Ein Herz wie Eis - Marie Francoise - E-Book

Ein Herz wie Eis E-Book

Marie Francoise

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Beschreibung

Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht.   Es war eine große Hochzeit, die an diesem sonnigen Samstagvormittag in Steinhausen stattfand, und die junge Braut strahlte über das ganze Gesicht, als sie am Arm ihres frisch angetrauten Ehemannes die Pfarrkirche St. Benedikt verließ.   »Wer hätte gedacht, daß die Beate mal eine solche Partie machen würde«, raunte Amelie Hauser der Wirtin des Goldenen Löwen zu.   Amelie Hauser war die Besitzerin des hiesigen Gemischtwarenladens und hatte sich trotz der Konkurrenz durch den Supermarkt einen Großteil ihrer Kunden bewahrt – vor allem dadurch, daß sie stets über die neuesten Begebenheiten in Steinhausen und Umgebung bestens Bescheid wußte. Natürlich war sie schon von Berufs wegen ziemlich neugierig und hatte jetzt in Hermine Gruber die passende Gesprächspartnerin gefunden.   »Dem Zander wurde der Reichtum ja schon in die Wiege gelegt«, flüsterte die Wirtin des Steinhausener Gasthofes zurück. »Seinem Vater gehört eine Kaufhauskette, und wenn er mal stirbt, erbt der Günther alles.«   Amelie Hauser grinste boshaft. »Na, da hat die Beate keine so feudale Erbschaft vorzuweisen. Sie bringt statt Geld nur ein uneheliches Kind mit in die Ehe.« Dann schüttelte sie fassungslos den Kopf. »Daß ein Mann wie Günther Zander so eine überhaupt angeschaut hat…«   »Wo die Liebe hinfällt, da gedeiht sie.«   Die beiden Frauen fuhren erschrocken herum, als hinter ihnen so unerwartet die tiefe Stimme von Pfarrer Klaus Wenninger erklang. Jetzt sah er Amelie und Hermine mißbilligend an.   »Ich finde es gar nicht schön, wenn man in dieser herzlosen Weise über andere Menschen spricht«, tadelte er.   Die beiden Frauen erröteten tief, murmelten ein paar entschuldigende Worte und entfernten sich dann auffallend schnell.   »Nun,

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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Dr. Daniel – 44 –Ein Herz wie Eis

Marie Francoise

  Es war eine große Hochzeit, die an diesem sonnigen Samstagvormittag in Steinhausen stattfand, und die junge Braut strahlte über das ganze Gesicht, als sie am Arm ihres frisch angetrauten Ehemannes die Pfarrkirche St. Benedikt verließ.

  »Wer hätte gedacht, daß die Beate mal eine solche Partie machen würde«, raunte Amelie Hauser der Wirtin des Goldenen Löwen zu.

  Amelie Hauser war die Besitzerin des hiesigen Gemischtwarenladens und hatte sich trotz der Konkurrenz durch den Supermarkt einen Großteil ihrer Kunden bewahrt – vor allem dadurch, daß sie stets über die neuesten Begebenheiten in Steinhausen und Umgebung bestens Bescheid wußte. Natürlich war sie schon von Berufs wegen ziemlich neugierig und hatte jetzt in Hermine Gruber die passende Gesprächspartnerin gefunden.

  »Dem Zander wurde der Reichtum ja schon in die Wiege gelegt«, flüsterte die Wirtin des Steinhausener Gasthofes zurück. »Seinem Vater gehört eine Kaufhauskette, und wenn er mal stirbt, erbt der Günther alles.«

  Amelie Hauser grinste boshaft. »Na, da hat die Beate keine so feudale Erbschaft vorzuweisen. Sie bringt statt Geld nur ein uneheliches Kind mit in die Ehe.« Dann schüttelte sie fassungslos den Kopf. »Daß ein Mann wie Günther Zander so eine überhaupt angeschaut hat…«

  »Wo die Liebe hinfällt, da gedeiht sie.«

  Die beiden Frauen fuhren erschrocken herum, als hinter ihnen so unerwartet die tiefe Stimme von Pfarrer Klaus Wenninger erklang. Jetzt sah er Amelie und Hermine mißbilligend an.

  »Ich finde es gar nicht schön, wenn man in dieser herzlosen Weise über andere Menschen spricht«, tadelte er.

  Die beiden Frauen erröteten tief, murmelten ein paar entschuldigende Worte und entfernten sich dann auffallend schnell.

