte, doch das konnte sie nun nicht mehr rückgängig machen. Wie war sie nur auf die Idee gekommen Mr. Kimberley schlagen zu wollen? Sicher, es hatte sie wütend gemacht, dass sie das letzte Schuljahr wiederholen sollte, dennoch hätte sie sich ein wenig mehr beherrschen können. Sie mochte Mr. Kimberley und hatte ihn sicherlich nicht schlagen wollen. Sie konnte sich nicht einmal erklären warum sie die Hand gegen ihn erhoben hatte. Keine Schule würde sie mehr annehmen, damit sie ihren Schulabschluss machen konnte. Ihre einzige Chance war das Castle of Grace gewesen. Ihre Träume waren wie eine Seifenblase zerplatzt, als Mr. Kimberley sie vor die Tür gesetzt hatte. Es hatte ihr einen Stich versetzt, dass er sie so einfach aufgab. Doch war sie nicht selbst schuld daran? Warum hatte sie ihre Wut nicht unter Kontrolle halten können? Trotzdem fand sie die Konsequenz viel zu hart. Warum musste er sie denn gleich von der Schule werfen? Es gab doch bestimmt auch andere Maßnahmen. Cassandra zog geräuschvoll ihre Nase hoch und suhlte sich in ihrem Selbstmitleid. Was sollte sie denn jetzt machen? Ihren Eltern konnte sie auf gar keinen Fall unter die Augen treten, also musste sie sich wohl oder übel eine Arbeit in der Stadt suchen. Ob sie überhaupt irgendwer einstellen würde? Sie war schließlich noch minderjährig und das würde Fragen aufwerfen. Ihre momentane Situation schien wirklich aussichtslos. Das Leben war einfach ungerecht. Schlagartig verwandelte sich ihr Selbstmitleid in Wut und schoss wie eine Lavaflut durch ihren Körper. Nein, eigentlich war Mr. Kimberley ungerecht und das würde sie ihm jetzt mal sagen! Wütend kehrte sie um und lief zurück zum Internatsgelände. Sie wollte ihm mal so ordentlich die Meinung geigen und ihm sagen was sie von ihm hielt. So durfte er mit ihr nicht umspringen. Doch mit jedem Schritt, den sie auf die Burg zumachte wurde ihre Wut kleiner und machte einer ungewissen Angst Platz. Was wäre wenn Mr. Kimberley überhaupt nicht mit ihr sprechen wollte, weil er so enttäuscht von ihr war? Unsicher blieb sie vor dem großen Eisentor stehen und blickte auf den leeren Hof. Nichts und niemand rührte sich. Das Leben im Internat ging einfach weiter auch ohne sie und das machte ihr das Herz so unglaublich schwer, dass sie wieder anfing zu weinen. Ununterbrochen flossen Tränen aus ihren Augen und sie schluchzte so herzerweichend, dass es George fast das Herz brach. Er saß vor seinem Monitor, der den Eingangsbereich zeigte und er hatte den Lautsprecher der Gegensprechanlage eingeschaltet, um zu hören, ob sie ihm etwas zu sagen hatte. Er beobachtete die junge Frau von drinnen eine Weile, und stellte fest, dass sie nach einiger Zeit ein wenig ruhiger wurde, aber keinerlei Anstalten machte das Internatsgelände erneut zu verlassen. Als die Post dann kam und hupte, weil Cassandra im Weg saß, bemerkte er wie sie sich mit ihren Koffern heimlich hinter dem Postauto hineinschlich. George musste unwillkürlich lächeln. Das war wieder typisch für Cassandra. Sie hatte einen unglaublich starken Willen und würde bestimmt nicht einfach so aufgeben um wieder in die Burg zu gelangen. Doch auf diese Art und Weise würde er sie mit Sicherheit nicht wieder reinlassen. Arglos schritt George auf den Postboten zu, nahm dankend die Post entgegen, um sie geradewegs auf der Fensterbank abzulegen und öffnete kurz danach mit seiner Fernsteuerung erneut das Tor. Die ganze Zeit hatte er Cassandra nicht aus den Augen gelassen. Jetzt da der Postwagen ihr keinen Schutz mehr bot, stand sie ein wenig hilflos mitten in der Einfahrt und wusste nicht so Recht, wohin sie jetzt sollte. Als sie dem Blick des Direktors begegnete ließ sie ihre Koffer fallen, die ihr nun hinderlich waren, und stürmte nach rechts, um über den Lehrerparkplatz zu entkommen. Sie war der Meinung, wenn sie sich auf dem Gelände versteckt hielt war das genauso gut als würde sie noch im Internat leben. Sie musste nur ein geeignetes Versteck finden. Doch weit kam sie nicht bei ihrer Flucht. Prompt lief sie in Toms Arme und blickte ihn erschrocken an. Sie hatte sich so sehr auf Mr. Kimberley konzentriert, dass sie auf nichts und niemanden sonst geachtet hatte. Ängstlich warf sie einen Blick hinter sich und schmiegte sich dann schutzsuchend an ihren Freund. „Bitte hilf mir“, jammerte sie und erneut kullerten Tränen über ihre Wangen, die noch ganz feucht von der vorherigen Tränenflut waren. Tom strich Cassandra zärtlich eine Haarsträhne hinters Ohr und wischte ihr mit dem Daumen ein paar Tränen aus dem Gesicht. Es tat ihm in der Seele weh, dass er nichts für sie tun konnte, aber sie hatte sich dieses Dilemma selbst eingebrockt und nun musste sie auch selbst einen Weg finden um ihren Fehler zu korrigieren. „Es tut mir leid Kleines, ich habe versucht Mr. Kimberley umzustimmen, aber er wollte nichts davon hören. Du weißt was du getan hast und nun musst du die Konsequenzen tragen. So ist das eben im Leben.“ Enttäuscht stieß Cassandra Tom von sich und trat einige Schritte zurück. Sie hatte bei weitem mehr erwartet. Warum ließ er sie so gnadenlos im Stich, wenn sie so dringend seine Hilfe brauchte? War seine Liebe nur ein Mittel um sie ruhigzustellen? Sie wusste einfach nicht mehr was sie glauben sollte und schüttelte ungläubig und zutiefst enttäuscht den Kopf. „Das ist alles was du für mich tust? Ich dachte du wärst mein Freund und stehst mir bei, wenn ich in Not gerate.“ Tom quittierte ihre Enttäuschung mit einem bitterbösen Blick. Er konnte einfach nicht glauben, was er da hörte. Cassandra machte es sich in ihrem Leben immer sehr einfach, um ihre Haut zu retten, doch das würde er auf gar keinen Fall dulden. „Jetzt schieb nicht mir den schwarzen Peter zu. Du hast deine Hand gegen Mr. Kimberley erhoben und nun musst du auch mit den Konsequenzen leben. Ich verstehe immer noch nicht wie du so etwas überhaupt tun konntest.“ Kampflustig reckte Cassandra ihr Kinn nach vorne und funkelte Tom giftig an. Sie fühlte sich herausgefordert und außerdem war sie nach wie vor wütend, dass er ihr nicht half, obwohl er angeblich ihr Partner war. „Er hat mich ungerecht behandelt und da habe ich die Kontrolle verloren. Ich habe auch Rechte.“ Entrüstet stemmte sie ihre Arme in die Hüften und hoffte ihn mit ihrer forschen Art überzeugt zu haben, doch Tom schüttelte nur missbilligend den Kopf. „Diese Unterhaltung ist völlig sinnlos. Du bist und bleibst ein Dickkopf, der nichts dazugelernt hat. Es wird Zeit, dass du dieses Gelände wieder verlässt.“ Mürrisch griff er nach ihrem Arm und zog sie unwirsch hinter sich her. Sie musste ein für alle Mal lernen mit anderen Menschen respektvoll umzugehen. Doch Cassandra wollte sich nicht so einfach geschlagen geben, es gab immer eine Möglichkeit sich aus Schwierigkeiten raus zu winden. Mürrisch riss sie sich wieder los und lief auf Mr. Kimberley zu, ehe Tom sie aufhalten konnte. Vielleicht konnte sie den Schulleiter von ihrer Reue überzeugen, er würde sie vielleicht nicht einfach so fallen lassen. „Bitte lassen sie Gnade walten“, bettelte sie. „Ich werde nie wieder die Hand gegen sie erheben, ich verspreche es“, jammerte sie und blickte ihn aus tieftraurigen Augen an. Bei ihren Eltern hatte dieser treue Hundeblick beinahe immer Wunder bewirkt und deshalb setzte sie ihn immer wieder gerne als Waffe ein. Doch Georges Miene blieb kalt, als er distanziert nickte. „Natürlich wirst du das nicht, weil du nicht mehr hier wohnst!“, fauchte er und packte ihren Arm, um sie eigenhändig nach draußen zu bringen. Cass schrie wütend auf und wehrte sich vehement gegen diese Behandlung, indem sie ihre Füße in den Boden stieß, um einen Widerstand aufzubauen. „Bitte seien sie nicht so hartherzig, ich kann doch nirgendwo hin“, heulte sie, doch es nützte alles nichts. Grob wurde sie hinaus geschoben und Tom klatschte ihr mit grimmiger Miene die Koffer vor die Füße. Das Tor schloss sich und die beiden Pädagogen schritten davon. Nun stand sie wieder vor dem Tor und ihre Augen schwammen in Tränen der Verzweiflung. Warum wollte ihr nie jemand beistehen? War sie wirklich ein so schrecklicher Mensch? Cass schluchzte verzweifelt auf und zog geräuschvoll ihre Nase hoch. „Bist du dir sicher, dass es funktioniert?“, raunte Tom George skeptisch zu und warf einen unauffälligen Blick auf Cassandra.

