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Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Es war ein außergewöhnlich ruhiger Vormittag in der Praxis von Dr. Robert Daniel. »Direkt unheimlich, was?« meinte die junge Empfangsdame Gabi Meindl. »Normalerweise geht es hier ja sonst zu wie auf dem Wochenmarkt.« Ihre Kollegin, die Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, nickte zustimmend. »Ich schätze, die unerträgliche Hitze hat heute alles lahmgelegt. Wenn man keine Zeit hat, sich im Freibad zu tummeln, dann verschanzt man sich am besten in einem kühlen Keller.« »Das sollten wir vielleicht auch tun«, erklärte Dr. Daniel, der von den beiden jungen Frauen unbemerkt hinzugekommen war und Sarinas letzte Worte noch gehört hatte. Er seufzte tief auf. »Also, ich bin wirklich nicht empfindlich, aber diese Hitze macht sogar mich fertig. Wann war es Anfang Juni schon jemals so heiß?« »Damals, als es das schreckliche Unglück in der CHEMCO gegeben hat«, antwortete Gabi Meindl. »Können Sie sich daran noch erinnern, Herr Doktor?« »Wie könnte ich das jemals vergessen?« fragte Dr. Daniel zurück. »Der arme Gerold hätte nicht sterben müssen, wenn es damals schon die Waldsee-Klinik gegeben hätte.« Er seufzte noch einmal. »Es war wirklich unverantwortlich, wie Martin Bergmann das Chemiewerk hat verlottern lassen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren ja wirklich unter aller Kritik, und es hat seinen Sohn ein halbes Vermögen gekostet, die Firma auf Vordermann zu bringen. Aber glücklicherweise gehört das ja alles der Vergangenheit an. Seit Rainer das Werk leitet, hat sich vieles zum Vorteil verändert.« »Der junge Herr Bergmann ist auch ein sehr sympathischer Mensch«, urteilte Gabi. »Ganz anders als sein Vater. Wenn der die Leitung der CHEMCO noch länger innegehabt hätte, hätte
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Es war ein außergewöhnlich ruhiger Vormittag in der Praxis von Dr. Robert Daniel.
»Direkt unheimlich, was?« meinte die junge Empfangsdame Gabi Meindl. »Normalerweise geht es hier ja sonst zu wie auf dem Wochenmarkt.«
Ihre Kollegin, die Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau, nickte zustimmend. »Ich schätze, die unerträgliche Hitze hat heute alles lahmgelegt. Wenn man keine Zeit hat, sich im Freibad zu tummeln, dann verschanzt man sich am besten in einem kühlen Keller.«
»Das sollten wir vielleicht auch tun«, erklärte Dr. Daniel, der von den beiden jungen Frauen unbemerkt hinzugekommen war und Sarinas letzte Worte noch gehört hatte. Er seufzte tief auf. »Also, ich bin wirklich nicht empfindlich, aber diese Hitze macht sogar mich fertig. Wann war es Anfang Juni schon jemals so heiß?«
»Damals, als es das schreckliche Unglück in der CHEMCO gegeben hat«, antwortete Gabi Meindl. »Können Sie sich daran noch erinnern, Herr Doktor?«
