Ein Ring aus Raum und Zeit - Maximilian Fiegen - E-Book

Ein Ring aus Raum und Zeit E-Book

Maximilian Fiegen

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Beschreibung

Ich darf mich vorstellen? Alexander Rauch, Arkanist im Ministerium zum Schutz vor Anderswesen. Uns obliegt es, Anderswesen am Betreten unserer Realität zu hindern und gegebenenfalls zu eliminieren. Dabei die allgegenwärtige Magie geheim zu halten versteht sich von selbst. Leider befinden wir uns gerade in einer misslichen Situation. Das Ministerium steht kurz davor, von der Firma ArcTech übernommen zu werden. Und die Arkanisten stehen vor dem Aus. Dass ausgerechnet jetzt recht viele unerwartete Phänomene in überraschender Weise auftreten, erschwert die Lage erheblich. Und dann ist da auch noch dieser verflixte Lehrling…

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

11/2023

 

EIN RING AUS RAUM UND ZEIT

 

© by Maximilian Fiegen

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2023 by Mascha Foto n Design e.U.

Lektorat: Nadine Engel, Emilia Laforge

Korrektorat: Petra Schütze

Buchsatz: Nadine Engel

Autorenfoto: Privat

 

Coverbild › Der Fluch der Grinsekatze – Ankunft‹

© 2022 by Creativ Work Design

Coverbild › Die Magieranstalt‹

© 2021 by Creativ Work Design

 

ISBN 978-3-96741-240-6

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

Printed in Germany

 

 

Maximilian Fiegen

 

Ein Ring aus Raum und Zeit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Danksagung

Der Autor

Hybrid Verlag …

 

 

 

 

 

 

 

Widmung

 

Für Helmut und das Eichhörnchen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Das Böse schläft nie. Tut das

Gute es ihm nicht gleich

haben wir schon verloren.«

 

— Helmut Fleming

 

Kapitel 1

 

 

Jedes Jahr von Ende Oktober bis Anfang November tauchte das Light-Festival die Essener Innenstadt in ein Meer aus bunten Lichtern. Dutzende Lichtkunstwerke erhellten dann selbst die dunkelsten Winkel der Ruhrstadt. Von meinem Fensterplatz aus hatte ich eine bemerkenswerte Aussicht auf das rege Treiben der Menschen, die sich vor den Skulpturen drängelten, um Fotos zu schießen. Wahrscheinlich wäre es zu einfach, das Spektakel aus tanzenden Lichtern nur zu genießen.

Ein blasser Junge mit fettigen Haaren stellte eine Tasse Kaffee vor mir ab. Dankend nickte ich ihm zu und richtete meinen Blick wieder nach draußen. Der Blitz einer Digitalkamera leuchtete auf und für einen Augenblick erschien meine Reflexion in der Scheibe des kleinen Cafés. Ein schwarzer Anzug, dunkelblonde, leicht hochgegelte Haare und braune Augen, die mehr schreckliche Erinnerungen beherbergten, als man es von einem Mann Anfang 30 erwarten würde.

Geistesabwesend nahm ich einen Schluck des heißen Getränks und verzog angewidert das Gesicht. »Das schmeckt ja widerlich!«

Mein unzufriedener Ausruf war scheinbar lauter als gedacht, fing ich mir doch prompt einen bösen Blick von einer Bedienung ein, die zwei halbvolle Kaffeetassen vom Nebentisch abräumte.

»Verzeihung«, sagte ich und hob beschwichtigend die Hände. »Das ist das beste Motoröl, was ich jemals getrunken habe.«

Immer noch geschockt davon, wie sehr man einen einfachen schwarzen Kaffee verunstalten konnte, schob ich die Tasse ein Stück von mir weg. Beinahe zeitgleich erklang Liz’ Lachen in meinem Kopf. Dabei handelte es sich glücklicherweise nicht um den Beginn einer mittelschweren Geisteskrankheit, sondern um die Stimme meiner Analystin, die durch den kleinen Bluetoothkopfhörer in meinem rechten Ohr ertönte. »Du bist und bleibst ein echter Charmeur.«

»Ich gebe wie immer mein Bestes«, grummelte ich. »Anstatt zu lachen, könntest du mir lieber nochmal erklären, warum ausgerechnet ich mich um diese Erscheinung kümmern muss, Elisabeth.«

Liz schnaubte am anderen Ende der Leitung. Sie hasste es, wenn man sie mit ihrem vollen Namen ansprach. »Du musst dich darum kümmern, weil Paul am anderen Ende der Stadt beschäftigt ist. Außerdem verstehe ich nicht, wieso du hier einen auf genervt machst. Wir wissen doch beide, dass es dir jetzt schon in den Fingern juckt, endlich loszulegen.«

In diesem Moment war ich froh, allein an dem runden Tisch zu sitzen, denn so sah Liz nicht, wie ich schmunzelte. Schließlich traf ihr Kommentar genau ins Schwarze. Ich liebte meinen Job. Manch einer hielt das für eine etwas übermotivierte Arbeitseinstellung, doch für mich stellte es eine Lebensversicherung dar. Denn wenn ein Arkanist nicht mit Herz und Seele bei der Sache war, dann stellte Ersteres seine Tätigkeit meist deutlich früher ein als gewollt.

»Du bist eine wahre Menschenkennerin.« Probeweise nahm ich einen weiteren Schluck von der als Kaffee getarnten Gülle. Angewidert schüttelte ich mich und schob die Tasse diesmal endgültig weg. Im Grunde war ich nicht sicher, was ich erwartet hatte.

»Wie lange noch?«, fragte ich Liz, stand auf und richtete meinen maßgeschneiderten Anzug. Meinen grauen Mantel überziehend förderte ich aus dessen Innentasche einige Euromünzen zutage, die ich auf die weiße Untertasse legte.

