Tränen im Herzen - Melanie Kienast - E-Book

Tränen im Herzen E-Book

Melanie Kienast

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Beschreibung

Cassandra ist sechszehn Jahre alt und lebt in einem Internat. Inzwischen fühlt sie sich dort sehr wohl, doch ihr Glück wird getrübt als ihre Vergangenheit sie einholt. Der Junge, der sie in ihrer Kindheit gemobbt hat kommt in ihre Klasse, ebenso wie eine alte Feindin, die noch eine Rechnung mit ihr offen hat. Verzweifelt wehrt sie sich gegen die wiederkehrenden Intrigen. Wird sie ihre Feinde wirklich bezwingen? Und was hat es mit diesem neuen Klassenlehrer auf sich? Ständig fühlt sie sich von ihm provoziert und reizt ihn deshalb bis aufs Blut. Außerdem findet sie endlich einen Weg zu dem geheimnisvollen Schatz.

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Seitenzahl: 432

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Tränen im Herzen

TitelseiteDer Tag nach den FerienHarte ZeitenOrdnung muss seinGewässert und gefedertMalvinaDrogenEin guter RatschlagDie innere StimmeSeelenqualenDer Knoten löst sichAusflug zum SpielzeugmuseumKunterbunter SpaßMoorpackungFriedensangebotErwischtInterpretationssacheRachepläneUnbändige WutDie BerghütteJede Menge SchneeUngewollte GefühleNoch einmal davongekommenUnangenehme BesprechungDas GerüchtDie WeihnachtsfeierEifersuchtEine überraschende ErkenntnisGeheime WegeSchatzsucheDas alte GrauenRückfälligSchwermütigAuf glühenden KohlenEndlich freiAus Feinden werden FreundeEin neues SpielSchatzsuche 2.0Hartnäckigkeit ist angesagtSehnsuchtRutsch ins UngewisseWieder über der ErdeMutig voranEin paar Schritte zu wenigJudas KussNur tote Fische schwimmen mit dem StromEine harte LektionStrafpredigtEine dumme IntrigeBlinde WutStreitgesprächKonsequenzImpressum

Tränen im Herzen

Der Tag nach den Ferien

Bald schon war es so weit und Cassandra quälte sich an ihrem letzten Ferientag mühsam aus dem Bett. Zum Frühstücken kam sie gar nicht erst, da sie so viel Zeit vertrödelt hatte. Also musste sie wieder einmal hungrig ins Internat fahren. Sie hatte noch die Hoffnung gehegt ihre Eltern überlegten es sich anders und schickten sie nicht wieder in diese Schule, aber das war wohl ein Irrtum gewesen. Schweigend saß sie während der Fahrt auf dem Rücksitz und bemitleidete sich wieder einmal selbst. Sie sah nicht ein, dass ihr Verhalten der Auslöser für die ganze Situation war in der sie steckte und so lange sie das nicht begriff machte sie sich ihr Leben nur selbst schwer.

Brummend stieg Cassandra, nach der Ankunft im Internat, aus dem Wagen. Ihre letzte Hoffnung auf Freiheit war verpufft wie eine Parfümwolke. Sie hätte genug Gelegenheiten gehabt abzuhauen, doch sie hatte keine davon ergriffen. Nun war sie wieder in ihrem Gefängnis, in dem es ihr trotz allem eigentlich ziemlich gut ging. Es war nur die Art und Weise wie sie hierhergekommen war, die ihr auf die Nerven ging. Manchmal hatte sie das Gefühl ein Stück Sperrmüll zu sein und ihre Eltern hatten sie einfach ausrangiert und mehr Platz für ihre eigenen Bedürfnisse zu haben.

Cassandra nahm ihren Koffer aus dem Kofferraum und winkte ihren Eltern trotz allem zum Abschied zu, was ihre Mutter mit großer Freude bemerkte. Immerhin einige positive Auswirkungen hatte das Internat auf ihre Tochter gehabt, sie war ein wenig zugänglicher geworden, ihre Noten hatten sich um einiges verbessert und sie hörte zu wenn jemand mit ihr sprach. Natürlich gab es weiterhin Schwierigkeiten damit, dass sie den Anweisungen ihrer Eltern nicht Folge leistete, doch im Großen und Ganzen war die familiäre Situation besser geworden. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren und die Trotzphase ihrer Tochter endete schon bald. Julia und Adrien vertrauten da ganz auf Mr. Kimberley, schließlich hatte er bisher mehr geschafft als jede andere Schule.

Als der Toyota ihrer Eltern das Internatsgelände verlassen hatte, drängte sich Cassandra zusammen mit den anderen Schülern in die Burg, um zu ihrem Zimmer zu gelangen. Morgen ging der Alltagsstress wieder los und darauf hatte sie absolut keine Lust. Aber was konnte sie schon dagegen machen. Rein gar nichts. Missmutig packte sie ihre Sachen in den Schrank und rannte anschließend zu ihrer besten Freundin Lisa, schließlich hatten sie einander wochenlang nicht gesehen. Wie zwei ausgehungerte Wölfe vielen sie übereinander her und konnten sich gar nicht genug umarmen. Sechs Wochen waren eine ziemlich lange Zeit und da hatten sie einen unglaublichen Nachholbedarf. Sie schwatzten und redeten den Rest des Tages über all ihre Erlebnisse und ihre Gefühle. Sie hatten sich wirklich eine Menge zu erzählen.

„Weißt du ich hatte schon wieder Krach mit meinen Eltern. Die nerven echt total. Ständig haben die was zu meckern“, maulte Cassandra und verdrehte genervt ihre Augen.

„Deshalb bin ich die meiste Zeit mit ein paar Freunden durch die Stadt gezogen und wir haben Passanten geärgert. Das war echt geil.“

Cassandra warf sich auf Lisas Bett und grinste breit.

Lisa, die wie immer neugierig war, hing gebannt an ihren Lippen und konnte es kaum erwarten alles zu erfahren.

„Los erzähl schon, was habt ihr angestellt?“

Ungeduldig stieß sie ihre Freundin an und machte ein gespielt mürrisches Gesicht. Cass lachte über dieses Auftreten, es war wirklich schön wieder bei ihr zu sein. Sie winkte sie näher zu sich heran, um ihr alles im Flüsterton zu erzählen, damit kein Lauscher von draußen etwas mitbekam.

„Einmal haben wir einem älteren Ehepaar Knallfrösche vor die Füße geworfen. Mein Gott was konnten die springen.“ Cassandra lachte laut und schlug sich dabei fröhlich auf die Schenkel. „Das war so geil, du hättest daran sicher deinen Spaß gehabt. Aber es kommt natürlich noch besser.“ Wieder senkte sie ihre Stimme zu einem Flüstern.

„Bei einem jüngeren Paar haben wir uns den Spaß erlaubt ihre Fahrräder auf eine Laterne zu hängen. Die Gesichter hättest du sehen sollen. Der Alte von ihr ist wie ein Irrer hinter uns her gerannt, weil wir uns das Grinsen nicht verkneifen konnten, aber er hat keinen von uns erwischt. Ferien sind was tolles, wenn man sie mit seinen Freunden verbringen kann“, schwärmte sie und legte sich nun lang auf das Bett und starrte gegen die Decke. Lisa hätte auch so gerne an diesem Treiben teilgenommen, bei ihr war es immer nur der gleiche Trott, deshalb blickte sie ihre Freundin neidisch an.

„Da hattest du wohl eine Menge Spaß. Wir haben dagegen eher langweiliges Zeug gemacht, wie schwimmen zu gehen oder zu wandern. Außerdem sind meine Cousins zu Besuch gekommen und wir haben im Garten eine Wasserschlacht veranstaltet, sogar mein Dad hat mitgemacht.“

Nun war auch Cassandra neidisch, denn sie konnte mit ihrer Familie nie etwas unternehmen. Das Einzige, was sie gemeinsam taten, war streiten. Deshalb wechselte Cass kurzerhand das Thema.

„Sag mal, weißt du eigentlich, wer unser Klassenlehrer wird?“

Lisa schüttelte energisch den Kopf, so dass ihr blonder Pferdeschwanz wie das Pendel einer Uhr hin und her schwang.

„Mir ist noch nichts zu Ohren gekommen. Soweit ich weiß hat Mr. Kimberley die Lehrerverteilung komplett geändert. Es könnte wirklich jeder unser Klassenlehrer werden, sogar Mr. Parker“, grinste Lisa und Cassandra funkelte sie spitzbübisch an.

