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Inga? Inga … wer? Die vom Gesangsduo «Inga und Wolf?» Zur Hälfte richtig: Diese Inga hat auch einen Wolf, aber nicht in Berlin, sondern am Schweizer Bodenseeufer, wo sie solo singt und Wolf sie begleitet. Dort zählt sie zu den Promis B, aber nicht im langweiligen Ichmacheimmerdasselbe. Inga hat ein hochbuntes Leben hinter sich, dessen Dreivierteljahrhundert sie in diesem Buch abruft. Erst die Flucht aus dem pädagogisch-trögen Saarland, der erste Frust in der Schweiz und dann das Aufblühen in der Eidgenossenschaft als Lehrerein für ausländische Fluchtkinder, als Weltreisende, Sängerin in einem Kabarettduo mit ihrem Mann, verheiratet über die Goldenen Hochzeit hinaus, Schweiz-Kennerin, mutiert in Sprache und Adaption, bis sie den roten Pass hat, liebt grosse Tandemtouren, hat vier Appenzeller Bläss beerdigt und lebt und liebt in ungewöhnlich positiven Dimensionen. Ein Buch gegen das Jammern und für das Geniessen des Lebens.
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Seitenzahl: 104
Veröffentlichungsjahr: 2023
Wolf Buchinger
ein Leben im Plus
Inga's besondere Erinnerungen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Lebenslauf
Mein besonderer Einstieg ins Leben
Inga dansa! Schwedenmädel, hopp-hopp-hopp!
Schwedisches Sprichwort
Als Kind habe ich Kirche geliebt
Farfar und Martin Luther
Aus «En poor gode Druppen gegen alle Hartensnot»
Der Paukenschlag
Hochzeit am Ostersonntag – geht das?
Nachhilfe in Sexualkunde in den Flitterwochen
Ab in die Freiheit
Überraschendes Kompliment von höherer Stelle
Die landesüblich-korrekte Bitte an das Service-Personal, die Rechnung bezahlen zu dürfen
Schweizer werden: mo-moll
Das Gedankenprotokoll von damals: Tag eins der Prüfung: Die Polizei bittet zum Verhör.
Tag zwei der Prüfung: Die Einbürgerungskommission der Ortsbürgergemeinde bittet zum Verhör.
Der Humor des Schweizers
«Lueg, ‘s Negerli!»
Mustafa fährt Ski
Pingping, Pinki, Pingpong 1 und Pingpong 2: 40 Jahre Appenzeller Bläss
Faszination Tandem
Drei Jahre Irrweg
Erlebnis Frühstücksfernsehen bei RTL
Musik - Mussig - Musique
Kabarett «Leipziger Pfeffermühle» zu Ulbrichts Zeiten
Die Stille in der Dresdner Frauenkirche
Grosses in der Ruine
Paris-Orly: Terrorverdacht
Nachhilfe in Sexualkunde in Australien
10 Watt für 1000 Zuschauer
Ausgesetzt in der Sahara
Mein Mann, der Lemuren-Versteher
Kriminelle Taube
Pannenhilfe auf Lanzarote
Promis ganz nah
Paola und Kurt Felix.
Der Wetterfrosch.
Der «Schnorri der Nation»
Der ehemalige Fremdenlegionär
Der Volkschauspieler
Der Velorennfahrer
Emil Steinberger
Der Hausverkauf
«Geschter bin ech z‘Bärn gsi»
Sendepause
Wenn der Schweizer Sicherheitswahn Triumphe feiert
Ist es «mit» besser als «ohne»?
Die Ente vom Ende der Kernbeissers
«Warum ist dein Leben so positiv verlaufen?»
