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Ulrich, der Erbe des größten und schönsten Gutes im abgelegenen Linnental, hat wie einst sein Vater große Ziele. Für den Jungen vom Lande gilt es, vieles zu lernen, und er meistert es mit Bravour. Doch dann trifft er eine fatale Entscheidung, die dazu führt, dass sich auch seine Schwester Monika in große Gefahr begibt.
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Seitenzahl: 444
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Geschichten gehören seit meiner Kindheit zu meinem Leben wie die Luft zum Atmen. Oft denke ich mir welche aus und vergesse sie bald wieder. Doch manche Geschichten verdienen mehr. Deswegen habe ich vor über 25 Jahren angefangen sie aufzuschreiben.
Mein Leben drehte sich jedoch nicht hauptsächlich ums Geschichtenerzählen, sondern um die Familie, Freunde und meine Arbeit in der IT eines Großunternehmens.
Ermutigt durch Freunde und Kollegen liegt nun die vierte Geschichte als Buch vor und verzaubert hoffentlich auch Ihren Alltag.
für
Erwin
Bisher erschienen:
Der Ring des Herzogs
ISBN: 978-3-7526-0829-8
Das verborgene Tal
ISBN: 978-3-7557-1440-8
Der verschwundene Prinz
ISBN: 978-3-7568-6257-3
1. Der junge Soldat
2. Die Ausbildung
3. Eine unmögliche Liebe
4. Ein Räuberstück
5. Der Geburtstag der Königin
6. Rückkehr nach Legyn
7. Betrogen und ausgeraubt
8. Aufbruch
9. Heimlichkeiten
10. Im Gebirge
11. Eine seltsame Höhle
12. Ein Unfall mit Folgen
13. Die Gefährten
14. Der Traum ist aus
15. Heimkehr
16. Im unbekannten Land
17. Ein ungleicher Kampf
18. Raus aus der Falle
19. Flucht zu dritt
20. Zurück in den Bergen
21. Erfolglose Jagd
22. Endlich daheim
23. Em halbes Leben
24. Der Gesandte
25. Eine neue Zeit
26. Die verlorene Tochter
27. Gäste auf Legyn
28. Familienbande
29. Audienz beim König
30. Neuigkeiten
31. Isabellas erste Reise
Der Stammsitz der Familie von Legyn war seit alters her das Hofgut Legyn. Manchmal wurde es auch als Schloss Legyn bezeichnet, da das Haupthaus groß und sehr geschmackvoll ausgeführt war. Doch milderten die angrenzenden Stallungen und Wirtschaftsgebäude den herrschaftlichen Eindruck. Der geräumige Hof wurde durch ein Torgebäude abgeschlossen, sodass ein geschlossenes Viereck entstand. Hinter dem Haupthaus befand sich ein großzügiger Garten, der durch eine hohe Mauer begrenzt wurde.
In früheren Zeiten war es manchmal nötig gewesen, das Hofgut gegen Feinde zu verteidigen oder die Ernte zu schützen. Doch diese Zeiten waren glücklicherweise vorbei. Der wehrhafte Eindruck war jedoch erhalten geblieben, denn die jeweiligen Besitzer hatten keinen Grund gesehen, die Mauern abzutragen.
Zu dem Hofgut gehörten weitläufige Ländereien, die auch einige Waldgebiete einschlossen. Südöstlich des Hofguts verschmälerte sich allmählich das Tal und endete schließlich an einer mächtigen Gebirgskette, daher kamen nur wenige Fremde in die Gegend. Es war ein abgelegener und fast vergessener Winkel des Königreichs. Doch das Tal war fruchtbar und bescherte den Menschen, die dort lebten, Sicherheit und Frieden durch gute Ernten und wohlgenährte Tiere.
Das Tal war beim Hofgut schon sehr breit und die Hügel am Rande nicht mehr allzu hoch. Nur dort, wo sich das größte Waldstück befand und der Fluss Linnen sich in Schleifen bis an den Rand des Tales herangeschoben hatte, war der Höhenzug steil und hoch, ganz im Gegensatz zu der sonst fast sanften Landschaft.
Die jetzigen Besitzer waren eine in der näheren Umgebung sehr angesehene Familie. Hermann und seine Frau Margarete hatten in den letzten zwölf Jahren das Gut wieder vorangebracht, nachdem es durch den Leichtsinn Hermanns beinahe verlorengegangen wäre.