»Ich würde sagen knapp zehn Minuten plus minus einer. Mach dich am besten langsam auf den Weg.«

»Ich bin dir einen Schritt voraus.« Mit einem leisen Klirren fiel die Türe des kleinen Cafés hinter mir zu und ich machte eine mentale Notiz, nie wieder einen Fuß in diesen Laden zu setzen. Die kalte Novemberluft schlug mir wie der Atem eines Eisdämons entgegen und suchte gierig nach jeder noch so kleinen Lücke in meiner Kleidung. Ein steter Strom aus Menschen floss in beiden Richtungen an mir vorbei. Ich stellte den Kragen meines Mantels hoch und ließ ich mich von diesem Fluss mitreißen. Eine ganze Weile trieb ich vor mich hin, bis Liz’ Stimme wieder an mein Ohr drang. »Halt dich jetzt am besten links.«

»Beobachtest du mich?«

»Rechts von dir, das graue Haus. Zweite Etage.«

Suchend drehte ich den Kopf und wanderte mit den Augen die Gebäudefront zu meiner Rechten hoch. Das ansonsten farblose Gebäude erstrahlte aufgrund des Light-Festivals momentan in den Farben der norwegischen Flagge, sodass ich eine Weile brauchte, bis ich den im Schatten verborgenen Raben entdeckte. Der schwarz gefiederte Vogel saß auf einem schmalen Sims und drehte den Kopf leicht zur Seite, als ich ihn ansah. Analysten wie Liz waren zwar nicht mit überdurchschnittlicher Kampfmagie gesegnet wie wir Arkanisten, besaßen dafür aber spezielle Fähigkeiten in anderen Zweigen der Magie. So konnten sie zum Beispiel die Kontrolle über ein Tier übernehmen, um die Welt durch seine Augen wahrzunehmen.

»Ich nehme an, die Vorbereitungen sind abgeschlossen?« Ich löste mich aus der Menschenmenge und bog in eine kleine Nebenstraße ein.

»Alles erledigt. Der Park ist abgesperrt und die Stasis ist schon ausgelegt. Du musst nur aufräumen, dann ist Feierabend für heute. Es stehen keine weiteren Erscheinungen bis morgen Abend an.«

Wenn der Begriff Erscheinung fiel, dann klang er im ersten Moment aufregend und mysteriös. Das lag allerdings nur daran, dass die meisten Leute nicht jahrelang Geschichte und magische Theorie hatten büffeln müssen, um vollends zu verstehen, worum es sich dabei genau handelte. Im Grunde war eine Erscheinung nichts anderes als ein kleiner Riss im Gewebe unserer Realität, der einen Eintritt in selbige ermöglichte. Dank unserer Analysten konnten wir Menschen zwar bestimmen, wann und wo ein solcher Riss auftrat, was genau dann aber hindurch kam, ließ sich leider nie mit Bestimmtheit sagen. Sicher war nur, dass, was auch immer seine Flügel, Krallen oder Sonstiges durch diese Realitätspforte steckte, kein Interesse an einem freundschaftlichen Umgang mit uns Menschen hegte.

»Alexander?« Liz’ Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

Ich schüttelte den Kopf. »Entschuldigung, was hast du gesagt?«

»Ich sagte, dass du fast da bist. Bieg jetzt in die Gasse links von dir.«

Abseits der Hauptstraße begegneten mir schon deutlich weniger Menschen. Man durfte ja auch mal Glück haben. Dickes, gelbes Absperrband blockierte den Eingang der Gasse und ein großes Warnschild mit der Aufschrift Vorsicht! Gas! Hing daran. Die Stasis stellte zwar eine wunderbare Möglichkeit dar, Leute in einem bestimmten Areal temporär in der Zeiteinzufrieren, doch betrat man den Bereich, nachdem der Zeitzauber gewirkt wurde, so hatte er keinerlei Wirkung mehr. Deshalb sperrte das Ministerium zum Schutz vor Anderswesen, kurz MSA, das Gelände, in welchem Erscheinungen auftreten sollten, meist relativ großzügig ab. Schließlich war es in niemandes Interesse, wenn ein Passant durch Zufall über einen Basilisken stolperte oder in den Zweikampf zwischen einem Arkanisten und einem Satyr geriet.

Nach einem schnellen Schulterblick hob ich das Absperrband leicht an und duckte mich darunter hinweg. Als ich mich wieder aufrichtete, pfiff etwas an meinem Ohr vorbei. Liz’ Rabe landete auf meiner Schulter und musterte mich mit milchig-weißen Augen. Mit einer wirschen Handbewegung versuchte ich das Tier zu verscheuchen, doch der Rabe schlug lediglich ein paar Mal müde mit den schwarzen Flügeln und hüpfte auf meinen Kopf. Als sich die spitzen Krallen in meine Kopfhaut gruben, stieß ich ein Zischen aus. Liz kicherte leise.

»Äußerst witzig, aber ich würde es vorziehen, meine Arbeit ohne Hirnhautentzündung fortzusetzen.«

»Spielverderber.«

Der Rabe erhob sich wieder in die Luft und folgte mir in kleinen Kreisen. In völliger Stille durchquerte ich die schmale Gasse. Der Lärm der Innenstadt war hier nur gedämpft zu hören und das Flackern einiger alter Straßenlaternen ersetzte die bunte Lichtshow des Light-Festivals. Die Gasse endete abrupt und gab die Sicht auf eine Handvoll kleiner Bäume frei. Normalerweise füllten den Hirschlandplatz selbst um diese Uhrzeit noch dutzende Menschen, weshalb die umliegende Leere umso bedrückender wirkte. Im Vorbeigehen sah ich eine Taube, die Flügel ausgebreitet und bereit, sich von einem der Bäume in die Luft zu erheben. Das Tier war mitten in der Bewegung eingefroren, die Füße nur Zentimeter vom Ast der kleinen Eiche entfernt. Mit schnellen Schritten überquerte ich eine Grünfläche und steuerte auf den Springbrunnen in der Mitte des Platzes zu.

»Halt!«

Ich blieb sofort stehen. Liz und ich arbeiteten schon lange zusammen und auch, wenn sie gelegentlich etwas herumalberte, so vertraute ich ihr trotzdem blind.

