Ein Tag im Dezember - Josie Silver - E-Book
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Ein Tag im Dezember E-Book

Josie Silver

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Beschreibung

Ein Augenblick reicht aus, um sich zu verlieben. Doch es braucht ein halbes Leben, um sich zu lieben.

Jack und Laurie begegnen sich an einem kalten Dezembertag. Es fühlt sich an, als wäre es die große Liebe, doch dann verpassen sie den richtigen Zeitpunkt um ein paar Sekunden. Erst ein Jahr später treffen sie sich endlich wieder, aber mittlerweile ist Jack mit Sarah zusammen, Lauries bester Freundin, und ihre Liebe scheint unmöglich. Was bleibt, ist eine Freundschaft, die über Jahre hält, in der sie einander Geheimnisse und Träume anvertrauen. Eine Freundschaft, die ihnen Halt gibt, auch wenn alles andere aus dem Ruder läuft. Aber so richtig vergessen können sie ihre Gefühle füreinander nie …

Jetzt exklusiv im E-Book: Ein kurzes Zusatzkapitel mit Blick in die Zukunft von Jack und Laurie!

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Seitenzahl: 523

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Das Buch

Jack und Laurie begegnen sich an einem kalten Dezembertag. Es fühlt sich an, als wäre es die große Liebe, doch dann verpassen sie den richtigen Zeitpunkt um ein paar Sekunden. Erst ein Jahr später treffen sie sich endlich wieder, aber mittlerweile ist Jack mit Sarah zusammen, Lauries bester Freundin, und ihre Liebe scheint unmöglich. Was bleibt, ist eine Freundschaft, die über Jahre hält, in der sie einander Geheimnisse und Träume anvertrauen. Eine Freundschaft, die ihnen Halt gibt, auch wenn alles andere aus dem Ruder läuft. Aber so richtig vergessen können sie ihre Gefühle füreinander nie …

Die Autorin

Josie Silver ist eine hoffnungslose Romantikerin, die ihren Ehemann an seinem 21. Geburtstag kennenlernte, nachdem sie ihn fast über den Haufen gerannt hätte. Mit ihm und ihren beiden Kindern lebt sie in einer kleinen Stadt in den Midlands

JOSIE SILVER

ROMAN

Aus dem Englischen von Babette Schröder

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Die Originalausgabe One Day in December erschien 2018 bei Penguin Random House UK.

Deutsche Erstausgabe 11/2018

Copyright © 2018 by Josie Silver

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Sandra Ladwig

Umschlaggestaltung: Hafen Werbeagentur unter Verwendung von Motiven © Dougal Waters/gettyimages, youngID/gettyimages, Paragorn Dangsombroon/shutterstock

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-22993-1 V003

www.heyne.de

Für James, Ed und Alex

21. DEZEMBER

Laurie

Es ist ein Wunder, dass nicht alle, die im Winter öffentliche Verkehrsmittel benutzen, dem Ansturm von Bakterien erliegen und tot umfallen. In den letzten zehn Minuten wurde ich angehustet und angeniest, und wenn die Frau vor mir noch einmal ihre Haare schüttelt und ihre Schuppen in meine Richtung verteilt, kippe ich ihr womöglich meinen Becher mit dem lauwarmen Kaffee über den Kopf, der ihretwegen jetzt ungenießbar ist.

Ich bin so müde, dass ich hier, auf dem Oberdeck des schwankenden und gerammelt vollen Busses direkt einschlafen könnte. Zum Glück muss ich vor Weihnachten nicht mehr arbeiten. Weder mein Hirn noch mein Körper würden eine weitere Schicht an der fürchterlichen Hotelrezeption überstehen. Für die Gäste mag der mit Girlanden und hübschen Lichterketten geschmückte Empfangstresen einladend aussehen, doch dahinter tun sich ungeahnte Abgründe auf. Wenn ich morgen im gemütlichen Haus meiner Eltern bin, werde ich bis zum nächsten Jahr Winterschlaf halten. Es hat etwas Tröstliches und Nostalgisches, London vorübergehend zu verlassen, um ein paar Tage in mein Kinderzimmer und das beschauliche Kleinstadtleben der Midlands zurückzukehren, auch wenn meine Kindheitserinnerungen nicht durchweg positiver Natur sind. Tragödien kommen in den glücklichsten Familien vor, und man kann durchaus sagen, dass sich unsere Tragödie früh ereignete und besonders dramatisch war. Doch genug davon. Weihnachten ist die Zeit der Hoffnung und der Liebe und, für mich momentan besonders reizvoll, die Zeit des Schlafens. Ich werde schlafen, ich werde mit meinem Bruder Daryl und seiner Freundin Anna um die Wette essen, und ich werde mir die gesamte Palette kitschiger Weihnachtsfilme reinziehen. Wie könnte man jemals zu müde sein, um einem unglückseligen Typen dabei zuzusehen, wie er in der Kälte vor einer Haustür Schilder hochhält, auf denen er der Frau seines besten Freundes erklärt, dass sein geschundenes Herz für immer ihr gehört? Aber – ist das wirklich romantisch? Ich weiß nicht. Ich meine, in gewisser Weise schon, auf eine schnulzige Art vielleicht, aber dennoch ist er ja wohl der mieseste Freund der Welt.

Ich habe aufgehört, mich wegen der Bakterien hier im Bus verrückt zu machen. Inzwischen habe ich so viele von ihnen abbekommen, dass ich ohnehin sterben werde, sollten sie tödlich sein. Also lehne ich die Stirn gegen das beschlagene Fenster und sehe zu, wie die Camden High Street an mir vorbeizieht, mit ihren funkelnden Weihnachtslichtern und den hell erleuchteten und schwitzenden Schaufensterscheiben, in denen wirklich alles angeboten wird – von Lederjacken bis zu geschmacklosen Souvenirs. Es ist noch nicht einmal vier Uhr nachmittags, doch über London senkt sich bereits die Abenddämmerung. Ich glaube, es ist den ganzen Tag noch nicht richtig hell geworden.

Mein Spiegelbild sagt mir, dass ich besser den blöden Lametta-Heiligenschein aus meinem Haar nehmen sollte, den mir die Kuh von Geschäftsführerin aufgezwungen hat. Ich sehe aus, als wollte ich als Engel Gabriel für ein Grundschulkrippenspiel vorsprechen. Aber ich habe keine Lust, in diesem Bus interessiert es doch sowieso niemanden, wie ich aussehe. Nicht den Mann im feuchten Anorak neben mir, der mehr als die Hälfte der Sitzbank in Anspruch nimmt, während er über der Zeitung von gestern döst. Nicht die schreienden Schulkinder in den hinteren Reihen. Und ganz sicher nicht die Schuppenfrau vor mir mit ihren blinkenden Schneeflockenohrringen. Die Ironie ihrer Schmuckwahl ist mir nicht entgangen. Wenn ich gemein wäre, würde ich sie antippen und sie auf den Schneesturm hinweisen, den sie mit jedem Kopfschütteln auslöst. Doch ich bin nicht gemein. Außer vielleicht in meinen Gedanken – aber ist das im Grunde nicht jeder?

Meine Güte, wie oft hält dieser Bus denn an? Ich bin noch meilenweit von meiner Wohnung entfernt, und er ist schon voller als ein Viehtransport am Markttag.

Na, komm schon, denke ich. Fahr! Bring mich nach Hause. Wobei mein Zuhause gerade ein ziemlich deprimierender Ort ist, nachdem meine Mitbewohnerin Sarah zu ihren Eltern gefahren ist. Nur noch ein Tag, dann bist auch du hier weg, tröste ich mich.

Bebend hält der Bus am Ende der Straße. Unten drängt ein Menschenstrom nach draußen, während sich zugleich eine Horde hineinzuschieben versucht. Es sieht aus wie einer jener Rekordversuche, bei denen sich so viele Menschen wie möglich in einen kleinen Raum quetschen müssen.

Auf dem Klappsitz im Wartehäuschen sitzt ein Typ. Dies kann nicht sein Bus sein, denn er ist in ein Buch vertieft, das er in den Händen hält. Er fällt mir auf, weil er das Schieben und Drängeln, das sich direkt vor seiner Nase abspielt, gar nicht zu bemerken scheint. Es wirkt wie bei diesen raffinierten Spezialeffekten in Filmen, bei denen jemand ganz still dasteht und sich die Welt um ihn herum kaleidoskopartig auflöst und allmählich verschwimmt.

Sein Gesicht kann ich nicht sehen, nur sein rotblondes Haar, das etwas länger ist und das sich vermutlich wellt, wenn es noch weiterwächst. Er trägt eine dunkelblaue Caban-Jacke und einen Schal, der handgestrickt aussieht und im Gegensatz zum coolen Rest seiner Kleidung – dunkle enge Jeans und Stiefel – überraschend kitschig wirkt. Der Typ ist ganz auf sein Buch konzentriert. Ich kneife die Augen zusammen und lege den Kopf schief, um herauszufinden, was er liest. Um besser sehen zu können, wische ich mit dem Mantelärmel über die beschlagene Scheibe.

Ich weiß nicht, ob er meine Armbewegung oder die blinkenden Ohrringe der Schuppenfrau aus dem Augenwinkel wahrgenommen hat, jedenfalls hebt er den Kopf, blinzelt ein paarmal und richtet seine Aufmerksamkeit auf mein Fenster. Auf mich.

