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Dieses Buch ist eine spezielle Liebeserklärung an die Grande Nation: ein Kaleidoskop heiterer, nachdenklicher, humorvoller, satirischer Texte, ein Blick hinter die Kulissen dieses Nachbarlandes, das zu den beliebtesten Touristenzielen zählt, von dessen Menschen man aber oft zu wenig weiß … und immer wieder begegnet dem Leser der Bauer Mathieu mit ganz persönlichen Einblicken in sein Leben, stellvertretend für den Alltag in der Grande Nation.
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Seitenzahl: 87
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Wolf Buchinger
Frankreich oh làlà
heiter-satirische Kurzgeschichten
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Inhaltsverzeichnis
Titel
La Grande Nation und das Grand Lit
Coq au vin
La Grande Nation und das Küssen
Wenn Austern Menschen wären,
La Grande Nation und das Jammern
Les oeufs en meurette
La Grande Nation und der Aperitif
Fromage de Munster
La Grande Nation und der Wein
Châteauneuf-du-Pâpe
La Grande Nation und die Tour de France
La Grande Nation und die Liebe
Frühling - wo?
La Grande Nation und die Zähne
Les escargots à la Bourgogne
La Grande Nation und das Gesetz Napoleons
La Grande Nation und der Ballast, seltenst die Nummer eins gewesen zu sein
Hôtel moderne
La Grande Nation und die Araber
Foie gras
Impressum neobooks
Wolf Buchinger
Heiter-satirischer Kurzgeschichten
Als Mitteleuropäer ist jeder sein eigenes Bett gewohnt; alleine kann man darin gegen den Rest der Nacht kämpfen, sich umdrehen und wälzen, ganz wie es das Unterbewusstsein verlangt. Der Ehepartner kann im Nebenbett dasselbe tun; man ist sich nah, ohne sich nahe kommen zu müssen.
Im Urlaub in Frankreich jedoch wird in etlichen Nächten der eheliche Konsens hart auf die Probe gestellt: Der warme Sommerabend, das ausgezeichnete Essen mit fünf Gängen und der süffige Rotwein lassen den Gang ins Bett oft früher notwendig werden als in unseren Breiten.
Doch jetzt, ausgerechnet jetzt, unterscheiden sich unsere Gewohnheiten total von denen unseres miteuropäischen Nachbarn: zwei von drei Hotelbetten sind das so genannte Grand Lit – in der wörtlichen Übersetzung Großes Bett, – in der Realität aber kürzer und für zwei Personen kaum größer als unser heimisches Bett.
Daran entzündet sich der Kampf der Geschlechter: Nehmen wir an, dass die Frau beim nächtlichen Schönheitsritual im Bad länger braucht als der Mann, so kann dieser erst einmal vom ganzen Grand Lit Gebrauch machen. Er legt sich in die Mitte, benutzt die ganze Bettdecke und ist, dank des besonderen Abends, schon am Einschlafen, wenn die Ehefrau mit sichtbar bösem Blick ihre fünfzig Prozent des sogenannten Großen Bettes in Beschlag nehmen will.
Jetzt gibt es zwei verbale Kampfmöglichkeiten: Die Frankreich erfahrene Frau wird es mit einem knappen »Rutsch rüber!« versuchen, die Frankreich unerfahrene wird einen längeren Exkurs über das Ferienziel mit einem Bettenvergleich von Europa bis nach Tahiti anstellen.
Der Grand Lit erfahrene Mann darf sich von keiner Variante beeindrucken lassen, denn jedes freiwillige Zurseiterutschen würde bis zum Morgen einen gewaltigen Platzverlust zur Folge haben.
Der Kampf tritt bald in die entscheidende Phase! Die Frau lässt sich mehr oder weniger geschickt in den verbleibenden kleinen Rest des Bettes mit einem Zipfelchen Decke fallen, in der Hoffnung, einen Teil davon ohne weiteres zu bekommen. Je nach Qualität ihres Beckenstoßes erreicht sie einen Platzgewinn von vier bis acht Zentimetern, der Rest ist in der Regel eine recht unerfreuliche Diskussion:
Sie: »Ich habe zu wenig Platz!«
Er: »Ich schlafe schon.«
Sie: »Rutsch rüber!«
Er: »Du könntest wenigstens ›bitte‹ sagen!«
Sie: »Ooh – rutsch bitte rüber!«
Er: »Schrei doch nicht so! Es ist Nacht!«
Sie: »Ich will auch schlafen!«
Er: »Dann schlaf doch und lass mich in Ruh.«
Sie: »Rutsch rüber!«
Er: »Gute Nacht!«
Der Rest der Diskussion läuft, je nach Zustand der Ehe, minutenlang weiter, deutlich hörbar in den nächsten drei bis sechs Zimmern, was wenig stört, denn entweder finden dort die gleichen Szenen unter Touristenpaaren statt oder ein französisches Ehepaar träumt bereits engumschlungen im Grand Lit in Morpheus Armen.
