Ein Leben in Schwarz und Weiß - Ismail Kayapınar - E-Book

Ein Leben in Schwarz und Weiß E-Book

Ismail Kayapınar

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Beschreibung

Für den Kunststudenten Siyah erscheint das Leben wie ein bedrückendes Gemälde: chronische Kopfschmerzen, fern von Familie und unausgesprochene Gefühle gegenüber dem Mädchen seiner Träume. Hin- und hergerissen, zwischen Realität und Traumwelt, begegnet er rätselhaften Figuren, die ihn in Sachen Liebe und Philosophie eines Besseren belehren wollen. Siyah jedoch scheint sich unaufhaltsam zwischen den Welten zu verlieren.

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İsmail Kayapınar

Ein Leben in Schwarz und Weiß

Erste Auflage: 2017

Gestaltung und Satz: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Lektorat und Korrektorat: Mareike Kirnich, Géraldine Al-Nemri, Lisa Helmus

ISBN: 978-3-945431-18-4

eISBN: 978-3-945431-19-1

© Copyright kladde | buchverlag Pfaffenweiler – Freiburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm und andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert, digitalisiert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.kladdebuchverlag.de

Für mich und für Gott.

Inhalt

Vorwort

Erstes Kapitel: Schwarz

Zweites Kapitel: Weiß

Drittes Kapitel: Schwarz

Viertes Kapitel: Weiß

Fünftes Kapitel: Schwarz

Sechstes Kapitel: Weiß

Siebentes Kapitel: Schwarz

Achtes Kapitel: Weiß

Vorwort

Jede Geschichte braucht einen Erzähler. Und jede Geschichte hat es verdient, ausgeschmückt zu werden. So auch diese. Der Erzähler ist also gleichzeitig ein Erfinder. Er erfindet eine Perspektive, eine Stimme, ein Erscheinungsbild für die Geschichte. Ich bin der Erfinder dieser Geschichte. Doch ich bin keineswegs mit dem Wort kreativ zu betiteln. Denn ich bin kein Schöpfer. Ich bin nur einer, der entfaltet hat, was der Schöpfer in ihn goss. Ich bin nicht mehr und nicht weniger als du, lieber Leser. Du bist wie ein Baum und auch ich bin das. Denn ein Baum hat alles Gedankengut – seien es Blätterfarbe, Ausdehnung, Rindenhärte – bereits im Samen enthalten. Dennoch streut jeder Baum seine Zweige anders in die Luft. Das bedeutet, er kreiert nicht, sondern sucht sich nur eine der unendlich vielen Möglichkeiten aus, die sein Schöpfer ihm gab. Doch genug der grauen Rede. Ich schenke dir diese Geschichte. Auf dass sie dir hilft, einen eigenen Weg zu finden, sich ein eigenes Bild zu machen und eigene Werke zu schaffen. Auf dass sie etwas in dir rührt und hoffentlich positiv verändert. Es war nie die Zielsetzung dieses Werkes Fragen zu beantworten. Denn ich suchte nicht nach Antworten, sondern lediglich nach ungewöhnlichen Fragen.

Erstes Kapitel: Schwarz

Siyah war kein gewöhnlicher Mensch. Er war nicht einer von denen, die morgens, alle anderen grüßend, zur Arbeit schlenderten. Und auch nicht einer von denen, die nach der Arbeit auf dem Sessel einschliefen. Er war ungewöhnlich, doch keinesfalls etwas Besonderes. Das Kunststudium hatte er sich anders vorgestellt, doch es war, wie sein Vater sagte: ohne Fantasie und Brot und mit viel Theorie. Vielleicht hatte er Kunst aber auch nur studieren wollen, um ein einziges Mal seinem Vater gegenüber seinen Willen durchsetzen zu können. Um sich das Studium und das restliche Leben leisten zu können, musste er nebenher als Bürokaufmann arbeiten. Durch den stattlichen Lohn konnte er aber in wenigen Arbeitsstunden das nötige Geld für ein zufriedenstellendes Jugendleben zusammenkratzen.

Außerdem war Siyah Künstler – nicht etwa nur Maler oder Schreiber, sondern ein Lebenskünstler. Doch hatte er sich diese Kunst keineswegs selbst zugeschrieben; sie war vielmehr gottgegeben. Denn jede Nacht bevor er einschlief, bekam er Kopfschmerzen. Nach der letzten Mahlzeit des Tages dachte er im Bett nur noch an seine Sorgen. Genau dann begann auch sein Leid. Irgendwas klopfte gegen seine Schädeldecke und beruhigte sich nicht, egal was Siyah tat. Schlafen war nahezu unmöglich. Kein allzu schönes Leben, doch das war längst nicht alles.