Wir starren uns an, und ich kann den Blick nicht von ihm lösen. Ich bewege die Lippen, als wollte ich etwas sagen, keine Ahnung, was, und wie aus dem Nichts zieht es mich mit aller Macht nach draußen – zu ihm. Doch ich bewege mich nicht. Mir wird klar, dass ich keine Chance habe, an dem Anorakmann neben mir vorbeizukommen und mich durch den vollen Bus zu drängen, ehe er weiterfährt. Im Bruchteil einer Sekunde beschließe ich, mich nicht vom Fleck zu rühren, und versuche stattdessen, dem Typen mit verzweifelten und sehnsuchtsvollen Blicken klarzumachen, dass er in den Bus steigen soll.

Er sieht nicht gerade aus wie ein Filmstar, er ist nicht im klassischen Sinne gut aussehend, doch irgendwie strahlt er den Charme eines etwas zerzausten weltfremden Professors aus, was mich fasziniert. Seine Augenfarbe kann ich von hier aus nicht richtig erkennen. Grün, würde ich sagen, oder vielleicht blau?

Und da ist es. Nennt es von mir aus Wunschdenken, aber ich bin mir sicher, dass ihn der gleiche Blitz trifft wie mich. Als würde uns plötzlich etwas Unsichtbares verbinden. Ich sehe es in seinen Augen. Er blinzelt ungläubig, so, wie man blinzelt, wenn man zufällig nach Ewigkeiten irgendwo seinen ältesten, besten Freund wiedersieht und nicht glauben kann, dass er es tatsächlich ist.

Seine Augen sagen Hallo und Oh, mein Gott, du bist es und Es ist unfassbar schön, dich zu sehen –alles auf einmal.

Sein Blick springt zu der abnehmenden Schlange, die noch immer vor dem Bus wartet, dann wieder zu mir. Es ist, als könnte ich seine rasenden Gedanken hören. Er fragt sich, ob es verrückt wäre, in den Bus zu steigen. Was er sagen würde, wenn wir nicht durch eine Scheibe und eine Menschenhorde getrennt wären. Ob er sich albern vorkäme, wenn er zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zu mir hinaufstürzen würde.

Nein, versuche ich, ihm zu vermitteln. Nein, du würdest dir nicht albern vorkommen. Auf gar keinen Fall. Los, steig schon in den blöden Bus! Er starrt mich an, dann schleicht sich ein Lächeln auf seine vollen sinnlichen Lippen, als könnte er nicht anders. Ich lächle zurück, fast übermütig. Auch ich kann nicht anders. Bitte, steig in den Bus!

Entschieden schlägt er das Buch zu und stopft es in den Rucksack zwischen seinen Füßen. Jetzt geht er zur Tür. Ich halte den Atem an, presse meine Handfläche gegen die Scheibe und dränge ihn, sich zu beeilen. Dann höre ich das widerliche Zischen der sich schließenden Bustüren und spüre, wie mit einem Ruck die Handbremse gelöst wird.

Nein! Nein! Oh Gott, wage es ja nicht loszufahren! Es ist doch Weihnachten! Der Bus fädelt sich in den Verkehr ein und gewinnt an Tempo, während der Fremde atemlos draußen auf der Straße steht und uns hinterhersieht. Ich möchte schreien. Ich sehe, wie das Leuchten in seinen Augen erlischt. Es ist Weihnachten, und ich habe mich gerade hoffnungslos an einer Bushaltestelle in einen Fremden verliebt. Ich werfe ihm eine verzweifelte Kusshand zu, lehne die Stirn gegen die Scheibe und sehe ihm nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwindet.

Dann wird mir klar: Er ist weg. Mist. Warum habe ich mir nicht ein Beispiel an dem unglückseligen Typen aus dem Film genommen und einfach etwas auf einen Zettel geschrieben? Ich hätte auch meine Handynummer auf die beschlagene Scheibe malen können. Oder die winzige Luke im Fenster öffnen und ihm meinen Namen und meine Adresse oder was auch immer zurufen können. Doch jetzt ist es zu spät.

Für Außenstehende muss es ein oscarreifer sechzig Sekunden langer Stummfilm gewesen sein. Wenn mich künftig jemand fragt, ob ich mich schon einmal auf den ersten Blick verliebt habe, muss ich bejahen – eine wundervolle Minute lang, am 21. Dezember 2008.

Neujahrsvorsätze

Nur zwei Vorsätze dieses Jahr, aber zwei tolle, wunderbare Supervorsätze.

1)Den Typen von der Bushaltestelle finden.

2)Mir den ersten richtigen Job bei einer Zeitschrift suchen.

Mist. Hätte ich meine Vorsätze doch mit Bleistift notiert, dann könnte ich sie wegradieren und noch einmal neu aufschreiben. Idealerweise möchte ich nämlich zuerst den coolen Job bei einer Illustrierten bekommen und erst dann dem Typen von der Haltestelle begegnen. Ich stelle mir vor, wie ich in einem Café gerade ein wahnsinnig gesundes Mittagessen bezahle, mich zum Gehen umdrehe und dabei mit ihm zusammenstoße. Er schlägt mir versehentlich meinen Snack aus der Hand, und als er mich endlich ansieht, sagt er: »Ach, da bist du ja! Na, endlich.« Und dann lassen wir das Mittagessen sausen und machen stattdessen einen Spaziergang durch den Park, weil wir keinen Appetit mehr haben, nachdem wir die Liebe unseres Lebens gefunden haben.

Okay, das ist alles. Wünscht mir Glück.

20. MÄRZ

Laurie

»Ist er das? Ich empfange gerade eindeutig busmäßige Schwingungen.«

Es ist Freitagabend, und die Bar ist gut besucht. Ich folge Sarahs Blick und schaue in die Richtung, in die sie mit dem Kopf deutet. Das machen wir jetzt ständig, wenn wir irgendwo hingehen: Wir suchen die Menge nach dem »Bus Boy« ab. So hat Sarah ihn getauft, als wir im Januar unsere Weihnachtserlebnisse ausgetauscht haben. Ihre Familienfeier oben in York klang zwar deutlich wilder als mein gemütliches Weihnachten mit üppigem Essen in Birmingham, dennoch sind wir beide mit einer Neujahrsdepression in das winterliche London zurückgekehrt. Ich stimmte mit meiner rührseligen »Liebe auf den ersten Blick«-Geschichte in die Jammerorgie ein und wünschte mir sofort, ich hätte es nicht getan. Nicht, dass ich Sarah meine Geschichte nicht anvertrauen wollte, nur war sie ab dem Moment noch besessener davon, den Bus Boy zu finden, als ich. So langsam werde ich seinetwegen noch verrückt.

»Welchen meinst du?« Angestrengt blicke ich auf das Meer aus Menschen, das überwiegend aus unbekannten Hinterköpfen besteht. Sarah zieht die Nase kraus und überlegt, wie sie mir den Typen beschreiben soll.

»Da, der in der Mitte, neben der Frau in dem blauen Kleid.«

Die Frau ist leicht auszumachen. Als sie den Kopf in den Nacken wirft und den Typen neben sich anlacht, fängt sich das Licht in ihrem ultraglatten weißblonden Haar.

Er hat ungefähr die richtige Größe, ähnliches Haar, und die Form seiner Schultern wirkt in dem dunklen Hemd erschreckend vertraut. Er könnte irgendein Mann sein, aber er könnte auch der Bus Boy sein. Je länger ich ihn ansehe, desto sicherer bin ich mir, dass die Suche ein Ende hat.

»Ich weiß nicht«, sage ich und halte den Atem an, weil wir noch nie so nah dran waren. Ich habe ihn Sarah so oft beschrieben, dass sie wahrscheinlich besser weiß, wie er aussieht, als ich. Ich mache bereits Anstalten, auf ihn zuzugehen, da legt Sarah mir eine Hand auf den Arm und hält mich zurück. Gerade neigt der Typ den Kopf, um die Blondine zu küssen. Augenblicklich wird sie für mich zur verhasstesten Person auf dem gesamten Planeten.

Oh Gott, ich glaube, er ist es! Nein! So sollte das doch nicht ablaufen. Jede Nacht, wenn ich die Augen schließe, spiele ich verschiedene Varianten unseres Wiedersehens durch, und nie, ich wiederhole, nie, endet die Szene so. Manchmal ist er mit einer Gruppe von Freunden in einer Bar, ein anderes Mal sitzt er allein in einem Café und liest. Doch in keiner meiner Fantasien hat er eine Freundin, die er fast zu Tode knutscht.

»Mist«, murmelt Sarah und drückt mir mein Weinglas in die Hand. Wir beobachten, wie die beiden sich weiterhin küssen. Meine Güte, haben diese Leute denn gar kein Schamgefühl? Jetzt legt er ihr eine Hand auf den Hintern und überschreitet damit deutlich die Grenze des Anstands in einer vollen Bar. »Ehrlich, Leute? Das gehört sich doch nicht«, murmelt Sarah. Und zu mir gewandt: »Er ist sowieso nicht dein Typ, Lu.«

Ich bin geknickt. So sehr, dass ich das ganze kalte Glas Wein auf einmal hinunterstürze.

»Ich glaube, ich möchte gehen«, sage ich und bin lächerlicherweise den Tränen nahe.

Doch dann hören sie auf, sich zu küssen. Sie richtet ihr Kleid, er raunt ihr etwas ins Ohr, wendet sich ab und kommt direkt auf uns zu.