Kontrolle und Autonomie
Lustgewinn und Unlustvermeidung
Bindung und Zugehörigkeit
Wahrung des Selbstwertes
Danke Wolf
Impressum neobooks
Inga Buchinger, geborene Luschewski (nach ihr gibt es diesen Namen nicht mehr)
gezeugt im Januar 1947, gleich nach der Rückkehr ihres Vaters aus der Kriegsgefangenschaft
geboren am Dienstag, den 14. Oktober 1947 um 11Uhr10 in Neunkirchen, mitten im Saarland
Kindheit und Jugend in Elversberg, heute bekannt für seine Fussballer
1966 «Pudding-Abitur» wegen dem Hauptfach Hauswirtschaft statt Latein im obigen Neunkirchen
Studium an der Pädagogischen Hochschule in Saarbrücken, auch mit Begeisterung
Dort Oberstufenlehrerin von 1969 bis 1972 auf dem Eschberg
Ostersonntag 1969 Heirat aus Liebe und Vernunft mit dem Pfälzer Wolf
1972 pädagogische Flucht in die Schweiz
1973 «Institut auf dem Rosenberg» in St.Gallen, der Versuch, überbegüterte Jugendliche zum Lernen zu motivieren
1974 bis zur Pensionierung 2011 in dieser schönen Stadt Lehrerin und später Leiterin von bis zu zwanzig Integrationsklassen für Flüchtlinge aus der ganzen Welt
1978 Gründung des Chanson- und Kabarett-Duos «Kernbeissers» mit ihrem Wolf
1980-1984 Moderatorin bei «Radio aktuell» in St.Gallen
Weltreisende über alle Kontinente, über vierzig Jahre Hundemama, Texterin von Chansons, mangels Gleichgewichts: Tandemfahrerin über
zehntausende von Kilometern, aime la France, lernt Schnecken und Austern zu mögen, muss auch Hausfrau sein, blieb zeitlebens schlank und wirkt auf alle, die mit ihr zu tun haben, fröhlich und positiv.
Ihre Asche soll in Paris auf dem Friedhof «Père Lachaise» um das Grab von Edith Piaf verstreut werden.
Schon vor meiner Geburt habe ich indirekt
ordentlich Geld verdient und im Tauschhandel
meiner Familie ein wenig Luxus verschafft.
Im Nachkriegsjahr 1947 fehlte es an allem, kaufen konnte man wenig; Armut, Hunger, politische und soziale Unsicherheiten und später dann der lange eiskalte Winter machten das Leben schwierig.
Meine Mutter war allein, der Vater in
Kriegsgefangenschaft, die Grossmutter krank und der Einzige, der den Lebensstandard hätte heben können, mein Grossvater, hatte Berufsverbot, weil er als Arzt im Verdacht stand, mit den Nazis
kollaboriert zu haben.
Meine Mutter hatte, trotz Mangelernährung, mit
ihren ausladenden Brüsten grosse Mengen an
Muttermilch produziert. Schnell hatte es sich im Dorf rumgesprochen und sie konnte aus zahlreichen Nahrungsangeboten weniger produktiver Mütter auswählen.
In dieses besondere Umfeld wurde ich am
Dienstag, den 14.Oktober 1947 als 4½ Kilo
schwerer Wonneproppen hineingeboren und gedieh prächtig dank der besonderen Ernährungslage und dem Arzt im Hause, der sich rührend um mich
kümmerte.
«Schwedische Frauen sind besonders schön, weil sie schlank, gross und gebildet sind.»
Für damalige Verhältnisse, als Ausländerinnen noch sehr selten im Saarland waren, hatte meine
Grossmutter «Muman» alle Vorstellungen meines Grossvaters erfüllt: Sie konnte repräsentieren, trug die aktuelle Mode, verwendete viel Zeit für
Gesichts- und Körperpflege und genoss es, wenn sie Komplimente bekam, besonders von den
Kollegen ihres Mannes. Sie erfüllte ihre
Ehepflichten mit der Geburt zweier Söhne und zweier Töchter, die alle in gehobenen Berufen bis hin zum Minister avancierten.
Nachdem sie ihre biologische Lebensaufgabe erfüllt sah, wandelte sie sich total. Ihr Lebensmittelpunkt wurde das grosse Schlafzimmer, wo sie auch den grössten Teil des Tages verbrachte. Sie hörte schwedische Radiosender, telefonierte endlos
dorthin, gab Audienzen für Familienmitglieder und Gäste. Selbst ihr für sie so wichtiger Geburtstag wurde dort gefeiert. Sie nahm die Gratulationen im Bett an.
Der Sonntag war für sie ein trauriger Tag. In ihrer Jugend war sie dann zum Tanzen gegangen bei Konzerten mit schwedischer Volksmusik. Hier, in der Fremde, wurde das Radio laut aufgedreht, die Schlafzimmertür verschlossen, sie zog ihre Kleider und Accessoires von früher an, trank nicht
zimperlich weissen schwedischen Schnaps, tanzte ganz allein und sank danach ermattet und fröhlich ins Bett.
Ich muss in der 2. oder 3. Klasse gewesen sein, als eines Sonntags der Ruf durchs Haus erschallte: «Inga! Dansa!» Ihre Wünsche waren mir Befehl, also gehorchte ich und begann über viele Jahre ein sonntägliches Ritual. Sie lehrte mich ihre
Volkslieder, trainierte mit mir die komplizierten Tanzschritte, bei denen es immer wieder gewagte Drehungen gab und kontrollierte im riesigen Spiegel des Kleiderschranks, ob wir auch wirklich synchron tanzten:
Komm kleines Schwedenmädel, tanz mit mir,
tanz mit mir, tanz mit mir!
