Ein Traum wird wahr - Evelin Hornemann - E-Book

Ein Traum wird wahr E-Book

Evelin Hornemann

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Beschreibung

Obwohl ich schon mehr als zwei Drittel meines Lebens im Rollstuhl sitze, habe ich dank der Hilfe meines Mannes viel von der Welt gesehen. 1996 hatten wir unser Wohnmobil zum ersten Mal in die USA verschifft. Im Jahr 2000 traten wir zum dritten Mal eine mehrwöchige, dreiteilige Reise mit unserem Wohnmobil durch Nordamerika an. Neben den USA einschließlich Alaska und Kanada sollte es in diesem Jahr auch nach Mexiko gehen. Doch leider lief in diesem Urlaub nicht alles so, wie wir uns das vorher vorgestellt hatten. Manche Tour musste geändert werden, und außerdem kamen uns am Ende der Reise auch noch die Anschläge auf das World Trade Center dazwischen. Und trotz mancher Widrigkeiten war es letztendlich doch ein traumhafter Urlaub, an den ich mit Freuden bis heute gerne zurück denke.

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Seitenzahl: 1132

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Evelin Hornemann

Ein Traum wird wahr

Mit unserem eigenen Wohnmobil

durch Nordamerika

Weihnachtsurlaub

vom 09. Dezember 2000 bis zum 09. Januar 2001

Samstag, 09. Dezember 2000

Die Vorbereitungen waren schon länger im Gange. Willi hatte unser elf Jahre altes Wohnmobil schon vor vierzehn Tagen nach Bremerhaven gefahren, von wo es nach Jacksonville in Florida verschifft werden sollte. Laut Zeitplan sollte es jetzt schon dort im Hafengelände stehen, was wir zumindest hofften. Auch das Gepäck hatten wir schon am letzten Sonntag zusammengestellt, wir wollten schließlich nichts vergessen. Da das Fahrzeug offiziell leer verschifft werden musste, hatte Willi die Reiseliteratur, die Küchenartikel, das Bettzeug und das hoffentlich nie benötigte Werkzeug für das Wohnmobil im Fahrzeug gut versteckt, teilweise in den leeren Wassertanks, teilweise in getarnten, nicht so schnell zu findenden Staufächern. Für uns war es ja schon das dritte Mal, dass wir unser Wohnmobil in die Vereinigten Staaten verschifft hatten, also eigentlich alles Routine. Und trotzdem hatte man immer noch das Gefühl, irgendetwas Wichtiges vergessen zu haben. Das ging uns jedoch jedes Mal so. Dieses Mal hatten wir sogar löslichen Kaffee sowie Pumpernickel- und Knäckebrot im Fahrzeug versteckt. Ein deutsches Brot, schön fest und nicht so wabbelig wie das amerikanische, war eigentlich immer das einzige, was uns im Urlaub in den Staaten so richtig gefehlt hatte. Das sollte uns diesmal nicht passieren, dieses Mal hatten wir vorgesorgt.

Jetzt war es endlich soweit. Heute am 9. Dezember 2000 gegen elf Uhr sollte der Flieger ab Stuttgart in die USA starten. Mein Vater wollte uns mit unserem Auto zum Flughafen fahren. Wir hatten ausgemacht, dass wir ihn gegen 8.45 Uhr abholen würden. Der Koffer und die große Reisetasche standen gepackt im Esszimmer und mussten nur noch verschlossen werden. Das war Willis Aufgabe. In seiner bekannt ruhigen und pingeligen Art wurden die Koffergurte auf die exakt benötigte Länge eingestellt, bevor sie um die Gepäckstücke geschnallt wurden. Ich hatte das Gefühl, dass Willi eine Ewigkeit dafür benötigte. Er brachte mich damit fast zur Weißglut. Vorher hatte er noch gemütlich am Esszimmertisch in einer Zeitschrift geblättert und jetzt musste alles in letzter Minute ziemlich hektisch erledigt werden. Und dass Willi unter Stressbedingungen nicht arbeiten kann, war ja hinlänglich bekannt. Ich machte ihm Vorwürfe, dass er den Koffer nicht schon vor einer halben Stunde zugemacht und bis zur letzten Minute gewartet hatte. Ein Wort ergab das andere. Und so hatten wir, noch bevor wir überhaupt auf dem Weg in den Urlaub waren, schon den schönsten Ehekrach.

Als dann endlich das Gepäck im Auto verstaut und wir gerade losgefahren waren, fiel mir gerade noch rechtzeitig auf, dass Willi seine Jacke zuhause liegen gelassen hatte. Also wieder zurückgefahren, Haustüre aufgeschlossen, Jacke geholt, Haustüre wieder verriegelt und wieder ins Auto gesessen. Hoffentlich konnte es jetzt endlich losgehen. Die mit meinem Vater ausgemachte Uhrzeit war natürlich längst verstrichen. Da wir genügend Zeit eingeplant hatten, hätten wir uns eigentlich nicht so beeilen müssen, und trotzdem war ich stinkig mit Willi. Miteinander streitend kamen wir bei meinen Eltern an, wo mein Vater schon vor der Haustüre auf uns wartete. Jetzt schnell rein ins Auto, dann noch ein kleiner Abschiedsgruß an meine Mutter und endlich konnte es losgehen in Richtung Flughafen Echterdingen.

Bis wir dort ankamen war der Streit vergessen, die Vorfreude auf die Reise hatte gesiegt. Nachdem Willi den Rollstuhl aus dem Kofferraum geholt und mir beim Aussteigen geholfen hatte, wurde das Gepäck aus dem Auto auf den Gehweg gestellt. Mein Vater verabschiedete sich von uns, wünschte uns eine gute Reise und fuhr dann wieder nach Hause.

Den Rucksack hinten am Rollstuhl, die Fototasche mit den Flugtickets und den Pässen auf dem Schoß machte ich mich auf die Suche nach dem DELTA-Schalter, gefolgt von Willi, der sich mit dem schweren Koffer und der großen Reisetasche abmühte. Dass unser letzter Flug schon zwei Jahre her war, machte sich sofort bemerkbar. Vor dem Schalter, den früher die amerikanische Fluggesellschaft DELTA besetzt hatte, stand nun eine riesige Schlange türkischer Passagiere, vollbeladen mit Gepäck, die auf den Flug in die Heimat warteten. Da waren wir wohl falsch, doch wo war nun der richtige Schalter? Nach längerer Suche im kompletten Flughafengebäude fanden wir endlich die richtige Stelle, um das Gepäck und uns einzuchecken.

Da ich in einer Reisezeitschrift gelesen hatte, dass viele Fluggesellschaften kurz vor dem Start nicht gebuchte Businessplätze günstig als Lastminute-Plätze abgeben würden, wollten wir das doch gleich einmal in der Praxis testen. Doch welch eine Enttäuschung. Es gab zwar noch Businessplätze, doch wir hätten, zusätzlich zu unseren schon bezahlten Economietickets, noch einmal 7.500 D-Mark pro Person drauflegen müssen. Das war uns dann doch etwas zu teuer. Notgedrungen mussten wir wohl mit den engen Sitzen der sogenannten Holzklasse vorlieb nehmen. Die Dame am Schalter wollte sich trotzdem erkundigen, ob sie für uns keine besseren Plätze finden konnte. Und oh Wunder, die drei Mittelplätze der ersten Economiereihe waren alle noch frei. Wir nahmen das Angebot, diese komplette Sitzbank nur zu zweit zu belegen, natürlich sofort an. Ausgestattet mit unseren geänderten Tickets machten wir uns auf den Weg zum Abfluggate.

Mir grauste vor dem zehn Stunden langen Flug bis nach Atlanta, von wo aus es dann noch einmal eine Stunde bis nach Jacksonville, unserem Zielflughafen, weitergehen sollte. Doch leider gibt es derzeit noch keine andere Möglichkeit, um in kürzerer Zeit über den Atlantik in die Vereinigten Staaten zu kommen. Das Beamen von einem Ort zum anderen funktioniert leider nur in Science-Fiction-Romanen. Da musste ich notgedrungen durch.

Schon nach kurzer Zeit wurde zum Einsteigen aufgerufen. Wegen des Rollstuhls waren wir die ersten, die, gleich nach dem Flugpersonal, unsere Plätze in der Boeing 767 einnehmen durften. Willi ging voraus, um schon einmal unser Handgepäck, den Rucksack und die Fototasche, in den Gepäckfächern zu verstauen. Wieder zurück baute er die großen Räder des Rollstuhls ab und veränderte die Sitzbreite ein klein wenig. Dadurch wurde mein Rollstuhl so schmal, dass ich von Willi durch die engen Gänge der First und der Business Klasse bis zu unseren Plätzen im weiter hinten gelegenen Teil der Maschine geschoben werden konnte. Die bereitstehenden Mitarbeiter des Roten Kreuzes schauten mit großen Augen zu. So etwas hatten sie noch nicht gesehen. Sie waren extra mit ihrem speziellen schmalen Bordrollstuhl gekommen, um mich durch die engen Gänge an meinen Sitzplatz zu bringen. Da sie nicht benötigt wurden, mussten sie unverrichteter Dinge wieder abziehen. Der von Willi ausgetüftelte Rollstuhlmechanismus rief, wie schon öfters, großes Erstaunen hervor. Ich denke, dass ich die einzige Rollstuhlfahrerin bin, die mit ihrem eigenen Gefährt durch die engen Gänge eines Flugzeugs gefahren werden kann.

