Die Zeit heilt hoffentlich alle Wunden - Evelin Hornemann - E-Book

Die Zeit heilt hoffentlich alle Wunden E-Book

Evelin Hornemann

0,0
0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Willi und ich führten eine glückliche Ehe, zumindest dachte ich das bis zu jenem verhängnisvollen Tag im August 2022. Wir lernten uns im Sommer 1981 in Heidelberg Wieblingen kennen. Im dortigen SRH Berufsförderungswerk studierte ich seit gut einem Jahr Maschinenbau. Und das, nachdem ich im Mai 1978 mit meinem damaligen Freund als Sozia einen Motorradunfall hatte, bei dem ich unter anderem eine Paraplegie, also eine Querschnittslähmung davon getragen hatte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 530

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Evelin Hornemann

Die Zeit heilt hoffentlich alle Wunden

Inhaltsverzeichnis

Motorradunfall

Studium und Kennenlernen

Willi im Schwabenland

PKW-Entwicklung beim Daimler in Sindelfingen

Hochzeit

Türkei-Urlaub

Kinderwunsch

Schnüffel

Nierenstein

Hausbau

Florida-Urlaub

2. USA-Urlaub

Dr. Wolfgang Schäuble

Wegeunfall

Kurzurlaube

Reisemobilverschiffung

Rentenantrag

4. dreiteilige USA-Reise

So manche Kurzreise

Dritte Wohnmobilverschiffung

Unser neues grünes Sprinter-Reisemobil

Portugalurlaub

Zum ersten Mal bei den Weitreisenden

Skandinavien-Urlaub

Gesundheitliche Probleme in der Familie Porzellanhochzeit

Sizilien Arbeitszeitreduzierung

Normandie, Bretagne

Runde Geburtstage

Renovierung

Sardinien

Silberhochzeit

Fahren auf der falschen Seite

Erste Planungen für ein neues Wohnmobil

Afrika

Flammende Sterne

Der Anfang vom Ende

Tschechien

Verdienstausfallentschädigung für den Unfall 1978

Mein Vater bekommt ein neues Hüftgelenk

Polnische Pflegekräfte

Willis Berufstätigkeit geht langsam zu Ende

Lungenentzündung

Polenurlaub

Neues Wohnmobil

Sommerverlängerung in Südfrankreich

Probleme mit den polnischen Pflegerinnen

Božena

Große Geburtstagsfeier

Schiffstaufe am Neusiedler See

Unimog

Heimlichkeiten

Corona

Unsere Mutter geht von uns

Magenverkleinerung

Nabelbruch

Renovierung

Diagnose Lungenkrebs

Es hat sich leider nichts geändert

Die Wahrheit kommt ans Licht

Der schlimmste Tag meines Lebens

Trauergottesdienst

Viele Fragen und wenige Antworten

Wie geht es mir heute?

Danksagung

Motorradunfall

Willi und ich führten eine glückliche Ehe, zumindest dachte ich das bis zu jenem verhängnisvollen Tag im August 2022. Doch alles der Reihe nach von Anfang an.

Wir lernten uns im Sommer 1981, also vor 41 Jahren, in Heidelberg Wieblingen kennen. Im dortigen SRH Berufsförderungswerk studierte ich seit gut einem Jahr Maschinenbau. Und das, weil ich im Mai 1978 mit meinem damaligen Freund als Sozius einen Motorradunfall hatte, bei dem ich unter anderem eine Paraplegie, also eine Querschnittslähmung davon getragen hatte.

Dieser Unfall geschah an einem Sonntag, vierzehn Tage nach meinem zwanzigsten Geburtstag und drei Tage nach dem Abitur, das ich gerade im Technischen Gymnasium in Calw bestanden hatte. Meine beruflichen Aussichten sah ich bis dahin in den rosigsten Farben. Ich hatte als einer von mehr als 2.000 Bewerbern eine der vier sehr begehrten dualen Ausbildungsstellen als Maschinenbauingenieur bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart ergattert. Die praktische Ausbildung sollte in verschiedenen Abteilungen des dortigen Werks stattfinden, das begleitende Studium an der Dualen Hochschule Stuttgart, damals als Berufsakademie bekannt. Meiner Karriere bei der Daimler-Benz AG als eine der wenigen Frauen in diesem Berufsfeld stand also nichts im Wege. Zumindest sah es bis zu diesem verhängnisvollen Sonntag im Jahr 1978 danach aus.

Nach dem Unfall wurde ich per Hubschrauber in die Klinik nach Karlsbad-Langensteinbach geflogen. Dieses Krankenhaus war damals eines der wenigen Häuser in Deutschland, die auf Schädigungen des Rückenmarks spezialisiert waren. Zur damaligen Zeit wurde, im Gegensatz zu heute, ein Bruch der Wirbelsäule noch nicht operiert, sondern auf herkömmliche Weise behandelt, indem man monatelang auf einem Bett lag, ohne sich bewegen zu dürfen. Damit man sich nicht auflag, wurde man in diesem sogenannten Sandwichbett alle vier Stunden vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück auf den Rücken gedreht.

Heutzutage wird man nach einer Rückenverletzung im Normalfall operiert. Die Wirbelsäule wird versteift und dadurch entlastet, so dass die Chance einer Wiederherstellung der gerissenen oder gequetschten Nervenverbindungen im Knochenmark wesentlich größer ist als zu damaliger Zeit. Ich lag also zwölf Wochen auf diesem Sandwichbett bis ich zum ersten Mal in einen Rollstuhl gesetzt wurde, ein Fortbewegungsmittel, auf das ich von nun an mein ganzes Leben lang angewiesen sein würde.

Viele Patienten kommen mit dieser Diagnose nicht klar und fallen in ein tiefes Loch. Ich jedoch war von Anfang an ein Kämpfer. Ich wusste, dass ich nur bestehen konnte, wenn ich mich mit meinem Schicksal so schnell wie möglich abfand und in die Zukunft schaute, statt der Vergangenheit nachzutrauern. Es reichte schon, dass meine Mutter in ein emotionales Loch gefallen war. Sie hatte mir sogar einmal vorgeworfen, was ich ihr mit diesem Unfall angetan hätte. Ich würde jetzt ein Leben lang für sie ein Pflegefall bleiben. Diese Aussage war für mich ein weiterer Grund zu kämpfen, um meiner Mutter das Gegenteil zu beweisen. Ich würde ein selbstständiges Leben führen und ohne Hilfe zurechtkommen.

Schon während meines langen Krankenhausaufenthaltes ging die Freundschaft mit dem Unfallverursacher in die Brüche. Seine Besuche waren nach und nach weniger geworden, und irgendwann einmal gab er zu, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte. Damit hatte ich schon vorher gerechnet und versucht, mich emotional darauf einzustellen. Nun war ich also allein und musste schauen, dass ich mein Leben in die eigenen Hände nahm. Ich hatte zwar immer noch meine Eltern und meine beiden Brüder, doch ich wollte meine Familie nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.

Schon während der Rehabilitationsphase in der Klinik in Langensteinbach nahm ich Fahrstunden und machte den Führerschein für ein Fahrzeug, das per Handbedienung gefahren werden konnte. Dies sollte der erste Schritt in die Selbstständigkeit sein.

Ende Februar 1979, nach mehr als neun Monaten, durfte ich endlich das Krankenhaus verlassen. Ich hatte Glück im Unglück, denn meine Eltern hatten kurz vor meinem Unfall mit dem Bau eines Mietshauses begonnen. Die Wohnung im Erdgeschoss dieses Hauses war damals noch nicht fertig gewesen, so dass sie rollstuhlgerecht für mich geändert werden konnte. Und so konnte ich direkt vom Krankenhaus aus in meine erste eigene Wohnung ziehen. Es handelte sich um eine großzügige Zweizimmerwohnung mit großer Wohnküche und Bad mit erhöhter Toilette. Außerdem gab es eine kleine Terrasse nach Süden hin. Ins Schlafzimmer waren die Möbel aus meinem Jugendzimmer gestellt worden. Das Bett thronte auf Backsteinen, so dass die Liegefläche auf Rollstuhlhöhe kam und ich ohne Hilfe ins Bett und wieder heraus auf den Rollstuhl gelangen konnte. Das Wohnzimmer war noch im Rohbau, das würde man irgendwann später fertig machen.

Mein duales Studium, das am 1. Oktober 1978 begonnen hätte, war natürlich hinfällig geworden. Das mit der Hochschule hätte man ja eventuell noch hinbekommen können, die praktische Ausbildung in verschiedenen Abteilungen der Daimler-Benz AG war jedoch unmöglich geworden. Schließlich konnte ich nicht erwarten, dass nur wegen mir das komplette Werk rollstuhlgerecht umgebaut werden sollte, einschließlich behindertengerechten Toiletten in allen Abteilungen. Was sollte ich nun mit meinem weiteren Leben anfangen? Da war guter Rat erst einmal teuer.

Wie schon vorher erwähnt, gab es, und gibt es im Übrigen auch heute noch, im Berufsförderungswerk in Wieblingen, einem Vorort von Heidelberg, eine Fachhochschule, die verschiedene Studiengänge für Berufsumschüler und Behinderte anbot, unter anderem Maschinenbau. Dort wollte ich mich anmelden, so würde ich zumindest denselben Beruf anstreben wie in der dualen Ausbildung. Ungünstig war nur, dass diese Studiengänge nur alle anderthalb Jahre begannen und ich deshalb bis März 1980 warten musste, bis ich mit dem Studium beginnen konnte. Ich konnte doch nicht länger als ein Jahr zuhause herumsitzen, ohne etwas zu tun zu haben.

