Ein Mann, ein Meer - Udo Schroeter - E-Book

Ein Mann, ein Meer E-Book

Udo Schroeter

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Beschreibung

Das ultimative Männer-Buch! Ein Mann soll heute alles sein: liebevoller Partner, perfekter Vater, erfolgreich im Job; einfühlsam und stark. Permanent steht er im Spagat zwischen beruflichen und familiären Anforderungen – und allem, wonach er sich eigentlich sehnt. Seit vielen Jahren ist Udo Schroeter mit kleinen Gruppen von Männern an den Stränden Bornholms unterwegs. Sie fangen Fische, machen Feuer, genießen ihre Freiheit und entwickeln im Angesicht der Weite des Meeres und der Kraft der Elemente eine Vorstellung, wie sie ihrem Leben einen neuen Klang geben können. Keiner geht, wie er gekommen ist. Udo Schroeter zeigt, wie Männer wieder zurück zu ihrer ursprünglichen Kraft finden können. Ein Leben in Stärke, in Liebe, einer Verbundenheit zu sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur. In seinen Geschichten und Betrachtungen geht es um die Weisheit des Jägers, um Leidenschaft und Nähe, den Mut, etwas Neues zu wagen und darum, wie ich meine eigentliche Bestimmung entdecken kann. Aber auch um ganz praktische Fragen: Wie macht man Feuer? Wie nimmt man einen Fisch aus? Und wie kann man sich orientieren? Der begnadete Zeichner Timo Zett hat den Autor und eine Gruppe von Männern zwei Wochen lang begleitet.

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Seitenzahl: 149

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Udo Schroeter

Ein Mann, ein Meer.

Entdecke den Jäger in dir

Mit Illustrationen von Timo Zett

Knaur e-books

Über dieses Buch

Seit vielen Jahren ist Udo Schroeter mit kleinen Gruppen von Männern an den Stränden Bornholms unterwegs. Sie fangen Fische, machen Feuer, genießen ihre Freiheit und entwickeln im Angesicht der Weite des Meeres und der Kraft der Elemente eine Vorstellung, wie sie ihrem Leben einen neuen Klang geben können. Keiner geht, wie er gekommen ist.

 

Udo Schroeter zeigt, wie Männer wieder zurück zu ihrer ursprünglichen Kraft finden können. Ein Leben in Stärke, in Liebe, einer Verbundenheit zu sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur. In seinen Geschichten und Betrachtungen geht es um die Weisheit des Jägers, um Leidenschaft und Nähe, den Mut, etwas Neues zu wagen und darum, wie ich meine eigentliche Bestimmung entdecken kann. Aber auch um ganz praktische Fragen: Wie macht man Feuer? Wie nimmt man einen Fisch aus? Und wie kann man sich orientieren?

 

Der begnadete Zeichner Timo Zett hat den Autor und eine Gruppe von Männern zwei Wochen lang begleitet.

Inhaltsübersicht

WidmungVom Takt des LebensDie Geschichte vom TreibholzstockVon der EinfachheitVom ScheiternVon der WeiteJäger!Von den LehrernFeuermacher und FeuerhüterBewahrerLieber Kippen-Wegwerfer,FricklerStrandkochSpäherKünstlerHeilerVom FragenstellenLeben ist …Von der FreundschaftDie Geschichte vom WintergoldhähnchenVom StammDas Rad der JagdZeit der VorbereitungJagdZeit für die RückbesinnungFür Erholung sorgenVom Wandeln und WechselnDie blaue StrandschaufelVon den JungenStärkt mich das, oder schwächt mich das?MeerforellenWie Mann seine erste Meerforelle fängt …Vom VertrauenDie Geschichte vom WinterfutterVon der EntscheidungVom Gesetz der WiderstandslosigkeitVon der IntuitionLebensreiseVon den KraftortenWasserläuferVon der WendeVom LebendigseinVon der StilleVon der EndlichkeitVon der BerufungVom Lohn
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In tiefer Verbundenheit mit allen Männern,

mit denen ich am Meer unterwegs war

und mit denen ich am Feuer gesessen habe.