Nachdem wir schon gemütlich auf unseren Plätzen saßen, kamen auch die anderen Passagiere so langsam in die Maschine, um ihr zum Teil riesiges Handgepäck zu verstauen und ihre Plätze einzunehmen. Das Flugzeug war beinahe voll besetzt. Es sah fast so aus, als wollte halb Deutschland den Weihnachtsurlaub in Amerika verbringen.

Die Tür wurde geschlossen und schon rollte das Flugzeug in Richtung der Startbahn. Die Stewardessen, auf Neudeutsch Flugbegleiterinnen, führten den Passagieren vor, wie die Sicherheitsgurte anzulegen und, im Falle eines Druckverlustes, die Sauerstoffmasken zu bedienen wären. In meinen Augen ist das vergebliche Mühe, da ja doch niemand zuhört, Willi ausgenommen. Er hört immer fasziniert zu, obwohl es doch bei jedem Flug wieder dasselbe ist. Ich weiß auch nicht warum, aber ich finde den Start und die Landung das Schönste am ganzen Flug. Mich fasziniert immer wieder, dass so ein großer Haufen Metall überhaupt fliegen kann. Nach kurzem Anlaufholen hob die Maschine ab, und los konnte es gehen in Richtung USA.

Schon kurz nach dem Start begannen die Flugbegleiterinnen mit der Getränkeausgabe. Wir begnügten uns mit einer Diät-Cola und einem Blubberwasser. Auf Alkohol können wir während eines Fluges leicht verzichten. Nachdem alle Passagiere fürs Erste einmal versorgt waren, machten sich die geschäftigen Damen auch schon an das Aufwärmen des Mittagessens. Das was auf der Speisekarte zu lesen war, klang ja nicht schlecht. Wir sollten die Auswahl haben zwischen Steak mit Beilagen oder einer Gemüselasagne. Wir hatten uns für das Fleisch entschieden und dachten dabei an die riesigen saftigen Steaks, die man in amerikanischen Restaurants bekommt. Doch welch eine Enttäuschung war dann die Wirklichkeit. Das zähe und sehnige Etwas, das mit diesem stumpfen Messer kaum zu zerkleinern war, hatte nichts mit dem gemein, was wir unter einem guten Steak verstanden. Die bunte Salatkreation entpuppte sich als ein paar Blätter verschrumpelter Kopfsalat mit einer kleinen Cocktailtomate und der süße Nachtisch bestand aus einem winzigen Stückchen Schokolade. Doch was soll’s, geht es nach den ärztlichen Empfehlungen, soll man während des Fluges ja sowieso nur wenig essen.

Noch bevor die Tabletts, auf denen sich jetzt zwar kein Essen mehr, dafür jedoch jede Menge Verpackungsmüll befand, von den Stewardessen eingesammelt worden waren, flimmerte es auf dem Bildschirm, der direkt vor unseren Köpfen hing. Die Vorführung des ersten Films, der die Langeweile während des langen Flugs etwas vertreiben sollte, begann. Doch welch eine Enttäuschung für mich. Statt eines kurzweiligen Films für die ganze Familie gab es einen brutalen Actionfilm mit Mord und Totschlag. Schon nach kurzer Zeit hatte ich genug davon, setzte meinen Ohrhörer ab und versuchte vergeblich mich sonst irgendwie zu beschäftigen. Ich schaute die Zeitung durch, die mir kurz zuvor von der freundlichen Stewardess angeboten worden war, konnte mich jedoch nicht richtig auf das Lesen der einzelnen Artikel konzentrieren. Die Bordzeitschrift, die in der Mappe an der Wand vor mir steckte, hatte ich schon zweimal durchgeblättert. Es gab für mich absolut nichts zu tun, was mir die lange Flugzeit angenehmer gestalten konnte. Und als ich auf die Uhr schaute, musste ich feststellen, dass erst eine Stunde seit dem Abflug vergangen war. Oh Gott, wie sollte ich nur die restlichen neun Stunden überleben?

Nach zwei Stunden wusste ich schon nicht mehr wie ich sitzen sollte. Jegliche Sitzpose empfand ich als unbequem. Ich fing an herumzunörgeln, versuchte Willi zu einem Spiel wie „Schiffe versenken“ oder „Stadt, Land, Fluss“ zu überreden. Doch Willi wollte sich den Film in Ruhe zu Ende anschauen. Jede Viertelstunde sah ich auf die Uhr und war immer wieder enttäuscht, weil die Zeit nicht schneller verging.

Nachdem der Film endlich zu Ende war, verteilten die Stewardessen ein Eis an die Passagiere. Das war doch mal eine nette Überraschung. Den anschließenden zweiten Film „Toy Story 2“ konnte auch ich mir ansehen. Es war ein anspruchsloser Zeichentrickfilm für Kinder, ganz ohne Gewaltszenen. Im Kino hätte ich mir so einen Kitsch wohl nie angesehen, dafür waren wir dann doch schon zu alt. Für die nächsten eineinhalb Stunden war ich jedoch abgelenkt. Und irgendwie überlebte ich dann auch noch die letzten fünf Stunden bis zur Landung in Atlanta.

Als wir endlich auf dem Rollfeld in Georgias Hauptstadt aufsetzten meldete sich der Flugkapitän. Er hätte eine gute und eine schlechte Nachricht für uns, ließ er uns über die Sprechanlage wissen. Die gute wäre, dass wir eine halbe Stunde vor der geplanten Zeit gelandet wären. Die schlechte, dass das Gate, an dem wir andocken sollten, leider noch von einem anderen Flugzeug blockiert wäre, so dass wir auf dem Rollfeld warten müssten, bis dieses starten würde. Das war ja toll, denn das bedeutete, dass wir die eingesparten 30 Minuten auch weiterhin angeschnallt in den engen Sitzen verbringen mussten.

Doch auch diese Zeit ging vorüber. Endlich hatten wir angedockt, alle Passagiere konnten aussteigen. Willi mischte sich unter die nach draußen drängenden Personen, um am Gate meinen Rollstuhl in Empfang zu nehmen, der über eine kleine Treppe direkt aus dem Bauch des Flugzeugs an die Tür gebracht wurde. Er baute ihn zusammen und kam schließlich, nachdem schon alle anderen Passagiere das Flugzeug verlassen hatten und die Putzkolonnen zum Großreinemachen erschienen waren, zu mir nach hinten. Ich war wie immer der letzte Fluggast, der die Maschine verlassen durfte, wurde dafür vom Personal besonders freundlich verabschiedet.

Da wir schon öfter in Atlanta zwischengelandet waren, kannten wir uns auf dem Flughafengelände aus. Wir wussten, wo sich die Einreisekontrolle befand, und machten uns gleich auf den Weg dorthin. Die Beamtin war recht freundlich, studierte genauestens unsere Angaben im Einwanderungsformular, das wir schon im Flugzeug bekommen und ausgefüllt hatten, hämmerte den Einwanderungsstempel in unsere Pässe und wünschte uns einen schönen Urlaub.

Anschließend gingen wir weiter zum Gepäckband, das schon von vielen Passagieren unseres Fluges umstellt war. Unser Koffer und unsere Reisetasche ließen auf sich warten. Man bekommt doch immer wieder Herzklopfen und ein mulmiges Gefühl, wenn man sieht, wie die anderen Mitreisenden ihr Gepäck vom Band nehmen und der eigene Koffer einfach nicht erscheinen will. Unauffällig schaute ich mich schon nach der Anlaufstelle für verloren gegangene Gepäckstücke um und machte mir Gedanken über die nächsten Tage, die wir wohl ohne frische Unterwäsche überleben mussten. Doch dann sahen wir mit großer Freude unseren Samsonite, der leicht an dem gelben Kofferband zu erkennen war, aus dem Untergrund hochkommen und auf das Band fallen. Und kurz darauf erschien dann auch die große schwarze Tasche, die unverwechselbar uns gehörte.

Jetzt konnten wir uns auf den Weg durch den Zoll machen. Ich stürmte voran, wechselte ein paar freundliche Worte mit dem Zollbeamten und wurde dann auch schon durchgewunken. Doch wo war nur Willi geblieben? Weit und breit war nichts mehr von ihm zu sehen. Ich wollte gerade wieder zurück und mich auf die Suche nach ihm machen, als ich ihn, schwer mit dem Gepäck kämpfend, um die Ecke kommen sah. Die Tasche wollte einfach nicht in dieselbe Richtung rollen, in die Willi gehen wollte. Willi schien mit der Tasche einen richtigen Kampf auszufechten, den er letztendlich dann doch gewann. Auf dem Weg zur Gepäckaufgabe für den Inlandsflug ließ ich Willi jedoch nicht mehr aus den Augen. Wer weiß, womöglich hätte ich ihn noch einmal verloren.

Der Flughafen in Atlanta ist einer der größten der Welt. Um von einem Gate zum anderen zu kommen, muss man mit einer U-Bahn fahren, die langen Wege wären sonst in der zur Verfügung stehenden Zeit des Zwischenstopps kaum zu schaffen. Wir fuhren nun, nur noch mit dem Handgepäck beladen, unterirdisch quer durch das Flughafengelände. Man sah die ersten Leute in kurzen Hosen, obwohl es außerhalb des Flughafengebäudes nicht ganz so warm war, wie man es aus dieser Sommerbekleidung hätte schließen können. Immerhin hatten wir Anfang Dezember, und das hieß Winter, auch in Georgia.

Da wir noch ein wenig Zeit hatten, schmökerten wir auf dem Weg zum Abfluggate in den Zeitschriften und Souvenirs der Kioske, die unseren Weg säumten. Bei dem derzeitigen hohen Dollarkurs würden wir uns in diesem Urlaub wohl nur auf den Kauf absolut notwendiger Dinge beschränken. Dafür dominierte das Gen des sprichwörtlich sparsamen Schwaben viel zu sehr in unseren Köpfen. Aber anschauen kostete ja nichts.

