Mit dir allein - Josie Silver - E-Book
SONDERANGEBOT

Mit dir allein E-Book

Josie Silver

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Zwei Fremde. Eine einsame Hütte. Und eine Begegnung, die alles verändert

Cleo glaubt nicht mehr an die große Liebe. Mack wurde das Herz gebrochen. Beide wollen nur eins: Allein sein in der Abgeschiedenheit und Ruhe der Natur. Doch als sie an einem stürmischen Tag auf einer kleinen Insel vor der Tür derselben Hütte stehen, sind sie plötzlich zu zweit. Tagsüber geht jeder seiner Wege. Aber als es Nacht wird, hält Mack es nicht mehr aus, und erzählt von seiner Sehnsucht und seinem Schmerz. Seine Worte treffen mitten in Cleos Herz. Mit ihm kann sie ihre tiefsten Gefühle teilen – Gefühle, die sie bisher nicht zugelassen hat. Nur, was geschieht, wenn der Tag anbricht?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 545

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Als Kolumnistin schreibt Cleo täglich über Liebesgeschichten. Nur ihre eigene hat noch nicht begonnen. Cleos Chefin ist überzeugt, dass sie erst herausfinden muss, was sie glücklich macht. Darum bucht sie Cleo zu ihrem dreißigsten Geburtstag eine einsame Hütte auf einer kleinen Insel vor der Küste Irlands. Der perfekte Ort, um ganz bei sich zu sein. Doch als sie dort ankommt, öffnet zu ihrer Überraschung ein schlecht gelaunter Amerikaner die Tür. Mack hat die Hütte ebenfalls für sich allein gebucht und will hier zur Ruhe kommen. Trotzig beschließen sie, sich die Hütte zu teilen und sich, so gut es geht, aus dem Weg zu gehen. Bis Mack eines Abends das Schweigen bricht und Cleo erzählt, warum er hier ist. Nacht für Nacht erzählen sich die beiden alles voneinander. Mit jedem Tag spürt Cleo mehr, was für sie im Leben wichtig ist. Da ist Mack, aber da ist auch ihre neu gewonnene Freiheit. Kann sie die große Liebe festhalten, ohne sich selbst dabei zu verlieren?

Die Autorin

Josie Silver ist eine hoffnungslose Romantikerin, die ihren Ehemann an seinem 21. Geburtstag kennenlernte, nachdem sie ihn fast über den Haufen gerannt hätte. Mit ihm, den beiden Söhnen und einer wachsenden Zahl von Haustieren lebt Josie Silver in einer kleinen Stadt in den Midlands. Seit ihrem Debüt »Ein Tag im Dezember« stürmt sie mit ihren Büchern weltweit die Bestsellerlisten.

Lieferbare Titel

978-3-453-42292-6 – Ein Tag im Dezember

978-3-453-42355-8 – Zwei in einem Herzen

Josie Silver

Roman

Aus dem Englischen von Irene Eisenhut

Wilhelm Heyne Verlag

München

Die Originalausgabe One Night on the Island erschien erstmals 2022 bei Penguin Books, Penguin Random House UK, London.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 02/2023

Copyright © 2022 by Josie Silver

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Sandra Ladwig

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO GbR, München,

unter Verwendung von Shutterstock.com (Oksvik, Wilm Ihlenfeld, denisik11)

Satz und E-Bock Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-29688-9V002

www.heyne.de

Für die absolut fabelhafte Katy Loftus

Cleo

London, 28. September

Auf der Suche nach meinem Flamingo

»Du willst mich echt auf eine einsame Insel schicken, damit ich mich selbst heirate?«

Eine warme Röte wandert langsam meinen Hals hinauf, während ich Ali, meiner erschreckend rätselhaften Chefin von Women Today, an ihrem Schreibtisch gegenübersitze. Im Laufe der Jahre hat sie mich schon um einige ziemlich schräge Sachen gebeten, aber das hier übertrifft alles.

»Die Heirat ist nicht rechtskräftig«, antwortet sie, als würde es das besser machen.

»Hör mal«, entgegne ich, kneife meinen Nasenrücken und wähle meine Worte sorgfältig. »Wenn ein Promi in einem Interview in der Vogue erklärt, er sei mit sich ›selbst verpartnert‹, ist das eine Sache, Ali. Aber wenn eine fast dreißigjährige Journalistin, die eine Dating-Kolumne verfasst, behauptet, das Gleiche zu tun, ist das etwas völlig anderes.«

Ich gerate bei der Erwähnung meines Alters ins Stocken, die Zahl klebt wie Kaugummi an meinem Gaumen. Bis ich neunundzwanzig und drei Viertel wurde, fühlte sich die Dreißig an wie ein ganz normales weiteres Jahr. Jetzt aber, wo mein runder Geburtstag vor der Tür steht, beschleichen mich alle möglichen unerwarteten und unerwünschten Ängste. Ich war – und bin – fest entschlossen, kein großes Drama daraus zu machen. Doch mit jedem Tag, der vergeht, scheint mir jemand ein zusätzliches Gewicht auf die Schultern zu legen – eines dieser gusseisernen Minigewichte, mit denen altmodische Küchenwaagen ausgestattet sind. Unter winzigen, unsichtbaren Küchengewichten verschwinde ich, was Ali bemerkt, denn sie bemerkt alles. Sie hat es nicht bis zur Herausgeberin eines der führenden britischen Online-Lifestyle-Magazine geschafft, indem sie sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht hat, ihren kometenhaften Aufstieg hat selbst die Branche blass vor Neid und gleichzeitig voller Respekt registriert. Ich schätze mich glücklich, für sie zu arbeiten, und würde sogar so weit gehen, sie als Freundin zu bezeichnen. Eine vor Energie sprühende Freundin mit Laseraugen, die mir Angst macht und die mich dazu bringt, Dinge zu tun, die ich nicht tun will. Wie zum Beispiel, mich auf eine einsame irische Insel zu begeben, von der ich noch nie etwas gehört habe, um dort den Bund der Ehe mit mir selbst einzugehen.

»Ganz ehrlich, Clee, ich bin am Wochenende auf dieses alte Interview mit Emma Watson gestoßen und konnte an niemand anderen denken als an dich.« Begeistert von ihrer Idee, erhebt sich Ali von ihrem Stuhl und geht auf und ab. »Eine Reihe erfolgloser, katastrophaler Dates, bald dreißig Jahre alt« – während sie spricht, hakt sie die Liste an ihren Fingern ab – »versucht sie, unter dem Druck der Medien und den Erwartungen, die die anderen an sie stellen, ihren Platz als alleinstehende Frau zu finden.«

»Die arme Emma, sie tut mir wirklich schrecklich leid«, sage ich. »Den Lebensunterhalt damit zu verdienen, Robert Pattinson zu knutschen, muss schrecklich sein.« R-Patz, wie seine Fans ihn nennen, hinterließ bei meinem jugendlichen Ich mit all seinem unsterblichen Glitzer einen bleibenden Eindruck. Ist es nach derart unrealistischen Erfahrungen verwunderlich, dass ich Schwierigkeiten habe, die wahre Liebe in meinem Leben zu finden? Aber das ist Stoff für eine völlig andere Kolumne.

»Sie hat noch nie R-Patz knutschen müssen. Mach Emmas Beitrag nicht schlecht, damit du dich besser fühlst. Du weißt, dass ich hier an einer guten Story dran bin.«

Ich zupfe an einem losen Faden auf der Armlehne des Bürostuhls.

»Es ist nicht ganz fair zu behaupten, dass ich eine Reihe von Dating-Katastrophen erlebt habe. Das ist ja immerhin mein Job.«

»Ich weiß, ich weiß. Wir bezahlen dich dafür, nach rechts zu wischen und dein wunderbares Herz auf der Zunge zu tragen. Und wir lieben dich für deinen Optimismus und den Glauben daran, deinen Flamingo zu finden.«

»Auf der Suche nach meinem Flamingo« heißt meine Online-Kolumne, weil Flamingos ein Leben lang zusammenbleiben. Wir haben bei der Wahl des Titels auch mit anderen, monogam lebenden Tieren herumexperimentiert, wie zum Beispiel Gibbons, aber da drängte sich einem sofort das Bild einer Affenhorde mit roten Hinterteilen auf, die sich gegenseitig in den Ohren herumstochern, und bei »Auf der Suche nach meinem Elefanten« kam unwillkürlich die unerwünschte Assoziation mit dem Porzellanladen auf. »Auf der Suche nach meinem Flamingo« erschien passend, auch wenn meine Begeisterung sich dafür im Laufe der Zeit gelegt hat, nicht zuletzt deshalb, weil ich so viel Flamingo-Nippes geschenkt bekommen habe, dass ich damit einen Laden aufmachen könnte.

»Hör mal, Clee, du musst an deinem Geburtstag etwas machen, das dem Anlass gerecht wird. Die Zahl markiert einen einschneidenden Moment im Leben einer Frau.« Ali legt eine Kunstpause ein, wie immer, wenn noch etwas Schlimmes folgt. »Entweder das oder das Tattoo.«

Ich seufze. Klar, dass sie das aufs Tapet bringen würde. Das Tattoo hat sich zu einem Insiderwitz in den Teambesprechungen entwickelt. Immer, wenn ich mich damit herumquäle, meine Kolumne mit Inhalt zu füllen, wirft mir jemand einen Seitenblick zu und schlägt vor, dass ich mir doch einen Flamingo tätowieren lassen soll, möglichst an einer Stelle, an der er nicht so leicht zu kaschieren ist.