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Vom Takt des Lebens

In ein paar Stunden beginnt das nächste Männerseminar, und ich bin gerade damit beschäftigt, im Schuppen Outdoorbekleidung und Angelgerät für die Teilnehmer einzupacken, als das Telefon klingelt. »Hallo Udo!«, begrüßt mich eine mir unbekannte Männerstimme. »Ich muss unbedingt an deinem Seminar teilnehmen, sonst bekomme ich einen Herzinfarkt!«

Stille.

 

»Hast du dich denn für das Seminar angemeldet?«

»Nein. Ich bin einfach losgefahren und rufe dich gerade von der Fähre aus an. Sie hat bereits abgelegt. Ich bin mitten auf dem Meer, auf dem Weg zu dir!«

»Aber das Seminar ist seit Wochen ausgebucht.«

»Ich weiß, aber kannst du mich nicht trotzdem mitnehmen?«

Stille.

 

»Ich habe mir auch bereits eine Unterkunft gebucht. Einen Schlafplatz hätte ich, aber ich muss unbedingt an dem Seminar teilnehmen. Bitte!«

 

Was soll ich sagen? Es gibt gute Gründe, warum die Teilnehmerzahl begrenzt ist. Der Einkauf für die nächsten Tage ist längst organisiert und …

»Okay«, sage ich. »Komm um 17 Uhr zum Haus. Und dann erzählen wir den anderen Männern deine Geschichte. Weißt du, wo das Haus liegt?«

»Ja, das weiß ich. Und – ich bin dir sehr, sehr dankbar! Bis nachher.«

»Na dann, bis später. Ich freue mich auf dich!«

Nachdenklich lege ich das Telefon zurück auf den Tisch.

 

Vier Stunden später sitzen wir zusammen. Alle heißen den mutigen Mann im Kreis der Teilnehmer willkommen. Und dann gehen wir gemeinsam eine Woche lang auf eine innere und äußere Reise ans Meer.

Nach und nach erfahre ich mehr über diesen Mann und sein durchgetaktetes Leben. Ein Leben, das so sehr aus dem Rhythmus gekommen ist, dass ihm, so fühlte er es, ein Herzinfarkt drohte.

Getrieben vom Tempo der Autobahnen, dem völlig überfrachteten Terminkalender, von der Hetze und dem Anspruch nach Zielerfüllung und Anerkennung. Ein Leben, das heute so viele Männerherzen aus dem Takt bringt. Eines, das bestimmt ist von der hohen Schlagzahl einer globalisierten und digitalisierten Welt – viel zu komplex und viel zu hektisch.

In der Woche am Meer kommt der Mann wieder mit einem anderen Lebensrhythmus in Berührung, es ist der Takt, der ihm zum Anbeginn seiner Lebensreise in sein Herz gepflanzt wurde: der Takt der Natur.

 

Der Takt von Einatmen und Ausatmen.

Der Takt von Tag und Nacht.

Der Takt von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Der Takt des Meeres, bestimmt von Ebbe und Flut.

Der wahre Takt des Lebens.

Dieses Buch ist eine Einladung an dich, diesen ursprünglichen Takt deines Lebens wieder wahrzunehmen und ihm zu folgen.

Einen Takt, der dich zurückbringt in deine Freiheit und deine Kraft.

 

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Die Geschichte vom Treibholzstock

Mit fünf Männern bin ich heute an der Südküste unterwegs.

Es ist der zweite Seminartag, und jeder der Männer hat seinen eigenen Plan für den Vormittag. Zwei gehen zum Angeln hinaus auf ein Riff, ein anderer kümmert sich um Lagerfeuerholz, und einer richtet am Strand die Feuerstelle ein, an der wir am Abend unsere frisch gefangenen Fische zubereiten werden.