Inzwischen war es in Deutschland schon halb elf Uhr in der Nacht, für mich eigentlich höchste Zeit, mich ins Bett zu legen. Doch die eine Stunde Flug würde ich auch noch durchhalten. Danach konnten wir uns ja ins gemütliche „Kingsize“-große Bett im schon von Deutschland aus per Internet gebuchten Flughafenhotel in Jacksonville legen. Bis dahin würde ich es wohl noch schaffen.

Unser Flug wurde aufgerufen, wir konnten einsteigen. Dies würde für die nächsten viereinhalb Wochen das letzte Mal sein, dass wir uns durch den engen Gang eines Flugzeugs quetschen mussten, um auf den schmalen Sitzen der sogenannten Holzklasse unsere Plätze einzunehmen. Je müder und quengeliger man wird, desto schmaler und unbequemer erscheinen die Sitze. Das Flugzeug füllte sich. Die Gepäckfächer waren vollgestopft mit dem riesigen „Handgepäck“, das manche Leute mit ins Flugzeug schleppten, nur um später nicht bei der Gepäckausgabe anstehen zu müssen.

Endlich saßen alle Passagiere angeschnallt auf ihren Sitzen. Jetzt konnte es eigentlich losgehen. Doch es tat sich nichts. Nach einer guten Viertelstunde knackte es in der Lautsprecheranlage. Der Flugkapitän meldete sich zu Wort. Es gäbe ein kleines technisches Problem. Die Mechaniker wären jedoch schon auf dem Weg, um die Reparatur sofort vor Ort durchzuführen. Es würde nicht lange dauern. Okay, auf diese Viertelstunde kam es dann wirklich nicht mehr an.

Doch nach weiteren 15 Minuten meldete sich der Kapitän erneut. Die Mechaniker hätten sich am Triebwerk zu schaffen gemacht, den Fehler bis jetzt jedoch noch nicht gefunden. Doch es könnte sich nur noch um Minuten handeln. Nach wiederum einer Viertelstunde ein weiteres Knacken in der Sprechanlage. Der Fehler wäre jetzt gefunden, man könnte sich an die Reparatur machen. Nur ein Kunststoffteil müsste ausgetauscht werden, dann wäre die Sache erledigt. Kein Problem.

Wie sich nach einer erneuten Viertelstunde herausstellte, schien es doch ein Problem zu sein. Das Kunststoffteil wollte wohl nicht ganz so, wie die Mechaniker sich das vorgestellt hatten. Immerhin saßen wir nun schon eine Stunde in diesem Flugzeug, ohne dass sich dieses auch nur von der Stelle bewegt hätte. Deshalb sollten nun Kopfhörer verteilt und ein Film gezeigt werden, der uns die Wartezeit versüßen sollte. Der Film wurde von den Stewardessen in die Videoanlage eingelegt und zurückgespult. Jetzt konnte es losgehen. Der Film sollte von einer amerikanischen Baseballmannschaft handeln. Laut Bordzeitschrift sollte es ein witziger Film sein. Wenigstens etwas Positives.

Doch als der Vorspann gerade zu Ende war, meldete sich der Kapitän ein weiteres Mal über die Sprechanlage. Wie sich jetzt herausgestellt hatte, würde die Reparatur mindestens drei bis vier Stunden dauern. Da man uns eine so lange Wartezeit nun wirklich nicht zumuten wollte, würde man nach einem anderen Flugzeug Ausschau halten, mit dem wir dann nach Jacksonville fliegen sollten. Das hieß also, alle Passagiere aussteigen, gemeinsamer Marsch der kompletten Truppe, vollbeladen mit dem Handgepäck, an ein anderes Abfluggate und nochmaliges Einchecken, vorausgesetzt es würde überhaupt ein leeres abflugbereites Flugzeug gefunden werden. Doch wie sich kurz darauf herausstellte, hatten wir wenigstens in diesem Punkt Glück. Ob wohl unsere Koffer auch den Weg ins neue Flugzeug finden würden? Bis jetzt war das Gepäck ja noch im Bauch des reparaturbedürftigen Fliegers verstaut.

Mit dreistündiger Verspätung hoben wir endlich vom Airport Atlanta ab und landeten eine Stunde später in Jacksonville in Florida. Hundemüde zwängten wir uns aus dem Flugzeug, um unser Gepäck in Empfang zu nehmen. Auch der Koffer und die schwarze Tasche hatten den Weg hierher gefunden, auch wenn uns das angesichts der Umstände doch sehr überraschte.

Wir machten uns auf den Weg raus aus dem Flughafengebäude, um nach dem Shuttlebus zu schauen, der uns zu der Firma fahren sollte, bei der wir schon von Deutschland aus einen Leihwagen gemietet hatten. Für die nächsten beiden Tage hatten wir dort, wiederum per Internet, einen Kleinwagen bestellt. Die frische Luft tat richtig gut, trotz der hohen Luftfeuchtigkeit. Doch das war in Florida ja normal, daran würden wir uns schnell gewöhnen. Die Temperatur lag bei circa zehn Grad Celsius, für uns Mitteleuropäer also eine richtig warme Winternacht.

Nach zweimaligem Fragen fanden wir den Platz, auf dem der Shuttlebus normalerweise stand. Dieser Parkplatz war jedoch zurzeit verwaist. Doch schon kurze Zeit später sahen wir einen Kleinbus auf uns zufahren. Der Fahrer half uns mit dem Gepäck, Willi hievte mich mitsamt dem Rollstuhl in den Bus und los ging’s.

Nach circa zehnminütiger Fahrt hatten wir den Hof der Vermietfirma erreicht. Wir stiegen aus, verabschiedeten uns mit einem kleinen Trinkgeld von dem Fahrer und machten uns auf den Weg ins Verwaltungsgebäude. Nach nur kurzer Zeit in der Warteschlange waren wir auch schon an der Reihe. Wir legten unseren Voucher, den Gutschein für das bereits in Deutschland gebuchte und bezahlte Fahrzeug, vor uns auf den Tresen. Willi musste nur noch einen Abzug seiner Kreditkarte als Kaution hinterlegen und den Mietvertrag unterschreiben, und das war‘s dann auch schon. Wir verstauten das Gepäck auf dem Rücksitz des hinter dem Haus auf uns wartenden Kleinwagens, ich setzte mich auf den Beifahrersitz und Willi hievte den Rollstuhl in den Kofferraum.

Jetzt mussten wir nur noch das Hotel finden, in dem wir für die nächsten zwei Nächte gebucht hatten. Eigentlich müsste es ganz in der Nähe sein. Kaum vom Hof der Vermietfirma gefahren, sahen wir auch schon das große beleuchtete Reklameschild des gesuchten Hotels. Hoffentlich war unser Zimmer auch noch freigehalten worden, immerhin kamen wir erst mit mehr als dreistündiger Verspätung hier an. Doch auch diese Sorge hatte sich als unbegründet erwiesen. Der Nachtportier gab uns unseren Zimmerschlüssel und wünschte uns eine gute Nacht. Die würden wir hoffentlich auch haben, so hundemüde wie wir waren.

In Deutschland war es jetzt schon wieder früh am Morgen. Nach fast vierundzwanzigstündiger Reise hatten wir endlich unser Ziel erreicht. Todmüde und hungrig sanken wir auf unser Bett und fielen beide sofort in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Jetzt konnte uns nichts mehr stören. Endlich konnte unser Urlaub beginnen.

Sonntag, 10. Dezember 2000

Ein lautes Klopfen an die Zimmertür riss uns am nächsten Morgen aus dem Schlaf. „Hier ist der Zimmerservice“, rief eine energische Frauenstimme vor der Tür. Verschlafen gab ich zu verstehen, dass wir noch im Bett liegen würden. Schritte entfernten sich in Richtung des Nachbarzimmers. Kurz darauf klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab und meldete mich mit dem in den USA typischen „Hallo“. Die Frau, die eben noch an die Tür geklopft hatte und nun vom Nachbarzimmer aus telefonierte, wollte wissen, ob wir heute überhaupt einen Zimmerservice benötigen würden. Gegebenenfalls würde sie unser Zimmer zu einem späteren Zeitpunkt sauber machen. Ich gab ihr zu verstehen, dass wir auf diesen Service heute gerne verzichten würden, was ihr verständlicherweise nicht ganz unrecht war.

Da wir nun schon mal wach waren, jedoch noch nicht aufstehen wollten, zappten wir mit der bereitliegenden Fernbedienung durch die vielen Sender, die mit dem Fernsehgerät empfangen werden konnten. Mehr als dreißig amerikanisch- und spanischsprachige Sender hatten wir gefunden. Der einzige, der uns jedoch interessierte, war der Wetterkanal. Im Nordosten der USA schien sich ein Schneechaos anzubahnen, was um diese Jahreszeit ja nicht gerade ungewöhnlich war. Uns interessierte jedoch die Wettervorhersage für den Sonnenscheinstaat Florida. Im Laufe des Tages sollten sich die Wolken am Himmel auflösen, das Thermometer auf annähernd zwanzig Grad Celsius klettern. Das waren doch erfreuliche Aussichten.

Am frühen Nachmittag entschlossen wir uns dann doch noch aufzustehen. Die späte Morgentoilette war schnell erledigt. Willi kramte im Koffer nach einem T-Shirt, schließlich war er im Urlaub.