»Ja, klar. Hör mal, Ali, mir hat schon immer gefallen, was Emma zur Selbstverpartnerung gesagt hat«, beginne ich vorsichtig. »Ich hab’s verstanden. Sie wollte klarstellen, dass sie sich selbst genug ist. Dass sie allein, aber nicht einsam ist.«

Ali nickt. Sie unterbricht mich nicht. Sie ist hervorragend dar- in, ihr Schweigen einzusetzen, um das zu bekommen, was sie will.

»Emma ist eine dynamische, unabhängige Frau, die weiß, dass es mehr als nur einen Weg gibt, um ein erfülltes Leben zu haben«, fahre ich fort. »Sie ist keine Versagerin, nur weil sie keinen festen Partner und keinen Haufen Kinder hat. Und sie würde sich auch nicht von der Tatsache unter Druck setzen lassen, dass ihre beiden Schwestern und ihr Bruder verheiratet sind und eigenen Nachwuchs haben. Oder sich gezwungen fühlen, ihr Single-Dasein bei jedem Familientreffen zu verteidigen, selbst wenn sie in einem Meer von Hochzeits- und Babypartyeinladungen ertrinkt. Ich meine, ich freue mich wirklich für sie alle, aber, Herrgott noch mal, müssen sie mir das wirklich in goldener Kursivschrift unter die Nase reiben?«

Ich verstumme, denn ich merke, dass ich lauter geworden bin und nicht mehr über Emma Watson, sondern über mich spreche. Außerdem habe ich meinen Bruder Tom unfairerweise in meine Beschwerdeliste aufgenommen, dabei ist er doch das einzige Mitglied in meiner Familie, das weder meinen schwindenden Eiervorrat noch meinen fehlenden Lebenspartner je erwähnt. Von meinen drei Geschwistern liegen wir altersmäßig am weitesten auseinander, sieben Jahre, um genau zu sein, in jeder anderen Hinsicht stehen wir uns aber am nächsten. Ihm die Rolle einer Vaterfigur in meinem Leben zuzuweisen wäre einfach, denn ich war noch klein, als unser Vater starb. Aber Tom war derjenige, der meinem jugendlichen Ich eine verbotene Zigarette unter dem Tisch zusteckte und der mich deckte, wenn ich nachts bis in die Puppen ausblieb. Offenbar kommen wir beide nach meinem Vater – dunkles Haar und Augen, die Sorgen verheißen –, wenn man Mom glauben darf.

Ali setzt sich wieder hin, völlig unbeeindruckt von meiner Rede, die Finger in einer Weise verschränkt, die darauf schließen lässt, dass sie entweder nachdenkt oder betet. »Genau das ist mein Punkt«, sagt sie schließlich. »Das ist die perfekte Gelegenheit, um dem Druck der großen Überraschungsparty zu entgehen, die deine Familie für deinen Geburtstag plant, ein triftiger Grund, dich auf höfliche Weise vor allen bevorstehenden Hochzeiten und Babypartys zu drücken, und die Chance, nach drei Jahren zum ersten Mal wieder zu verschnaufen.«

»Meine Familie plant eine Überraschungsparty?«

Ali nickt. »Deine Mom hat mir letzte Woche eine E-Mail geschickt, um zu fragen, ob du dir freinehmen kannst. Außerdem hat sie mich um eine Liste all deiner«, Ali deutet Anführungszeichen in der Luft an, »Londoner Freunde gebeten. Sie erwähnte auch, dass sie dabei ist, deine alten Schulkameraden auf Facebook ausfindig zu machen, ebenso deine Ex-Freunde. Das ist quasi deine Beerdigung, ohne dass du stirbst.«

Mich juckt es in den Fingern, Tom eine Nachricht zu schicken, um nähere Infos zu bekommen. Ich liebe meine Familie von ganzem Herzen, aber sie kennt mich doch sicher gut genug, um zu wissen, dass es für mich die Hölle wäre, wenn die Geister meiner Vergangenheit mir in einem abgedunkelten Partyraum begegnen? Da lass ich mir lieber dieses Tattoo stechen. In mein Gesicht.

»Also entweder eine riesige Geburtstagsparty, oder ich nehme deinen Vorschlag an und heirate mich selbst auf einer einsamen Insel vor der irischen Küste, von der noch nie jemand was gehört hat?«, fasse ich unser Gespräch zusammen.

»Sie heißt Salvation Island«, klärt Ali mich auf. Ihre zufriedene Miene verrät mir, wie sehr sie sich über den sinnigen Namen dieser Insel freut. Wahrscheinlich hat sie ihn selbst per Urkunde ändern lassen oder was auch immer dafür nötig war, getan. Ali würde vor so einem Trick nicht zurückschrecken, wenn sie dadurch eine größere Leserschaft zu gewinnen glaubt.

»Wir übernehmen alle Kosten«, fügt sie hinzu, als würde das den Ausschlag für meine Entscheidung geben.

»Kann ich mich nicht in meiner Wohnung selbst verpartnern?«

»Nein.«

»Und wie wär’s mit den Malediven?«

»Da übernehmen wir nicht alle Kosten.«

»Wird’s auf der Insel kalt sein?«

Alis Gesicht verzerrt sich, als sie versucht, eine Grimasse in ein Lächeln zu verwandeln. »Jetzt komm schon. Wer hat schon je sein bestes Werk unter einem Sonnenschirm verfasst? Stell dir ein inspirierendes Holzfeuer vor«, sagt sie mit leuchtenden Augen und hat mich fast weichgekocht.

Ich wäge meine Alternativen ab. Allein der Gedanke, demnächst dreißig zu werden, lässt meinen Angstpegel wieder in die Höhe schießen. Diesen Tag mit einer riesigen Party zu begehen, umgeben von Menschen, die ich gar nicht mehr richtig kenne und die zweifellos Eheringe tragen werden wie Medaillen, lässt mein Herz nach dem imaginären Koffer greifen.

»Ich liebe Irland«, sage ich leise und spüre, wie Alis Netz sich um mich zuzieht, was von Anfang an ihr Plan war.

Sie nickt. »Die Hütte ist wunderschön, und sie liegt ganz abgelegen.« Ali hält inne. »Der Traum einer jeden Schriftstellerin.«

Sie sagt Worte, von denen sie sicher sein kann, dass sie mich mitten ins Herz treffen. Ich verfasse zwar nur die Dating-Kolumne von Women Today, aber dank weinseliger Abende weiß sie von der Schriftstellerin, die in mir schlummert, und von den zerbrechlichen Jugendträumen, die das Londoner Leben fast unter sich begraben hat. Ich bewundere und beneide sie, wie sie es schafft, genau das Richtige zu sagen, um einen zarten Hoffnungsschimmer in mir aufflackern zu lassen. »Woher kennst du überhaupt diesen Ort?«, frage ich schwankend.

Ali seufzt. »Carole hat mir nähere Infos geschickt. Eine ihrer Hippie-Freundinnen hat die Hütte als Reiki-Retreat genutzt oder versucht, ihre negativen Energien dort zu kanalisieren, so was in der Art. Du weißt ja, wie sie ist. Sie denkt immer, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stehe.« Carole, Alis Schwägerin, drückt ihre Sorge durch entsprechende Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke aus: Gutscheine für Schröpfbehandlungen, Handbücher zur Entrümpelung des Lebens, ein tibetischer Gong, den Ali manchmal schlägt, wenn sie die Aufmerksamkeit von all ihren Mitarbeiterinnen haben möchte. »Betrachte es als Flitterwochen«, sagt sie und lenkt das Gespräch zurück auf das ursprüngliche Thema. »Als … dienstlich angeordnete Flitterwochen.« Sie versucht nicht einmal zu verbergen, wie sehr sie sich darüber freut, mir eine Hochzeitsreise aufzudrängen.

»Gibt’s dort WLAN?«, frage ich und klammere mich an einen letzten Strohhalm, denn wenn ich meine Kolumne nicht verschicken kann, hat sich die Sache erledigt.

»Eigentlich nicht, aber würde ich dich irgendwo hinschicken, wo es das nicht gibt?«, erwidert sie schaudernd. »Das Dorf hat WLAN – und liegt anscheinend nur zehn Minuten zu Fuß von der Hütte entfernt.«

Prima. Kälte, Feuchtigkeit und ich kann nicht einmal Insta checken, wenn ich auf dem Klo bin. »Du hast die Reise schon gebucht, oder?«, frage ich resigniert.

Ali summt den Hochzeitsmarsch, greift in ihre Schublade und schiebt eine rote Pudelmütze über den Schreibtisch. »Du fliegst am Freitag.«

Cleo

Irgendwo auf dem Atlantik, vier Tage später

Vorhersage: Hohe Wahrscheinlichkeit, ungebetene Ratschläge zu erhalten

Ich sterbe gleich, und Emma Watson ist daran schuld.