Ihr ganzer Stolz waren jedoch ihre drei Kinder, der fünfzehnjährige Ulrich, die knapp zwölfjährige Monika und die siebenjährige Isabella. Die ersteren waren zum Leidwesen der Mutter sehr frei auf dem Landgut aufgewachsen, während sie bei Isabella endlich ihre Vorstellung einer höfischen Erziehung durchsetzen konnte.
Hermann war lange Zeit Soldat in der königlichen Garde in Felan gewesen und sein damaliger engster Kamerad und Freund, Konstantin von Karlsberg, besuchte ihn bis auf den heutigen Tag regelmäßig.
Konstantin war in der königlichen Garde geblieben und bekleidete inzwischen das Amt eines Obersts. Aber vor allen Dingen war er nach wie vor der beste Freund Hermanns und auch der Pate seines Sohnes. Durch seine vielen Besuche hatte er Ulrich heranwachsen sehen und war deswegen nicht überrascht, dass sich Ulrich auf der Jagd für sein Alter sehr geschickt anstellte. Auch diesen Herbst durfte Ulrich seinen Vater und Konstantin von Karlsberg auf eine mehrtägige Jagd begleiten.
Als sie abends in einer Jagdhütte zusammensaßen, lobte der Oberst Ulrich. Hermann war stolz auf das Lob aus dem Mund seines Freundes und auch Ulrich fühlte sich geehrt.
„So einen tüchtigen Mann könnte ich in der Garde gut gebrauchen“, erklärte Konstantin seinem alten Freund.
„Hast du nicht Lust, mich an den königlichen Hof zu begleiten?“, wandte er sich an Ulrich, „vorausgesetzt, dein Vater kann dich auf dem Gut entbehren.“
Konstantin blickte zu Hermann. Hermann wusste, was dieses Angebot bedeutete, und freute sich für seinen Sohn. Margarete und er sahen schon, dass sie Ulrich nicht mehr lange auf dem Gut halten konnten, denn dazu war er seinem Vater zu ähnlich.
Also antwortete Hermann: „Ich danke dir für dieses Angebot. Wenn Ulrich das Soldatenleben kennenlernen will, so kann er keinen besseren Lehrmeister finden.“
„Also, Ulrich, was meinst du?“, fragte er seinen Sohn.
„Oh, Vater, Oberst von Karlsberg, auch ich danke Euch. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als dem König in seiner Garde zu dienen!“
Die beiden Erwachsenen schmunzelten über den Überschwang.
„Gut, wenn das so ist, dann abgemacht. Ihr kommt mit mir mit. Es werden Euch harte Lehrjahre bevorstehen, bis Ihr ein ebenso tüchtiger Soldat wie Jäger sein werdet.“ Der Oberst lehnte sich zurück und blickte in die glücklichen Gesichter von Vater und Sohn.
„Na, Hermann, jetzt sitzen wir hier so gemütlich am Kamin. Hast du nicht eine neue Geschichte von eurem Ungeheuer auf Lager?“
„Tja, es gibt eine, aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe nie geglaubt, dass es dieses Untier wirklich gibt. Es sind halt schöne Geschichten für lange Winterabende, aber jetzt wird ihm der Tod eines Menschen zugeschrieben, den ich kannte. Er war ein tapferer und ehrgeiziger Soldat.“
„In den Bergen kann viel passieren. Vielleicht passte, was immer geschah, gut zu eurer Legende“, sinnierte Konstantin.
„Vielleicht, aber in den Dörfern von hier bis zu den Bergen wird die Angst immer größer.“
„Solche Geschichten entwickeln schnell ein Eigenleben, aber man wird sich schon wieder beruhigen. In diesen abgelegenen Regionen sind die Menschen manchmal wirklich eigenartig.“
Hermann gefiel die Wendung des Gesprächs nicht. Er hasste es, wenn die Städter sich so weltgewandt und überlegen fühlten. Da er aber die schöne Stimmung des Abends nicht verderben wollte, erwiderte er darauf nichts und wechselte das Thema.
Konstantin erzählte ein paar Anekdoten aus seinem Leben. Es gab Bier und alle gingen in gelöster Stimmung zu Bett.