Bei strahlendem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen machten wir uns mit unserem Mietwagen auf den Weg zu einer kleinen Stadtrundfahrt. Zuerst statteten wir einem großen Walmart Supercenter, das wir schon von früheren Urlauben her kannten, einen Besuch ab. In diesen Läden kann man so ziemlich alles finden, was das Herz begehrt. Wir stöberten durch die verschiedenen Abteilungen, unser Ziel war jedoch die Weihnachtsdekoration. Da ich die obligatorische Weihnachtspost von Deutschland aus noch nicht erledigt hatte, lag diese Aufgabe in den nächsten Tagen vor mir. Also machten wir uns auf die Suche nach typisch amerikanischen Weihnachtskarten. Wir entschieden uns für zwei verschiedene Motive aus der großen Auswahl.

Nachdem wir an der Kasse bezahlt hatten, fuhren wir mit unserem kleinen Mietwagen weiter in Richtung Innenstadt für ein kleines Fotoshooting. Wir mussten uns beeilen, denn dichter Nebel zog schon wieder von der Küste herein und schob sich über die Skyline von Jacksonville, der flächenmäßig größten Stadt der USA.

Zurück in unserem Hotel machten wir uns dann zu Fuß auf in ein Denny’s Familienrestaurant ganz in der Nähe. Die amerikaweit agierende Kette besticht mit einem relativ guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Gemütlich ließen wir diesen ersten Urlaubstag bei einem guten Essen und einigen Litern Diät-Cola ausklingen.

Montag, 11. Dezember 2000

Heute sollten wir unser Wohnmobil bei der Reederei auf Blound Island, einer Halbinsel, auf der sich der Überseehafen befindet, abholen können. Hoffentlich würde auch alles klappen. Wir wollten uns die Zeit in der Warteschlange beim Zoll sparen und machten uns deshalb schon früh am Morgen auf den Weg. Am Wärterhäuschen vor der Schranke, welche die Einfahrt auf die Halbinsel absperrt, holten wir uns eine Einfahrgenehmigung und fuhren dann zunächst einmal zur Reederei. Dort angekommen sahen wir schon unser Wohnmobil zwischen den Pkws und Bussen, die von Europa aus in die USA verschifft worden waren, stehen und auf uns warten. Die Gefahr, dass das Fahrzeug überhaupt nicht angekommen wäre, bestand also nicht mehr.

Beruhigt konnten wir nun zum Zoll fahren und die uns dort vorgelegten Formulare ausfüllen. Da wir weder Waffen noch frisches Obst oder Fleisch einführen wollten, und Willi versprach, das Fahrzeug innerhalb einen Jahres, wie gesetzlich vorgeschrieben, auch wieder aus den USA auszuführen, stand den offiziellen Einfuhrpapieren des Zolls nichts mehr im Wege.

Mit diesen Papieren fuhren wir dann wieder zur Reederei, wo uns der Schlüssel für unser Wohnmobil überreicht wurde. Ein kurzer Blick in das Fahrzeug zeigte uns, dass dieses weder aufgebrochen noch durchwühlt oder beschädigt worden war. Unsere Geheimfächer waren, so wie es aussah, auch nicht entdeckt worden. Nachdem wir die Koffer vom Mietwagen ins Wohnmobil umgeladen hatten, stellte sich jetzt nur noch die Frage, wie wir das Mietfahrzeug wieder zurück zum Flughafen bekommen sollten. Da ich ihn nicht fahren und Willi logischerweise nur ein Fahrzeug chauffieren konnte, blieb uns, so wie es aussah, leider nur eine kostspielige Fahrt mit einem Taxi von der PKW-Vermietstation wieder zurück zu unserem Wohnmobil.

Doch genau in diesem Augenblick erschien ein anderes Ehepaar, das seinen PKW abholen wollte. Die Frau erzählte uns, dass ihr Mann einige Jahre in Deutschland stationiert gewesen und nun in die USA zurückversetzt worden war. Sie hatten sich von Freunden herfahren lassen. Als diese wieder in die Stadt zurückfahren wollten, fragte ich sie kurzerhand, ob nicht einer von ihnen mit einem unserer beiden Fahrzeuge fahren konnte. Uns würde es viel Aufwand ersparen und für sie wäre es kein allzu großer Umweg. Gesagt, getan. Als kleine Karawane von drei Fahrzeugen fuhren wir in Richtung Flughafen zur Vermietstation. Nachdem wir uns bei dem freundlichen Ehepaar bedankt hatten, gaben wir das Mietfahrzeug ab. Jetzt konnte die Tour mit unserem Wohnmobil beginnen.

Doch zunächst einmal mussten wir den Koffer und die Tasche auspacken, die Geheimfächer einschließlich der Wassertanks leeren und dann die Gasflaschen und die Frischwassertanks auffüllen. Wasser bekam man ja überall, mit Gas war das etwas anderes. Ein Wohnmobil darf leider nur mit leeren Gasflaschen verschifft werden. Und erst dann konnte das Camperleben so richtig beginnen. Auf einem großen Parkplatz eines Lebensmittelgeschäfts machten wir uns an die Arbeit. Bis alle Kleidungsstücke und Campingutensilien an ihrem Platz verstaut waren, war es später Nachmittag geworden. Die Gasflasche ließen wir in einem kleinen Betrieb an der Hauptstraße füllen. Wir besaßen einen Adapter, der auf unsere deutsche Gasflasche aufgeschraubt werden musste, so dass diese dann an einer amerikanischen Station gefüllt werden konnte. Heutzutage ist das leider aus sicherheitstechnischen Gründen nicht mehr erlaubt, da bleibt einem dann nichts anderes übrig, als sich eine amerikanische Tauschflasche zu kaufen. Das Frischwasser bunkerten wir an einem Truckstopp außerhalb der Stadt.

Und dann endlich konnte es auf Tour gehen. Wir nahmen den Freeway in Richtung Süden. Bei St. Augustine machten wir an einem Truckstopp Rast, um etwas zu essen. Anschließend fuhren wir jedoch noch ein Stück weiter, da es uns hier wegen der vielen Lkws, die die ganze Nacht über den Motor für ihre Kühlaggregate oder Klimaanlagen laufen lassen würden, zum Übernachten zu laut war.

In Bunnell entdeckte ich ein Haus, das über und über mit blinkenden Lichterketten sowie beleuchteten Schnee- und Weihnachtsmännern geschmückt war, und bat Willi sofort anzuhalten. Dieses verrückte Haus musste doch auf einem Foto festgehalten werden. Willi wollte zwar nicht so recht, fügte sich letztendlich jedoch meinem Wunsch. Die Fenster im oberen Stockwerk des Hauses waren trotz der kühlen Abendtemperaturen weit geöffnet. Dort hatte man große Lautsprecher postiert, aus denen, für die gesamte Nachbarschaft nicht überhörbar, Weihnachtslieder dröhnten. Bei uns in Deutschland wäre so etwas undenkbar gewesen und wäre spätestens nach fünfzehn Minuten von der herbeigerufenen Polizei gestoppt worden. Hier in den USA schien dies jedoch niemanden zu stören. Kopfschüttelnd packten wir unseren Fotoapparat samt dem Stativ aus und machten ein paar Aufnahmen. Anschließend fuhren wir noch bis in die Nähe von Flagler Beach, wo wir auf einem Parkplatz übernachteten, glücklich, wieder in den eigenen Betten schlaffen zu können.

Dienstag, 12. Dezember 2000

Am nächsten Morgen machten wir uns erneut auf den Weg weiter in Richtung Süden, denn wir wollten noch am selben Nachmittag oder spätestens am Abend einen ehemaligen Klassenkameraden besuchen, der seit drei Jahren mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Boca Raton lebte.

In Daytona Beach fuhren wir vom Freeway runter, um am Atlantik entlangzufahren. Der Sand dort hat eine besonders dichte Beschaffenheit, so dass es möglich und auch erlaubt ist, auf dem Strand zu fahren. Das ist immer wieder ein besonderes Erlebnis. Leider konnte man an diesem Tag aufgrund des Nebels, der vom Meer her über den Strand zog, kaum das Wasser, geschweige denn die großen Tanker und Containerschiffe auf dem Atlantik sehen. Und trotzdem machte es uns einen Heidenspaß. Überglücklich fuhren wir im Schritttempo an den großen Hotels vorbei. Heute ist das so nicht mehr erlaubt. Man darf zwar an manchen Stellen mit dem Auto noch an den Strand fahren, am Strand entlang zu cruisen wird jedoch nicht mehr gerne gesehen. Außerdem gibt es immer wieder autofreie Zonen, so dass eine durchgängige Fahrt am Strand entlang nicht mehr möglich ist.

Wieder zurück auf dem Freeway mussten wir nun aufs Gaspedal drücken, wenn wir noch bis nach Boca Raton kommen wollten. Genau pünktlich zum Feierabendstau erreichten wir die Stadt. Im Schritttempo ging es die letzten Kilometer bis zu der Siedlung, in der Martin mit seiner Familie wohnte.

Mit großem Hallo wurden wir von Martin, Iris, Rebekka und Max begrüßt. Danach führte uns Martin zur Besichtigung sämtlicher Zimmer durch das Haus. Er war gerade dabei, das ganze Haus im europäischen Stil zu renovieren und umzubauen. Anschließend wurden wir zum gemütlichen Abendessen am Pool eingeladen. So lässt es sich leben.

Wir saßen noch lange in der lauen Abendluft zusammen, unterhielten uns gut und genossen den schönen Abend. Es gab ja auch so viel zu erzählen. Immerhin hatten wir uns, abgesehen vom Klassentreffen in Neubulach vor fast zwei Monaten, schon seit beinahe zwanzig Jahren nicht mehr gesehen und in dieser Zeit auch nichts voneinander gehört. Erst sehr spät legten wir uns in unserem Wohnmobil vor dem Haus schlafen.