Der Rabe meiner Analystin landete auf einer der Figuren des Springbrunnens vor mir und drehte langsam den Kopf, als würde er nach etwas Ausschau halten. Dann hielt er wie versteinert inne, sein Schnabel wie einen Wegweiser erhoben. Die Härchen an meinem Nacken stellten sich auf, als ein unwohles Gefühl wie eine kalte Welle über mich hereinbrach. Ich schüttelte mich, hielt den Blick aber auf jene Stelle fixiert, die der Rabe mir unbekümmert weiterhin anzeigte. Eine Erscheinung erinnerte am ehesten an das Flimmern, das man manchmal an besonders heißen Tagen oberhalb des Asphalts auf der Straße beobachten konnte. Die Luft schien zu vibrieren, schlug Wellen und strahlte förmlich Hitze aus. Stück für Stück dehnte sich das Flimmern weiter aus, bis es in etwa die Größe und Breite einer Haustür erreichte. Ich ließ den Kopf kreisen und drückte die Fingerknöchel durch, bis sie knackten. Einige Sekunden lang geschah nichts, dann wurde eine bleiche Hand mit langen dürren Fingern und spitzen Nägeln vorsichtig durch das Flimmern gestreckt und machte ihren ersten Kontakt mit unserer Realität. Kaum berührte die Hand tastend den kalten Stein vor dem Springbrunnen, wurde ihr Besitzer mit der Wucht eines kleinen Autounfalls vollends aus dem Riss geschleudert. Ich verzog fast schon enttäuscht das Gesicht.

»Nicht schon wieder ein Aswang.« Bevor ich allerdings die Möglichkeit hatte, meiner Unzufriedenheit mehr Luft zu machen, schob sich eine weitere Hand durch den Riss und kurz darauf wurde ein zweiter Aswang ins Dämmerlicht der umliegenden Straßenlaternen katapultiert. Der bleiche buckelige Körper mit den überlangen und dürren Armen und Beinen schimmerte leicht und das fettige schwarze Haar des Anderswesens schwang hin und her im Rhythmus seiner unbeholfenen Schritte. Das menschenähnliche Gesicht mit den kleinen roten Augen reckte seine Nase in die kalte Nachtluft und schnupperte. Im Grunde waren Aswangs nichts anderes als herkömmliche Ghule. Lediglich ihr Aussehen unterschied sie von den in unseren Gefilden bekannten Aasfressern. Diese Art entstammte ursprünglich der philippinischen Mythologie, gab sich deshalb aber keine besondere Mühe, ausschließlich auf einer der mehr als 7.000 Inseln aufzutauchen. Eine Eigenschaft, welche alle Anderswesen teilten.

Als hätte man der Flamme eines Bunsenbrenners langsam das Gas abgedreht, schrumpfte der Riss vor mir immer mehr in sich zusammen. Bevor er sich allerdings vollends schloss, schob sich ein dritter Aswang wie ein überfressener Kater durch den immer rasanter schrumpfenden Riss. Kaum hatte sich das Anderswesen aufgerichtet, verlosch das Flimmern endgültig. Alles in allem war vielleicht eine Minute vergangen.

»Sieht so aus, als würde es doch nicht langweilig werden.« Liz knirschte hörbar mit den Zähnen. Ich antwortete ihr nicht, sondern war voll und ganz auf die drei Gesichter mit den spitzen Reißzähnen fokussiert, welche sich mit großem Interesse in meine Richtung wandten. Es war eher ungewöhnlich, dass eine Erscheinung mehr als einem Anderswesen Zutritt zu unserer Realität gewährte. Ein einzelner Aswang stellte selbst für Anfänger keine wirkliche Gefahr dar, in der Gruppe änderte sich das Kräfteverhältnis aber rapide. Als wollten sie meine These untermauern, begannen zwei der Anderswesen mich einzukreisen, während ihr dritter Artgenosse mich mit seinen roten Knopfaugen geradezu durchbohrte. In wenigen Sekunden würden sie mich in Stücke reißen. Ich legte meine Hände an den Spitzen von Zeigefinger und Daumen zu einem unförmigen Dreieck aneinander. So präzise es möglich war, visierte ich den Aswang direkt vor mir an. Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir das Zeichen der alten Sprache für Licht vor. Eine Kugel konzentrierten Lichts löste sich sirrend aus meiner Fingerhaltung und schlug vollkommen geräuschlos in die Brust des Aswangs ein. Mein Geschoss verwandelte die Kreatur in einen kleinen Haufen Asche, bevor sie einen überraschten Gesichtsausdruck aufsetzen konnte. Licht war und blieb die effektivste Methode, um mit Leichenfressern und ähnlichen Kreaturen umzugehen.

Ich hatte leider keine Zeit, mich auf meinem anfänglichen Sieg auszuruhen, schließlich gab es noch zwei weitere Probleme, um die es sich zu kümmern galt. Auf der Stelle herumwirbelnd visierte ich den nächsten Aswang an. Dieser schien nicht in der Stimmung zu sein, pulverisiert zu werden und wich meinem Geschoss mit einem gekonnten Satz aus. Zeit für einen Taktikwechsel. Meine Finger formten sich zu einer weiteren Figur, wobei ich die kleinen Finger beider Hände ineinander hakte, sodass meine Hände den Buchstaben S bildeten. Ein weiteres Zeichen blitzte vor meinem geistigen Auge auf und meine Haut kribbelte, als würden tausende Ameisen darüber laufen. Ich löste meine Finger und schlug mit einer Peitsche aus reinem Licht, welche sich aus der Innenfläche meiner rechten Hand wand, in Richtung des Aswangs. Erneut sprang der Ghul zur Seite, landete zu meinem Glück aber mehr als ungeschickt und machte es mir somit leicht, auch das zweite Anderswesen am heutigen Abend zu erledigen.

»RUNTER!« Liz’ Stimme hallte wie der Schuss einer Kanone in meinem Ohr.

Wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass Arkanisten, die zögerten, meist nicht lange Arkanisten blieben. Normalerweise wurden sie schnell zum Innenleben einer handgefertigten Holzbox, knapp zweieinhalb Meter unterhalb eines massiven Steins mit dem eigenen Namen drauf. Wenn man Glück hatte und noch genug für die Beerdigung übrigblieb.

Deshalb zögerte ich auch jetzt nicht und ließ mich flach auf den rauen Steinboden des Platzes fallen. Keine Sekunde zu früh, denn noch bevor ich mit dem Gesicht den kalten Stein berührte, schoss etwas über mich hinweg, gefolgt von einem Jaulen. Persönlich empfand ich diesbezüglich kein Mitleid und sprang sogleich wieder auf die Füße. Die Lichtpeitsche schnellte durch die Luft und verwandelte auch den letzten Ghul in einen Haufen Asche. Ich schüttelte die rechte Hand, um den Zauber zu ersticken.