Ich sehe es sofort. Er drängt sich direkt an uns vorbei, und fast muss ich vor lauter Erleichterung lachen.

»Er ist es nicht«, flüstere ich. »Er sieht ihm noch nicht einmal ähnlich.«

Sarah verdreht die Augen und stößt die Luft aus, die sie offenbar bis dahin angehalten hat. »Zum Glück. Was für ein widerlicher Typ. Fast hätte ich ihm ein Bein gestellt.«

Sie hat recht. Der Typ wirkt unglaublich aufgeblasen. Er grinst selbstgefällig und wischt sich auf dem Weg zur Toilette mit dem Handrücken über den Mund, um den roten Lippenstift der Blondine zu entfernen.

Ich brauche noch einen Drink. Seit drei Monaten suchen wir nach dem Bus Boy. Hoffentlich finde ich ihn bald, sonst lande ich noch in einer Entzugsklinik.

Zu Hause in der Delancey Street schleudern wir unsere Schuhe von den Füßen und lassen uns aufs Sofa fallen.

»Ich habe nachgedacht«, sagt Sarah, die es sich am anderen Ende der Couch bequem gemacht hat. »Wir haben da diesen neuen Mitarbeiter. Ich glaube, der könnte dir gefallen.«

»Ich will nur den Bus Boy«, seufze ich melodramatisch wie in einem Kostümfilm.

»Aber was, wenn du ihn findest und er ein Idiot ist?«, fragt sie. Unsere Bar-Erfahrung von vorhin hat auch sie ganz schön schockiert.

»Meinst du, ich sollte die Suche aufgeben?«, frage ich und hebe meinen schweren Kopf von der Sofalehne.

Sarah wirft die Arme zur Seite. »Ich sage nur, dass du einen Plan B brauchst.«

»Für den Fall, dass er ein Idiot ist?«

Sie hebt beide Daumen. Wahrscheinlich kostet es sie zu viel Anstrengung, den Kopf zu bewegen.

»Er könnte ein erstklassiges Oberarschloch sein«, gibt sie zu bedenken. »Oder er könnte eine Freundin haben. Oder, stell dir vor, Lu, er ist verheiratet.«

Ich schnappe nach Luft. »Auf gar keinen Fall«, platze ich heraus. »Er ist Single, und er ist wundervoll und wartet irgendwo da draußen darauf, dass ich ihn finde.« Davon bin ich so überzeugt, wie es nur eine betrunkene Frau sein kann. »Vielleicht sucht er sogar auch nach mir.«

Sarah stützt sich auf die Ellbogen und starrt mich an, ihre langen roten Locken hängen schlapp herunter, ihr Mascara ist verschmiert.

»Ich sage doch nur, dass wir, dass du vielleicht unrealistische Erwartungen hast und dass du, wir vorsichtiger vorgehen müssen. Das ist alles.«

Sie hat recht. Vorhin in der Bar ist fast mein Herz stehen geblieben.

Wir sehen uns an, dann tätschelt sie mein Bein. »Wir finden ihn«, sagt sie. Es ist eine einfache freundschaftliche Geste, aber in meinem trunkenen Zustand bildet sich daraufhin ein Kloß in meinem Hals.

»Versprochen?«

Sie nickt und malt ein X über ihr Herz. Plötzlich muss ich schluchzen, weil ich müde und gereizt bin und weil ich mich manchmal nicht mehr an das Gesicht des Bus Boys erinnern kann. Ich habe Angst, dass ich vergesse, wie er überhaupt aussieht.

Sarah setzt sich auf und trocknet mir mit dem Ärmel die Tränen.

»Nicht weinen, Lu«, flüstert sie. »Wir suchen so lange, bis wir ihn gefunden haben.«

Ich nicke, lasse den Kopf zurücksinken und blicke an die grauenhaft strukturierte Decke, die unser Vermieter uns zu übermalen verspricht, seit wir hier vor ein paar Jahren eingezogen sind. »Das machen wir. Und er wird super sein.«

Sarah schweigt, dann hebt sie drohend den Zeigefinger. »Wehe, wenn nicht. Dann schnitze ich ›Idiot‹ in seine Stirn.«

Ich nicke. Ich weiß ihre Loyalität zu schätzen, sie beruht auf Gegenseitigkeit. »Mit einem verrosteten Skalpell«, schmücke ich das grausige Bild weiter aus.

»Und dann entzündet sich die Wunde, und ihm fällt der Kopf ab«, murmelt sie.

Ich schließe die Augen und muss schmunzeln. Bis ich den Bus Boy finde, gehört meine ganze Liebe Sarah.

24. OKTOBER

Laurie

»Ich glaube, wir haben es geschafft«, sagt Sarah und tritt zurück, um unser Werk zu bewundern. Das ganze Wochenende über haben wir unser winziges Wohnzimmer renoviert, nun sind wir staubig und voller Farbflecken und haben es fast geschafft. Mich überkommt ein warmes, zufriedenes Gefühl – ich wünschte, mein blöder Job im Hotel wäre nur halb so erfüllend.

»Hoffentlich gefällt es dem Vermieter«, sage ich. Eigentlich dürfen wir keine einschneidenden Veränderungen in der Wohnung vornehmen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas gegen unsere Verbesserungen einzuwenden hat.

»Im Grunde müsste er uns dafür bezahlen«, erwidert Sarah, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie trägt eine abgeschnittene Latzhose, darunter ein neonpinkes Unterhemd, das sich extrem mit ihrem roten Haar beißt. »Schließlich haben wir den Wert seiner Wohnung gesteigert. Wem würde dieser Dielenboden nicht besser gefallen als der abgewetzte alte Teppich?«

Lachend erinnere ich mich an unseren slapstickmäßigen Auftritt, als wir den zusammengerollten Teppich von unserer Dachgeschosswohnung über die Treppe ins Erdgeschoss gewuchtet haben. Als wir endlich unten ankamen, schwitzten wir wie Bergarbeiter, fluchten wie Seemänner und waren beide von oben bis unten mit Schaumstoffflocken übersät. Wir entsorgten das Teil in einem Container in der Nachbarschaft und klatschten uns ab. Da der Container schon ewig halb voll dort herumsteht, glaube ich nicht, dass der Teppich jemandem auffällt.

Die alten Eichendielen, die zum Vorschein kamen, sehen wunderschön aus. Bevor der jetzige Besitzer sie unter dem gemusterten Ungestüm verschwinden ließ, hatte sich offenbar jemand die Mühe gemacht, sie abzuschleifen. Wir mussten sie also nur noch polieren. Der Muskelkater, den wir uns dabei geholt haben, war es allemal wert. Dank der frisch geweißten Wände und der großen alten Fenster wird der Raum von warmem Licht durchflutetet. Das alte Gebäude hat viel Potenzial, trotz hässlicher Decke. Auf die Holzdielen haben wir einen billigen Läufer gelegt und Überwürfe aus unseren Schlafzimmern über die bunt zusammengewürfelten Möbel. Alles in allem, denke ich, haben wir mit wenigen Mitteln ein Wunder vollbracht.

»Bohemien-Schick«, erklärt Sarah.

»Du hast Farbe im Haar«, stelle ich fest und fasse mir an den Kopf, um ihr die Stelle zu zeigen, wobei ich natürlich prompt einen neuen Farbklecks in meinen eigenen Haaren hinterlasse.

»Du auch«, sagt sie lachend, dann blickt sie auf ihre Armbanduhr. »Fish and Chips?«

Sarah kann essen, was und wann sie will, ohne dick zu werden. Das gehört zu den Dingen, die ich am meisten an ihr mag, weil ich dadurch ohne schlechtes Gewissen Kuchen genießen kann. Ich nicke, denn ich sterbe vor Hunger. »Ich gehe schnell.«

Eine halbe Stunde später sitzen wir auf dem Sofa und weihen unser neues, traumhaftes Wohnzimmer mit Fish and Chips ein, das wir auf unseren Knien balancieren.

»Wir sollten unsere Jobs aufgeben und als Wohnungseinrichter im Fernsehen auftreten«, sagt Sarah.

»Wir wären super«, erwidere ich. »Lauries und Sarahs frischer Look für Ihr Heim.«

Die Gabel auf halbem Weg zum Mund, überlegt sie. »Sarahs und Lus frischer Look für Ihr Heim klingt besser.«

»Lauries und Sarahs klingt besser.« Ich grinse. »Du weißt, dass ich recht habe. Außerdem bin ich älter als du. Es ist nur angemessen, wenn ich zuerst genannt werde.«

Das ist ein Running Gag zwischen uns. Ich bin ein paar Monate älter als Sarah, worauf ich sie bei jeder Gelegenheit hinweise. Sie prustet über ihrem Bier, während ich mich hinunterbeuge, um meine Flasche vom Boden aufzuheben.

»Pass auf die Dielen auf!«

»Ich habe einen Untersetzer benutzt«, sage ich überlegen.

Sie beugt sich hinunter, um meinen behelfsmäßigen Untersetzer zu begutachten, die Sonderangebote des Supermarktes.

