Ein Mann der schläft - Georges Perec - E-Book

Ein Mann der schläft E-Book

Georges Perec

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Beschreibung

In der winzigen Pariser Mansarde klingelt wie jeden Morgen der Wecker. Heute gälte es, das Examen anzutreten – doch der junge Mann steht nicht auf. Er beschließt, an diesem Leben, das ihm nichts mehr zu geben hat, keinen Anteil mehr zu nehmen. Während über den Dächern von Paris die Sommerhitze brütet, überlässt er sich einem gefährlichen Selbstexperiment.

Georges Perecs drittes Buch ist die Geschichte einer radikalen Verweigerung. Noch vor der Oulipo-Zeit entstanden, ist dieser ganz in der Du-Perspektive geschriebene Roman eine Meditation über den Stillstand, eine Etüde über die Leere. Die brüchige Schönheit, die Perec der Selbstisolation verleiht, und die außergewöhnliche literarische Qualität machen »Ein Mann der schläft« (1967) zu einem modernen Urtext der Melancholie, der eine ganze Schriftstellergeneration inspirierte. Perec adaptierte »Ein Mann der schläft« 1974 zusammen mit Bernard Queysanne für das Kino und erhielt dafür den ­Jean-Vigo-Preis.

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Seitenzahl: 117

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Georges Perec

Ein Mann der schläft

Aus dem Französischen von Eugen Helmlé

diaphanesbroschur

 

Für PauletteIn Memoriam J. P.

 

Es ist nicht notwendig, daß du aus dem Hause gehst. Bleib bei deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor dir winden.

Franz Kafka: Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg

 

Sobald du die Augen schließt, beginnt das Abenteuer des Schlafs. Dem bekannten Halbdunkel des Zimmers, ein von Einzelheiten unterbrochener düsterer Raumkörper, in dem dein Gedächtnis mühelos die Wege erkennt, die du tausendmal zurückgelegt hast und die es vom undurchsichtigen Rechteck des Fensters aus nachzeichnet, wobei es den Waschtisch von einer Spiegelung, das Regal vom etwas helleren Schatten eines Buches aus auftauchen lässt und dadurch die schwärzere Masse der aufgehängten Kleidungsstücke stärker hervorhebt, folgt nach einer gewissen Zeit ein zweidimensionaler Raum, wie ein Bild ohne eindeutige Grenzen, das mit der Linie deiner Augen einen ganz kleinen Winkel bilden würde, als stünde es, nicht ganz senkrecht, auf deinem Nasenrücken, ein Bild, das dir zunächst einförmig grau oder eher neutral erscheinen mag, farb- und formlos, das aber wahrscheinlich ziemlich bald schon mindestens zwei Eigenschaften besitzt: die erste ist die, dass es sich mehr oder weniger eintrübt, je nachdem, ob du die Augenlider mehr oder weniger schließt, als hätte, genauer gesagt, die auf den Balken deiner Brauen ausgeübte Kontraktion, wenn du die Augen schließt, die Wirkung, die Neigung der Ebene im Verhältnis zu deinem Körper zu verändern, so als bilde der Balken deiner Brauen das Scharnier und verändere folglich, obgleich diese Folge nicht beweisbar scheint, es sei denn durch Augenschein, die Dichte oder die Eigenschaft der Dunkelheit, die du wahrnimmst; die zweite ist die, dass die Fläche dieses Raumes überhaupt nicht gleichmäßig ist oder genauer, dass die Verteilung, die Aufteilung der Dunkelheit nicht auf homogene Weise geschieht: der obere Bereich ist sichtlich dunkler, der untere Bereich, der dir der nähere zu sein scheint, obgleich die Begriffe nah und fern, oben und unten, vorn und hinten natürlich schon aufgehört haben, völlig klar und eindeutig zu sein, ist einerseits viel grauer, das heißt, nicht viel neutraler, wie du zu glauben beginnst, sondern unzweifelhaft viel weißer und enthält oder trägt andererseits ein, zwei oder mehrere Arten von Beuteln, Kapseln, ein wenig die Vorstellung, die du dir zum Beispiel von einer Tränendrüse machst, mit schmalen, bewimperten Rändern, in deren Innerem sehr sehr weiße Blitze zucken, sich bewegen, sich winden, die manchmal ganz schmal sind, wie sehr feine Streifen, manchmal viel dicker, fast fett, wie Würmer. Diese Blitze, obgleich Blitze ein völlig unzutreffendes Wort ist, haben die seltsame Eigenschaft, dass sie nicht angeschaut werden können. Sobald du deine Aufmerksamkeit ein wenig zu stark auf sie richtest, und es ist fast unmöglich, das nicht zu tun, denn schließlich tanzen sie vor dir herum und alles Übrige ist eigentlich kaum vorhanden, wirklich spürbar ist nur das Scharnier deiner Brauen und dieser sehr verschwommene, mehr oder weniger wahrnehmbare Raum, in dem sich die Dunkelheit ungleichmäßig ausdehnt, doch sobald du sie anschaust, obgleich dieses Wort selbstverständlich nichts mehr sagen will, sobald du zum Beispiel versuchst, dich ein ganz klein wenig ihrer Form oder ihrer Substanz oder einer Einzelheit zu versichern, kannst du sicher sein, dass du dich mit offenen Augen vor dem Fenster wiederfindest, einem undurchsichtigen Viereck, das wieder zum Quadrat wird, obgleich dieser oder diese Beutel ihm in nichts gleichen. Hingegen erscheinen sie, und mit ihnen der mehr oder weniger schiefe, mit deinen Augenbrauen verbundene Raum, einige Zeit, nachdem du von neuem die Augen geschlossen hast, wieder, und wahrscheinlich haben sie sich von einem Mal zum andern nicht verändert. Dessen kannst du allerdings nicht ganz sicher sein, denn nach einer schwer abschätzbaren Zeit und obgleich dir noch nichts zu behaupten erlaubt, dass sie tatsächlich verschwunden sind, kannst du feststellen, dass sie merklich blasser geworden sind. Du hast es jetzt mit einer Art gestreiftem Grau in Grau zu tun, das immer noch zu diesem selben Raum gehört, der deine Brauen mehr oder weniger fortsetzt, nun aber, so könnte man meinen, derart verzerrt, dass er ständig nach links hinausgetragen wird; du kannst ihn anschauen, ihn erforschen, ohne das Gesamtbild zu zerstören, ohne ein unmittelbares Erwachen hervorzurufen, aber das ist völlig ohne Interesse. Auf der Rechten verschwindet etwas, im vorliegenden Fall ein Brett, mehr oder weniger hinten, mehr oder weniger oben, mehr oder weniger rechts. Natürlich ist das Brett nicht zu sehen. Du weißt nur, dass es hart ist, obgleich du nicht darauf liegst, weil du nämlich auf etwas sehr Weichem liegst, das dein eigener Körper ist. Darauf kommt es zu einer ganz und gar erstaunlichen Erscheinung: es gibt da zuerst drei Räume, die du durch nichts miteinander verwechseln könntest, deinen Bett-Körper, weich, waagrecht und weiß, dann der Balken deiner Brauen, der über einen grauen, unscheinbaren, schrägliegenden Raum herrscht, und schließlich das Brett, das unbeweglich ist und sehr hart obendrauf, parallel zu dir und vielleicht erreichbar. Es ist in der Tat klar, selbst wenn es das Einzige ist, was klar ist, dass du einschläfst, wenn du auf das Brett kletterst, dass das Brett der Schlaf ist. Das Prinzip des Vorgangs ist so einfach wie möglich, obgleich dir alles zu denken gibt, dass du viel Zeit brauchen wirst: man müsste das Brett, den Körper, so weit zusammendrücken, bis sie nur noch ein Punkt sind, eine Murmel, oder man müsste, was aufs Gleiche herauskommt, die ganze Schlaffheit des Körpers verringern, sie auf eine einzige Stelle konzentrieren, in einem Lendenwirbel zum Beispiel. Doch in diesem Augenblick stellt der Körper überhaupt nicht mehr die schöne Einheit von vorhin dar, er erstreckt sich in Wirklichkeit in alle Richtungen. Du versuchst nun, eine große Zehe oder deinen Daumen oder deinen Schenkel zum Zentrum zurückzubringen, aber jedes Mal gibt es da eine Regel, die du vergisst. Nämlich die, dass du nie die Härte des Brettes aus den Augen verlieren darfst, dass du mit List vorgehen, deinen Körper heranbringen musst, ohne dass er etwas merkt, ohne dass du selber es mit Sicherheit weißt, aber es ist zu spät, jedes Mal längst schon zu spät und, merkwürdige Folge, der Balken deiner Brauen bricht entzwei und in der Mitte, zwischen deinen beiden Augen, als ob das Scharnier das Ganze zusammengehalten hätte und die ganze Kraft des Scharniers sich an dieser Stelle sammelte, taucht plötzlich ein präziser, unzweifelhaft bewusster Schmerz auf, den du sofort als den banalsten aller Kopfschmerzen erkennst.