Wenn ich Handyempfang hätte, würde ich Ali anrufen und fluchen wie ein Seemann, was absolut zutreffend wäre, denn ich befinde mich auf einem Schlepper, mitten auf dem gnadenlosen Atlantik. Ich komme mir vor wie auf einem Piratenschiff in einem Vergnügungspark, nur ohne das geringste Gefühl von Sicherheit oder Spaß.

Salvation Island – die Insel des Seelenheils – im Irischen heißt sie Slánú, aber Ali hat mir erzählt, dass die meisten Menschen sie Salvation nennen. Wahrscheinlich, um auf Geschirrtüchern und anderem touristischen Schnickschnack mit dem Gruß »Willkommen auf Salvation« schön viel Geld herauszuschlagen. Hätte ich die Kraft, würde ich den Namen ironisch finden. Stattdessen klammere ich mich an die glitschige Reling neben meiner Sitzbank und murmle ein selbst erfundenes Gebet, dass ich ja sicher den Hafen erreiche. Ich zittere in meiner für dieses Wetter unzureichenden Jacke, während die eiskalte Gischt mir mitten ins Gesicht spritzt, und wünsche mir nichts sehnlicher, als eine Kapuze aufzuhaben statt der klitschnassen scharlachroten Wollmütze, die Ali mir geschenkt hat.

»Richten Sie Ihren Blick auf den Horizont, das hilft gegen die Seekrankheit.«

Ich blinzele den einzigen Passagier an Bord des Schiffes an und strafe seinen ungebetenen Rat mit Nichtachtung. Mir ist unbegreiflich, wieso ich wie eine Stoffpuppe herumgeschleudert werde, während er auf der gegenüberliegenden Bank sitzt, als hätte er sich daran festgeschnallt. Vielleicht hat er das ja auch. Der Typ sieht aus wie jemand, der das Haus nie ohne einen Karabinerhaken in der Tasche verlässt. Wahrscheinlich bereiten ihm Abenteuerurlaube des Special Air Service der britischen Armee Vergnügen.

»Mir geht’s gut, danke«, schreie ich, um mir so Gehör zu verschaffen.

»Schön, Sie sehen nur ein bisschen … grün aus«, schreit er zurück. Ich kann seinen Akzent nicht richtig zuordnen – amerikanisch, vielleicht?

Ich habe das Gefühl, dass er ein vorschnelles Urteil über mich gefällt hat, er hält mich für ein Weichei und für nicht seetauglich. Möglicherweise trifft auch beides zu, aber ich habe genug davon, dass die Leute über mich Vermutungen anstellen.

»Ich versuche nur zu helfen.« Er zuckt mit den Achseln, als ich nicht antworte. »Wenn Sie sich übergeben müssen, dann zielen Sie über die Bordwand. Mehr sag ich nicht.«

Da haben wir’s. Jane lehnt Tarzans Angebot ab, mit ihm auf seinem Seil durch die Lüfte zu schwingen, und schon ist er angefressen.

»Ich werde mir alle Mühe geben«, brülle ich über den lärmenden Motor hinweg. »Und Entschuldigung im Voraus, falls ich die Richtung verfehle und Ihnen ins Gesicht reihere.«

O Gott, das war etwas derb, selbst für mich. Ich bin so mies gelaunt, wie man es nur sein kann, wenn man um das eigene Leben fürchten muss. Und ich bin es auch deshalb, weil er einen dicken roten Daunenparka anhat, der aussieht, als seien Millionen Gänse dafür gestorben, damit er ja nicht friert. Die dazugehörige Kapuze ist größer als das Zelt, das ich und Rubes vor ein paar Sommern in Glastonbury dabeihatten. Wenigstens sind meine Füße trocken, was ich vom Rest von mir nicht behaupten kann. Jedes Mal, wenn wir von einem Wellenkamm prallen, zittere ich vor Angst. Ich habe nicht angeheuert, um mit einem Amerikaner, der aussieht wie das Michelin-Männchen, mitten auf dem Atlantik zu ertrinken.

*

Als ich aus dem Boot klettere und die letzten Meter zur Insel wate, falle ich nicht auf die Knie und küsse den Boden, auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich es tun sollte.

»Wissen Sie, wo Sie hinmüssen?« Der Kapitän blickt mich durch ein Gewirr langer grauer Haare an. »Ich muss nur vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück auf dem Festland sein.«

Natürlich habe ich keine Ahnung, wo ich hinmuss. Aber genau wie man dem Friseur auch nicht sagt, dass der Pony, den er einem da gerade ins Haar geschnippelt hat, nicht gefällt, nicke ich und erkläre ihm, dass ich schon klarkomme. Er zögert einen Augenblick und mustert mich.

»Gibt eigentlich sowieso nur einen Weg.«

Er zeigt mit dem Kopf nach rechts, in die schnell aufziehende Dämmerung. Ich kann gerade noch die Gestalt des anderen Passagiers aus dem Boot ausmachen, der sich bereits in den Nebel aufgemacht hat, in seiner dicken roten Jacke. Herumgetrödelt wird nicht bei ihm – wahrscheinlich ist er ein Einheimischer, der die Insel wie seine Westentasche kennt.

»Folgen Sie Ihrer Nase, dann werden Sie schon bald auf Briannes Laden stoßen.«

Und mit diesen Worten verlässt er mich, hebt zum Abschied die Hand und läuft den felsigen Strand zurück zu seinem Boot.

Jetzt bin ich hier, allein, auf einer Insel, die sich anfühlt wie das Ende der Welt. Außer einem verlassenen Strand vor mir und morastigen Feldern hinter mir, die sich in die nebelverhangene Ferne erstrecken, sehe ich nichts. Ich habe nicht so viel Angst, wie ich wahrscheinlich haben sollte, was wohl daran liegt, dass mein Leben noch vor zehn Minuten in echter Gefahr war. Ich atme die kalte, graue irische Luft tief ein und stelle fest, dass ich ziemlich aufgeregt bin.

In den letzten Monaten hat mich öfter dieses Gefühl beschlichen, dass vielleicht die Zeit für etwas Neues gekommen ist. Und es lässt mich nicht los. Als ich die Suche nach meinem Flamingo mit der Öffentlichkeit zu teilen begann, war ich sechsundzwanzig. Die Arbeit machte Spaß, und ich freute mich, damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich war ein paar Jahre zuvor nach London gekommen, mit dem Zug aus der nördlichen Vorstadt, voller Tatendrang und Träume, und irgendwie hatte ich es geschafft, mich durchzubeißen. Eine Rückfahrkarte nach Hause kaufen war also nicht nötig. Ich nutzte jede sich bietende Gelegenheit und setzte meinen Fuß in jede offene Tür, beschwingt durch die unerschütterliche Gewissheit, dass der Weg, den ich einschlug, der richtige war. Und ganz allmählich, von Sofa zu möbliertem Zimmer, von miesem Job zu weniger miesem Job, rückte ich schließlich in das Blickfeld von Ali Stones Laseraugen. Eine Frau, die Ehrgeiz und Entschlossenheit bei mir erkannte, wo andere, meine Familie eingeschlossen, nur Naivität und Leichtsinn sahen. Wahrscheinlich brauchte sie aber in Wahrheit nur jemanden, der eine Dating-Kolumne für Women Today verfasste, und ich kam zufällig im richtigen Moment in die Tür ihres Büros geflogen. Doch das war egal, denn ich hatte ein Nest gefunden und tat alles, um ja nicht von einer vorbeifliegenden Elster vertrieben zu werden. In den darauffolgenden Jahren wurde aus Cleo Wilder eine Frau auf der Suche nach ihrem Flamingo. Dabei hatte ich echt tolle Zeiten. Ich habe Menschen kennengelernt, die zu engen Freunden wurden, ich bin an Orten gewesen, die ich sonst nie entdeckt hätte, und ich habe gelacht, bis mir die Tränen über die Wangen liefen. Natürlich habe ich auch geweint, denn manchmal entpuppte sich der vermeintliche Flamingo dann doch als eine vorbeiziehende Taube. Wenn ich meine momentanen Gefühle in Bezug auf mein Leben in einem Wort beschreiben müsste, würde ich »erschöpft« wählen. Die Müdigkeit spüre ich bis in die letzte Faser meines Körpers, und irgendwo auf dieser Insel steht ein Bett mit meinem Namen darauf.

Priorität hat also im Augenblick die Suche nach Briannes Laden, der landeinwärts liegt, wie Alis Reiseunterlagen mir zuverlässig verraten, um dort die Schlüssel für mein vorläufiges neues Zuhause abzuholen. Otter Lodge. Klingt wie ein Ort, an dem möglichweise schöne Kissen auf mich warten. Entschlossen setze ich einen Fuß vor den anderen, um die Zivilisation ausfindig zu machen.