Mittwoch, 13. Dezember 2000

Wir erwachten erst kurz nach neun Uhr. Die Kinder und Martins Frau hatten schon lange das Haus verlassen, um in die Schule zu gehen bzw. Besorgungen zu machen. Martin holte uns zum Frühstück noch einmal ins Haus. Auch an diesem Morgen ging uns der Gesprächsstoff nicht aus. Wir unterhielten uns unter anderem über Martins Arbeit bei der Siemens AG. Schön war, dass er es sich als Führungskraft erlauben konnte, auch einmal ein paar Stunden später ins Büro zu gehen und wir uns deshalb beim Frühstück Zeit lassen konnten. Erst gegen dreizehn Uhr verabschiedeten wir uns voneinander und machten uns wieder auf den Weg.

Wir wollten noch einmal nach Miami Beach fahren und uns die oft im Fernsehen gezeigten Art-Deco-Häuser ansehen. Das Wetter war herrlich. Das Thermometer kletterte auf über fünfundzwanzig Grad, und das mitten im Winter. Es war ein richtig schöner und gemütlicher Urlaubstag.

Es hielt uns jedoch nicht allzu lange in der Stadt, wir wollten weiter bis in die Everglades. Die Everglades sind ein subtropisches Marschland im Süden von Florida. Ein Teil dieses Feuchtgebiets der Everglades ist seit 1947 als Nationalpark geschützt und gleichzeitig UNESCO-Welterbe. Seit 2010 steht der Park auf der roten Liste des gefährdeten Welterbes, da die zunehmende Umweltverschmutzung und die Eingriffe in den Wasserhaushalt den Park bedrohen. Schon in der Zeit von 1993 bis 2007 stand der Park aus denselben Gründen auf der roten Liste.

Die Sonne ging schon fast unter, als wir auf die US-41 fuhren, den Tamiami Trail, der die Städte Tampa und Miami miteinander verbindet. Diesem wollten wir die nächsten 150 Kilometer folgen. Diese Strecke gefällt uns immer wieder besonders gut, weil man direkt neben der Straße Hunderte von Alligatoren liegen sehen kann. Natürlich gibt es auch Schildkröten und viele verschiedene Reiherarten zu beobachten, doch am interessantesten sind für uns die bis zu sechs Meter langen, schwarzen Alligatoren. Sie geben einem das Gefühl, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten, wenn sie da so ruhig im Wasser liegen. Doch manchmal kann man sie auch beim Beutefang beobachten und kann dann miterleben, wie schnell sie zuschnappen können.

Die ebenfalls schöne Strecke bis ganz in den Süden Floridas über die Inselgruppe der Keys bis Key West ließen wir in diesem Urlaub aus. Die hatten wir schon in mehreren Urlauben abgefahren, teils mit Mietwagen, teils mit unserem Wohnmobil.

Als wir so gemütlich dahinfuhren, dabei immer den kleinen Wasserlauf rechts neben der Straße beobachtend, um ja keines der dort stehenden oder liegenden Tiere zu versäumen, wurden wir von einem Pickup überholt, der vor uns anhielt, und dadurch Willi praktisch auch zum Bremsen zwang. Ein Mann sprang aus dem Fahrzeug und kam auf uns zu. Er stellte sich vor, sein Name war Leslie. Er erzählte, dass er uns auf der anderen Straßenseite entgegengefahren war, und dass er, als er unseren Mercedes-Transporter gesehen hat, sofort sein Fahrzeug wendete, um uns wieder einzuholen und zum Anzuhalten zu bringen. Er war auf dem Weg nach Miami, um dort einen Film zu drehen, und wollte vorher unbedingt einen kurzen Blick in unser Fahrzeug werfen. Die Amerikaner sind immer wieder begeistert von unserem kompakten, jedoch voll ausgestatteten Wohnmobil, das dazu noch äußerst wendig und für amerikanische Verhältnisse extrem sparsam im Spritverbrauch ist. Wir erfuhren von Leslie, dass er 1994 im Gaggenauer Werk einen Unimog gekauft und in die USA eingeführt hatte, um ihn danach als Wohnmobil auszubauen. Wir wunderten uns, dass das mit der Zulassung problemlos geklappt hatte. Auch wir hatten uns schon mehrfach erkundigt, ob es möglich wäre, für unser Fahrzeug eine amerikanische Zulassung zu bekommen. Dieses Anliegen schien bisher jedoch ohne sehr großen finanziellen Aufwand nicht möglich zu sein. Leslie bot uns an, falls wir immer noch Interesse daran hätten, uns damit behilflich zu sein. Das Ganze würde natürlich völlig legal geschehen, ganz ohne krumme Tricks. Im Gegenzug dafür versprachen wir ihm dann, Ersatzteile für seinen Unimog zu besorgen und zu schicken, falls erforderlich, denn das schien für ihn von Amerika aus ein ziemlich aufwändiges Unterfangen zu sein. Nachdem wir unsere Visitenkarten ausgetauscht hatten, verabschiedeten wir uns voneinander und fuhren wieder in entgegengesetzte Richtungen weiter. Wir wunderten uns wieder einmal, wie einfach es in den USA war, neue Bekanntschaften zu machen. Auf diese Weise hatten wir schon einige Leute kennengelernt, mit denen wir nun schon seit Jahren regen Brief- oder Emailkontakt haben.

Da es uns einfach zu schade war, diese schöne Strecke bei Dunkelheit zu fahren, machten wir an dem Primitivcampingplatz Midway Campground Halt, um dort zu übernachten. Einige Wohnmobile standen schon dort. Wir suchten uns ein schönes Plätzchen direkt am See, packten unseren Grill aus und kochten uns ein deftiges Abendessen. Es war herrlich. Im Westen leuchteten die letzten roten Strahlen des Sonnenuntergangs. Im See vor uns zog ein kleiner Alligator ruhig seine Bahnen. Vor einem großen Wohnmobil, nicht weit von uns entfernt, brannte ein großes Lagerfeuer. Dies war Romantik pur.

Donnerstag, 14. Dezember 2000

Total zerstochen von den Moskitos wachten wir am nächsten Morgen auf. Wir hatten gestern Abend zu spät bemerkt, dass es hier nur so von diesen Plagegeistern wimmelte, und die Fenster zu lange offen gelassen, ohne die Moskitonetze davor zu machen. Das rächte sich jetzt mit vielen roten, juckenden Stichen auf den Armen und im Gesicht. Zur Strafe wurde ihnen von Willi mit der Fliegenklatsche der Garaus gemacht. Rache ist süß.

Nach dem Frühstück machten wir uns auf in das nur wenige Kilometer entfernte Big Cypress National Preserve Oasis Visitor Center. Ein ausgestopfter Florida Panther, der bei der Kollision mit einem Auto vor einigen Jahren ums Leben gekommen war, bereicherte eine kleine Ausstellung über die Tierwelt der Everglades in diesem Besucherzentrum. Der Panther war früher kein seltener Gast in diesem Gebiet, wurde jedoch von den Menschen fast ausgerottet. Nur sehr langsam erholt sich sein Bestand wieder. Es war jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass wir ein lebendes Tier dieser Gattung zu Gesicht bekommen würden. Dafür hatten wir einen Großteil der anderen ausgestopften Tiere entlang der Strecke, vor allem die der meisten Vogelarten, schon in natura beobachten können.

Wieder auf der Straße hielten wir während der Fahrt immer wieder Ausschau nach den Herrschern der Everglades, den Alligatoren. Im Schnitt sahen wir auf den circa 65 Kilometern, die durch das Schutzgebiet führen, mindestens alle zwanzig Meter eine dieser Echsen. Das waren dann insgesamt mehr als dreihundert dieser unter Naturschutz stehenden Tiere, eine stattliche Anzahl.

Beim kleinsten Postamt der USA in Ochopee legten wir einen Fotostopp ein. Das kleine Häuschen mit einer Grundfläche von höchstens zwei bis drei Quadratmetern und dem obligatorischen Sternenbanner, der offiziellen US-Flagge, vor der Tür, ist nicht nur bei den Touristen ein beliebtes Fotomotiv.

Ein weiteres Auto mit einem Nummernschild aus Florida hatte ebenfalls gehalten. Die beiden jungen Leute stiegen aus, kamen auf uns zu und sprachen uns auf Deutsch an. Sie hatten unser deutsches Nummernschild gesehen und wollten deshalb mehr über unser Vorhaben erfahren. Sie kamen ebenfalls aus Baden-Württemberg und verbrachten hier einen dreiwöchigen Urlaub, der sich jedoch dem Ende zu neigte. Sie waren mit einem Mietwagen kreuz und quer durch Florida gefahren und wollten jetzt unbedingt noch einen Alligator sehen. Als wir ihnen erzählten, dass wir entlang der Straße mindestens dreihundert dieser Tiere gesehen hatten, konnten sie das fast nicht glauben. Die meisten Touristen fahren auf dieser Strecke mit der Höchstgeschwindigkeit durch, ohne nach rechts oder links zu schauen. Sie wissen gar nicht, was sie dadurch versäumen.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir die Westküste am Golf von Mexiko. Über die Sunshine Skyway Brücke, von der man einen phantastischen Blick auf die Tampa Bay hat, erreichten wir St. Petersburg. Von einem Parkplatz aus genossen wir den immer wieder sehenswerten, wunderschönen Sonnenuntergang. Während die Sonne langsam am Horizont verschwand, färbten sich der Himmel und das Meer in allen Rot- und Orangetönen.

