Ein letzter Augenblick - Sabrina Heilmann - E-Book

Ein letzter Augenblick E-Book

Sabrina Heilmann

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Beschreibung

Wer ist Emilia? Diese Frage stellt sich Emilia Murray, als sie nach über fünf Jahren aus dem Koma aufwacht. Sie hat vergessen, was in den zwei Jahren vor dem Unfall geschehen ist und muss mit der Tatsache klarkommen, dass sie nun kein neunzehnjähriger Teenager mehr ist, sondern eine sechsundzwanzigjährige Frau. Die Schottin weiß nicht, wer sie ist, was passiert ist, geschweige denn, wie sie nach Inverness gekommen ist. Als Emilia das Krankenhaus verlassen kann, lernt sie den attraktiven Highlander Blake McLaughlin kennen, der ihr in einer Notsituation hilft. Es scheint, als würde er sie besser kennen, als irgendjemand sonst. Sie weiß nicht, dass er nicht ohne Grund in ihrer Nähe ist. Während der Suche nach ihren Erinnerungen setzt Emilia sich selbst so unter Druck, dass die Situation sie völlig überfordert. Hilflosigkeit, Angst und das Gefühl von Verlust machen sich breit. Sie erhofft sich Antworten von ihrer Mutter, doch diese verweigert jedes Gespräch über die Zeit vor dem Unfall. Wovor versucht Emilias Mutter sie zu beschützen? Und welches Geheimnis hütet Blake?

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Ein letzter Augenblick

 

 

Sabrina Heilmann

 

 

Liebesroman

Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

 

2. Auflage

Copyright © Sabrina Heilmann, Februar 2019

 

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Der Abdruck des Textes, auch nur in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

Lektorat: KKB - Lektorat und Korrektur

Korrektur: Andreas März, www.am-korrektorat.de

 

Coverbild © Sabrina Heilmann

 

Coverfotos: © Nadezda Korobkova & © Larysa Honcharenko, www.123rf.com

Inhaltsverzeichnis

Ein letzter Augenblick

Das Buch

Prolog

Kapitel 1

Erinnerung

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Blake

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Traum

Kapitel 9

Erinnerung

Blake

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Erinnerung

Kapitel 14

Kapitel 15

Traum

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Erinnerung

Kapitel 20

Kapitel 21

Erinnerung

Kapitel 22

Kapitel 23

Blake

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Erinnerung

Kapitel 29

Blake

Kapitel 30

Kapitel 31

Erinnerung

Kapitel 32

Blake

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Ein Zusatzkapitel

Kapitel 37

Ein Wort zum Schluss

Danksagung

Sehnsucht nach dir

Über die Autorin

Impressum

Das Buch

 

Wer ist Emilia?

 

Diese Frage stellt sich Emilia Murray, als sie nach über fünf Jahren aus dem Koma aufwacht. Sie hat vergessen, was in den zwei Jahren vor dem Unfall geschehen ist und muss mit der Tatsache klarkommen, dass sie nun kein neunzehnjähriger Teenager mehr ist, sondern eine sechsundzwanzigjährige Frau. Die Schottin weiß nicht, wer sie ist, was passiert ist, geschweige denn, wie sie nach Inverness gekommen ist.

Als Emilia das Krankenhaus verlassen kann, lernt sie den attraktiven Highlander Blake McLaughlin kennen, der ihr in einer Notsituation hilft. Es scheint, als würde er sie besser kennen, als irgendjemand sonst. Sie weiß nicht, dass er nicht ohne Grund in ihrer Nähe ist.

Während der Suche nach ihren Erinnerungen setzt Emilia sich selbst so unter Druck, dass die Situation sie völlig überfordert. Hilflosigkeit, Angst und das Gefühl von Verlust machen sich breit. Sie erhofft sich Antworten von ihrer Mutter, doch diese verweigert jedes Gespräch über die Zeit vor dem Unfall.

Wovor versucht Emilias Mutter sie zu beschützen? Und welches Geheimnis hütet Blake?

 

Eine spannende Reise durch das malerische Schottland, eine Suche nach Erinnerungen und ein Kampf gegen längst vergangene Gefühle.

Für alle,

die sich selbst schon einmal verloren haben.

 

Meine Mutter sagte mir immer:

Auf die Dunkelheit folgt Licht!

Ich konnte nur hoffen, dass das stimmte ...

Prolog

 

 

Erinnerungen sind Momentaufnahmen einer Zeit, die bereits vergangen ist. Sie zeigen unser bisheriges Leben, die guten und die schlechten Seiten. Erinnerungen ermöglichen uns, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, alles Revue passieren zu lassen, zu erleben oder Vergangenes besser verstehen zu können.

Wir fürchten sie, wenn wir uns fragen, ob die schönen Zeiten, die wir erlebt haben, jemals zurückkommen. Gelegentlich geben sie uns aber Mut und Hoffnung, weil wir nur durch unsere Erinnerungen sehen, was wir schon alles erreicht haben.

Ich war nie ein Mensch gewesen, der in der Vergangenheit gelebt hatte. Meine Erinnerungen hütete ich wie kleine Schätze, doch ich verlor mich nie in ihnen. Ich genoss mein Leben, lebte in den Tag hinein und riskierte etwas.

Kleiner Sonnenschein, so nannte mich meine Mutter, weil ich immer ein Lächeln auf den Lippen hatte. Nein, ich war kein Mensch, der zu viel grübelte. Ich schuf mir keine künstlichen Probleme und die Zukunft redete ich nicht schlecht, weil in der Vergangenheit etwas dagegensprach. Ich war glücklich.

Das änderte sich schlagartig, als ich erst meine Erinnerungen und anschließend mich selbst verlor ...

Kapitel 1

 

 

Wer ist Emilia?

 

 

Seit ich die Augen vor etwa einer halben Stunde aufgeschlagen hatte, stellte ich mir diese Frage unermüdlich. Wer war diese Person, die mir in der Spieglung der Fensterscheibe entgegenblickte, die Ähnlichkeiten mit mir hatte, die ich aber unmöglich sein konnte?

Die junge Frau, die ich sah, hatte wirre, schulterlange, brünette Haare. Ihre dunklen Augen wirkten leer und leblos, ihr schmales Gesicht war blass und kränklich. Sie war älter als das letzte Mal, als sie mir im Spiegel entgegengelächelt hatte. Die vollen Lippen, auf denen dieses Lächeln normalerweise lag, waren zu einem Strich verzogen. Ihr schlanker Körper steckte in unscheinbarer Krankenhauskleidung. Was auch immer ihr passiert war, es musste furchtbar gewesen sein.