Als sie am nächsten Tag auf das Hofgut Legyn zurückgekehrt waren, erzählte Hermann von Konstantins Angebot. Margarete war nicht überrascht, aber Monika. Zwar freute sie sich für Ulrich, denn sie liebte und bewunderte ihren großen Bruder. Sie war sich sicher, dass er sich bewähren würde, aber die beiden hatten viel Zeit miteinander verbracht. Das Reiten war auch ihre Leidenschaft und da ihr Vater wenig Zeit hatte, war sie am liebsten mit Ulrich ausgeritten. Monika hatte sich immer mehr an Ulrich orientiert als an Isabella. Was der große Bruder machte, dies wollte sie auch tun.
Für Isabella hingegen war schon immer Monika das Vorbild. Ulrich war ja so viel älter und dazu noch ein Junge. Insgeheim hoffte Isabella, dass Monika jetzt mehr Zeit für sie übrighaben würde und freute sich schon darauf.
Ulrich aber war stolz und glücklich. Endlich entkam er dieser Weiberwirtschaft und würde sich mit anderen Männern messen können. Er liebte seine Schwestern, allerdings fehlte es ihm an gleichaltrigen Männern. Die Dienerschaft auf dem Hof und die Bauernsöhne in der Umgebung taugten nicht dazu und die Freunde seines Vaters waren viel zu alt. Außerdem war außer Oberst von Karlsberg kein Soldat darunter und sein größter Respekt gehörte nun einmal den Soldaten.
Was sein Vater auf Legyn geschaffen hatte, hielt Ulrich für selbstverständlich. Stolz machte ihn jedoch, dass sein Vater zur Leibgarde des Königs gehört hatte. Heinrich Pacher, der Majordomus des Gutes, redete seinen Vater immer noch mit Oberleutnant an, obwohl er schon so lange Zivilist war. Ja, das Militärische wurde auf Legyn hochgehalten und Ulrich folgte nun diesem Ruf.
Ulrich reiste also mit Konstantin von Karlsberg nach Felan, der Hauptstadt des Königreiches. Bisher kannte er seinen Geburtsort nur von kurzen Besuchen als Kind mit seinen Eltern. Die Stadt kam ihm unheimlich groß und trubelig vor. Es war laut und teilweise dreckig durch die vielen Wagen, Reiter und Menschen, die dort wohnten. Aber es gab auch schöne, herrschaftliche Straßen. Je näher man dem Königsschloss und seinen Anlagen kam, umso schöner wurde die Stadt. Vor dem Schloss wich die Stadt zurück und man konnte seine Anlage durch die große Freifläche davor genießen. Hier waren alle Häuser gepflegt und symmetrisch zum Schloss angeordnet. Sie waren so viel kleiner als das eigentliche Schloss, dass sie die Größe des Schlosses noch betonten.
Konstantin ritt mit Ulrich am Schloss vorbei, ließ ihm aber die Zeit, den Anblick zu bewundern. Es freute ihn, die strahlenden Augen seines jungen Begleiters zu sehen, sie erinnerten ihn an seine eigenen Gefühle, als er zum ersten Mal hierhergekommen war, um seine Ausbildung zu beginnen. Konstantins eigentliches Ziel war aber die Festung, die sich weiter draußen am Eingang des Tales befand.
Für Ulrich war das jedoch kein Tal, denn die Höhenzüge waren kaum zu erkennen und deutlich niedriger als die bei ihm zu Hause in Legyn, aber die Festung stand auf dem höchsten Punkt, einem Hügel. Von dort hatte man einen guten Überblick über den Fluss und die Straße, die sich neben dem Fluss in die Ferne wand. Die Festung war zum Schutz der Stadt und seines Schlosses errichtet worden. Es gab noch mehr Verteidigungsanlagen rund um Felan, doch die Festung war die älteste und größte. Auch waren dort alle Soldaten der Stadt außer der Garde, also der Schlosswache und der Leibwache des Königs, untergebracht.
Ulrichs Ziel war die Garde, in der Konstantin diente und auch sein Vater gedient hatte, doch er wusste, dass er sich erst bewähren musste, und seine Ausbildung begann zunächst einmal in der Festung. Konstantin hatte ihm während ihres gemeinsamen Rittes erklärt, was er tun musste, und so verabschiedeten sie sich, als die Festung vor ihnen lag und sich Ulrich nicht mehr verirren konnte. Das war ganz in Ulrichs Sinn. Vor dem Tor der Festung stieg Ulrich von seinem Pferd.
Die Torwache öffnete einen Torflügel und sprach Ulrich an: „Was wollt Ihr?“
„Ich bin Ulrich von Legyn und möchte in die königliche Armee eintreten.“
Die Wache musterte ihn und ließ ihn dann hinein.