Nur der fünfte Mann hat einen ganz anderen Plan. Er legt seine Sachen in die Dünen und macht sich auf den Weg zu einem langen Strandspaziergang.

 

 

Nach zwei Stunden kehrt er mit einem breiten Lächeln und einem Treibholzstock auf seinen Schultern zu unserem Lagerplatz zurück.

»Seht mal, ich habe ein Geweih gefunden!«, präsentiert er uns begeistert seinen Strandfund. Dann steckt er den Ast, der tatsächlich an ein Geweih erinnert, in den Sand neben der Lagerfeuerstelle und beginnt zu erzählen: »Erst vor Kurzem bin ich auf einer Traumreise meinem Krafttier begegnet – dem Hirsch.« Während er spricht, schaut er fasziniert auf eine angeschwemmte, bizarr geformte Astgabel. »Und jetzt finde ich dieses Geweih hier am Strand. Dieser Fund bedeutet mir sehr, sehr viel!«

 

Am Abend nimmt er das »Geweih« mit ins Haus, in dem die Gruppe übernachtet, und am nächsten Morgen trägt er es wieder an den Strand. So geht es jeden Tag, bis wir uns freitags zur Abschlussrunde am Feuer versammeln.

»Was ist los?«, frage ich ihn, denn es ist nicht zu übersehen, wie traurig er ist.

»Heute ist unser letzter Tag, und ich werde mich wohl von meinem Geweih verabschieden müssen. Im Flugzeug kann ich es nicht mit nach Hamburg nehmen.«

 

Da ich in wenigen Wochen selbst dorthin reisen werde, schlage ich ihm vor, das Geweih in mein Auto zu packen und es ihm vorbeizubringen.

Von einem auf den anderen Moment ist jede Traurigkeit gewichen, und der Mann strahlt mich überglücklich an: »Das wäre einfach großartig!«

 

Gesagt, getan. Fünf Wochen später fahre ich mit dem Geweih nach Hamburg. Nach meiner Ankunft im Hotel rufe ich bei dem Kursteilnehmer an, und wir verabreden uns für den nächsten Vormittag zur Übergabe.

Mein Hotel liegt in der Nähe der Alster. Was ich nicht weiß, ist, dass hier am nächsten Tag der Hanse-Marathon vorbeiführt. Die Überraschung ist groß.

Ich sitze mit einem Espresso in der Hand auf der kleinen Terrasse vor dem Hotel und warte. Das Geweih liegt vor mir auf dem Tisch. Scharen von Läufern ziehen vorbei, Zuschauer drängen sich dicht an dicht. Kaum einer, der nicht auf das Geweih blickt. Und vielen sieht man an, dass sie sich offensichtlich so ihre Gedanken machen … Was will der Mann mit dem Ast?

Nach gut einer Viertelstunde erblickt eine Zuschauerin das Geweih, knufft ihren Begleiter in die Rippen und ruft voller Begeisterung: »Da, schau mal – ein Menschenanschieber!«

Zugegebenermaßen dauert es ein wenig, bis ich ihre Sicht der Dinge begriffen habe, doch dann muss ich wirklich herzhaft lachen.

Die Frau meint, ich sitze hier an der Laufstrecke mit dem »Menschenanschieber«, wie sie den Treibholzstock nennt, um einem der Läufer ein wenig Unterstützung zu geben auf einem kleinen Teilstück des anstrengenden Weges mit einer Länge von 42 Kilometern und 195 Metern.

Kurze Zeit später kann ich das Geweih dem glücklichen Besitzer überreichen. Die Geschichte vom Menschenanschieber behalte ich vorerst für mich. Aber sie lässt mich nicht los.

Am nächsten Tag fahre ich zurück auf die Insel.