Geduldig hatte ich mir angehört, was der Arzt mir zu sagen hatte, doch verstanden hatte ich nur das Wenigste davon. Begriffe wie retrograde Amnesie, schwere Verletzungen und Gehirnerschütterung waren mir im Gedächtnis geblieben. Es fiel mir allerdings schwer, einen Zusammenhang mit diesen Worten zu bilden.

»Sag doch etwas«, flehte meine Mutter und ich wandte den Blick von der Fensterspieglung ab. Ausdruckslos sah ich ihr in die Augen und fragte stumm: »Was soll ich deiner Meinung nach sagen?«

Nachdem der Arzt gegangen war, war sie zurück in mein Zimmer gekommen. Seitdem saß sie still neben mir und wartete darauf, dass ich mein Schweigen brach. Doch ich wusste nicht, womit ich das tun sollte. Damit, Fragen zu stellen, was in den letzten Jahren geschehen war? Wie es passieren konnte, dass meine Welt von einem auf den anderen Tag aufhörte, zu existieren, und wie die Dunkelheit die Erinnerungen einer so langen Zeit verschlucken konnte? Jeder andere Mensch hätte das getan ... nur ich hielt meinen Mund.

Ich wandte den Blick von meiner Mutter ab und starrte erneut auf die Spieglung im Fenster.

Wer bist du? Was hast du mit der Neunzehnjährigen gemacht, die ich das letzte Mal gesehen habe?

»Emilia, bitte.« Meine Mutter seufzte leise und ich senkte den Blick auf meine Hände, die ich nervös knetete.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, brach ich endlich mein Schweigen und schluckte schwer, als ich das Brennen in meinen Augen spürte. »Ich wache in einem Krankenhaus in Inverness auf. Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist ein Nachmittag mit Amber ... 2008 in Glasgow. Der Arzt erzählt mir, dass ich seit 2010 im Koma gelegen habe ... insgesamt fünfeinhalb Jahre. Ich bin jetzt ... sechsundzwanzig Jahre alt? Welcher Tag ist heute?«

Meine Mutter nickte zaghaft, um mir zuzustimmen, bevor sie meine Frage beantwortete. »Heute ist der 12. Mai 2015.«

Ich schüttelte den Kopf und kniff die Lippen aufeinander. »Weißt du, wie das passiert ist und was ich in den zwei Jahren zuvor gemacht habe?« Meine Stimme war dünn und unsicher, und ich schaffte es nicht, den Blickkontakt zu meiner Mutter zu suchen.

»Der Arzt sagt, du brauchst Ruhe, und dass es nicht richtig wäre, dich sofort mit der Vergangenheit zu konfrontieren«, wich meine Mutter meiner Frage aus. »Er sagte auch, dass du das Krankenhaus eventuell in ein paar Wochen verlassen kannst, wenn die Untersuchungen alle positiv verlaufen. Danach ist genügend Zeit, über alles zu sprechen.«

»Was sind ein paar Wochen schon im Vergleich zu fünfeinhalb Jahren Koma«, erwiderte ich sarkastisch und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Eine Selbstschutzreaktion. »Ich wäre jetzt gern allein.«

Vielleicht war es nicht richtig, meine Mutter so auszuschließen, doch es war in diesem Moment der einzige Weg, meine Gedanken zu ordnen. Ich brauchte ein bisschen Ruhe, um zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte.

»Ich komme morgen wieder.« Mom stand auf und küsste mich auf die Stirn. Starr blieb ich sitzen und nickte nur leicht, nachdem sie sich gelöst hatte.

Kaum hatte sie mein Zimmer verlassen, sank ich zurück in die Kissen und starrte an die weiße, nichtssagende Zimmerdecke. Vielleicht war es der Schock über die Nachricht, der verhinderte, dass ich in diesem Augenblick Gefühle zeigen konnte, vielleicht steckte aber auch etwas anderes dahinter.

Ich drehte mich auf die Seite und schaltete die kleine Lampe über meinem Bett aus. Es wurde sofort dunkel im Raum und ich blickte aus dem Fenster in den Himmel von Inverness, dieser wunderschönen Stadt in den schottischen Highlands, die ich schon immer einmal besuchen wollte. Nun war ich hier, doch wie ich hierhergekommen war, wusste ich nicht. Hatte ich vielleicht Urlaub hier gemacht und hatte dann einen Unfall? Möglicherweise einen Autounfall, oder ich war in den Bergen unterwegs gewesen und es war etwas schiefgegangen? Der Arzt sagte, ich sei im Januar 2010 eingeliefert worden. Vielleicht war der Winter in diesem Jahr besonders streng und schneereich. Sollte das der Grund für mein Unglück gewesen sein? Allein die Möglichkeiten abzuwägen, bereitete mir Kopfschmerzen, dabei gab es noch tausend weitere, die ich bisher nicht bedacht hatte. War ich allein gewesen, oder war jemand bei mir? Hatte ich in den zwei Jahren vor dem Unfall einen Freund gehabt? Wenn ja, wo war er? Und wie ging es meiner besten Freundin Amber? Das Kaffeetrinken mit ihr war die letzte Erinnerung, die ich hatte. Hatte ich nach der Schule ein Studium oder eine Ausbildung begonnen?

Zwei Jahre meines Lebens waren gelöscht worden und ich hatte keine Ahnung, ob ich sie wiederbekommen würde. Ganz zu schweigen von der Zeit, die ich im Krankenhaus verbracht hatte. Was war in den fünfeinhalb Jahren in der Welt geschehen? Was hatte ich alles verpasst, seit mein Leben auf Pause gestellt worden war?

Je länger ich mir diese Fragen stellte, desto mehr erwachte ich aus meiner Schockstarre. Es war, als konnte ich nun erst die Verbindungen zwischen den Worten des Arztes und denen meiner Mutter ziehen.

Ich atmete schwer und mein Herz setzte im gleichen Augenblick eine Sekunde aus, um anschließend mit der doppelten Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Tränen sammelten sich brennend in meinen Augen. Als ich mir eingestehen musste, dass ich keine Ahnung von der Frau hatte, die aus mir geworden war, und dass mir die Chance genommen wurde, die letzten fünf Jahre zu leben, konnte ich nicht länger gegen sie ankämpfen. Ich krallte mich in meine Bettdecke und versteckte das Gesicht im Kissen, während ich meine verlorene Zeit beweinte und mich, wie so oft, in den letzten Stunden fragte, wer ich war. In Gedanken lebte ich das Leben einer Neunzehnjährigen, die noch gestern zusammen mit ihrer besten Freundin Kaffee getrunken und von einer unerreichbaren Modelkarriere geträumt hatte. Doch dieses naive Mädchen war ich nicht mehr. Ich war eine sechsundzwanzigjährige Frau, die nicht wusste, wer sie war und zu welcher Strafe das Leben sie verurteilt hatte.