„Meldet Euch bei Hauptmann von Achenhart.“
„Das werde ich tun“, antwortete Ulrich. Er ließ sein Pferd bei einem Burschen im Hof und betrat die Festung. Allerdings war es der falsche Eingang und ein Leutnant stellte ihn zur Rede. Als das Missverständnis geklärt war, brachte ihn ein Soldat auf Befehl seines Leutnants zum Hauptmann.
Ulrich musste warten, bis er eingelassen wurde, dann betrachtete der Hauptmann ihn genau. Er war der ranghöchste Offizier der Ausbildungskompanie der Festung.
„So, Ihr spaziert also einfach hier herein und wollt Soldat werden?“, fragte er spöttisch.
„Es war immer mein größter Wunsch, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, und ich habe ein Empfehlungsschreiben von Oberst von Karlsberg“, antwortete Ulrich ernst.
„Oh, ein Empfehlungsschreiben, ja dann.“ Der Hauptmann blieb bei seinem spöttischen Ton, aber er nahm das Schreiben, das Ulrich ihm hinhielt, öffnete es und überflog die wenigen Zeilen.
„Gut“, schloss er, nachdem er es gelesen hatte, und blickte Ulrich an, „ich nehme Euch auf. Habt Ihr ein eigenes Pferd?“
„Ja, ich bin auf meinem Pferd hier angekommen.“
„Dann werdet Ihr den berittenen Truppen zugeordnet. Der Quartiermeister wird Euch mit allem ausrüsten, was Ihr braucht, und Euch in die Soldrolle aufnehmen.“
„Danke, Hauptmann.“ Ulrich strahlte.
„Freut Euch nicht zu früh. Ich erwarte Disziplin und Leistungsbereitschaft von meinen Männern.“
„Dann bin ich hier richtig“, bekräftigte Ulrich.
„Wir werden sehen“, antwortete der Hauptmann vorsichtig. „Lessrund!“, rief er nun laut und vernehmlich.
Auf seinen Ruf kam ein junger Soldat in die Stube, grüßte den Hauptmann und stand stramm. „Zu Befehl.“
„Bringt Ulrich von Legyn zum Quartiermeister und zeigt ihm alles, was nötig ist. Er ist ein neuer Rekrut.“
„Zu Befehl.“ Lessrund salutierte erneut und verließ die Stube. Auf einen Wink des Hauptmannes hin folgte ihm Ulrich. Der junge Soldat erwartete ihn auf dem Gang mit einem Lächeln. Es war die erste freundliche Geste in der Festung, die Ulrich sofort für ihn einnahm.
Er lächelte zurück. „Ich bin Ulrich von Legyn“, stellte er sich vor.
„Rekrut Christoph von Lessrund“, antwortete der Soldat.
„Ah, erfreut“, sagte Ulrich.
Doch anstatt das Gespräch fortzusetzen, drehte sich Rekrut von Lessrund mit einer zackigen Bewegung um und schritt schnell aus. Ulrich folgte ihm durch die Gänge bis zum Quartiermeister. Bis dahin hatte er schon die Orientierung verloren. Alles sah so gleich aus.
Mithilfe des jungen Soldaten ließ sich Ulrich einschreiben und erhielt seine Grundausrüstung. Alles darüber hinaus musste er sich selbst besorgen. Der Quartiermeister legte auch die Stube fest, die Ulrich zugewiesen wurde, Lessrund nickte und richtete sich auf.
„Folgt mir!“, rief er, und Ulrich mit seinem Kleiderund Utensilien-Bündel tat, wie ihm geheißen.
So wurde Ulrich also königlicher Soldat auf der Festung von Felan. Als Adliger musste er sich seine Stube nur mit drei Kameraden teilen. Er war der vierte, der in die Stube einzog, doch seine Kameraden waren ebenfalls alle Rekruten und erst wenige Wochen dabei. Dennoch konnten sie ihm gerade am Anfang viel helfen, um sich auf der Festung und in den Hierarchien zurechtzufinden. Mit Freude stellte er fest, dass auch Christoph von Lessrund zu seinen Stubenkameraden gehörte. Ob es Zufall war oder ob Christoph nachgeholfen hatte, erfuhr Ulrich nicht. Ulrich mochte alle drei Kameraden, doch mit Christoph von Lessrund verstand er sich vom ersten Tag an am besten.