Diese stellt sich allerdings als momentan geschlossen heraus. Das Schild an der Tür des kleinen, aus weißen Holzbrettern bestehenden Inselladens setzt mich darüber in Kenntnis, dass er täglich ein paar Stunden geöffnet ist. Zum Glück ist aber ein Umschlag an die Tür geheftet, auf dem in blauer Schrift »Schlüssel für Otter« steht. Wunderbar. Wahnsinn. Würde ich so etwas in London machen, wäre jemand in null Komma nichts in meine Wohnung eingezogen und hätte innerhalb einer Stunde eine Marihuana-Plantage angelegt. Ich greife nach dem Umschlag und drehe ihn um. Auf der Rückseite ist eine Nachricht gekritzelt.

Hallo! Tut mir leid, dass ich Sie verpasst habe. Hier ist der Haustürschlüssel für die Otter Lodge, der Schlüssel für die Hintertür liegt unter der Schnecke. Folgen Sie der Straße bis zum Ende. Gehen Sie anschließend den Hügel hinauf, dann werden Sie schon das Dach der Lodge unten am Strand sehen. Der Weg ist ein bisschen beschwerlich. Ich habe Ihnen ein paar Lebensmittel in den Kühlschrank gestellt, damit Sie erst einmal versorgt sind. Wir sehen uns sicher bald. Herzlich Brianne

Ich kippe den Inhalt des Umschlags auf meine Hand – ein silberner Schlüssel an einem gelben Sonnenschein-Anhänger aus Plastik. Optimismus ist alles. Denn nach dem, was ich im Reiseführer gelesen habe, lässt die Sonne sich in dieser Gegend eher selten blicken. Aber wenn sie vorbeischaut, verwandelt sie Salvation Island und die benachbarten Inseln in blaue und grüne Juwelen, die wie Perlen einer zerbrochenen Kette über dem Meer verteilt liegen. In absehbarer Zeit ist allerdings nicht mit Sonnenschein zu rechnen, das hat mir heute Morgen der Wetterbericht verraten, und soweit eine zuverlässige Vorhersage möglich ist, bleibt es die nächsten Tage grau, kalt und windig. Aber das macht nichts. Ich bin ja nicht hierhergekommen, um mich zu sonnen.

Brianne vergaß zu erwähnen, dass die Straße sehr, sehr lang ist. Vielleicht ist sie es aber auch gar nicht und erschien mir nur so, weil ich in bleischweren, feuchten Jeans einen unhandlichen Koffer hinter mir herzog, während der Wind mir um die Nase blies. Und je weniger ich vom Erklimmen des Hügels (auch Berg genannt) berichte, umso besser. Briannes Hinweis, dass der Weg »ein bisschen beschwerlich« sei, war die Untertreibung des Jahres. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr, denn ich stehe auf dem Gipfel und schaue hinunter. Selbst an diesem trüben Nachmittag bietet sich mir ein Anblick purer Magie. Sanfte grüne Hänge, auf denen verstreut Gesteinsbrocken liegen und niedrige, schiefe Steinmauern kreuz und quer verlaufen, erstrecken sich bis hin zum Horizont. In der einen Richtung erkenne ich auf den weiter entfernt liegenden Hügeln hier und da eine verlassene Schutzhütte, in der anderen Richtung fallen die Hügel ab zu einer sandgesäumten Bucht. Und da ist sie, die Otter Lodge. Ein kleines Haus mit Schindeldach, das eingebettet zwischen den Felsen liegt und um das herum eine Veranda verläuft, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt. Sollte dort kein Stuhl stehen, werde ich einen dorthin stellen.

Ich habe im Laufe meiner Arbeit schon vieles als atemberaubend bezeichnet, aber dieser Ort hier verschlägt mir tatsächlich den Atem. Ich setze mich auf einen nahen Felsbrocken, um wieder Luft zu holen und alles in mich aufzunehmen. Der Anblick ist spektakulär. Ich bin überwältigt von der majestätischen, abgeschiedenen Schönheit und fühle mich umschlungen, als hätte Salvation Island mich gerade mit offenen Armen in Empfang genommen. Ich lausche dem Geräusch meines eigenen unregelmäßigen Atems, während der Wind mich in einer kreisenden Bewegung umschließt, und dann geschieht etwas Seltsames, etwas Unerwartetes. Ich beginne zu weinen.

Mack

Salvation Island, 2. Oktober

Denken Sie etwa, ich bin Ihr Page?

Der Schlüssel ist nicht da. Ich lege drei Flüge, zwei Bootsfahrten und dreitausend Meilen zurück, um bei der letzten Hürde auf allen vieren in der Erde herumzuwühlen. Ich kann diesen verdammten Haustürschlüssel nicht finden, und ich bin mir sicher, dass Barney gesagt hat, er sei hier, »unter einem Stein neben der Tür«. Genau das waren seine Worte. Ich richte mich auf, gehe die abgenutzten, breiten Holzstufen hinauf auf die breite umlaufende Veranda und rüttle an der Klinke der Vordertür. Verschlossen. Wie vor zwei Minuten, als ich es schon einmal versucht habe. Seufzend lehne ich mich an das Geländer der Veranda, blicke auf die Bucht und wäge meine Möglichkeiten ab. Ich könnte einbrechen, denn ich darf ja in diese Hütte hinein. Die Reparaturkosten für eine der kleinen Fensterscheiben in der Tür wären nicht riesig, eher unangenehm, aber die Einwohnerzahl von Salvation Island liegt bei etwa einhundert, und ich bezweifle ernsthaft, dass einer davon Glaser ist. Ich verwerfe die Idee zugunsten eines Rundgangs um das Haus. Vielleicht ist ja eines der Fenster nicht verschlossen. Wenn nicht, ist es wahrscheinlich eh zu spät, um sich auf die Suche nach der Zivilisation zu machen, denn ich kann nicht garantieren, vor Einbruch der Dunkelheit wieder hier zu sein.

Nicht zum ersten Mal bin ich am heutigen Tag froh darüber, dass ich mich von dem Verkäufer des Outdoor-Ladens zu Hause zu dieser blöden Jacke habe überreden lassen – im Notfall kann ich auf der Veranda pennen. Ich habe schon an schlimmeren Orten geschlafen; als ich vor ein paar Jahren für ein Projekt zum Thema Obdachlosigkeit eine Weile auf den Straßen von New York gelebt habe, wurde mir der Luxus eines Daches über dem Kopf auf erschreckende Weise bewusst. In diesen klirrend kalten Nächten schuf ich einige meiner besten Werke, aber jedes Mal, wenn ich die Bilder dieser eingefallenen, hungrigen Gesichter betrachte, zieht sich mir der Magen zusammen. Damals lernte ich, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg sein kann, wie schnell sich das Blatt wenden kann und dein Bett sich schließlich in einem Ladeneingang befindet und dein gesamter Besitz in einer einzigen Plastiktüte. Einige der Menschen, die ich kennengelernt habe, sind inzwischen verstorben, und ich weiß genau, dass sie alle sofort mit mir getauscht hätten, fehlender Schlüssel hin oder her. Das Schicksal hat entschieden und mich hier auf der Veranda der Otter Lodge abgeworfen. Ich muss das Beste daraus machen.

Ich gehe um das Haus herum und nehme mir einen Moment Zeit, um den Mut desjenigen zu bewundern, der beschlossen hat, diesen kleinen Außenposten mitten im Nirgendwo zu errichten. Das Gebäude ist aus schmucklosem grauem Stein gehauen, der wahrscheinlich aus der Umgebung stammt. Es ist ganz anders als die Blockhütte, die wir vor ein paar Jahren am Lake Michigan gemietet hatten. Die Jungs gehen mir durch den Kopf: Nates dünne Beine in seinen verwaschenen roten Cargoshorts, Leo ein Kopf größer und sehr viel ruhiger. Freudig kletterten sie aus dem Auto und sausten in einem Affenzahn zum See, Sonnenstrahlen fielen auf ihre blonden Haare. Sorglos lief ich mit ihnen die schattigen Waldwege hinunter, während Susi uns hinterherrief, dass wir langsamer machen sollten. Jetzt bin ich hier, allein, und schließe die Tür zu diesen Erinnerungen.

Konzentriere dich auf das Jetzt. Find einen Weg hinein.

Der wolkenverhangene Himmel hat soeben seine Schleusen geöffnet, und der Wind peitscht den Regen übers Land. Ich eile von Fenster zu Fenster, aber sie sind alle fest verschlossen. Ich seufze, und ein Plan nimmt bereits Gestalt in meinem Kopf an. Die Ecke der Veranda auf der Stirnseite würde mir den größten Schutz vor Wind und Regen bieten, meinen Rucksack könnte ich als Kopfkissen benutzen. Die Hintertür ist ebenfalls verschlossen. Moment, hier gibt’s eine Hintertür. Und da – unter einer Steinschnecke links neben der Tür schimmert etwas Silbernes. Ich stoße die Schnecke mit dem Fuß beiseite, und fast lache ich laut auf vor Erleichterung. Ich hatte an der falschen Tür gesucht, mehr nicht. Alle negativen Gedanken lösen sich in Wohlgefallen auf, während ich den Schlüssel in das Schloss stecke und ein angenehmes Klicken spüre, als ich ihn umdrehe. Ich bin drinnen.