»Ich glaube, ich bin dir was schuldig«, keuchte ich und stemmte die Hände auf die Oberschenkel. Mein Herze raste und jeder Atemzug brannte wie Feuer in meiner Lunge. Die Nebenwirkungen von Magie waren auch nach all den Jahren immer noch keine spaßige Erfahrung.

»Sag es.« In Liz’ Stimme lag ein fast schon eklig süßer Singsang.

Ich seufzte. »Du bist die beste Analystin, die man sich wünschen kann.«

»Und weiter?«

»Und ohne dich wäre ich aufgeschmissen.«

»So sieht’s aus.«

Meine Analystin, eine Frau Mitte 30, kicherte wie ein Schulmädchen, das soeben einen fabelhaften Streich gespielt hatte. Bevor ich in der Lage war, etwas zu erwidern, brach ihr Kichern plötzlich ab. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn Liz mit ihren Späßen aufhörte.

»Was ist los?«

Es kam keine Antwort.

»Liz?«

»Warte.« Ihre Stimme klang monoton und beinahe gezwungen ruhig. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es jetzt nichts bringen würde, weiter auf sie einzureden. Die Hände tief in den Taschen meines Mantels vergraben, setzte ich mich auf die Beckenkante des Springbrunnes.

Es verging fast eine ganze Minute, bevor Liz erneut etwas sagte. Ihre Stimme klang plötzlich sehr angespannt. »Entschuldige, aber ich musste das hier einmal doppelt überprüfen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir sie übersehen haben oder ob sie gerade erst aufgetaucht ist.«

»Was ist aufgetaucht?«

»Eine Erscheinung, nicht weit weg von dir. Sie liegt direkt am Rand des abgesperrten Bereichs. Glück im Unglück würde ich sagen.«

»Wie ist das möglich?« Eine so plötzliche Erscheinung hatte ich noch nie erlebt. Normalerweise waren Analysten in der Lage, eine Erscheinung Tage, manchmal sogar Wochen im Voraus zu berechnen.

»Ich bin genauso ratlos wie du.« Vor meinem geistigen Auge sah ich quasi, wie sie mit den Schultern zuckte.

»Wie lange bis zum vollständigen Austritt?«

»Zwei Minuten, höchstens drei.«

Es galt also keine Zeit zu verlieren. Ich ließ mich von Liz durch die halbdunklen Gassen der Innenstadt lotsen. Im Hintergrund hörte ich, wie ihre Finger über die Tastatur flogen, als sie komplizierte magische Berechnungen anstellte.

In den menschenleeren Straßen hallten meine Schritte unnatürlich laut wider und in meiner Brust breitete sich ein Gefühl aus, das ich schon lange nicht mehr verspürt hatte. Unsicherheit. Ich eilte um eine Ecke und der Boden unter meinen Füßen wechselte von Pflasterstein zu Gras, als ich den Waldthausenpark betrat. Das kleine Fleckchen Grün inmitten der Stadt war tagsüber stets gut besucht von spielenden Kindern oder spazierenden Rentnern. Zu dieser Uhrzeit lag die von Bäumen gespickte Grünfläche verlassen da und lediglich der Schein einiger flackernder Laternen erhellte meine Umgebung. Durch die Mitte der Anlage zog sich eine auf Säulen liegende Brücke, die den Verkehr über die darunter liegende Natur hinweg leitete, sodass der Park eine kleine grüne Insel inmitten des Meeres aus Beton und Glas bildete.

Ich sah das verräterische Flimmern bereits von weitem. Direkt unterhalb der Brücke geriet die Luft in Schwingung, merklich stärker als noch vor wenigen Minuten. Am Rande meines Blickfeldes rauschte vereinzelt das Leuchten von Scheinwerfern vorbei. Es sah nicht gut aus für mich. Eine Erscheinung würde gleich mitten in dem kaum abgesperrten Park auftreten und ich hatte nicht den leisesten Schimmer, um was es sich überhaupt handelte. Schlimmer konnte es im Grunde nicht werden, dachte ich und wurde, so wie es in meinem Leben scheinbar nur zu gerne passierte, sogleich eines Besseren belehrt.

»Kategorie Vier.«

Liz zuliebe verkniff ich mir einen Fluch. Eine Erscheinung der Kategorie Vier war sowohl mit verstärkten magischen als auch physischen Fähigkeiten ausgestattet und gehörte zu jener Sorte Anderswesen, die man definitiv nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

»Scheinbar wird dieser Abend doch noch ziemlich unterhaltsam. Du solltest am besten schonmal den Kollegen von der magischen Geheimhaltung Bescheid geben, Liz. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass es morgen eine ganze Menge zu erklären gibt.«

Einige Sekunden lang kam keine Antwort. Vermutlich war Liz so konzentriert, dass sie nur genickt hatte.

Die Vibration der Luft vor mir erreichte derweil ihren kritischen Punkt. Ich stand mittlerweile so nah, dass ich sah, wie unser ungebetener Gast langsam in unserer Welt Form annahm. Für einen Moment glaubte ich, das Flimmern der Erscheinung würde sich weiter ausdehnen, bis ich begriff, dass die Ausdehnung nicht Teil des Risses war. »Es ist ein verdammtes Luftelementar.« Die Muskeln in meinem Gesicht spannten sich an und ich atmete tief durch. »Irgendeine Chance, dass ich Verstärkung bekomme?«

»Ich fürchte nicht. Paul ist am anderen Ende der Stadt. Er ist niemals rechtzeitig hier.«

»Zwei Arkanisten für eine Stadt. Wer hat sich diesen Schwachsinn überhaupt ausgedacht?« Meine Fingerknöchel liefen weiß an. Sich jetzt über die Bürokratie aufzuregen, würde mich auch nicht davor bewahren, in Stücke gerissen zu werden. Ich streifte meinen Mantel ab, ließ ihn neben mir ins Gras fallen und öffnete den Knopf meines Jacketts. Jetzt galt es erstmal, mein Gegenüber besser sehen zu können. Ich führte Daumen und Zeigefinger beider Hände zusammen und hielt sie vor die Augen, fast wie ein Kind, das so tat, als würde es eine Brille tragen. In meinem Kopf blitzte das alte Zeichen für Sehen auf, dann wurde mir schwarz vor Augen. Einige Sekunden lang war ich vollkommen blind, bis die Welt wieder langsam in mein Blickfeld zurück kroch.