„Sie hat keine große Wahl“, knurrte George. „Entweder sie lernt es jetzt oder nie. Wenn letzterer Fall eintritt, dann ist sie hier nicht mehr willkommen.“ „Bitte…“, rief Cassandra mit zitternder Stimme. George blickte fragend zurück und sein Gesicht wirkte immer noch abweisend und kalt. Cassandra schluckte schwer, um den Kloß in ihrem Hals hinunterzuwürgen. Flehend streckte sie ihre Hände durch die Eisenstäbe des Tores. „Bitte entschuldigen sie, dass ich so respektlos war. Es tut mir wirklich leid. Ich habe die Kontrolle über mein Handeln verloren. Verzeihen sie mir bitte.“ Sie schluchzte schwer und bemühte sich ihren Tränenfluss zu stoppen. Immer wieder fuhr sie sich mit einer Hand hastig über das Gesicht um den Schleier von ihren Augen zu wischen. Jetzt nachdem ihr das Ausmaß ihres Handels bewusst geworden war, tat es ihr ehrlich leid wie sie sich verhalten hatte. Warum ließ sie sich auch immer von ihrer Wut beherrschen? Sie konnte es sich selbst nicht erklären. Hoffentlich konnte sie ihren Fehler noch ausbügeln. „Ich wollte sie nicht verletzen. Sie waren immer so freundlich und ich habe das ausgenutzt. Ich werde mich anstrengen das Klassenziel zu erreichen und alles lernen was nötig ist. Ich wiederhole das Schuljahr und mache alles was sie wollen. Bitte lassen sie mich wieder am Unterricht teilnehmen. Bitte!“ Weinend und hilflos stand sie vor dem Tor und hoffte darauf eine letzte Chance zu bekommen. Sie war mit jeder Faser ihres Körpers dazu bereit ihr Versprechen in die Tat umzusetzen und das spiegelte sich auch in ihrer Bitte wider. Man sah Tom an wie ihm ein Stein vom Herzen fiel und er lächelte erleichtert. Es hatte zwar etwas gedauert, bis Cassandra sich überwunden hatte eine Entschuldigung auszusprechen, aber sie hatte es im letzten Augenblick doch noch getan. Ohne Umschweife öffnete George das Tor, diesmal um sie wieder hereinzulassen. Kühl sah er die weinende Schülerin an, die es immer noch nicht geschafft hatte ihre Tränen unter Kontrolle zu bekommen. „Wenn du so viel Ehrgeiz zum Lernen aufbringst, wie du aufgebracht hast wieder hier hinein zu gelangen, dann wirst du sicher als Beste abschneiden“, meinte er streng. „Das werde ich“, schluchzte Cass und blieb unsicher vor dem Tor stehen. Ihre Füße schienen ihr den Dienst zu versagen. Möglicherweise war das alles nur ein makabrer Scherz weil er sie quälen wollte. Doch diesen dummen Gedanken verscheuchte der nächste Satz des Schulleiters aus ihrem Kopf. George bedeutete ihr mit einer einladenden Geste einzutreten. „Dann sei willkommen.“ Er gab das Tor frei und Cassandra huschte misstrauisch an ihm vorbei, als befürchtete sie wieder hinausgeworfen zu werden. George hatte derartiges jedoch nicht im Sinn. Er hatte ihr lediglich eine Lektion erteilen wollen.

Neues Leben

Endlich Ferien! Cassandra hatte ein komisches Gefühl dabei, das Internat verlassen zu müssen. Vielleicht kam Mr. Kimberley auf die schreckliche Idee sie nach den Ferien nicht mehr reinzulassen, weil sie so respektlos gewesen war. Das machte ihr ein wenig Angst. Sie bedauerte, dass sie sich von ihrer Wut hatte verleiten lassen und hoffte inständig, dass der Direktor ihr wirklich verziehen hatte, ansonsten hatte sie nämlich echt schlechte Karten. Auf Tom war sie immer noch sauer, da er sie nicht so verteidigt hatte wie sie sich das gewünscht hätte. Schließlich war sie seine Freundin und mit der ging man eben liebevoller um. Deshalb war sie ihm in den letzten paar Tagen aus dem Weg gegangen, um nicht mit ihm reden zu müssen. Sie hatte immer von einem Helden in glänzender Rüstung geträumt, der auf seinem weißen Schimmel angeritten kam und sie vor allen schlechten Dingen beschützte. Dieser Mann hielt in jeder Situation zu ihr egal wie schlimm es auch sein mochte. Es war enttäuschend festzustellen, dass sich ihr Wunschtraum in eine zerplatzte Seifenblase verwandelt hatte. Vielleicht erwartete sie einfach zu viel von einem Partner, schließlich war sie noch jung und wusste nicht viel vom Leben. Wenn ihre Wut wieder einigermaßen abgekühlt war, wollte sie noch mal darüber nachdenken, denn immerhin hatte sie jetzt Ferien und da wollte sie sich erholen und nicht Trübsal blasen. Sie freute sich richtig darauf nach Hause zu kommen, um mit ihren Eltern zusammen zu sein. Endlich mal keine Schule und keine Lehrer, einfach nur relaxen. Da ihre Mutter schwanger war, sollte Cassandra mit dem Zug nach Hause fahren. Das störte sie auch nicht und deshalb genoss sie die Fahrt, die sie zurück in ihre Heimat brachte.