Nach diesem überwältigenden Schauspiel fuhren wir noch bis nach Clearwater, um durch Robert’s Christmas Wonderland zu schlendern, das das ganze Jahr über nichts als Weihnachtsartikel verkauft. In einem Ausstellungsraum standen weit mehr als einhundert geschmückte, künstliche Weihnachtsbäume, mal bunt, mal kitschig, mal elegant. Für jeden Geschmack war etwas dabei. Außerdem gab es alles zu kaufen, was man nur irgendwie mit Weihnachten in Verbindung bringen kann, wie zum Beispiel Keramikfiguren, dekorierte Eisenbahnanlagen, Lichterketten in allen Variationen, Geschenkpapier, Kunst und Kitsch jeglicher Art. Auch wenn ich für aufwändige Adventsdekorationen im und ums Haus normalerweise relativ viel übrig habe, fiel es uns doch leicht, hier kein Geld auszugeben.

Danach fuhren wir zum Abendessen über den Courtney Campbell Causeway nach Tampa hinein, wo wir es uns wieder einmal in einem Denny’s Restaurant gemütlich machten. Übernachtet hatten wir dann auf dem Campingplatz von Lazydays am Ortsausgang von Tampa, wo wir einen kostenlosen Stellplatz zugewiesen bekamen. Lazydays ist einer der größten, wenn nicht sogar der weltweit größte Händler für RVs, wie die Wohnmobile in Amerika genannt werden.

Freitag, 15. Dezember 2000

Nach dem Aufstehen schlenderten wir durch die Camping World nebenan, einer großen Kaufhalle, in der man alles bekommen kann, was das Camperherz begehrt. Bevor wir weiterfuhren, schauten wir uns auch noch den riesigen Werkstattbereich von Lazydays an, in dem gleichzeitig Hunderte von Wohnmobilen repariert werden können. Teilweise wohnten die Besitzer hinten in den Fahrzeugen, während vorne im Motorraum geschraubt und repariert wurde. Dazu muss man erklären, dass es in den USA nicht ungewöhnlich ist, dass Rentner all ihr Hab und Gut verkaufen, um sich ein riesiges Wohnmobil anzuschaffen. Mit diesem bereisen sie dann ihr großes Land. Für sie ist es dann wirklich ein Haus auf Rädern, denn sie haben ansonsten keine andere feste Adresse mehr.

Anschließend ging es dann weiter nach Holiday, einer kleineren Stadt nördlich von Clearwater, wo wir Freunde besuchen wollten, die wir vor fast fünf Jahren auf einem Campingplatz auf den Keys kennengelernt hatten, und zu denen wir seither einen sehr herzlichen Kontakt pflegten. Ein paar Tage bevor wir losgeflogen waren, hatte ich Ihnen per E-Mail mitgeteilt, dass wir sie gerne besuchen kommen würden. Ich hatte zwar keine Antwort erhalten, doch in der Zwischenzeit hatten sie die Nachricht bestimmt gelesen. Sie müssten also Bescheid wissen, dass wir heute kommen wollten.

Doch als wir an der Haustür klingelten, mussten wir leider feststellen, dass niemand zuhause war. Guter Rat war nun teuer. Wir entschlossen uns, zunächst einmal im Einkaufszentrum der Stadt Halt zu machen, um unsere Lebensmittelvorräte wieder aufzustocken und danach noch einmal vorbeizuschauen. Gesagt, getan.

Circa zwei Stunden später standen wir erneut vor der Haustür, in der Hoffnung, dass dieses Mal jemand zuhause war. Und wir hatten tatsächlich Glück. Nachdem wir geklingelt hatten öffnete uns Betty die Tür. Zunächst schaute sie uns ganz ungläubig an und nahm uns dann sehr herzlich in die Arme. Wir begrüßten uns mit großem Hallo. Wie sich herausstellte, hatte Vahak schon lange nicht mehr seine E-Mails gelesen, wir schauten also praktisch unangemeldet bei ihnen vorbei und hatten großes Glück, dass überhaupt jemand da war. Betty telefonierte sofort mit Vahak, der im Krankenhaus ehrenamtlich damit beschäftigt war, eine Hilfsorganisation ins Leben zu rufen, die Ärzte und Medikamente nach Armenien schicken sollte. Vahak ist gebürtiger Armenier. Seine Familiengeschichte, angefangen beim Völkermord während des Ersten Weltkriegs, den die Türken an dieser Völkergruppe verübten, bis zur Flucht seiner Familie über Frankreich bis nach Ägypten, sowie die Geschichte seiner Auswanderung und Familiengründung in Amerika kann man in zwei Büchern nachlesen, die Vahak 2010 und 2016 veröffentlicht hat. Sofort unterbrach er seine Arbeit, um nach Hause zu eilen und uns willkommen zu heißen.

Nach einer regen Unterhaltung, in der die letzten Neuigkeiten der vergangenen Jahre ausgetauscht worden waren, wurden wir von Vahak und Betty zum Essen in ein nahegelegenes italienisches Restaurant eingeladen, das von einem Nachbarn der beiden geführt wurde. Zu unserer Überraschung nahm Vahak ein paar Flaschen Bier mit, die wir dann zum Essen trinken könnten. Wir fanden es ziemlich ungewöhnlich, die eigenen Alkoholika mit ins Restaurant zu nehmen, doch Vahak klärte uns auf, dass es in den USA ziemlich schwierig und kostspielig sei, eine Lizenz für den Alkoholausschank zu bekommen. Da der Restaurantbesitzer diese Lizenz nicht besaß, nahm man eben die Getränke von zuhause mit. So einfach war das.

Wir wurden dem Restaurantbesitzer vorgestellt, und wie sich herausstellte, kannte er uns schon vom Hörensagen. Wir schienen bekannt zu sein wie ein bunter Hund. Wir ließen uns das gute italienische Essen schmecken und hatten den ganzen Abend eine angeregte und lustige Unterhaltung.

Bevor wir uns von unseren Freunden verabschiedeten, wurden wir noch mit Weihnachtspräsenten beschenkt. Vahak, Hobbykünstler und -maler, hatte uns ein handgefertigtes Aquarell gerahmt. Vorhin hatten wir immer wieder einen Vogel rufen hören und die beiden gefragt, ob sie irgendwo in der Wohnung einen Vogel als Haustier halten würden, was jedoch verneint wurde. Es stellte sich heraus, dass die Vogelstimmen von einer Uhr in der Küche kamen. Da ich Betty’s Küchenuhr so bewundert hatte, wurde mir diese kurzerhand als Weihnachtsgeschenk aufgedrängt. Auf dem Zifferblatt sind statt der Zahlen einheimische Vögel abgebildet. Jede volle Stunde lässt die Uhr die zum jeweiligen Vogel passende Vogelstimme ertönen. Heute gibt es diese Uhren der Firma Kookoo sowie zahlreiche billigere Imitate mit den Vogelstimmen der jeweiligen einheimischen Vögel weltweit zu kaufen. Mit Tränen in den Augen verabschiedeten wir uns schweren Herzens. Die beiden hatten uns jedoch versprochen, uns einmal in den nächsten Jahren in Deutschland zu besuchen. Wir freuen uns schon jetzt auf ein Wiedersehen mit ihnen.

Da wir den beiden nicht noch mehr Arbeit aufhalsen wollten, fuhren wir noch am selben Abend ein Stück auf der US-19 nach Norden. Zum Übernachten stellten wir uns dann auf den Parkplatz des Weeki Wachee Springs Waterparks, wo wir eine ruhige Nacht verbrachten.

Samstag, 16. Dezember 2000

Auf dem Weg nach Norden erinnerten wir uns daran, dass Leslie, der mit dem Unimog, uns erzählt hatte, dass er sein Fahrzeug in Cedar Key, einem Ferienort auf einer kleinen Insel im Golf von Mexiko abgestellt hatte. Da er gesagt hatte, dass er am Wochenende zurück sein würde, beschlossen wir kurzerhand, einen kleinen Abstecher dorthin zu machen und uns sein Fahrzeug auch einmal anzuschauen.

In der Ortschaft angekommen fuhren wir einen Teil der Straßen ab, in der Hoffnung, den Unimog irgendwo stehen zu sehen. Da dies jedoch nicht der Fall war, suchten wir uns eine Telefonzelle, aus der Willi ihn anrufen wollte. Es meldete sich jedoch nur die Mailbox.

Danach beschlossen wir, uns das örtliche Cedar Key State Museum anzuschauen und dann gleich zu fragen, ob Leslie dort eventuell bekannt wäre. Doch auch damit hatten wir keinen Erfolg. An der Tankstelle des Orts stand der Ortssheriff mit ein paar Leuten ins Gespräch vertieft. Willi fragte auch dort noch einmal nach, und siehe da, das exotische deutsche Auto war aufgefallen. Der Sheriff erklärte Willi den Weg und wir machten uns auf die Suche danach.

Tatsächlich, auf einem abgelegenen Grundstück direkt am Wasser stand der Unimog mit Wohnkabine. Willi stieg aus und ging ein paarmal um das Fahrzeug, um es sich etwas genauer anzuschauen. Sofort meldete sich eine Nachbarin und fragte, ob wir etwas Bestimmtes suchen würden. Nachdem Willi ihr alles erklärt hatte, erzählte sie uns, dass Leslie nur am Wochenende hier wäre, und dass er sich in der nächsten Zeit ein Haus bauen wolle. Er war jedoch noch nicht von seinen Filmarbeiten in Miami zurück. Das war zwar schade, doch wir hatten ja immer noch seine Emailadresse und konnten ihm von Deutschland aus eine Nachricht zukommen lassen.