»Wie könnte ich das jemals vergessen?« fragte Dr. Daniel zurück. »Der arme Gerold hätte nicht sterben müssen, wenn es damals schon die Waldsee-Klinik gegeben hätte.« Er seufzte noch einmal. »Es war wirklich unverantwortlich, wie Martin Bergmann das Chemiewerk hat verlottern lassen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren ja wirklich unter aller Kritik, und es hat seinen Sohn ein halbes Vermögen gekostet, die Firma auf Vordermann zu bringen. Aber glücklicherweise gehört das ja alles der Vergangenheit an. Seit Rainer das Werk leitet, hat sich vieles zum Vorteil verändert.«
»Der junge Herr Bergmann ist auch ein sehr sympathischer Mensch«, urteilte Gabi. »Ganz anders als sein Vater. Wenn der die Leitung der CHEMCO noch länger innegehabt hätte, hätte er vermutlich noch ganz Steinhausen vergiftet.«
»So etwas Ähnliches hat er doch auch getan«, mischte sich Sarina ein. »Ich war zu jener Zeit zwar noch nicht allzu lange in Steinhausen, aber ich kann mich an die vielen Arsenvergiftungen, zu denen es damals gekommen ist, noch gut erinnern.«
Dr. Daniel nickte. »Sie haben recht, Fräulein Sarina. Martin Bergmann hat damals den Steinhausener Bach mit Arsensalzen vergiftet, und es war nur Dr. Metzlers großer Erfahrung mit Giftstoffen aller Art zu verdanken, daß niemand gestorben ist. Allerdings ist Martin Bergmann diese Geschichte dann teuer zu stehen gekommen. Er sitzt ja nun schon seit geraumer Zeit im Gefängnis.«
»Und hoffentlich bleibt er dort noch eine ganze Weile«, knurrte Gabi. »Der verdient es doch gar nicht, wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden.«
Dr. Daniel schwieg. Es widerstrebte ihm, einen Menschen so hart zu verurteilen, allerdings war Martin Bergmann mit den Jahren tatsächlich eine Gefahr für die Menschheit geworden, und Dr. Daniel mußte sich eingestehen, daß er hinter Gittern wohl wirklich besser aufgehoben war.
Jetzt warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich werde mal zu Frau Carisi hinübergehen und nachsehen, ob es in ihrem Teil der Praxis ebenso ruhig ist wie bei uns.«
Er nickte Sarina und Gabi freundlich zu, dann verließ er das Vorzimmer durch die Zwischentür, die zu dem Teil der Praxis führte, in dem die Allgemeinmedizinerin Dr. Manon Carisi tätig war. Anfangs hatten sie mit dieser Gemeinschaftspraxis vorwiegend medizinische Ziele im Auge gehabt. Natürlich hatten sie sich von vornherein ausgezeichnet verstanden, aber der Hauptgrund war eine umfassendere Behandlung ihrer gemeinsamen Patienten gewesen. Doch dann war die attraktive Ärztin schwer erkrankt, und Dr. Daniel hatte plötzlich erkannt, wieviel ihm Manon tatsächlich bedeutete. In den Wochen zwischen Bangen und Hoffen war zwischen ihr und Dr. Daniel eine tiefe Zuneigung gewachsen, die natürlich auch nach Manons Genesung bestehen geblieben war.
»Ja, was ist denn mit dir los?« fragte Manon überrascht, als statt eines neuen Patienten Dr. Daniel in ihr Sprechzimmer trat. »Bist du etwa krank?«
Dr. Daniel grinste. »Sehe ich vielleicht so aus?« Dann trat er zu ihr, um sie zärtlich zu küssen. »Ich hatte nur Sehnsucht nach dir.«
Lächelnd schlang Manon ihre Arme um Dr. Daniels Nacken. »Und da läßt du einfach deine Patientinnen im Stich?«
»Irrtum, mein Liebling. Mein Wartezimmer ist leer.«
Manon seufzte. »Meines leider nicht. Das heißt, daß ich dich, mein lieber Robert, jetzt hinauswerfen muß. Es sei denn, du hättest gesundheitliche Beschwerden.«