„Damit du ihn weiterhin heimlich anschmachten kannst? Der ist doch viel zu alt für dich.“

Cassandras Gedanken sprangen zurück zum Anfang ihres Gespräches, denn die Ungewissheit quälte sie regelrecht. „Womöglich weiß Mr. McCall etwas oder er ist es sogar selbst. Ich sollte ihn fragen.“

Entschlossen sprang sie auf und rannte zur Tür, doch Lisa eilte ihr hinterher und hielt sie am Arm zurück.

„Mensch lass den Quatsch. Du wirst es doch morgen sowieso erfahren, warte doch solange. So wie ich die Lehrer kenne wird dir keiner eine Auskunft geben.“

Cassandra schüttelte demonstrativ den Kopf und befreite sich aus dem Griff ihrer Freundin. Sie konnte einfach nicht so lange warten.

„Nein, ich muss es sofort wissen.“

Erneut machte sie Anstalten zum Lehrerzimmer zu gehen, doch Lisa zog sie gleich wieder zurück.

„Nun mach nicht so einen Aufstand. Auf einen Tag mehr kommt es doch nicht an. Lass uns einfach bis Morgen warten, dann sehen wir es ja.“

Cassandra seufzte herzerweichend, da Geduld nicht gerade ihre Stärke war, dennoch gab sie Lisa zuliebe nach.

„Also gut, dann lass ich mich eben überraschen“, seufzte sie ergeben und warf sich erneut auf Lisas Bett.

Harte Zeiten

Am nächsten Morgen ging die ehemalige Klasse von Mr. Parker automatisch zu ihrem alten Klassenzimmer. Doch dort stand schon eine andere Klasse und wartete auf ihren Lehrer. Ratlos sahen die Schüler einander an. Die andere Klasse wusste nur, dass sie ab sofort Mr. Parker als Lehrer hatten, und hier ihr neues Klassenzimmer war. Und schon wieder war Cassandra drauf und dran ins Lehrerzimmer zu rennen, um sich nach ihrem eigenen Klassenlehrer zu erkundigen, doch der schöne Beau kam ihr zuvor und klärte die Sache auf.

„Ihr werdet euer Klassenzimmer ab sofort in der vierten Etage haben. Ich werde euch aufschließen, da euer neuer Klassenlehrer ein paar Minuten später kommt.“

„Wer ist es denn?“, platzte es aus Cassandra raus, ehe Lisa sie zurückhalten konnte. Beau lächelte und blickte die Schülerin amüsiert an. Er kannte ihre extreme Neugierde, die er mit Sicherheit nicht unterstützen wollte.

„Das Abwarten ist die Stärke der Schwachen, und meist sind sie die Klügeren, denn nicht mit Ungeduld kommt man ans Ziel.“

Cassandra runzelte verwirrt die Stirn. „Häh? Was soll das denn heißen?“

„Warte es einfach ab“, sagte Beau abschließend und öffnete seiner neuen Klasse den Klassenraum im Erdgeschoss. Dann ging er mit seiner alten Klasse in den vierten Stock. Nachdem er auch dort den Raum aufgeschlossen hatte meinte er lächelnd: „Benehmt euch anständig, euer Lehrer kommt bestimmt jeden Augenblick.“

Beau Parker zwinkerte den Jugendlichen zum Abschied zu und verschwand. Er konnte die Kinder ja irgendwie verstehen, aber dieses Mal konnte er ihnen keine Antwort auf ihre Frage geben. Schmachtend blickte Lisa ihm nach und man sah förmlich die kleinen Herzen, die aus ihrem Kopf rausploppten und ihm selig hinterherschwebten.

„Hat jemand eine Idee wen wir als Klassenlehrer bekommen könnten?“, fragte Alexander und blickte neugierig in die Runde. Allgemeines Kopfschütteln und Schultern zucken. Nur Chris glaubte natürlich alles besser zu wissen.

„Wir bekommen garantiert Mr. Kimberley. Ist doch wohl klar“, sagte er und warf sich besserwisserisch in die Brust, gerade so als hätte er eine geheime Informationsquelle. Mit einem Mal ging ein wahrer Wettstreit los. Jeder gab einen Tipp ab, wen er vermutete und immer wusste ein anderer Schüler es natürlich besser. Während ihrer angeregten Diskussion bemerkten sie nicht einmal wie sich die Tür leise öffnete und jemand in den Raum trat und dem Treiben einen momentlang zuhörte.

„Ich wette, dass es Mr. McCall ist!“, rief Peter dazwischen und blickte seine Mitschüler Beifall heischend an. Ehe jedoch irgendjemand etwas erwidern konnte, ertönte plötzlich eine fremde Stimme aus dem Hintergrund, die auch einen Tipp abgab.

„Und ich wette er heißt Tom Cooper!“

Alle drehten sich zur Tür um und starrten den neuen Dozenten ein wenig erschrocken, aber auch neugierig an. Cassandra bekam einen besonders großen Schrecken. Mit offenem Mund starrte sie den Lehrer an und konnte einfach nicht glauben, dass er echt war. Der geheimnisvolle Geist, den sie vor den Ferien schon zweimal getroffen hatte stand da im Türrahmen. Wenn er wirklich der neue Klassenlehrer war, dann konnten sie sich auf etwas gefasst machen. Aus Erfahrung wusste sie wie gemein er werden konnte.

„So, meinen Namen kennt ihr ja jetzt, dann werden wir mal gleich mit dem Unterricht anfangen.“

Mr. Cooper scheuchte die Kinder lächelnd auf ihre Plätze und zog dann sein Jackett aus, um es über seinen Stuhl zu hängen. Tom Cooper war ein großer Mann mit schwarzen kurzen Haaren und strahlenden blauen Augen, die einem bis auf den Grund der Seele zu blicken schienen. Dieses Mal trug der Dozent einen grauen Anzug, was ihn in Cassandras Augen weniger unheimlich erscheinen ließ. Argwöhnisch starrte sie ihn an. Irgendwie fürchtete sie immer noch er sei ein Geist. Sie konnte einfach nicht glauben, dass er menschlich war. So leise konnte sich doch kein Mensch an einen anderen heranschleichen, ohne dass man etwas merkte. Nachdenklich kaute sie an ihren Fingernägeln und wurde erst wieder aufmerksam, als Norbert seine Hand hob, um eine Frage zu stellen.

„Kann ich etwas für dich tun?“, erkundigte sich Mr. Cooper und nahm auf seinem Stuhl Platz.

„Sollen wir uns nicht auch vorstellen, damit sie wissen wer wir sind?“, fragte er verwundert.

Tom lächelte milde, da er mit dieser Frage bereits gerechnet hatte.

„Glaub mir Norbert, ich weiß von jedem wer er ist. Bevor ich diese Klasse übernommen habe, habe ich eure Akten gelesen. In den sechs Wochen Ferien habe ich mir ein gutes Bild von jedem von euch machen können.“

Verwundert sahen sich die Schüler an. Er hatte sich über sie erkundigt? Cassandra kam sich wieder einmal vor wie ein Verbrecher. Sie wusste zwar, dass es Akten über jeden Schüler gab, aber es ärgerte sie trotzdem. Sie hätte gerne gewusst was da alles drin stand. Vielleicht bekam sie irgendwann mal die Gelegenheit einen Blick dort hineinzuwerfen.

Während noch einige Schüler über das nachgrübelten was Mr. Cooper gesagt hatte, fing dieser kurzerhand mit dem Unterricht an. Die ersten beiden Stunden hatten sie Geschichte. Mr. Cooper erzählte vom Vietnamkrieg und das dort viele junge Amerikaner gefallen waren, die noch nicht einmal 21 Jahre alt geworden waren. Die meisten der kämpfenden Soldaten waren Schwarze und Arbeiterkinder gewesen. Er schilderte den Schülern ausführlich was genau in diesem Krieg geschehen war und hielt sie gleichzeitig mit interessanten Fragen bei Laune. Er gestaltete den Unterricht wirklich erstklassig und er hatte auch keine einschläfernde Stimme, wie manch anderer und trotzdem verlor Cassandra mehr und mehr die Konzentration. Dabei war Geschichte eines ihrer Lieblingsfächer, aber sie konnte den neuen Dozenten nun mal nicht ausstehen und deshalb schaltete sie irgendwann einfach ab. Als Mr. Cooper einige Daten an die Tafel schrieb, warf sie desinteressiert ein paar zusammen geknüllte Papierstücke auf Chris, um ihrer Langeweile Genüge zu tun. Wütend drehte sich der Junge um und warf das Papier zurück. Das war natürlich genau das was sie beabsichtigt hatte, denn nun hatte sie wenigstens eine Beschäftigung die ihr Spaß machte. Frech grinsend warf sie erneut eine Papierkugel. Doch leider verfehlte sie ihr Ziel. Statt Chris, traf sie den Dozenten mit dem Papier am Kopf. Zornig drehte sich der Mann um und funkelte die Schüler böse an.