  »Nun, Hochwürden, haben sie zwei Ihrer Schäfchen wieder mal zurechtgewiesen?« fragte Dr. Robert Daniel, der die kleine Szene beobachtet hatte, mit einem amüsierten Schmunzeln.

  »Schäfchen«, murmelte der Pfarrer, dann schüttelte er den Kopf. »Da würde mir schon eine passendere Bezeichnung einfallen, aber…« Er zuckte bedauernd die Schultern, dann warf er einen entschuldigenden Blick nach oben, was Dr. Daniel ein Lächeln entlockte. Der gute Pfarrer Wenninger führte seinen Titel eines Don Camillo von Steinhausen wahrlich zu Recht. Allerdings trug wohl gerade das zu seiner großen Beliebtheit bei.

  »Sind sie auch zur Hochzeit eingeladen, Herr Doktor?« wollte der Pfarrer jetzt wissen.

  Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin eher zufällig hier. Ich habe das Grab meiner Frau frisch bepflanzt, und als ich den Friedhof verließ, fand ich mich plötzlich mitten in der Hochzeitsgesellschaft wieder.« Er sah sich suchend um. »Ist die kleine Anna-Lena nicht dabeigewesen?«

  Pfarrer Wennninger seufzte tief auf. »Das ist ein Kapitel für sich, Her Doktor, und zwar leider ein ganz besonders trauriges.« Er schüttelte den Kopf. »Ich billige Beates Verhalten ganz und gar nicht, aber sie ist aus dem Alter, wo sie auf mich gehört hat, inzwischen längst heraus. Andererseits… vielleicht ist es für Anna-Lena besser, wenn sie die Hochzeit ihrer Mutter gar nicht mitbekommt. Es wird für sie schwer genug sein zu begreifen, daß der Mann ihrer Mutter nicht gleichzeitig ihr Vater ist.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich würde mich gern noch länger mit Ihnen unterhalten, Herr Dr. Daniel, aber ich glaube, das Brautpaar wartet nur noch auf mich.«

  »Wir werden uns sicher bald mal wieder begegnen«, meinte Dr. Daniel und lächelte, weil er ahnte, was der wahre Grund für die plötzliche Eile des Pfarrers war – nämlich das bevorstehende Hochzeitsmenü. Gerade aufs Essen legte Hochwürden Wenninger immer allergrößtenWert.

  Dr. Daniel sah der Hochzeitsgesellschaft nach, die sich jetzt auf den Weg zum Goldenen Löwen machte, dann schlug er den Heimweg ein.

  Plötzlich erklang hinter ihm fröhliches Hundegebell und dazwischen ein helles Kinderstimmchen.

  »Wastl! Wirst du wohl hierbleiben!«

  Dr. Daniel drehte sich um und hielt die wuschelige Promenadenmischung, die ihn jetzt eifrig kläffend umrundete, am Halsband fest, dann sah er das Mädchen an, das atemlos auf ihn zugelaufen kam. Ihre langen, blonden Zöpfe flogen, und ihr zartes Gesichtchen war von der Anstrengung gerötet.

  »Danke, Herr Dr. Daniel«, japste die Kleine. »Ich hätte nie gedacht, daß der Wastl so schnell laufen kann.«

  »Ohne Hundeleine darfst du ihn nicht herauslassen, Anna-Lena«, erklärte Dr. Daniel, dann lächelte er. »Allerdings wäre Wastl sicher nicht mehr weit gelaufen. Er war wohl nur auf der Suche nach dem Herrn Pfarrer.«

  Anna-Lena nickte eifrig. »Ja, wahrscheinlich.« Dann ging sie in die Hocke und schlang beide Arme um die liebenswerte Promenadenmischung. »Wenn ich Geburtstag habe, bekomme ich auch einen Hund.«

  »So?« entgegnete Dr. Daniel, weil er sich gar nicht vorstellen konnte, daß Beate Zander ihrem Töchterchen einen Hund schenken würde. Bei Anna-Lena wurde ja sogar am Allernotwendigsten gespart, während Beate selbst sich beinahe jeden Wunsch erfüllte.

  »Ja«, fuhr Anna-Lena ernsthaft fort. »Meine Mutti hat mich sehr lieb. Sie kauft mir alles, was ich mir wünsche. Erst gestern hat sie mir dieses Kleid geschenkt.« Sie ließ Wastl los, stand auf und drehte sich vor Dr. Daniel. »Ist es nicht hübsch?«

  »Ja, Anna-Lena, es ist ein wunderschönes Kleid«, antwortete Dr. Daniel und fragte sich, ob die Sechsjährige wirklich nicht wußte, daß dieses Kleid nicht ihre Mutter, sondern Gerdi Schuster, die Haushälterin des Pfarrers, gekauft hatte, weil sie mit der kleinen Anna-Lena so großes Mitleid hatte.