Fast jeden Morgen war ihm so schwindelig, dass es schwierig, war ins Bad zu gehen. War er zu langsam, musste er zügig zurück ins Bett. War er dagegen zu schnell, stieß er sich an irgendwas an. Mit den richtigen Schritten schaffte er es, musste aber so schnell wie möglich sein Gesicht waschen, die Zähne putzen und dann zurück ins Bett.

Dort musste er dann überlegen, ob er zur Arbeit sollte oder nicht. Letztlich entschied er sich immer für die Arbeit, kam aber wegen der Unentschlossenheit meistens zu spät. An Tagen, an denen ihm nicht schwindelig war, musste er in der grauen Früh los. Zu dieser Uhrzeit waren nur wenige Menschen unterwegs und hier grüßte man nicht etwa aus Freundlichkeit, sondern aus Solidarität. Schon nach kurzer Zeit im Büro begann der tägliche Schlaf anzuklopfen, den er nachts nicht bekam. Einen »Fünfminutengähner« nannten ihn seine Kollegen.

Wieder zu Hause begann er, sein wirkliches Leben zu leben. In den ersten zwei Stunden war er aber nicht sonderlich kreativ, deshalb verwarf er die entstandenen Werke zerknittert in den Müll. Irgendwann vor Mitternacht begann dann die wirkliche Arbeit und sie dauerte meist bis tief in die Nacht.

Sein Arbeits- und Studentenleben gerieten in den Hintergrund und stellten nur eine zeitlich festgelegte Qual für das täglich Brot dar. Er malte und schrieb, wie es ihm gerade beliebte und versuchte – wenn auch nur geringfügig – der Wirklichkeit zu entfliehen.

Während seine Pinseleien trockneten, backte er etwas und betrachtete seine Werke in regelmäßigen Pausen.

Unzufriedenheit bei seinen Bildern war ihm stets ein Segen. Immer gab es etwas zu verbessern in seinen Werken. Er konnte immer weitere Einzelheiten hinzufügen, doch brach er irgendwann voller Ungeduld ab. Wenn er die Werke allerdings später noch einmal betrachtete, fürchtete er, zu viele Fehler zu finden. Deshalb beließ er es auch dabei und seine Kunst blieb stetig fehlerhaft.

Die Unzufriedenheit färbte auch auf sein Leben ab. Denn Fehler und die damit verbundenen Schmerzen oder Verluste griffen nach dem Sinn des Lebens. Seine Krankheit, so vermutete er, hingen auch stark mit diesen Fehlern zusammen. Doch was sollte so schlimm daran sein, wenn er durch diese Fehler und eben genau diesen Schmerz den Sinn des Lebens besser verstünde? Eine Heilung seiner Krankheit hielt er also für überflüssig und sogar widersprüchlich.

Nur durch Schmerz konnte er sich lebendig fühlen. Nur durch ihn fiel er und fasste den lebensnotwendigen Schluss, wieder aufzustehen. Und das jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr. Nur durch die Tiefen konnte es Höhen geben. Denn ein stetig glückliches Leben stellte für ihn eine Last dar. Langeweile und Konstanz.

Und der wichtigste Aspekt, der für den Schmerz sprach, war seine Religion. Tatsächlich bedeutete Schmerz für ihn Gottesnähe. Wie jeder Mensch, der Gott vergaß, wenn die Rosen blühten und der Fluss plätscherte, war auch Siyah nur Gott nah, wenn die Dornen stachen und die Dürre kam. Immer wenn er also Schmerz oder Angst verspürte, wusste er, dass er Gott nahe war. Und auch, dass er in diesem mickrigen Leben von Lügen alles richtig machte. So lehnte er alles Glück ab, weil er Angst vor sich Selbst hatte. Angst davor Pech zu haben.

Denn wäre er wie alle anderen gewesen – dann hätte er das Glück nur im Pech gesehen und nicht andersherum. Er wäre kein Kopfschmerzer und kein Schwindeliger gewesen. Kein Künstler, kein Leser, kein selbsternannter Intellektueller. Das Wort Lebenskunst wäre ihm immer tiefer zwischen die Fugen des Arbeitslebens geraten, bis er vergessen hätte, was es gewesen war. Bis er eines Tages sein altes Ich geleugnet hätte und ihm jede Erinnerung daran peinlich gewesen wäre. Er hätte nicht hinterfraget und wäre nicht hinterfragt worden. Er hätte sich von Gott verlassen gefühlt und wäre nur für die Norm religiös gewesen. Er wäre ein gewöhnlicher Mensch geworden und dazu ein überaus zufriedener.

Trotz seiner Selbstsicherheit und seiner großen Sammlung an Weisheit, wusste Siyah aber, dass er noch nicht ausgelernt hatte. Trotz der Entschlossenheit, wie er das Leben zu leben hatte, war er unwissend. Wissend sein – das ist ein unerreichbares Ziel und nicht ohne Grund so. Die Welt soll nicht aus Milliarden fauler Weisen bestehen, die alle von sich selbst behaupten, Erkenntnis erlangt zu haben. Eher aus vielen Einzelkämpfern, die jeden Tag mit Unmengen von Themen und Feinden zu kämpfen haben.