„Wer war das?“, fauchte er und blickte sie der Reihe nach an. Er sah Chris hämisch grinsen und Cassandra wie sie auf ihrem Stuhl immer kleiner wurde. Als die Schülerin bemerkte, dass der Lehrer sie eindringlich ansah, gab sie rasch eine Erklärung ab.

„Es war ein Versehen, es tut mir wirklich leid.“

Tom verengte böse die Augen. Er konnte es nicht leiden, wenn der Unterricht gestört wurde.

„Selbst wenn es ein Versehen war, du hast im Unterricht aufzupassen und keinen Mist zu veranstalten!“, donnerte er wütend und hob drohend seinen Finger. „Konzentrier dich gefälligst auf den Lehrstoff!“

Cassandra nickte kleinlaut. Sie wollte schließlich nicht gleich am ersten Schultag Ärger bekommen. Tom drehte sich wieder zur Tafel und Chris fing an in Cassandras Richtung Grimassen zu schneiden. Nun machte er sich einen Spaß daraus seine Mitschülerin mit Papier zu bewerfen. Das empfand er als ausgleichende Gerechtigkeit. Cassandra konnte solche Retourkutschen natürlich überhaupt nicht leiden und ehe sie sich versah war ihre Wut wie eine wilde Herde Mustangs mit ihr durchgegangen. Wütend sprang sie auf.

„Lass mich endlich in Ruhe Chris!“, brüllte sie laut in die Klasse.

Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Raum. Erschreckt über sich selbst setzte sie sich hastig wieder hin und hielt den neuen Dozenten akribisch im Auge. Was er jetzt wohl machen würde? Vielleicht flog sie ja aus der Klasse oder sie musste nachsitzen. Allzu schlimm konnte es eigentlich nicht werden.

Tom blickte erneut zu den beiden Störenfrieden und trat verärgert in die mittlere Reihe an Cassandras Tisch.

„Kannst du mir mal sagen warum du hier so einen Lärm veranstaltest? Falls es dir entgangen ist, ich unterrichte gerade Geschichte und ich verlange von dir dass du zuhörst!“

Drohend klopfte er mit seinem Zeigefinger auf ihren Tisch und blickte sie ungehalten an. Wie aus heiterem Himmel erwachte Cassandras Zorn, gerade so als wären die Worte des Dozenten Anlass genug gewesen dagegen zu halten. Zornig sprang sie auf und blickte ihn mit einem funkensprühenden Blick an, der einem ausgewachsenen Stier Angst eingejagt hätte.

„Sie haben mir gar nichts zu sagen!“, brüllte sie.

„Setz dich sofort wieder hin!“, knurrte der Dozent gereizt und sein Blick war nicht minder wütend als ihrer. Doch Cassandra wollte nicht hören. Sie konnte diesen Befehlston nicht ausstehen. Immer mussten die Erwachsenen sie herumschubsen und herumkommandieren. Sie hatte es einfach satt.

„In ihrem einschläfernden Unterricht werde ich nicht länger bleiben, ich gehe!“

Frech schob sie ihr Kinn nach vorne und reckte ihre Schultern. Hocherhobenen Hauptes wollte sie an dem Dozenten vorbeimarschieren, aber der hielt sie grob am Arm zurück.

„Sag mal geht’s noch? Setz dich augenblicklich wieder hin!“

Er ließ ihren Arm los, damit sie Gelegenheit bekam der Aufforderung nachzukommen. Allerdings hatte er sich da verrechnet. Außer sich vor Wut wandte sich Cassandra erneut an ihn, da sie nicht vergessen hatte was er vor den Ferien mit ihr angestellt hatte.

„Von ihnen lasse ich mir gar nichts sagen! Sie haben etwas gegen mich!“, wetterte sie und pickte Mr. Cooper ihren Zeigefinger im Takt ihrer Worte vor die Brust. Plötzlich packte der Dozent ihren Finger und verbog ihn sosehr dass Cassandra mit einem erstickten Schmerzensschrei auf die Knie sank.

„Scheiße, das tut weh“, jammerte sie. „Lassen sie mich los.“

Vergeblich versuchte sie ihren Finger aus dem Griff zu befreien, doch der Schmerz raubte ihr die Kraft dazu.

„Wirst du dich jetzt wieder auf deinen Platz setzen?“, fragte Tom mit scharfer Stimme, denn er hatte diese Aufmüpfigkeit langsam satt.

Ergeben nickte Cassandra und der Lehrer ließ ihren Finger fast augenblicklich los.

„Gut. Dann beweg dich.“

Kleinlaut schlich sie auf ihren Platz. Diese Demütigung war mehr als peinlich gewesen und sie sah wie Chris frech grinste. Am liebsten hätte sie ihre Wut an ihm ausgelassen, aber dann würde Mr. Cooper bestimmt völlig austicken. Stöhnend rieb sie ihren schmerzenden Finger und sah den Dozenten dabei strafend an.

„Sie haben mir den Finger gebrochen“, jammerte sie wehleidig und schob beleidigt ihre Unterlippe nach vorne.

„Das habe ich ganz sicher nicht“, erwiderte Tom und warf ihr einen durchdringenden Blick zu. Dann stellte er sich an seinen Schreibtisch und wandte sich anschließend an die gesamte Klasse. Anscheinend musste er den Kindern erst einmal die Regeln klar machen, damit sie wussten worauf sie sich da einließen.

„Damit das ein für alle Mal klar ist, hier in der Klasse habe ich das Sagen! Und wenn ihr euch mit mir anlegt, dann bekommt ihr meinen Zorn zu spüren! Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Cassandra, Chris?“

Wütend blickte er die beiden Schüler an. Eingeschüchtert nickte Cass, unfähig einen Ton von sich zu geben. Dieser neue Lehrer war wirklich hart drauf. Das konnte ja echt heiter werden. Chris nickte auch nur stumm, da er von dem Ausbruch des Lehrers überrascht worden war.

Cassandra verschränkte grimmig ihre Arme vor der Brust und schmollte. Hier war es ja mittlerweile schlimmer, als an einer Militärschule. Hoffentlich war diese scheißlangweilige Stunde bald vorbei, damit sie den Anblick von diesem scheußlichen Menschen nicht mehr länger ertragen musste. Als Chris sich im Laufe des weiteren Unterrichts jedoch noch mal zu ihr umdrehte und ihr die Zunge rausstreckte wurde Cass erneut wütend. Sie nahm einen Stift und warf ihn ihrem Mitschüler an den Kopf. Danach landete das Schreibutensil klirrend auf dem Boden. Tom drehte sich fast augenblicklich um und sein Blick erfasste sofort die Situation. Der Kugelschreiber, der auf dem Boden lag, Chris, der sich den Kopf rieb und Cassandra, die auf ihrem Stuhl schon wieder kleiner wurde.

„Cassandra Benedict, jetzt reicht es mir endgültig! Du kommst jetzt sofort hierher!“

Tom zeigte demonstrativ mit seinem Finger auf den Boden vor sich. „Den Rest des Unterrichts verbringst du an der Tafel!“

Murrend schlich Cass nach vorne und der Dozent drückte ihr wütend ein Stück Kreide in die Hand.

„Du schreibst jetzt hundertmal ‚Ich darf den Unterricht nicht stören‘ an die Tafel! Hast du mich verstanden!“

Als sie nickte, ging Tom zur Klassentür und schloss sie ab. Er war der Meinung das Vorsicht besser war als Nachsicht, da er in Cassandra Akte einiges über sie gelesen hatte. Sie war schon des Öfteren einfach aus der Klasse gerannt, weil ihr eine Strafe oder der Unterricht nicht gefallen hatte und dem wollte er lieber vorbeugen. Er würde dem Mädchen schon noch beibringen wie man sich zu verhalten hatte.

Der restliche Unterricht verlief jedoch friedlich, auch wenn Cassandra nur widerwillig ihre Sätze an die Tafel schrieb. Anfangs schrieb sie besonders groß, bis Mr. Cooper sie ermahnte, den Bogen nicht zu überspannen. Maulend gehorchte sie und schrieb in normaler Größe weiter. Erst als die Tafel voll war durfte sie sich wieder setzen, ungeachtet dessen, dass sie keine hundert Sätze geschrieben hatte. Tom wollte ihr damit zeigen, dass er das Sagen hatte und er bestimmte wie groß sie schrieb und wie lange. Anscheinend musste er bei Cassandra ganz von vorne anfangen, damit sie gehorchen lernte.