Im ersten Moment wirkte alles unverändert, dann richtete ich meinen Blick wieder auf das Elementar. Zwischen mir und meinem Gegenüber schien eine riesige unsichtbare Wärmebildkamera aufgetaucht zu sein. Die Umrisse des Anderswesens stachen deutlich als rötliche Masse vor dem düsteren Hintergrund des schlecht beleuchteten Parks hervor. Der Zauber ließ mich aber nicht Hitze, sondern die magische Aura von Wesen oder Gegenständen wahrnehmen. Für einen Augenblick blitzte hinter dem Elementar ein goldenes Schimmern auf, doch wahrscheinlich vertrug sich meine magische Sicht schlichtweg nicht mit den Scheinwerfern der Autos, die den Park umkreisten. Nur wenige Momente später war es wieder verschwunden. Leider verschwand nicht das Luftelementar selbst, welches seinen Riss mittlerweile endgültig verlassen hatte. Die durch meinen Zauber sichtbar gemachten Umrisse erinnerten wage an die eines Menschen. Zumindest der Torso mit einem Kopf sowie zwei kräftigen Armen ähnelte dem Aussehen eines kräftigen Mannes. Den Unterleib des Anderswesens zu beschreiben, gestaltete sich schwierig. Am ehesten ähnelte er noch einem kleinen Wirbelsturm, welcher nahtlos in den Bauch des Wesens überging. Das Elementar streckte die Arme zu den Seiten aus und gab ein Geräusch von sich wie das Heulen des Windes, nur hundert Mal lauter. Im Chor mit dem außerweltlichen Geheule kamen kräftige Windböen auf und schüttelten die umliegenden Bäume durch.

»Wie wäre es mit einem taktischen Rückzug?« Liz klang ungewohnt besorgt. Trotz der Umstände huschte ein kurzes Lächeln über mein Gesicht.

»Du weißt genau, dass ich das nicht kann. Es sind zu viele Menschen in der Nähe. Wenn ich jetzt verschwinde, werden die hiesigen Bestatter in den nächsten Tagen alle Hände voll zu tun haben.«

Wie aufs Stichwort schoss eine Scheibe aus komprimierter Luft direkt auf mich zu, explodierte aber kurz vor meinem Gesicht in einer Wolke aus blauem Nebel. Der Elementar schien dem einzigen Menschen in Sichtweite nicht gerade wohlgesonnen. Ein leichtes Brennen breitete sich rund um mein rechtes Handgelenk aus. Ich schob meinen Ärmel ein Stück hoch und warf einen Blick auf den fein gearbeiteten Armreif aus reinem Silber. Sieben goldene Münzen, jede in etwa so groß wie ein 5-Cent-Stück, funkelten mich an. Eine der Münzen löste sich aus dem Reif und zerfiel zu Staub, noch bevor sie das Gras zu meinen Füßen erreichte. Wie jeder gute Arkanist besaß ich nicht nur Fähigkeiten, um anzugreifen, sondern wusste auch mich zu verteidigen. Zwar stellte es kein Problem für mich dar, selbst Schilde zu erzeugen, doch manchmal war es durchaus praktisch, ein magisches Sicherheitsnetz zu besitzen. Jede der Münzen knisterte förmlich vor Magie und trug ein Zeichen der alten Sprache auf Vorder- und Rückseite. Durch diese Bearbeitung entstanden Schutzzauber mit Selbstauslöser. Selbst wenn ich es versuchen würde, so wäre es unmöglich, aufzuzählen, wie oft mein Siegelarmreif mir buchstäblich den Kopf gerettet hatte.

Eine weitere messerscharfe Scheibe aus komprimierter Luft schoss auf mich zu, diesmal duckte ich mich aber geschickt drunter hinweg. Man sollte seinen Armreif nicht mehr strapazieren als nötig. Das Geschoss segelte knapp über meinen Kopf hinweg und schlug krachend in einen Baum ein, wobei eine wahre Fontäne aus Holzsplittern gen Himmel sprühte.

Ich krümmte die Finger beider Hände zu einer Art Kralle und konzentrierte mich auf das Zeichen für Feuer. Eine Sekunde später züngelten orangerote Flammen um meine Hände und hüllten sie vollkommen ein. Es war ein merkwürdiger Anblick, die eigenen Hände brennen zu sehen, ohne die Hitze des Feuers tatsächlich zu spüren.

Die Möglichkeit, in die Offensive zu gehen, gab mir mein Gegenüber allerdings nicht. Stattdessen überbrückte er die Distanz von knapp 20 Metern innerhalb eines einzigen Herzschlags und traf mich mit der Wucht eines Rammbocks direkt in die Brust. Wäre nicht erneut eines meiner Siegel aktiviert worden, hätte der Elementar ein Loch mitten durch mich hindurch geschlagen.

Trotz des magischen Schildes wurde ich ein ansehnliches Stück zurückgeschleudert und hielt nur mit Mühe und Not das Gleichgewicht. Ein stechendes Ziehen breitete sich in meiner Brust aus. Ich würde mich morgen wohl über einen beeindruckenden Bluterguss freuen dürfen. Allerdings hatte ich momentan noch deutlich schlimmere Sorgen. Ein Bluterguss bedeutete zumindest, dass mein Blut sich noch innerhalb meines Körpers befinden würde. Ein Zustand, der sich in der aktuellen Situation jederzeit ändern konnte. Das Anderswesen stieß ein Heulen aus und schüttelte damit die Kronen der umliegenden Bäume erneut kräftig durch. Ich warf einen Blick auf meinen Armreif. Mir blieben fünf Siegel, bevor mein Gegenüber mich auseinanderreißen würde wie eine Strohpuppe. Ganz im Sinne dieses Gedankens stürzte sich der Elementar erneut auf mich und zum dritten Mal an diesem Abend rettete mich der blaue Nebel. Langsam meinte ich ein Muster zu erkennen.

»Liz?« Ich presste die Zähne so stark zusammen, dass meine Worte kaum verständlich waren.