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, denn ich habe mir keine Fotos im Internet angesehen, und Barney hat mir auch keine genauen Infos geschickt. Die Otter Lodge ist für mich ein Ort, um dort zu essen, zu schlafen und zu arbeiten. Und meine Gedanken zu ordnen. Doch ich bin angenehm überrascht. Die Hütte besteht aus einem einzigen, großen, offenen Wohnraum, der alle Bereiche in sich vereint. Es gibt eine Küchenzeile in einer Ecke und ein tiefes Sofa vor einem offenen Schieferkamin. Im hinteren Teil steht ein altes Messingbett, dem die Fellüberwürfe und karierten Decken ein gemütliches Ambiente verleihen.

Ich ziehe meine nasse Jacke aus und ducke mich, um durch die einzige Innentür zu gehen, hinter der sich ein kleines, aber feines Bad verbirgt – keine Dusche, aber dafür eine tiefe Kupferwanne, die nach mir ruft. Erst einmal muss ich jedoch was essen. Susie pflegte gern zu sagen, dass ich ein Mann sei, der einen Plan brauche, um zu funktionieren. Wahrscheinlich ist an dieser nüchternen Einschätzung meiner Person etwas Wahres dran. Im Augenblick sieht mein Plan so aus: essen, baden, früh ins Bett gehen. Vielleicht dazwischen noch ein Bier, überlege ich, während ich aus dem Bad trete und meine schmerzenden Schultern kreisen lasse. Die Hintertür schwingt in den Angeln und erinnert mich daran, meine Sachen von der Veranda zu holen und die Schotten dicht zu machen für die bevorstehende stürmische Nacht.

Ein lauter Schrei ertönt. Ich bleibe stehen und bin verdattert. Da ist eine Frau in meiner Hütte.

»Tut mir leid, Sie haben mich erschreckt«, entschuldigt sie sich und hält sich die Hand auf das Herz. Dann, als ich noch immer kein Wort herausbringe, sagt sie: »Ähm ... hallo.«

»Woher kommen Sie denn?«, stoße ich aus, denn ich habe diese Frau schon einmal gesehen.

Sie zieht ihre feuchte, rote Wollmütze ab und starrt mich an. »Aus London.«

»Nein, ich meine …«

»Moment mal«, unterbricht sie mich und verengt die Augen. »Waren Sie nicht vorhin auf dem Boot? ›Wenn Sie sich übergeben müssen, dann zielen Sie über die Bordwand‹.«

Sie äfft einen schrecklichen amerikanischen Akzent nach.

»Ach. Und sind Sie nicht die nette junge Frau, die mir angeboten hat, mir ins Gesicht zu reihern«, entgegne ich und lächle gekünstelt.

Sie seufzt. »Ich bin nicht in der Stimmung, um mich von einem …«, sie wedelt mit der Hand in Richtung meiner Stirnlampe, »einem Zyklopen bevormunden zu lassen.«

Und ich bin nicht in der Stimmung für Gesellschaft, denke ich und ziehe das Gummiband von meinem Kopf ab. Warum ist sie überhaupt hier?

Hat sie sich verlaufen?

Sie sieht mich einen Moment lang an. Dann macht sie den Reißverschluss ihrer dünnen Jacke auf, die für dieses Wetter völlig ungeeignet ist. »Hören Sie, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie gekommen sind, um nach dem Rechten zu sehen. Aber ich komme schon klar. Ich habe meinen Koffer über den Berg geschleppt und sehe mich durchaus in der Lage, ein Feuer zu machen. Die Elektrogeräte werde ich auch bedienen können. Ich brauche also keinen Rundgang zur Begrüßung.«

»Denken Sie etwa, ich bin Ihr Page?«

Sie lächelt entschieden und scheint offensichtlich in der Klemme zu stecken, weil sie mir gegenüber höflich sein möchte, mir aber auch zu verstehen geben will, dass ich die Biege machen soll. »Der Hausmeister? Ein Freund von Brianne?«

»Hören Sie, ich bin auf demselben Boot hierhergekommen wie Sie. Fragen Sie mich doch mal, woher ich komme.«

»Muss ich nicht wissen.«

Mensch, ist die begriffsstutzig. »Boston.«

»Ich habe Sie nicht gefragt.«

»Jetzt wissen Sie es trotzdem. Und damit dürfte Ihnen auch klar sein, dass ich eine sehr viel längere Anreise hatte als Sie. Weshalb Sie erleichtert sein werden zu hören, dass ich ebenfalls keinen Rundgang brauche.« Ich bemerke, wie allmählich Erkenntnis ihre Verzweiflung durchdringt.

Wir starren uns durch den Raum hinweg an, in dem es, abgesehen von dem Regen, der gegen das Fenster prasselt, still ist. Dann sagt sie etwas sanfter: »Das ist die Otter Lodge.«

Ich nicke. »Das weiß ich.«

»Und ich habe sie ab heute gemietet.«

»Ich auch«, erwidere ich.

Sie reibt sich die Stirn mit dem Handballen, fest und schnell, als würde sie meine Worte massieren, um ihre Bedeutung in etwas zu verwandeln, das ihr besser gefällt.

»Das ist nicht möglich.«

»Doch. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«

Sie beugt sich hinunter, öffnet ihre Tasche und kramt darin herum, bis sie eine Handvoll säuberlich gefalteter Papiere hervorholt. »Hier. Hier steht es, schwarz auf weiß.« Sie streicht die Blätter auf der hölzernen Küchentheke glatt, fährt mit dem Finger über die Seite und liest dabei die wichtigen Details vor. »Otter Lodge, reserviert ab dem 2. Oktober. Bezahlt. Bei Brianne, der Hausverwalterin. Und außerdem habe ich den Schlüssel.«

Ich erkenne den Triumph in ihren Augen, als sie einen Schlüssel an ihren Fingerspitzen baumeln lässt.

»Ich brauche kein Stück Papier«, entgegne ich. »Denn das ist meine Hütte. Und hier ist mein Schlüssel«, füge ich hinzu und lasse ihn vor ihrer Nase baumeln.

»Ihre Hütte«, sagt sie mit ausdruckslosem Gesicht.

Ich schlucke. »Die Hütte meines Cousins, um genau zu sein.« Und selbst das ist weit hergeholt. Barney ist mein Cousin zweiten Grades oder so ähnlich. Wir haben uns bisher noch nicht einmal persönlich kennengelernt. Die Hütte gehörte früher seiner Tante, der Cousine meiner Mutter. Jetzt besitzen er und seine Schwester, die in Kanada lebt, sie gemeinsam. Barney erwähnte zwar, dass er sie manchmal vermietet, doch ich habe keine Ahnung, wer Brianne ist. »Ich habe E-Mails, aber der Akku meines Handys ist leer.«

»Wie praktisch.«

Ich bin mir nicht sicher, wie ich das hier handhaben soll. Draußen ist es bereits dunkel, es ist nach siebzehn Uhr, und offensichtlich kennt sich keiner von uns auf der Insel aus. In der Dunkelheit herumzulaufen, ist nicht ungefährlich, besonders nicht bei diesem Wetter. Der Laden ist das Gebäude, das am nächsten zur Hütte liegt, und er ist bestimmt schon lange zu. Die einzige richtige Siedlung befindet sich im Norden der Insel, und die Otter Lodge liegt am südlichsten Rand von Salvation Island, also in einiger Entfernung dazu.

»Mag sein«, antworte ich. »Aber das ist die Wahrheit.«

Wir verfallen in angespanntes Schweigen. Mein Plan von Bier, Bad und Bett löst sich gerade auf, was mir gar nicht gefällt. Die Frau greift in ihre Tasche, zieht ihr Handy hervor und tippt einen Moment lang auf dem Display herum. Dann blickt sie zur Decke. Wahrscheinlich zählt sie leise vor sich hin, um nicht vor lauter Wut zu explodieren.

»Also, ich gehe heute nicht mehr über diesen Berg«, verkündet sie schließlich und strafft die Schultern.

»Das kann ich gut verstehen«, erwidere ich. »Ich auch nicht. Obwohl der Berg eigentlich ein Hügel ist.«

Sie verzieht ihren breiten Mund zu einem schmalen Strich, so wie Nate, wenn die Dinge nicht so laufen, wie er sich das vorgestellt hat.

»Wir können nicht beide recht haben«, sagt sie. »Und ich weiß, dass ich recht habe.«

Mann, geht die mir auf die Nerven. Sie ist immer noch wütend, während ich versuche, eine Lösung für uns zu finden. »Wir werden beide heute Nacht hierbleiben müssen.«

Sie gibt ein unschönes Würgegeräusch von sich. »O nein. Das glaube ich nicht.«

»Na gut.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Sie wissen, wo die Tür ist.« Ich erwarte natürlich nicht, dass sie bei diesem Wetter die Hütte verlässt, sie soll nur begreifen, dass das auch für mich keine Option darstellt.

Sie blinzelt in Richtung Tür. »Und ich schließe sie sofort ab, wenn Sie gegangen sind.«

Ich warte ein paar Sekunden. »Ich gehe nicht.«

»Aber … Sie müssen!«, sagt sie trotzig wie ein Kind.