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Die ersten beiden Wochen schlief Cassandra bis um die Mittagszeit und ging auch Recht früh zu Bett, weil sie sich einfach nur ausgelaugt und müde fühlte. Ihre Reserven waren ziemlich erschöpft und mussten dringend aufgefüllt werden. Julia und Adrien machten sich deswegen schon Sorgen um ihre Tochter, da das absolut nicht normal war. Aber Cassandra beteuerte jedes Mal, dass sie sich einfach nur erholen wolle. Ab der dritten Woche Ferien bekam sie jedoch ein schlechtes Gewissen und fing wieder an zu lernen. Sie wollte auf keinen Fall bei der Prüfung zur Dozentin durchfallen. Sie musste Mr. Kimberley beweisen, dass sie mit Arbeit und Stress gut umgehen konnte. Eifrig machte sie sich ans Werk. Immerhin mit dem Unterschied, dass sie dieses Mal frühzeitig schlafen ging, um am nächsten Tag fit fürs Lernen zu sein und nicht weil sie völlig erschöpft war. Cassandra hatte nicht einmal Zeit sich mit ihrer Mutter zu unterhalten oder ihr zur Hand zu gehen. Aber das war auch nicht so wild, da Adrien diesen Part übernahm. Er kümmerte sich rührend um seine hochschwangere Frau, die von ihren Hormonen völlig mitgerissen wurde. Als ihre Tochter die ersten Wochen so viel geschlafen hatte, vermutete Julia sofort eine Krankheit dahinter und weinte fast den ganzen Tag und keiner konnte sie beruhigen. Cass versprach zu einem Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen, nur damit ihre Mutter endlich Ruhe gab und sich keine Sorgen mehr machte. Wie vermutet war Cass kerngesund und nur ein wenig überarbeitet. Julia war endlich überzeugt und ließ ihre Tochter den Rest der Ferien in Ruhe. Schließlich wollte sie ihr nun gutes Verhältnis nicht gleich wieder aufs Spiel setzen. Doch an so etwas dachte Cassandra zurzeit nicht, da sie ihren Kopf mit so vielen anderen Dingen voll hatte. Sie musste noch so viel nachholen, dass sie kaum noch hinterher kam. Ein Arbeitsbuch nach dem anderen las sie, machte sich eine Menge Notizen und lernte wichtige Daten und Informationen auswendig. Sie wollte auf keinen Fall noch einmal sitzen bleiben. Es war so demütigend, wenn jeder sie kopfschüttelnd und mit strafendem Blick, wie einen Dummkopf ansah. Selbst ihre Eltern schienen ein wenig enttäuscht darüber, auch wenn sie sich bemühten es nicht zu zeigen. Cassandra war dankbar dafür, dass sie ihr keine Vorwürfe machten und versprach sich selbst von nun an keine Fehler mehr zu machen. Sie wollte allen beweisen, dass sie ein guter und fleißiger Mensch war, der alles schaffen konnte was er wollte. Deshalb konnte sie sich in den Ferien auch nicht überwinden ihre Bücher beiseite zu legen. Hätte jemand sie so gesehen hätte er vermutet, dass sie an einem Millionenquiz teilnehmen wollte. Doch das war Cassandra egal. Sie schämte sich immer noch für ihr Verhalten und deshalb hatte sie keine andere Wahl.

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Die Tage flogen nur so dahin und schneller als gedacht waren die Ferien vorbei und der Tag der Abreise stand vor der Tür. Pünktlich sprang Cassandra aus ihrem Bett, machte sich fertig und frühstückte in aller Ruhe mit ihren Eltern. Julia wirkte an diesem Morgen ein wenig abwesend, aber das bemerkte Cassandra nicht einmal. Ihre Gedanken beschäftigte sich bereits mit ihrer Rückkehr und ob Mr. Kimberley sie tatsächlich reinlassen würde. Die Tatsache, dass er ihr vor den Ferien die Tür gewiesen hatte, hatte sie tief getroffen und so schnell würde sie das auch nicht vergessen. Nach dem Frühstück stellte sie ihre Tasse und das Besteck in die Spülmaschine und verstaute anschließend ihre Koffer im Wagen. Ungeduldig wartete sie darauf, dass ihre Eltern endlich kamen. Ihretwegen würde sie noch zu spät kommen. Das durfte auf gar keinen Fall passieren. Nervös wippte sie mit ihrem Fuß hin und her und blickte ständig auf ihre Armbanduhr. „Verdammt wo bleiben die denn? Es kann doch nicht so lange dauern die Spülmaschine anzustellen.“ Wenn sie sich früher im Schneckentempo bewegt hatte, dann hatte sie immer einen Rüffel bekommen und das war einfach nicht fair. Mürrisch lief Cass zurück ins Haus, um ihren Eltern die Meinung zu sagen, doch soweit kam sie gar nicht erst. Mitten im Flur blieb sie abrupt stehen, weil ihr Vater ihr mit ihrer Mutter im Schlepptau entgegenkam. Julias Gesicht war von Schmerzen gezeichnet, während sie mit den Händen ihren Bauch festhielt. Ehe Cassandra noch fragen konnte was geschehen war, schrie Adrien ihr entgegen. „Mach die Autotür auf, die Wehen haben eingesetzt!“ Hektisch flog Cassandra wieder nach draußen und riss verschreckt die Fahrertür auf. Kreidebleich und mit weit geöffneten Augen blickte sie ihre Eltern ängstlich an. Ihrer Mutter schien es nicht sehr gut zu gehen und das bereitete ihr wirklich Sorgen. Ihre Mum krümmte sich sichtlich vor Schmerzen und ihr standen Schweißperlen auf der Stirn, während Cass immer noch die Fahrertür aufhielt. Adrien schüttelte missbilligend den Kopf. „Reiß dich bitte zusammen! In ihrem Zustand wird sie wohl kaum fahren können.“ Verzeihend blickte Cassandra ihre Eltern an und öffnete schnell die hintere Tür, damit ihre Mutter endlich Platz nehmen konnte. Umständlich stieg Julia ein und Cassandra setzte sich auf die andere Seite neben sie. Tröstend nahm sie ihre Hand und strich liebevoll darüber, was sie aber sehr schnell bereute, denn jedes Mal wenn ihre Mutter eine starke Wehe spürte, drückte sie so fest zu, dass Cassandra glaubte ihre Hand würde brechen. Wenn Kinderkriegen wirklich so schrecklich schmerzte, dann wollte sie auf gar keinen Fall welche haben. Ängstlich blickte sie immer wieder zu ihrer Mutter und hoffte, dass sie bald im Krankenhaus ankamen. Es tat ihr in der Seele weh sie so zu sehen. Ihr Vater gab sich wirklich Mühe so schnell wie möglich ans Ziel zu kommen. Er raste quer durch die Stadt und überholte mal links und mal rechts, was ihm ein wahres Hupkonzert einbrachte, doch das nahm er nicht einmal wahr. Es war ein Wunder, dass er keinen Unfall baute, da er jede Geschwindigkeitsbegrenzung übertrat ohne Rücksicht auf Verluste. In diesem Moment gab es für ihn keinerlei Regeln, da er nur an seine schwangere Frau denken konnte. Doch zum Glück kamen sie heil in der Klinik an, in der sie bereits erwartet wurden, da Adrien sie vor der Abfahrt angerufen hatte. Rasch wurde Julia mit einem Rollstuhl in den Kreissaal gefahren, wo sie mit größter Sorgfalt auf das Entbindungsbett gelegt wurde. Cassandra und ihr Dad warteten vor dem Kreissaal, da Julia nicht gewollt hatte, dass ihre Familie mit hineinkam. Endlose Stunden tigerte Adrien vor der Tür hin und her. Das Baby musste doch schon längst da sein. Er raufte sich die Haare und sah so bemitleidenswert aus, dass Cassandra aufstand und ihm tröstend über die Schulter strich. Verwirrt blickte er seine Tochter an. Er hatte völlig vergessen, dass