Dr. Daniel schmunzelte. »Mein Herz schlägt rasend schnell, aber ich fürchte, das liegt an der Anwesenheit einer gewissen bezaubernden Ärztin. Außerdem leide ich unter ständigen Schweißausbrüchen.«
»Das ist keine Krankheit, sondern nur die Hitze«, lachte Manon, dann stieß sie Dr. Daniel zärtlich an. »Also, du eingebildeter Kranker, mach, daß du aus meiner Praxis kommst.«
Dr. Daniel seufzte abgrundtief. »Wie kannst du nur so grausam sein? Du hättest mich wenigstens gründlich untersuchen können, um sicherzugehen, daß ich wirklich gesund bin.«
Wieder mußte Manon lachen. »Bei dir untersuche ich nicht lange, da behandle ich gleich.« Sie küßte ihn. »Diese Medizin bekommst du dreimal täglich, dann bist du ruck-zuck wieder auf den Beinen.«
»Täusch dich nur nicht«, meinte Dr. Daniel lächelnd. »An diese Medizin könnte ich mich sehr leicht gewöhnen, und dann will ich gar nicht mehr gesund werden.«
»Jetzt aber raus mit dir!« befahl Manon noch immer lachend. »Im Gegensatz zu dir habe ich nämlich zu arbeiten.«
Dr. Daniel ging zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Da es bei mir momentan so ruhig ist, fahre ich gleich in die Waldsee-Klinik hinüber, um dort nach dem rechten zu sehen. Auf diese Weise haben wir beide nach dem Mittagessen vielleicht eine Stunde Zeit, um uns im Freibad ein wenig Abkühlung zu verschaffen.«
»Eine ausgezeichnete Idee«, stimmte Manon zu. »Dann sind wir für die Nachmittagssprechstunde wenigstens ein bißchen erfrischt – wenn es auch nicht lange anhalten wird.«
Dr. Daniel nickte. »Das fürchte ich auch.« Er seufzte. »Ich mag es gern, wenn die Sonne scheint, aber diese unerträgliche Hitze dürfte wirklich bald ein Ende haben.«
Er winkte Manon zum Abschied noch einmal zu, dann informierte er auch Gabi Meindl und Sarina von Gehrau, daß er rasch zur Waldsee-Klinik fahren würde.
Hier herrschte wesentlich mehr Betrieb als in Dr. Daniels Praxis, was allerdings ebenfalls an der Hitze liegen mußte. Soweit Dr. Daniel es überblicken konnte, litten die meisten Patienten unter Kreislaufbeschwerden.
»Oho, der Herr Direktor macht eine seiner gefürchteten Stichproben«, scherzte der Chefarzt, Dr. Wolfgang Metzler, als er Dr. Daniel sah, dann warf er einen kurzen Blick auf die Uhr. »Noch dazu außerhalb der Zeit.«
Dr. Daniel grinste. »Ansonsten wäre es ja keine Stichprobe.« Dann wurde er ernst. »Kann ich euch etwas helfen?«
Erstaunt sah Dr. Metzler ihn an. »Ja, sag mal, bist du arbeitslos?«
»Sieht so aus«, antwortete Dr. Daniel. »In meiner Praxis herrscht absolute Funkstille. Ist allerdings auch mal ganz erholsam.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Dr. Metzler schwieg kurz. »Übrigens… bei der CHEMCO scheint irgend etwas im Busch zu sein.«
Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, Wolfgang?«
Der junge Chefarzt zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Es sind nur so Gerüchte aufgetaucht, als würde Rainer mit radioaktiven Stoffen experimentieren.«
Dr. Daniel schüttelte energisch den Kopf. »Das glaube ich nicht. Die CHEMCO ist kein Kernkraftwerk, und ich halte Rainer für vernünftig genug…«
»Wenn nun doch etwas dran wäre?« fiel Dr. Metzler ihm ins Wort.