»Ja?«

»Ich nehme an, du beobachtest uns noch?«

»Ja.«

»Kannst du anhand seiner Bewegungen vorhersagen, wann sich mein Freund hier das nächste Mal auf mich stürzt?«

»Der Elementar ist viel zu schnell. Du wirst ihm nicht ausweichen können, selbst wenn ich dich warne.«

»Ich habe auch nicht gesagt, dass ich ausweichen werde. Also was ist? Kannst du es?«

»Ich denke, ich kann seine Bewegungsmuster abgleichen mit …«

»Danke, Liz. Warn mich einfach vor.«

Ich ließ die Schultern kreisen, während ich das Anderswesen vor mir genau im Auge behielt. Meine brennenden Hände hielt ich wie die Handschuhe eines infernalen Boxers schützend vor mich. Der Wind, dessen Brausen bis eben eine ständige Begleitung gewesen war, legte sich und plötzlich war es vollkommen still. Selbst das Brummen der Autos schien so unendlich weit weg zu sein, dass es uns nicht erreichte.

»Jetzt!« Liz’ Stimme durchschnitt die Stille wie der Schuss einer Pistole.

Ich riss beide Hände vor den Kopf und stemmte die Hacken in den Boden, genau in dem Moment, als der Elementar gegen mich prallte. Blauer Nebel explodierte, aber diesmal wurde ich nicht zurückgedrängt, sondern fand mich Auge in Auge mit meinem Widersacher wieder. Den Bruchteil einer Sekunde lang starrten wir uns nur an, dann stieß ich meine Arme nach vorne, bis ich bis zu den Ellbogen im Brustkorb des Elementares steckte. Das Heulen des Elementares klang überrascht. Ich fokussierte alle Kraft auf meine Hände, wodurch das Feuer, welches bis eben nicht mehr als ein gemütliches Lagerfeuer gewesen war, zu einem waschechten Waldbrand anschwoll. Der durchsichtige Körper des Anderswesens füllte sich innerhalb eines Wimpernschlages mit tosenden Flammen. Etwas, das man nur als einen Schmerzensschrei bezeichnen konnte, entkam dem Mund des Elementares, dann zerbarst es in einer Druckwelle, die mich von den Füßen riss und jedes bisschen Glas in einem beeindruckenden Radius zu feinem Staub verwandelte.

Dumpf schlug ich auf dem kalten Rasen auf und Schmerz durchzuckte mein rechtes Bein. Einige Sekunden atmete ich in kurzen abgehackten Atemzügen den Geruch des Grases ein und versuchte mein wild hämmerndes Herz unter Kontrolle zu kriegen. Langsam, bedacht darauf, mein Bein nicht zu sehr zu belasten, rappelte ich mich auf und klopfte vorsichtig Dreck und Gras von meinem Anzug. Wortlos knöpfte ich mein Jackett wieder zu und hob meinen Mantel vom Boden auf. In der Ferne heulten vereinzelt Sirenen.

 

Kapitel 2

 

 

Ein kleiner Umweg durch eine Seitengasse erlaubte mir, jeden unangenehmen Kontakt mit der Polizei zu vermeiden. Zugegebenermaßen war ich ein wenig gespannt, was unsere PR-Abteilung und der übliche Klatsch der Presse bis morgen aus den Geschehnissen zusammenbasteln würden. Jeder Muskel meines Körpers brannte, als hätte das Feuer meiner Hände sich bis in meine Zehenspitzen ausgeweitet. Die warme Luft, die mir aus der Klimaanlage meines Wagens entgegenkam, brachte leider nur sehr bedingt Linderung.

Der Verkehr um diese Uhrzeit war glücklicherweise ziemlich überschaubar, sodass es nicht lange dauerte, bis ich mit dem Auto auf meiner Einfahrt zum Stehen kam. Ich ließ den Motor noch einen Moment laufen und legte die Stirn aufs Lenkrad in der Hoffnung, dass das Pochen in meinen Hinterkopf nachlassen würde. Doch es half nichts. Eine ganze Herde Ochsen tanzte weiter munter Samba, und zwar direkt oberhalb meines Nackens. Mit einem Knall schlug ich die Autotür zu und schlurfte die wenigen Meter bis zu der schwarz lackierten Haustür am Ende meiner Einfahrt. Kraftlos wischte ich mit der Hand über das Türschloss. Eine schmale, unscheinbare Rune glomm kaum merklich auf und ein Klicken erklang. Ich drückte die Tür auf und trat über die Schwelle. Mit einer Hand tastete ich nach dem Lichtschalter und nach einigen Sekunden wurde es hell im Flur. Ich blickte direkt in zwei pechschwarze Augen und einen Mund mit rasiermesserscharfen Zähnen, welcher kopfüber vor mir in der Luft hing.

»Glimm.« Seufzend schloss ich die Tür hinter mir und hängte meinen Mantel auf. »Ich habe dir doch schon hundertmal nahegelegt, das zu unterlassen.«

Der Kobold, genauer gesagt Hauskobold, ließ die Lampe los, an welcher er sich verkehrt herum festgekrallt hatte, und landete erstaunlich elegant vor mir auf den Füßen. Das etwa gartenzwerggroße, mit grünlichen Schuppen überzogene Wesen erinnerte am ehesten an eine merkwürdige Mischung aus Menschen und Krokodil. Es besaß einen aufrechten Gang sowie zwei Arme und Beine. Der schuppige Schwanz und der Kopf mit den spitzen Zähnen erinnerten jedoch mehr an eine tropische Panzerechse.

»Verzeiht, Herr.« Seine Stimme war leicht fiepsig und trotzdem erstaunlich kratzig. Dieser Klang ließ mich immer unwillkürlich an einen Gnom mit Halsschmerzen denken.