Kurz vor Ende der Stunde verteilte er den Stundenplan für das kommende Jahr und entließ die Schüler dann in die Pause. Draußen vollführte Lisa einen Freudentanz, kaum dass sie den Stundenplan überprüft hatte.

„Wir haben gleich mit dem schönen Beau Unterricht, ist das nicht super?“

Begeistert hüpfte und sprang sie um ihre Freundin herum wie ein Indianer beim Regentanz. Cassandra interessierte das heute allerdings nicht besonders, da sie in Selbstmitleid schwelgte. Mürrisch rieb sie sich ihren schmerzenden Finger und maulte sauer vor sich hin. Und als Mr. Cooper aus dem Klassenzimmer trat, sah sie ihn bitterböse an, was ihn jedoch nicht zu stören schien. Das schürte natürlich erneut ihre Wut und sie wollte sich für diesen gemeinen Menschen einen besonders fiesen Streich ausdenken. Irgendetwas Ekliges. Niemand durfte sie so behandeln. Wütend ballte sie ihre Hände und rannte nach draußen zu ihrem Baum. Hier konnte sie ungestört nachdenken und sich ihrer Wut entledigen. Denn nichts brachte ihr mehr Ruhe und Frieden, als dieser wundervolle Baum. Mit ein zwei Zügen zog sie sich an den Ästen hoch und suchte sich einen gemütlichen Platz zwischen den Zweigen und Blättern. Sie merkte nicht einmal, dass Lisa ihr verwundert hinterher blickte, denn wenn sie wütend war konnte sie alles um sich herum total vergessen. Ihr Gehirn war in dieser Zeit völlig blockiert und ließ sie nur ihre glühende Wut spüren. Nach einiger Zeit hatte sie sich ein wenig beruhigt und bemerkte ein zwölfjähriges Mädchen aus der Unterstufe, das unter dem Baum stand und neugierig zu ihr hochblickte.

„Was machst du da oben? Kann ich zu dir hoch kommen?“

Die rehbraunen, großen Augen des Mädchens blickten sie offen und ehrlich an. Die Kleine hatte ihre braunen Haare zu zwei Zöpfen gebunden, die lustig hin und her wippten, während sie ungeduldig auf eine Antwort wartete. Doch Cassandra war es nicht nach Gesellschaft zumute und außerdem war das ihr Baum und sie würde ihn mit niemandem teilen.

„Nein! Hau ab!“, knurrte sie. „Ich will alleine sein!“

Schmollend lief die Kleine weg und Cassandra hing wieder ihren Racheplänen nach. Dann fiel ihr ein, dass sie ja noch den Generalschlüssel für die Klassenzimmer hatte. Damit konnte sie sicher etwas planen. Doch wo hatte sie den Schlüssel nur hingetan? Sie konnte sich wirklich nicht mehr erinnern. Sie musste den Schlüssel unbedingt finden, damit sie ihren Plan ausführen konnte. Leider klingelte ausgerechnet in diesem ungünstigen Augenblick die Schulglocke und sie musste ihre Planung notgedrungen auf später verschieben. Momentan wollte sie keinen weiteren Ärger haben und deshalb beeilte sie sich pünktlich zu sein.

Ordnung muss sein

Jetzt hatten sie endlich mit Mr. Parker Unterricht und das war das krasse Gegenteil zu ihrem neuen mürrischen Klassenlehrer. Lisa himmelte den schönen Beau noch stärker an als sonst und Cassandra empfand es als eine Wohltat, mit einem Dozenten Unterricht zu haben, der ihr nicht so gewaltig auf die Nerven ging wie Mr. Cooper. Dennoch zogen sich die Stunden wie Kaugummi und Cassandra rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl herum, da sie endlich nach ihrem Schlüssel suchen wollte. Sie konnte es kaum erwarten, dass es endlich zur Mittagspause läutete. Warum musste der Unterricht eigentlich so lange dauern? Vor allem jetzt wo sie etwas sehr Wichtiges zu erledigen hatte. Zeit war ihr einfach kein Begriff. Immer wenn sie es eilig hatte lief sie wie eine Schnecke und wenn es schöne Momente gab war sie ruckzuck vorbei. So etwas war doch voll gemein. Erneut warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und seufzte unterdrückt. Nach diesen zwei Stunden Biologie folgten jetzt noch Erdkunde und Englisch, die sie irgendwie hinter sich bringen musste und kurz bevor sie endgültig die Geduld verlor, läutete die Schulglocke tatsächlich zur Pause. Hastig rannte sie in den Speisesaal und schlang ihr Essen hinunter. Ihrer Freundin Lisa hörte sie wieder einmal nur halbherzig zu, da sie in Gedanken schon auf der Suche nach ihrem Schlüssel war. Sie nickte automatisch und gab ab und zu eine Bestätigung von sich, damit Lisa nicht gleich eingeschnappt war. Beleidigen wollte sie sie schließlich nicht.

Kaum hatte sie den letzten Bissen runtergeschluckt, sprang sie auf.

„Nicht böse sein, aber ich muss dringend etwas suchen, das ich verloren habe und das kann möglicherweise länger dauern.“

Lisa nickte verständnisvoll und für Cass war das Bestätigung genug. Rasch lief sie in ihr Zimmer und fing an zu stöbern. Zu dumm, dass sie nicht mehr wusste wo sie den Schlüssel versteckt hatte. Alle Schubladen riss sie raus und verstreute ihre Sachen im ganzen Zimmer. Völlig in ihre Arbeit vertieft hörte sie nicht, dass es an der Tür klopfte. Da Cassandras Werkeln bis draußen zu hören war, ging die Tür mit einem Mal unaufgefordert auf und Mr. Cooper steckte seinen Kopf in das Zimmer. Sein Blick wurde augenblicklich düster, da er so eine Unordnung nicht dulden würde.

„Sag mal, was veranstaltest du denn hier?“, schimpfte er wütend und machte mit seiner Hand eine allesumfassende Geste. Erschrocken blickte Cass den Lehrer an, den sie erst bemerkt hatte, als er sie ansprach.

„Ich… ich suche etwas“, stotterte sie verlegen und eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. Sie hatte sich ziemlich erschrocken und hatte ein Gefühl im Bauch, als hätte Mr. Cooper sie auf frischer Tat ertappt.

„Musst du deshalb so eine Unordnung schaffen?“, schimpfte er. „Bis zum Abendessen räumst du hier auf, sonst werde ich das für dich tun. Danach hast du keine Probleme mehr mit Unordnung, weil deine Sachen dann alle auf dem Müll landen!“

Tom war wirklich wütend über dieses Chaos, vor allem da Cassandra es selbst verursacht hatte. Aus ihrer Akte hatte er entnommen, dass sie gerne alles Mögliche durcheinanderbrachte, aber nur ganz selten etwas wegräumte, da sie sich grundsätzlich nie einer Schuld bewusst war.

Cassandra blickte den Lehrer fassungslos an. Das konnte er unmöglich ernst meinen, schließlich hatte sie ein Recht darauf in ihrem Zimmer etwas zu suchen und dabei ein wenig Unordnung zu machen.

„Das sind meine Sachen. Das dürfen sie nicht“, erboste sie sich und blickte finster drein, damit Mr. Cooper sah wie ernst es ihr war. Doch da war sie bei Tom an den falschen geraten. Er hatte sich vorgenommen klare Grenzen zu setzen und diese bei Cassandra durchzusetzen.

„Das interessiert mich nicht!“, winkte er unwirsch ab. „Fang besser gleich an, denn in ein paar Stunden solltest du hier fertig sein.“ Tom blickte sie kalt an. „Nach dem Essen will ich dich in meinem Büro sehen, ich möchte mich gerne mal mit dir unterhalten. Mein Büro ist unten links neben Mrs. Ortegas Klassenzimmer.“

Tom verließ das Zimmer und Cass war wieder alleine. Alleine mit ihrer Unordnung und ihrer unbändigen Wut. Warum musste dieser spießige Lehrer ausgerechnet heute in ihrem Zimmer auftauchen? Und warum konnte sie nur diesen blöden Schlüssel nicht finden? Er musste schließlich irgendwo sein. Aber darum konnte sie sich jetzt auch nicht mehr kümmern. Wenn sie jetzt nicht aufräumte, dann machte Mr. Cooper seine Drohung bestimmt wahr. Mit ihm war nicht gut Kirschen essen, das hatte sie sehr schnell gemerkt.