 

Es ist Zeit, das Manuskript für meine erste Erzählung Bin am Meer mit dem Verlag abzustimmen. Im Mittelteil des Buches soll es einen 16-seitigen Bildteil geben. Nach einer ersten Abstimmungsrunde steht die Bildauswahl fest – beinahe zumindest. Ein Platz ist bislang leer geblieben.

Die Entscheidung, welches Bild diesen Platz bekommen soll, fällt nicht leicht. Ich habe einige Motive für mich in die engere Wahl genommen, da klingelt das Telefon, und der Programmleiter des Verlags begrüßt mich mit einem fröhlichen: »Ich hab’s – da kleben wir den Vogel rein!«

»Welchen Vogel?«, frage ich etwas verwirrt zurück.

»Bild Nummer 122. Das ist perfekt. Oder?«

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Bild 122 zeigt das Geweih, nein, den Menschenanschieber. Oder ist es doch ein Vogel?

 

Ich habe aus dieser Geschichte gelernt, wie unterschiedlich wir Menschen die Welt betrachten. Jeder mit seinem Blick und seiner speziellen Sicht der Dinge.

Und wenn es schon zu einem Treibholzstock so unterschiedliche Sichtweisen gibt, wie viel bunter wird es dann erst, wenn wir über die nicht gegenständlichen Dinge sprechen – über Liebe, Mut, Achtsamkeit, Gott …

 

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Von der Einfachheit

In den Wochen, die ich mit den Männern am Meer verbringe, kehren wir in das einfache Leben zurück. Wir gehen angeln und sitzen am Lagerfeuer, wo wir auch unser Essen zubereiten. Bevor wir aufbrechen, verabschieden wir uns aus der digitalen Welt und entscheiden uns ganz bewusst, nur das mit auf die Jagd zu nehmen, was wir wirklich brauchen.

Zurück bleiben unter anderem Mobiltelefone, Terminkalender und To-do-Listen. Aber auch jede Menge Ersatzkleidung, Koffer voller Angelgerätschaften oder unnötiges Outdoor-Getakel.

 

 

Diese klare Entscheidung zur Einfachheit schafft einen Raum und eine Übersichtlichkeit, die die Männer in ihrer alltäglichen Welt oft verloren haben.

Ja, das Leben passt in einen Sechzig-Liter-Rucksack, und diese Reduktion fühlt sich richtig gut an.

Jeglicher unnötiger Ballast, der der Sache nicht dienlich ist und nur Kräfte bindet, findet in den Rucksäcken keinen Platz.

Dieses Bekenntnis zur Einfachheit schafft Freiheit und setzt Energie frei. Und es fördert das Bewusstsein, sich auf das zu fokussieren, was wirklich wichtig ist.

 

Für viele Männer ist dieses Bekenntnis verbunden mit der Wiederentdeckung eines längst verloren geglaubten Lebensgefühls: Es braucht keinen Plan B, C oder D im Leben. Ich ziehe los mit meinem Plan A und entscheide mich ganz bewusst, nur das mitzunehmen, was ich wirklich brauche. Und wenn es anders kommt, vertraue ich auf meine Erfahrung, meine Kreativität und mein Improvisationstalent.

 

Dass das Leben der Männer so komplex geworden ist, hat oft mit einer Angst vor dem Leben selbst zu tun. Sie wollen auf alles vorbereitet sein und merken gar nicht, dass sie längst nicht mehr nur einen, sondern sechs, sieben oder gar acht Sechzig-Liter-Rucksäcke mit sich schleppen, obwohl sie eigentlich nur einen tragen können …

 

Was brauchst du wirklich zum Glücklichsein?

 

 

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Vom Scheitern

»Was wäre eigentlich gewesen, wenn Ihre Auswanderung gescheitert wäre?«

Das ist die Frage, die uns am häufigsten gestellt wird, wenn wir Besuch auf Bornholm bekommen.

»Das Wort ›scheitern‹ gibt es nicht in unserem Familien-Lexikon«, antworten wir dann. »Stattdessen steht dort: ›Erfahrungen machen‹.«

 

Die Angst vor dem Scheitern, das ist eigentlich die Angst vor dem Leben.