»Oh nein!« Beim Anblick meines Anzugs wuchsen die kleinen Krokodilsaugen auf ihre doppelte Größe an. »Was habt Ihr nur wieder angestellt? Es wird Stunden dauern, die Flecken aus dem Stoff rauszubekommen.«

»Mir geht’s gut. Danke der Nachfrage.« Ich schnaubte und verließ den Flur, um mich unter die Dusche zu stellen. »Stell mir bitte ein Glas Rotwein ins Arbeitszimmer.«

Alkohol war ein wahres Wundermittel, wenn es um die Behandlung von post-magischer Erschöpfung ging. Das heiße Wasser der Dusche brachte zumindest etwas Linderung und ich genoss das angenehme Plätschern. Als die Kabine beinahe vollends mit Dampf gefüllt war, drehte ich den Regler zu. Gedämpft hörte ich, wie Glimm in der Küche handwerkelte und dabei Piano Man von Billy Joel vor sich hin trällerte. Auch wenn mein Kobold sich manchmal etwas eigen verhielt, so konnte man ihm einen exzellenten Musikgeschmack nicht absprechen.

Anstelle meines Anzuges lag ein anthrazitfarbener Bademantel bereit. Ich schlüpfte in den weichen Stoff und ging den Flur runter in Richtung Treppe.

Mein freistehendes Haus im Essener Süden hatte eine klare Aufteilung. Sobald man durch die Haustür trat, fiel einem zuerst der große Flügel in der Mitte des Wohnzimmers ins Auge, während die Wände durch eine Mischung aus Bücherregalen und Bildern verdeckt wurden. Die offene Küche lag am anderen Ende des Hauses, ganz in der Nähe des kleinen Gästezimmers. Das zweite Stockwerk war vollends für meine Arbeit sowie meine arkanen Studien vorgesehen und bestand dementsprechend nur aus einem Arbeitszimmer, einer kleinen Bibliothek sowie meinem Schlafzimmer.

Ich stieg die Treppe hinauf und ließ mich in meinem Arbeitszimmer auf dem Sofa nieder. Auf dem schmalen Tisch vor mir wartete bereits ein Glas Rotwein und im Kamin tanzte ein kleines Feuer. Ich nahm einen Schluck des herben Getränks und zog eine Augenbraue hoch. Neben einem guten Musikgeschmack besaß der Kobold ebenfalls ein durchaus feines Händchen für Weine.

»Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?« Der Kopf des Koboldes tauchte ohne Vorwarnung aus dem Inneren des Kamins auf. Ein schreckhafter Mensch hätte wahrscheinlich den schönen Rotwein über das gesamte Zimmer verteilt, doch ich kannte die Marotten meines Hausdieners zur Genüge, und so blickte ich den Kobold nur böse an. »Ich überlege ernsthaft, dir eine Glocke umzuhängen.«

Schuldbewusst kletterte Glimm aus dem Kamin und verteilte dabei Asche auf dem hellen Teppich.

»Verzeihung, Herr«, murmelte er, schüttelte etwas Glut und Staub von seinen Rückenschuppen und schlurfte mit hängendem Kopf in Richtung Tür. In diesem Moment erinnerte das Anderswesen mich stark an einen ausgesetzten Welpen.

Ich seufzte. »Danke für den Wein, Glimm. Eine exzellente Wahl.«

Der schuppige Schwanz des Kobolds klopfte vor Freude auf den Boden, was meine Gedanken an einen Welpen nur verstärkte. Das nächste Billy Joel Lied vor sich hin krächzend zog er die Türe hinter sich zu. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Feuer und nahm einen weiteren Schluck Wein. Mit jedem Tropfen ließ der Schmerz in meinen Gliedmaßen ein Stückchen mehr nach. Mein Kopf beruhigte sich allerdings nicht und meine Gedanken kehrten immer wieder zu den Geschehnissen der letzten Stunden zurück. In all meinen Jahren als Arkanist hatte ich noch nie von einer Erscheinung gehört, die sich ohne Ankündigung materialisierte. Es gab immer irgendeine Art von Zeichen oder Vorahnung. Sei es im Wetter, den Sternen oder dem Flüstern des Windes. Begabte Analysten, so wie Liz eine war, waren sogar in der Lage, Zeichen aus banalen Dingen wie dem Kaffeesatz zu lesen. Ich stand auf und umrundete das Sofa, um an meinem Schreibtisch im hinteren Teil des Raums Platz zu nehmen.

Aus der Schublade zu meiner Rechten zog ich ein flaches Notebook heraus und schaltete es an. Ich loggte mich in die Datenbank der MSA ein und suchte dort nach Berichten, die Erscheinungen beschrieben, welche nicht vorhergesagt wurden. Während meine Anfrage vom Server bearbeitet wurde, trank ich den Rest meines Glases mit einem Zug aus und stellte es neben dem Notebook ab. Im selben Moment tönte eine kurze Melodie aus den Lautsprechern des Geräts. In der Mitte des Bildschirmes blinkte eine rötliche Box.

0 Übereinstimmungen gefunden

Meine Stirn legte sich in Falten und ich kratzte mich am Kinn. Als Nächstes probierte ich es mit einer Anfrage bei unserer globalen Datenbank, welche aus den Organisationen gegen Anderswesen auf der ganzen Welt gespeist wurde. Das Ergebnis blieb allerdings dasselbe. Es gab keinen dokumentierten Fall einer solchen Erscheinung. Ich lehnte mich ein Stück in meinem Stuhl zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und warf einen Blick auf die Uhr an der Wand neben mir. Halb zwölf. Noch nicht zu spät, um einen Anruf zu tätigen.

Meine Finger flogen über die Tastatur und öffneten ein Programm für Videochats. Ich setzte mich aufrecht hin und wartete. Nach einer halben Minute, ohne dass mein Gesprächspartner abnahm, gab ich auf. Ich klappte das Notebook wieder zu, um es erneut in seiner Schublade zu verstauen.

Na ja, morgen war immerhin auch noch ein Tag.

 

Es kam mir vor, als hätte ich gerade erst die Augen zugemacht, da riss mich die möglicherweise nervigste Melodie der Welt wieder aus dem Schlaf. Ich rollte im Bett herum und tastete im Halbdunkeln nach dem Störenfried auf meinem Nachttisch. Einige Sekunden später fand ich das verflixte Handy endlich und blickte mit wässrigen Augen auf den grellen Bildschirm. Neben den beiden Knöpfen zum Annehmen und Ablehnen des Anrufs waren vier Großbuchstaben auf dem Display zu erkennen. BOSS.

Ein unsichtbarer Tunichtgut schien mich mit einem ganzen Eimer Eiswasser überschüttet zu haben und bereits im nächsten Augenblick saß ich kerzengerade im Bett.