Siyah betrachtete das Leben als Komplex aus Geschichten. Jeder Einzelne der Milliarden hatte eine Geschichte. Keine dieser Geschichten war langweiliger oder wertvoller als eine andere. Alle waren auf ihre Art und Weise wundervoll, schmerzhaft, herzzerreißend.

»Das ist wieder mal interessant zu hören, Siyah«, unterbrach sie ihn im Rausch der Gedanken und lächelte dabei. Sie klang nicht ironisch, aber es schien auch nicht ihr voller Ernst zu sein. Sie? Sie war das Mädchen, das er liebte.

»Nur so interessant, wie meine Zuhörer das möglich machen. Kleine Andeutung – das geht an dich.« Der Lebenskünstler lächelte zurück. Außer kleinen Andeutungen hatte er bisher nicht viel getan, um ihr seine Gefühle zu zeigen. Auf Siyahs Andeutung lachte sie herzlich. Ihre sonst so großen Rehaugen verkleinerten sich und er konnte genau erkennen, wo sie eines Tages ihre Lachfalten kriegen würde. Ob er dann noch bei ihr wäre, war eine andere Frage.

Ihr Lachen war etwas, das er wahrhaftig an ihr liebte. Es war unbefangen und wild, frech und eilig, etwas männlich, aber dennoch süß. Das hatte er ihr natürlich nie gesagt. Er verschwieg es, genau wie die Gefühle, die er für sie empfand. Es sollte einfach nicht sein, dass die beiden zusammenkämen und deshalb hielt er es für klüger, das Ganze für sich zu behalten. Nicht die Schüchternheit hinderte ihn daran, seine Gefühle zu offenbaren, sondern reine Logik. Schüchtern war Siyah nicht. Das war er wenn überhaupt als Kind gewesen, doch mittlerweile war aus dem kleinen schlanken Jungen ein weltoffener junger Mann geworden. Seine schwarzen unordentlichen Haare waren jetzt ordentlich zusammengekämmt, seine großen braunen Augen waren zu kalten Perlen geworden. Seine Augenlider waren gesenkt, er schaute nicht mehr mit großen Augen auf die Welt. Denn alles was er von der Welt bekommen hatte, war schmerzhaft gewesen und er hatte verstanden, wie kalt sie ist. Dennoch sprach nichts gegen einen Funken Optimismus und genau dieser lag unweigerlich im Glanz seiner Iris. Wer weiß, vielleicht machte ihn das so sympathisch, beliebt und freundlich?

»Oh, aber Entschuldigung!« Sie hob die Augenbrauen. »Eigentlich habe ich dich gerade unterbrochen. Es ging um den Blickwinkel des Menschen und wie er sich in seiner Geschichte sieht.«

Das Lachen war verstummt und sie gewährte somit die Fortsetzung des philosophischen Monologs. Tatsächlich war es nichts weiter als ein Monolog gewesen, denn ob sie das Gesagte vollständig verstand, blieb offen.

»Na ja, ehrlich gesagt ist es einfach, den Blickwinkel zu erklären.« Er ließ den Stift los und formte mit seinen Händen eine Art Würfel in der Luft.

»Stell dir einen Quader vor. Stell dir vor, du betrachtest ihn aus mehreren Perspektiven. Du wirst immer etwas anderes sehen. Dreiecke, Vierecke, Striche. Nun gut, entgegengesetzte Winkel zeigen dir vielleicht Identisches. Aber das war‘s auch.«

Zu seiner Verwunderung reichten seine Hände aber nicht, um zu verdeutlichen, was er meinte. Ihre Blicke waren immer wieder mal in seine Augen mal auf seine Hände gehuscht. Sie hatte ihn wohl nicht völlig verstanden und er wartete nur darauf, dass sie fragte, wovon er überhaupt sprach. Kamira sah aber nur auf die leere Stelle des Papiers, über der Siyahs Hände vor einem Moment noch waren, dann streichelte sie ihre Wange mit einem Finger. Schon war er vertieft in ihre Wangen. In ihre weichen Wangen, die er nie berühren würde. Ob sie bemerkte, dass Siyah sie manchmal länger ansah, als er eigentlich sollte? Scheinbar schon, denn sie unterbrach seine kurze Trance mit der erwarteten Aufforderung: »Jetzt nochmal so, dass ich es verstehen kann, bitte«.

Dabei blinzelte sie ihn grinsend an.