Christoph war zum Militär gegangen, weil er als dritter Sohn eines Gutsbesitzers keine andere Möglichkeit für sich gesehen hatte. Er war intelligent und im Grunde ein fröhlicher Mensch. Dieses heitere Gemüt half ihm bei seinen Kameraden und Vorgesetzten. Bald zeichneten sich Ulrich und Christoph durch ihre Fähigkeiten aus. Ihre Erfolge führten dazu, dass sie noch mehr zusammen unternahmen und übten, sodass sich ihre Freundschaft schnell vertiefte.
Auch seine Bekanntschaft mit Oberst von Karlsberg konnte Ulrich nicht lange verbergen. Sie verschaffte ihm Respekt bei seinen neuen Kameraden, denn der Oberst wurde sehr verehrt und konnte Karrieren fördern oder vernichten. Aber Ulrich fühlte dadurch auch eine große Verpflichtung, sich besonders anzustrengen.
Die nächsten Jahre waren wirklich hart für Ulrich, aber er wollte ein ebenso guter Soldat wie sein Vater werden. Er hatte natürlichen Anstand und Ehrgefühl und fand bald einige wahre Freunde unter seinen Kameraden. Im Gegensatz zu dem, was man selbst jetzt noch über seinen Vater hörte, dessen Kabinettstückchen, sicher ausgeschmückt, immer noch die Runde machten, war Disziplin für ihn selbstverständlich. Er fühlte sich wohl auf der Festung und sie wurde zu seinem Zuhause.
Auf das heimatliche Gut kam er nur noch in seinen kurzen Urlauben. Sein Vater, der gern mehr Anteil an dem Leben Ulrichs genommen hätte, verstand jetzt, wie es seinen Eltern gegangen sein musste. Er war ihr einziges Kind gewesen und hatte selbst seine Urlaube selten zu Hause verbracht. Doch darüber hatte er sich damals genauso wenig Gedanken gemacht, wie es jetzt Ulrich tat.
Bei seinen Besuchen brachte Ulrich meistens den einen oder anderen Kameraden mit, denn er wusste, wie gastfreundlich seine Eltern waren. Sein bester Freund, Christoph von Lessrund, war jedoch fast immer mit dabei. Christoph zog es nicht oft nach Hause, denn er bekam von seinen Eltern meist nur die Erfolgsgeschichten seiner älteren Brüder zu hören. Nicht, dass er sich nicht über ihre Erfolge freute, aber er fühlte sich dabei immer zurückgesetzt, denn seine Eltern und Brüder interessierten sich nicht für seine Militärlaufbahn, während Hermann ihre Fortschritte verstand und sie würdigte. Ulrichs Eltern behandelten ihn bald wie ein Mitglied der Familie.
Ulrich und Christoph waren beide groß, schlank und durchtrainiert. Sie waren sehr vertraut miteinander und wirkten wie Brüder. Ulrich hatte sich immer einen Bruder gewünscht und Christoph fand bei Ulrich die Anerkennung, die er von seinen deutlich älteren Brüdern nicht bekam. Ulrichs Liebe für die Armee hatte auch Christoph mit seinem Schicksal versöhnt.
Diese beiden jungen Leute brachten frischen Wind und viel Fröhlichkeit auf das Gut. Besonders Monika und Isabella freuten sich sehr auf die Besuche. Vor allem Monika, weil sie wieder mit Ulrich gemeinsam ausreiten konnte. Das vermisste sie so sehr.
Isabella konnte für ihr Alter gut reiten. Ulrich und Christoph fanden das neunjährige Mädchen drollig und so durfte sie manchmal mitkommen, wenn die Ausritte nicht zu lang waren. Ansonsten waren sie meist mit Monika allein unterwegs. Nur selten fand Hermann Zeit, seine Kinder und Christoph zu begleiten.
Christoph, der nur ältere Brüder hatte, war sehr angetan von der Fröhlichkeit und Lebendigkeit Monikas. Sie ritt mit ihren vierzehn Jahren schon so gut, dass sie mit ihm mithalten konnte und ihr ungezwungener Umgang mit Ulrich beeindruckte ihn.
Ulrich und Monika hatten schon als Kinder sehr aneinander gehangen und so kam es, dass, als der Bruder das Schießen mit Pfeil und Bogen übte, es auch die jüngere Schwester ihm gleichtun wollte. Da sie noch so klein war, hielt Hermann sie nicht davon ab. Er fand es süß, wie sich die Kleine abmühte. Und als sie größer wurde, hatte sie so viel Freude daran, dass der Vater sie weiter darin unterstützte, trotz der Bedenken seiner Frau.