»Oh mein Gott, Lu«, sagt sie langsam. »Wir sind zu Menschen mit Untersetzern geworden.«

Ich schlucke. »Heißt das, dass wir alt werden und uns Katzen anschaffen müssen?«

Sie nickt. »Ja, genau.«

»Von mir aus«, grummele ich. »In meinem Liebesleben herrscht sowieso tote Hose.«

Sarah knüllt ihr Fish-and-Chips-Papier zusammen. »Das hast du ganz allein dir selbst zuzuschreiben«, sagt sie.

Natürlich spielt sie auf den Bus Boy an. Inzwischen ist er zu einer mythischen Gestalt geworden, und ich bin kurz davor, ihn aufzugeben. Zehn Monate sind eine lange Zeit, um nach einem völlig Fremden zu suchen, bei dem nur eine geringe Chance besteht, dass er Single ist, auf mich steht und kein Serienmörder ist. Sarah ist entschieden der Meinung, dass ich nach vorn schauen sollte, womit sie konkret meint, dass ich mir einen anderen suchen soll, bevor ich noch zur Nonne werde. Ich weiß, dass sie recht hat, aber mein Herz ist noch nicht bereit, den Bus Boy loszulassen. Dieses Gefühl, als sich unsere Blicke trafen – so etwas habe ich einfach noch nicht erlebt. Noch nie.

»In der Zeit, die du nach ihm gesucht hast, hättest du einmal um die Welt reisen können«, sagt sie. »Überleg doch mal, wie viele tolle Männer du dabei hättest vögeln können. Wenn du alt bist, könntest du deinen Enkelkindern Geschichten von Roberto aus Italien und von Vlad aus Russland erzählen.«

»Ich werde keine Kinder oder Enkelkinder haben. Ich werde ewig vergeblich nach dem Bus Boy suchen und mir stattdessen mit dir Katzen anschaffen«, sage ich. »Wir bauen ein Rettungszentrum für Katzen auf, und dann verleiht uns die Queen für unsere Verdienste um die kleinen Vierbeiner einen Orden.«

Sarah lacht, aber ihr Blick sagt mir, dass es ernsthaft Zeit wird, mich von meinen Träumen zu verabschieden und den Bus Boy loszulassen.

»Mir ist gerade eingefallen, dass ich allergisch gegen Katzenhaare bin«, sagt sie. »Aber du hast mich doch trotzdem lieb, oder?«

Ich seufze und nehme mein Bier. »Ich fürchte, das ist ein Trennungsgrund. Such dir eine andere, Sarah, wir können nicht zusammen sein.«

Sie grinst. »Ich habe nächste Woche ein Date.«

Ich fasse mir ans Herz. »So schnell bist du über uns hinweg.«

»Eine Fahrstuhlbekanntschaft. Ich habe so lange auf den Notknopf gedrückt und den Aufzug angehalten, bis er mich um ein Date gebeten hat.«

Ich muss unbedingt Lebensunterricht bei Sarah nehmen – wenn sie etwas sieht, das sie haben will, greift sie mit beiden Händen danach. Zum millionsten Mal wünsche ich mir, ich hätte den Mumm gehabt, aus diesem Bus auszusteigen. Aber Tatsache ist, dass ich es nicht getan habe. Vielleicht ist es Zeit, zur Vernunft zu kommen, die Suche nach dem Bus Boy wirklich aufzugeben und mich nicht mehr jedes Mal zu betrinken und zu heulen, wenn ich ihn wieder nicht gefunden habe. Es gibt noch andere Männer. »Was würde Sarah an meiner Stelle tun?« – so sollte ab jetzt mein Lebensmotto lauten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie kein ganzes Jahr mit Trübsalblasen verbringen würde.

»Wollen wir ein Bild für die Wand kaufen?«, fragt sie und blickt auf den leeren Platz über dem Kamin.

Ich nicke. »Ja. Warum nicht? Vielleicht eins mit Katzen?«

Lachend wirft sie mir das zusammengeknüllte Fish-and-Chips-Papier an den Kopf.

18. DEZEMBER

Laurie

»Versprich mir, heute Abend nicht voreilig über David zu urteilen. Wahrscheinlich denkst du im ersten Moment, er ist nicht dein Typ, aber glaube mir, er ist höchst amüsant. Und er ist nett, Laurie. Ich meine, neulich hat er mir in einem Meeting seinen Stuhl überlassen. Wie viele Männer kennst du, die das tun würden?« Während Sarah mir diesen Vortrag hält, kniet sie auf dem Boden vor dem Küchenschrank, um nach und nach alle verstaubten Weingläser hervorzuholen.

Fieberhaft suche ich nach einer guten Antwort, doch die Ausbeute ist mager. »Der Typ aus der Erdgeschosswohnung hat heute Morgen sein Fahrrad aus dem Weg geräumt, um mich aus der Haustür zu lassen. Zählt das?«

»Du meinst, derselbe, der unsere Post öffnet und jedes Wochenende Spuren von Kebab auf dem Flurboden hinterlässt?«

Grinsend weiche ich die Weingläser in heißem Spülwasser ein. Heute Abend findet unsere traditionelle Weihnachtsfeier statt. Seit wir zusammen in die Delancey Street gezogen sind, haben wir jedes Jahr vor Weihnachten eine Party veranstaltet. Hauptsächlich kommen Studenten und ein paar Kollegen, die wir noch nicht so lange kennen. Obwohl wir uns einreden, dass es jetzt, nachdem wir mit der Uni fertig sind, viel erwachsener zugehen wird, werden wir billigen Wein trinken und über Dinge diskutieren, von denen wir eigentlich keine Ahnung haben. Was mich angeht, so soll ich mich mit einem Mann namens David amüsieren, von dem Sarah meint, er würde großartig zu mir passen.

Das ist nicht das erste Mal. Meine beste Freundin hält sich für eine geniale Kupplerin und hat während des Studiums schon ein paar Treffen für mich arrangiert. Der Erste, Mark oder vielleicht hieß er auch Mike, erschien mitten im Winter in Laufshorts. Während des gesamten Abendessens versuchte er, mich davon abzubringen, etwas von der Speisekarte zu wählen, das man nicht in weniger als einer Stunde im Fitnessstudio wieder abtrainieren konnte. Ich bin mehr der Dessert-Typ. Für mich war der wichtigste Gang des Menüs Mike. Oder Mark. Egal. Zu Sarahs Verteidigung muss ich sagen, dass er entfernte Ähnlichkeit mit Brad Pitt hatte, vorausgesetzt, man befand sich in einem dunklen Zimmer und betrachtete ihn blinzelnd aus dem Augenwinkel. Was ich getan habe. Normalerweise schlafe ich nicht gleich beim ersten Date mit einem Mann, aber ich hatte das Gefühl, ich müsse der Sache Sarah zuliebe eine Chance geben.

Ihre zweite Wahl, Fraser, war nur unwesentlich besser. Immerhin kann ich mich noch an seinen Namen erinnern. Er war der mit Abstand schottischste Schotte, dem ich je begegnet bin. So schottisch, dass ich nur die Hälfte von dem verstand, was er sagte. Es hätte mich auch nicht überrascht, wenn er einen Dudelsack unter der Jacke versteckt gehabt hätte. Seine karierte Fliege war peinlich, doch sein eigentlicher Untergang erfolgte am Ende unserer Verabredung. Er begleitete mich nach Hause in die Delancey Street und küsste mich zum Abschied, als wollte er mich wiederbeleben – und das mit viel zu viel Spucke. Kaum war ich in der Wohnung, raste ich ins Bad, wo mein Spiegelbild mir bestätigte, dass ich aussah, als habe mich eine Deutsche Dogge abgeknutscht – im Regen.

Nicht, dass ich auf größere Erfolge bei der Wahl eines Freundes verweisen könnte. Mit Ausnahme von Lewis, meinem langjährigen Freund damals zu Hause, scheine ich irgendwie immer danebenzugreifen. Drei Dates vergehen, vier, manchmal auch fünf bis zur unvermeidlichen Pleite. Allmählich frage ich mich, ob es vielleicht nicht auch problematisch ist, eine so strahlende Schönheit wie Sarah zur besten Freundin zu haben. Bei Männern weckt sie eindeutig unrealistische Erwartungen an Frauen. Wenn ich sie nicht über alles lieben würde, würde ich ihr wahrscheinlich die Augen ausstechen wollen.

Egal, vielleicht ist es dumm von mir, aber ich weiß, dass keiner dieser Männer der richtige war. Ich bin eine Romantikerin. In meiner Fantasie ist der unbekannte Gast auf der Party einer dieser romantischen Männer aus »Schlaflos in Seattle« oder »E-Mail für dich«. Ich hoffe also, dass sich unter all den Fröschen eines Tages doch noch ein Prinz findet. Oder zumindest so etwas in der Art.

Wer weiß, wie David ist, vielleicht habe ich ja beim dritten Mal Glück. Ich werde nicht zu viel erwarten. Vielleicht ist er die Liebe meines Lebens, vielleicht ist er furchtbar. Wie dem auch sei, ich bin gespannt und ganz und gar offen für Neues. Das war im Laufe des letzten Jahres nicht oft der Fall. Sarah und ich hatten beide mit dem Übergang vom behüteten Unileben in den harten Arbeitsalltag zu kämpfen, wobei Sarah jedoch erfolgreicher war als ich. Sie hat quasi mir nichts, dir nichts eine Nachwuchsposition bei einem regionalen Fernsehsender bekommen, während ich immer noch an dieser Hotelrezeption hocke. Ja, trotz meiner guten Vorsätze für das neue Jahr arbeite ich noch immer nicht in meinem Traumjob. Entweder versuche ich weiterhin, einen Job zu finden, oder ich gehe zurück nach Birmingham, doch ich fürchte, wenn ich London einmal verlasse, komme ich nie wieder zurück. Durch ihre kommunikative Art fällt Sarah insgesamt alles leichter. Ich hingegen bin im zwischenmenschlichen Kontakt meist schüchtern und gehemmt, was bedeutet, dass Vorstellungsgespräche in der Regel nicht allzu glücklich verlaufen. Doch davon will ich heute nichts wissen. Ich bin wild entschlossen, mich so zu betrinken, dass es ganz unmöglich ist, schüchtern oder gehemmt zu sein.