Wir fuhren wieder zurück auf die Hauptstraße und beschlossen, an diesem Nachmittag noch den Manatee Springs State Park zu besuchen. Um die dortige Frischwasserquelle sollen sich im Winter Manatees, also Seekühe tummeln. Mit etwas Glück konnte man diese vom Aussterben bedrohten Tiere, von denen es in Florida nur noch etwa tausend gibt, beobachten. Diese plump wirkenden Tiere, die bis zu vier Meter lang und eine Tonne schwer werden können, sind die einzigen Pflanzenfresser unter den Meeressäugern. Sie fressen bis zu 40 kg Wasserpflanzen pro Tag und benötigen dafür rund zehn Stunden. Den restlichen Tag verbringen sie mit Dösen, müssen jedoch circa alle fünf Minuten zum Atmen auftauchen. Anders als Robben oder Wale halten sich Seekühe stets in Küstennähe oder sogar im Süßwasser und oft in flachem Wasser auf. Ihr kleiner Kopf ist durch die eckige, massive Schnauze charakterisiert, die mit zahlreichen Tasthaaren versehen ist. Eine zunehmende Bedrohung für die Tiere ist die fortschreitende Verschmutzung der Gewässer. Leider sterben die Tiere auch häufig nach Kollisionen mit Motorbooten, die ja in Florida in hoher Zahl auf dem Wasser herumschippern.

An der Zahlstelle in den Park fragte ich, ob man heute schon Seekühe gesehen habe, worauf der Ranger antwortete, dass man den Tag davor sechs und heute vier Tiere gesehen hätte. Voll Spannung fuhren wir in den Park, stellten unser Fahrzeug auf dem Parkplatz ab und machten uns auf den Weg zu der Aussichtsplattform.

Der Weg führte auf einem Holzsteg, vorbei an der Quelle, bis in den Suwannee River. Einige ältere Besucher saßen auf den Bänken, die rund um die Aussichtsplattform aufgestellt waren. Meine Frage, ob sie schon die seltenen Seekühe gesehen hätten, verneinten sie. Unsere Hoffnung, ein so seltenes Tier beobachten zu können, sank gegen Null. Nachdem die anderen Besucher gegangen waren, schauten wir noch eine Weile hoffnungslos übers Wasser.

Doch was war das? War da nicht kurz eine Schnauze aus dem Wasser aufgetaucht, um nach Luft zu schnappen, bevor sie dann gleich wieder im Wasser verschwunden war? Tatsächlich, immer wieder mal kam die eine oder andere Schnute an die Wasseroberfläche. Wir waren total entzückt, auch wenn wir nur so einen winzigen Teil dieser riesigen Tiere zu sehen bekamen. Das war doch immerhin etwas. Um zu atmen reicht es ja schon, wenn sie nur die an der Oberseite der Schnauze liegenden Nasenlöcher aus dem Wasser strecken. Wir starrten ganz gebannt in den Fluss und waren immer wieder begeistert, wenn ein Tier zum Atmen kurz hoch kam.

Als ein junges Paar den Steg entlang geschlendert kam, machte ich sie sofort auf unsere Entdeckung aufmerksam. Dadurch kam ich ein wenig mit ihnen ins Gespräch. Der junge Mann erzählte mir, dass er einmal als Volontär in einem Park gearbeitet hatte und dort die Geburt eines Seekuhbabys beobachten konnte. Dagegen war das, was wir hier zu sehen bekamen, natürlich nicht allzu viel, aber immerhin besser als gar nichts. Die beiden fragten mich, wo wir herkämen. Als ich erzählte, dass wir aus Germany kommen würden, fragten sie mich, ob dort auch gerade Winter wäre. Anscheinend hatten sie keine Ahnung, wo Deutschland liegt, ob auf der Nord- oder Südhälfte der Erde.

Wir fuhren dann noch weiter bis nach Perry, wo wir uns in einem Lebensmittelgeschäft ein großes Rindersteak kauften, das wir uns dort auf dem Parkplatz gleich zum Abendessen grillen wollten. Darauf freuten wir uns schon. Während ich mich um den Salat kümmerte, baute Willi den Grill vor dem Wohnmobil auf. Doch der stark auffrischende Wind blies ständig die Flamme des Gasgrills aus. Deshalb blieb Willi nichts anderes übrig, als den Grill ins Fahrzeug zu stellen und das Fleisch dort fertig zu braten. Eigentlich sah er es nicht gern, wenn im Wohnmobil etwas gebraten wurde. Mit der Zeit würden sonst sämtliche Möbel mit einem schmierigen Fettfilm überzogen werden und der Bratengeruch wäre auch schlecht aus den Polstern und Holzmöbeln herauszubekommen. Doch dieses Mal blieb uns wohl nicht anderes übrig.

Das Steak schmeckte herrlich, das muss wohl am Fleisch gelegen haben, denn zuhause bekomme ich es nie so gut hin. Wie meistens waren wir auch diese Nacht nicht die einzige Wohnmobilbesatzung, die auf dem Parkplatz übernachtete.

Sonntag, 17. Dezember 2000

In der Nacht war es empfindlich kalt geworden. Die ganze letzte Woche hatten wir tagsüber zwischen fünfundzwanzig und dreißig Grad gehabt und waren froh, dass das Thermometer wenigstens nachts auf zwanzig Grad gefallen war, so dass es zum Schlafen nicht ganz so warm war. Doch in dieser Nacht, und wie sich herausstellen würde, auch in allen restlichen Nächten dieser Urlaubsreise mussten wir die Heizung anstellen, so kalt war es geworden. Und das Wetter schien sich auch im Laufe des Tages nicht mehr bessern zu wollen. Ein starker Wind blies uns ins Gesicht und trotz des Sonnenscheins stieg die Temperatur nicht über acht Grad Celsius.

Wir wollten heute in den berühmten Wakulla Springs State Park fahren. Dieses Naherholungsgebiet, nur 22 Kilometer südlich der Hauptstadt Tallahassee, ist bekannt für seine kristallklare Quelle, die mit einer Tiefe von 55 Metern den Anfang des gleichnamigen Flusses bildet. Mit einer Wassermenge von etwa 2,5 Millionen Litern pro Minute, eine unvorstellbare Menge, ist sie eine der ergiebigsten Quellen Floridas. In diesem Park wurde früher unter anderem der Tarzanfilm mit Johnny Weissmüller gedreht. Mit Glasbodenbooten soll man über den von der Quelle gespeisten See fahren können. Da lohnte es sich doch, einen Tagesstopp einzulegen.

Wir erstanden die Tickets für die Bootsfahrt. Die Glasbodenboote waren eingemottet, dafür wurde jedoch eine halbstündige Sumpftour mit anderen Booten den Walkulla River hinab angeboten. Wir schienen die einzigen Besucher zu sein. Bei dieser Kälte würde sich wohl, außer uns, niemand hierher verirren.

Da wir noch fast eine Stunde Zeit hatten, machten wir einen kleinen Spaziergang entlang des Quellsees. Ein Teil davon war zum Schwimmen abgesperrt. Davon würde heute wohl niemand Gebrauch machen. Das Wasser im Quelltrichter hatte eine phantastische Farbe in allen Blau- und Türkistönen. Doch der eisige Wind verleitete uns diesen Spaziergang. Auf die Idee, für einen Floridaurlaub Handschuhe einzupacken, sind wir leider nicht gekommen. Im Ticketcenter wärmten wir uns deshalb noch einmal ein wenig auf, bevor es mit dem Boot rausgehen sollte. So langsam trudelten auch noch weitere Besucher ein.

Und dann ging es endlich los. Vorne im Boot war eine Plattform extra für Rollstuhlfahrer. Ich hatte also den besten Aussichtsplatz, dafür war ich dann auch dem kalten Wind schutzlos ausgeliefert. Doch für einen guten Standplatz zum Fotografieren nimmt man ja so einiges in Kauf. Als alle eingestiegen waren und ihre Plätze eingenommen hatten, ging es los. Unser junger Führer lenkte das Boot ein Stück den Fluss hinunter und gab zwischendurch interessante Erklärungen zu der vielfältigen Vogelwelt ab, die man zu sehen bekam.

Auf der Rückfahrt durch den von Pinien, Laubbäumen und Zypressen gesäumten Fluss, die mit dem für Florida typischen spanischen Moos behängt waren, sah man dann auch wieder sich sonnende Schildkröten und Alligatoren. Das außergewöhnlichste Fotomotiv bot jedoch eine Alligatorenmutter mit ungefähr zwanzig etwa ein Jahr alten und circa 30 cm langen Babys. Mir war bis jetzt nicht bekannt gewesen, dass sich eierlegende Reptilien nach dem Schlüpfen ihrer Jungen so um diese kümmern. Die kleinen Alligatoren krabbelten auf dem Rücken ihrer Mutter herum, und diese fauchte uns an, als unser Bootsführer ihr zu nahe kam, und sie ihre Kinder bedroht sah.

Ein paar Meter weiter lag ein mächtiger Alligator vor einem Baum in der Sonne. Der Bootsführer machte sich einen Spaß daraus, das alte Tier ein wenig zu necken und stieß mit dem Boot leicht gegen den Schwanz des Tieres. Blitzschnell drehte der Alligator den Kopf zu uns rüber und fauchte uns mit gefährlich gefletschten Zähnen an, bevor er sich hinter den Baum verzog, wo er vor unseren Belästigungen sicher war. Man bekommt unweigerlich großen Respekt vor diesen Tieren, die bestimmt ohne Schwierigkeiten einen erwachsenen Menschen töten könnten.