Mein Vater versuchte, sich für mich „beim Daimler“, so wird die Daimler-Benz AG von den Arbeitnehmern im schwäbischen Umfeld bezeichnet, im Werk in Sindelfingen einzusetzen. Er hatte eine Stelle als Meister in der Teilelackierung und einige Beziehungen zu mehr oder weniger wichtigen Leuten. Und tatsächlich gelang es ihm, mir eine Arbeitsstelle im Sindelfinger Werk zu beschaffen, die auf ein Jahr begrenzt war, und die ich schon am 1. April antreten konnte. Ich bekam diese Stelle als Technische Sachbearbeiterin in der Projektkoordination angeboten, aber nur unter der Voraussetzung, dass keine großen Umbauten getätigt werden mussten. Wie sich herausstellte, reichte es aus, auf der Damentoilette den Anschlag einer Kabinentür zu ändern, so dass sich die Tür anstatt nach innen nun nach außen öffnen ließ, und schon konnte ich diese Toilette mitbenutzen. Der Umbauaufwand war also relativ gering gewesen. Und so bekam ich meinen ersten Arbeitsvertrag zugesandt, den ich natürlich sofort unterschrieb.

Am Dienstag, den 1. April 1979 fuhr ich also mit meinem Vater zum ersten Mal ins Daimlerwerk nach Sindelfingen, um meine neue Arbeitsstelle anzutreten. Wie sich herausstellte, hatte ich es tatsächlich sehr gut getroffen in der Abteilung PK. Ich verstand mich gut mit allen Kollegen, konnte mich auf die verschiedenste Art und Weise nützlich machen und die unterschiedlichsten Arbeiten übernehmen. Im Laufe der Zeit wurde ich jedoch immer mehr zur dringend benötigten Unterstützung für die Abteilungssekretärin. Da ich einigermaßen gut tippen konnte, wurde ich immer mehr zu Schreibarbeiten herangezogen. Mein Chef war total überrascht, als er mir zum ersten Mal direkt in die Maschine diktierte, ohne dass ich Probleme damit hatte. Damals gab es noch keine PCs, und deshalb war es auch nicht selbstverständlich, dass Gott und die Welt Maschineschreiben konnte.

Viel zu schnell ging das Jahr vorüber. Ich fühlte mich wohl in der Abteilung und freute mich jeden Monat über den Gehaltsscheck, mein erstes selbstverdientes Geld. Längeren Urlaub konnte ich in diesem Jahr keinen nehmen, denn meine Stelle endete erst am 31. März 1980, das Studium begann jedoch schon Mitte März. Deshalb nutzte ich einen Teil des Jahresurlaubs für die ersten Studienwochen. Und so wurde ich Ende Februar mit großem Tamtam und Geschenken verabschiedet. Man nahm mir das Versprechen ab, dass ich in den Semesterferien wiederkommen und als Ferienjobber in der Abteilung arbeiten würde, was ich natürlich gerne zusagte, da ich das Geld bestimmt gut gebrauchen konnte.

Studium und Kennenlernen

Und wieder begann ein neuer Lebensabschnitt. Ich bezog ein Zimmer im Wohnheim in Wieblingen und war gespannt auf die Kommilitonen und auf das Studium.

Wie sich herausstellte, war ich der einzige Rollstuhlfahrer der Klasse und außerdem die erste und einzige Frau, die an dieser Fachhochschule Maschinenbau studierte. Das Studium sollte bis zum 22. September 1982 dauern und war in sechs Semester aufgeteilt. Dadurch, dass es an dieser Schule keine langen, zweieinhalbmonatigen Semesterferien gab, sondern nur sechs Wochen Sommerferien, verkürzte sich die gesamte, sechs Semester dauernde Studienzeit von drei auf zweieinhalb Jahre. Mir kam das entgegen, denn in den langen Semesterferien wäre ich nur alleine zuhause herumgesessen.

Ich war die einzige, die noch keinen Beruf ausgeübt hatte. Alle anderen waren Umschüler, die aufgrund von Allergien, körperlichen Beeinträchtigungen oder Arbeitslosigkeit mit fehlender Perspektive ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben konnten. Bei den anderen wurde ihre frühere Berufstätigkeit als Praxissemester anerkannt, das war bei mir nicht möglich. Doch auch für mich fand sich eine Lösung. Meine praktischen Tätigkeiten auf dem Technischen Gymnasium, also die Technischen Übungen im Labor sowie die Grundausbildung in den Schulwerkstätten, und auch die einjährige Arbeit als „Technische Angestellte“ beim Daimler in Sindelfingen wurden bei mir als Praxissemester anerkannt.

Ich fand schnell in das Studium. Die technischen Fächer lagen mir. Ich war froh, dass im Grundstudium zumindest das Fach Französisch nicht mehr existierte. Diese Sprache hatte mir ein ganzes Schulleben lang massive Probleme bereitet. Auch zu den meisten Kommilitonen hatte ich einen guten Draht. Besonders gut verstand ich mich mit Arno, einem gelernten Metzger aus Hessen, sowie mit Robert aus Bayern, der auf einer amerikanischen Militärbasis gearbeitet hatte. Robert ist schon vor einigen Jahren an Lungenversagen verstorben, verursacht durch einen Virus, den er sich während eines längeren, beruflichen Aufenthalts in Japan zugezogen hatte. Mit Arno, der schon seit einigen Jahren in Wien wohnt, habe ich auch heute noch Kontakt. Wir sind nun schon seit mehr als vierzig Jahren befreundet.

Wie vorgesehen arbeitete ich in den Sommerferien 1980 und 1981 je vier Wochen beim Daimler in meiner alten Abteilung. Nach dem Grundstudium spezialisierte ich mich auf die Konstruktion und den Fahrzeugbau, denn in der Zwischenzeit hatte sich für mich eine berufliche Perspektive ergeben. Der Vater unseres heimischen Zahnarztes war, wie sich herausstellte, Betriebsrat beim Daimler in Stuttgart und setzte sich für mich ein. Aufgrund dieser Protektion, der einjährigen Tätigkeit, die problemlos geklappt hatte, und meines früheren, leider hinfällig gewordenen Ausbildungsvertrags des dualen Studiums wurde mir von der Daimler-Benz AG eine Arbeitsstelle angeboten, falls ich mein Maschinenbaustudium erfolgreich abschließen würde. Nach dem Studium würde ich eine Anstellung in Sindelfingen in der PKW-Entwicklung bekommen. Ich war selig, denn da ich zu den geburtenstarken Jahrgängen zähle, waren Arbeitsstellen damals nicht so dicke gesät wie heutzutage, und schon gar nicht als Behinderter im Rollstuhl. Wie sich gegen Ende des Studiums herausstellte, war ich tatsächlich eine von nur drei Studenten, die direkt nach dem Ingenieurstudium eine Arbeitsstelle vorweisen konnten, und das ausgerechnet als Frau und als Rollstuhlfahrerin.

Seit Juli 1981 war ich stolze Besitzerin eines eigenen Autos, eines braunmetallicfarbenen Opel Kadett Kombi. Somit war ich mobil und konnte an den Wochenenden selbst nach Gechingen zu meiner Familie fahren, ohne auf ein Taxi oder eine Mitfahrgelegenheit angewiesen zu sein.

Während des Studiums lernte ich auch Willi, meinen späteren Ehemann, kennen. Es war im Sommer 1981. Ich war über das Wochenende nicht nach Hause gefahren, sondern in Heidelberg geblieben, um zu lernen. Doch das Wetter an diesem Wochenende war einfach zu schön, um den ganzen Tag auf dem Zimmer zu sitzen und in die Bücher zu schauen. Deshalb legte ich eine Pause ein und machte mich auf den Weg in das Café, das sich ebenfalls auf dem Campus des Berufsförderungswerks befand.

Dort angekommen musste ich leider feststellen, dass auch noch viele andere diese Idee hatten, denn sämtliche Tische im Freien waren belegt. Ich schaute mich um und entdeckte einen einzigen Tisch, an dem nur eine Person saß. Ich rollte darauf zu und fragte, ob ich mich dazusetzen dürfe. Wie sich herausstellte, war auch Willi, wie sich der junge Mann vorgestellt hatte, hier geblieben, um zu lernen. Doch auch ihn hatte wegen des schönen Wetters die Lust dazu verlassen. Schnell kamen wir ins Gespräch und tauschten gegenseitig einen Teil unserer Lebensgeschichte aus.

Willi erzählte, dass er gelernter Gas- und Wasserinstallateur war, jedoch aufgrund eines Unfalls, den er in der Kindheit hatte, im Laufe der Zeit Probleme mit den Knien bekommen hatte und deshalb seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Jetzt schulte er zum Maschinenbautechniker um.

Willi stammte aus dem Sauerland, einem Ort namens Hemer, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Er war seit Mitte Mai 1980 hier im BFW, war also zwei Monate nach mir nach Heidelberg gekommen. Seine Ausbildung dauerte jedoch nur insgesamt zwei Jahre. Das hieß, er wäre ein halbes Jahr vor mir fertig. Auch ich erzählte ihm woher ich kam und was meine beruflichen Ziele waren.