Traumhaft. Welch traumhaftes Grinsen sie hatte. Ihre Zähne waren natürlich weiß und die obere Zahnreihe endete dabei genau auf ihrer Unterlippe. Unschuldiger und makelloser ging es vermutlich nicht.

Auch dass sie etwas nicht verstand, konnte Siyah nicht ärgern. Wenn andere etwas nicht verstanden, wandte er sich oft ab, das wusste er. Bei ihr war das allerdings kein Problem, sie durfte so oft fragen, wie sie wollte und dabei auch gerne ihre Wange mit dem Zeigefinger streicheln. Am liebsten sollte sie dabei grinsen und künstlich oft blinzeln.

Siyah zeichnete nun ein paar Quader aus verschiedenen Blickwinkeln auf das leere Blatt, dessen Rückseite mit Übungen vollgeschrieben war.

»Das Geheimnis liegt darin, sich selbst zu formen.« Er sah sie ernst an. »Durch die Formung wird der Blick anderer und von sich selbst auf seine Geschichte perfekt.«

»Perfekt?«, wiederholte sie mit großen Augen.

»Natürlich nicht vollständig perfekt. Also eigentlich nicht perfekt und irgendwie doch.« Siyah schwang mit dem Stift in der Luft herum. »Die perfekte Form ist nämlich die Kugel.« Er zeichnete nun drei Kreise neben die Quader. »Egal, aus welchem Blickwinkel du eine Kugel ansiehst, du wirst immer einen Kreis sehen. Das ist perfekt – auch wenn es nur Theorie ist.« Er schattierte beim Erzählen die Kugeln ein wenig, streckte reflexartig die Zunge raus und hoffte, dass sie das nicht sah.

Als die Kugeln mit Schatten versehen waren, sah er sie wieder an. Sie hatte seine Hand beim Zeichnen beobachtet und entgegnete nun seinen Blick. Der unbezahlbare Moment, wenn sich zwei Menschen fröhlich in die Augen sahen. Er war erstaunt. Denn für seine philosophischen Sätze machte er sich vorher nie Überlegungen. Er plante nicht voraus, was er sagen wollte. Der Wortfluss bildete sich einfach im Verlauf der Gedanken und war die natürlichste Form seiner Intelligenz. Es war kein Planen oder Auswendiglernen, sondern der freie Lauf seines Verstandes.

»Eine Kugel, soso.« Sie hob eine Augenbraue und ihre Mimik schien skeptisch.

Mit Gegenwind hatte er nicht gerechnet. Seine Theorien ergaben für ihn selbst doch immer Sinn. Seine Denkweise beinhaltete auch viele andere Denkweisen, denn er hatte mit so vielen Menschen über solche Dinge gesprochen; wie konnte es sein, dass es für Kamira keinen Sinn machte?

»Ja, wieso, was ist denn dabei?«

»Na, ganz einfach. Du sagst, eine Kugel sei perfekt. Eine Kugel sei das Endziel. Du sagst, die Kugel ist, was wir alle anstreben sollten. Allerdings hast du auch gesagt, dass wir alle anders sind – anders sein sollten. Eine Welt voller Kugeln als Ideal? Nein. Danke, aber, nein.«

Ihr Hinterfragen war für ihn eine angewandte Intelligenz. Sicherlich ebenso ausschlaggebend für seine Gefühle für sie, wie ihr Aussehen.

Kamira ließ sich nicht immer belehren, aber ging gerne auf Diskussionen ein und wenn die andere Person doch Recht hatte, akzeptierte sie das. Wenn sie nicht seiner Meinung war, entstand nun mal eine Situation wie diese. Natürlich ergab beides Sinn. Sowohl das Formen in eine Kugel, als auch dessen Ablehnung. Auch das war eine Frage des Blickwinkels. Betrachtete man das Ganze nämlich in Bezug auf ein Kollektiv, bedeutete es Vergrauung. Wenn es allerdings um das Individuum ging, war es die Ausbildung zum Lebensguru. Das hätte Siyah hinzufügen können, wollte er aber nicht. Er musste nämlich nicht immer das letzte Wort haben, auch wenn er es in diesem Fall gerne gehabt hätte. Aber er wollte auch nicht andere immer belehren, obwohl das eine Lieblingsbeschäftigung seinerseits war. Außerdem wusste er nicht, ob sie den Gedanken mit der Vergrauung und den Gurus verstanden hätte, also ließ er es bleiben.

Sie hörte kurz der Stille zu und drückte reflexartig den Stuhl mit ihren Beinen nach hinten.

»Na ja«, sagte sie dabei.

»Na ja«, murmelte es aus Siyah noch heraus.

»Ich muss dann los, wir sehen uns.« Sie verabschiedete sich, packte ihre Sachen und verschwand.