  »Meine Mutti kauft mir immer so viel«, behauptete das Mädchen. »Ich habe lauter hübsche Kleider im Schrank hängen, aber ich ziehe sie nur selten an, weil sie zum Spielen viel zu schade sind.«

  In diesem Moment begriff Dr. Daniel. Anna-Lena wußte sehr wohl, daß ihre Mutter ihr nur selten etwas kaufte, und schon gar nichts Neues. Was sie erzählte, waren die unerfüllten Wünsche, die sie im Herzen trug. Dieses Kind sehnte sich verzweifelt nach Liebe… nach einer Liebe, die ihre Mutter nicht bereit war, ihr zu geben.

  Sanft streichelte Dr. Daniel über ihr blondes Haar. »Komm, Anna-Lena, bringen wir Wastl nach Hause.«

  Das Mädchen nickte. »Tante Gerdi wird sich schon Sorgen um ihn machen.«

  »Nicht nur um ihn«, vermutete Dr. Daniel, »sondern vor allem auch um dich.«

  Es stellte sich heraus, daß Gerdi Schuster tatsächlich schon in großer Sorge um das Kind gewesen war.

  »Vor einer Viertelstunde haben Anna-Lena und Wastl im Garten getobt«, erklärte sie, und man sah ihr dabei die Aufregung noch an. »Als ich jetzt aus dem Fenster schaute, waren sie plötzlich weg.«

  »Kinder können manchmal sehr schnell sein«, stimmte Dr. Daniel zu. »Ich erinnere mich da noch sehr gut an meine beiden. Als Stefan und Karina noch klein waren, sind sie mir mal in der Nähe des Waldsees ausgebüchst. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt vor lauter Angst um sie.«

  Gerdi nickte. »Das kann ich mir vorstellen.« Dann beugte sie sich zu Anna-Lena hinunter. »Geh schon mal in die Küche, Kleines. Da steht eine Tasse Kakao für dich, und ein Stück Hefezopf mit Butter und Marmelade ist auch da.«

  Anna-Lena leckte sich die Lippen. »Mhm, fein.«

  Dr. Daniel und Gerdi sahen ihr nach, als sie in die Küche hüpfte.

  »Armes Haserl«, meinte Gerdi leise. »Der Vater ist auf und da-von, und die Mutter…« Sie winkte ab.

  Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Ich kann Beate wirklich nicht verstehen. Anna-Lena ist so ein herziges Kind. Aber es scheint, als würde sie wirklich gar nichts für die Kleine empfinden. Schon während der Schwangerschaft war sie so nachlässig…« Dr. Daniel stockte. In seinem Mitleid mit dem kleinen Mädchen hätte er beinahe mehr gesagt, als ihm aufgrund seiner ärztlichen Schweigepflicht gestattet war.

  Gerdi sah den Arzt an. »Was glauben Sie, Herr Doktor? Wird der junge Zander die Kleine adoptieren? Immerhin ist er jetzt ja mit Anna-Lenas Mutter verheiratet.«

  Dr. Daniel seufzte. »Ich denke nicht, daß Anna-Lena durch diese Heirat wirkliche Eltern bekommen wird. Allerdings erwähnt Beate immer wieder, daß Anna-Lenas Vater die Kleine irgendwann zu sich nehmen werde.«

  Gerdis Blick war äußerst skeptisch. »Daran glaube ich schon lange nicht mehr. Außerdem… denken Sie, es wäre für das Kind ein Glück wenn es von der Mutter abgeschoben und zu einem für sie völlig fremden Mann kommen würde?«

  »Ich weiß nicht, Frau Schuster – ist für ein Kind nicht alles besser als diese Lieblosigkeit, in der Anna-Lena bis jetzt aufwachsen mußte?«

*

  »Eine Ruhe ist das«, seufzte Beate Zander genüßlich. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß die Haushälterin vom Pfarrer Anna-Lena noch eine Nacht bei sich behalten hat. Wenn wir die Göre nur öfter abschieben könnten.«

  Ihr Mann nickte zustimmend. »Anna-Lena ist wirklich lästig.« Er nahm Beate in die Arme und küßte sie. »Ich wollte eigentlich nur heiraten und nicht gleich Vater einer Sechsjährigen werden.«

  Beate lachte gurrend über diesen Scherz. »Wer sagt denn, daß du ihr Vater bist? Soweit ich es überblicken kann, bist du nur mein Mann, und Anna-Lena wird nicht ewig bei uns sein.«