sie auch hier war. Für einen Moment klärten sich seine Gedanken und er erinnerte sich daran, dass Cassandra eigentlich ins Internat musste. „Du solltest im Internat anrufen und Bescheid geben, dass du einen Tag später kommst“, meinte er, ehe er wieder unruhig umherlief. Cassandra seufzte enttäuscht und verschwand deprimiert. Für sie war es schlimm, dass sie nicht helfen konnte und die endlose Warterei machte die Sache auch nicht gerade besser. Eigentlich wäre sie viel lieber bei ihrer Mutter geblieben um Zeit mit ihrer neuen Schwester zu verbringen, aber das war wohl nicht möglich. Sie spürte wie Eifersucht in ihr aufkeimte. Anscheinend hatte sich an ihrem Eltern-Kind-Verhältnis doch nichts geändert. Sie wurde abgeschoben, damit mehr Zeit für das neue Kind blieb. Cassandra ballte ihre Hände zu Fäusten und blickte auf den Hinterkopf ihres Vaters. Augenblicklich war ihre Wut verschwunden. Ihr Dad sorgte sich so sehr. Ob es wohl Komplikationen gab? Und sie war in diesem Augenblick so selbstsüchtig. Plötzlich schämte sie sich für ihre Gedanken. Mittlerweile wusste sie was ihre Eltern für sie empfanden und Eifersucht war nicht gerade hilfreich ihr gutes Verhältnis aufrecht zu erhalten. Cassandra widerstand dem Drang zurückzugehen um ihren Vater zu trösten. Er hatte ihr eine Aufgabe aufgetragen und sie wollte ihn nicht durch ungehorsam enttäuschen. So suchte sie sich ein Telefon, warf ihr Münzgeld ein und wählte die Nummer des Internats. Mit gemischten Gefühlen wartete sie darauf, dass jemand abhob. Immer noch quälte sie die Angst, dass Mr. Kimberley sie nicht mehr ins Internat zurückließ, weil sie so ein schlechter Mensch war. Cass spürte Tränen hinter ihren Lidern brennen, da die Angst sie beinahe auffraß. Vielleicht war der Anruf doch keine so gute Idee gewesen, da telefonieren längst nicht so persönlich war, wie wenn man jemandem Auge in Auge gegenüberstand. Gerade als Cass ihren Gedanken ausführen wollte, meldete sich Mr. Kimberley. „Castle of Grace, mein Name ist Kimberley, guten Tag.” Cassandra fand diese Ansprache wirklich formvollendet und höflich und es machte ihr erneut bewusst, dass sie einen netten Menschen vor den Kopf gestoßen hatte. „Hallo Mr. Kimberley“, flüsterte sie in den Hörer. „Hier ist Cassandra Benedict. Meine Mum hat Wehen bekommen und ich bin mit meinem Dad im Krankenhaus. Kann ich vielleicht morgen kommen?“ Nervös umklammerte Cassandra den Telefonhörer ganz fest, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Mit wild klopfendem Herzen lauschte sie auf die Antwort, die bestimmt nicht zu ihren Gunsten ausfallen würde. Ihr Magen verkrampfte sich und fühlte sich tonnenschwer an, als hätte sie gerade eine Portion Steine verschluckt. Er würde diese Gelegenheit nutzen um sie loszuwerden und dann gab es keinen Ort mehr an den sie gehen konnte. Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, da Mr. Kimberley mehrmals „hallo“ rief. „Entschuldigung“, würgte sie verlegen hervor. „Ich war gerade etwas abgelenkt.“ „Das kann ich verstehen, es ist sicher sehr nervenaufreibend für dich. Nimm dir die Zeit die du brauchst, mein Internat steht dir jederzeit offen.“ In Cassandras Gesicht schien plötzlich die Sonne aufzugehen und man hörte förmlich den ganzen Berg, der ihr vom Herzen fiel. „Vielen Dank, Mr. Kimberley, ich bin morgen wieder bei ihnen, versprochen.“ „Richte deiner Mutter bitte meine Glückwünsche aus und mach dir keine Sorgen um deine Rückkehr.“ Cassandra stockte einen Moment, da ihr nicht klar gewesen war, dass sich ihre Angst in ihrer Stimme wiedergespiegelt hatte. „D…danke“, stotterte sie und warf hastig den Hörer auf die Gabel. Es war ihr peinlich ausgerechnet dem Mann ihre Angst gezeigt zu haben, den sie mit ihrer Respektlosigkeit verärgert hatte. Sie musste wirklich mal lernen ihre Wut zu beherrschen, damit ihr so ein Fehler nie wieder geschah. Geknickt machte sie sich auf den Rückweg. Mit so viel Großzügigkeit hatte sie nicht gerechnet. Mr. Kimberley war einfach zu nett und das bereitete ihr ein schrecklich schlechtes Gewissen. Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können? So eine Behandlung hatte er einfach nicht verdient. Cass seufzte traurig. Vielleicht konnte sie das irgendwie wieder gut machen.  Als sie zu ihrem Vater zurückkehrte, war ihre Schwester bereits geboren und ihre Mutter lag in einem der Krankenzimmer. Adrien hatte eine Krankenschwester gebeten seine Tochter zu ihnen zu schicken, damit sie sich keine Sorgen machte. Erfreut trat Cass zu ihren Eltern und richtete auch die Glückwünsche des Direktors aus. Neugierig betrachtete sie das kleine Wesen, das gerade erst ein paar Minuten auf der Welt war und lächelte es an. Sie fand, dass ihre kleine Schwester ziemlich zerknautscht aussah und dringend geglättet werden musste. Als sie jedoch die entsetzten Blicke ihrer Eltern sah, fügte sie hastig hinzu, dass sie nur einen Spaß gemacht hatte. „Die Kleine ist wirklich süß. Wie soll sie denn heißen?“ Julia blickte zuerst ihren Mann liebevoll an, ehe sie ihren Blick wieder auf Cassandra heftete. „Wir möchten sie Alafair nennen“, lächelte Julia mit zartrosa Wangen. Für sie war es das schönste Geschenk auf Erden, endlich wieder ein kleines Töchterchen im Arm zu halten. Glücklich drückte sie Adriens Hand. Sie hoffte, dass sie bei diesem kleinen Wesen nun alles richtig machen würden. Freudestrahlend blickte Cassandra ihre Eltern an. Sie wirkten zufrieden und gelöst und das hatten sie auch verdient, nach all den anstrengenden Jahren mit ihr. „Der Name klingt wunderschön. Du musst mir unbedingt regelmäßig Fotos von ihr schicken, damit ich auch weiß wie sie sich entwickelt. Ach, am liebsten würde ich bei meiner kleinen Schwester bleiben und sie Tag und Nacht verwöhnen, aber ich muss unbedingt meinen Abschluss machen, damit ihr stolz auf mich seid.“ Julia spürte, dass diese Aussage aus tiefstem Herzen kam und sie spürte wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Nach so endlos vielen Versuchen Cassandra zum Lernen zu bewegen hatte sie endlich ihren Platz im Leben gefunden. Überglücklich nahm sie die Hand ihrer Tochter und drückte sie aufmunternd. „Ich weiß du schaffst das meine Süße und ich schicke dir so oft es geht Fotos, damit du nicht so einsam bist.“ Cass umarmte vorsichtig ihre Mutter, ohne Alafair dabei anzustoßen. Das kleine Mädchen lag ruhig in ihrem Arm und schien zu schlafen. Nur ab und zu öffnete es die Augen und schien dem stillen Beobachter direkt in die Seele zu blicken. Noch hatten ihre Augen eine grau-blaue Farbe, doch das konnte sich im Laufe des erstens Lebensjahres noch ändern, wie ihre Mutter ihr erklärte. Am liebsten hätte Cass die Kleine den ganzen Tag beobachtet, nur um festzustellen wann und ob sich die Farbe änderte, aber leider musste sie nun Abschied nehmen, denn morgen ging der Ernst des Lebens wieder los.