Erinnerung

 

 

Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und genoss die Sonne, die wärmend auf Glasgow schien. Es war ein warmer Frühlingstag Ende April, und obwohl die Luft noch kühl war, fühlte es sich schon fast wie Sommer an. Ich träumte vom Sommerurlaub, von dem ich noch nicht wusste, ob ich ihn dieses Jahr haben würde. In Gedanken hörte ich den Wind, der die Wellen an den Strand trieb, und das sanfte Rauschen, das dadurch entstand. Doch selbst wenn aus dem Urlaub am Strand nichts werden würde, versprach meine liebste Jahreszeit auch in Schottland schön zu werden. Dieser Tag gab mir einen Vorgeschmack darauf.

»Wartest du schon lange?« Meine beste Freundin Amber riss mich aus meinem Tagtraum. Ich öffnete die Augen und lächelte sie an, bevor ich aufstand, um sie zu umarmen.

»Nein, aber ich hatte Zeit, uns einen Kaffee zu bestellen«, erwiderte ich, und wir setzten uns. In diesem Moment brachte die Kellnerin die beiden Tassen und ich nickte ihr dankbar zu.

»Du bist ein Schatz.« Amber löffelte etwas Milchschaum von ihrem Latte macchiato und sah mich anschließend forschend an.

»Was ist? Warum siehst du mich so an?«, fragte ich, denn ich hatte keinen Schimmer, was ihr durch den Kopf ging.

»Wir ziehen das noch durch, oder?« Der Ausdruck in ihren Augen ließ keinen Widerspruch zu.

»Wenn du damit die Bewerbung für die Show meinst? Hmm, nein.«

Es handelte sich um eine Castingshow, in der ein bekanntes Topmodel nach Modelnachwuchs suchte. Vor einigen Jahren hatte man die Sendung wegen geringer Einschaltquoten aus dem Programm genommen, doch seit sie mit neuer Besetzung und neuem Konzept wieder ausgestrahlt wurde, war der Erfolg enorm. Wie jedes Mädchen hatte auch ich irgendwann den Traum gehabt, Model zu werden. Auf die Idee, mich zu bewerben, kam ich erst durch Amber. In der Werbepause hatte sie die Voraussetzungen gecheckt, die man erfüllen musste, um sich für die neue Staffel anmelden zu können. Ich war größer als vorausgesetzt, erfüllte die Maße, und die Herausforderung reizte mich. Zumindest hatte sie mich an diesem Abend gereizt. Je länger ich darüber nachgedacht hatte, desto mehr verließ mich der Mut.

»Was hast du zu verlieren?«, fragte Amber, ebenso wie an diesem Abend, und wieder konnte ich als Antwort nur mit den Schultern zucken.

»Natürlich nichts, aber ich will nicht als dummes Modepüppchen abgestempelt werden.«

»Du kannst nur als solches abgestempelt werden, wenn du eins bist. Hey, du hast einen super Abschluss gemacht und wolltest ohnehin ein kleines Abenteuer erleben, bevor du dir eine Ausbildung oder einen Studienplatz suchst. Vielleicht ist es genau das, was du jetzt brauchst.«

Ich seufzte leise und rührte in meinem Vanilla Latte. Im Grunde hatte Amber recht, denn ich suchte eine Auszeit und Herausforderung zugleich. Sicher würde ich genau das in der Show finden können und trotzdem war ich nicht völlig überzeugt.

»Außerdem ist überhaupt nicht sicher, ob sie dich nehmen. Riskier es!« Amber setzte ihren überzeugendsten Blick auf und ich kam nicht umhin, mit den Augen zu rollen. Meine beste Freundin wusste genau, welche Knöpfe sie bei mir zu drücken hatte, damit ich nachgab.

»Okay, aber nur unter der Bedingung, dass du dich auch bewirbst!« Nun war ich es, die die herausfordernden Blicke verteilte, während Amber in schallendes Gelächter ausbrach. Sie warf ihr leuchtend rotes Haar zurück, das ihr herzförmiges Gesicht mit den großen grünen Augen, umrahmte. Amber war hübsch und hatte eine unglaubliche Figur. Sie war etwas kleiner als ich, hatte aber mindestens genauso gute Chancen, ebenfalls für die Show ausgewählt zu werden.

»Sorry, ich bin leider einen Zentimeter zu klein.« Amber zuckte mit den Schultern, vermittelte aber nicht den Eindruck, als wäre es besonders schade, dass ihr diese Chance verwehrt blieb. »Außerdem ist das nicht mein Traum«, fügte sie lachend hinzu.

Ich atmete lang und theatralisch aus. »Okay, was muss ich alles machen?«

Kapitel 2

 

 

Ich war schon immer ein Mensch gewesen, der es mochte, wenn andere ihre Versprechen hielten. Deswegen fand ich den Arzt besonders sympathisch, als er mir nach einigen Wochen Physiotherapie und Rundumbetreuung tatsächlich sagte, dass ich das Krankenhaus verlassen durfte. Die Untersuchungen waren alle gut verlaufen. Auch wenn ich noch ein paar Sitzungen Muskelaufbautraining brauchte, war mein Körper doch so weit wieder hergestellt, dass ich nach Hause konnte.

Der Arzt selbst verlor kein Wort über meinen Unfall, sicher, weil er annahm, irgendjemand hätte mich in der Zwischenzeit aufgeklärt. Die Wahrheit war, dass ich meine Mutter nicht wieder gefragt hatte. Der Grund dafür war schlicht und ergreifend Angst und auch ein bisschen Stolz.

Ich war nie ein Mensch gewesen, der sich blind auf andere verlassen hatte. Schon seit ich denken konnte, wollte ich immer alles allein schaffen. Mich zu erinnern gehörte in diesem Moment dazu. Ich wollte mir keine Geschichten anhören, was mir geschehen war, ich wollte jede einzelne meiner Erinnerungen zurückbekommen und mir selbst ein Bild machen. Dazu sagte der Arzt nur, dass ich mir Zeit geben sollte. Die Erinnerungen würden dann kommen, wenn ich sie brauchte und nicht, wenn ich sie erzwang. Diese Antwort musste ich hinnehmen, auch wenn sie mich nicht glücklich machte. Aus dem Mund des Arztes klang das so leicht, doch er selbst hatte vermutlich nie in meiner Situation gesteckt.