Wie wir die Polka tanzen zeig′ ich dir
Ja, das zeig ich dir!
Einst, wenn im Lande wieder Frühling istFrühling ist, Frühling istDann wird ein jeder Mädchenmund geküsst Zärtlich heiß geküsst!
Wenn die Alleen in Stockholm blüh'nWerd′ Arm in Arm ich mit dir zieh'n Wenn wir uns küssenDann wirst du wissenIch habe dich so lieb!
Muman war glücklich. Farfar auch. Meine Eltern auch. Die Söhne und Töchter auch.
Ich hatte das erreicht, was mich ein Leben lang
antrieb: Interner Konsens und die Zufriedenheit
anderer Menschen.
«Wer singen will, findet immer ein Lied»,
oft von Muman zitiert.
Nicht wegen des Gottesdienstes oder den
Predigten, die ich nie verstanden habe. Im
Gegensatz zu meiner verwöhnten Muman war meine zweite Grossmutter eine ganz einfache Frau, die in einer kleinen bescheidenen Wohnung im
Nachbardorf lebte und die ich als kleines Mädchen häufig besuchte.
Wahrscheinlich habe ich ihre Stimme geerbt. Wir beide hatten unbändige Freude am Singen und setzten uns in der Kirche immer in eine der hinteren Reihen, damit wir die vor uns Sitzenden mit
zweistimmigen Chorälen übertönen konnten. Laut, sauber, emotional. Alle im Dorf bewunderten uns.
Selbst der immer unzufriedene Metzgermeister lobte uns und fand die perfekte Ausrede, warum er nicht mitsingen musste: «Ich selbst bleibe lieber still, damit ich euren Engelsgesang geniessen kann».
Wenn Menschen sterben, wünschen sie sich, dass möglichst viele oft und lange an sie denken.
Bei meinem geliebten Grossvater, der von seiner schwedischen Frau ‘Farfar’ genannt wurde, war es genauso:
Er hatte einige Bücher im Dialekt seiner Heimat Pommern geschrieben, daraus einige
Sonntagsansprachen im Radio gehalten und hoffte, dadurch etwas länger im Gedächtnis der Menschen zu bleiben.
Doch er hatte die Rechnung ohne seine Familie
gemacht: infolge Erbstreitigkeiten und seiner
heftigen Demenz, wurde er schneller vergessen als
erhofft.
Er mochte die grosse Geste und mir blieben zwei besondere Ereignisse mit ihm in Erinnerung:
Wochen vor seinem Tode hörte ich eine Etage über mir laute Geräusche: Er sass auf einem damals
üblichen Servierbeistelltisch mit Rollen und fuhr mit kindlicher Fröhlichkeit absichtlich mehrmals gegen den Geschirrschrank mit den teuren
Aussteuerstücken. Demente können an solchen Vorgängen durchaus Freude haben.
In meiner Kindheit hatte ich öfters nicht enden
wollenden Schluckauf. Als es wieder einmal besonders schlimm war, zitierte er mich auf die alte Ledercouch in seiner Praxis und setzte sich neben mich:
«Hörst du den Kuckuck rufen?»
«Nein, Farfar, ich höre nix.»
«Immer noch nichts?»
«Nein!»
Er griff langsam in seine rechte Hosentasche, zog im Zeitlupentempo sein Taschenmesser heraus,
öffnete die Klinge - und ich fragte mich voller Angst, was er wohl damit wolle.
«Hörst du den Kuckuck?» Mein «Nein» wartete er gar nicht erst ab. Er stiess das Messer ohne
Vorwarnung pfeilschnell an meinem Ohr vorbei in die Luft. Er hatte meinen Schrecken provoziert, der die unnötige Luftzufuhr gestoppt hat.
Seitdem hatte ich nie mehr Schluckauf, und wenn sich doch einer andeutete, erinnerte ich mich mit Grauen an diese Situation - erfolgreich.
Als einzige Geste des Gedenkens an meinen Grossvater, der als Arzt im saarländischen
Elversberg immerhin bei über 3‘000 Kindern
Geburtshilfe geleistet hatte, benannte die Gemeinde die 700 Meter kurze Gartenstrasse, in der er
gewohnt hatte und in der auch seine Praxis
gewesen war, in «Dr. Trittelvitz-Strasse» um.