Hähnchen in Weinsauce
Stolz thronend auf dem Misthaufen,
da einen Regenwurm picken,
dort ein Huhn begatten,
glücklich, würdevoll, stolz.
Dazwischen ein paar Wochen Tiefkühltruhe.
Und jetzt liegt er auf dem Teller:
gelblich-weißer Bauch nach oben,
schwarze Poren von Hühnerhaut,
Beine und Kopf abgeschnitten
in blutroter Burgundersauce mit geheimer
Kräutermischung
und träumt mit allen Fasern seines Körpers,
wieder einmal
auf dem Misthaufen zu krähen.
Nein, nein, damit ist nicht das lustvolle Küssen von Schmollmündern einer Brigitte Bardot oder einer Catherine Deneuve gemeint, auch nicht das pflichtgemäße Abknutschen sozialistischer Brüder.
Küssen ist in Frankreich eine Art Volkssport geworden: Jeder küsst jeden, jede jede, sobald man sich mehr als einmal gesehen hat. Hände schütteln ist hier eine veraltete Form der Begrüßung, die höchstens noch mit Ausländern oder unliebsamen Mitmenschen praktiziert wird.
Geküsst wird von morgens bis abends ohne Rücksicht aufs Geschlecht, quer durch alle sozialen Schichten. Wie gesagt, es ist das Begrüßungsküssen, ziemlich genau das Gegenteil des intimen Kusses zwischen Liebenden. Beobachtet man die aktiven Begrüßungsküssenden genau, so scheinen sie dabei zu leiden. Man geht aufeinander zu, bringt durch Bücken oder Strecken die beiden Köpfe auf das gleiche Niveau und es ist verblüffend, wie schon dieser vorbereitende Vorgang von der gesamten Bevölkerung automatisch und ohne mentale Vorarbeit beherrscht wird. Man wartet den Bruchteil einer Sekunde ab, für welche Gesichtshälfte sich das Gegenüber entscheidet, – wobei einzig in dieser Phase der sozial höher Gestellte das größere Entscheidungsrecht hat, – schließt die Augen, presst die Lippen zusammen und schmatzt ähnlich eines nach Luft schnappenden Fisches am Ohr des zu Küssenden vorbei, während man gleichzeitig die Wangen aneinander reibt. Dieser Vorgang wiederholt sich mindestens einmal bei flüchtigen Bekannten, drei Küsse dieser Art werden es bei Freunden und vier bei Familienmitgliedern.
Es ist ein soziales Begrüßungszeremoniell, das länger als das Beschnuppern bei Hunden dauert und weltweit nur durch das Aneinanderschlagen der Köpfe bei Eskimos überboten wird.
Im Tagesverlauf eines durchschnittlich küssenden Franzosen kommt eine volkswirtschaftlich kaum vertretbare Zeit zusammen, denn begrüßt und geküsst wird dauernd und überall:
Die Mutter all ihre Kinder, immer viermal, am Morgen, vor der Schule, nach der Schule, vor dem Spielengehen, nach dem Spielengehen, am Abend; der Vater seine Kinder; die Eltern, die Verwandten, die Bekannten, die Kollegen, die guten und die schlechten Freunde, den Chef eher seltener, die Bedienung in der Bar, und als wäre noch nicht genug geschmatzt: ältere Damen haben mit dem Küssen ihrer Hunde und Katzen angefangen und der Trend scheint auf die jüngere Generation überzugreifen.
Als Ausländer ist man lange vom Zwang des Küssens befreit, doch irgendwann hat ein Einheimischer das Gefühl, man wäre schon lange genug dabei und bedient den bisher Fremden in schematischer Ausübung des Begrüßungskussaktes mit seinen ersten beiden Küssen. Dieser Partner wird einem peinlichst genau in Erinnerung bleiben, denn ähnlich wie bei einer Entjungferung: das erste Mal wird ein ganzes Leben lang verbinden. Spätestens jetzt wird man den tiefen Sozialfaktor verstehen, denn beim aktiven Erleben des Vorganges erkennt man, dass viel, viel mehr geschieht als scheinbar sinnloses In-die-Luft-Küssen:
Die Hände müssen einen Weg zum Gegenüber finden; ein sicheres Zeichen friedlicher Absichten.