Margarete hatte allerdings durchgesetzt, dass, sobald Gäste anwesend waren, Monika nur im Damensattel reiten durfte, und auch die Jagd, selbst Jagdkleidung, waren dann tabu.
Philemon Drais, einer der ältesten Freunde ihrer Eltern, war häufig auf dem Hofgut zu Besuch, an der Jagd jedoch überhaupt nicht interessiert. Nie hätte er Hermann auf die Jagd begleitet und dennoch durfte auch er nichts von ihren Jagdkünsten wissen. Monika sah dies überhaupt nicht ein, wo er sich doch ansonsten über all ihre Fortschritte freute. Aber Margarete war in dieser Sache unnachgiebig.
Da die Familien sich gegenseitig besuchten, kannten Monika und Isabella auch Philemons Frau und seine Söhne gut, die jedoch viel seltener als Philemon auf dem Hofgut zu Besuch waren. Er hatte Monika und Isabella wirklich in sein Herz geschlossen, so waren die beiden auch schon ohne ihre Eltern für ein paar Tage bei der Familie Drais in Bühlerberg geblieben, als eine der wenigen Reisen, die ihre Eltern erlaubten.
Gab es keine Gäste auf Legyn, begleitete nun Monika statt Ulrich ihren Vater auf die Jagd. Sie ritt dann zum Leidwesen ihrer Mutter in Jagdkleidung und im Herrensattel. Inzwischen war sie eine geschickte Bogenschützin geworden. Oft erlegte sie das Tier mit dem ersten Pfeil. Wo man sie treffen musste, hatte ihr Vater seiner Tochter schon lange gezeigt.
Der König selbst erinnerte sich noch gut an Ulrichs Vater und beobachtete Ulrichs Werdegang mit Wohlwollen. Ulrich war mit 17 Jahren noch Offiziersanwärter, da wurde er vom König schon für Botendienste eingesetzt. Wichtige Botschaften ließ der König über seine persönlichen Boten überbringen. Das war zwar keine schwere, aber sehr vertrauensvolle Aufgabe und eine große Auszeichnung. Auch Christoph musste Botendienste verrichten, aber seine Aufträge kamen nicht vom König.
Eines Tages schickte der König Ulrich zum Grafen von Salzbach, denn der Sohn des Grafen war von einem königlichen Richter eingesperrt worden und der König wollte seine Eltern persönlich darüber unterrichten. Der König wusste, dass Melchior Graf von Salzbach dies nicht einfach hinnehmen würde, und instruierte Ulrich entsprechend.
Theobald von Salzbach hatte sich über einen Droschkenkutscher so geärgert, dass er ihn zum Krüppel geschlagen hatte. Sicher hatte der Mann einen Fehler gemacht, aber das rechtfertigte keinen solchen brutalen Angriff. Es gab genügend glaubhafte Zeugen für den Vorfall, den der Angeklagte auch gar nicht bestritt.
Leider war es der vorläufig letzte Vorfall in einer Kette von Vorfällen, die alle Gesellschaftsschichten betrafen. Der Richter wurde deswegen beim König vorstellig, beide waren sich einig, dass auf Einsicht nicht zu hoffen war, da Theobald von Salzbach sein Handeln für gerechtfertigt hielt und seine Schuld nicht einsah. Deswegen schickte ihn der Richter für ein halbes Jahr ins Gefängnis. Jeder sollte wissen, dass Gesetze für alle galten, und besonders in Felan wurde auf deren Einhaltung geachtet.
Ulrich machte sich also umgehend auf den Weg zur Burg Salzbach. Die sogenannte Burg stellte sich als Schloss heraus und zeigte Ulrich, dass der Graf über großen Reichtum verfügen musste.
Die Botschaft führte zu einem Wutanfall des Grafen, aber er ärgerte sich nicht über die Tat seines Sohnes, sondern über die verhängte Strafe. Einen von Salzbach wegen einer solchen Lappalie einzusperren, das war nicht hinzunehmen. Auch der Hinweis Ulrichs, dass der König hinter dem Urteil stand, änderte die Meinung des Grafen nicht. Er wollte umgehend aufbrechen und seinem Sohn Gerechtigkeit, wie er sie verstand, verschaffen.