Zwanzig Jahre später habe ich dort mal
nachgefragt, ob die Anwohner wissen, wer hinter diesem Namen steckt. Es kamen ausweichende Antworten, etwa «Er muss hier wohl wichtig
gewesen sein.»
Über 50 Jahre später waren auch seine Söhne und Töchter verstorben, Enkel trugen zwar seinen
Namen, wussten aber nur, dass er Arzt gewesen war und damals entnazifiziert wurde.
Vergessen total.
Genau ein halbes Jahrhundert später geschah das Wunder: Das Bibelzentrum Barth in seiner Heimat Pommern hatte ihn wiederentdeckt und alles
gesammelt, was über ihn noch zu finden war - und das war erstaunlich viel -, stellte es aufwändig in
einem Museum aus und fand als Geldgeber den kirchlichen Arbeitskreis «Plattdütsch in de Kirch», der eine Wanderausstellung ermöglichte, die im Rahmen eines Gottesdienstes in mehreren Kirchen vorgestellt wurde. Und mein Farfar war zusammen mit Martin Luther auf dem Werbeflyer abgebildet.
Ich steuerte alle seine verstaubten Bücher und
Fotos bei und durfte als Einzige, die noch aus der Familie zu finden war, eine Tonaufnahme in Form von Erinnerungen aufnehmen und richtete sie direkt zu ihm nach «oben in den Himmel»:
Wir beide, wir waren schon ein besonderes Team, du als ältester und ich als Nesthäkchen im
Doktorhaus Trittelvitz in Elversberg. Oh ja, ich hatte einen Heidenrespekt vor dir, wie übrigens auch viele deiner Patienten, die dich gleichzeitig
verehrten und fürchteten. Du warst kein Tüttel-Opa, sondern hast alle im Haus, deine Tochter Ingrid, deinen Schwiegersohn Bernhard und uns drei
Enkeltöchter, fest im Griff gehabt. Du residiertest mit deiner schönen schwedischen Frau Judith,
unserer Muman, im Erdgeschoss. Weisst du
eigentlich, wie perfide es war, dass wir alle immer durch eure Küche gehen mussten, in der ihr
während der Woche gegessen habt, wenn wir in
unsere Wohnung in der oberen Etage gelangen
wollten. Da kam nämlich keiner an dir vorbei, ohne Rapport zu geben über Erfolge in Schule und Beruf. Am meisten tat mir dabei mein Vati leid, dem du, wenn er nach einem Neun-Stunden-Tag in der Zahnarztpraxis nach Hause kam, jeden
Tag detailliert auf den Zahn fühltest.
(Ein paar Tropfen gegen alle Herzensnot):
As ik dissen Sommer in mien leev oll Heimat an de Ostsee wier, hebben die Lüür dor vääl Fragen an mi stellt. Een Fraag keem ävers ümmer wedder, un tode heff ik mi richtig freugt: «Wur geiht dat lütt Inga?» Von de heff ik ja so mennig Geschicht in uns Kirchenblatt vertellt, dat de Läsers ehr kennen. Weck wieren ävers ok dor, de wullen weiten, of’t überhaupt en Inga gäven deit: Ist das nicht nur ein Produkt Ihrer dichterischen Fantasie?» Dat ik nich lach! Uns Inga en Phantasieprodukt! Nee, mien
leven Lüür, se läävt un is en gesunnes un strammes Göör. Mit ehr blagen Ogen kickt se driest in de Welt, in de School is se de best, in de Köök help se ehr Mudding un ehr Vadder seggt von ehr: «Marke Familienstolz!»
Als ich diesen Sommer in meiner lieben alten
Heimat an der Ostsee war, haben die Leute viele Fragen an mich gestellt. Eine kam aber immer wieder, und darüber habe ich mich richtig gefreut: «Wie geht es der kleinen Inga?» Von der habe ich ja so einige
Geschichten in unserm Kirchenblatt erzählt, so dass die Leser sie kennen. Es gab auch solche, die wollten wissen, ob es eine Inga überhaupt gibt: «Ist das nicht ein Produkt
Ihrer Fantasie?»
Dass ich nicht lache! Unsre Inga ein
Fantasieprodukt! Nein, meine lieben Leut’, sie lebt und ist ein gesundes und strammes Gör. Mit ihren blauen Augen schaut sie dreist in die Welt, in der Schule ist sie die beste, in der Küche hilft sie ihrer Mutter und ihr Vater sagt von ihr: «Marke Familienstolz».
Leider konnte ich es ihm nicht mehr mitteilen, dass nun doch viele Menschen wieder an ihn denken.