Die Wangen berühren sich und übertragen männliches Rasierwasser und französisches Parfum; bei ungeschickten, ruckartigen Bewegungen, was bei Anfängern häufiger vorkommt, ein ungewolltes Übertragen von Make-up, was bei Damen zum Nachschminken aufs nächste WC führt, bei Herren zum selben Ziel, allerdings zum sich Säubern. In jedem Fall führt der Austausch von Gerüchen und auch Farben wiederum zu mehr Gemeinsamkeit und damit zu mehr Frieden in der Gesellschaft. Spätestens jetzt kann man erklären, warum sich zum Beispiel Politiker und Streikführer nie küssen, sondern sich ohne irgendwelche Kontakte zu Verhandlungen hinsetzen. Die Resultate sind hinlänglich bekannt.
Da diese Kuss-Sitte natürlich auch für Männer gilt, wird auf einfache und friedliche Weise die Hackordnung untereinander bestimmt. Beim Berühren der Wangen berühren sich auch die Bärte: Wer da mehr kratzt, muss wohl der männlichere Typ sein.
Schlussendlich bietet der Zwang zum Kuss kontaktarmen Menschen eine problemlose Integration in die Gesellschaft, denn ob man verkrampft oder locker in diese Angelegenheit hineingeht, spielt keine Rolle.
dann würden sie
in einem dicken, klimatisierten Mercedes
an einem heißen Sommertag
am Mittelmeer spazieren fahren,
von der Mafia angehalten werden
und – da man die Türen von innen verriegelt hat –
mit einem Schweißbrenner
der Länge nach halbiert und aufgerissen,
stundenlang in der sengenden Sonne liegen
gelassen
bis die Haut verbrannt aufquillt,
mit Essig und Zitronensaft begossen
und schließlich ein dunkles Rohr hinunter
in die Abwasseranlage gekippt werden.
Ça va? Ça va! Eine Frage, eine Antwort; doch niemand nimmt sie ernst. Man will nicht wissen, ob es dem andern halbwegs gut geht; man benutzt »Ça va« wie eine Formel, als Ersatz für »bonjour«. Ein Reisebus-Chauffeur, der sonst kein Wort Französisch kann, beeindruckt seine Fahrgäste, wenn er langsam durch eine enge Straße fährt, das Fenster herunterkurbelt und jeden Passanten anspricht: »Ça va?« Das Resultat ist verblüffend, denn wirklich jeder antwortet. Selbst Jugendliche mit Kopfhörern in den Ohren erkennen an Mundstellung und Blick die Frage und lassen sich sogar zu einem »Ça va!« herab. Viele Popstars beginnen ihr Konzert nicht mit Musik, sondern mit einem »Ça va?« – und schon ist mit minimalstem Einsatz der Kontakt zwischen Künstler und Publikum hergestellt.
Wohlgemerkt: diese »Ça va?« müssen schnell und beiläufig gefragt werden. Will jemand tatsächlich wissen, wie es seinem Gegenüber geht, dann muss dieses »Ça va?« betont, in die Länge gezogen und mit dem ganzen Körper gesprochen werden. »Ça v-a-a-a?« Die Reaktion auf der anderen Seite wird erst verwirrt sein, und dann – ich warne Sie vor dieser Art von Fragestellung, wenn Sie nicht viel, viel Zeit zur Verfügung haben – dann wird der gesamte Lebensfrust vor Ihnen ausgeschüttet. Aus meinen langjährigen, Zeit raubenden Erfahrungen werden Sie folgende Themenkreise mit Sicherheit erwarten:
Erstens: Das Leben an und für sich ist unglaublich schwer und gemein; andere haben es viel, viel besser – und wenn man in die Zeitschriften schaut:
Selbst den Adligen ging es früher tausend Mal besser als heute. man traut sich kaum noch Fernsehen zu schauen: Nichts als Mord und Totschlag, Verbrechen, Seuchen und Krieg. Schade, dass die alten Zeiten vorbei sind; damals war halt alles viel besser.
Das Zweitwichtigste im Leben der Franzosen ist nicht der Beruf, nicht die Familie, nicht die Politik, nein, es ist das Wetter. Mit unglaublicher Präzision wird jede winzige Veränderung registriert und verglichen:
Heute Morgen war es viel kälter als gegen Mittag, aber gestern war es auch nicht besser – und überhaupt, auf das Wetter kann man überhaupt nichts mehr geben: Früher war ein Sommer noch ein Sommer und ein Winter ein Winter und nicht umgekehrt wie heutzutage manchmal. Der vorletzte Sommer war noch ein richtiger Sommer. Noch schöner war der Sommer, als Vater zum zweiten Mal geheiratet hat, ähnlich wie die Sommer 2003 und1957 und kurz davor 38 oder 39; aber das weiß man nur, weil die Großeltern öfter davon erzählt haben. Jedenfalls ist das Wetter überhaupt viel, viel schlechter als auch schon.