 

 

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Von der Weite

»Heute fangen wir große Fische!«, frohlockt einer der Männer beim Schultern seines Rucksacks. Wir nehmen unsere Angeln und machen uns auf den Weg zum Meer.

Ein Stück durch den Wald, dann am Feldrand bergab, weiter durchs hohe Gras, vorbei an einem alten Steinbruch, dann sind wir am Strand. Endlich!

Vor uns die Weite. Wind und Wellen spüren, wieder in Kontakt mit dem eigenen Herzensgrund kommen. Danach sehnen sich alle.Mit elf Männern bin ich diese Woche unterwegs – Fische fangen, Lagerfeuer machen, Freiheit erleben. Ein Tischler, ein Physiotherapeut, ein Bankkaufmann, ein Unternehmer, ein Designer, ein Meeresforscher, ein Ingenieur, ein Tierarzt, ein Künstleragent, ein Dachdecker und ein Illustrator. Der Illustrator ist Timo, dessen Zeichnungen dieses Buch zu etwas ganz Besonderem machen.

 

Die Welt, in die wir gemeinsam eintauchen, trägt jeder seit Anbeginn in seinem Herzen. Hier am Meer sind wir wieder das, was unserer Bestimmung entspricht: Jäger und Sammler. Hier leben wir in einer archaischen Welt, die vom Rhythmus der Natur bestimmt ist, losgelöst von digitalen und elektronischen Verstrickungen.

Das sogenannte moderne Leben verheißt uns vieles, was es letztlich doch nicht halten kann. Hier am Meer sind wir dichter dran am ursprünglichen Wesen unseres Seins – am Werden und Vergehen – als an allen anderen Stellen unseres Lebens.

Und hier kehren die Männer das immer noch tief in ihnen verborgene alte Wissen von innen nach außen. Der Sehnsucht folgen, auf die Jagd gehen, sich bewähren. Ein Lager einrichten, Feuer machen, kochen, Neues ausprobieren. Heilsames entdecken. Gute Geschichten weitergeben.

Das einfache Leben am Meer wird zu einer großen Offenbarung, und das alte Wissen verbindet die Männer wieder mit ihren Familien, dem Geheimnis von Mutter Erde und ihrer eigenen spirituellen Lebensreise.

Der Feuermacher, der Jäger, der Späher, der Bewahrer, der Heiler, der Geschichtenerzähler, der Koch und der Frickler. Jeder findet seine wahre Bestimmung. Und keiner der Männer wird am Ende so gehen, wie er gekommen ist, sondern er wird sich den Kernfragen seines Lebens gestellt haben:

 

Wer bin ich wirklich?

Bin ich mir im Augenblick selbst treu?

Wofür brenne ich?

Was trägt mich?

 

»Heute wird ein schöner Tag!«,

sagt er frühmorgens mit dem Blick auf das Meer.

Dabei strahlt er mich an,

um gleich darauf erschüttert festzustellen,

wie lange er das schon nicht mehr fühlen konnte.

»Das ist bestimmt zwanzig Jahre her!«

 

Bei dieser Erkenntnis rinnen ihm die Tränen übers Gesicht.

 

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Jäger!

»Heute sind die Fische da!«, sagt Pattex voller Zuversicht und schaut auf die sich am Strand brechenden Wellen. »Da ist viel Bewegung im Wasser, und die Trübung ist perfekt!«

Während die anderen den Feuerplatz einrichten und auf die Suche nach Holz gehen, kümmert sich Pattex sofort um den Aufbau seiner Angel.

Seinen Stammesnamen haben ihm die Männer vor zwei Tagen gegeben, als er unbeirrt fünf Stunden hüfttief im Wasser stand und angelte – ohne etwas zu essen oder zu trinken und ohne auch nur einmal zurück zum Ufer zu schauen. Pattex war im Jagdfieber, lebte ganz im Augenblick.