Die Rückkehr

Da Julia noch im Krankenhaus bleiben musste, fuhr Adrien am nächsten Tag Cassandra alleine zurück ins Internat. Die ganze Fahrt über quasselte Cassandra wie ein Wasserfall und Adrien war darüber völlig erstaunt. Solche Gespräche hatte er mit seiner Tochter immer vermisst. Jetzt da sie schon fast erwachsen war, redeten sie endlich miteinander. Er genoss dieses unbefangene Gespräch, denn es zeigte ihm, dass die Entscheidung seine Tochter in dieses Internat zu schicken richtig gewesen war. Außerdem bemerkte er wie gut es ihr in dem Internat gefiel und das erleichterte es ihm sie dort wieder abzusetzen. Cassandra gab ihrem Vater zum Abschied einen Kuss und lief fröhlich winkend davon. Sie wusste, dass der Unterricht schon begonnen hatte und wollte keine Minute hinauszögern, damit Mr. Kimberley nicht sauer auf sie war. Als sie die Burg gerade betreten hatte, stolperte sie und ihr Koffer fiel mit einem lauten Geräusch auf den Boden. Der gesamte Inhalt verstreute sich wie eine Sintflut in der Vorhalle und Cassandra fluchte lautstark. Ausgerechnet wenn sie es eilig hatte, musste sie stolpern. Konnte so etwas nicht an einem anderen Tag passieren? Schließlich wollte sie so wenig Zeit wie möglich verschwenden, da sie doch Besserung gelobt hatte. Hastig sammelte sie ihre Kleidungsstücke wieder ein und stopfte sie achtlos in den Koffer zurück. Genau in diesem Moment trat Mr. Kimberley aus seinem Büro und blickte in ihre Richtung. Hastig verschloss sie ihren Koffer und ging ihm mit geröteten Wangen entgegen. „Da bin ich wieder“, meinte sie verlegen und hob zum Gruß kurz ihre Hand. „Das sehe ich“, schmunzelte George und begutachtete den Koffer aus dem an manchen Stellen Kleidungsstücke rauslugten. Irgendwie schien er ein Spiegelbild ihrer selbst zu sein. Denn der Koffer sah genauso ungebändigt aus wie sein Besitzer. „Bring erst einmal die Sachen in dein Zimmer und ruh dich aus. Wie ich von deinen Eltern hörte warst du in den Ferien besonders fleißig, deshalb brauchst du heute nicht am Unterricht teilzunehmen, ich stelle dich frei. Das wird sonst zu hektisch.“ Cassandra wunderte sich zwar ein wenig, dass ihre Eltern Mr. Kimberley über ihre Arbeitswut informiert hatten, nickte aber trotzdem freudig und lief zur Treppe. Kopfschüttelnd blickte George ihr hinterher. „Lauf nicht so schnell, sonst fällst du womöglich noch“, rief er besorgt, aber das hörte sie schon nicht mehr. Sie wollte so schnell wie möglich auf ihr Zimmer, um ihre Kleidung zu verstauen. Sie wollte fertig werden ehe es zur ersten Pause schellte. Sie musste ihrer Freundin Lisa unbedingt von ihrer zauberhaften, kleinen Schwester erzählen. Es gab einfach kein hübscheres und anmutigeres Kind, als ihre kleine Alafair. Allein bei dem Gedanken an diese süßen blauen Augen wurde ihr ganz warm ums Herz. Dieses kleine Mädchen hatte mit einem einzigen Blick ihr Herz erobert. Als es endlich zur Pause schellte, raste Cassandra wie ein geölter Blitz in die Vorhalle. Sie kugelte sich fast den Arm aus, als sie Lisa wild zuwinkte. Wie zwei seit Jahren getrennte Zwillinge fielen sie sich in die Arme und begrüßten sich nach dieser langen Trennung. Sie hatten sich so viel zu erzählen, dass die Pause für all das überhaupt nicht ausreichte. Während Cassandra noch überschwänglich von Alafair erzählte läutete bereits die Schulglocke und zitierte damit die Schüler zurück in den Unterricht. Doch die beiden jungen Frauen ließen sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Munter quatschten sie weiter.  „Sobald Mum mir Fotos geschickt hat, kannst du meine kleine Alafair sehen. Sie ist ein wahrer Engel“, schwärmte Cassandra und blickte Lisa mit leuchtenden Augen an. Sie war so überglücklich, es gab einfach nichts was ihr diesen wundervollen Tag verderben konnte. „Ich kann es kaum erwarten, die Kleine zu sehen. Vielleicht können wir sie zu unserem Maskottchen machen.“ Die jungen Frauen lachten übermütig und knufften sich gegenseitig in die Rippen, als sie von einer dunklen Stimme unterbrochen wurden. „Was genau treibt ihr zwei hier eigentlich? Der Unterricht hat bereits angefangen.“ Hastig sprang Lisa auf und rannte mit hochrotem Kopf davon, während Cassandra mit Unbehagen in Toms Augen sah. „Dir ist schon klar, dass der Unterricht beginnt, wenn die Glocke läutet oder?“, meinte er vorwurfsvoll. Grimmig funkelte Cass ihn an. Schließlich hatte Mr. Kimberley sie für heute freigestellt und deshalb konnte sie machen was sie wollte. „Ich muss heute nicht zum Unterricht“, blaffte sie und reckte herausfordernd ihr Kinn nach vorne und verschränkte dabei ihre Arme vor der Brust. Streng musterte Tom sie und verengte böse die Augen. „Das ist mir bekannt, allerdings gilt diese Ausnahme nur für dich und nicht für deine Freundin“, konterte er. Verlegen ließ Cassandra ihre Arme sinken. Daran hatte sie gar nicht gedacht und nun bekam Lisa ihretwegen sicher Schwierigkeiten. Das hatte sie nicht gewollt. Kaum war sie wieder im Internat bereitete sie allen nur Kummer und Ärger. Dabei hatte sie doch Besserung gelobt. „Entschuldige, wir waren so in unser Gespräch vertieft, dass wir die Glocke nicht gehört haben. Ich hoffe Lisa bekommt jetzt keinen Ärger.“ Ziemlich zerknirscht blickte sie Tom an, da sie wieder einmal in ein Fettnäpfchen getreten war. Es hätte ihr klar sein müssen, dass Mr. Kimberley Tom informiert hatte. Aufgrund ihrer Gedankenlosigkeit war Lisa nun in Schwierigkeiten. Verlegen wickelte Cass eine Haarsträhne um ihren Finger, was auch Tom nicht entging. „Ich werde sehen, ob ich da etwas machen kann, aber das bleibt eine Ausnahme, verstanden?“, knurrte er. Stürmisch fiel Cassandra ihm um den Hals. Sollte er ruhig knurren wie ein alter Hund. Dass er das für sie tun wollte bedeutete ihr sehr viel und machte sie unglaublich glücklich. Freudestrahlend blickte sie ihn an und entschied sich dazu ihm zu verzeihen, dass er nicht zu ihr gestanden hatte, als Mr. Kimberley sie vor die Tür gesetzt hatte. Vielleicht hatte er ja gar keine andere Möglichkeit gesehen. Schnell drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und lächelte spitzbübisch, weil sie etwas Verbotenes getan hatte. „Vielen Dank, das ist echt fair von dir.“ Tom lächelte, da Cassandra es immer wieder schaffte seine Laune zu heben. Und auch wenn sie die letzten Wochen kaum ein Wort mit ihm gesprochen hatte, konnte er ihr nicht länger böse sein. „Lass uns in mein Büro gehen, da können wir uns in Ruhe unterhalten und du erzählst mir von deinen Ferien.“ Cassandra nickte aufgeregt und fing schon unterwegs an zu erzählen. Die Geburt ihrer Schwester war ein so aufregendes und einschneidendes Erlebnis gewesen, dass sie es mit ihrem Freund teilen wollte. „Ich muss dir unbedingt von meiner kleinen Alafair erzählen“, schwärmte sie. „Sie ist so süß, wenn sie einen mit ihren kleinen blauen Knopfaugen ansieht, als könnte sie ganz tief in mich hineinschauen. Ally ist ein so kluges Kind.“ „Das kannst du doch noch gar nicht feststellen“, warf Tom ein, doch seine Worte blieben ungehört, da Cass einfach weitersprach. „In ihren Augen liegt so viel Gefühl und diese kleinen Händchen…“ Cass seufzte verträumt und ließ sich in Toms Sessel plumpsen, kaum dass sie in sein Büro getreten war. „Ich möchte auch mal eine ganze Horde davon haben“ strahlte sie und blickte Tom auffordernd an, in der Hoffnung er würde ihr zustimmen. Allerdings blieb die erwartete Zustimmung aus, da er nur fragend die Stirn runzelte. „Bist du nicht noch ein wenig zu jung, um dir darüber schon Gedanken zu machen?“ „Willst du denn keine Kinder?“, fragte sie beleidigt und zog einen süßen Schmollmund. Tom lächelte milde und zog sie kurzerhand in seine Arme. „Natürlich Kleines. Wenn du deinen Abschluss gemacht und einen ordentlichen Beruf gefunden hast, dann unterhalten wir uns noch mal darüber. Einverstanden?“ Cassandra nickte widerwillig und seufzte innerlich. Sie hatte das Gefühl Tom wich ihr bei diesem Thema aus. Vielleicht wollte er ja gar keine Kinder und traute sich nur nicht darüber zu reden. Das störte sie zwar, aber sie wollte deswegen jetzt keinen Streit vom Zaun brechen. Außerdem hatte sie noch genügend Zeit ihn davon zu überzeugen wie wichtig ihr eine große Familie war. Und wenn er Ally erst einmal gesehen hatte würde er seine Meinung schon ändern.