»Ausgeschlossen«, urteilte Dr. Daniel entschieden. »Und eigentlich solltest du das auch wissen, Wolfgang. Immerhin ist Rainer dein Freund.« Er machte eine kurze Pause. »Ich halte das für eine böse Verleumdung, und wenn ich nicht sicher wüßte, daß Martin Bergmann im Gefängnis sitzt, würde ich am ehesten ihn dafür verantwortlich machen. Er hat es schließlich niemals verkraftet, daß Rainer als Werksbesitzer sehr viel beliebter und vor allem auch erfolgreicher geworden ist als er.«
Dr. Metzler zuckte die Schultern. »Hoffen wir, daß du recht hast. Und was die Freundschaft zwischen Rainer und mir betrifft – die hört vor den Toren der CHEMCO auf. Aber eines versichere ich dir, Robert. Ich werde ein wachsames Auge auf das Werk haben.«
*
Die letzte Patientin, die an diesem Vormittag Manon Carisis Sprechzimmer betrat, war der Ärztin wohlbekannt.
»Sabine!« rief sie überrascht aus, dann kam sie um den Schreibtisch herum und nahm die Freundin spontan in die Arme. »Meine Güte, ist das schön, dich wieder mal zu sehen!«
»Ist ja schon eine Weile her, nicht wahr?« entgegnete Sabine Reiber, blieb dabei aber auffallend kühl.
»Das kann man wohl sagen«, bekräftigte Manon. »Seit du damals aus der Schweiz abgereist bist, habe ich nichts mehr von dir gehört.«
Sabine seufzte, dann ließ sie sich auf einen der beiden Sessel fallen, die vor Manons Schreibtisch standen.
»Du ahnst ja nicht, was bei uns los war«, erklärte sie eine Spur zu theatralisch.
Unwillkürlich musterte Manon die Frau, die einmal ihre beste Freundin gewesen war. Gemeinsam waren sie immer durch dick und dünn gegangen, und als Manon durch den tragischen Rennboot-Unfall ihres Mannes sehr früh zur Witwe geworden war, war Sabine ihre einzige Stütze gewesen.
Die Hochzeit mit dem reichen Bauunternehmer Frank Reiber hatte aus dem einst bescheidenen jungen Mädchen zwar eine recht selbstgefällige Dame gemacht, doch zumindest Manon hatte diese doch recht unangenehme Seite ihrer Freundin nie zu spüren bekommen. Für sie war Sabine immer der Mensch gewesen, dem sie am meisten vertraut hatte, und es hatte sie sehr traurig gestimmt, daß Sabine sich nach ihrem letzten gemeinsamen Urlaub in der Schweiz nie mehr bei ihr gemeldet hatte. Auch Manons Briefe und Anrufe, die regelmäßig der automatische Anrufbeantworter oder der Butler der Reibers entgegengenommen hatte, waren unbeantwortet geblieben.
Und jetzt saß sie da, wie einem Modemagazin entsprungen. Das luftige Sommerkleid, das sie trug, war nicht nur aus edelstem Stoff – es war auch mit Sicherheit nicht von der Stange, sondern genau nach Sabines Maßen gefertigt worden. Dazu trug sie passende Sandalen und eine farblich genau darauf abgestimmte Handtasche. Und das, was sie an dezentem Make-up im Gesicht trug, mußte auch ein halbes Vermögen gekostet haben – von der perfekt gestylten Frisur ganz zu schweigen.
»So, wie du aussiehst, muß bei dir und Frank vor allem das Geld los sein«, erwiderte Manon jetzt auf Sabines gequält klingende Andeutung von vorhin.