Seit ich aufgewacht war, fühlte ich mich schrecklich unvollständig und ich konnte keine Erklärung dafür finden. Es war, als würde mein Herz wissen, dass mir etwas fehlte, und mich jeden Schmerz dieses Verlustes spüren lassen ... lediglich mein Kopf verweigerte seinen Beitrag dazu.

»Liebling, hast du alles?«, fragte mich meine Mutter und ich drehte mich zu ihr um.

»Ja«, antwortete ich und zog den Reißverschluss meiner Reisetasche zu. Ich nahm sie vom Bett und sah mich ein letztes Mal in dem Zimmer um, dann tauschte ich einen Blick mit meiner Mutter. »Ich glaube, ich werde das nicht vermissen.« Mom schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln und hielt mir die Tür auf.

In den letzten Wochen hatten wir viel miteinander geredet. Auch wenn ich nicht wollte, dass sie mit mir über meine Erinnerungen sprach, so wollte ich doch wissen, wie ihr Leben in den letzten Jahren verlaufen war. Nachdem sie von meinem Unfall erfahren hatte, pendelte sie in regelmäßigen Abständen zwischen Glasgow und Inverness. Meine Mutter und mein Vater hatten sich schon getrennt, da war ich noch klein gewesen. Nach der Trennung hatte sie einen Blumenladen eröffnet, ein Job, in dem meine Mutter völlig aufging. Sie erzählte mir, dass sie, je länger ich im Koma lag, überlegte, nach Inverness zu ziehen. Blumen würde man überall kaufen. Bereits ein Jahr nach diesem Gedanken hatte meine Mutter ihn in die Tat umgesetzt. So konnte sie jederzeit bei mir sein, sollte ich aufwachen. Ich war gerührt, dass sie dieses Opfer für mich brachte und an einem völlig fremden Ort ein neues Leben begann. Auch privat hatte sich bei ihr einiges getan. Schon kurze Zeit, nachdem sie in die Highlands gekommen war, lernte sie Steven kennen und heiratete ihn im letzten Sommer. Ich freute mich für Mom, war aber traurig darüber, dass ich bei all diesen Momenten nicht bei ihr sein konnte.

»Emilia, hörst du mir überhaupt zu?« Meine Mutter griff nach meinem Arm und zwang mich zum Stehenbleiben. Irritiert sah ich sie an.

»Entschuldige, ich war in Gedanken.« Erst jetzt bemerkte ich, dass wir bereits im Erdgeschoss standen.

»Hör mal, da draußen steht alles voller Paparazzi.« Sie deutete um die Ecke, wo sich der Eingang befand. Ich warf einen vorsichtigen Blick in diese Richtung, und tatsächlich. Mindestens dreißig Männer und Frauen hatten sich vor dem Eingang des Krankenhauses versammelt.

»Was machen die da?«, wollte ich wissen und bemerkte, wie meine Mutter tief durchatmete.

»Im Krankenhaus muss irgendeine Promidame untergebracht worden sein. Lass dich von den Leuten nicht irritieren. Es kann sein, dass sie wahllos losfotografieren, sobald jemand das Krankenhaus verlässt ... das sagte zumindest der Arzt vorhin. Mein Auto steht auf dem Parkplatz dahinter. Wir gehen schnell raus und verschwinden, okay?«

»Ja.« Ich spürte, dass meine Mutter auf eine seltsame Art und Weise nervös und angespannt war und diese Gefühle auf mich übertrug. Dabei gab es doch überhaupt keinen Grund aufgeregt zu sein. Ich war weder berühmt noch eines dieser Bilder wert. Selbst wenn die Leute jeden wahllos fotografierten, der das Gebäude verließ, sobald sie bemerkten, dass wir nicht ihr eigentliches Motiv waren, würden sie aufhören.

Selbstbewusst trat ich auf den Gang und lief zur Tür. Mit jedem Schritt, den ich machte, verlor ich ein Stück Mut, denn sobald der erste Paparazzo den Auslöser gedrückt hatte, brach ein wahres Blitzlichtgewitter aus. Mom und ich traten durch die Tür, lautes Geschrei prasselte auf uns ein und ein Foto nach dem anderen wurde geschossen. Das grelle Blitzlicht blendete mich und ich taumelte die Stufen nach unten, während ich eine Hand schützend vor mein Gesicht legte.

Ich verstand nicht, was die Leute schrien. Die Stimmen vermischten sich mit dem Klicken der Kameras, und ich trat die letzte Stufe nach unten.

»Entschuldigung, lassen Sie mich durch«, versuchte ich, laut zu sagen, doch niemand ging aus dem Weg. Den Blick gesenkt, entdeckte ich eine kleine Lücke und schob mich an zwei Männern vorbei. Ich wusste nicht, ob meine Mutter mir noch folgte. Völlig überfordert sah ich mich um und stand plötzlich zwischen lauter Fremden, die wild auf mich einredeten und mich mit ihren Kameras blendeten.

Panisch drehte ich mich im Kreis und versuchte, meine Mutter zu finden, als plötzlich jemand an meinen Sachen zog und ich das Gleichgewicht verlor. Taumelnd fiel ich zu Boden und verstand nicht, was hier passierte. Warum traten die Leute nicht zur Seite und ließen mich durch? Wortfetzen drangen an meine Ohren, doch ich war nicht in der Lage, ihre Bedeutung zu verstehen. Schwer atmend blickte ich auf den Boden, Tränen brannten in meinen Augen und mir wurde schlecht.

»Treten Sie von meiner Tochter zurück, verdammt!«, nahm ich die Stimme meiner Mutter wahr. Ich wollte nach ihr sehen, doch die ganze Situation überwältigte mich. Auf meinem Herzen breitete sich ein unglaublicher Druck aus und es fühlte sich an, als würde mir jemand die Luft abschnüren. Ich kniff die Augen fest zusammen und betete, dass es gleich vorbei sein würde, bevor ich die Besinnung verlor.

Plötzlich packte mich jemand und hob mich mit Leichtigkeit in die Luft. Ich klammerte mich blind an denjenigen, und ein angenehmer Duft umspielte meine Nase - eine Mischung aus süß-herbem Männerparfüm und einer ganz eigenen Nuance, die mich an einen Tag im Wald erinnerte.