Heute Abend lerne ich endlich auch Sarahs neuen Freund kennen. Sie ist schon seit ein paar Wochen mit ihm zusammen, aber aus irgendeinem Grund treffe ich diesen offenbar unglaublich scharfen Typen erst heute persönlich. Allerdings habe ich schon so viel von ihm gehört, dass ich ein Buch über ihn schreiben könnte. Ich weiß, dass er göttlich im Bett ist und dass Sarah ihn heiraten und mit ihm Kinder haben möchte, sobald er ein wahnsinnig erfolgreicher Medienstar ist, worauf er offenbar zusteuert. Fast tut er mir leid, weil seine Zukunft mit vierundzwanzig bereits verplant ist. Aber hey, wir sprechen hier von Sarah. Egal, wie cool er ist, er hat auf jeden Fall Glück.

Sarah kann einfach nicht aufhören, von ihm zu reden. Jetzt schon wieder. Detailliert berichtet sie mir von ihrem Sexleben, obwohl ich das alles gar nicht so genau wissen möchte.

Ich hebe meine Hände, um ihren Redefluss zu stoppen. Mit meinen Spülfingern verteile ich Seifenblasen in der Luft wie ein Kind, das einen Zauberstab schwingt. »Okay, okay, bitte hör auf. Ich versuche, nicht auf der Stelle einen Orgasmus zu bekommen, wenn ich deinen künftigen Ehemann endlich zu Gesicht bekomme.«

»Sag ihm das ja nicht.« Sie grinst. »Die Sache mit dem künftigen Ehemann, meine ich. Das weiß er nämlich noch nicht, und es könnte ihm Angst machen.«

»Ach, meinst du wirklich?«, frage ich todernst.

»Es ist viel besser, wenn er in ein paar Jahren denkt, er sei von alleine auf diese glorreiche Idee gekommen.« Sie steht auf und wischt sich den Staub von den Knien ihrer Jeans.

Ich nicke. So, wie ich Sarah kenne, wird sie ihn um den kleinen Finger wickeln. Wann immer sie den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält, wird er liebend gern um ihre Hand anhalten. Kennt ihr diese Leute, zu denen sich jeder hingezogen fühlt? Diese seltenen schillernden Vögel, die jeden Menschen in ihren Bann ziehen? Sarah ist so ein Mensch. Aber wenn ihr jetzt denkt, sie sei unausstehlich, habt ihr euch getäuscht.

Ich lernte sie in unserem ersten Jahr auf der Uni kennen, und zwar genau hier. Ich wollte ungern ins Wohnheim ziehen und lieber in einer der Uniwohnungen leben. Meine erste Wahl fiel auf diese Wohnung. Sie liegt in einem hohen alten Stadthaus mit drei Parteien. Unten befinden sich zwei größere Wohnungen, wir haben die Dachgeschosswohnung, die wirkt, als hätte man sie nachträglich oben auf das Haus gesetzt. Die rosa Brille fest auf der Nase, war ich sofort hin und weg, als ich sie zum ersten Mal besichtigte. Kennt ihr die kleine Wohnung, in der Bridget Jones wohnt? Daran erinnerte sie mich, nur dass sie etwas schäbiger und weniger schick ist. Um mir die Miete leisten zu können, musste ich sie mir außerdem mit einer völlig Fremden teilen. Doch das hielt mich nicht davon ab, den Mietvertrag zu unterschreiben. Eine Wohnung mit einer Fremden konnte ich mir eher vorstellen als ein lautes Wohnheim mit vielen Fremden. Ich erinnere mich noch, wie ich beim Einzug mein Zeug die Treppen hinaufschleppte und die ganze Zeit hoffte, dass meine neue Mitbewohnerin nicht meine Bridget-Jones-Fantasie zerstören würde.

Zur Begrüßung hatte sie einen Zettel an die Tür geheftet. Auf der Rückseite eines benutzten Umschlags stand in großen, geschwungenen roten Buchstaben:

Liebe neue Mitbewohnerin,

besorge eben billiges Pritzelwasser, damit wir auf unser neues Heim anstoßen können. Wenn du willst, nimm ruhig das größere Zimmer. Ich wohne sowieso lieber nah am Klo!

S.

Und schon war es passiert. Noch bevor ich sie überhaupt das erste Mal gesehen hatte, war ich ihr verfallen. In vielerlei Hinsicht ist sie ganz anders als ich, aber wir haben auch so viele Gemeinsamkeiten, dass wir uns blendend verstehen. Mit ihrem feuerroten gewellten Haar, das ihr fast bis zum Po reicht, und ihrer tollen Figur ist Sarah auffallend hübsch. Und doch ist es ihr vollkommen schnuppe, wie sie aussieht.

Normalerweise käme ich mir neben einer so schönen Frau vor wie die hässliche Schwester, doch neben Sarah fühlt man sich gut. Das Erste, was sie zu mir sagte, als sie an jenem Tag vom Laden an der Ecke zurückkam, war: »Himmel! Du bist ja eine Doppelgängerin von Elizabeth Taylor. Wir müssen ein zusätzliches Schloss an der Tür anbringen, sonst rennen sie uns die Bude ein.«

Natürlich übertrieb sie. Ich sehe Elizabeth Taylor nicht sonderlich ähnlich. Das dunkle Haar und die blauen Augen verdanke ich meiner Großmutter mütterlicherseits. In ihren Zwanzigern war sie eine gefeierte Ballerina. Aber ich fand immer, dass ich mehr aussehe wie eine missglückte Pariserin. Ich habe zwar die Figur meiner Großmutter geerbt, aber nicht ihre Eleganz. Statt ihres ordentlichen Knotens trage ich auf meinem Kopf einen Haufen Locken, die immer aussehen, als wären sie elektrisch geladen. Außerdem hätte ich niemals die Disziplin zum Tanzen, ich bin viel zu scharf auf Schokoladenkekse.

Sarah bezeichnet uns scherzhaft als Flittchen und Prinzessin. In Wahrheit ist sie kein bisschen verrucht, und ich bin nicht annähernd damenhaft genug, um eine Prinzessin zu sein. Wie gesagt, wir haben einiges gemeinsam und bringen uns gegenseitig zum Lachen. Wir sind Thelma und Louise, darum bin ich verwirrt, dass sie sich plötzlich Hals über Kopf in einen Kerl verliebt hat, den ich noch nicht kennengelernt, geschweige denn auf seine Tauglichkeit hin überprüft.

»Meinst du, wir haben genug Alkohol da?«, fragt sie jetzt und mustert kritisch die Flaschen, die auf der Arbeitsplatte in der Küche aufgereiht stehen. Man kann nicht gerade von einer erlesenen Auswahl sprechen. Es ist mehr ein Sammelsurium von Wein und Wodka, billige Supermarktangebote, die wir in den letzten drei Monaten gehortet haben, um dafür zu sorgen, dass man sich noch lange an unsere Party erinnert.

Oder vielleicht auch nicht erinnert.

»Mehr als genug. Es bringt ja auch noch jeder eine Flasche mit«, sage ich. »Das wird super.« Mein Magen knurrt und erinnert mich daran, dass wir seit dem Frühstück nichts mehr gegessen haben.

»Hast du das gehört?«, frage ich und streiche mir über den Bauch. »Mein Magen hat dich gerade gebeten, ein DS Spezial zu machen.«

Sarahs Sandwiches haben das Zeug, die Delancey Street zu einer Legende zu machen. Sie hat mir ihr heiliges Frühstückstrio aus Bacon, Rote Beete und Pilzen beigebracht, und wir haben fast zwei Jahre gebraucht, um unser Sandwich zu finden, den DS Spezial, benannt nach unserer Wohnung.

Lachend verdreht sie die Augen. »Den kannst du dir doch selbst machen.«

»Nicht so wie du.«

Sie öffnet den Kühlschrank. »Das stimmt.«

Ich sehe zu, wie sie Hähnchen, Blauschimmelkäse, Salat, Mayonnaise und Cranberries übereinanderschichtet. Ich weiß, es klingt grässlich, aber ehrlich, das ist es nicht. Seit wir in unserer Unizeit auf diese geniale Sandwichkombination gekommen sind, sorgen wir dafür, dass wir die Zutaten immer vorrätig haben. Es ist quasi unser Hauptnahrungsmittel. Zusammen mit Eiscreme und billigem Wein.

»Die Cranberries machen es«, sage ich nach dem ersten Bissen.