Die Zeit verging wie im Flug. Wir mussten feststellen, dass es schon auf den Abend zuging und es Zeit zum Abendessen war. Wir zahlten im Café unsere Rechnungen und machten uns gemeinsam auf den Weg in die Mensa, wo wir unser Gespräch fortsetzten. Willi bedauerte, dass er doch mehr Schwierigkeiten in den theoretischen Fächern wie Werkstoffkunde, Physik oder auch Mathematik hatte als erwartet, und er sich nicht so ganz sicher war, ob er die Prüfung im nächsten Jahr überhaupt bestehen würde. Da ich weniger Probleme mit dem Lernstoff hatte, und die Fächer eigentlich ähnlich denen waren, die wir auch im Studium hatten, bot ich Willi an, ihm Nachhilfe zu geben, falls er dies wünschte. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, und so verabredeten wir uns für die nächste Woche zum gemeinsamen Lernen.

In den nächsten Wochen trafen wir uns immer öfter, kamen uns dabei näher, blieben mehr und mehr auf dem Campus anstatt übers Wochenende nach Hause zu fahren, und kamen im Oktober tatsächlich zusammen. Von da an verbrachten wir so viel Zeit wie möglich miteinander, lernten gemeinsam entweder in seinem oder in meinem Zimmer, unternahmen gemeinsame Ausflüge und machten uns, als es auf das Ende des Jahres zuging, immer mehr Gedanken über eine gemeinsame Zukunft. Was ich nie zu träumen gewagt hatte, war tatsächlich wahr geworden. Ich hatte mich tatsächlich verliebt, und auch Willi schien mir sehr zugetan zu sein.

Zum 80. Geburtstag meines Opas, Ende November, nahm ich Willi zum ersten Mal mit nach Hause, um ihn meiner Familie vorzustellen. Willi eroberte sofort die Herzen meiner Eltern. Nur meine Tante meinte, ich solle mich am besten nicht allzu sehr an ihn binden, da er mich bestimmt nach kurzer Zeit wieder verlassen würde, und ich dann entsprechend enttäuscht wäre. Ich antwortete ihr jedoch, dass ich mich davon nicht abhalten lassen würde, denn ich würde jeden Tag mit Willi genießen, um mich, falls er mich doch verlassen sollte, auch später noch an diese schöne Zeit erinnern zu können.

Wieder zurück in Heidelberg mussten wir uns ernsthaft Gedanken über unsere beziehungsweise seine Zukunft machen. Bis zum Ende von Willis Technikerkurs war es kein halbes Jahr mehr. So langsam musste er sich um eine Arbeitsstelle für die Zeit danach bemühen. Willi zahlte zwar jeden Monat Miete für eine kleine Wohnung in Hemer in Nordrhein-Westfalen, war jedoch genau genommen noch nie richtig dort eingezogen. Auch ich hatte eine Wohnung, jedoch in Gechingen in Baden-Württemberg, und außerdem eine gute Stelle bei der Daimler-Benz AG in Aussicht. Würde sich Willi in seiner Heimat als Maschinenbautechniker bewerben, würde das eindeutig das Ende unserer Beziehung bedeuten. Sollte er sich jedoch in der Stuttgarter Gegend bewerben, müsste er seine Heimat, in der noch seine Eltern, sein Opa und seine vier Geschwister wohnten, verlassen. Die rund vierhundert Kilometer Distanz zwischen Gechingen und Hemer würden dazu führen, dass er nur noch selten seine Familie sehen könnte. Eine sehr schwere Entscheidung für Willi, wo wir doch erst so kurz zusammen waren, und man noch nicht absehen konnte, wie sich unsere Beziehung entwickeln würde.

Willi wog alle Vor- und Nachteile gegeneinander ab. Da ihn im Grunde genommen in seiner Heimat nichts hielt, und es im konjunkturstärkeren Baden-Württemberg eindeutig einfacher war, einen guten Job zu finden, entschied er sich schließlich dafür, mit mir nach Gechingen zu ziehen und sich in Süddeutschland zu bewerben.

Willi im Schwabenland

Als erstes kündigte er seine Wohnung, die er zwar renoviert aber, wie schon erwähnt, nie richtig bezogen hatte. Anschließend begannen wir mit dem Schreiben von Bewerbungen. Wie sich herausstellte, war es jedoch auch in der wirtschaftsstarken Gegend um Sindelfingen und Böblingen nicht so einfach, eine Arbeitsstelle zu finden. Es wurden zwar Leute gesucht, doch die sollten noch sehr jung sein und möglichst schon mehrere Jahre Berufserfahrung vorweisen können, und kosten durften sie natürlich auch nichts. Gesucht war also eine eierlegende Wollmilchsau, und das konnte Willi als Berufsanfänger nicht bieten.

Und so kam die Zeit für Willis Technikerprüfung immer näher. Obwohl er zum Schluss keine Lust mehr hatte zu lernen, bestand er seine Prüfung. Er bekam zwar keine Bestnoten, aber immerhin hatte er nun seinen Techniker in Maschinenbau, Fachrichtung Konstruktion, in der Tasche. Eine Arbeitsstelle hatte er bis dahin jedoch noch nicht gefunden.

Willi hatte sich natürlich auch beim Daimler in Sindelfingen beworben. Die ließen sich mit einer Antwort besonders viel Zeit. Schließlich war er dann doch für Ende März, also eineinhalb Monate vor Beendigung der Ausbildung, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden. Doch kurz vorher erhielt er ein Telegramm, in dem der Termin noch kurzfristig verschoben wurde. Wie dekadent, dafür ein teures Telegramm zu schicken. Letztendlich war dann doch nichts aus der Bewerbung geworden. Ende Juni kam eine Absage.

Willi musste vorerst alleine nach Gechingen in meine beziehungsweise jetzt unsere Wohnung ziehen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch ein knappes halbes Jahr Studium vor mir, darin eingeschlossen das Schreiben der Diplomarbeit. Viel Gepäck brachte Willi nicht mit. Er kam in seinem zwar schön lackierten, jedoch noch nicht als Wohnmobil ausgebauten VW-Bus vorgefahren, in dem sich ein Schaukelstuhl, einige Küchenartikel und seine Klamotten befanden. Mehr besaß er nicht.

Außerdem kam er mit Schulden auf dem Konto. Das musste als erstes in Angriff genommen werden, schließlich wohnte er ja jetzt im Schwabenland. Und als echter Schwabe kaufte man sich nichts, zumindest keine Konsumgüter, bevor man sich das Geld vorher zusammengespart hatte, und es sich somit auch leisten konnte. Nur der Kauf oder Bau eines Hauses war von dieser Regel ausgenommen.

Solange ich noch in Heidelberg weilte, wurde Willi besonders von meiner Mutter nach Strich und Faden verwöhnt. Sie hatte einen regelrechten Narren an ihm gefressen.

Da Willi nicht untätig zuhause rumsitzen wollte, bewarb er sich auf eine Annonce im Gemeindeblatt. Dort wurden Helfer für Geometer gesucht, denn die Grenzen im Kreis Calw sollten neu vermessen werden. Willi bekam die Aushilfsstelle und war von da an täglich zu Fuß in der näheren oder auch etwas weiteren Umgebung unterwegs, um für den Geometer die Messlatte auf den Grenzpunkt zu halten. So lernte er gleichzeitig sämtliche Orte in der Umgebung von Gechingen kennen und kannte sich bald wesentlich besser im Kreis aus als ich, die ich hier in Gechingen geboren war.

Nach sechs Wochen fand Willi dann doch noch eine Stelle als Konstrukteur. Zunächst sollte er zwar nur auf Probe arbeiten, jedoch mit der Aussicht auf eine unbefristete Arbeitsstelle. Die Firma KTW in Ditzingen beschäftigte sich mit der Planung und der Herstellung von Industrieanlagen zum Kühlen, Trocknen und Waschen, vor allem in der Lebensmittelindustrie. Es war eine kleine Klitsche mit nur drei Mann, dem Firmengründer, einem Angestellten und nun auch noch Willi.

Die Arbeit machte ihm Spaß, auch wenn er täglich dreißig Kilometer hin- und abends wieder zurückfahren musste. Der Chef schien wohl auch mit Willis Arbeit zufrieden zu sein, denn zum 1. August bekam er eine Festanstellung, und das trotz Willis Schwerbehinderung und den daraus resultierenden Nachteilen für die Firma, wie zum Beispiel schlechteren Kündigungsmöglichkeiten oder auch einem höheren Urlaubsanspruch.

Willi hatte eine Schwerbehinderung von 60 Prozent, weil er als achtjähriges Kind beim unerlaubten Klettern in einem Steinbruch abgestürzt war und sich dabei einen Bruch des Schien- und Wadenbeins rechts zugezogen hatte. Er lag damals länger als ein Jahr im Krankenhaus, da der Bruch einfach nicht heilen wollte. Seinen Knochen fehlte die dafür benötigte Kallusbildung. Nach einer Fraktur bildet sich normalerweise zwischen den Bruchstellen ein sogenannter Kallus. Dabei handelt es sich um vom Knochen gebildetes Narbengewebe. Im Idealfall verknöchert dieser Kallus nach einiger Zeit durch Kalkeinlagerung, und es entsteht neues Knochengewebe. Damals wurden die Knochen noch nicht wie heute genagelt, geschraubt oder mit einem Ringfixateur ruhiggestellt. Man bekam einen Gips angelegt und wartete einfach die Zeit ab, bis der Bruch geheilt war. Doch das wollte bei dem kleinen Willi einfach nicht geschehen. Irgendwann stellten die Ärzte fest, dass das Bein unter dem Gips abzusterben drohte. Die Ärzte hatten sich dazu entschlossen, Willi das Bein unterhalb des Knies abzunehmen. Doch als sie Willis Vater um die Erlaubnis baten, lehnte dieser dies kategorisch ab. Dies war übrigens der einzige Besuch im Krankenhaus, den Willis Vater machte. Da sich Willi verbotenerweise in dem Steinbruch aufgehalten hatte, strafte ihn sein Vater nachträglich, indem er ihn die ganze Zeit über nie besuchte, zumindest hatte mir Willi das so erzählt.