»Es ist alles in Ordnung.« Die dunkle Stimme des Fremden zog durch meinen ganzen Körper und hinterließ ein Prickeln. Ich öffnete vorsichtig die Augen. Im Blitzlicht schimmerten seine braunen, gestylten Haare leicht bernsteinfarben. Seine moosgrünen Augen ruhten besorgt auf mir, während seine kantigen Gesichtszüge angespannt waren. Er verstärkte den Druck und presste mich fester an seinen großen, trainierten Körper. Ich schätzte den Fremden nur wenige Jahre älter als mich selbst, doch was spielte das Alter in dieser Situation für eine Rolle? Die Art, wie er mich ansah und mich aus der Menschenansammlung heraustrug, sorgte dafür, dass ich mich so sicher und beschützt fühlte wie nie zuvor in meinem Leben. Er war ruhig und gelassen und strahlte trotzdem eine Stärke aus, die einen Schauer und empfindliche Stromstöße durch meinen Körper schickte. Ich blickte ihm direkt in die Augen und verlor mich. Mit so wenigen, einfachen Dingen nahm er von mir und meinem Körper Besitz und verzauberte mich. Das war albern und doch ein Moment, den ich bis zu diesem Tag nicht vergessen hatte.

»Danke«, flüsterte ich, als er mich auf dem Parkplatz auf die Füße setzte und mich an einen schwarzen Wagen lehnte. Ich löste unseren Blickkontakt nicht, als er nur sanft nickte.

»Alles in Ordnung, Kleines?« Meine Mutter kam panisch zu mir gelaufen und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

»Ja, ich ... ich will hier nur weg.«

»Ja, natürlich.« Sie wandte sich an den Fremden, der mir geholfen hatte. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mr ...«

»McLaughlin, Blake McLaughlin.«

»Vielen Dank, Mr McLaughlin.« Mom wollte mich am Arm packen und zu ihrem Auto schleifen.

»Ich kann Sie nach Hause bringen, wenn Sie möchten. Sie sind viel zu aufgeregt, um jetzt selbst zu fahren.«

Tatsächlich zitterte meine Mutter ebenso wie ich am ganzen Körper. Die Situation hatte uns kalt erwischt und ich verstand nicht, warum die Paparazzi so aggressiv reagiert hatten. Ich war kein Mensch, den man ablichten musste, warum waren sie alle so aufdringlich geworden?

»Ich will Ihnen keine weiteren Umstände machen, Mr McLaughlin.«

Er schüttelte den Kopf. »Das machen Sie nicht.« Er öffnete die Zentralverriegelung des Wagens, an den er mich gelehnt hatte. »Steigen Sie ein.«

»Vielen Dank«, sagte meine Mutter erleichtert.

 

 

Zehn Minuten später hielten wir vor dem kleinen Blumenladen meiner Mutter, der sich im Erdgeschoss eines dreistöckigen Wohnhauses befand. Ich stieg aus und atmete zum ersten Mal an diesem Tag tief durch, dann blickte ich mich um. Das Haus stand in einer kleinen Einkaufsstraße, in der einige Menschen ihre Besorgungen erledigten. Die Fassade des Blumenladens war weiß und wirkte einladend, das Schaufenster war bunt und frühlingshaft dekoriert. Moms Laden erinnerte kaum noch an das kleine Geschäft, das sie in Glasgow geführt hatte. In diesem hier steckte mehr Liebe zum Detail und sicher auch viel mehr Zeit.

»Danke, Mr McLaughlin. Sollten Sie irgendwann Blumen brauchen, revanchiere ich mich bei Ihnen.« Meine Mutter deutete lachend auf ihren Laden, doch er machte nur eine abwinkende Handbewegung.

»Es gibt nichts zu danken. Auf Wiedersehen.«

Ich drehte mich zu Blake McLaughlin um und suchte ein letztes Mal seine wunderschönen Augen. Vielleicht benahm ich mich wie ein schmachtender Teenager, aber das kümmerte mich nicht.

»Danke«, flüsterte ich und lächelte sanft. Er erwiderte es nicht, das musste er gar nicht. In seinen Augen lag ein Schmunzeln, das sein Lächeln ohnehin ausgestochen hätte.

Ich wandte mich ab und folgte meiner Mutter zur Tür des Wohnhauses, die sich neben dem Eingang des Blumenladens befand.

»Ein netter junger Mann«, sagte meine Mutter und schloss auf. Wir liefen die Treppe nach oben in den ersten Stock, wo sie die Wohnungstür aufschloss. Als ich ins Innere trat, staunte ich nicht schlecht. Die Wohnung war groß und im Landhausstil eingerichtet. Alles bestach durch helle Farben und die bunten Akzente, welche die frischen Blumen brachten. Ich schloss die Augen und sog ihren Duft ein. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich geglaubt, ich befände mich in einem Cottage auf dem Land.

»Die Wohnung ist traumhaft schön«, flüsterte ich.

»Danke, Schatz. Wir haben ein Gästezimmer. Du musst nicht auf der Couch schlafen.« Meine Mutter öffnete eine Tür und ich trat in ein liebevoll eingerichtetes Schlafzimmer. Zarte Flieder- und helle Cremetöne fanden sich an den Wänden und in der Einrichtung wieder. Auf dem Nachtschrank stand ein Strauß frischer Schnittblumen. »Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.«

Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ich mich um. Obwohl ich das Zimmer traumhaft fand und tatsächlich mit dem Gedanken spielte, länger zu bleiben, ging mir eine Sache dennoch nicht aus dem Kopf. Wo hatte ich vor meinem Unfall gelebt? Hatte ich eine eigene Wohnung gehabt, oder war ich vielleicht sogar mit meinem Freund zusammengezogen?

Ich drehte mich zu meiner Mutter um. »Mom, nur eine Frage: Wo habe ich vor dem Unfall gewohnt?«

»Du hattest eine eigene Wohnung in Edinburgh, Liebes.« Meine Mutter atmete tief durch. »Ich hatte mich nach deinem Unfall mit dem Vermieter in Verbindung gesetzt. Das Geld kam regelmäßig von einem britischen Konto. Genaueres konnte er mir nicht sagen.«

»Das heißt, jemand hat die Miete über all die Jahre bezahlt?«

»Ja, ich denke schon. Ich hatte deinem Vermieter gesagt, er solle mich anrufen, wenn es zu Schwierigkeiten kommt. Da er das bisher nicht getan hat, vermute ich, dass du deine Wohnung noch so vorfinden wirst, wie du sie verlassen hast. Das ist aber kein Thema, das wir jetzt besprechen sollten. Ruh dich aus.«

Ich beließ es dabei, weil ich mich erschöpft fühlte. Aber ich dachte immer wieder daran, dass ich eine Wohnung hatte, die mir die Antworten geben konnte, nach denen ich suchte. Ich musste dringend nach Edinburgh.