Du sitzt mit nacktem Oberkörper, nur mit einer Schlafanzughose bekleidet in deiner Dachkammer auf der schmalen Bank, die dir als Bett dient, auf deinen Knien ein Buch von Raymond Aron Lektionen über die Industriegesellschaft, aufgeschlagen auf Seite hundertzwölf.Zuerst ist es nur eine Art Überdruss, Mattigkeit, als stelltest du ganz plötzlich fest, dass du seit Langem, seit mehreren Stunden, das Opfer eines arglistigen, abstumpfenden Unbehagens bist, kaum schmerzhaft und doch unerträglich, der süßliche und erstickende Eindruck, keine Muskeln und keine Knochen zu haben, ein Sack Gips unter Gipssäcken zu sein.Die Sonne brennt auf die Zinkplatten des Dachs. Vor dir, in Augenhöhe, auf einem Regal aus weißem Holz, eine halbleere, etwas schmutzige Schale Nescafé, ein Paket Zucker, das zur Neige geht, eine Zigarette, die sich in einem Reklameaschenbecher aus falschem, weißem Opalglas selbst raucht.Im Nachbarzimmer geht jemand hin und her, hustet, zieht die Füße nach, verrückt Möbelstücke, zieht Schubladen auf. Ein Wassertropfen perlt beständig am Wasserhahn im Treppenflur. Die Geräusche der Rue Saint-Honoré steigen von ganz unten herauf.Vom Turm der Saint-Roch schlägt es zwei Uhr. Du schaust wieder hoch, du hörst auf zu lesen, aber du hast schon seit Langem nicht mehr gelesen. Du legst das geöffnete Buch neben dich auf die Bank. Du streckst die Hand aus, du zerdrückst die Zigarette, die im Aschenbecher qualmt, du trinkst die Schale mit dem Nescafé aus: er ist nur noch lauwarm, zu süß, ein wenig bitter.Du bist schweißgebadet. Du stehst auf, du gehst zum Fenster, das du schließt. Du drehst den Wasserhahn des winzigen Waschbeckens auf, du fährst dir mit einem feuchten Waschlappen über die Stirn, über den Nacken, über die Schultern. Arme und Beine angezogen, legst du dich in Seitenlage auf die schmale Bank. Du schließt die Augen. Dein Kopf ist schwer, deine Beine sind steif.

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