Ich seufze und reibe mir mit der Hand über die Augen. Mir ist schon klar, dass die Situation für sie schwieriger sein muss als für mich. Ich bin ja kein Idiot, der nicht nachvollziehen kann, dass jede Frau sich davor hüten sollte, die Nacht mit einem Kerl zu verbringen, den sie überhaupt nicht kennt und dem sie deshalb nicht vertrauen kann.

»Ich bin verheiratet, falls Sie das beruhigt«, erkläre ich und ziehe mein Portemonnaie aus der Gesäßtasche, um es aufzuklappen und ihr ein Foto von Susie und den Kindern zu zeigen. »Meine Frau und meine Söhne.«

»Wieso zum Teufel soll mich das beruhigen?«, faucht sie.

»Weil mich jemand für anständig genug gehalten hat, um mich zu heiraten?«

Sie blickt sich demonstrativ in der Hütte um. »Tja, nur leider ist sie jetzt nicht hier, um sich für Sie zu verbürgen. Falls es sie überhaupt gibt.«

»Es gibt sie«, murmle ich stinksauer. Es gibt sie … nur ist sie gerade dreitausend Meilen von hier entfernt, mit meinen Kindern.

»Sie können nicht hierbleiben, das geht nicht«, sagt sie. »Sie sind ein Fremder und ein Mann und …« Sie wedelt mit dem Arm. »Sie sind groß.«

Ich zucke mit den Achseln. Da kann ich nichts gegen machen.

Sie presst die Finger auf die Stirn. »Nur damit Sie es wissen«, sagt sie, »ich mache Krav Maga.«

Ich grinse nicht, aber ich bezweifle, dass sie die Wahrheit sagt. »Okay.«

»Ich kann Sie richtig fertigmachen, wenn’s nötig ist.«

»Ehrlich, dazu werden Sie keinen Grund haben«, versuche ich sie zu beruhigen. Ich denke an Susie und daran, welches Verhalten ich mir von einem Mann wünschen würde, falls sie einmal in eine Situation wie diese kommen sollte. »Hören Sie, ich schlafe heute Nacht draußen auf der Veranda. Das heißt nicht, dass Sie recht haben oder dass ich gehe, sondern nur, dass ich verstehe, dass wir uns nicht kennen und es draußen dunkel ist. Wir können die Sache bei Tageslicht klären.«

Sie starrt mich an, und auf ihrem Gesicht macht sich Unschlüssigkeit breit. »Ich muss nachdenken«, murmelt sie und öffnet die Tür, um nach draußen zu gehen. Das Grollen fernen Donners ist zu hören, eine heftige Windböe rüttelt an der Tür. Sie schlägt die Tür wieder zu. Das Wetter da draußen wird wirklich immer ungemütlicher. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen die Tür und schluckt schwer. »Wo ist das Bad?«

Ich trete zur Seite, damit sie vorbeigehen kann, und stoße einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie außer Sichtweite ist. O Mann, ich könnte dieses Bier jetzt echt vertragen.

Cleo

Salvation Island, 2. Oktober

Ich sitze fest am Ende der Welt mit Han Solo

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich meine, ich weiß es schon. Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Otter Lodge mit diesem Amerikaner zu teilen. In Anbetracht des Wetters, das da draußen gerade herrscht, wird ihm wahrscheinlich noch was Schlimmes widerfahren, und er stirbt oder so, wenn ich ihn auf der Veranda schlafen lasse. Jetzt verstecke ich mich hier im Bad, sitze auf dem Klo mit meinen schrecklich nassen Jeans, die an meinen aufgescheuerten Knöcheln kleben, und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass ich wieder in meiner Wohnung in London wäre. So viel zur abgeschiedenen Schönheit dieser Hütte.

Ich ziehe mühsam meine Stiefel und meine Hose aus und versetze dem nassen Jeansknäuel wütend einen Fußtritt, dass es durch den Raum fliegt. Gott, sieht dieses Bad einladend aus. Die Lodge mag zwar einsam gelegen sein, aber hier hat offensichtlich jemand mit einem Gespür für Innenarchitektur gezaubert. Ich konnte den Wohnraum wegen des fast ein Meter neunzig großen Amerikaners mittendrin nicht richtig sehen, aber jetzt, wo ich hier sitze, nehme ich die beruhigenden neutralen Farben wahr, die frei stehende Kupferbadewanne, die teuren Badeartikel, die dicke Stumpenkerze und das Glasgefäß mit den langen Streichhölzern. Der Schieferboden fühlt sich wohlig warm unter meinen Füßen an, und ein Stapel schneeweißer Handtücher liegt auf einem verwitterten Holzregal, das aussieht, als ob es an den Strand gespült worden wäre. Wenn ich nach so einer Hütte auf Pinterest suchen würde, würde ich »rustikal-luxuriös« eingeben. Das hier ist Landhausstil vom Allerfeinsten. Ich kann es kaum erwarten, das alles zu genießen, ohne dass ein Fremder mein Blickfeld stört.

»Könnten Sie mir bitte meinen Koffer vor die Tür stellen?«,rufe ich und hoffe, dass er sich nicht noch unbeliebter macht, indem er meine Bitte verweigert.

»Erledigt.«

Ich mache die Tür einen Spaltbreit auf, um mich zu vergewissern, dass er nicht irgendwo auf der Lauer liegt, aber er ist außer Sichtweite. Und so ziehe ich den Koffer ins Bad, lege ihn auf den Boden und klappe ihn auf.

Mir fallen seine Worte von vorhin ein – ich bin verheiratet, falls Sie das beruhigt –, und ich verdrehe die Augen. Was glaubte er, ging mir durch den Kopf, dass er sich zu diesem Satz veranlasst sah? Sind etwa alle Mörder unverheiratet? Ich glaube kaum. Außerdem, woher will er wissen, dass ich nicht ihn umbringen werde? Ich vergewissere mich dreimal, dass ich die Tür verriegelt habe, kippe etwas von dem luxuriösen Badeöl in das fließende Wasser, und der Duft von exklusiven Spas und breiten sonnenverwöhnten Stränden beruhigt meine Nerven.

»Ich nehme ein Bad«, rufe ich und zerre den Pullover über den Kopf. Mit jeder Schicht, die ich abstreife, scheint eine Last von mir abzufallen. Ich bin kein Wintermensch; und ich verstehe auch niemanden, der Schnee den Hundstagen im Sommer vorzieht. Ich bin eine Frau, geschaffen für Flip-Flops und Orte, an denen man nie eine Jacke braucht. Im Grunde genommen, das genaue Gegenteil von hier. Als ich die Kerze anzünde und mich in das herrlich warme Wasser gleiten lasse, durchströmt mich ein derart wohltuendes Gefühl, dass ich weinen könnte. Was ich aber nicht tue – denn ich habe heute schon aus heiterem Himmel geweint, mein Kontingent an Tränen ist erschöpft. Gott, war das seltsam. Dieser schreckliche Berg, den ich hochlatschen musste, war sicher nicht der Grund, unvermutet loszuheulen. Wenn überhaupt, war ich froh, den Gipfel erreicht zu haben. Und wie aus dem Nichts übermannten mich die Gefühle.

Ich halte die Luft an und tauche in das Badewasser ein. Dieser Ort hat eindeutig eine überwältigende Wirkung auf mich. Wahrscheinlich liegt es aber daran, dass der Tag einfach nur sehr lang war, der Weg hierher voller Gefahren und meine heiß ersehnte Zeit allein schließlich noch durch einen ungebetenen Gast gestört wurde. Generell versuche ich, mich anzupassen und das Beste aus einer Situation zu machen. Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass ich diesmal schon an der ersten Hürde gescheitert bin.

»Auf dem Herd steht Kaffee.«

Ich nicke, weil Worte der Dankbarkeit mir einfach nicht über die Lippen kommen wollen, obwohl ich mich schon etwas besser fühle, jetzt, da ich in meinem Schlafanzug stecke und ein Handtuch um mein Haar gewickelt ist.

»Und da ist auch Brot zum Toasten. Ich habe schon welches gegessen – Sie sollten vielleicht das Gleiche tun.«

»Mir muss nicht gesagt werden, dass ich was essen soll.«

»Wie Sie meinen«, murmelt er und steuert auf das Badezimmer zu. »Ich lege mich in die Badewanne.«

Ist es gemein von mir zu hoffen, dass nicht mehr genug heißes Wasser im Boiler ist und er nicht so richtig schön lang baden kann?