Cassandra überschlug sich fast bei ihrer Arbeit und schaffte es gerade noch alles wieder an seinen Platz zu räumen, bevor die Essensglocke läutete. Kaum war der letzte Ton der Glocke verhallt, stand Mr. Cooper zur Kontrolle wieder in ihrer Tür. Cassandra fragte sich, ob er draußen gewartet hatte nur um zu testen ob sie gehorchte.

Befriedigt ließ Tom seinen Blick durch das Zimmer gleiten. Die Schülerin hatte tatsächlich alles wieder aufgeräumt. Lobend nickte er ihr zu und lächelte freundlich.

„Sehr schön. Dann kannst du ja jetzt in Ruhe zum Essen gehen und vergiss nicht danach bei mir zu erscheinen.“

Cassandra nickte missmutig und verschwand in den Pausenraum. Wieso musste dieser Idiot eigentlich immer alles so peinlich genau nehmen? Schließlich musste er ja nicht in dem Zimmer leben. Es war ihr Wohnort nicht seiner. Lustlos stocherte Cass in ihrem Essen herum und Lisa sah sie fragend an.

„Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“, fragte sie vorsichtig, doch Cass schüttelte nur den Kopf und zerhackte wütend eine Kartoffel auf ihrem Teller.

„Ich habe mich nur über Mr. Cooper geärgert, dieser Mann bringt mich noch zur Weißglut. Er ist so was von gemein.“

Lisa strich ihrer Freundin aufmunternd über die Schulter und bemühte sich darum ihr Trost zu spenden.

„Ach, reg dich nicht auf. In zwei Jahren hast du das hinter dir, dann denkst du bestimmt nicht mehr an diese Zeit zurück.“

Cassandra schob ein wenig von der Matschkartoffel in ihren Mund und kaute gedankenverloren an ihrer Gabel.

„Wahrscheinlich hast du Recht, doch ich wünschte es wäre nicht mehr so lang bis dahin. Dieser Mann ist ein Ekel.“

Sie seufzte schwer und bemühte sich ihr Abendessen aufzuessen. Dieser blöde Lehrer hatte ihr völlig den Appetit verdorben. Am liebsten hätte sie ihm eine gescheuert! Doch aus Erfahrung wusste sie, dass er ihr überlegen war, deshalb unterdrückte sie ihren Ärger so gut sie konnte. Wer weiß was ihm sonst noch für Strafen einfielen, außer die Klos zu putzen.

Nachdem sie es dann endlich geschafft hatte ihren Teller zu leeren, machte sie sich auf den Weg zu Mr. Cooper. Der Dozent erwartete sie bereits und bat sie Platz zu nehmen. Grimmig blickte sie ihn an, da sie nicht wusste was er von ihr wollte, gesagt hatte er ihr jedenfalls nichts. Und gerade so als hätte er ihre Gedanken gelesen sprach er sie darauf an.

„Du möchtest sicher wissen warum du hier bist, hab ich Recht?“

Als sie nickte fuhr er fort. Mädchen wie Cassandra gab es mittlerweile viele, aber die Gründe warum sie so geworden waren, waren ganz unterschiedlich. Er musste erst einmal herausfinden was diesem Mädchen so sehr zu schaffen machte, dass es sich freiwillig die ganze Zukunft verbaute.

„Dein Verhalten von heute Morgen ist der Grund warum ich mit dir reden möchte“, eröffnete er das Gespräch und Cassandra verdrehte unwirsch die Augen, was Tom mit einem wütenden Blick quittierte.

„Jetzt hör mir mal genau zu“, blaffte er sie an, da es ihn störte wie sie sich ihm gegenüber verhielt. „Dein Benehmen ist wirklich unterste Schublade und ich verlange, dass du deine Einstellung änderst, damit du in deinem Leben endlich mal vorankommst. Zudem hinderst du die anderen Kinder daran etwas zu lernen. Wenn du es also darauf anlegst, dann erteile ich dir sogar Einzelunterricht.“

Angeekelt hob Cassandra ihre Hände.

„Nein danke, lieber nicht“, erwiderte sie bärbeißig. „Es gibt angenehmere Methoden sich zu quälen. War’s das dann? Kann ich jetzt endlich gehen?“

Sie hatte sich bereits halb erhoben, in der Hoffnung das Gespräch wäre nun endlich beendet. Doch da irrte sie sich gewaltig. Wütend schlug Tom mit seiner Hand auf den Schreibtisch. Diese freche Art würde er ihr schon irgendwie ausreiben. Irgendein Mittel gab es dagegen mit Sicherheit.

„Nein, verdammt noch mal!“, brüllte er zornig. „Und deine gelangweilte Tonart kannst du dir sparen!“

Eingeschüchtert zuckte Cassandra zusammen und sank zurück auf ihren Stuhl. Unsicher blickte sie Mr. Cooper an, der ihren Blick mit böser Miene quittierte.

„Ab sofort wirst du den Unterricht nicht mehr stören, sonst bekommst du eine Sonderbehandlung, die es sonst nur in einer Militärschule gibt! Hast du mich verstanden?“

Sie nickte stumm und Tom fuhr fort.

„Außerdem bin ich der Meinung, dass du in ein anderes Zimmer ziehen solltest.“

Cassandra fiel aus allen Wolken. Das konnte einfach nicht wahr sein, dass sie wie ein Pingpongball immer durch die Gegend gestoßen wurde.

„Was denn, schon wieder?“, maulte sie. „Ich will nicht aus meinem Zimmer weg. Mir gefällt es da sehr gut.“

Grimmig fixierte Tom sie. Er hatte von Anfang an gewusst, dass es schwierig werden würde Cassandra zu einer Veränderung zu bewegen, aber auch das musste sie lernen. Deshalb fing er mit Kleinigkeiten an, die sie zu akzeptieren hatte.

„Das hast du nicht zu entscheiden“, grollte er. „Ich gebe dir noch Bescheid, wann du umziehst.“

Ohne noch etwas zu sagen beschäftigte sich der Dozent plötzlich mit einigen Büchern und ignorierte, dass die Schülerin noch da war. Da Cassandra es nicht mehr wagte etwas zu fragen, blieb sie erst mal sitzen und wartete ab was geschah. Schließlich wollte sie nicht wieder angeschnauzt werden. Unsicher beobachtete sie wie Mr. Cooper in seinen Büchern stöberte und ab und zu etwas in sein Notizbuch schrieb. Nach weiteren zehn Minuten warten, überwand sie sich letztendlich doch, noch einmal nachzuhaken.

„Mr. Cooper, darf ich jetzt gehen?“, fragte sie leise und blickte ihn vorsichtig an, jeden Moment darauf gefasst, wieder angeschrien zu werden. Doch das geschah diesmal nicht. Ohne von seinen Unterlagen aufzusehen erlaubte er ihr zu gehen.

„Ja, jetzt kannst du gehen.“

Tom ignorierte sie bewusst, um ihre Reaktion zu testen. Er wollte ausloten, wie weit er gehen musste, um die Schülerin wütend zu machen und wie sie mit seiner Gleichgültigkeit ihr gegenüber umging. Cassandra verzog jedoch keine Miene und beeilte sich das Büro zu verlassen. Mit diesem Dozenten war nicht gut Kirschen essen und sie zog es vor nicht länger als nötig in seiner Nähe zu verweilen.

Still lächelte Tom vor sich hin, nachdem sie gegangen war. Er ließ sich von ihr sicher nicht auf der Nase herum tanzen. Sie würde lernen müssen mit ihren Mitmenschen klarzukommen.