Willis Unterschenkel blieb also dran und heilte irgendwann doch zusammen. Sein Unterschenkel und sein Fuß blieben jedoch verkrüppelt. Die Haut um die Bruchstelle war dunkel und empfindlich, das schützende Fleisch um die Knochen verschwunden und die Sehnen der Zehen blieben verkürzt. Doch Willi konnte gehen, und das war die Hauptsache. Auch wenn er nie einen Marathon würde laufen können, für den täglichen Bedarf war seine Mobilität ausreichend. Die Ärzte hatten zwar prophezeit, dass man Willi spätestens mit vierzig Jahren das Bein würde amputieren müssen, doch auch mit dieser Einschätzung lagen sie zum Glück daneben.

Willi hatte Freude an seiner Arbeit und fuhr jeden Tag gerne mit seinem VW-Bully nach Ditzingen. Sein Chef nahm ihn mit auf Messen und zu den Firmen, bei denen die Kabinen eingebaut wurden. Von einer Messe in München brachte er mir einen ESGE Zauberstab Stabmixer mit, der noch heute funktioniert, und den ich immer noch gerne und viel benutze.

In den Sommerferien 1982 ging ich nicht als Ferienjobber zum Daimler, in diesem Sommer musste ich an meiner Diplomarbeit schreiben. Deren Titel lautete „Gleichlaufgelenke für Frontantriebsfahrzeuge – Geschichte, Wirkungsweise, Konstruktion“. Darin wurden einfache Kreuzgelenke, näherungsweise homokinetisch arbeitende Gelenke und homokinetische Gelenke beschrieben, berechnet und miteinander verglichen. Im Anhang hatte ich noch die technische Zeichnung einer Antriebswelle eines frontgetriebenen Fahrzeugs beigelegt. Für die Diplomarbeit hatte ich die Note 1,1 bekommen, und das auch nur, weil mein begleitender Professor meinte, er hätte noch nie eine 1,0 gegeben, denn dann hätte die Diplomarbeit komplett ohne Hilfe geschrieben und gezeichnet werden müssen.

Ende September war dann auch meine Ausbildung zum Maschinenbauingenieur FH beendet, und wir wurden im BFW in Wieblingen verabschiedet. Als kleine Besonderheit gehört vielleicht noch erwähnt, dass ich, die einzige Frau und Rollstuhlfahrerin dieses Jahrgangs, mit einem Notendurchschnitt von 1,6 als Klassenbeste das Studium beendet und als Preis einen Bildband über Heidelberg bekommen hatte. Ich war mächtig stolz auf meine Leistung. Meine Mutter konnte ich damit leider nicht beeindrucken. Aber Frauke, die damals mit ihrem Mann in der Hauptwohnung über uns wohnte, und zu der ich auch heute noch Kontakt habe, auch wenn sie schon seit Jahrzehnten in Hamburg wohnt, spricht heute noch von dem Tag, an dem ich mit vollbepacktem Auto heimkam und mein Zeugnis vorzeigte. Sie war auf jeden Fall stolz auf mich.

PKW-Entwicklung beim Daimler in Sindelfingen

Schon drei Wochen nach Studienende, also am 15. Oktober 1982, trat ich meine Stelle in der PKW-Entwicklung bei der Daimler-Benz AG in Sindelfingen an. Ich wurde als Konstrukteur im PKW-Vorbau eingestellt und war damit, wie meine Kollegen, für die Entwicklung der Karosserie von der A-Säule über die Motorhaube und Kotflügel bis zum Kühlergrill, einschließlich der Träger, Crashboxen und sämtlichen Kunststoffteilen zuständig. Die ersten Wochen wurde mir noch nicht allzu viel zugetraut, und deshalb fühlte ich mich eigentlich total unterfordert. Wir waren drei Frauen in der Abteilung, zwei Technische Zeichnerinnen und ich, die einzige Ingenieurin auf unserem Stockwerk. Mit der Zeit bemerkten auch meine Chefs, dass ich weit mehr auf dem Kasten hatte, als sie mir zugetraut hatten. Und so wurden meine Aufgaben immer interessanter. Auch die riesigen Zeichnungen, manche waren mehrere Quadratmeter groß, schreckten mich nicht ab. Ich „stand meinen Mann“, auch wenn ich im Rollstuhl saß.

Nach etwa einem halben Jahr in seinem Job hatte sich Willi so gut eigearbeitet, dass er immer selbständiger arbeiten konnte. Das schien seinem Chef weniger gut zu gefallen. Er sah plötzlich eine Art Konkurrenz in Willi. Wie sich herausstellte, hatte dieser Chef ein Problem mit fähigen Mitarbeitern, und kündigte diesen, sobald sie selbstständig arbeiten konnten. Und so flatterte auch Willi in der Mitte des Jahres 1983 die Kündigung ins Haus. Da Willi jedoch schwerbehindert war, konnte das Arbeitsverhältnis nicht so einfach aufgehoben werden. Er nahm sich einen auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt, und die Kündigung landete vor dem Arbeitsgericht. Willi bekam zwar Recht, doch aufgrund des zerrütteten Verhältnisses zu seinem Chef war keine Weiterbeschäftigung möglich, und deshalb bekam er zumindest noch ein Vierteljahr Gehalt zugesprochen.

So schnell wie möglich musste Willi jetzt wieder eine neue Arbeitsstelle finden, der Bewerbungsmarathon ging erneut von vorne los, nur mit dem Unterschied, dass er jetzt zumindest ein paar Monate Berufserfahrung vorweisen konnte.

Natürlich versuchte ich, auch für Willi eine Arbeitsstelle beim Daimler zu bekommen, doch das erwies sich immer noch als unmöglich. Ich hatte mir einen Termin beim Personalchef geholt, da ich hoffte, in einem persönlichen Gespräch vielleicht mehr zu erreichen. Doch das stellte sich als Irrtum heraus. Mein Gegenüber erklärte mir mit voller Überzeugung, dass es beim Daimler nur noch ingenieurmäßige Arbeit gäbe. Genau das waren seine Worte. Was für ein dummes Geschwätz! Wir hatten in unserer Abteilung auch einige Techniker und Technische Zeichner, und alle machten ihre Arbeit gut. Und wenn ich bedenke, wie oft ich mich eigentlich unterfordert fühlte, so konnte ich mit Gewissheit behaupten, dass es sogar in der Entwicklungsabteilung Arbeit für Nichtstudierte gab. Der Personalchef gab mir den Rat, Willi solle doch noch ein Studium an seine Technikerausbildung dranhängen. Anschließend könnte er sich dann wieder bewerben. Mit dieser niederschmetternden Nachricht kam ich am Abend nach Hause.

In den letzten Monaten hatten wir in jeder freien Minute an Willis Bully gearbeitet. Wir hatten uns vorgenommen, den VW-Bus zum Wohnmobil auszubauen. Das Fahrzeug sollte ein richtig tolles Custom Car werden, also ein ganz individuell herausgeputztes Sonderfahrzeug. Wir entschieden, das Fahrzeuginnere kuschelig und gemütlich zu gestalten. Die Wände und die Decke wurden mit royalblauem Plüschstoff bezogen und bekamen ihre charakteristische Chesterfield-Optik durch ebenfalls mit Plüschstoff bezogene Knöpfe, die den mit Schaumstoff unterfütterten Stoff an die Decke beziehungsweise die Wand zogen. Das kostete uns viel Zeit, doch unserer Meinung nach hatte sich letztendlich alles gelohnt. Der Bus sah wirklich toll aus. Und eins war sicher: man würde in ganz Deutschland keinen zweiten Bus finden, der diesem gleichen würde.

Im Sommer 1983 fuhren wir zum ersten Mal gemeinsam in den Urlaub. Insgesamt drei Wochen wollten wir unterwegs sein. An der jugoslawischen Adriaküste entlang ging es in Richtung Griechenland. Im Norden der Peloponnes-Halbinsel checkten wir auf einem Campingplatz ein, zahlten auch gleich für eine ganze Woche, bauten das Familienzelt auf, das wir neu erstanden und für uns als Vorzelt umgearbeitet hatten und machten es uns gemütlich. Die nächsten Tage unternahmen wir Ausflüge oder legten uns an den Strand, wo wir uns beide einen schmerzhaften Sonnenbrand holten. Doch schon bald wurde uns klar, dass wir nicht der Typ waren, der tage- oder sogar wochenlang auf ein und demselben Campingplatz bleibt. Wir wollten etwas sehen von der Welt, Land und Leute kennenlernen und so viel wie möglich rumkommen. Deshalb brachen wir unsere Zelte vorzeitig ab, packten wieder zusammen und zogen weiter. In Athen hievte mich Willi den ganzen Weg zur Akropolis hoch. Völlig geschafft, aber glücklich kamen wir oben an. Es gibt bestimmt nicht viele Rollstuhlfahrer, die bis dorthin gekommen sind. Danach ging es im Uhrzeigersinn um die ganze Peloponnes-Halbinsel herum. Wir übernachteten, wo es uns gefiel. Das war die Art von Urlaub, die wir uns erträumten und die zu uns passte.

Irgendwann, wir saßen gerade in einem Restaurant beim Essen, kamen wir darauf zu sprechen, wie zufrieden wir waren und wie gut es uns doch ging. Da meinte Willi, wenn es schon so gut klappte mit unserem Zusammenleben, da könnten wir eigentlich auch gleich heiraten. Ich war selig. Konnte es etwas Schöneres geben? Das war zwar nicht der romantische Heiratsantrag, den sich viele Frauen wünschen, doch zu diesen Romantikerinnen zählte ich nicht. Wir beschlossen, uns im nächsten Jahr einen passenden Termin zu suchen und uns kirchlich trauen zu lassen. Damit rechneten bestimmt nicht viele unserer Verwandten und Bekannten.