Mein Blick wandert hinaus zum Regen, der gegen die Fenster peitscht, und ich seufze, denn ich sollte mich langsam wie eine Erwachsene benehmen. »Sie können heute Nacht drinnen bleiben.«

»Danke«, erwidert er und dreht sich in der Badezimmertür zu mir um. »Sie auch.«

»Sind Sie immer so nervig?«

»Anscheinend schon«, sagt er nach einer kurzen Pause. Er sieht mich an, und einen Augenblick lang erinnert er mich an jemanden, aber mir fällt nicht ein, an wen. »Nehmen Sie das Bett, ich schlafe auf dem Sofa.«

Als er im Bad verschwunden ist, gieße ich mir einen Kaffee ein, setze mich an den kleinen eckigen Esstisch und umfasse den Becher, um mir die Hände daran zu wärmen. Ich habe das Gefühl, in der Anfangsszene eines alten klischeebeladenen Streifens zu stecken, er, als der junge Robert Redford, ich, als die naive Jane Fonda, die sich nach der ersten magischen Begegnung Hals über Kopf in ihn verliebt. Nur trifft das bei mir nicht zu. Ich mag zwar meinen Lebensunterhalt damit verdienen, über die Liebe zu schreiben, aber ich bin keine naive Romantikerin, und unsere erste Begegnung war alles andere als magisch. Der Amerikaner ist ruppig. Und bärtig. Und dann fällt mir ein, an wen er mich erinnert. Ich schließe die Augen und seufze. Mein Bruder ist ein riesiger Star-Wars-Fan und hat diese Filme früher fast in Dauerschleife gesehen. Ich konnte seine Begeisterung dafür zwar nicht teilen, aber dass der junge Harrison Ford aussah, als hätte er pures Charisma zum Frühstück gegessen und könnte die Welt noch vor dem Mittagessen retten, ließ sich nicht bestreiten. Ich sitze fest am Ende der Welt mit Han Solo. Mir bleibt nur noch die Hoffnung, dass Darth Vader über den Hügel kommt und ihm mit seinem Lichtschwert den Kopf abschlägt.

Seit ich das Alter erreicht habe, in dem ich meine Schlafenszeit selbst bestimmen darf, bin ich nicht mehr um sieben Uhr ins Bett gegangen. Ich war schon immer eher eine Nachteule als ein Frühaufsteher, und in meinem Leben hat es einige wilde Samstagnächte mit Rubes gegeben, in denen ich den Weg ins Bett überhaupt nicht gefunden habe oder an Orten aufgewacht bin, an denen ich mich nicht erinnern kann, eingeschlafen zu sein. Aber nach dem heutigen Tag fallen mir die Augen immer wieder von selbst zu.

Ich habe mir gerade eine zweite Tasse Kaffee eingeschenkt, um wach zu bleiben, und sitze auf der Bettkante. Der Amerikaner liegt noch immer in der Badewanne; da ich das Wasser ab und zu habe laufen hören, weiß ich, dass er nicht eingenickt und ertrunken ist.

O mein Gott, das Bett ist göttlich. Die Felle mit ihren wildledernen Rückseiten und die dicken gestrickten Überwürfe sorgen für Gemütlichkeit in der Hütte. Ich lehne mich gegen die Kissen und schließe die Augen in dem gedämpften Licht der Lampe. Das ist bei Weitem der schönste Moment des ganzen Tages. Aber leider schlafe ich hier nicht. Ich nehme das Sofa, vielen Dank. Das Bett werde ich morgen in Beschlag nehmen, sobald er von hier verschwunden ist.

Ich stibitze mir ein paar Kissen und eine dicke Decke vom Bett und baue mir ein gemütliches Nest auf dem Sofa. Ich kuschele mich ein und trinke in Ruhe meinen Kaffee aus. Meine Glieder fühlen sich schwer an, als ich die leere Tasse abstelle und die Augen schließe. Doch ich schrecke sofort wieder hoch, denn die Badezimmertür wird aufgerissen, und ich bin nicht mehr allein.

»Ich schlafe auf dem Sofa«, sage ich steif und ziehe die Decke hoch bis zum Kinn.

Er blickt vom Sofa zum Bett, und einen Moment lang scheint er mit mir sinnlos herumstreiten zu wollen. Aber dann zuckt er nur mit den Achseln. »Wie Sie wollen.«

Ich quittiere seine Antwort mit einem Achselzucken meinerseits. Wir benehmen uns wie Kinder, die sich einen Wettkampf in »Ist-mir-doch-noch-viel-egaler-als-dir« liefern. Der Amerikaner wühlt derweil in seiner riesigen Tasche herum.

»Ich werde ein Bier trinken.«

»Tun Sie, was Sie wollen.«

»Dafür bin ich ja hier.«

»Wie bitte?«

Er kramt eine Viererpackung Budweiser hervor, öffnet eine Dose und steckt den Rest in den Kühlschrank. »Dafür bin ja hergekommen. Um zu tun, was ich will.«

Ich bin fast versucht nachzuhaken, was er damit meint, aber dann atme ich tief durch. Das geht mich nichts an. »Sie können heute Nacht hierbleiben, aber morgen müssen Sie sich einen anderen Ort suchen, um zu tun, was Sie wollen.«

Er starrt aus dem dunklen Küchenfenster, nimmt einen großen Schluck und schnauft leise. »Das war ein verdammt anstrengender Tag.«

Mir gefällt nicht, dass er dem Gespräch ausweicht, aber ich bin zu müde, um jetzt zu streiten. Diese Auseinandersetzung hebe ich mir für morgen auf. Ich knipse die Lampe aus. Keine Ahnung, ob mich das zu einem schrecklichen Menschen macht, aber ich verspüre eine leise Genugtuung, als er auf dem Weg zum Bett durch den unbekannten Raum gegen den Tisch prallt. Ich warte, während er flucht und sich tastend weiterbewegt. Schließlich höre ich, wie er seine Kleider abstreift, die Kissen aufschlägt und sich zudeckt.

»Soll ich noch einmal die Lampe kurz anmachen?«, frage ich, als bei ihm Stille eingekehrt ist. Eine Antwort bekomme ich nicht.

Cleo

Salvation Island, 3. Oktober

Ich muss den Fremden ausquartieren

Ist es nicht oft so, dass man morgens langsam aufwacht und das Gefühl hat, durch Nebelschichten an die Oberfläche zu dringen, während kleine Bruchstücke eines Traums noch um einen herumschweben und versuchen, einen wieder zurückzuziehen? Als ich heute aufwache, ist es nicht so. Der Geruch von Feuer steigt mir in die Nase, und ich richte mich ruckartig auf.

»Sie sind wach.«

Nun weiß ich wieder, wo ich bin, und mein Herzschlag normalisiert sich wieder langsam. Der Brandgeruch stammt nur von den frisch in den Kamin gelegten Holzscheiten.

»Und Sie sind noch hier.« Nicht ausgeruht und gleich wieder verärgert, lasse ich mich zurück in die Kissen fallen. Dieses Sofa ist eigentlich nur dazu geeignet, um darauf ein Nickerchen zu halten.

»Dachten Sie, das sei alles nur ein böser Traum?«

Sein Ton ist vergnügt, als würde er die Situation eher amüsant finden als verdammt lästig. Angezogen und bereit für den Tag ist er auch schon, wahrscheinlich nur, damit er mir einen Schritt voraus ist.

»Im Kühlschrank ist noch Speck, falls Sie Interesse haben«, fügt er hinzu. »Und seltsamerweise auch Champagner. Speck, Milch und Champagner.«

Ich blicke zur Decke und stelle fest, dass ich tatsächlich Lust auf Speck habe, jetzt, wo er ihn erwähnt hat. Ich überlege, es ist Viertel vor acht und draußen kaum hell. Nach dem Plan, den ich schon einmal gedanklich ausgearbeitet habe, gehen wir zu dem Laden, sobald er öffnet, um einen Menschen aufzutreiben, der sich auf der Insel auskennt. Es muss doch noch eine andere Unterkunftsmöglichkeit für den Amerikaner zu finden sein. Und wenn ich schon einmal dort bin, werde ich mich mit Vorräten eindecken und hierher zurückkehren, um diesen Platz richtig in Beschlag zu nehmen. Ich werde auf dem Bett hüpfen wie die Heldin in einem Roadtrip-Movie, den gestrigen Tag aus meinem Gedächtnis löschen und noch mal von vorne beginnen. Bis dahin muss ich nicht unnötig mürrisch sein.

»Ich glaube, ich brate mir Speck zum Frühstück«, verkünde ich, stehe auf und bin froh über den schlichten schwarzen Jersey-Schlafanzug, den ich anhabe. »Wollen Sie auch welchen?«

Er blickt in meine Richtung, als hätte ich eine Fangfrage gestellt. »Klar.«

»Wenigstens scheint sich das Wetter beruhigt zu haben«, sage ich, schaue aus dem Küchenfenster und schalte den Kessel ein. Mein Gott, die Aussicht ist umwerfend. Das Fenster zeigt hinaus auf die kleine runde Bucht, die weit genug entfernt liegt, dass sie keine Gefahr darstellt, aber nahe genug, dass sie den feuchten, dunkelgoldenen Strand wie einen Vorgarten erscheinen lässt. An solch einen Ort reisen wohl ausgebrannte Kunstschaffende, um sich wieder mit ihrer kreativen Seele zu verbinden.

»Das war verdammt schön heute Morgen da draußen«, erwidert er. »Ich bin zum Strand gegangen und habe mir von dort aus den Sonnenaufgang angesehen.«

Klar, was sonst.