»Ulf haben sie auf der Sandbank festgeklebt!«, bemerkte einer der Männer in der Lagerfeuerrunde. Da war klar, wie sie ihn fortan nennen würden …

Pattex ist in Gedanken schon längst wieder draußen auf dem Riff. Was würde es helfen, diesem Mann jetzt ein Beil in die Hand zu drücken, um damit Feuerholz zu spalten? Oder ihm ein Messer zum Schälen von Roter Bete und Süßkartoffeln zu reichen?

Jeder kann sich halbwegs ausmalen, wie diese Geschichte möglicherweise enden würde – vielleicht mit einem gespaltenen Schienbein oder derben Schnittwunden an den Fingern.

 

Es ist heilsamer, den Jäger in seiner Welt das Glück finden zu lassen. Denn während Pattex seine Angel aufbaut, schaut er nicht nur auf die Färbung des Wassers und das Brechen der Wellen, er weiß auch längst, aus welcher Richtung der Wind weht. Das Wetter und den Wasserstand hat er stets im Blick und beobachtet fast nebenbei, wo gerade Kormorane nach Fischen tauchen. Und in Gedanken kramt er schon den perfekten Köder aus seiner Box.

Pattex ist abgetaucht in seine Jägerwelt. Mit jeder Faser seines Lebens lässt er sich auf die Natur und deren Gegebenheiten ein. So weiß er die vielen Zeichen zu lesen und zu deuten, gleicht sie mit seinen Erfahrungen ab. Je achtsamer und fokussierter er dabei ist, desto erfolgreicher wird er am Ende sein.

Was ist der sicherste Weg hinaus auf die vorgelagerte Sandbank? Wo liegen da draußen die Stehsteine, von denen aus es sich so komfortabel angeln lässt? Pattex entscheidet sich ohne längeres Zögern.

 

Anhand der verschiedenen Färbungen des Wassers erkennt sein geschulter Blick, wo sich die Übergänge von den Sandflächen zum steinigen Grund oder zu den Seegraswiesen befinden. Durch das Auswerfen und Einholen der Köder mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten probiert er aus, wie tief das Wasser in Wurfweite, auf halber Strecke und vor seinen Füßen ist. So entsteht vor seinem geistigen Auge mehr und mehr ein tiefenscharfes Bild des Angelplatzes.

Pattex beobachtet die kleinen Tierchen, die vor ihm im Wasser schwimmen und den Fischen als Nahrung dienen. Er schaut, wo sie durch Strömung und Wellengang konzentriert werden, und überlegt sich, ob der kalte Oberflächenstrom die Nahrung eher über dem Grund oder im Mittelwasser konzentriert. Denn das hat entscheidenden Einfluss darauf, mit welcher Geschwindigkeit er seine Köder im Wasser führen muss, um am Ende wirklich erfolgreich zu sein. Je langsamer er mit seiner Angelrolle die Schnur wieder einholt, desto tiefer läuft sein Köder im Wasser. Zentimeter für Zentimeter sinkt er ab.

 

 

Auch die jagenden Kormorane verliert er währenddessen nicht aus den Augen. Mit seinen geschärften Sinnen erfasst er seine Umgebung: die Farben des Meeres, den Grund, die Strömungen, den Wind. All das, was um ihn herum schwimmt, fliegt, läuft, ruht, lebt. Schließlich fügt er die Meerforellen in das große Bild ein – seine Beute. Er stellt sich vor, wo diese Fische sich auf die Jagd nach Nahrung machen könnten.

 

Diese Vorstellungsgabe ist es, die einen Jäger auszeichnet. Sie ist entscheidend für seinen Erfolg. Ohne dieses vielschichtige Bild angelt er an den Fressplätzen der Fische vorbei, und seine Mühe bleibt vergeblich. Nur durch Achtsamkeit und klare Fokussierung kann er seinen Platz ganz gezielt beangeln.