Über den berühmt-berüchtigten Autoput, die direkte Transitstrecke zwischen Griechenland und Österreich, ging es dann auf kürzestem Weg wieder zurück in die Heimat. Das war eindeutig der schönste Urlaub gewesen, den ich bis dahin gemacht hatte. Davon wollte ich mehr, und Willi würde mir in Zukunft dabei helfen, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen.

Das Wichtigste war nun, Willi wieder in Arbeit und Brot zu bringen, und auch das gelang. Willi fand eine Stelle als Konstrukteur im Sondermaschinenbau bei HOLZMA in Holzbronn, einem Teilort von Calw. Die mittelständische, eignergeführte Firma war weltweit führend in der Entwicklung und dem Bau horizontaler Plattenaufteilsägen für die Möbelindustrie. Am Montag, den 7. November konnte Willi seine neue Stelle antreten. Jetzt hatte er nur noch zehn Kilometer einfache Wegstrecke zur Arbeit.

Willi kniete sich auch in diese Aufgabe rein und fand schnell Anschluss zu den netten Kollegen. Die Arbeit machte ihm Freude, und er fand sich schnell zurecht.

Als nächstes ging es an die Planung unserer Hochzeit im kommenden Jahr. Zunächst musste eine Lokalität gefunden werden, die nicht zu weit entfernt war, genügend Platz für alle Gäste hätte, zur Not auch Übernachtungszimmer für Willis Verwandtschaft bereithielt und dazu noch rollstuhlgerecht war. Da blieb nicht mehr viel Auswahl übrig. Wir entschieden uns für das Restaurant „Hengstetter Hof“ im Nachbarort Althengstett. Eigentlich hatten wir geplant, im Wonnemonat Mai zu heiraten. Doch welch eine Enttäuschung, als wir nach einem Termin fragten und feststellen mussten, dass das Restaurant schon bis in den Spätsommer hinein ausgebucht war. Damit hatten wir nicht gerechnet, dass eine Hochzeit schon so weit im Voraus geplant werden musste. Der einzige Termin, der noch frei war, war der am Pfingstsamstag. Das war nicht ideal, denn an diesem Termin waren natürlich Pfingstferien, und damit viele Leute im Urlaub. Falls wir diesen Termin wählen würden, bekämen wir bestimmt viele Absagen. Doch uns blieb wohl nichts anderes übrig, wollten wir die Hochzeit nicht noch um ein weiteres Jahr verschieben. Wir überlegten kurz und sagten dann den Termin zu. Unsere kirchliche Hochzeit würde also am 9. Juni stattfinden, vorausgesetzt, es kämen keine weiteren Unwägbarkeiten hinzu.

Unser nächster Gang führte uns ins Pfarramt. Hoffentlich war an diesem Termin nicht auch schon die Kirche belegt. Wie sich herausstellte, war an diesem besagten Samstag zwar schon eine Hochzeit eingetragen, die sollte jedoch erst am Abend stattfinden. Wir ließen für uns also den Nachmittagstermin reservieren.

Um ja nichts zu versäumen schauten wir auch gleich im Standesamt vorbei, um die standesamtliche Hochzeit für den Freitag davor, also den 8. Juni eintragen zu lassen. So, das Wichtigste war erledigt, alles Weitere würden wir hoffentlich so nebenbei erledigt bekommen.

Bis jetzt wusste noch niemand von der Verwandtschaft Bescheid. Das hatte unserer Meinung nach Zeit bis die Einladungskarten gedruckt waren und verschickt oder verteilt werden konnten. Doch da hatten wir uns leider getäuscht. Schon ein paar Tage später sprach uns meine Mutter darauf an, dass sie beim Einkaufen erfahren hatte, dass wir heiraten wollten. Sie war verständlicherweise total enttäuscht, dass sie diese wichtige Mitteilung nicht von uns selbst, sondern von anderen Leuten hören musste. Wie sich herausstellte, war im Mitteilungskasten am Rathaus schon auf einem Aushang zu lesen, dass wir im Juni heiraten wollten. Wir wussten zwar, dass das Aufgebot sechs Wochen lang aushängen musste, wir waren jedoch davon ausgegangen, dass dies erst sechs Wochen vor dem Hochzeitstermin geschehen würde und nicht schon einen Tag nach der Bestellung des Aufgebots. Pech gehabt! Jetzt mussten wir wohl oder übel überall bekanntgeben, dass im nächsten Jahr unsere Trauung bevorstand.

Unsere Wohnung wurde uns ein wenig zu klein, wir hätten gerne zumindest noch ein weiteres Zimmer mehr gehabt. Wenn wir Besuch von meinem Studienkollegen Arno bekamen, der immer wieder mal vorbeischaute, musste dieser auf der Couch im inzwischen fertiggestellten und neu eingerichteten Wohnzimmer übernachten. Für Besuche, die gerne ein paar Tage länger geblieben wären, waren die Übernachtungsmöglichkeiten schon fast unzumutbar. Auch wenn ich am Wochenende mit meiner Bügelwäsche begonnen hatte und dann nicht ganz fertig geworden war, standen der Wäschekorb und das Bügeleisen die ganze Woche über in der Wohnküche, bis ich endlich Zeit und Lust hatte, daran weiterzuarbeiten.

Eine Möglichkeit, an dieser Situation etwas zu ändern, konnte in diesem Haus nicht realisiert werden. Da Willi in der Zwischenzeit seine Schulden, mit denen er nach Gechingen gekommen war, abbezahlt hatte, trugen wir uns tatsächlich mit dem Gedanken, ein Haus zu bauen. Wir wussten nicht, ob wir uns so etwas überhaupt leisten konnten, und versuchten deshalb, nur noch von einem Gehalt zu leben und das andere komplett zu sparen. Um besser nachvollziehen zu können, für was wir unser Geld ausgaben, fingen wir an, ein Haushaltsbuch zu führen. Alle Ausgaben, die wir tätigten, schrieben wir in dieses Büchlein. In späteren Jahren übertrugen wir unsere Haushaltsführung in den PC. Wir behielten das Aufschreiben all unserer Ausgaben unser ganzes Zusammenleben lang bei. Jede Geldausgabe immer gleich aufzuschreiben war uns im Laufe der Jahre in Fleisch und Blut übergegangen. So wussten wir immer, wofür wir unser Geld ausgegeben hatten und konnten später auch nachschauen, wann wir uns was gekauft hatten.

Hochzeit

Doch zunächst sollte im Juni unsere Hochzeit stattfinden. Die Vorbereitungen waren in vollem Gange. Die Einladungskarten waren gedruckt und verschickt. Mein Hochzeitskleid inklusive Schleier und Willis dunkelblauer Anzug mit Weste und Fliege waren gekauft und der Brautstrauß sowie die Blumendeko für die Kirche, das Auto und das Restaurant in der Gärtnerei bestellt. Mein Brautkleid haben Willi und ich übrigens zusammen gekauft. Wir machten uns beide nichts aus dem Aberglauben, dass es Pech bringen sollte, wenn der Bräutigam das Kleid der Braut schon vor der Hochzeit sieht.

Schon Anfang Mai hatten wir unser Traugespräch. Leider sollten wir nicht vom örtlichen Pfarrer sondern vom Vikar getraut werden. Das war schade, denn wir gingen schon seit längerer Zeit mit unserem Pfarrer und einigen anderen, meist älteren Gechingern in der katholischen Kirche St. Fidelis im Nachbarort Deufringen kegeln. Und da wir deshalb Herrn Kenner gut kannten, gingen wir davon aus, dass er uns auch trauen und die Traurede damit etwas persönlicher gestalten würde. Herr Kenner erklärte uns jedoch, dass die Trauungen genau geregelt wären, zwei würde der Pfarrer übernehmen, jede dritte der Vikar. Und, wie sollte es auch anders sein, wir waren natürlich die dritte Trauung. Wir waren schon enttäuscht, vor allem, da wir den Vikar überhaupt nicht kannten. Dieser könnte deshalb in seiner Traupredigt auch nur das sagen, was wir ihm beim vorherigen Traugespräch erzählen würden. Da würden keine persönlichen Worte irgendwelche Emotionen hervorrufen. Doch an dieser Regelung konnte beziehungsweise wollte niemand etwas ändern.

Meine Mutter war schon seit Wochen im Backfieber. Sie hatte eine Liste zusammengestellt mit all den Kuchen und Torten, die sie für unsere Hochzeit backen wollte. Zu dieser Zeit war es noch Sitte, dass man sich nach der Hochzeit bei allen Leuten, die ein Geschenk oder Geld gegeben hatten, persönlich bedankte und dazu ein Kuchenpaket mitbrachte, so dass auch die Leute, die nicht eingeladen waren, etwas von der Feier abbekamen. Entsprechend viele Kuchen mussten gebacken werden. Und da war meine Mutter voll in ihrem Element, denn backen war ihr Hobby. Das konnte sie gut, und das wollte sie auch allen zeigen.

Am Freitag dem 8. Juni 1984 fand zunächst die standesamtliche Hochzeit statt. Für uns war das nur ein notwendiger Pflichttermin, auf den wir gut hätten verzichten können. Für uns zählte nur die kirchliche Hochzeit. Das hatten wir auch in den Ringen verewigt, denn dort war das Datum der kirchlichen und nicht der offiziellen standesamtlichen Hochzeit eingraviert. Mein älterer Bruder Eberhard und Willis Schwester Anita waren schon einen Tag zuvor angereist, denn sie sollten unsere Trauzeugen sein.