Gewässert und gefedert

Schlechtgelaunt schlurfte Cass hinaus und kletterte gleich auf ihren Baum. Hier fühlte sie sich sicher und geborgen. In dieser Welt wo sie niemand verstehen wollte und jeder gegen sie war, gab ihr dieser Baum ihre Freiheit zurück. Geduldig hörte er sich ihr Leid an und gab auch keine dummen Kommentare oder Widerworte. Gelegentlich rauschte er mit den Blättern, so als wollte er ihr den Trost spenden, den ihr sonst niemand zuteilwerden ließ. Einige Stunden verbrachte sie auf ihrem Baum, bis es anfing dunkel zu werden. Entspannt und erleichtert kehrte sie in ihr Zimmer zurück und machte sich erneut auf die Suche nach dem Schlüssel. Plötzlich fiel ihr wieder ein wo sie ihn hingelegt hatte. Wie ein aufgescheuchtes Huhn sauste sie ins Badezimmer und wühlte ihre Handtücher durch. Hier musste er irgendwo stecken. Ein Handtuch nach dem anderen warf sie auf den Boden, bis sie endlich ihren wertvollen Schlüssel gefunden hatte. Hier lagen auch die geheimnisvollen Schlüssel, die sie bisher keinem Schloss hatte zuordnen können, aber darum würde sie sich später kümmern. Triumphierend hielt sie ihren Universalschlüssel in die Höhe und vollführte einen wahren Siegestanz. Jetzt hatte sie endlich die Möglichkeit diesem fiesen Lehrer eins auszuwischen. Natürlich benötigte sie dazu noch einen perfekten Racheplan, und der musste besonders gut vorbereitet sein, damit sich dieser Idiot so richtig ärgerte. Doch vorerst kam Cassandra nicht dazu. Mr. Cooper kam ein paar Tage später auf sie zu und verkündete ihr, dass ihr neues Zimmer ab sofort in der ersten Etage lag, direkt neben Mr. Parkers Wohnraum.

„Pack deine Sachen in die Koffer, damit du gleich dort einziehen kannst. Du wirst auch weiterhin alleine wohnen, damit du die anderen Kinder nicht auf dumme Gedanken bringst.“

Der Dozent verschwand und ließ eine eingeschnappte Schülerin zurück. Genervt pfefferte sie ihre Kleidungsstücke in die Koffer. Warum musste sie eigentlich ständig umziehen? Sie hatte schließlich schon ein Einzelzimmer. Und warum musste sie ausgerechnet neben einem Lehrer wohnen? Das war doch reine Schikane. Dieser Cooper hatte es anscheinend auf sie abgesehen, aber das würde er noch bereuen. Mürrisch schleppte Cass ihr Hab und Gut in das neue Zimmer und stellte fest, dass es kleiner war als ihr bisheriges. Aggressiv pfefferte sie ihre Koffer in die Ecke und trat zum Abschluss noch mal trotzig davor, ehe sie sich schmollend auf ihr Bett warf. Das schrie nach Rache! So durfte niemand mit ihr umspringen und das würde sie ihm bald schon zeigen. Von ihrer Wut angestachelt geisterte ihr bereits ein fieser Plan durch den Kopf, den sie unbedingt in die Tat umsetzen wollte. Morgen würde sich dieser Vollidiot wundern. Sie würde ihm schon zeigen was sie so drauf hatte und dann gab es für ihn nichts mehr zu Lachen. Mit einem bösartigen Grinsen im Gesicht rieb sich Cassandra die Hände. Cooper würde sich noch wünschen niemals hierhergekommen zu sein. Egal was in ihrer Akte stand, der Dozent wusste nicht zu was sie alles fähig war. Aber das würde sich morgen ändern.

Mitten in der Nacht machte sie sich auf den Weg ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. So schlich sie in ihr Klassenzimmer und arbeitete emsig an ihrem gut durchdachten Streich. Dieser Cooper würde ihre volle Ladung Hass abbekommen und dann hatte er nichts mehr zu lachen. Danach würde er Achtung vor ihr haben und sie zukünftig in Ruhe lassen so wie es an ihren früheren Schulen auch gewesen war. Fleißig arbeitete sie an ihrem Plan und achtete sorgfältig darauf keinen Fehler zu machen. Alles musste perfekt sein, damit genau die Wirkung erzielt wurde, die sie beabsichtigt hatte. Innerlich rieb sie sich bereits die Hände und freute sich auf den morgigen Unterricht. Der Gedanken an diesen tollen Spaß trieb sie an und ließ sie ihre Arbeit rasch erledigen. Anschließend schleppte sie sich müde und zufrieden in ihr Bett und schlief mit einem seligen Lächeln auf den Lippen ein.

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Am nächsten Morgen hatten sie gleich in der ersten Stunde Erdkunde mit Mr. Cooper. Er begrüßte die Klasse und setzte sich hin, nachdem er sein Jackett wie gewohnt über den Stuhl gehangen hatte. Er warf einen taxierenden Blick in die Klasse, wobei sein Blick besonders lange auf Cassandra und Chris hängenblieb. Diese beiden Streithähne musste er seines Erachtens besonders gut im Auge behalten.

„Ich habe eine neue Sitzordnung ausgearbeitet“, eröffnete er die Stunde. „Deshalb werden wir gleich damit anfangen.“

Tom dirigierte die Schüler von einem Platz auf den anderen bis er endlich mit dem Ergebnis zufrieden war. So saßen am Ende, alle befreundeten Jugendlichen so weit auseinander, dass sie sich nicht mehr unterhalten konnten und die verfeindeten nicht streiten. Cassandra saß nun in der ersten Reihe direkt vor dem Schreibtisch des Dozenten und Chris saß in der ersten Reihe direkt an der Tür. Lisa saß ziemlich weit hinten und auch Bob, einer von Chris’ Freunden saß weit genug weg. Mürrisch sahen die Schüler wie Mr. Cooper zufrieden nickte. Dann fing er übergangslos mit dem Unterricht an. Er fragte einige Hauptstädte ab, von denen er annahm, dass die Schüler sie kennen müssten und merkte schnell, dass dem nicht so war. Die Allgemeinbildung der Kinder wies riesige Lücken auf, die schnellstens gefüllt werden mussten. Deshalb ging er zur Tafel und zog die Landkarte herunter, die direkt über der Schultafel befestigt war. Er merkte nicht, dass Cassandra vor Anspannung regelrecht in seine Richtung stierte. Aufgeregt hatte sie ihre Daumen zwischen die Finger geklemmt und wartete auf ein zufriedenstellendes Ergebnis ihres Streiches, auf das sie auch nicht allzu lange warten musste. Plötzlich gab es ein platschendes Geräusch. Einige wassergefüllte Ballons waren Mr. Cooper auf den Kopf gefallen und dort zerplatzt. Aber damit noch nicht genug. Nachdem der Lehrer nun pitschnass war regneten auch noch Federn von der Decke, die ihm am ganzen Körper kleben blieben. Die Klasse starrte erschrocken nach vorne, und auch Cassandra tat so als wäre sie völlig schockiert, obwohl sie diesen Anblick total genoss. Sie konnte sich daran gar nicht satt sehen. Für einige Sekunden schien die Welt stillzustehen und alles war mucksmäuschenstill. Mit offenen Mündern starrten sie den Lehrer an, da keiner wusste woher das Wasser und die Federn plötzlich kamen. Tom stand mit ausgebreiteten Armen im Raum und konnte nicht glauben, dass man ihn dermaßen reingelegt hatte. Wasser tropfte von seinem Körper auf den Fußboden und immer noch segelten Federn durch die Luft, die nach ihrer Landung an ihm kleben blieben. Er spürte nicht nur das unangenehm nasse Gefühl, auf der Haut, sondern auch maßlose Wut, die ihn urplötzlich ergriff. Das würde Konsequenzen haben! Er hielt sich für einen toleranten Menschen und er war gerade mal einen Tag an dieser Schule, aber nichts rechtfertigte diese Tat.

„Wer war das, verdammt noch mal?!“, donnerte er und blickte zornig in die Runde, konnte aber niemanden ausfindig machen, der verdächtig aussah.

„Ich will auf der Stelle wissen, wer diese Sauerei veranstaltet hat?“, fauchte er ungehalten. Doch niemand antwortete ihm, selbst Norbert, der immer seinen Senf dazu geben musste, sagte keinen Ton, denn einen wütenden Lehrer durfte man nicht noch mehr reizen. Jedes Wort konnte in diesem Fall zu viel sein. Wie die Schafe blickten sie den Dozenten an und warteten darauf was weiter geschah. Tom hatte allerdings genug davon sich zu wiederholen und zog seine Konsequenzen.

„Also gut. Um 14:00 Uhr erwarte ich heute die gesamte Klasse zum nachsitzen. Wir werden dann den Stoff nachholen, den wir heute versäumt haben und ihr werdet einiges zu schreiben haben.“

Verärgert blickte er die Schüler an. Er war sich sicher, dass einer von ihnen dahinter steckte und er würde auf die eine oder andere Weise herausfinden wer das gewesen war und dann würde derjenige mächtigen Ärger bekommen.