Ulrich konnte den Grafen überzeugen, erst am nächsten Morgen gemeinsam mit ihm nach Felan zu reiten, aber seine Hoffnung, dass der Graf sich beruhigen würde, erfüllte sich nicht. Die Gräfin hatte ihren Mann in seiner Meinung bestärkt. Ihr armes Kind eingekerkert, es war für sie unvorstellbar. So machte sich der Graf von Salzbach in Ulrichs Begleitung auf den Weg zum König.
Das Schicksal des Kutschers bedeutete dem Grafen nichts. Auch, dass dadurch eine ganze Familie am Abgrund stand, berührte ihn nicht. Doch Ulrich konnte den Grafen überzeugen, dass eine Leibrente für den Kutscher den Richter milder stimm en könnte. Man müsse dem Richter ja etwas anbieten, damit er sein Gesicht wahren könne. Nun, der Richter hatte einen guten Namen, das wusste der Graf und der Betrag, den Ulrich vorschlug, war in seinen Augen gering.
Zwar übernachteten sie in den vornehmsten Herbergen, und Ulrich hatte unterwegs auch noch nie besser gespeist, trotzdem war er froh, als sie ihr Ziel erreicht hatten und er sich verabschieden konnte. Zu sehr war der Graf von sich überzeugt. Der Bote des Königs war für ihn nur ein Helfer, den man brauchte und danach vergaß. Das ließ er Ulrich deutlich spüren.
Ulrich hatte sich angewöhnt, über seine Botengänge nichts zu erzählen, und so hielt er es auch diesmal. Obwohl die abwertende Behandlung des Grafen an ihm nagte und er innerlich grollte. So eine Behandlung hatte er noch nie erlebt. Doch sein Dienst brachte ihn bald auf andere Gedanken.
Einen Monat später unterhielten sich Ulrichs Kameraden darüber, dass Theobald von Salzbach begnadigt worden war, weil sein Vater eine Leibrente für den invaliden Kutscher eingesetzt hatte. Der Grafensohn musste jedoch die nächsten zwei Jahre auf der väterlichen Burg verbringen. Ulrichs Kameraden waren darüber überrascht, denn so viel Mitgefühl hatte man den Salzbachern gar nicht zugetraut.
Ein paar Tage später begegnete Ulrich dem Grafen und seinem Sohn zufälligerweise im Schloss. Die beiden kamen wohl von einer Audienz beim König. Der Graf ließ aber nicht erkennen, dass er Ulrich kannte, er behandelte ihn wie Luft.
Ulrich musterte Theobald von Salzbach kurz. Er war groß, schlank, schwarzhaarig und höchstens ein paar Jahre älter als Ulrich. Vielleicht wusste er ja nicht, dass er indirekt Ulrich seine Freiheit verdankte. Aber anscheinend zählten auch für ihn Menschen unterhalb des Grafenstandes nichts. Er wirkte in seinem Gehabe auf Ulrich blasiert und arrogant. Die beiden rauschten davon und Ulrich wusste, dass er mit solchen Menschen auch nicht näher bekannt sein wollte. Dieser Grafensohn hatte aus seiner Strafe anscheinend keine Lehren gezogen.
Ein untersetzter Mann in den reich geschmückten Kleidern eines königlichen Beamten hatte die kurze Szene beobachtet und sprach darauf Ulrich an: „Seid Ihr der junge Bote, der den Grafen von Salzbach nach Felan begleitet hat?“
Ulrich musterte den Fremden, aber er wirkte ehrlich interessiert. „Ja, der bin ich.“
„Darf ich mich vorstellen, Baron von Jagenheim, Diplomatisches Corps seiner Majestät. Ihr habt großes diplomatisches Geschick gezeigt und eine Gefahr abgewendet, die mit der Wut des Grafen auf den König zukam. Denn der König ist auf die Unterstützung seiner reichsten Adligen angewiesen.“
So hatte es Ulrich noch gar nicht gesehen und die Anerkennung freute ihn. „Vielen Dank.“
„Habt Ihr Interesse, in das Diplomatische Corps zu wechseln? Männer wie Euch brauchen wir dringend“, schlug der Baron vor.
Da lachte Ulrich spontan auf. „Ich danke Euch für das Angebot, aber mein Ziel ist eine militärische Karriere und nicht die eines unsichtbaren königlichen Beamten.“
„Wollt Ihr nicht wenigstens darüber nachdenken? Ich glaube, Eure Vorstellung entspricht nicht der Wirklichkeit“, warb der Baron.