Nach einer kurzen Fahrt über die Quelle des Flusses ging es dann wieder zurück an die Anlegestelle. Durchgefroren, aber total begeistert von der faszinierenden Tierwelt, die wir während dieser Tour beobachten konnten, durchstöberten wir anschließend den Souvenirladen der Wakulla Lodge, um uns ein wenig aufzuwärmen. In der Eingangshalle dieses Hotels liegt „Old Joe“, ein legendärer ausgestopfter Alligator. Er erreichte mit annähernd 200 Jahren ein fast biblisches Alter und wog zu Lebzeiten circa 320 kg. Dieses Tier, das immer auf einer Sandbank direkt an der Quelle gelegen hatte, wurde 1966 von einem Unbekannten erschossen.

Inzwischen war es Spätnachmittag geworden. Wir wollten noch nach Tallahassee fahren, der Hauptstadt Floridas. Nachdem man sich nicht einigen konnte, welche der beiden damals größten Städte, Augustine und Pensacola, Hauptstadt werden sollte, wurde zwischen den beiden Städten 1824 eine neue Stadt, nämlich Tallahassee, gegründet. Erst kürzlich erlangte die Stadt durch die umstrittene Auszählung der Stimmzettel der Präsidentschaftswahl einen vorher nie erreichten Bekanntheitsgrad. Am 7. November 2000 wurde George W. Bush mit einem der knappsten Ergebnisse der Geschichte zum 43. Präsidenten gewählt. Die Stimmauszählung im besonders umkämpften Bundesstaat Florida dauerte länger als einen Monat. Am Ende lag Bush dort mit 537 Stimmen vor seinem Konkurrenten Gore. Auch nach richterlich angeordneten Nachzählungen blieb der Wahlausgang umstritten.

In der Stadtmitte angelangt, machten wir das obligatorische Foto des State Capitols, des Regierungsgebäudes des Staates Florida. Der Bau des Capitols wurde 1839 begonnen und 1845 fertiggestellt, kurz bevor Florida als 27. Bundesstaat den Vereinigten Staaten beitrat. Als in den späten 1970er Jahren das 105 Meter hohe neue Capitol als schmuckloses Hochhaus mit 22 Stockwerken gebaut wurde, war das alte Capitol vom Abriss bedroht. Nur durch den erfolgreichen Einsatz einer Bürgerinitiative konnte das historische Capitol gerettet werden.

Danach fuhren wir noch eine Weile in die Nacht hinein. In einem einsam gelegenen Steakhaus an der Straße nach Freeport aßen wir zu Abend. Der Wirt saß in der dicken Winterjacke bei seinen Gästen. Im Gegensatz zu uns Mitteleuropäern schienen die sonnenverwöhnten Einwohner Floridas solche ungewöhnlich kalten Temperaturen nicht gewohnt zu sein.

Zum Übernachten stellten wir uns wieder mal auf den Parkplatz eines Kmart Einkaufszentrums, dieses Mal in Fort Walton Beach. Dieses Kaufhaus hatte an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet. Da sich unseren Erfahrungen nach die Anzahl der Einkaufswilligen während der späten Nacht- und frühen Morgenstunden sehr in Grenzen hält, war die Störung durch an- und wegfahrende Kunden äußerst minimal.

Montag, 18. Dezember 2000

Heute hatten wir eine lange Fahrstrecke vor uns. Wir wollten über Pensacola und Mobile bis nach Tuscaloosa in Alabama fahren, um dort Freunde von uns zu besuchen. Armin und Geli haben die letzten zweieinhalb Jahre in dieser Stadt gelebt. Armin hat im neuen Mercedes-Werk gearbeitet, in dem seit ein paar Jahren die M-Klasse gebaut wird. Noch in dieser Woche wollten sie ihre Zelte in den USA wieder abbrechen und nach Deutschland zurückkehren. Da wir noch einen Geschenkgutschein für einen Besuch mit allem Drum und Dran bei ihnen einzulösen hatten, war dies die letzte Gelegenheit.

Nach rund dreihundert Meilen oder fast fünfhundert Kilometern erreichten wir erst gegen Abend Tuscaloosa im Bundesstaat Alabama. Die beiden hatten das Haus, in dem sie gewohnt hatten, schon in der vergangenen Woche geräumt und waren für die letzten Tage in eine kleine Wohnung am entgegengesetzten Ende der Stadt gezogen. Im zweiten Anlauf fanden wir auch die Abfahrt von der Hauptstraße in die gesuchte Apartmentanlage. Das riesengroße Schild am Straßenrand, das auf die Apartmentanlagen hinwies, hatten wir beim ersten Vorbeifahren vollkommen übersehen. Manchmal sieht man eben den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Die Überraschung war groß, als wir an die Tür klopften. Wir hatten uns vorher nicht angemeldet, da es noch nicht ganz sicher war, ob wir diese Anlaufstelle in der uns zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt erreichen würden. Armin war allein zuhause, Geli war zum Quatschen bei einer Nachbarin. Armin bat uns herein. Im Wohnzimmer liefen die Nachrichten im Fernseher. Es wurden gerade Bilder von Häusern gezeigt, die von einem Tornado zerstört worden waren, der zwei Tage zuvor durch Tuscaloosa gefegt war. Die einstürzenden Trümmer hatten zahlreiche Einwohner getötet. Wir waren geschockt. Da wir in den vergangenen Tagen keine Tageszeitung gekauft hatten, hatten wir überhaupt nichts davon mitbekommen. Der starke Wind, der uns in Perry ständig den Grill ausgeblasen hatte, war also ein Ausläufer dieses Wirbelsturms gewesen. Die Schneise, die dieser zerstörerische Tornado hinterlassen hatte, lief maximal einen Kilometer an dem Haus vorbei, das die beiden letzte Woche noch bewohnt hatten. Was hatten sie doch für ein Glück gehabt.

Da wir noch nicht zu Abend gegessen hatten, luden uns die beiden, Geli war in der Zwischenzeit nach Hause gekommen, in ein Restaurant auf dem nahegelegenen Universitätsgelände ein. Ihrer Meinung nach gab es dort die besten Hähnchenflügel der ganzen Umgebung. Wie sich später herausstellte, hatten sie damit wirklich nicht übertrieben. Wir setzten uns also wieder ins Auto und fuhren die kurze Strecke bis zum Restaurant.

Es wurde noch ein langer Abend, denn wir hatten uns viel zu erzählen. Der Tratsch der letzten Monate musste ausgetauscht werden. Die beiden interessierte natürlich, was es in der alten Heimat Neues gab. Und wir wollten wissen, welche Erfahrungen sie in den letzten Jahren in Amerika gesammelt hatten. Die Zeit verging wie im Flug.

Relativ spät machten wir uns wieder auf den Weg zurück in die Apartmentanlage. Wir stellten unser Wohnmobil auf dem Parkplatz hinter dem Haus ab und schalteten die Standheizung an. Ein gemeinsamer Gute-Nacht-Trunk beendete den gemütlichen Abend. Anschließend legten wir uns in unserem gemütlichen Bett im angenehm beheizten Wohnmobil schlafen.

Dienstag, 19. Dezember 2000

Die Nacht war wieder sehr kalt gewesen. Auch jetzt am Tag hatten wir sogar nur minus drei Grad Celsius. Ein eisiger Wind blies uns ins Gesicht. Was für ein Unterschied zu den Temperaturen, die wir noch vor wenigen Tagen genießen konnten.

Wir wollten uns ein eigenes Bild von den Schäden machen, die der Tornado hinterlassen hatte. Wir waren entsetzt. So schlimm hatten wir es uns in Wirklichkeit nicht vorgestellt. In dieser Schneise der Verwüstung konnten ja kein Baum und auch kein Haus heil bleiben. Im Gegensatz zu Europa wohnt der Großteil der Bevölkerung Alabamas nicht in gemauerten Häusern sondern in sogenannten Trailer oder Manufactured Homes. Das sind, unserer Meinung nach, oftmals sehr chic, jedoch nicht allzu stabil aussehende, einfache Fertighäuser aus Holz, die natürlich keine Chance haben, so einem Sturm irgendetwas entgegenzusetzen, und wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Doch wie wir jetzt mit eigenen Augen sehen mussten, hatten auch gemauerte Gebäude und sogar eisenbewährte Betonpfeiler diesem todbringenden Tornado nicht standgehalten. Und keine zehn Meter entfernt von dieser durch den Tornado verursachten Schneise, fehlten den Häusern zum Teil nur ein paar Dachziegel. Wie nah doch Glück und Pech nebeneinander liegen können.

Am Nachmittag verließen wir über den Highway US-82 Alabama und fuhren weiter nach Mississippi, dem Magnolien-Staat. Kurz hinter Mathiston bogen wir auf den Natchez Trace Parkway ein. Indianer, Händler, Siedler, Sklaventreiber und Soldaten nutzten diesen ehemaligen Trampelpfad der Bisons seit dem 18. Jahrhundert. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde dieser historische Pfad wiederentdeckt und allmählich zu einer mehr als siebenhundert Kilometer langen, festen Straße ausgebaut. Der Parkway beginnt im Südwesten von Natchez, Mississippi, zieht sich diagonal in nordöstlicher Richtung durch den ganzen Bundesstaat Mississippi, führt durch die äußerste nordwestliche Ecke von Alabama und endet schließlich südwestlich von Nashville in Tennessee. Der Parkway wurde 1938 als Einheit des National Park Service gegründet, erinnert an seine geschichtliche Bedeutung und bewahrt die natürliche Schönheit der bedeutendsten Reiseroute des alten Südwestens, dem Natchez Trace. Zahlreiche Park- und Rastplätze, historische Marker, Rundwanderwege und Aussichtsplätze säumen die Straße, die für den Güterverkehr gesperrt ist.