Der Tag begann ziemlich hektisch. Als ich meinen neuen weißen Hosenanzug mit blauen Nadelstreifen anziehen wollte, fiel mir auf, dass ich an der Hose, die mir, wie übrigens alle Damenhosen, zu kurz gewesen war, den Saum so weit wie möglich herausgelassen und dann vergessen hatte, sie zu bügeln. Zum Glück war Anita da, die diese Aufgabe dann noch schnell übernehmen konnte.

Mit unseren Trauzeugen, meinem Vater und unserer Mitbewohnerin Frauke, die mit ihrem Mann in der Hauptwohnung über uns wohnte, und die am nächsten Tag nicht dabei sein konnte, machten wir uns rechtzeitig auf den Weg ins Rathaus. Meine Mutter war nicht dabei. Sie hatte keine Zeit. Ihr war das Backen und Verzieren der Torten wichtiger als unsere standesamtliche Hochzeit. Die fünfzig Obstkuchen, gedeckten Kuchen, Cremetorten und Schwarzwälder Kirschtorten mussten ja schließlich fertig werden. Das würde mich zwar mein ganzes Leben lang ärgern, doch ich musste es akzeptieren. Die Prioritäten meiner Mutter lagen eindeutig auf anderen Seiten als die, die ich mir von ihr gewünscht hätte.

Als wir das Trauzimmer betraten, Willi hatte mich die ganze Treppe hoch bis in den zweiten Stock hieven müssen, sahen wir, dass auf dem Trautisch eine wassergefüllte Vase stand. Erst da fiel uns auf, dass wir überhaupt keinen Brautstrauß dabei hatten. Schon das zeigt, wie unwichtig uns diese Zeremonie war. Der Bürgermeister, der bis vor kurzem mit seiner Familie in der Wohnung über uns gewohnt hatte, war gleichzeitig unser Standesbeamter. Die Zeremonie dauerte nicht lange. Die meiste Zeit nahm die Bürokratie in Anspruch. Es mussten jede Menge Formulare unterschrieben werden. Ich musste aufpassen, dass ich mich nicht verschrieb, denn ich hatte ja nun einen anderen Nachnamen. Statt dem Namen Gehring, den ich die letzten 26 Jahre getragen hatte, musste ich mich nun an den Nachnamen Hornemann gewöhnen. Hier die Unterschrift mit Name und Geburtsname, also Evelin Hornemann geborene Gehring, und zack, schon war ich wieder im alten Trott und wollte unser Familienstammbuch mit Gehring unterschreiben. Ich hatte schon das „G“ geschrieben, als es mir auffiel und ich stoppte. Dieses „G“ erinnerte uns immer an diesen Fauxpas, sobald wir das Stammbuch in Händen hielten.

Nach der Trauung fuhren wir sechs in den Nachbarort, um im Hengstetter Hof, in dem am nächsten Tag unsere große Feier stattfinden sollte, zu Mittag zu essen. Wie gesagt, ohne meine Mutter!

Das Formelle hatten wir nun hinter uns gebracht. Morgen würde unser großer Tag kommen, den wir gebührend mit unseren rund achtzig Gästen feiern wollten.

Wir waren schon früh auf den Beinen, denn das Programm des Tages war straff getaktet. Unser erster Besuch galt dem Frisör, wo ich mich zum ersten Mal schminken und meine langen Haare in Wellen legen ließ. Auch den Schleier ließ ich mir schon feststecken. Das Brautkleid folgte dann erst zuhause. Willi und Anita waren noch auf den umliegenden Wiesen unterwegs gewesen, um frische Blumen für die Körbe der beiden Blumenkinder zu pflücken. Die Tochter meiner Kusine und der kleine Sohn der Nachbarn meiner Eltern sollten in der Kirche Blumen streuen. Willi musste noch in der Gärtnerei meinen Brautstrauß holen und das Blumenbukett auf unserem Hochzeitsauto, dem dunkelgrünen Mercedes W 124 meines Vaters, anbringen lassen.

Danach ging es zum Fotografen nach Böblingen, wo wir um 10 Uhr einen Termin hatten. Leider war das Wetter nicht ganz so gut wie erhofft, so dass die meisten Fotos im Studio gemacht werden mussten. Gegen Ende des Shootings fuhren wir doch noch in den Stadtpark am See, um auch ein paar Fotos im Freien zu machen. Leider war der Wind relativ stark und der Himmel komplett bedeckt, so dass wir es bei nur wenigen Bildern beließen.

Danach ging’s wieder zurück in unsere Wohnung, wo schon die ersten Gäste auf uns warteten. Da viele von Willis Verwandten schon eine ganze Zeitlang unterwegs gewesen waren, hatte ich schon am Tag zuvor eine Gulaschsuppe gekocht, die ich nun als kleine Zwischenmahlzeit anbot. Im Brautkleid stellte ich mich an den Herd, um meine Gäste zu bedienen. Es kam aber auch niemand auf die Idee, mir zur Hand zu gehen oder die Bewirtung zu übernehmen. Zum Glück verkleckerte ich mich nicht auch noch.

Und dann war es auch schon Zeit, zusammen mit unseren Gästen in die Gechinger evangelische Martinskirche zu fahren. Vom Gottesdienst selbst weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr allzu viel. Wir hatten uns vom Organisten die Toccata in d-moll von Johann Sebastian Bach gewünscht, und Herr Benzing machte uns die Freude und spielte dieses Stück gekonnt auf der Orgel. Was mir noch in Erinnerung geblieben ist, war, dass meine frühere Flötenlehrerin Frau Kasper eine Überraschung für mich bereithielt und auf der Geige, begleitet von zwei Flötenkindern, in der Kirche spielte. Natürlich trieb mir dies sofort die Tränen in die Augen.

Und dann war der Gottesdienst auch schon wieder zu Ende und wir verließen, begleitet von den beiden Blumenkindern, das Gotteshaus. Auf dem Kirchhof nahmen wir Aufstellung, um sämtliche Besucher an uns vorbeiflanieren zu lassen, damit sie uns gratulieren konnten. Willi und ich strahlten uns an. Ich war der glücklichste Mensch auf Gottes Erden, den man sich nur vorstellen kann. Und ich hatte das Gefühl, alle anderen freuten sich für und mit uns.

Dann wurde es auch schon Zeit, im Autokorso nach Althengstett in den Hengstetter Hof zu fahren, wo die Kaffeetafel für uns und unsere Gäste festlich gedeckt war. Zusammen mit den Verwandten, Freunden, Nachbarn, früheren Klassenkameraden, Arbeitskollegen und Kegelbrüdern feierten wir bis spät in die Nacht. Mehrere Sketche wurden aufgeführt, zum Beispiel von meiner Mutter zusammen mit einer Nachbarin und von Susanne und Thomas, ehemaligen Klassenkameraden von mir, die selbst vor noch nicht allzu langer Zeit geheiratet hatten. Meine Kusinen sangen Lieder mit selbstgedichteten Texten, die Gunda auf der Gitarre begleitete. Alles in allem war es ein schönes und kurzweiliges Fest, auch wenn das Wetter nicht so ganz mitspielte, denn später am Tag fing es sogar noch zu regnen an. Nach alter Tradition hatte mein Vater, als Vater der Braut, die komplette Hochzeitsfeier im Restaurant inklusive Abendessen bezahlt. Ich war unglaublich glücklich, und denke, dass ich das auch ausstrahlte.

Am nächsten Tag schien die Sonne und wir hatten schönstes Sommerwetter. Mit den Freunden und Verwandten, die bei uns übernachtet hatten, konnten wir auf unserer Terrasse zusammen frühstücken. Frauke hatte für unsere Gäste einige Feldbetten von der Bundeswehr besorgt, die sie als Übernachtungsmöglichkeit auf dem Dachboden aufgebaut hatte. Wie nett von ihr. Und so konnten wir das Pfingstwochenende ganz gemütlich ausklingen lassen.

Flitterwochen gab es keine. Als ich Willi darauf ansprach, meinte er, dass wir uns doch so einen teuren Bauplatz kaufen wollten, den wir uns kaum leisten konnten. Da wäre es doch geradezu dekadent, wenn wir auch noch in den Urlaub fahren würden. Das sah ich ein. Was ich jedoch nicht einsah war, dass ich auf meinen Urlaub verzichten sollte, während Willi auf nichts verzichtete. Da überlegte er kurz und meinte dann, er würde dafür auf seine Zigaretten verzichten. Und siehe da, von diesem Tag an rauchte Willi nicht eine Zigarette mehr und war fortan überzeugter Nichtraucher.

Außer dem Namen änderte sich eigentlich nichts in unserem Zusammenleben. Jeder ging seiner Arbeit nach, und nach Feierabend gab es auch immer etwas zu tun. So oft wie möglich nutzten wir den VW-Bus, um kleine Ausflüge oder Wochenendtrips zu unternehmen. Wir hatten auch versucht, unsere beiden weißen Perserkatzen Bianca und Sissy, die seit zwei Jahren unsere Mitbewohner waren, und die uns viel Freude bereiteten, an den Bully zu gewöhnen. Das misslang jedoch auf ganzer Ebene. Sobald Willi den Motor nur startete, starben die beiden Katzen tausend Tode. Sie bekamen keine Luft mehr, hechelten nur noch und miauten herzerweichend. Das konnten wir nicht lange mitansehen und beendeten diese Aktion notgedrungen.