Kapitel 3

 

 

Obwohl ich am Abend schnell eingeschlafen war, hatte ich dennoch eine unruhige Nacht hinter mir. Immer wieder war ich wach geworden und hatte in die Dunkelheit gestarrt. Ich fragte mich, ob mein Körper nach so vielen Jahren genug davon hatte, sich auszuruhen.

Deswegen begann ich den neuen Tag mit Kopfschmerzen. Als ich mich endlich aus dem Bett bewegte, war es zehn Uhr morgens. Sicher war meine Mutter bereits im Blumenladen. Steven, der gestern Nachtschicht hatte und vermutlich immer noch schlief, hatte ich bisher nicht kennengelernt.

Leise gähnend verschwand ich im Badezimmer, wo ich mich auszog und unter die Dusche stieg. Ich drehte das Wasser fast kochend heiß auf, so wie ich es mochte, und stellte mich darunter. Ich hielt den Kopf unter die prasselnden Tropfen, schloss für einen Moment meine Augen und genoss die Ruhe, die ich dadurch empfand. Wasser hatte auf mich schon immer eine beruhigende Wirkung gehabt.

Nachdem ich meinen Körper und meine Haare gewaschen hatte, stieg ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Glücklicherweise hatte mir meine Mutter neue Kleidung besorgt, sodass ich wenigstens etwas anziehen konnte, das mir ein Stück Normalität zurückgab.

Ich verließ das Badezimmer und ging auf direktem Weg in den Blumenladen. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, umströmte mich der blumige Duft, den ich schon immer geliebt hatte. Ich atmete tief durch und schenkte meiner Mutter ein Lächeln, die gerade einen Strauß aus Rosen für einen jungen Mann band.

Bis Mom fertig war, hielt ich mich im Hintergrund auf und sah mich ein bisschen in dem Laden um. Er war nicht groß, dafür aber wunderschön. Der weiße Kassentresen stand in der Mitte des hinteren Teils, dahinter befand sich nur noch ein Arbeitsplatz, an dem meine Mutter die Sträuße band und Gestecke vorbereitete. In jeder Ecke standen unterschiedliche Blumen. Schnittblumen, Topfpflanzen, Pflanzen für drinnen oder für den Garten. Auch einige Dekoartikel, Dünger und andere Kleinigkeiten fanden ihren Platz.

»Hey.« Ich drehte mich zu meiner Mutter um und umarmte sie kurz. »Was machst du denn hier?«

»Ich dachte, ich schau mir deinen Laden mal an ... und irgendwie hoffe ich, du hast Kaffee.« Ich lächelte unsicher.

»Natürlich habe ich Kaffee.« Ich folgte meiner Mutter in einen kleinen Nebenraum, den sie als Pausenraum eingerichtet hatte. Mom nahm zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee aus der Thermoskanne. Sie gab etwas Milch und Zucker hinzu, so wie wir es beide liebten, und reichte mir meine Tasse.

»Danke.«

»Steven schläft noch?«

»Ich denke schon, zumindest habe ich ihn bisher nicht kennengelernt.«

Meine Mutter nickte lächelnd und ich richtete meinen Blick auf den Kaffee. Eigentlich wollte ich mit ihr über so vieles sprechen, doch aus irgendeinem Grund verließ mich der Mut. In meinem Kopf wandelten tausend Fragen umher, doch ich traute mich nicht, auch nur eine davon zu stellen. Ich fürchtete mich davor, etwas zu erfahren, das mich verletzen konnte.

»Kann ich dir helfen?«, fragte ich stattdessen und meine Mutter nickte zustimmend. Mir war klar, dass ich ihr im Laufe des Tages alle Fragen stellen musste, die mir auf der Seele brannten - sicher erwartete sie das auch von mir - doch in diesem Moment wollte ich nur ein bisschen Ruhe.

 

 

Steven kam am frühen Nachmittag in den Blumenladen und ich freute mich, ihn endlich kennenzulernen.

»Liebling, du hast mir nicht gesagt, wie hübsch deine Tochter ist. Hallo, ich bin Steven.« Er schenkte meiner Mutter ein verliebtes Lächeln und umarmte mich.

»Hallo«, erwiderte ich und löste mich von ihm. Steven war ein freundlicher Mann, Anfang fünfzig mit dunklen Haaren und fast schwarzen Augen, den ich auf den ersten Blick wohl für einen griesgrämigen Highlander gehalten hätte. Er hatte diese raue Ausstrahlung, die mich einschüchterte, aber mir wurde sofort klar, dass dieser Eindruck täuschte. Ganz offensichtlich war er ein offener und freundlicher Mensch, der immer einen witzigen Spruch auf den Lippen hatte.

Als ich die Blicke bemerkte, die er mit meiner Mutter tauschte, seufzte ich leise. Ihre Liebe zueinander ließ sich nicht leugnen und ich war glücklich, dass meine Mutter einen Mann wie Steven gefunden hatte. Ich sah ihm an, dass er für sie durchs Feuer gehen und sie beschützen würde.

Ich hatte Mom vermutlich noch nie so glücklich gesehen. Die Trennung von meinem Vater hatte ihr zu schaffen gemacht, doch sie versuchte, ihre wahren Gefühle zu überspielen. Es war immer offensichtlich gewesen, dass meine Mutter mich dadurch schützen wollte. Je älter ich geworden war, desto klarer wurde mir das. Wenn ich darüber nachdachte, hatte ich mich schuldig deswegen gefühlt. Mom hatte für mich auf die Liebe verzichtet, solange ich klein gewesen war. Dass sie ihr Glück endlich gefunden hatte, weil sie wegen mir hierherziehen musste, entschädigte die Jahre der Einsamkeit wohl ein bisschen.

»Gewöhnst du dich langsam wieder ein, Emilia?«, fragte mich Steven, als Mom sich gerade um eine Kundin kümmerte. Ich zuckte mit den Schultern.

»Es ist schwer, sich an etwas zu gewöhnen, von dem man nicht weiß, ob es zum Alltag gehört.« Steven und ich waren in den kleinen Pausenraum gegangen, wo auch er sich erst einmal eine Tasse Kaffee nahm.