Sabine winkte ab. »Du hast ja keine Ahnung, Manon, was ich in letzter Zeit mit diesem Mann alles durchgemacht habe.«
Erstaunt sah Manon ihre Freundin an. »Heißt das… ihr habt euch getrennt?«
»Ich habe mich von ihm getrennt«, betonte Sabine. »Es war einfach unzumutbar, was er von mir verlangt hatte.«
Manon ahnte bereits, was jetzt kommen würde. »Das heißt, daß du auf der Straße stehst.« Mißbilligend schüttelte sie den Kopf. »Weißt du, Sabine, in diesem Fall kann ich dir eine gewisse Kritik an deinem Verhalten nicht ersparen. Kaum hattest du Frank kennengelernt, da wurden dir fast alle Menschen aus deinem Verwandten- und Bekanntenkreis völlig unwichtig – sogar deine Eltern. Du hast geglaubt, durch die Heirat mit einem reichen Mann seiest du zu etwas Besserem geworden.«
»Hör schon auf mit deinen Moralpredigten«, erklärte Sabine in genervtem Ton. »Ich konnte mich
mit gesellschaftlich minderwertigen Menschen einfach nicht mehr abgeben. Schließlich mußte ich an Franks Seite repräsentieren. Du kennst meine Eltern und weißt, daß…«
»Ich weiß nur, daß sie sehr herzliche, gefühlsbetonte Menschen sind, die ich immer ganz besonders liebgehabt habe«, fiel Manon ihr ins Wort. »Und ich habe es nicht in Ordnung gefunden, daß du sie einfach zur Seite geschoben hast. Aber das habe ich dir ja damals schon gesagt.«
Sabine seufzte abgrundtief, dann holte sie eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche.
»Ich möchte dich doch sehr bitten, hier nicht zu rauchen«, erklärte Manon nachdrücklich. »Du befindest dich schließlich in einer Arztpraxis.«
Sabine zögerte, dann schob sie die Zigaretten wieder ein.
»Ich kenne deine Meinung über diese Dinge zur Genüge«, meinte sie seufzend. »Aber das ist alles Vergangenheit. Es ist auch beileibe nicht so, daß ich nicht wüßte, wohin ich gehen sollte, aber… nun ja, wir waren doch immer gut befreundet, und ich dachte, es wäre nett, wenn wir uns mal wieder sehen würden.«
»Du willst also vorübergehend bei mir bleiben«, vermutete Manon.
»Sagen wir mal so – es wäre sehr hilfreich«, gab Sabine zu. »Frank und ich müssen eine Weile getrennt leben, damit die Scheidung ausgesprochen werden kann, und es ist denkbar schwierig, in der gemeinsamen Wohnung getrennt zu leben.«
Manon nickte. »Das kann ich mir vorstellen.« Sie schwieg einen Moment. »Versteh mich nicht falsch, Sabine – du bist mir jederzeit herzlich willkommen, aber… warum nimmst du eigentlich den weiten Weg bis nach Steinhausen auf dich, obwohl du genausogut in ein Hotel in Stuttgart hättest gehen können.«
Eine verlegene Röte huschte über Sabines Gesicht.
»Ich habe für Hotels nicht viel übrig«, behauptete sie, doch Manon spürte, daß das nicht so ganz der Wahrheit entsprach. »Nebenbei gesagt – es war gar nicht so einfach, deine neue Adresse überhaupt ausfindig zu machen. Ich war nämlich zuerst in Karlsruhe, und dort mußte ich erkennen, daß es deine Praxis gar nichts mehr gab.« Sie lächelte mokant. »Aber korrekt, wie meine liebe Freundin ja schon immer war, hat sie sich natürlich ordnungsgemäß abgemeldet und eine neue Anschrift hinterlassen. Allerdings mußte ich mich in diesem Dorf auch erst mal nach dir durchfragen.«
Manon war von Sabines arroganter Art nun doch ein wenig abgestoßen, und sie fragte sich, ob ihre Freundin schon immer so gewesen war.
»Hast du denn meine Briefe nicht bekommen?« fragte Manon erstaunt.
»Nein«, antwortete Sabine knapp, und wieder spürte Manon, daß diese Antwort nicht der Wahrheit entsprach. Damit lag sie auch ganz richtig, denn Sabine hatte ihre Briefe lediglich flüchtig überflogen und dann gedankenlos weggeworfen.