In Gechingen war vor wenigen Jahren ein neues Baugebiet im Gailer erschlossen worden, in dem es noch einige freie Baugrundstücke gab, die man relativ günstig von der Gemeinde kaufen konnte. Wir schauten uns die Grundstücke genauer an. Die Lage war wirklich schön und sonnig, sie hätten uns alle gut gefallen. Einen Nachteil hatten sie jedoch alle: sie lagen alle nördlich der Straße am Hang, so dass der Hauseingang immer im UG und nicht in der Hauptwohnung im EG gewesen wäre. Das heißt, um in die Hauptwohnung im Erdgeschoss zu gelangen, hätten wir entweder einen Aufzug einbauen oder einen langen, leicht bergan führenden Weg rund um das ganze Haus bauen müssen. Das wäre nicht gerade optimal gewesen, und man hätte im Winter einen langen Gehweg vom Schnee freischaufeln müssen.

Unser Zahnarzt hatte im Gemeindeblatt annonciert, dass er einen Bauplatz suchte, und um Angebote gebeten. Als wir das nächste Mal zur Kontrolle beim Zahnarzt waren, fragte Willi einfach, ob sich jemand auf die Anzeige gemeldet hatte. Und tatsächlich, es gab zwei Angebote für einen Bauplatz in dem neuen Baugebiet Gailer. Der eine lag ziemlich am Eingang des Baugebiets, südlich der Straße, und der andere lag in einer ruhigen Seitenstraße. Da die Zahnarztfamilie drei Kinder hatte, kam ihnen der ruhige Platz in der Sackgasse mehr entgegen als der Platz am Baugebietseingang, wo jeder Bewohner der rund einhundert Häuser notgedrungen vorbeifahren musste. Uns würde das nicht stören. Ganz im Gegenteil, im Alter hätten wir quasi einen Logenplatz und könnten das ganze Baugebiet im Auge behalten, falls uns langweilig werden sollte.

Eine Weile gingen wir mit dem Gedanken schwanger, uns diesen Bauplatz zu kaufen. Er wurde leider nicht von der Gemeinde verkauft sondern von einer Privatperson. Entsprechend teuer war der Platz, er sollte 320 DM pro Quadratmeter kosten, bei einer Größe von 627 Quadratmetern also insgesamt rund 200.000 DM. Das war für uns ein ganz schöner Batzen Geld, vor allem, da wir bis jetzt praktisch noch nichts gespart und keinen Pfennig auf der hohen Kante hatten. Doch der Bauplatz war so schön gelegen im Gegensatz zu den von der Gemeinde verkauften Plätzen und würde uns natürlich auch einen Aufzug oder eine lange Auffahrt ersparen, da mussten wir einfach zuschlagen.

Zum Glück besaß ich eine kleine Eigentumswohnung, die ich vom Schmerzensgeld des Motorradunfalls gekauft hatte. Wenn wir die verkauft bekommen würden, dann könnten wir uns, zusammen mit dem Geld, das wir von meinen Eltern als vorgezogenes Erbe noch dazu erhielten, den Bauplatz leisten. Glücklich und zuversichtlich unterschrieben wir im November 1984 den Kaufvertrag für den Bauplatz im Baugebiet Gailer, Wieselweg 3.

Der Winter 1984/85 war kalt. Da war es oft kein Vergnügen, zur Arbeit zu fahren. Einmal stand ich stundenlang im Stau zwischen Dagersheim und Aidlingen. Es war spiegelglatt und deshalb trauten sich die Autofahrer nur einzeln und im Schneckentempo die steile Straße, Kehle genannt, hinunter. Es ging so gut wie nichts mehr. Ich saß in meinem Opel, hatte die Heizung laufen und wartete bis es weiterging. Irgendwo auf halber Strecke zwischen Dagersheim und Aidlingen kam mir Willi in seinem VW-Bus entgegen. Er hatte sich Sorgen um mich gemacht. Hätte ich einen Unfall gehabt, ich hätte mir selbst nicht viel helfen können. Ich wäre noch nicht einmal alleine aus dem Auto gekommen, wenn ich im Straßengraben gelandet wäre, selbst wenn ich unverletzt geblieben wäre. Und Handys gab es damals noch nicht. Kein Wunder also, dass sich Willi Sorgen um mich machte und nach mir suchte. Als er mich im Stau entdeckte, war er erleichtert.

Wir waren alle der Meinung, dass das so nicht weitergehen konnte. Willi musste unbedingt auch eine Stelle beim Daimler finden, damit wir in Zukunft zusammen zur Arbeit fahren könnten. Jetzt ließ mein Vater wieder seine Kontakte spielen, und dann klappte es tatsächlich. Ab dem 1. Juli 1985 konnte Willi als Grafischer Zeichner für Präsentationsgrafiken in der Verfahrensentwicklung beginnen. Das war zwar nicht die gewünschte Stelle und hatte auch nicht viel mit seiner Ausbildung als Maschinenbautechniker Fachrichtung Konstruktion zu tun, aber Hauptsache, er hatte erst einmal einen Fuß in der Tür. Alles andere würde sich im Laufe der Zeit finden. Er konnte sich ja immer noch innerbetrieblich auf eine passende Stelle bewerben.

Spätestens am 17. Mai musste Willi also bei HOLZMA kündigen. Das tat ihm auch irgendwie leid, denn er arbeitete gerne dort. Die Arbeit machte ihm Spaß und die Kollegen waren nett und hilfsbereit, auch wenn man kurz vor den Messen viele Überstunden machen und manchmal sogar am Feiertag arbeiten musste. Als Willi einmal an Ostern arbeiten musste, fuhr der Firmengründer Herr Jenkner Senior nach Calw in ein Café und kaufte für jeden der Mitarbeiter ein großes Schokoladenei, gefüllt mit Pralinen, das sie ihren Frauen als Entschuldigung mitbringen sollten. In einer eignergeführten, mittelständischen Firma mit rund 200 Mitarbeitern geht es natürlich familiärer zu als bei Mercedes-Benz, das war auf jeden Fall sicher. Dass Willi schon nach eineinhalb Jahren bei HOLZMA wieder kündigte, gefiel Herrn Jenkner natürlich überhaupt nicht. Jetzt, wo man die Leute endlich selbstständig arbeiten lassen konnte, kündigten sie wieder, war der Kommentar des obersten Chefs.

Türkei-Urlaub

Noch bevor Willi seine neue Stelle antrat, und dann das erste halbe Jahr keinen längeren Urlaub bekommen würde, fuhren wir mit unserem ausgebauten VW-Bus für drei Wochen in die Türkei. Am 3. Juni ging’s über Österreich, Jugoslawien und Bulgarien in Richtung Anatolien. Schon am dritten Tag unserer Reise lagen rund 2.000 Kilometer hinter uns, und wir überquerten die Grenze in die Türkei.

Die erste Stadt, durch die wir kamen, war Edirne, früher unter dem Namen Adrianopel bekannt. Der Verkehr durch die Innenstadt war dicht, die Leute liefen ohne zu schauen über die Straße. Da musste Willi ganz besonders aufmerksam fahren. An einem Zebrastreifen musste er anhalten, um die Fußgänger über die Straße zu lassen. Gerade als er wieder anfahren wollte, tat es einen Schlag auf der Beifahrerseite. Ich konnte gerade noch sehen, wie jemand ein Kind auf den Arm nahm und zwischen den Leuten verschwand. Wir hatten überhaupt nicht richtig mitbekommen, was da gerade passiert war. Willi stieg aus, um nachzuschauen. Doch kaum war er draußen, stürzten schon die Leute auf ihn ein und beschimpften ihn. Wir wussten immer noch nicht, was passiert war und verstanden natürlich kein Wort. Von der gegenüberliegenden Straßenseite kam ein Mann in Uniform, der ein Gewehr umhängen hatte. Wie sich herausstellte, war er Sicherheitsmann und bewachte die Bank gegenüber. Kurz danach kam die Polizei und gab uns zu verstehen, dass wir hinter ihnen herfahren sollten, was wir dann auch taten. Immer noch besser als von dem Mob gelyncht zu werden.

Auf der Polizeiwache mussten wir zunächst warten bis wir an der Reihe waren. Ein in Deutschland lebender türkischer Gastarbeiter, der zufällig anwesend war, dolmetschte für uns. Willi wurde beschuldigt, am Zebrastreifen nicht angehalten und ein Kind angefahren zu haben. Jede Rechtfertigung unsererseits wurde sofort abgewürgt. Man könne ja Willi gleich in den Knast stecken, falls uns das lieber wäre. Wir fragten, ob wir mit der deutschen Botschaft oder dem Konsulat telefonieren dürften, was uns jedoch verwehrt wurde. Wir fühlten uns ganz schön in die Enge getrieben. Dann wurde Willi ein Protokoll vorgelegt, das er anerkennen und unterschreiben sollte. Natürlich war es in Türkisch geschrieben, so dass Willi nichts lesen konnte und damit auch nicht wusste, was er unterschreiben würde. Deshalb weigerte er sich logischerweise, dies zu tun.