  Günther seufzte tief auf. »Das versprichst du mir schon seit einem Jahr. Wann wird dein Ex-Freund nun endlich seine Vaterpflichten übernehmen?«

  »Ich weiß es nicht«, gab Beate zu. »In letzter Zeit hat er sich überhaupt nicht mehr gemeldet.« Sie zögerte. »Wenn ich ehrlich bin, muß ich zugeben, daß ich momentan keine Ahnung habe, wo er sich überhaupt aufhält.«

  »Das heißt, daß wir die kleine Nervensäge noch für unbestimmte Zeit auf dem Hals haben«, stöhnte Günther. »Wahrscheinlich sogar für immer.« Er schwieg kurz. »Sie lügt übrigens wie gedruckt.«

  »Ich weiß«, entgegnete Beate lakonisch, dann lächelte sie boshaft. »Allerdings nicht zu unserem Nachteil. Überall erzählt sie herum, wie lieb wir sie hätten und was wir ihr alles kaufen würden.« Sie winkte ab. »Laß ihr den Spaß.« Dann schmiegte sie sich an Günther. »Wir sollten jetzt nicht über Anna-Lena sprechen. Laß uns lieber froh sein, daß wir sie für heute los sind.«

  »Du hast recht«, meinte Günther, dann küßte er seine junge Frau, doch allzu lange hatten die beiden nicht mehr Gelegenheit, sich miteinander zu beschäftigen, denn in diesem Moment klingelte das Telefon.

  »Laß doch«, murmelte Günther, als Beate sich melden wollte.

  »Vielleicht ist es wichtig«, wandte sie ein, dann hob sie den Hörer ab. »Zander!« Unüberhörbarer Stolz schwang in ihrer Stimme mit, als sie den neuen Namen nannte.

  »Hier ist Gerdi Schuster«, gab sich die Haushälterin des Pfarrers zu erkennen. »Es tut mir leid, wenn ich Sie stören muß, aber Anna-Lena hat ganz plötzlich hohes Fieber bekommen.«

  »Na und?« entgegnete Beate ungehalten. »Ist das etwa ein Grund, mich um diese Zeit noch anzurufen? Hören Sie, Gerdi, Kinder haben schnell mal irgend etwas. Vielleicht hat sie sich eben erkältet.«

  »Ich weiß nicht«, meinte Gerdi gedehnt. »Anna-Lena klagt über Kopf- und Halsschmerzen.« Sie zögerte. »Und sie möchte nach Hause.«

  »Kommt überhaupt nicht in Frage!« wehrte Beate entschieden ab. »Mein Mann und ich haben Karten für die Oper, und ich denke gar nicht daran…«

  »Beate, Ihr Kind ist krank«, fiel Gerdi ihr ins Wort. »Glauben Sie nicht, daß Anna-Lena wichtiger ist als die Oper? Abgesehen davon, daß es jetzt schon nach acht Uhr abends ist.«

  »Das geht Sie ja wohl kaum etwas an!« brauste Beate auf, weil sie gerade bei einer offensichtlichen Lüge ertappt worden war. »Außerdem – was soll ich tun? Wenn Anna-Lena Fieber hat, dann braucht sie einen Arzt.«

  Gerdi begriff einfach nicht, wie Beate so eiskalt sein konnte, wenn es um ihr Kind ging.

  »An einem Sonntag und noch dazu um diese Zeit werde ich Dr. Leitner sicher nicht mehr erreichen«, wandte sie ein. »Beate…«

  »Meine Güte, Sie machen wirklich aus einer Mücke einen Elefanten!« hielt Beate ihr vor. »Ich bin sicher, daß Anna-Lena morgen wieder kerngesund sein wird. Aber wenn Sie sich Sorgen machen, dann steht es Ihnen ja frei, in der Waldsee-Klinik anzurufen. Da ist nämlich auch am Sonntag um diese Zeit mit Sicherheit jemand anwesend. Mich lassen Sie damit aber gefälligst in Ruhe. Und richten Sie Anna-Lena aus, daß sie sich nicht so anstellen soll. Wegen ein bißchen Fieber muß sie nicht gleich nach Hause kommen. Sie wird hier bestimmt auch nicht schneller gesund als bei Ihnen.«

  Damit legte Beate einfach auf.