»Es ist eine Frage des richtigen Mengenverhältnisses«, erwidert Sarah. »Zu viele Cranberries, und es ist ein Marmeladensandwich. Zu viel Käse, und du beißt in eine alte Teenagersocke.«

Gerade will ich einen weiteren Bissen nehmen, da stürzt sie sich auf mich und drückt meinen Arm nach unten. »Warte. Wir müssen was dazu trinken, um in Partystimmung zu kommen.«

Ich stöhne, denn als sie zwei Schnapsgläser nimmt, weiß ich, was sie vorhat. Vor sich hin kichernd greift sie in den Schrank, um hinter den Müslidosen eine staubige Flasche hervorzuziehen.

»Mönchspisse«, sagt sie und schenkt feierlich zwei Shots ein. Oder Benedictine, wie der alte Kräuterlikör richtig heißt, der zum Inventar der Wohnung gehörte. Auf der Flasche steht, dass es sich um eine spezielle Mischung geheimer Kräuter und Gewürze handelt. Als wir ihn kurz nach unserem Einzug das erste Mal probierten, beschlossen wir, dass es sich bei einer der geheimen Zutaten um die Pisse eines Benediktinermönches handeln muss. Hin und wieder, normalerweise an Weihnachten, trinken wir jede ein Glas – ein Ritual, das wir gleichermaßen genießen und verabscheuen.

»Runter damit.« Sie grinst und schiebt mir über den Tisch hinweg ein Glas zu. »Frohe Weihnachten, Lu.«

Wir stoßen an, kippen die Shots hinunter, knallen die leeren Gläser auf den Tisch und verziehen die Gesichter.

»Der wird mit dem Alter nicht besser«, flüstere ich und habe das Gefühl, als würde sich die Haut von meinem Gaumen lösen.

»Raketenbrennstoff«, keucht Sarah lachend. »Iss das Sandwich, du hast es dir verdient.«

Schweigend verspeisen wir unsere Sandwiches. Als wir fertig sind, tippt Sarah auf den Rand ihres leeren Tellers.

»Ich denke, weil Weihnachten ist, können wir uns noch ein Würstchen gönnen.«

Ich schüttle den Kopf. »Du darfst den DS Spezial nicht verderben.«

»Es gibt nicht viel im Leben, das durch eine Saveloy-Wurst nicht noch besser wird, Laurie.« Sie zieht beide Augenbrauen hoch. »Man weiß ja nie, vielleicht hast du Glück und bekommst Davids Würstchen heute Nacht zu sehen.«

Angesichts der letzten beiden Blind Dates, die Sarah für mich arrangiert hat, versetzt mich diese Aussicht nicht gerade in Hochstimmung.

»Komm«, sage ich und lege die Teller ins Spülbecken. »Wir machen uns besser fertig, die Gäste kommen bald.«

Ich habe drei Gläser Weißwein intus und bin ziemlich entspannt, als Sarah kommt und mich an der Hand buchstäblich aus der Küche zerrt.

»Er ist da«, flüstert sie und quetscht meine Finger. »Komm und sag Hallo. Du musst ihn sofort kennenlernen.«

Während sie mich wegzieht, lächle ich David entschuldigend zu. Ich verstehe allmählich, was Sarah meinte, als sie sagte, er würde mit der Zeit an Attraktivität gewinnen. Er hat mich schon mehrmals zum Lachen gebracht und mir stets aufmerksam Wein nachgeschenkt. Ich hatte sogar gerade ein winzig kleines Testknutschen in Erwägung gezogen. Er ist ganz nett, ungefähr so, wie Ross aus Friends nett ist. Doch jetzt interessiert es mich mehr, Sarahs Seelenverwandten kennenzulernen.

Sarah zerrt mich vorbei an unseren lachenden, betrunkenen Freunden und an einer Menge Leute, von denen ich mir nicht sicher bin, ob eine von uns sie überhaupt kennt. Schließlich kommen wir bei ihrem Freund an, der unsicher an der Wohnungstür steht.

»Laurie«, Sarah ist aufgeregt, ihre Augen leuchten. »Darf ich dir Jack vorstellen. Jack O’Mara. Jack, das ist Laurie. Meine Laurie.«

Ich öffne den Mund, um Hallo zu sagen, doch dann sehe ich sein Gesicht. Sofort schlägt mir das Herz bis zum Hals. Ich fühle mich, als hätte mir jemand Elektroschockpads auf die Brust geklebt und den Strom voll aufgedreht. Mir kommt kein Wort über die Lippen.

Ich kenne ihn.

Es ist, als hätte ich ihn letzte Woche zum ersten Mal gesehen – und zum letzten Mal. Und zwar vom Oberdeck des überfüllten Busses vor zwölf Monaten.

»Laurie.« Er sagt meinen Namen, und ich könnte weinen vor lauter Erleichterung darüber, dass er da ist. Es klingt vielleicht verrückt, aber das ganze letzte Jahr habe ich mir gewünscht, habe ich gehofft, ihn wiederzusehen. Und jetzt ist er da. Wie viele Menschengruppen habe ich nach seinem Gesicht abgesucht, in wie vielen Bars und Cafés nach ihm Ausschau gehalten. Fast hatte ich nicht mehr daran geglaubt, den Bus Boy jemals zu finden.

Immer wieder hat Sarah gesagt, ich hätte ihr den Bus Boy so genau beschrieben, dass auch sie ihn sofort erkennen würde. Was nicht stimmt, wie sich nun herausstellt. Sie hat ihn nicht erkannt, stattdessen präsentiert sie ihn mir als die Liebe ihres Lebens.

Grün. Seine Augen sind grün. Ein lebendiges Moosgrün an den Rändern der Iris, in das sich an den Pupillen ein warmer Bernsteinton mischt. Aber es ist nicht so sehr die Farbe seiner Augen, die mich umhaut, sondern der Blick, mit dem er mich ansieht. Ein erstauntes Funkeln. Ein Wiedererkennen. Ein schwindelerregender Moment. Und im nächsten Augenblick ist es vorbei und lässt mich zweifeln, ob meine Sehnsucht womöglich so stark ist, dass ich mir das alles nur eingebildet habe.

»Jack«, bringe ich heraus und strecke ihm meine Hand entgegen. Er heißt Jack. »Wie schön, dich kennenzulernen.«

Er nickt, und ein nervöses Lächeln huscht über seine Lippen. »Laurie.«

Schuldbewusst blicke ich zu Sarah. Sicher merkt sie, dass etwas nicht stimmt, doch sie grinst uns beide nur wie verrückt an. Dem billigen Wein sei Dank.

Mit seiner warmen, kräftigen Hand schüttelt er meine fest, fast höflich, als würden wir uns in einer Vorstandsetage begegnen und nicht auf einer Party.

Ich weiß nicht, was ich tun soll, denn alles, was ich tun will, wäre nicht in Ordnung. Ich halte mich an mein Versprechen und bekomme nicht auf der Stelle einen Orgasmus. Aber für das, was mein Herz macht, kann ich keine Garantie übernehmen. Wie um alles auf der Welt konnte so etwas passieren? Er kann nicht Sarah gehören. Er gehört mir. Seit einem ganzen Jahr.

»Ist sie nicht wunderbar?«

Sarah schiebt mich förmlich zu ihm, damit ich ihn auf die Wange küsse, weil sie unbedingt will, dass wir beste Freunde werden. Ich fühle mich elend.

Jack rollt mit den Augen und lacht unsicher, als wäre ihm Sarahs direkte Frage unangenehm.

»Genauso wunderbar, wie du sie beschrieben hast«, stimmt er ihr zu und nickt anerkennend, als würde er den neuen Wagen eines Freundes bewundern. Als er mich ansieht, schleicht sich ein entschuldigender Ausdruck in seinen Blick. Entschuldigt er sich, weil er sich an mich erinnert oder weil Sarah sich wie eine übereifrige Tante auf einer Hochzeit benimmt?

»Laurie?«, wendet sich Sarah an mich. »Ist er nicht genauso großartig, wie ich ihn dir beschrieben habe?« Sie lacht, sie ist stolz auf ihn, ganz wie es sein soll.

Ich nicke und schlucke. Es tut weh, doch ich zwinge mich zu lächeln. »Eindeutig.«

Weil Sarah so versessen darauf ist, dass wir uns mögen, beugt Jack sich gehorsam vor und berührt kurz mit den Lippen meine Wange. »Freut mich, dich kennenzulernen«, sagt er. Seine Stimme passt perfekt zu ihm. Gelassen, selbstsicher, mit einem Hauch zarter Ironie. »Sie redet die ganze Zeit von dir.«

Wieder lache ich unsicher. »Ich habe auch das Gefühl, dich bereits zu kennen.« Und das stimmt. Es kommt mir vor, als würde ich ihn schon immer kennen. Ich möchte mich umdrehen und meine Lippen auf seine legen. Ich möchte ihn atemlos in mein Zimmer zerren und die Tür schließen, ihm sagen, dass ich ihn liebe, ihm die Kleider vom Leib reißen und mit ihm ins Bett steigen. In dem holzigen, frischen, warmen Duft seiner Haut ertrinken.

Ich bin in der Hölle. Ich hasse mich. Zu meiner eigenen Sicherheit gehe ich einen Schritt zurück. Ich versuche, meinen Herzschlag zu beruhigen, der die Musik zu übertönen scheint.

»Wie wär’s mit einem Getränk?«, schlägt Sarah fröhlich vor.

Er nickt, dankbar für den Rettungsring.

»Laurie?« Sarah fordert mich mit dem Blick auf, ihnen zu folgen.