Ein toller Mensch – nur stürmisch irgendwie. Er konnte diesen letzten Gedanken nicht loswerden, über dessen Aussprechen er sich noch nicht sicher war. Im nächsten Gespräch würde es keinen Sinn mehr machen und er hätte diesen Gedanken, den er nicht aussprechen konnte, womöglich verdrängt. Oder aber es käme eigenartig rüber, als würde er nur über sie nachdenken was er in Wirklichkeit zwar tat, aber das durfte sie ja nicht wissen. Das schnelle Verschwinden war allerdings immer so eine Sache von ihr. Es war nichts Einmaliges – sie tat das öfter. Immer eigentlich. Eine Verabschiedung hielt dieser Mensch wohl für überflüssig. Es störte ihn sehr, wenn sich jemand nicht verabschiedete – er war ein großer Unterstützer altmodischer Manieren – aber bei ihr war eben alles anders. Ein solch schneller Abschied ließ allerdings Zweifel in ihm aufkommen und sie schien sich seelisch von ihm zu lösen. Einst waren sie sehr gute Freunde gewesen und oft war er nur ein haarbreit davon entfernt gewesen ihr seine Gefühle mitzuteilen. Doch gerade in letzter Zeit war ihr Leben von Stress heimgesucht. Sie war eine fleißige Studentin und er wollte nicht zusätzliche Probleme schaffen. An ein Geständnis der Gefühle war also nicht zu denken, und diesmal nicht nur der Logik wegen, nein. Es machte ihn zwar wehmütig, wenn sie so mit ihm umging, aber bei genauerer Betrachtung konnte er ihr nicht böse sein.

Wer war er schon? Wie konnte sie wissen, dass ihm das nicht gefiel? Er sagte ihr das ja nie. Und wie sollte er erklären, warum ihm das Ganze nicht gefiel? Etwa indem er sagte, er mochte altmodische Manieren? Das würde sie ihm doch nicht abkaufen. Sie würde sofort verstehen, dass da Gefühle im Spiel sein mussten. Und Gefühle zwischen den beiden würden mehr als nur gefährlich für sie sein. Deshalb schwieg Siyah. Und jetzt länger hierzubleiben, machte auch keinen Sinn. Also begann er ebenfalls seine Sachen zu packen, um sich auf den Nachhauseweg zu machen. Schließlich war er nur für sie da gewesen. Er wollte weder lernen, noch Zeit in dieser stillen kalten Bibliothek verbringen. Als er aufgestanden war und seinen Stuhl unter den Tisch geschoben hatte, bemerkte er einen Blutstropfen auf seinem Kritzelpapier. Er wischte sich mit einem Taschentuch die Nase ab und schloss fest die Augen, als ein stechender Schmerz sein Gehirn festdrückte. Mit einem zweiten Tuch wischte er das Blut weg und das Papier trocken. Dann kam ihm der Geruch von altem Papier in die Nase, welcher ihn den Kopfschmerz kurz vergessen ließ. Der Aufenthalt in der Bücherei war immer wieder ein nostalgisches Erlebnis für Siyah.

Gerade war eine Bibliothekarin mit einem Wagen voller alter Bücher an ihm vorbeigerauscht. Da der Boden glatt und fein war, hatte er das Gepolter der Räder nicht gehört. Verträumt sah er der Frau mit dem Bücherwagen nach, als der Duft an ihm vorbeizog. Als sie um die Ecke war, wandte er sich zu seinem Tisch, sammelte die Unterlagen und legte sie wahllos zwischen seinen Schreibblock. Sie ragten heraus, aber auf haargenaues Einordnen hatte er keine Lust. Die Stifte waren während des lebhaften Gesprächs willkürlich auf dem Holztisch verteilt worden, einer lag sogar an der Kante und wartete nur darauf, herunterzufallen. Siyah glitt mit seiner Hand in einem Halbkreis über den Tisch und sammelte die Stifte ein. Dann ließ er sie in den geöffneten Rucksack fallen, den er mit der anderen Hand am Tischrand hochhob. Den Block schob er quer in den Rucksack und holte gleich darauf seine Wasserflasche heraus. Er trank so leise es ging – es gab genug Studenten, die das Blubbern genervt hätte – und seufzte gemütlich auf. Dann packte er auch die Flasche ein, um endlich den Rucksackdeckel über die Öffnung zu legen und die Tasche zuknipsen zu können. Dann stand er auf und seine Blicke suchten zwischen den bunten Bücherregalen erfolglos nach der Bibliothekarin.

Als er den sauberen Gang entlangging, dachte er nochmals über den Zauber in Kamiras Gesicht nach. Ihre Lippen, die Augen, die Haare. Alles war aufeinander abgestimmt.