Uns wurde gesagt, dass der Junge, den Willi angefahren habe, im Krankenhaus liege, und dass er das Schlüsselbein gebrochen hätte. Wir würden selbstverständlich für die Krankenhauskosten aufkommen müssen. Wir glaubten in der Zwischenzeit überhaupt nichts mehr von dem, was uns da erzählt wurde. Die konnten ja viel behaupten, nur um uns abzuzocken. Die Polizisten erklärten, dass wir dem Vater des angeblich verletzten Kindes Geld geben sollten, was wir jedoch rigoros ablehnten. Erstens wussten wir nicht, ob der Mann überhaupt der Vater war, und zweitens war es für uns sehr zweifelhaft, ob dieses Geld dann auch für die Krankenhausrechnung ausgegeben und nicht in die Tasche des Mannes wandern würde. Um uns zu zeigen, dass die Polizisten die Wahrheit sprachen, wurde uns angeboten, uns ins Krankenhaus zu fahren, damit wir uns mit eigenen Augen überzeugen konnten.

Mit einem Polizeibus ging es also ins Hospital. Wir wurden in ein Zimmer geführt, in dem mehrere Betten standen. In einem davon sollte der verletzte Junge liegen, von dem wir jedoch nur einen blonden Haarschopf unter der Bettdecke hervorlugen sahen. Keine Ahnung, ob das das Kind war, das vom Unfallort weggetragen worden war und welche Verletzungen es hatte. Uns wurde die Rechnung für den Krankenhausaufenthalt präsentiert. Wir sollten einhundert DM zahlen. Das ging ja noch. In Deutschland hätte der Junge wahrscheinlich noch nicht einmal einen Arzt zu sehen bekommen für diesen Betrag. Da es sich um einen relativ geringen Betrag handelte, gaben wir klein bei und bezahlten das geforderte Geld, jedoch direkt an das Krankenhaus und nicht an den Vater.

Danach ging’s wieder zurück auf die Polizeiwache. Dort trafen wir auf zwei deutsche Teenager aus Berlin, die mit ihrem türkischen Freund hier ihren Urlaub verbringen wollten. Der Junge hatte versucht, Elektronikgeräte zu schmuggeln, und war an der Grenze erwischt worden. Nun saß er im Knast und wartete auf seinen Prozess. Meine Mutter wäre gestorben vor Angst um mich, wenn mir in jungen Jahren so etwas passiert wäre. Gut, ich hätte schon gar nicht mit einem türkischen Freund in dessen Heimat fahren dürfen, wäre also auch nie in solch eine Situation geraten.

Das war die Chance. Wir baten die beiden Mädchen, zur nächsten Telefonzelle zu gehen und bei der deutschen Botschaft in Ankara anzurufen, ihnen unseren Fall zu schildern und zu fragen, wie wir uns zu verhalten hatten. Wir gaben ihnen das Telefongeld und schickten sie los.

In der Zwischenzeit wurde Willi zu verstehen gegeben, dass man ihn nun zum Gericht fahren würde, wo über seine Strafe geurteilt werden sollte. Er wurde also erneut in den Polizeibus gebracht, der ihn zum Gericht fahren würde. Doch zuvor sollte es noch einmal ins Krankenhaus gehen, wo man mit Willi einen Alkoholtest machen würde. Ich wartete solange im Wohnmobil auf ihn. Es dauerte nicht allzu lange, bis Willi mit den eskortierenden Polizisten wieder zurückkam. Der Alkoholtest war eigenartig. Willi musste nur eine Ärztin anhauchen, und das war’s dann auch schon. Sie bestätigte, dass er keinen Alkohol getrunken hatte. Da der Unfall am Vormittag passiert war, wäre das auch kaum möglich gewesen.

Der Richter hatte schon Feierabend gehabt, so dass sich das mit dem Gericht für heute erledigt hatte. Die beiden Berlinerinnen waren in der Zwischenzeit auch wieder zurück. Sie hatten tatsächlich jemand in der Botschaft erreicht. Dort wurde ihnen gesagt, dass morgen ein türkischer Anwalt, der für das deutsche Konsulat in Istanbul arbeitete, zufällig nach Edirne kommen würde. Wir sollten ihn am nächsten Morgen kontaktieren und einen Termin vereinbaren.

Die Polizisten hatten wohl auch keine Lust mehr, denn sie meinten, wir sollten nun auf einem Campingplatz in der Stadt einchecken und am nächsten Morgen wieder vorbeikommen. Das war auf jeden Fall wesentlich angenehmer als im Gefängnis zu übernachten. Abhauen konnten wir sowieso nicht, denn unsere Pässe waren einbehalten worden.

In einem meiner Reiseführer hatte ich gelesen, dass in Edirne ziemlich viele Zigeuner leben würden. Geld hätten sie nicht viel, dafür umso mehr Kinder. Und so würde es öfter vorkommen, dass versucht würde, mit diesen Kindern Geld zu verdienen. Ein Erwachsener würde vor einem Auto die Straße überqueren, damit das Fahrzeug abgebremst wurde. Und sobald es dann wieder anfahren wollte, wird das Kind gegen das Auto gestoßen und dann behauptet, dass der Autofahrer es verletzt hätte. Und so versucht man, Geld von dem Fahrer zu bekommen. Genau so war das bei uns auch gewesen. Das war wohl immer die gleiche Masche der Abzocke. Um die Kinder schien man sich keine Sorgen zu machen, Hauptsache man kam an das Geld der reichen Touristen. Zum Glück hatten wir dem Vater kein Geld gegeben. Was jedoch am nächsten Tag bei Gericht rauskommen würde, machte uns schon Sorgen.

Am nächsten Vormittag riefen wir von einer Telefonzelle zunächst die Nummer des Anwalts an. Wir gaben ihm den Termin für die Gerichtsverhandlung durch, und er sagte zu, dort zu erscheinen. Rechtzeitig machten wir uns auf den Weg zum Gerichtsgebäude. Der türkische Anwalt war tatsächlich gekommen. Das beruhigte uns zumindest ein wenig. Als er jedoch sagte, wir sollten doch einfach alles bezahlen, was von uns verlangt würde, irritierte uns das schon. Da wir in Deutschland alle versichert wären, würden wir das Geld sowieso wieder zurückbekommen, und deshalb wäre es doch egal, ob wir dem angeblichen Vater Geld geben würden oder nicht. Wir waren doch ein wenig perplex über so eine Aussage. Ich dachte, dieser Anwalt sollte sich für uns einsetzen und nicht für die andere Seite reden. Und so einer soll tatsächlich für die deutsche Botschaft arbeiten?

Willi wurde in den Gerichtssaal gerufen, während ich draußen warten musste.

Später erzählte er mir, wie es vor Gericht abgelaufen war. Es ging alles recht schnell. Zunächst wollte der Richter Willi bis zur Hauptverhandlung ins Gefängnis stecken. Willi erzählte ihm, dass er mich nicht alleine lassen könne, denn ich sei als Rollstuhlfahrer auf seine Hilfe angewiesen. Warum er das denn nicht gleich gesagt hätte, meinte der Richter. Dann müsse Willi eben eine Kaution von 10.000 DM hinterlegen, die wir, sollten wir bei der Hauptverhandlung Recht bekommen, wieder zurück bekommen würden. Diese 10.000 DM sollten natürlich in bar hinterlegt werden. Als Willi erklärte, dass er keine 10.000 DM dabei hätte, wurde die Kaution auf 5.000 DM reduziert. Als er sagte, dass er auch dieses Geld nicht hätte, wurde er gefragt, wie viel Bargeld er denn besitze. Willi erklärte wahrheitsgetreu, dass wir 2.000 DM mitgenommen hätten, davon jedoch schon 1.000 DM in einer Bank in türkische Lira getauscht hätten. An den Liras hatte der Richter kein Interesse. Und so wurde die Kaution letztendlich von 10.000 auf 1.000 DM reduziert. Jetzt sollten wir unsere Rundreise durch die Türkei fortsetzen und nach vier Wochen wieder vorbeikommen, dann würde die Hauptverhandlung stattfinden.

Willi bezahlte die Kaution, bekam eine Quittung dafür und unsere Pässe zurück und konnte dann gehen. Der Anwalt verabschiedete sich von uns. Auf den hätten wir wirklich verzichten können. Wenn so die ganze Hilfe aussah, die man im Ausland von der deutschen Botschaft oder dem Konsulat erwarten konnte, dann gute Nacht.

Wir setzten uns in unseren VW-Bus und beratschlagten zunächst einmal, was wir jetzt tun sollten. Eigentlich war uns die Lust am Türkeiurlaub komplett abhanden gekommen. Doch so einfach das Land wieder zu verlassen, trauten wir uns auch nicht. Wir wussten ja nicht, ob die Grenzbeamten nicht Bescheid wussten und uns an der Ausreise hindern würden. Der kürzeste Weg aus der Türkei raus würde uns nicht wieder zurück nach Bulgarien führen, sondern nach Griechenland. Dieser Grenzübergang war gerade mal zehn Kilometer entfernt. Wir entschieden, so schnell wie möglich dort über die Grenze zu fahren. Vielleicht waren die Grenzbeamten ja noch nicht informiert worden.

Und so machten wir uns so schnell wie möglich auf den Weg Richtung Griechenland. Unsere Herzen klopften wild als wir kurze Zeit später an der Grenze anhalten mussten. Willi gab den Grenzbeamten unsere Pässe und die blätterten darin herum. Und dann forderten sie uns auf, auszusteigen. Uns rutschte das Herz in die Hose. Jetzt waren wir eindeutig dran! Willi versuchte, den Beamten klarzumachen, dass ich nicht so einfach aussteigen könnte, da ich ja auf den Rollstuhl angewiesen sei. Als sie den sahen, gaben sie Willi die Pässe zurück und winkten uns durch. Das ließ sich Willi natürlich nicht zwei Mal sagen, setzte sich wieder auf den Fahrersitz und gab Gas. Als wir das Nachbarland erreicht hatten, konnte man ganz deutlich den Stein hören, der uns vom Herzen gefallen war.