Ich lehne mich zurück, linse über den Flur in Richtung Bad und zapple herum, als müsse ich dringend auf die Toilette. »Ich komme gleich nach.« Bloß weg hier – von ihm, von ihnen, aus dieser Situation.

Als ich im Bad bin, schlage ich die Tür zu, gleite mit dem Rücken an ihr nach unten, stütze den Kopf in die Hände und versuche, nicht zu weinen.

Oh Gott! Oh Gott! Oh Gott! Ich liebe Sarah, sie ist wie eine Schwester für mich. Aber das … Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll, ohne uns allen zu schaden. In meiner Brust flammt Hoffnung auf, als ich mir ausmale, dass ich einfach hinausrenne und mit der Wahrheit herausplatze. Denn dann begreift Sarah, dass sie sich nur zu ihm hingezogen fühlt, weil ihr Unterbewusstsein in ihm den Bus Boy erkannt hat. Ich habe ihn ihr quasi auf dem Silbertablett serviert. Alles nur ein Missverständnis! Wir werden über die absurde Situation lachen und … was dann? Sie tritt gnädig zurück, und mir nichts, dir nichts ist er einfach mein neuer Freund? Ich glaube ja noch nicht einmal, dass er mich erkannt hat!

Bleischwer legt sich die Realität auf die zarte lächerliche Hoffnung und zerquetscht sie. Das kann ich unmöglich tun. Natürlich nicht. Sarah hat keine Ahnung und, meine Güte, sie ist so glücklich. Sie strahlt heller als der Stern über Bethlehem. Es mag Weihnachten sein, aber das hier ist das richtige Leben und nicht irgendein kitschiger Hollywoodstreifen. Sarah ist meine beste Freundin, und egal, wie sehr und wie lange ich auch leide, ich werde niemals stumm Schilder hochhalten, um Jack O’Mara ohne Hoffnung oder Hintergedanken zu erklären, dass er für mich vollkommen ist und mein geschundenes Herz ihn immer lieben wird.

19. DEZEMBER

Jack

Gott, wie schön sie aussieht, wenn sie schläft.

Mein Hals fühlt sich an, als hätte jemand Sand hineingeschaufelt, und ich glaube, Sarah hat mir die Nase gebrochen, als sie letzte Nacht den Kopf nach hinten warf. Doch in diesem Moment vergebe ich ihr alles. Mit ihrem feuerroten Haar, das sich auf das Kopfkissen ergießt, sieht sie aus, als würde sie unter Wasser schweben. Wie eine Meerjungfrau.

Ich steige aus dem Bett und werfe mir das erstbeste Kleidungsstück über: Sarahs Bademantel mit einem kitschigen Ananas-Print. Ich habe keine Ahnung, wo meine eigenen Sachen sind, aber ich brauche dringend eine Kopfschmerztablette. Bei dem Zustand der Gäste gestern Abend würde es mich nicht überraschen, ein oder zwei von ihnen auf dem Wohnzimmerboden vorzufinden. Ich bin mir sicher, dass sie die Ananas weniger erschrecken als mein nackter Hintern. Mist, der Bademantel ist verdammt kurz. Egal, ich springe nur schnell in die Küche.

»Wasser«, krächzt Sarah und streckt die Hand nach mir aus, als ich ums Bett gehe.

»Ja«, murmle ich. Während ich ihren Arm hebe und ihn vorsichtig zurück unter die Decke stecke, hält sie die Augen geschlossen und gibt lediglich einen Laut von sich, der Danke bedeuten könnte oder auch Herrje, hilf mir. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.

»Bin sofort zurück«, flüstere ich, aber sie schläft bereits wieder. Ich werfe ihr einen letzten Blick zu, schleiche leise aus dem Zimmer und ziehe vorsichtig die Tür hinter mir ins Schloss.

»Wenn du Paracetamol brauchst, die sind links in dem Schrank.«

Ich bleibe kurz stehen, schlucke schwer, während ich den Schrank öffne, und krame darin herum, bis ich die kleine blaue Schachtel entdecke.

»Du kannst Gedanken lesen«, sage ich und drehe mich zu Laurie um. Um die peinliche Situation zu überspielen, versuche ich, lässig zu lächeln. Ich habe sie schon einmal gesehen – vor gestern Abend, meine ich. Nur ein Mal, ganz flüchtig, aber seither ist ihr Bild öfter in meinem Kopf aufgetaucht: in irgendwelchen verstörenden, sehr real wirkenden Träumen in den frühen Morgenstunden, aus denen ich frustriert erwachte. Ich weiß nicht, ob sie sich noch an mich erinnert. Hoffentlich nicht. Vor allem jetzt nicht, wo ich in einem lächerlichen Ananas-Bademantel vor ihr stehe, der nur knapp mein Gemächt bedeckt.

Ihr dunkles Haar ist heute Morgen zu einem wilden Knoten aufgetürmt. Sie sieht aus, als bräuchte sie die Tabletten genauso dringend wie ich, also halte ich ihr die Schachtel hin.

Sarah hat mir ihre beste Freundin so genau beschrieben, dass ich mir schon ein Bild von Laurie gemacht habe, bevor wir uns getroffen haben. Doch das Bild war völlig falsch. Sarah ist eine so auffällige Erscheinung, dass ich mir ihre Freundin schlicht genauso schillernd vorgestellt hatte. Wie zwei exotische Papageien, die hier oben in ihrem Käfig hocken. Doch Laurie ist kein Papagei. Sie ist eher … ich weiß nicht, ein Rotkehlchen vielleicht. Von ihr geht etwas Friedliches aus. Sie wirkt auf eine unaufdringliche Weise zufrieden mit sich, was ihre Gesellschaft sehr angenehm macht.

»Danke.« Sie nimmt die Tabletten und drückt zwei in ihre Hand.

Ich reiche ihr ein Glas Wasser, und sie prostet mir damit zu. Als sie schluckt, verzieht sie das Gesicht.

»Hier«, sagt sie und zählt, wie viele Tabletten noch übrig sind, bevor sie mir die Packung zurückgibt. »Sarah nimmt …«

»Drei«, komme ich ihr zuvor.

Sie nickt. »Drei.«

Es wirkt ein bisschen so, als führten wir einen Wettstreit darum, wer Sarah besser kennt. Sie natürlich. Sarah und ich sind erst seit etwa einem Monat zusammen, aber was war das für eine turbulente Zeit. Meistens muss ich mich anstrengen, um mit ihr mitzuhalten. Das erste Mal bin ich ihr im Fahrstuhl bei der Arbeit begegnet. Wir saßen zusammen darin fest, und als er sich nach einer Viertelstunde wieder in Bewegung setzte, wusste ich drei Dinge. Erstens: Jetzt mag sie noch eine Nachwuchsreporterin bei einem lokalen Fernsehsender sein, aber eines Tages wird sie sehr wahrscheinlich die Welt beherrschen. Zweitens: Ich würde sie zum Mittagessen einladen, sobald der Fahrstuhl repariert war, weil sie es mir so gesagt hatte – was ich aber auch ohne ihre Anweisung getan hätte. Und drittens: Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie den Aufzug selbst angehalten und ihn wieder angeschaltet hat, nachdem sie bekommen hatte, was sie wollte. Diese skrupellose Seite an ihr ist extrem sexy.

»Sie hat mir viel über dich erzählt.« Ich fülle den Wasserkocher und schalte ihn an.

»Hat sie dir erzählt, wie ich meinen Kaffee trinke?«

Laurie holt Becher aus dem Schrank, und ich schäme mich dafür, dass mein Blick reflexartig an ihrem Körper hinuntergleitet. Ihr Pyjama bedeckt viel Haut, dennoch fallen mir ihre geschmeidigen Bewegungen auf, der Schwung ihrer Hüfte, ihre dunkelblau lackierten Zehennägel.

»Ähm …« Ich konzentriere mich auf die Suche nach einem Teelöffel. Da streckt sich Laurie in meine Richtung. Sie zieht die Schublade heraus und zeigt mir, wo sie sind.

»Hab ihn«, sage ich und greife im selben Moment danach wie sie. Sie zieht ihre Hand zurück und bemüht sich, die abrupte Bewegung mit einem Lachen zu überspielen.

Während ich den Kaffee in die Becher fülle, setzt sie sich auf einen der Küchenstühle.

»Um deine Frage zu beantworten, nein. Sarah hat mir nicht erzählt, wie du deinen Kaffee trinkst, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen …« Ich drehe mich um, lehne mich an die Arbeitsplatte und mustere sie mit zusammengekniffenen Augen. »Würde ich sagen, dass du ihn stark magst. Zwei Löffel.« Sie mustert mich ihrerseits, ohne eine Miene zu verziehen. »Zucker?«, fahre ich fort und reibe mir mit der Hand über den Nacken. »Nein. Eigentlich würdest du gern welchen nehmen, verbietest es dir aber.« Was zum Teufel rede ich da? Ich klinge, als wollte ich sie anmachen. Das will ich nicht. Ehrlich nicht. Dass sie mich für einen Aufreißer hält, ist das Letzte, was ich will.

Laurie zieht eine Grimasse, dann schüttelt sie den Kopf. »Zwei Löffel Zucker.«

»Du machst Witze.« Ich lache.