Perfekt. Ihr Gesicht war bedingungslos perfekt. Sie war zweifellos der schönste Mensch, den Siyah kannte. Früher hatte sie sich bei ihm oft über ihre Nase beschwert. Woraufhin Siyah immer mit ihr geschimpft hatte, sie solle sich keine Sorgen machen, ihre Nase sei schön genug. Doch in Wirklichkeit fand Siyah ihre Nase nicht nur schön, sondern gar perfekt. Sie war gleichmäßig und wohlgeformt und wäre ihr Gesicht ein nasser Tonklotz gewesen und Siyah ein Töpfer, dann hätte er ihre Nase genauso herausgeknetet, wie sie gerade war. An der Nase war nichts auszusetzen, selbst von der Seite wirkte sie perfekt auf ihr Gesicht abgestimmt.

Kamira war ein schlankes Mädchen, hatte aber ein schönes volles Gesicht. Man sah ihr die Schlankheit deshalb überhaupt nicht an. Für Siyah war sie aus jeglicher Perspektive schön. Wie eine Kugel – aber im übertragenden Sinne natürlich. In ihrem Reden und ihren Gedanken sah Siyah aber mehr als nur eine Kugel. Vielleicht war sie gar komplexer als jeder Quader. In gewisser Hinsicht erinnerte sie ihn nämlich an ihn selbst, denn sie waren sich zweifellos sehr ähnlich. Beide wollten anders sein. Anders als die Gesellschaft und die Mehrheit der Menschen. Anders als der kalte Rahmen, in dem die meisten Menschen gefangen schienen. Anders als ihre Natur zuließ.

Schade war jedoch nur, dass Siyah seiner Meinung nach dem Anderssein viel mehr Entschlossenheit als sie beimischte. Sie hatte früher oft vom Anderssein gesprochen, doch hatte dies nie in die Tat umgesetzt. Ob sie heute noch davon sprach, wusste er nicht, da sie lange keine gefühlvollen Gespräche mehr geführt hatten. Vielleicht war sie verstummt, weil ihr Wille erloschen war und ihr jede Erinnerung an ihr altes Ich peinlich war? Also war sie doch wie alle anderen? Natürlich war das eine große Furcht Siyahs.

Doch tief in ihrem Inneren vermutete er noch den Funken der Veränderung. Irgendwas sagte ihm, er solle auf ihren Instinkt vertrauen, den er von früher gut kannte. Bisher war er jedoch strikt gegen das Liebesgeständnis, denn im Äußeren konnte sie die vermutete Entschlossenheit nicht ausreichend versprühen. Wenn sie sich nicht gegen ihre Welt stellen würde, konnten sie sich nicht lieben und Siyah musste seine Gefühle verschweigen.

Natürlich war es zu viel verlangt, einen Menschen gegen alles, was ihm heilig war, aufzuhetzen. Vor allem von jemandem wie Siyah, der nichts anderes kannte außer Kunst, Liebe und den Tod. Von außen erschien ihm alles so leicht und das wusste er. Er wusste auch, dass es nahezu unmöglich war, einen Teil von sich aufzuopfern.

Sie glich einem Küken im Ei, das das wahre Leben zu entdecken hatte, aber von alleine schlüpfen musste. Von außen konnte Siyah nicht viel tun, außer nach ihr zu rufen – das waren seine Andeutungen. Würde er auf die harte Schale ihrer Welt einschlagen, so würde er eher etwas an ihr kaputt machen, als ihr zu helfen.

In solche Gedanken vertieft fiel ihm nicht auf, wie schnell er die mehrstöckige Bücherei heruntergaloppiert war. Als er die schwere Holztür aufschob, kam er sich wie der König der Erleuchteten vor. Nicht weil er gerade aus einer Bücherei herausspaziert war. Oder weil Erleuchtete einen König haben konnten. Es lag viel mehr daran, dass er sich selbst für viel intelligenter hielt als andere hier. Im Gegensatz zu den meisten, ging er hier nicht nur ein und aus, um Bücher zu lesen, zu entleihen oder zu lernen, sondern um über den Lebenssinn nachzudenken.

›Aber tut das nicht jeder?‹, stellte er sich selbst zur Rede. ›Woher weißt du denn, ob die anderen nicht auch über einen Sinn philosophieren?‹ Und trotzdem bildete er sich ein, weiser als die klebrige Menschenmasse zu sein. Seiner Meinung nach unterschied er sich aber von allen anderen: durch seine Irrationalität und die irrationalen Gedanken, die er führte. Seine Vor- und Rücksicht im Umgang mit Menschen, und natürlich die Lebenskunst, die Intelligenz und seinen Glauben.

Im Gegensatz zu den meisten Studenten – zumindest zu denen, die er kannte – machte er sich auch in der Prüfungsphase noch Gedanken über bestimmte Dinge. Er gedachte der Liebe, der Kunst an sich, der unbestimmten Zukunft und sogar einem plötzlichen Tod.