»Ursprünglich hatte ich meine Praxis ja unten im Ort«, erklärte Manon. »Aber dann haben Robert und ich uns entschlossen, es mit einer Gemeinschaftspraxis zu versuchen.«
Sabine zog die Augenbrauen hoch. »Na, das klingt ja, als wärst du wieder in festen Händen. Und das so kurz nach Angelos Tod.«
»So kurz danach ja nun auch wieder nicht«, entgegnete Manon schärfer, als es eigentlich ihre Absicht gewesen war. »Immerhin sind mehr als drei Jahre seit seinem schrecklichen Unfall vergangen, und ganz vergessen werde ich ihn sicher nie. Aber das schließt doch nicht aus, daß ich mich ein zweites Mal verlieben könnte, oder?«
»Um Himmels willen, nein«, beeilte sich Sabine zu versichern. »Ich gönne dir dein Glück ja auch.« Dann entdeckte sie das gerahmte Bild, das auf Manons Schreibtisch stand, und drehte es neugierig zu sich herum. »Ach, ist er das?«
Ein zärtliches Lächeln erhellte Manons Gesicht. »Ja, das ist Robert. Eigentlich ist es Unsinn, sein Foto hier aufzustellen, denn schließlich arbeitet er nur eine Tür weiter, aber…« Sie zuckte die Schultern. »Ich war eben schon immer ein wenig romantisch.«
»Er sieht gar nicht schlecht aus«, urteilte Sabine. »Allerdings ist er ja wohl wesentlich älter als du.«
»Zehn Jahre«, antwortete Manon, »aber das stört uns nicht. Schließlich ist die Liebe nicht von solchen äußeren Daten abhängig.«
»Ja, ja«, entgegnete Sabine beiläufig, dann lächelte sie wieder in dieser selbstgefälligen Art. »Allerdings – wenn ich erst mal in deinem Alter wäre, dann würde ich mich wohl eher nach einem jüngeren Liebhaber umsehen. Die haben doch viel mehr Temperament.«
Jetzt hatte Manon wirklich Mühe, sich zu beherrschen, und zum ersten Mal war sie tatsächlich wütend auf ihre Freundin.
»Bis du in meinem Alter bist, werden nur noch drei Jahre vergehen«, erklärte sie daher schärfer, als es sonst ihre Art war. »An deiner Stelle würde ich mich dann also schon mal nach einem passenden Mann umsehen.«
»Na, na, nicht gleich so aggressiv«, wehrte Sabine ab. »War ja nur ein Scherz.« Sie zögerte kurz. »Was ist jetzt, Manon, kann ich für ein paar Tage bei dir bleiben?«
Nach allem, was in der vergangenen halben Stunde vorgefallen war, hätte Manon am liebsten abgelehnt, doch das brachte sie letzten Endes denn doch nicht übers Herz. Schließlich waren sie und Sabine einmal die besten Freundinnen gewesen, und die vielen schönen Erinnerungen konnte Manon nicht einfach beiseite schieben.
»Natürlich kannst du bleiben«, stimmte sie daher zu. »Und wer weiß… vielleicht kommt zwischen dir und Frank ja doch wieder alles in Ordnung. Manchmal kann eine räumliche Trennung wahre Wunder wirken.«
Sabine seufzte. »Um Frank und mich wieder zusammenzubringen, wäre sicher mehr als nur ein Wunder nötig.«
*
»Ich fürchte, aus unserem Besuch im Freibad wird nichts«, erklärte Manon traurig, als Dr. Daniel sie nach der Vormittagssprechstunde zu Mittagessen abholen wollte. Seit sie die Gemeinschaftspraxis betrieben, hatten sie es sich angewöhnt, sich mittags von Dr. Daniels Schwester Irene, die ihm hier den Haushalt führte, verköstigen zu lassen.
»Warum denn nicht?« fragte Dr. Daniel, und man merkte ihm die Enttäuschung dabei deutlich an. »Hast du so viele Hausbesuche zu erledigen?«
»Nein«, seufzte Manon. »Eine alte Freundin ist plötzlich aufgetaucht.«