Der Vertretungslehrer

Am nächsten Tag in der ersten Pause kam Lisa aufgeregt angerannt. „Cass hast du ihn schon gesehen. Er ist wieder da.“ Völlig aus dem Häuschen zerrte sie ihre Freundin hinter sich her. „Wer ist wieder da?“ Fragend blickte Cassandra Lisa an und die verdrehte gespielt genervt die Augen. „Kevin natürlich“, sagte sie so, als hätte ihre Freundin ihre Gedanken lesen müssen. „Er ist jetzt Dozent hier im Internat.“ Cassandras Kinnlade klappte herunter und sie starrte Lisa wie einen verwunschenen Frosch an. „Wow“, zu mehr Worten war sie gerade nicht fähig, da sie völlig perplex war. Allerdings war sie auch ein wenig beleidigt, dass Kevin es ihr nicht selbst gesagt hatte. Schließlich waren sie immer noch befreundet und telefonierten gelegentlich miteinander oder schrieben sich Briefe. Aber vielleicht wollte er sie damit auch nur bestrafen, weil sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Lisa plapperte einfach weiter ohne zu registrieren wie beleidigt ihre Freundin dreinsah. „Er unterrichtet eine der Unterstufen. Wir werden leider nicht in den Genuss seiner Fähigkeiten kommen. Was irgendwie schade ist, ich hätte ihn gern ein wenig geärgert.“ Cassandra atmete erleichtert auf. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet. Sie hätte nicht gewusst wie sie sich verhalten sollte, wenn sie plötzlich mit Kevin Unterricht gehabt hätte. Schließlich waren sie mal ein Paar gewesen. Wer weiß was Mr. Kimberley davon hielt, wenn sie seinen Sohn während des Unterrichts duzte, obwohl er ihre Beziehung zueinander kannte. Da er aber prinzipiell etwas gegen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern hatte ahnte sie, dass er nicht erfreut sein würde. Deshalb war es wirklich gut, dass Kevin die Unterstufe unterrichtete. Langsam fand Cass auch ihre Sprache wieder, und die beiden Freundinnen setzten sich zum Schwatzen in den kühlen Schatten eines Baumes. Cassandra lachte befreit. „Es wäre mir echt ultraunangenehm, wenn Kevin mich unterrichtete“, grinste sie und blies mit einem lauten Geräusch die Luft aus ihren Lungen. „Das kann ich mir vorstellen“, meinte Lisa mitfühlend und strich ihrer Freundin aufmunternd über den Arm. „Aber zum Glück ist ja alles in Ordnung“, meinte sie beruhigend. „Naja, wenigstens beinahe“, warf Cass traurig ein. Lisa ahnte was los war, da sie nun in verschiedenen Klassen waren, weil Cassandra sitzengeblieben war. „Ist es so schlimm in der neuen Klasse?“, fragte sie mitfühlend und musterte ihre Freundin eingehend. Cass hielt ihre Gefühle natürlich nicht hinterm Berg. Sie seufzte herzzerreißend und hob hilflos ihre Schultern. „Es ist einfach schrecklich. Die sind alle so langweilig und es gibt niemanden mit dem ich mich unterhalten oder Spaß machen kann. Ich vermisse unsere gemeinsame Zeit.“ „Es geht mir genauso. Ohne dich ist es in der Klasse ziemlich erbärmlich.“ Nachdenklich kaute Lisa an ihrer Unterlippe und grinste auf einmal spitzbübisch. „Kannst du dich nicht während des Unterrichts loseisen und mich unter einem Vorwand besuchen kommen?“ Was als Scherz gemeint war, kam allerdings längst nicht so gut an wie gedacht, denn Cassandras Gesicht spiegelte plötzlich blankes Entsetzen wider. „Bist du völlig verrückt geworden? Ich bin auf Bewährung. Mr. Kimberley schmeißt mich glatt raus, wenn ich das mache.“ Verstohlen blickte sich Cass um. Sie hätte es nicht ertragen können, wenn Mr. Kimberley Lisas Aussage gehört hätte. Doch es war zum Glück kein Lehrer in ihrer unmittelbaren Nähe. Innerlich atmete Cass auf und blickte ihre Freundin zerknirscht an. „Bitte sei nicht böse. Wir sehen uns ja immerhin noch in den Pausen.“ Cassandras Blick war nahezu flehend und hoffnungsvoll zugleich. Freundschaftlich knuffte  die Seite und lächelte schelmisch. „Ich habe doch nur Spaß gemacht. Glaubst du im Ernst ich würde so etwas von dir verlangen? Schließlich möchte ich nicht, dass meine beste Freundin von der Schule fliegt.“ Tröstend legte sie einen Arm um Cassandras Schulter. „Wir sehen uns sooft wir können, versprochen, und dann ärgern wir die Jungs. Das macht sicher eine Menge Spaß.“ „Gute Idee“, meinte Cass nun um einiges fröhlicher als zuvor. „Mit irgendwem muss ich ja meine Scherze treiben.“ Plötzlich kam ein Mädchen aus der Mittelstufe auf sie zu und grinste unverschämt. „Bist du Cassandra Benedict?“, fragte sie geradeheraus und konnte die Antwort kaum erwarten. Stirnrunzelnd nickte Cass, da sie sich dieses überhebliche Grinsen nicht erklären konnte, dass diese Göre an den Tag legte. „Ich würde mir ja gerne von dir ein Autogramm geben lassen, aber ich bin mir nicht sicher, ob du deinen Namen schreiben kannst.“ Zornig sprang Cassandra auf und schwang bedrohlich ihre Fäuste. Sie würde sich bestimmt nicht von so einer mickrigen Zicke anmachen lassen. Beruhigend legte Lisa ihr eine Hand auf den Arm und warf ihr einen warnenden Blick zu. „Denk an dein Versprechen“, mahnte sie und blickte dann die Mittelschülerin böse an. „Wenn dir dein Leben lieb ist, verschwinde besser von hier.“ Das Mädchen lachte laut über diese Aussage. Sie hatte keine Angst, denn sie war es gewohnt sich zu verteidigen. „Wie ist es denn so mit der dümmsten Schülerin der Schule befreundet zu sein? Hoffentlich ist das nicht ansteckend.“ „Jetzt reicht es!“, fauchte Cassandra und flog wie eine Furie nach vorne, packte das Mädchen und schüttelte es grob. „Du hast wohl in der Kaba Dose geschlafen! Glaubst du ich lass mir deine Gemeinheiten einfach so gefallen! Ich prügele dich bis zum Mond wenn es sein muss!“ Das Mädchen trat ohne große Anstrengung beiseite und grinste weiterhin unverschämt. „Ich habe nur eine Tatsache ausgesprochen und jetzt rück mir von der Pelle, ich will mir nicht deine Blödheit einfangen!“ In Lisa keimte ein Verdacht auf. Vielleicht hatte irgendjemand Gerüchte in die Welt gesetzt, denn ohne Grund kam doch niemand auf die Idee so eine Aussage zu tätigen. „Wie kommst du eigentlich auf diesen Schwachsinn“, hakte sie nach. Hochnäsig hob die Mittelschülerin ihr Kinn, griff in ihre Tasche und klatschte Lisa einige Blätter Papier in die Hand. „Dieser Prüfungsbogen und das Zeugnis deiner Freundin sprechen wohl für sich. Selbst Knäckebrot ist intelligenter als die da.