  »Unerhört!« schimpfte sie vor sich hin, dann wandte sie sich Günther zu. »Die wollte mir um diese Zeit doch tatsächlich Anna-Lena aufhalsen, nur weil sie ein bißchen erkältet ist und Fieber hat.«

  Günther seufzte tief auf. »Dieses Kind geht mir allmählich auf die Nerven. Kannst du es nicht zur Adoption freigeben? Je eher wir den Fratz los sind, um so besser.«

  Beate ließ sich auf das Sofa fallen. »Das hätte ich gleich nach der Geburt tun sollen, aber da hat meine Mutter noch gelebt, und sie hätte es mir niemals verziehen, wenn ich das Kind weggegeben hätte. Außerdem ging das damals alles so schön. Anna-Lena war praktisch ständig bei der Oma, und ich konnte mein eigenes Leben genießen.«

  »Jetzt ist deine Mutter aber tot«, wandte Günther ein. »Und du mühst dich seit über zwei Jahren mit einem Kind ab, daß du

vermutlich gar nicht haben wolltest.«

  »Du hast recht«, stimmte Beate zu. »Aber ich fürchte, es wird nicht ganz einfach sein, Anna-Lena loszuwerden. Wer adoptiert schon eine Sechsjährige? Die wollen ja alle nur Babys haben. Außerdem müssen wir an unseren Ruf denken – vor allem deinetwegen. Immerhin wirst du irgendwann Chef einer großen Firma sein, und dann könnte dir unnötiges Getratsche nur schaden.«

  »Irgendeine Lösung werden wir schon finden.« Er nahm Beate heftig in die Arme. »Und dann, mein Schatz, beginnt unser Leben erst wirklich.«

*

  »Sie hat einfach aufgelegt«, erklärte Gerdi Schuster an Pfarrer Wenninger gewandt, dann erzählte sie ihm, was Beate gesagt hatte.

  »Was soll ich denn jetzt tun, Hochwürden?« fügte sie ratlos hinzu. »Dr. Leitner ist noch neu hier, da möchte ich ihn ungern an einem Sonntagabend privat stören.« Sie warf dem Kind, das mit hochroten Wangen und feuchtgeschwitzten Haaren auf dem Sofa lag, einen besorgten Blick zu. »Vielleicht ist es ja wirklich nur eine harmlose Erkältung.«

  »Nein, Gerdi, so einfach können wir es uns nicht machen«, entgegnete Pfarrer Wenninger entschieden. »Ich werde Dr. Daniel anrufen. Er ist zwar kein Kinderarzt, aber er kennt Anna-Lena seit ihrer Geburt und wird sicher rasch herüberkommen, um sie sich anzusehen.«

  Das tat er dann auch. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis Dr. Daniel im Pfarrhaus eintraf.

  »Haben Sie die Temperatur gemessen?« wollte er von Gerdi Schuster wissen.

  Die Haushälterin nickte. »Vor einer Stunde etwa. Da lag sie bei neununddreißig Grad, aber inzwischen scheint das Fieber noch gestiegen zu sein.«

  Dr. Daniel fuhr sich mit einer Hand durch das dichte blonde Haar.

  »Im Augenblick grassiert in Steinhausen ja wirklich eine schwere Erkältungswelle mit hohem Fieber«, meinte er. »Aber ich bin Gynäkologe und kann nicht mit letzter Sicherheit beurteilen, ob sich Anna-Lena nicht vielleicht doch etwas anderes eingefangen hat. Gerade mit Kinderkrankheiten bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden.«

  »Sollen wir sie vielleicht doch in die Waldsee-Klinik bringen?« fragte Pfarrer Wenninger.

  Dr. Daniel kam zu keiner Antwort mehr, denn jetzt öffnete Anna-Lena die Augen.

  »Ich will zu meiner Mutti«, flüsterte sie.

  Liebevoll streichelte Dr. Daniel durch ihr feuchtes Haar. Von Gerdi wußte er bereits, daß Beate nicht bereit war, ihr krankes Kind nach Hause zu holen.

  »Deine Mutti ist nicht daheim, Kleines«, erklärte er, um dem Kind unnötigen Schmerz zu ersparen. »Tut dir etwas weh, Anna-Lena?«

  Die Kleine nickte. »Mein Hals… und mein Kopf…«

  Dr. Daniel runzelte die Stirn. Waren in Steinhausen nicht gerade ein paar Scharlachfälle aufgetreten?

  Entschlossen stand er auf. »Ich rufe Dr. Leitner an.«

  Es dauerte nicht lange, bis sich der neue Steinhausener Kinderarzt meldete.

  »Herr Kollege, hier Daniel. Es tut mir leid, wenn ich Sie zu Hause stören muß, aber ich habe da ein Kind mit hohem Fieber, Hals- und Kopfschmerzen.«