Sie zuckt mit den Schultern. »Nein. Ich nehme zwei Löffel Zucker. Manchmal auch zweieinhalb, wenn mir danach ist.«

Wann ist ihr danach?, frage ich mich. Wann braucht sie mehr als zwei Löffel Zucker? Herrje, ich muss dringend diese Küche verlassen und ins Bett zurück. Ich glaube, ich kann gerade nicht klar denken.

»Eigentlich«, sagt Laurie und steht auf, »möchte ich jetzt gar keinen Kaffee.« Mit diesen Worten tritt sie den Rückzug in Richtung Tür an. Es fällt mir schwer, den Ausdruck in ihren müden Augen zu deuten. Vielleicht habe ich sie beleidigt. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie einfach nur kaputt.

Laurie

»Und? Was meinst du?«

Es ist vier Uhr, als ich mich neben Sarah an den Küchentisch mit der hellblauen Resopalplatte fallen lasse. Nachdem wir die Wohnung wieder in einen einigermaßen normalen Zustand gebracht haben, gönnen wir uns beide einen großen Kaffee und pflegen den Rest unseres Katers. Der Weihnachtsbaum, den wir vor ein paar Tagen die Treppe hinaufgeschleppt haben, sieht etwas mitgenommen aus, als hätte ihn eine Meute Katzen in der Mangel gehabt. Doch abgesehen davon und bis auf einige zerbrochene Weingläser, hat die Wohnung die Party gut überstanden. Gegen Mittag habe ich gehört, wie Jack gegangen ist. Mein Bemühen, cool mit der Situation umzugehen, ist kläglich gescheitert. Wie ein Stalker in einem Horrorfilm habe ich mich hinter meinem Schlafzimmervorhang versteckt und beobachtet, wie er die Straße hinuntergelaufen ist.

»Es war gut, oder?«, erwidere ich und verstehe Sarahs Frage absichtlich falsch, um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.

Sie verdreht die Augen. »Du weißt, was ich meine. Was hältst du von Jack?«

Und so fängt es an. Ein feiner Riss hat sich in unsere Beziehung geschlichen. Sarah ist sich dessen noch nicht einmal bewusst, und ich muss irgendwie verhindern, dass sich eine Kluft auftut, in die wir beide Hals über Kopf hineinstürzen. Mir ist bewusst, dass dieser Moment die einzige Chance ist, reinen Tisch zu machen. Ich habe die Wahl, ob ich die Gelegenheit nutze oder nicht. Doch weil Sarah mich so hoffnungsvoll ansieht und weil ich ja noch nicht einmal weiß, ob ich mir das Ganze nur eingebildet habe, schwöre ich mir im Stillen, für immer zu schweigen.

»Er scheint … nett zu sein«, sage ich und wähle absichtlich einen nichtssagenden, banalen Begriff für den tollsten Mann, dem ich jemals begegnet bin.

»Nett?« Sarah schnaubt. »Laurie, nett sagt man zu Fellpantoffeln oder, ich weiß nicht, Schokoladen-Eclairs oder so.«

Ich lache schwach. »Zufällig mag ich Fellpantoffeln sehr gern.«

»Und ich mag zufällig sehr gern Schokoladen-Eclairs, aber Jack ist kein Schokoladen-Eclair. Er ist …« Sie verstummt und denkt nach.

Wie Schneeflocken auf der Zunge, möchte ich ergänzen, oder Bläschen im Champagner. »Sehr nett?« Ich lächle. »Ist das besser?«

»Nicht annähernd. Er ist … er ist eine Schillerlocke.«

Sie lacht verwegen, sieht mich jedoch mit verträumtem Blick an, und ich glaube nicht, dass ich mir anhören möchte, wie sie versucht, mich von Jacks Vorzügen zu überzeugen. Darum zucke ich mit den Schultern und sage schnell: »Okay, okay. Er ist … nun ja, er scheint amüsant zu sein, und man kann sich gut mit ihm unterhalten. Und du hast ihn ganz offensichtlich um den kleinen Finger gewickelt.«

Sarah lacht schnaubend. »Ja, oder?« Sie macht den kleinen Finger krumm, und wir nicken uns über unsere Kaffeebecher hinweg zu. Sie sieht aus wie vierzehn. Sie ist ungeschminkt, und die Haare hängen in zwei langen Zöpfen über ihrem »My little Pony«-T-Shirt.

»Hast du ihn dir so vorgestellt?«

Oh Gott, Sarah, bitte hör auf. Wenn du so weitermachst, kann ich vermutlich doch nicht ewig schweigen.

»Ich weiß gar nicht genau, was ich erwartet habe«, sage ich, weil es der Wahrheit entspricht.

»Ach, komm schon, du musst doch irgendein Bild im Kopf gehabt haben.«

Ich hatte Jack O’Maras Bild zwölf Monate lang im Kopf. »Nun ja. Ich glaube, er ist ungefähr so, wie ich mir deinen perfekten Mann vorgestellt habe.«

Sie lässt seufzend die Schultern sinken, als habe ihr allein der Gedanke an seine Großartigkeit den letzten Rest Energie geraubt und sie wieder in den Zustand der Erschöpfung zurückfallen lassen. Ich bin erleichtert, dass wir beide noch verkatert sind, denn das ist eine gute Ausrede für meine mangelnde Begeisterung.

»Aber er ist doch heiß, oder?«

Ich blicke schnell nach unten in meinen Kaffeebecher, damit sie nicht meinen panisch schuldbewussten Blick sieht und die Wahrheit in meinen Augen liest. Als ich wieder aufsehe, blickt sie mich an. Ihre unsichere Miene verrät mir, dass sie sich nach meiner Zustimmung sehnt. Ich verstehe das, gleichzeitig reizt es mich. Sarah ist in der Regel immer die eindrucksvollste Frau in einem Raum – ganz egal wo. Sie ist es gewohnt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Dadurch hätte sie frühreif, affektiert oder prätentiös werden können. Sie ist nichts von alledem. Obwohl klar ist, dass sie jeden Kerl bekommt, den sie haben will. Das heißt, dass ihre Freunde meist überaus gut aussehend sind. Bisher sind wir uns in Liebesdingen also nicht in die Quere gekommen. Aber jetzt …

Was soll ich nur sagen? Eine richtige Antwort gibt es nicht. Wenn ich sage: »Ja, er ist heiß«, klingt es, als würde er mich interessieren. Und wenn ich sage: »Nein, er ist nicht heiß«, ist sie beleidigt.

»Er ist anders als deine sonstigen Typen«, versuche ich es.

Sie nickt nachdenklich und beißt sich auf die Unterlippe. »Ich weiß. Du kannst ruhig ehrlich sein, ich bin nicht beleidigt. Er ist nicht so offensichtlich gut aussehend, wie du erwartest hast. Willst du das sagen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht. Ich sage nicht, dass er nicht gut aussieht oder so, nur eben anders als deine anderen Freunde.« Ich zögere und werfe ihr einen wissenden Blick zu. »Dein letzter Freund hat mehr wie Matt Damon ausgesehen als Matt Damon selbst.«

Sie lacht, denn es stimmt. Ich habe ihn sogar versehentlich mit Matt angesprochen, was für ihn okay war. Sarah entschied ohnehin nach dem vierten Date, dass sein gutes Aussehen sie nicht für die Tatsache entschädigte, dass er dreimal am Tag mit seiner Mum telefonierte.

»Jack wirkt irgendwie erwachsener.« Sie seufzt und legt die Hände um ihren Becher. »Die anderen wirken gegen ihn wie Jungs. Klingt das lächerlich?«

Gedankenverloren schüttle ich den Kopf. »Nein. Ich finde das nicht lächerlich.«

»Ich glaube, er musste früh erwachsen werden«, sagt Sarah. »Er hat vor ein paar Jahren seinen Vater verloren. Er hatte Krebs, glaube ich.« Sie hält inne. »Danach musste er sich eine ganze Weile intensiv um seine Mutter und seinen jüngeren Bruder kümmern.«

Er hat mein tiefes Mitgefühl. Ich habe ähnliches erlebt und weiß, wie schrecklich das gewesen sein muss.

»Er scheint ein ziemlich cooler Typ zu sein.«

Sarah wirkt erleichtert. »Ja, das ist er. Er ist auf seine ganz eigene Art cool. Er schwimmt nicht mit dem Strom.«

»Klingt gut.«

Eine Weile schweigen wir beide. Dann sagt sie unvermittelt: »Er mag dich.«

»Hat er das gesagt?« Es sollte beiläufig klingen, doch ich befürchte, dass ich mich eher verzweifelt angehört habe. Wenn dem so ist, lässt Sarah sich nichts anmerken.

»Das spüre ich. Ihr zwei werdet beste Freunde.« Sie grinst und steht auf. »Wart’s nur ab. Du wirst ihn mögen, wenn du ihn erst richtig kennst.«

Sie schlendert in Richtung Küchentür und versetzt meinem Dutt im Vorbeigehen einen liebevollen Stups. Ich unterdrücke den Impuls, aufzuspringen und sie fest in die Arme zu schließen – um sie um Entschuldigung zu bitten und gleichzeitig um Verständnis anzuflehen. Stattdessen greife ich nach der Zuckerdose und schütte noch mehr Zucker in meinen Kaffee. Zum Glück fahre ich bald nach Hause, um Weihnachten mit meiner Familie zu verbringen. Ich brauche unbedingt Zeit, um herauszufinden, wie zum Teufel ich mit dieser verfahrenen Situation umgehen soll.

Neujahrsvorsätze