Er vermutete, dass es viele Menschen gab, die wie er waren. Doch diese Menschen waren nicht ausgebrochen. Sie waren wie Kamira; oder sie hatten einfach nicht die Möglichkeit, das Gemälde ihres Lebens zu malen.

Er dachte an diese Menschen mit Mitgefühl. Sie konnten nur studieren, hatten keine Zeit zu philosophieren. Keine Zeit zu erkennen, wer sie waren, wie sie waren und dass sie wie Siyah sein konnten.

Es waren die armen Menschen auf anderen Seiten dieses Planeten, an die Siyah dachte. Sie waren keinesfalls dumm, vielleicht sogar klüger als die meisten Menschen hier. Sie waren lediglich beschränkt in ihren Möglichkeiten, wie beispielsweise Menschen aus dunklen Zeitaltern. Sie waren so sehr damit beschäftigt, Brot auf den Tisch zu bringen und sich um den nächsten Tag zu sorgen, dass sie gar keine Zeit für tiefe Gedanken oder eine schmerzhafte Liebesbeziehung hatten. Beim Gedanken an sie ergriff Siyah manchmal das Schuldgefühl. Was hatte er getan, um diesen Menschen je zu helfen? War es nicht seine Aufgabe zu helfen, wenn er doch so viel hatte?

In diesem Moment lief er in den Untergrund zur Straßenbahnhaltestelle und dort wartete ein Bettler. Vielleicht war ein Bettler genau einer dieser Menschen von der anderen Seite des Planeten, mit dem Unterschied, dass er auf dieser Seite des Planeten lebte. Eine Spende an diesen Mann beruhigte also nicht nur Siyahs Gewissen und war eine milde Gabe, nein, damit erfüllte er auch eine seiner gottgegebenen Pflichten.

»Danke.« Der schäbig gekleidete Mann lächelte und sah zu Siyah auf.

»Bitte.« Der milde Spender lächelte, seine Hand an die Brust klopfend, zurück.

»Schönen Tag!«, rief der Mann ihm noch nach. Siyah hob seine Hand und drehte sich wieder in Laufrichtung zurück.

Als ein kühler Wind aufkam, war er froh, nicht der Bettler sein zu müssen. Nicht etwa der Eingeschränktheit wegen, sondern weil es hier draußen einfach kalt war. Siyah knöpfte sich die Jacke zu und zog den Hals ein. Den Rucksack packte er stärker über den Schultern an und seine Hände drangen tief in die Hosentaschen, als suche er nach etwas. So lief es sich langsamer, aber immerhin gemütlich durch die kleinen Eisböen.

Als sich zwischen den Altbauten langsam die Form des bekannten Straßenbahnhofs abzeichnete, hörte er auch gleich das Läuten einer der gelben Raupen. Sie war gerade abgefahren und Siyah trat eine Menschenmenge aus grauen Anzügen und schwarzen Mänteln entgegen. Er glitt durch sie hindurch, als würden sich alle magnetisch voneinander abstoßen.

Ein deprimierender Montag. Die meisten von diesen Menschen waren nicht gut gelaunt, kalt wie das Wetter. Das erkannte Siyah in den starren Gesichtern und den strengen Blicken. Die Münder waren geschlossen und die Kälte feuchtete die Nasen an. Was erwartete er aber auch von diesen gewöhnlichen Bürgern? Ihnen war kalt und sie gingen ihren Tätigkeiten nach und kümmerten sich um sich und ihre Familien. Eigentlich machte das Sinn, denn wenn jeder das machen würde, würde das insgesamt die Wohlfahrt steigern. Also erwartete er nichts von ihnen, oder irgendwie doch? Nun. Eigentlich hatte er eine Erwartung. Eine ganz kleine. Aber nicht an die Bürger an sich, sondern an irgendjemanden aus ihrer Mitte. An irgendeinen Erwählten unter ihnen.

Er wollte jemandem begegnen. Einem Weisen unter ihnen, falls es denn einen gab. Zumindest sollte dieser weiser als Siyah sein. Er sollte sein Mentor werden, wenn auch nur für die Dauer eines kurzen Gespräches. Eine unvergessliche Begegnung sollte stattfinden, von der er irgendwann sogar seinen Enkelkindern erzählen konnte. Das war, was er von dieser grauen Menschenmasse erwartete. Wobei er seine Erwartung für gar nicht so unsinnig hielt. Er wusste, dass es jemanden geben musste, der wie er die Intrigen der modernen Welt durchdrungen hatte.

Außerdem begegnete er in der Straßenbahn täglich allen möglichen Menschen aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten. Die Armen, die Reichen, die Mittleren, die Schönen, die Hässlichen – sofern man hässlich als Möglichkeit anerkannte – und die Anderen. Irgendwo unter den unauffällig zeitunglesenden Fahrgästen musste der Weise sich verstecken.