»Alexander Rauch.« Ich gab mir alle Mühe, so wach wie möglich zu klingen. Am anderen Ende der Leitung nahm ich eine tiefe Männerstimme wahr.

»Guten Morgen, Arkanist Rauch. Ich rufe aus dem Büro von Direktorin Kaar an. Sie wünscht einen persönlichen Bericht von Ihnen zu den Geschehnissen des gestrigen Abends. Seien sie um 12.00 Uhr im Büro der Direktorin.«

Ein Klicken am anderen Ende der Leitung. Mein Gesprächspartner hatte ohne auf eine Antwort zu warten aufgelegt. Ich streckte mich und atmete einmal tief durch. Als hätte ich nicht schon genug Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen musste. Jetzt durfte ich auch noch bei MSA-Direktorin Melanie Kaar höchstpersönlich antanzen. Zuerst würde ich aber trotzdem der Essener Zweigstelle einen Besuch abstatten, denn mein Vorgesetzter erwartete sicherlich ebenfalls einen Bericht. Ich schlurfte die Treppe runter ins Badezimmer, um erstmal zu duschen. Das heiße Wasser schaffte es, die letzten Fetzen Müdigkeit zu vertreiben, die der frühmorgendliche Anruf nicht schon verschreckt hatte. In der Küche stand bereits Toast und frischer Kaffee bereit. Ich nahm Platz und nippte an dem heißen Getränk. So sollte Kaffee schmecken.

»Irgendwelche Nachrichten zu der Explosion im Park gestern? «, fragte ich.

Glimm saß auf dem Küchentresen und scrollte mit seinen Klauen über einen kleinen Tabletcomputer. Der Kobold trug einen winzigen Handschuh, um das Display nicht zu verkratzen. Er schüttelte den Kopf.» Nein. Es steht nichts in den Tageszeitungen und auf Twitter habe ich auch nichts gefunden. «

Der Kobold verbrachte deutlich mehr Zeit im Internet, als es für ein mystisches Wesen gesund war. Da ich es aber nicht schaffte, ihn davon abzubringen, nutzte ich ihn gerne als Nachrichtenquelle.

»Da hat die PR-Abteilung wohl ganze Arbeit geleistet. Halt bitte trotzdem weiter die Augen offen.« Ich wischte mir den Mund ab und machte mich auf den Weg in mein Arbeitszimmer. Vollkommen lautlos fiel die Türe hinter mir ins Schloss, während ich den Raum durchquerte und in die kleine Nische rechts neben dem Sofa trat. Drei Bücherregale aus massiver Eiche erstreckten sich vom Boden bis zur Decke. Meine Finger wanderten über mehrere Einbände, bis ich fand, was ich suchte. Auf dem Rücken von Die Divergenz hielt ich inne und zog behutsam daran. Ein Klacken ertönte, das Regal schwang auf und gab den Blick auf eine kleine, mit Nussbaum vertäfelte Kammer frei. Lediglich der Boden bestand aus dunklem Stein mit einem eingemeißelten komplizierten Siegel. Ich zog den Kopf ein, als ich die Kammer betrat, und beförderte das Regal mit einem Griff auf seiner Rückseite wieder an seinen ursprünglichen Platz. Teleportation zählte immer zu den ersten Dingen, die der Durchschnittsbürger mit Magie in Verbindung brachte. Der Gedanke, ein Portal oder ähnliches zu nutzen, um innerhalb eines Wimpernschlags am anderen Ende der Welt aufzutauchen, faszinierte die Menschen einfach. Ich persönlich war kein großer Fan. Sicherlich würden sich viele meiner Meinung anschließen, wenn sie den Häcksler zum Teleportieren benutzen müssten. Hierbei handelte es sich zwar nur um einen Spitznamen, dafür aber um einen äußerst zutreffenden. Sobald ich das Siegel auslöste, würde es mich zuerst in Einzelteile zerlegen, anschließend durch unendliche kleine Risse in Raum und Zeit jagen und mich schlussendlich an meinem Zielort wieder zusammensetzen. Ich verdrängte den Gedanken ganz schnell und atmete stattdessen einmal tief durch. Anschließend faltete ich die Hände wie beim Gebet zusammen und stellte mir das alte Zeichen für Pforte vor.

 

Ein sehr boshafter Geist schien meinen Kopf und Magen mit einem Mixer durchgedreht zu haben. Um das Schwindelgefühl zu verdrängen, schüttelte ich kurz den Kopf und trat aus dem Siegel. In der letzten Sekunde war ich mehrere Kilometer horizontal bis in die Innenstadt und dann anschließend ein gutes Stück in die Tiefe gereist. Die Essener Zweigstelle der MSA befand sich in einem großen ausgebauten Bunker des Ersten Weltkrieges. Im ersten Moment klingt das eventuell etwas merkwürdig, doch dachte man länger darüber nach, so leuchtete einem die Ortswahl durchaus ein. Es gab kaum ein besseres Versteck als einen abgeschiedenen Ort tief unter der Erde, der nur durch ein paar Belüftungsschächte mit der Oberfläche verbunden war. Lediglich mithilfe des Häckslers konnte man die Zweigstelle betreten oder verlassen, was das Risiko von ungebetenen Besuchern effizient auf null senkte. Ein klarer Nachteil, wenn die eigene Zweigstelle in einem alten Bunker lag, war aber, dass die eigene Zweigstelle in einem alten Bunker lag. Die Wände bestanden aus durch die Jahre verrostetem Metall und ein allgemeiner Mief lag in der Luft. Des Weiteren konnten wir niemanden mit Klaustrophobie beschäftigen.

Ich verließ den Raum, in dem ich erst vor wenigen Sekunden wieder zusammengesetzt worden war, und schritt den langen Hauptkorridor entlang, bis sich dieser in mehrere Wege teilte. Jeder meiner Schritte hallte in dem leeren Gang wider und schickte meiner Person ein allgegenwärtiges Echo voraus. Lief ich weiter geradeaus, würde ich direkt im Büro meines Chefs landen. Ich nahm allerdings den dritten Gang links von mir und stand nach wenigen Schritten vor der nächsten Gabelung. Zu meiner Rechten ging es in mein Büro, zu meiner Linken zu dem von Liz. Ich klopfte. Nichts geschah.

---ENDE DER LESEPROBE---