»Ja, das glaube ich dir. Ich arbeite hier in der Gegend als Notarzt, weswegen ich in etwa weiß, wie es dir gehen muss.«

»Das weiß niemand«, erwiderte ich leise.

»Ja, das stimmt leider.« Steven lachte. »Entschuldige, aber bei den meisten Leuten funktioniert das.«

»Diese einfühlsame Art ist so eine Masche von euch Ärzten, oder?« Auch wenn mir nicht nach Lachen zu Mute war, schaffte Steven es dennoch, mir ein Schmunzeln zu entlocken.

»Irgendwie schon. Was ich damit sagen will: Scheue dich nicht davor, Fragen zu stellen. Ich kann mir vorstellen, was mein Kollege im Krankenhaus dir gesagt hat. Es ist Schwachsinn, dass du es nicht überstürzen sollst. Wenn du dich nicht damit auseinandersetzt und dich fragst, was du in den beiden Jahren vor deinem Unfall gemacht hast, werden die Erinnerungen nie zurückkommen.« Der Mann meiner Mutter seufzte leise. »Ich weiß von Debbie, dass du bisher jede Frage gemieden hast, die dir helfen könnte, dich zu erinnern. Und ich weiß auch, dass ihr das sogar recht ist. Deine Mutter will dich schützen, aber das sollte dich nicht davon abhalten, deine Erinnerungen zu finden.«

»Ich glaube, ich habe Angst davor, etwas zu erfahren, was mir wehtun könnte.«

»Und deswegen lebst du lieber in Ungewissheit? Das funktioniert ein paar Wochen, Emilia, aber nicht auf Dauer.«

»Ich weiß«, seufzte ich und richtete meinen Blick starr auf den Fußboden.

 

 

Nachdem Steven gegangen war, hing ich meinen Gedanken nach. Ich wusste, dass er mit seinen Worten recht hatte, doch es fiel mir schwer, den alles entscheidenden Schritt zu machen. Tatsächlich hätte ich lieber einige Zeit in dieser kleinen Seifenblase verbracht, fernab von den Fragen und Gedanken, die durch meinen Kopf geisterten. Der Entschluss, nach Edinburgh zu fahren und mich in meiner Wohnung umzusehen, war so schnell verblasst, wie er gestern gekommen war.

Mit langsamen Schritten ging ich zu den Orchideen und betrachtete eine mit wunderschöner blauer Färbung. Sanft strich ich mit den Fingern über die zierlichen Blütenblätter und lächelte. Ich hatte mich nie für Blumen und Pflanzen interessiert, doch diese zog mich magisch an.

»Gefällt sie dir?«, riss meine Mutter mich aus den Gedanken und ich fuhr zu ihr herum.

»Ja, sie ist wunderschön.«

Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm Mom den Topf und reichte ihn mir. »Nimm sie dir später mit nach oben.«

»Danke.« Für einen kurzen Moment sah ich nachdenklich auf die Blume, bevor ich erneut den Blickkontakt zu meiner Mutter suchte. »Ich habe vorhin ein bisschen mit Steven gesprochen.«

»Was denkst du über ihn, Liebling?«

»Ich mag ihn. Aber das ist nicht das, was mir Kopfzerbrechen bereitet.« Ich atmete tief durch. »Er hat etwas sehr Wichtiges zu mir gesagt. Er meinte, ich dürfte keine Angst davor haben, Fragen zu stellen, wenn ich mich erinnern will.«

Sofort froren die Gesichtszüge meiner Mutter ein und sie wandte sich leicht von mir ab. »Ich habe ihm gesagt, dass ich dein Tempo akzeptiere und dich nicht unter Druck setzen werde.«

»Das weiß ich zu schätzen, Mom, aber ich denke, es ist an der Zeit, dass ich versuche, mich zu erinnern. Ich würde gern nach Edinburgh fahren und mich in meiner Wohnung umsehen.«

»Lia, das halte ich für keine gute Idee.«

»Warum nicht?«

»Weil ich dich ganz sicher nicht allein fahren lasse!«, erhob meine Mutter die Stimme.

»Das ist kein Grund.« Ich sah kurz zu Boden und funkelte sie wütend an. »Okay, dann beantworte mir ein paar Fragen. Habe ich allein in der Wohnung gelebt? Was habe ich beruflich gemacht, oder habe ich studiert? Hatte ich einen Freund, vielleicht sogar mehr? Wo ist Amber? Noch in Glasgow? Warum hat sie sich nicht gemeldet, seit ich aufgewacht bin? Haben wir uns in den letzten Jahren regelmäßig gesehen?« Ich holte Luft und stellte weiter Fragen, weil es nicht den Anschein machte, als wollte meine Mutter mir die Antworten geben, nach denen ich suchte. »Wie ist es zu dem Unfall gekommen? Welche Art von Unfall war es überhaupt? War ich allein, oder war jemand bei mir? Hätte ich sterben können? Warum bin ich in Inverness?«

»Emilia, hör auf!«, schrie Mom und stellte sich hinter ihren Tresen.

»Nein, warum? Das geht mir durch den Kopf, seit ich aufgewacht bin. Ich habe mich bisher nur nicht getraut, all diese Dinge auszusprechen.« Tränen stiegen in meinen Augen auf. »Es tut mir leid, Mom, aber im Moment bist du offensichtlich die Einzige, die mir helfen kann.«

»Es ist noch nicht der richtige Zeitpunkt, verstehst du das nicht?« Meine Mutter stützte sich auf dem Tresen ab und ließ den Kopf hängen.

»Aber wann ist der?«, fragte ich und das Klingeln des kleinen Türglöckchens legte sich über meine Frage. Ich drehte mich um und mein verschwommener Blick traf auf Blake McLaughlin. Ich schluckte schwer und sah zurück zu meiner Mutter, die nur den Kopf schüttelte. Als mir klar wurde, dass ich keine Antworten erhalten würde, drehte ich mich um, schob mich an dem jungen Mann vorbei und verschwand mit meiner blauen Orchidee aus dem Laden.

Kapitel 4

Als ich das kleine Pub am Ende der Straße entdeckte, das vor etwa einer halben Stunde geöffnet hatte, verschwand ich sofort darin. Die dunkle, gemütliche Atmosphäre verschluckte mich, und ich nahm an dem dunklen Holztresen Platz - meine blaue Orchidee stellte ich darauf. Sicher gab ich ein mitleidiges Bild ab.

»Was darf es sein?«, fragte der ältere Mann hinter dem Tresen und ich sah ihm in die Augen.