Es war ihm eine Freude in einer bevölkerungsreichen Stadt zu leben und alles zu sehen, zu erleben und zu guter Letzt zu akzeptieren. Die Gesellschaft zu verstehen, oder mindestens verstehen zu wollen. Dieses in sich selbst funktionierende System der Gesellschaft, es war chaotisch und doch mussten alle Menschen harmonisieren. Denn wenn die Leute – und zu den Leuten gehörte wohl oder übel auch Siyah – sich mal nicht akzeptierten, konnte es schnell zu Streitigkeiten kommen. Wie letzte Woche am Bahnhof. Er stand wie alle Menschen da und wartete auf die Straßenbahn, als er plötzlich eine schreiende Frau hörte. Es war kein Kreischen, sondern vielmehr ein wütendes Motzen. Ein älterer Obdachloser hatte ihr gesagt, sie solle aufhören die Tauben zu füttern. Daraufhin hatte sie angefangen, heftig auf ihn einzureden, bedrohend um ihn herumzulaufen und dabei Selbstgespräche zu führen. Als Siyah das sah, hielt er sich vorerst zurück in der Hoffnung, die beiden würden das klären oder jemand anderes würde sich friedlich einmischen. Als das aber nicht geschah, biss er sich auf die Lippe und ging zur Frau und bat sie sich zu beruhigen. Dabei stellte er sich schützend vor den Obdachlosen. Die Frau mit hochgesteckter Frisur und finsterer Miene hingegen wurde nur wütender und brüllte, er solle sich nicht einmischen. Es sähe jetzt nämlich so aus, als sei sie die Schuldige.

»Sind sie auch«, hatte er kalt entgegnet.

Sie war in dem Moment schuldig geworden, als sie begonnen hatte unnötig herumzuschreien. Der Mann hatte vielleicht die Schuld gehabt, als er sich in fremdes Taubenfüttern einmischte, doch als sie ihn anpöbelte, und das lauter als nötig gewesen wäre, hatte sie sich zur Täterin gemacht. Egal was für einen schlechten Tag sie hatte, egal wie sie gelaunt gewesen war: Jetzt war sie schuld. Doch Siyah verlor die Vernunft nicht und festigte lediglich seinen Stand vor dem Obdachlosen. Er hatte erkannt, dass hier eine zweischneidige Schuld das Problem war, bat aber dennoch nur die Frau, den Obdachlosen in Frieden zu lassen; anstatt diesen zurechtzuweisen und damit das gereizte Feuer der Frau zufriedenzustellen und zu beruhigen.

Als dann eine Straßenbahn kam, löste sich der Knoten der Zuschauer und auch Siyah sah keinen Grund mehr, zu bleiben. Die Frau war eingestiegen und der Streit beseitigt. Er hatte oft daran gedacht, ob er dem Mann nicht hätte sagen sollen, er solle sich nicht in das Taubenfüttern anderer einmischen. Aber längst war es zu spät und er konnte nichts weiter tun, als jetzt die Situation immer und immer wieder vor seinen Augen abzuspielen, um neue alternative Enden zu erfinden. Nachdenken in der Bahn war etwas Tolles. Es war anders. Natürlich nur so lange, bis man unterbrochen wurde. Klopfende Schritte kamen näher an seinen freien Nebensitz.

»Entschuldigung, ist der noch frei?«

Was glauben Sie denn, wenn da niemand sitzt und meine Tasche auf meinem Schoß ist. »Ja klar.«

Eine junge Frau mit blonden Haaren. Die Augenfarbe sah er nicht. Sie hatte ein glattes dunkelblaues Jäckchen angezogen und ein freundliches Lächeln aufgesetzt. Sie duftete mild nach einer frisch geschälten Orange. Ein nicht allzu herber Duft, der sehr schnell zu ihm gehaucht war. Obwohl Siyahs Geruchssinn nicht der beste war, konnte er manchmal herausstechende Düfte sofort bemerken. Als sie sich gesetzt hatte, schielte er unauffällig auf ihre Beine, auf die sie einen Ordner gelegt hatte. Sein Interesse gegenüber anderen Menschen war groß, doch das Interesse, nicht bemerkt zu werden, stets größer. Die feine Dame blätterte sofort in irgendwelchen Unterlagen und strich sich langsam die Haare hinter ihr Ohr. Der Orangenduft nahm langsam ab.

Wenn sie ihn jetzt in diesem Moment gefragt hätte, ob er eine Freundin habe, hätte er schlagfertig geantwortet: »Nein, aber ich bin unsterblich in jemanden verliebt«.

»So? In wen denn?«, hätte das hübsche Mädchen verwundert gefragt und wie denn jemand wie Siyah eine wie sie ablehnen wollen würde. Ablehnung wegen einem Mädchen, mit dem er nicht mal zusammen war.