„Norbert, halt bitte die Klasse ruhig, ich gehe mir etwas Trockenes anziehen“, knurrte Tom und verließ ärgerlich den Klassenraum. Kaum hatte der Dozent die Tür hinter sich geschlossen flogen sämtliche Schüler von ihren Plätzen und fingen an zu diskutieren wer den Streich wohl ausgeheckt hatte. Norbert stellte sich nach vorne an den Schreibtisch des Dozenten und lenkte die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler kurzerhand auf sich.

„Hört mal, egal wer das gemacht hat, derjenige sollte sich besser stellen. Es ist eine Sauerei, dass die anderen nun auch dafür büßen müssen.“

„Dafür ist es doch schon zu spät“, brüllte Jessica von hinten und fuchtelte wütend mit ihren Armen herum.

„Ja, auch wenn Cooper erfährt wer das gemacht hat, wird er uns trotzdem nachsitzen lassen“, meldete sich nun auch Chris zu Wort. „Wir suchen den Übeltäter selbst und dann bekommt er von uns eine anständige Tracht Prügel.“

Mit grimmiger Miene schlug er seine Fäuste in die Luft, als kämpfte er gegen einen unsichtbaren Gegner. Norbert schüttelte missbilligend den Kopf. Er hatte für so einen Unsinn kein Verständnis.

„Du kannst nicht alle Probleme aus der Welt prügeln, Chris, aber wir werden schon eine gerechte Strafe für den Schüler finden, der uns das angetan hat.“

Allgemeines Nicken war die Antwort und Cassandra wurde es ganz mulmig zumute. Ob ihre Klasse wohl herausbekommen konnte dass sie es gewesen war? Sie hoffte nicht, denn es war bereits zu spät die Sache zuzugeben und Ärger würde sie so oder so bekommen.

„In der Pause treffen wir uns alle am Schwimmbad. Dort werden wir der Sache auf den Grund gehen“, rief Chris und stieß drohend seine Faust in die Luft. Ihm kribbelte es in den Fingern endlich wieder jemanden vermöbeln zu können. Als sie jedoch die Türklinke hörten huschten alle wie die Schatten auf ihre Plätze und beobachteten jeden Schritt des Dozenten aufs Genauste. Mr. Cooper sah immer noch verdammt wütend aus, als er in den Raum trat und das bekamen die Schüler auch gleich wieder zu spüren.

„Ich will, dass einer von euch den Boden reinigt und zwar gleich! Mir ist egal wer, es sollte nur schnell geschehen“, knurrte er und deutete mit seinem Finger vor sich auf den Boden. Norbert und Peter sprangen gleichzeitig auf und putzten so schnell wie möglich alle Pfützen und Federn weg. Ansonsten hatte sich keiner gerührt, alle starrten nur ängstlich nach vorne und warteten ab, was als nächstes geschah. Doch nachdem der Boden wieder sauber war, führte Tom seinen Unterricht fort, als wäre gar nichts passiert. Er wusste aus Erfahrung, dass sich der Täter früher oder später zeigen würde, entweder aus freien Stücken oder gezwungenermaßen. Genau aus diesem Grund hatte er die ganze Klasse bestraft, denn es erleichterte ihm den Täter zu finden.

In der nächsten Stunde hatten sie Französisch mit Miss Anderson. Die Dozentin verstand einfach nicht, warum die Schüler so unkonzentriert waren. Egal was sie versuchte, es brachte einfach nichts. Als es dann zur Pause klingelte stürmten die Jugendlichen hinaus, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Kopfschüttelnd blickt Patricia ihnen nach. Normalerweise kam sie mit den Schülern immer gut zurecht und jeder war begeistert bei der Sache. Nur heute war ihr das nicht gelungen und sie fragte sich woran das liegen konnte.

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Die Jugendlichen versammelten sich inzwischen draußen am Schwimmbad, um herauszufinden wer der Täter gewesen war. Peter spielte sich sofort als Chef auf, wurde jedoch sofort von Chris gebremst. Grob stieß er seinen Mitschüler zur Seite.

„Wir werden zwei Redeführer wählen, denn du könntest es ja auch gewesen sein.“

Peter nickte ergeben und rieb sich stumm seine schmerzende Seite, da er sich mit Chris nicht anlegen wollte. Der war ihm einfach zu gewalttätig und hatte viele Freunde die ebenso waren wie er.

„Also gut, dann fang du an“, meinte Peter beleidigt und blickte Chris vorwurfsvoll an. Chris interessierte das jedoch nicht, da er von jeher immer das Sagen gehabt hatte.

„Meiner Meinung nach kann so etwas nur in der Nacht vorbereitet worden sein. Somit scheide ich schon mal aus.“

Plötzlich fingen alle gleichzeitig an zu schimpfen, da sie diese Aussage einfach unverschämt fanden.

„Das hast du dir ja fein ausgedacht“, rief Peter. „So leicht kommst du uns aber nicht davon.“

„Der hat ‘nen Knall“, meinte Lisa und tippte sich mit einem Finger an die Stirn und Cassandra nickte beipflichtend. Doch als Norbert sich in das Gespräch einmischte, legte sich die schlechte Stimmung wieder.

„Chris hat Recht, er hat mit Bob und mir die halbe Nacht Karten gespielt, so wie wir es meistens machen, wenn wir glauben nicht erwischt zu werden.“

Raphael warf aber ein, dass sie es ja auch zu dritt gemacht haben könnten, doch da hatte er leider eine Kleinigkeit außer Acht gelassen. Als Norbert damals neu an die Schule gekommen war geriet er so heftig mit dem Direktor aneinander, dass er niemals wieder Unsinn gemacht hatte. Jeder wusste das und alle glaubten ihm. Norbert stemmte erbost seine Hände in die Hüften.

„Na hör mal, ich bin doch nicht verrückt und halse mir unnötig Ärger auf. Du weißt genau, dass ich zu viel Respekt vor Mr. Kimberley habe.“

Raphael nickte verlegen. „Entschuldige, das hatte ich völlig vergessen.“

Blieben also noch sechzehn weitere Verdächtige übrig. Leider läutete die Glocke das Ende der Pause ein, ehe die Jugendlichen weiter recherchieren konnten. In der nächsten Pause würde es dann weitergehen.

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Nach Mathe und Englisch trafen sich die Schüler erneut seitlich der Burg. Peter begann sofort seine nächsten Schlüsse zu ziehen.

„Gestern Abend hatten Mr. Kimberley und Mrs. Ortega Nachtaufsicht. Wie jeder weiß, gehen sie in unregelmäßigen Abständen durch die Gänge und kontrollieren besonders die Zimmer auf ihrer Etage. Da traut sich echt niemand hinaus. Somit fallen weitere vierzehn Schüler weg und es bleiben nur noch Cassandra und Jessica übrig.“

Die beiden Schülerinnen wurden plötzlich von allen anderen angestarrt. Cass spürte wie sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht wich, denn damit hatte sie nun gar nicht gerechnet. Alles in ihrem Inneren schrie nach Flucht, doch sie kämpfte tapfer dagegen an. Noch war nicht alles verloren, denn sie konnte es immer noch abstreiten.

Chris schritt bedrohlich nah auf Cassandra zu und funkelte sie giftig an, während er ihr seine Faust drohend vor das Gesicht hielt.

„Ich wette das hast du gemacht, hab ich Recht? Jessie hat nämlich noch nie so eine Scheiße veranstaltet!“

Zustimmendes Nicken bestätigte die Aussage des Jungen und Cassandra fühlte sich plötzlich an die Wand gedrängt und der Schulhof erschien ihr mit einem Mal winzig klein zu sein und er schien immer weiter zu schrumpfen. Unbehaglich trat sie ein paar Schritte zurück und wagte es nicht zu widersprechen. Sie hatte auf einmal Angst vor ihren Mitschülern. Ihr Schweigen jedoch war Bestätigung genug.

„Los wir gehen und beraten uns was wir machen“, rief Chris und winkte die restliche Klasse hinter sich her. Geschlossen drehten sie sich um und ließen Cassandra einfach stehen. Selbst Lisa war mit einem enttäuschten Gesicht mit ihnen gegangen und das schmerzte mehr als ein Faustschlag ins Gesicht. Mit Tränen in den Augen blieb Cassandra zurück und zupfte nervös an ihren Haaren. Sie musste eine Lösung für ihr Problem finden und zwar schnellstens. Sie hatte es mal wieder geschafft sich in Schwierigkeiten zu bringen, ohne es zu wollen. Und diesmal hatte sie es nicht nur mit Chris zu tun, sondern mit der ganzen Klasse. Unglücklich ging sie zu ihrem Baum, auf den sie wegen ihres Kummers klettern wollte, doch leider standen dort eine Menge Schüler, die aufgeregt durcheinander sprachen. Irgendetwas schien passiert zu sein. Neugierig bahnte Cass sich einen Weg durch die Masse, um sich einen Überblick zu verschaffen. Schließlich wollte sie in Ruhe auf ihrem Baum sitzen, ohne von irgendwelchen Krach behelligt zu werden. Sie erkannte, dass es sich um das Mädchen handelte, das unbedingt auf ihren Baum hatte klettern wollen. Weinend saß es auf dem Boden und Mr. Cooper beugte sich gerade über sie, um sich die Verletzung anzusehen, die es sich zugezogen hatte. Er tröstete die zwölfjährige Schülerin, deren Beine wirklich schlimm bluteten.