“ Sie zeigte kurz mit ihrem Finger auf Cassandra und schwebte danach hoheitsvoll davon. Wenn Lisa ihre Freundin nicht festgehalten hätte, dann wäre diese Auseinandersetzung in einer Prügelei ausgeartet. „Lass sie laufen, ich glaube sie trägt nicht die Schuld dafür. Sie dir lieber mal diese Blätter an. Irgendjemand hat Kopien von deiner Prüfung und deinem Zeugnis gemacht. Deshalb kichert auch jeder, der an dir vorbeigeht oder zeigt mit dem Finger auf dich.“ Wütend ballte Cassandra ihre Hände und sagte nur ein einziges Wort, dass ihr dazu einfiel. „Malvina!  Sprachlos vor Wut zerknüllte sie die Blätter und pfefferte sie auf den Boden. Sanft zog Lisa ihre Freundin beiseite um ihr ins Gewissen zu reden. „Hör zu, mach keinen Blödsinn um dich an ihr zu rächen. Du weißt, du stehst unter Beobachtung und ich möchte nicht, dass diese blöde Ziege gewinnt, weil sie mit ihrer Intrige Erfolg hatte. Du bist stärker als sie, also ignorier diese Idioten, die bestimmt kein besseres Zeugnis haben als du. Du wirst deine Noten verbessern und dann kopiere ich dieses Zeugnis und verteile es an all die Idioten, die heute gelacht haben, okay?“ Die freundlichen Worte von Lisa legten sich wie Balsam auf Cassandras geschundene Seele und beruhigten sie zusehends. „Was sollte ich nur ohne dich machen“, sagte sie. „Du findest immer die richtigen Worte um mich zu beruhigen.“ Ehe Lisa antworten konnte, schrillte die störende Schulglocke. Lisa seufzte, da die schöne Pause nun vorbei war und der Unterricht wieder begann. „Wir sehen uns in der nächsten Pause, meine Süße.“ Winkend lief sie davon und auch Cassandra machte sich auf den Weg, da sie die nächste Stunde mit dem Direktor Sozialkundeunterricht hatte. Für Mr. Kimberley war Pünktlichkeit von besonderer Wichtigkeit, also wollte sie sich auch daran halten. Cassandra setzte sich auf ihren Platz und seufzte leise. Sie fühlte sich unwohl in der neuen Klasse, da ihr alle Mitschüler noch fremd waren und sie nicht gerade den Eindruck hinterließen sie willkommen zu heißen. Sie saß neben einem stillen Mädchen namens Felicitas Rodriguez. Sie hatte pechschwarze Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Ständig kaute sie an ihrem Stift und notierte sich eifrig was der Lehrer sagte. Cassandra hatte ein paar Mal versucht ein Gespräch mit ihr zu beginnen, aber Felicitas ignorierte sie einfach, da sie dem Lehrer zuhören wollte. Verloren starrte Cass umher, um anschließend den Kopf gelangweilt auf ihrer Hand abzustützen. Es war scheußlich in der neuen Klasse. Niemand schien sie zu mögen und jeder war nur auf sich fixiert. Das war einfach nur öde. George bemerkte die Zurückhaltung ebenfalls, da er jedes seiner Schäfchen ziemlich gut kannte. Allerdings wusste er auch, dass Cassandra das schon regeln würde. Sie war eine starke Persönlichkeit, auch wenn man ihr manchmal die Richtung weisen musste. Er hielt wirklich eine Menge von ihr und hoffte, dass sie auch ihre Wut bald unter Kontrolle bekam. Von einem erneuten Antiaggressionstraining hatte er abgesehen, da das bei Cassandra mit einer Gruppe nicht funktionierte. Er arbeitete bereits an einem Plan wie er in so einem Fall verfahren konnte, aber der steckte noch in der Aufbauphase. Cassandra starrte bemüht konzentriert nach vorne, da sie nicht den Eindruck erwecken wollte unaufmerksam zu sein, obwohl das Fach ziemlich langweilig war. Der Unterricht schien sich wie Kaugummi zu ziehen und sie dachten schon, dieses schreckliche Fach fände nie ein Ende. Doch zum Glück endete der Alptraum, als die Schulglocke die nächste Stunde einläutete. Als nächstes hatten sie mit Mr. McCall Mathematik. Das war zwar auch nicht das schönste Fach, aber es war abwechslungsreicher als Sozialkunde. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und ein fremder Mann mit goldbraunen Haaren, in einem gepflegten schwarzen Anzug und einer Aktentasche in der Hand trat ein. Der Mann war groß und schlank und mit seinen grünbraunen Augen fixierte er jeden Schüler sehr eindringlich. Verwundert blickten sich die Jugendlichen an. Niemand kannte den Lehrer, obwohl Cassandra das Gefühl hatte ihn schon einmal gesehen zu haben. Aber das war ja völlig unmöglich, da er offensichtlich neu an dieser Schule war. Er war sehr elegant gekleidet und hinterließ einen vornehmen und reservierten Eindruck. „Guten Tag Ladies and Gentleman. Mein Name ist Alan Turner, ich vertrete Mr. McCall, solange er im Krankenhaus verweilt.“ Pures Entsetzen breitete sich in den Gesichtern der Schüler aus, da Mr. McCall bei allen sehr beliebt war und niemand bemerkt hatte, dass er krank geworden war. „Was ist ihm denn passiert?“, rief eine Schülerin aus der zweiten Reihe in die Klasse und blickte den Lehrer unverhohlen neugierig an. Mr. Turner zog eine Augenbraue hoch und musterte die Schülerin mit seinen stechenden, grünbraunen Augen missbilligend. Er konnte es partout nicht leiden, wenn ein Schüler unaufgefordert sprach, das war ungehörig und das würde er sicher nicht dulden. Dennoch unterließ er es das Kind zu rügen, da es seine Regeln bisher noch nicht kannte. Also tat er das einzige was er für richtig hielt und beantwortete die gestellte Frage. „Mr. McCall hat gesundheitliche Probleme und unterzieht sich einer längeren Routineuntersuchung“, meinte er kurz und knapp während er seine Aktentasche auf den Boden stellte. Mr. Turner hielt es für besser nicht von dem Herzinfarkt seines Kollegen zu sprechen, da er die Kinder nicht unnötig beunruhigen wollte. Prüfend glitt sein Blick über die Schüler und er hatte das Gefühl eine Anhäufung wildwüchsigen Unkrauts vor sich zu haben. Niemand saß gerade auf seinem Platz und einige schienen sogar zu schlafen. Alan unterdrückte ein Seufzen. Da hatte er ja noch einiges zu tun. „Dann werde ich hier erst einmal ein paar Richtlinien festlegen“, erklärte er mit lauter Stimme und weckte damit auch den letzten verschlafenen Schüler aus seinem Traum. „Es wird keine Frage einfach in den Raum geworfen. Wenn sie etwas wissen möchten heben sie bitte ihre Hand und antworten erst, wenn sie von mir dazu aufgefordert werden. Außerdem werden sie sich jedes Mal, wenn ich den Raum betrete erheben. Platz nehmen dürfen sie erst dann wieder, wenn ich sie begrüßt habe und es ihnen gestatte. Außerdem wünsche ich, dass sie sich gerade hinsetzen, damit sie im Unterricht aufmerksam bleiben.