Meine Londoner Wohnung hat nicht einmal einen Garten. Der Unterschied zwischen hier und dort kommt dem Unterschied zwischen Jupiter und Mars gleich. Vielleicht sollte ich die Dinge so sehen, ich bin eine Außerirdische, die auf eine Erkundungsreise geht, um zu prüfen, ob dieser neue Planet meinem alten vorzuziehen ist. Bisher noch nicht, aber ich habe ihm ja noch keine faire Chance gegeben. Erst einmal muss ich den anderen Außerirdischen vertreiben, der hier gelandet ist, denn Darth Vader scheint nicht aufzutauchen und ihm den Kopf abzuschlagen. Ich seufze leise angesichts der dämlichen Analogie, die ich ziehe – das macht mein Schriftstellerinnenhirn ständig –, und krame in den Schränken, die nicht vollgestopft, sondern nur gut bestückt sind mit schlichten, schönen Küchengegenständen, nach einer Pfanne und Frühstücksgeschirr. Meine Tassen zu Hause sind das, was andere Menschen freundlicherweise als eine »bunte Sammlung« bezeichnen. Sie besteht überwiegend aus nicht zusammenpassenden Bechern, die ich im Laufe der Jahre geschenkt bekommen habe. »Lieblingstante« stammt von einem der Kinder meiner Schwester, eine »I love Mops«-Tasse vom Wichteln im Büro. Dabei bin ich gar kein besonderer Mops-Fan. Meine Mutter hat eine Eichhörnchentasse mit Untertasse vom National Trust beigesteuert, und ein Krug mit Fingerabdrücken, den ich vor ein paar Jahren mit den Kindern meines Bruders in einem dieser Kunst-Cafés selber gemacht habe, rundet die Sammlung ab.

»Wir sollten heute Morgen zu dem Laden gehen und dieses Durcheinander klären«, schlage ich dem Amerikaner vor, als wir uns ein paar Minuten später am Esstisch gegenübersitzen. Ich gebe mir alle Mühe, höflich zu sein.

»Klingt vernünftig«, erwidert er und hebt sein Sandwich hoch. »Vielen Dank hierfür, das ist gut.«

»Nein, ich danke Ihnen, dass Sie keinen Aufstand machen, weil Sie nicht hierbleiben können«, sage ich und beobachte ihn über meine Kaffeetasse hinweg, um festzustellen, inwieweit er bereit ist nachzugeben.

Er isst sein Sandwich auf und greift nach seinem Becher. »Also, was das angeht ...«

Ich bleibe still und probiere Alis Trick aus, andere durch Schweigen dazu zu bringen, das zu tun, was man von ihnen will.

»Ich weiß, das ist jetzt nicht das, was Sie hören wollen, aber ich gehe nirgendwohin. Ich bleibe hier.« Er holt sein Handy aus der Hosenasche und streckt es mir entgegen. »Meine E-Mails.« Ich nehme das Telefon nicht, aber ich kann die letzten Datumsangaben und Überschriften entziffern. »Bleib so lange, wie du willst«, »Du wirst Salvation Island lieben« und »Grüß Raff von mir« lese ich und schlucke.

»Das ist aber nicht ganz dasselbe wie eine Reservierung«, wende ich ein. »Ich habe nämlich tatsächlich Geld dafür bezahlt, um hier sein zu dürfen.«

»Barney, der Besitzer der Hütte, mein Cousin, hat sie mir persönlich angeboten.«

»Ist er derjenige, der auch mein Geld kassiert hat?«

»Über Brianne, die offensichtlich einen Fehler gemacht hat. Ich werde dafür sorgen, dass Sie jeden Cent zurückbekommen.«

»Penny«, korrigiere ich ihn. »Und ich will das Geld gar nicht zurückhaben. Ich bin hier und will das, wofür ich bezahlt habe.«

Wir starren uns an.

»Können Sie diesen Barney nicht anrufen, damit er selbst was zu dieser Angelegenheit sagt?«, fauche ich.

»Ich habe keinen Empfang«, antwortet er kleinlaut, und zum ersten Mal höre ich echte Angst aus seiner Stimme heraus.

»Mein Handy hatte gestern oben auf dem Hügel Netz«, sage ich. Das weiß ich, weil eine Nachricht von Ruby einging, als ich auf dem Felsbrocken saß und wie ein kleines Kind schluchzte. »Ruf mich bald an und erzähl mir alles«, hatte sie geschrieben – ein kosmischer Stups, dass ich mich zusammenreißen soll.

Er reißt die Augen auf, und ich stelle fest, dass die Iris in seinem rechten Auge eine andere Farbe hat als die in seinem linken, eine ist haselnussbraun und eine durchscheinend grün. Verdutzt starre ich ihn an, was er bemerkt.

»Heterochromie«, erklärt er, offensichtlich daran gewöhnt, dass ihn Leute danach fragen.

»So etwas habe ich bisher nur einmal gesehen, bei einem Hund.« Ich rede, ohne nachzudenken, während ich aufstehe und mein provisorisches Bett wegklappe. »In meiner Kindheit hatte unser Nachbar einen Husky mit zwei verschiedenfarbigen Augen, ein himmelblaues und ein braunes. Bösartig war er auch. Einmal im Sommer kam er in unseren Garten gelaufen und biss meinem Bruder ins Schienbein, der sich die Narbe tätowieren ließ, als er alt genug war. Einen heulenden Husky. Fand er ironisch. Meine Mom ist ausgeflippt.«

Der Amerikaner starrt mich sprachlos an, mit diesen verschiedenfarbigen Augen, und dann lacht er ungläubig.

»Okay, ich versuche später mein Glück auf dem Hügel.« Sein Blick wandert zum Sofa. »Was dagegen, wenn ich mich auf Ihr Bett setze?«

»Tun Sie sich keinen Zwang an«, antworte ich, stehe auf und greife nach meiner Jacke. »Ich gehe ein bisschen frische Luft schnappen.« Neben der Tür stehen ein Paar gelb-weiß gestreifte Gummistiefel, in die ich hineinschlüpfe. In einem Korb liegen auch Mützen, Schals und Regenschirme. Ich ziehe mir eine blaue Wollmütze über die Ohren und überlasse ihm das Feld.

London hat einen besonderen Geruch. Er besteht aus Dieselabgasen, ausgestoßen von Müllwagen am frühen Morgen und Bussen am späten Abend, aus schweißnassen Hemden von Büroangestellten, aus Vorfreude, Furcht und Ehrgeiz. Die Stadt pulsiert und dreht sich, die Hitze der U-Bahn unter den Füßen, die Symphonie der Sirenen, ein Gefühl der Zuversicht und Bedrohung, ein Puls, ein Rauschen, eine schlagende Trommel.

Salvation Island ist völlig anders als London. Ich bahne mir meinen Weg entlang der zerklüfteten Küste, lausche dem Klang des Meers, das über die Kieselsteine rauscht, und atme die Luft ein, die so rein ist wie ein kühles Glas Quellwasser. Gestern erschien der Sand noch wie eine graue, feste Masse, doch jetzt, da er langsam trocknet, zeigt er sich silbrig blass und puderig im Morgenlicht. Ein grau gefiederter Seevogel kreist am Himmel und landet auf einem nahen Felsen, von wo aus er mich beobachtet. Er hat eine schwarze Federkappe, und sein helloranger Schnabel ist auf mich gerichtet, den Gast in seinem Wohnzimmer. »Guten Morgen«, begrüße ich ihn und komme mir etwas albern vor.

Ich glaube nicht, dass ich es schaffe, hier zu überwintern, so blass und zerbrechlich, wie ich bin. Elfenhaft, sagte eine meiner Schwestern einmal, wie die Heldin aus einem Roman der Schwestern Brontë, meinte meine andere Schwester. Beide sind älter als ich und blond. Ich hingegen habe blauschwarzes Haar. Für sie war ich das geliebte Püppchen, jemand, den sie verwöhnen und verhätscheln konnten. Aber im Gegensatz zu einem Püppchen wuchs ich zu einer erwachsenen Frau heran, die sich davon erdrückt fühlte, die Kleine in der Familie zu sein. Das sollte man nicht falsch verstehen, ich habe eine schöne Kindheit gehabt, ich wurde verwöhnt und geliebt. Und ich habe meine Geschwister so geliebt wie sie mich, aber ich weiß noch immer, wie der von ihnen gesponnene Kokon sich anfühlte, der meine jugendlichen Flügel zusammendrückte. Ich kann mich an den Druck erinnern, der sich in mir aufbaute und herausgelassen werden wollte. Ich blicke dem Vogel in die Augen und bitte ihn respektvoll, noch kein Urteil zu fällen. Er kennt mich noch nicht.

Ich bin mein Leben lang unterschätzt worden und habe gelernt, das entweder zu ignorieren oder zu meinem Vorteil zu nutzen. Einer der vielen Gründe, warum ich gern für Ali arbeite, ist der, dass sie noch nie über mich Vermutungen angestellt hat, die auf meiner Vorliebe für romantische Kleider oder meiner Freude am Look von Smokey Eyes beruhen. Sie hält mich nicht für elfenhaft oder stellt sich vor, wie ich auf der Suche nach meinem Heathcliff, dem tragischen Helden aus Emily Brontës Roman Sturmhöhe, durch die Moore streife. Ich war ein leeres Blatt für sie, und sie hat mir erlaubt, dass ich es mit mir selbst fülle.

Ich gebe zu, Salvation Island mag nicht den Charme der Malediven haben, aber diese Insel ist auf ihre eigene Art atemberaubend schö