„Kannst du aufstehen, Amy?“, fragte er mitfühlend und strich ihr tröstend über die Wange. Schluchzend schüttelte die Kleine den Kopf und verzog schmerzhaft ihr Gesicht. Eine neue Tränenflut stürzte aus ihren Augen und Amy hatte auch keine Hemmungen lauthals zu weinen. Cassandras Blick fiel auf ihren geliebten Baum, der nun von einer blutigen Spur verziert wurde, und ihm ein dramatisches Aussehen verlieh. Anscheinend war das Mädchen so weit geklettert wie es konnte und hatte dann den Halt verloren. Die Kleine musste direkt am Baum hinuntergerutscht sein. Cassandra lief ein Schauer über den Rücken, als das Szenario bildlich vor ihrem inneren Auge ablief. Sie stellte sich das sehr schmerzhaft vor und die Schülerin aus der Unterstufe tat ihr leid. Mr. Cooper bemühte sich die Kleine zu beruhigen, indem er weiterhin tröstend mit ihr sprach. Erst als Amy nur noch leise schniefte, nahm er sie behutsam auf die Arme und trug sie zu Dr. Tremain. Cassandra staunte ein wenig, da sie dem Dozenten so viel Fürsorge gar nicht zugetraut hatte. Diese Seite des Lehrers fand sie äußerst sympathisch und sie ertappte sich dabei wie sie ihn interessiert musterte. Vielleicht war Mr. Cooper ja netter, als sie gedacht hatte. Neugierig folgte sie ihm bis zur Krankenstation, da sie wissen wollte wie es weiter ging. Leider kam die schrillende Schulglocke dazwischen, so dass sie nicht weiter verfolgen konnte was geschah. Cassandra machte ein mürrisches Gesicht, zog es aber vor zum Unterricht zu gehen, ehe sie schon wieder Ärger bekam. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend marschierte sie in ihr Klassenzimmer und setzte sich nervös auf ihren Platz. Sofort zu Anfang der Stunde fragte Raphael, ob er sich nach ganz hinten zu Norbert setzen dürfte und Mrs. Ortega, die jetzt WiSo unterrichtete, hatte nichts dagegen. Jetzt saß Cassandra mutterseelenalleine an ihrem Tisch und hätte heulen können. Warum hatten sie ihr nicht gleich ein Messer zwischen die Rippen gejagt, dass hätte den gleichen Effekt gehabt. Mühsam hielt sie die Tränen zurück und bemühte sich dem Unterricht zu folgen, um sich von ihrer Traurigkeit abzulenken. Das war allerdings leichter gesagt als getan. Die Ortega und ihr Unterricht waren grundsätzlich langweilig und nichts war schwerer als dieser Langeweile zu folgen. So presste sich die Hände auf den Magen und brütete stumpf vor sich hin. Als sie dann beim Nachsitzen waren, fragte Raphael erneut ob er den Platz wechseln durfte. Nachdenklich runzelte Tom seine Stirn und fragte behutsam nach dem Grund, woraufhin Raphael nur meinte: „Das ist ein sehr persönlicher Grund, den möchte ich ihnen nicht nennen.“

Tom nahm es schweigend zur Kenntnis und gestattete den Wechsel des Platzes, ebenso wie Miss Ortega. Ganz alleine saß Cassandra nun vorne und schniefte unterdrückt. Mit Müh und Not hatte sie sich an dieses Internat gewöhnt und auch neue Freunde gefunden und nun wurde sie einfach ignoriert, als würden die vergangenen Monate gar nicht mehr zählen. Als es dann endlich zur Mittagspause läutete, ging ihr auch noch Lisa permanent aus dem Weg. Es zerriss Cassandra schier das Herz. Ihre beste Freundin ließ sie einfach so im Stich und sorgte dafür, dass sie sich wie der letzte Dreck vorkam. Wie war sie nur wieder in diese Situation gekommen? Eigentlich hatte sie doch nur Mr. Cooper eins auswischen wollen und nicht gleich die ganze Klasse gegen sich aufbringen. Allerdings hatte Mr. Cooper ihr auch nicht ausreichend Gelegenheit gegeben sich zu stellen, sondern gleich die ganze Klasse zum Nachsitzen verdonnert und das war einfach nicht fair gewesen. Jetzt hatte sie das Nachsehen und war die angeschmierte und dieser kurze Moment, der Freude, den sie bei dem Wasserszenario gehabt hatte, war in Sekunden schon wieder verpufft. Sie hatte nicht einmal die Kraft dazu sich über den Dozenten zu ärgern, da sie einfach nur noch unendlich traurig war.

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In den Pausen saß sie jetzt nur noch auf ihrem Baum, da plötzlich niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte und im Unterricht war es nicht besser. Dr. Clayton, der sie neuerdings auch unterrichtete, bat die Schüler in seinem Unterricht die Tische beiseite zu schieben und sich in einem Kreis zusammensetzen. Doch sehr schnell bemerkte er, dass der Kreis eher einem Hufeisen glich, da niemand neben Cassandra sitzen wollte. Jarod runzelte nachdenklich die Stirn und löste das Sitzproblem indem er Lisa in die offene Lücke auf der rechten Seite dirigierte, und er die Lücke auf der anderen Seite schloss. Dann erklärte er den Schüler kurz was er von ihnen erwartete.

„Ich habe einen Ball mitgebracht, den ich einem von euch zuwerfe. Dann möchte ich, dass dieser Schüler einen Satz bildet, der mit wenn beginnt. Danach wirft er den Ball einfach jemand anderem zu, der das gleiche macht.“

Jarod nahm den Ball hoch und warf ihn Jessica zu, die erst einen Moment überlegen musste was sie sagen sollte. Doch dann fiel ihr etwas ein, dass ihr besonders wichtig erschien.

„Wenn ich achtzehn bin, heirate ich einen reichen Mann und gehe niemals arbeiten“, meinte sie stolz und warf ihrem Freund Chris den Ball zu. Der grinste hämisch.

„Wenn es nach mir ginge verprügelte ich den ganzen Tag nur eine Person.“

Bei diesem Satz funkelte er Cassandra giftig an, ehe er den Ball an Alexander weitergab.

„Wenn ich genug Geld gespart habe, kaufe ich mir ein eigenes Pferd“, schwärmte er und seine Augen bekamen einen besonderen Glanz bei diesem Gedanken.

Jarod bemerkte, dass die meisten Schüler sehr auf Cassandra fixiert waren, den Grund kannte er jedoch nicht. Aber das würde er schon noch ergründen. Ein Gespräch mit dem Klassenlehrer konnte womöglich Aufschluss geben. Als er später Tom danach fragte, gab der ihm nur eine ausweichende Antwort, da er in diesem Punkt noch etwas überprüfen wollte. Jarod nahm an, dass der Dozent Bescheid wusste und das Problem bald lösen würde. Andernfalls musste er sich nochmals einschalten, und seine Hilfe anbieten. Auf jeden Fall wollte er ein Auge darauf halten, ob sich die Situation in den nächsten Tagen verbesserte.

Malvina

Am nächsten Tag kam Tom Cooper nicht alleine in die Klasse. Im Schlepptau hatte er eine brünette Schülerin, die so grimmig dreinblickte, als hätte sie gerade erst in eine frische Zitrone gebissen. Tom schob sie mit einer Hand zu seinem Schreibtisch, da sie anscheinend nicht gewillt war weiterzugehen.

„Das ist Malvina MacCoinnich. Sie muss das Jahr wiederholen und geht von nun an in unsere Klasse. Und bevor jemand fragt warum sie erst jetzt kommt beantworte ich diese Frage lieber gleich. Sie war krank und musste das Bett hüten.“ Dann wandte er sich wieder an die neue Schülerin. „Bitte setz dich hier vorne neben Cassandra.“