“ Streng blickte er einen Jungen an, der in der ersten Reihe wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf seinem Stuhl hing. Erschrocken setzte sich der Schüler in eine aufrechte Position und blickte den Dozenten furchtsam an, da er eine Strafe befürchtete, doch dazu kam es gar nicht erst, da Cassandra die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich zog. „Was soll das denn für ein Quatsch sein?“, brüllte sie in die Klasse, sprang auf und stemmte erbost ihre Arme in die Hüften. Dieser Lehrer kam ihr gerade Recht, um ihre aufgestaute Langeweile loszuwerden. Vielleicht konnte sie ihn zur Weißglut treiben und den Unterricht so um einiges interessanter gestalten. „Das verlangt hier sonst niemand“, fuhr sie fort und beobachtete haargenau jede Reaktion des Mannes. Eine Augenbraue des Lehrers schob sich gefährlich nach oben während er sich wie in Zeitlupe zu ihr umdrehte und sie prüfend ansah. Selbst diese Drehung wirkte elegant und passte zu seinem gesamten Auftreten. „Wie ist ihr Name?“, fragte er schneidend und blickte die blonde Schülerin mit den blonden Haaren aus zusammengekniffenen Augen kalt an. „Cassandra Benedict“, ertönte es aufmüpfig. Streitlustig reckte sie ihr Kinn nach vorne und wartete gespannt darauf wie der neue Lehrer reagierte. Alan erkannte auf einen Blick was mit der jungen Frau los war. Sie wollte ihn provozieren, um dem Unterricht zu entkommen, aber da war sie bei ihm an der falschen Adresse. „Dann werden sie sich wohl neu orientieren müssen, verehrte Miss Benedict. Meine Direktive lautet: Sie stehen auf, wenn ich eintrete und sie setzen sich erst wieder, wenn ich es ihnen gewähre. Haben sie das verstanden, oder soll ich es ihnen illustrieren?“ Kalt lächelnd blickte er die junge Frau an, die dieses autoritäre Getue nun gar nicht leiden konnte und deshalb ihrer Wut freien Lauf ließ. Ohne darüber nachzudenken ging sie wütend ein paar Schritte in Richtung des Dozenten und spießte ihn mit ihren Blicken auf. „Ich denke gar nicht daran, so einen Schwachsinn zu befolgen!“ Zornig stampfte sie mir ihrem Fuß auf, während sie den Lehrer giftig anfunkelte. In der Klasse war es mit einem Mal mucksmäuschenstill, da jeder wusste was so eine Auseinandersetzung mit einem Lehrer für Konsequenzen hatte. Um eine saftige Strafe würde Cassandra sicher nicht herumkommen und wahrscheinlich würde der neue Dozent jeden Augenblick explodieren. Ängstlich blickte die Klasse von einem zum anderen. Diese Frechheit konnte nur Ärger bedeuten und damit hatten sie vollkommen Recht. Alan bebte vor Zorn. Er ließ sich ganz sicher nicht von einer Schülerin belehren. Seine Augen funkelten gefährlich und er kam plötzlich mit schnellen und bedrohlichen Schritten näher. Damit hatte Cassandra nicht gerechnet, sie hatte vielmehr geglaubt, dass dieser Turner sich über sie beschweren würde. Sie schluckte schwer. Sie hatte gar nicht bedacht was geschah, wenn der neue Dozent sich über sie beschwerte. Mr. Kimberley würde sie in der Luft zerreißen und in alle vier Himmelsrichtungen verstreuen. Doch darum brauchte sie sich nun wirklich keine Gedanken zu machen, da Alan Turner seine Angelegenheiten gern selbst regelte. Eingeschüchtert wich Cassandra jeden Schritt zurück, den der Dozent näher auf sie zukam. Dieser Mann hatte etwas Furchteinflößendes an sich und ihr Verstand riet ihr Vorsicht walten zu lassen, um nicht noch mehr in Schwierigkeiten zu geraten. Automatisch setzte sie sich wieder auf ihren Platz und sah den Dozenten respektvoll von unten herauf an. Sie war beeindruckt davon, wie schnell er sie in die Knie gezwungen hatte und gleichzeitig machte es sie auch furchtbar wütend. Am liebsten wäre sie wieder aufgesprungen, nur um ihm zu zeigen, dass er nicht gewonnen hatte. Sie spürte wie ihr Zorn erwachte und wie ein schleichendes Gift träge durch ihren Körper floss. Diese Glut würde Besitz von ihr ergreifen und dann war alles verloren. Dadurch würde sie wieder einmal kopflos handeln und das durfte einfach nicht geschehen. Gegen dieses Gefühl musste sie unbedingt ankämpfen, es durfte nicht die Oberhand gewinnen. Cass wollte auf gar keinen Fall die Kontrolle verlieren und sich dadurch ihre ganze Zukunft verbauen. Von oben herab blickte Alan sie zornig an. Noch nie in seinem Leben hatte sich ihm jemand widersetzt und er würde es auf gar keinen Fall dulden, dass jemand seine Autorität untergrub. Das hatte es nie gegeben und würde auch so bleiben. „Miss Benedict, ich habe da ein altes Hausmittel gegen Gehorsamsverweigerung. Ab sofort werden sie täglich bei mir nachsitzen. Von montags bis samstags jeweils um 20 Uhr und am Sonntag um 7 Uhr morgens. Vorerst für zwei Wochen. Ist das in ihrem Großhirn angekommen?“, zischte er ungehalten. Cassandra nickte stumm, da ihr der Lehrer Angst einflößte. Er hatte so etwas Dunkles und unnahbares an sich, was unangenehme Gefühle in ihr auslöste. Vielleicht wäre es besser gewesen ihre große Klappe zu halten, dann hätte sie sich diesen Ärger erspart, aber auf der anderen Seite fühlte sie sich ungerecht behandelt und das konnte sie sich einfach nicht gefallen lassen. Ohne weiter auf Cassandra zu achten, fing Alan mit dem Unterricht an. Er war sich sicher von nun an die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Schüler zu haben, da niemand während der Auseinandersetzung, auch nur einen Einwand erhoben hatte. Dennoch hielt er es für ratsam die junge Frau während des Unterrichts im Auge zu behalten, da er keine weiteren Störungen dulden würde. Doch Cassandra wagte es nicht auch nur einen Ton von sich zu geben, da der Lehrer sie völlig verunsichert hatte. Da waren einfach zu viele Gefühle auf einmal die wie eine Welle über ihr zusammenschlug und sie konnte diese einzelnen Empfindungen einfach nicht richtig auseinanderpflücken. Es war wie ein Puzzle das sie erst wieder zusammensetzen musste, nachdem es auf den Boden gefallen war. Das einzige Gefühl was mit seiner ganzen Präsenz in ihr geblieben war, war ihre unglaubliche Wut darüber, dass dieses arrogante Arschloch von einem Lehrer sie in die Knie gezwungen hatte. Das kratzte sosehr an ihrem Ego, das sie nach dem Unterricht den anderen Schülern nicht in den Speisesaal folgte, sondern bei Mr. Kimberley an die Tür klopfte. George lächelte Cassandra freundlich an und bat sie in sein Büro. Es freute ihn, dass sie ihm so viel Vertrauen entgegenbrachte, dass sie mit einem Anliegen zu ihm kam.