»Irgendetwas, das mich die letzten Minuten ziemlich schnell vergessen lässt.«

Zwei Sekunden später stand ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit vor mir. »Der beste Single Malt, den Sie in der Gegend bekommen können, Miss«, erklärte der Mann lächelnd. »Ein paar Doppelte, und Ihre Probleme werden unwichtig.« Er zwinkerte mir zu und ich nickte dankbar. Ich nahm das Glas und trank es in einem Zug leer. Der Whisky brannte sich meine Kehle hinab und ich atmete tief durch. »Mehr?«, fragte der Mann und ich nickte.

»Du weißt, dass Alkohol keine Lösung ist, um über einen Streit hinwegzukommen?« Erschrocken sah ich zur Seite und ein Paar moosgrüner Augen ruhte auf mir. Blake McLaughlin nahm neben mir Platz. »Ich nehme das Gleiche wie sie«, bestellte er.

»Eine Lösung vielleicht nicht, aber der nette Herr hat mir versichert, dass ich danach alles vergesse, was in den letzten Minuten geschehen ist. Auf ein paar Erinnerungen mehr oder weniger kommt es nicht an, hm?« Ich leerte mein Glas erneut und ließ es schnell wieder füllen. Blakes Blick war nachdenklich und fragend.

»Was meinst du damit, auf ein paar Erinnerungen mehr oder weniger kommt es nicht an?« Er sprach mich nicht in der Höflichkeitsform an, was in Betracht der Nähe, der wir gestern ausgesetzt waren, seltsam gewesen wäre. Und doch hinterließ diese Vertrautheit ein merkwürdiges Gefühl.

»Spielt das eine Rolle?« Blake drehte sich leicht zu mir und sein Blick wurde durchdringender. Ich erwiderte ihn, kam aber kaum gegen seine Intensität an. Mein Herz schlug sofort einen Takt zu schnell, und ich blickte auf mein Glas. »Was machst du eigentlich hier?«

»Ich wollte sehen, wie es dir geht.« Nun hob ich meinen Blick doch wieder und sah ihn skeptisch an.

»Wenn das deine Masche ist - armen, hilflosen Frauen vor dem Krankenhaus aufzulauern, sie anschließend nach Hause zu fahren, um herauszufinden, wo sie wohnen, und den besorgten Retter zu spielen - dann hast du mit mir absolut keinen Hauptgewinn gezogen.«

Er lachte leise und trank seinen Whisky aus. »Dass ich nicht früher auf die Idee gekommen bin«, bemerkte er ironisch. »Ich habe gestern einen Freund im Krankenhaus besucht, und ob du es glaubst oder nicht, aber ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Offensichtlich zu Recht, schließlich sitzt du nach einem Streit mit deiner Mutter im Pub und betrinkst dich. Was die Orchidee zu bedeuten hat, will ich lieber nicht wissen.«

»Es geht mir ganz fantastisch.« Ich zog die Augenbrauen in die Luft und seufzte leise.

»Weißt du, dass nur Menschen, die keinen Ansprechpartner haben, sich nach einem Streit in einem Pub betrinken, weil sie hoffen, der Barkeeper hört ihnen zu?«

Es war leicht zu durchschauen, dass Blake versuchte, mich aus der Reserve zu locken. Ich war mir nur nicht sicher, ob seine Provokation dazu dienen sollte, dass ich ihm eine Ansage machte oder lauthals begann zu lachen. Auf jeden Fall würde ich ihm beides nicht liefern, so viel stand fest.

»Natürlich habe ich nach über fünf Jahren Koma und weiteren zwei Jahren Gedächtnisverlust keinen Ansprechpartner. Meine beste Freundin hat mich, seitdem ich wach bin, nicht einmal besucht. Ich habe keinen Schimmer, ob ich andere Freunde oder einen Partner habe, und meine Mutter gibt mir keine Antworten. Okay, ich habe in den letzten Wochen auch keine Fragen gestellt ... Also Mister ›Ich rette arme, hilflose Frauen vor dem Krankenhaus‹, mit wem soll ich sprechen?« Jetzt schenkte ich ihm doch ein Lächeln, weil ich nicht wollte, dass meine Worte verbittert rüberkamen. Ja, vielleicht war ich ein bisschen verbittert, aber ich war vermutlich auch selbst schuld. Keine Fragen bedeuteten immerhin keine Antworten.

»Entschuldige, das habe ich nicht gewusst.«

»Woher auch«, seufzte ich und hob die Schultern leicht an.

»Das erklärt, warum du nicht besonders viel Wert auf deine Erinnerungen legst.« Blakes Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln und ich kam nicht umhin zu bemerken, wie attraktiv ihn das machte.

»Am besten gebe ich mich meinem neuen Leben hin und ignoriere, dass ich irgendwo in Edinburgh eine Wohnung habe ...« Ein weiteres Glas Whisky brannte sich meine Kehle hinab.

»Ist das der Grund, warum du mit deiner Mutter gestritten hast?«

»Ja. Sie sagt, es sei nicht der richtige Zeitpunkt.«

»Und denkst du das ebenfalls?«

Ich suchte seinen Blick, der mich so ernst ansah, dass ich nichts anderes konnte, als loszulachen.

»Du bist beruflich nicht zufällig Therapeut?«, scherzte ich und er schüttelte den Kopf.

»Nein, freiberuflicher Fotograf, aber auch das ist manchmal wie eine Therapie. Was hältst du davon, wenn wir Freitag einen kleinen Ausflug machen? Ich könnte dir die Gegend zeigen, damit du weißt, mit welchem Leben du dich hier arrangierst, während ich an einer neuen Fotostrecke arbeite.«

»Du kennst nicht mal meinen Namen.« Ich kniff die Augen skeptisch zusammen.

»Verrate ihn mir«, flüsterte Blake und beugte sich ein Stück weiter zu mir.

»Emilia.«

»Gut, jetzt kenne ich deinen Namen. Also, wie sieht es aus? Freitag, vierzehn Uhr am Blumenladen deiner Mutter?«

»Aber nur, weil du meine Drinks bezahlst«, erwiderte ich frech und rutschte vom Barhocker. Ich küsste ihn auf die Wange und verschwand in Richtung Tür.

»Hey Lia!«, rief Blake mir nach und ich drehte mich noch einmal zu ihm um.

- Ende der Buchvorschau -

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Texte © Copyright by Sabrina Fleischer-Heilmann Radeburger Str. 19a 01558 Großenhain [email protected]

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ISBN: 978-3-7427-0588-4