„Nein, das brauche ich nicht“, wiegelte Ulrich ab, „dafür bin ich nicht geschaffen.“ Er verbeugte sich und ließ den Beamten stehen. Nie würde er seinen Soldatenrock gegen den eines Diplomaten tauschen. Der Gedanke war lächerlich.
Trotzdem war die ganze Geschichte wichtig für Ulrich, denn der König befragte ihn zu seiner Reise und er nickte wissend, als er auf Nachfrage erfuhr, dass die Leibrente des Kutschers auf einem Vorschlag von Ulrich fußte. Der König sagte aber weiter nichts dazu. Von nun an bekam Ulrich seine Sonderaufgaben nur noch direkt vom König und darauf war er zu Recht stolz.
Christoph, Ulrich und weitere Kameraden erhielten ein Vierteljahr später ihr Offizierspatent und dienten danach als Offiziere auf der Festung.
Ein halbes Jahr später erreichte Ulrich sein großes Ziel, in die Leibgarde des Königs versetzt zu werden. Nun zog er von der Festung ins Schloss, auch wenn es nur ein Seitengebäude war, in dem die Soldaten untergebracht waren. Aber genau wie sein Vater damals hatte er jetzt Zugang zu den herrschaftlichen Räumen.
Ulrich sah in seiner Uniform sehr ansprechend aus, groß gewachsen und durchtrainiert wie er war. Außerdem hatte er das gute Aussehen seiner Eltern geerbt. Auch deswegen wählte ihn der König für seine Eskorte auf den Reisen durch das Reich aus. Die Eskorte bestand nur aus groß gewachsenen jungen Soldaten und machte durch ihr Auftreten Eindruck. Das war vom König gewollt, so hatte er es seit Beginn seiner Regentschaft gehalten.
Glücklicherweise war Christoph von Lessrund ebenfalls zur Eskorte versetzt worden und so konnten die beiden zusammenbleiben. Im Gegenteil, auf den Reisen waren sie sogar noch enger zusammen, und die Kameradschaft zwischen den Soldaten wuchs durch die gemeinsamen Erlebnisse. Das galt auch für die Freundschaft von Ulrich und Christoph. Wie früher übten sie sich auch wieder im Kampf miteinander, wenn Zeit dazu war.
Das Reich war groß. Durch die langen Reisen lernten die beiden viele Orte und die unterschiedlichsten Menschen kennen. Ulrich hätte nie gedacht, wie groß das Reich tatsächlich war, und auch seine Provinzen kamen ihm manchmal wie kleine Reiche vor. Der König konnte nicht alles von Felan aus bestimmen, er musste sich zwar auf seine Herzöge und Fürsten verlassen können, aber er hielt es trotzdem für notwendig, von Residenz zu Residenz zu reisen. Nur ausgewählte Männer seines Hofes begleiteten ihn dabei, denn das Reisen war anstrengend und verschlang Zeit. Meist war der Tross nicht größer als vier oder fünf Kutschen. Für die Provinzen war die Ankunft des Königs immer ein großes Ereignis. Wie lange der König sich wo aufhielt, wurde oftmals kurzfristig festgelegt.
Ulrichs Respekt vor dem König und seinen Fähigkeiten stieg, je näher er den König kennenlernte. Mit wie vielen unterschiedlichen Adligen musste der König umgehen, um sein Reich zusammenzuhalten. Auch jetzt als Soldat der Eskorte wurde er vom König für einfache Aufträge eingesetzt.
Einer dieser diplomatischen Aufträge führte Ulrich ans Meer. Er fand das Meer faszinierend. Das Meer und die Küste waren ja auch wirklich ganz anders als die mit Tälern durchzogene Provinz, aus der er stammte. Sein Auftrag führte ihn diesmal in einen der mondänen Badeorte, in denen sich die Adligen im Sommer versammelten. Er war nun seit vier Jahren Soldat und kein Anfänger mehr. Auch durch sein besonderes Verhältnis zum König hatte er sich zu einem selbstständigen, selbstbewussten und stolzen Mann entwickelt. Wie Ulrich wusste, träumte Monika von diesem Badeort, in den Tante Emma mit ihren Töchtern jedes Frühjahr reiste. Zur Erholung nannte es die Fürstin, wovon sie sich erholen musste, blieb ihr Geheimnis.
Die ältere Schwester seiner Mutter, Emma Fürstin von Dreishagen, war die einzige der Geschwister Margaretes gewesen, die ihre Schwester regelmäßig auf dem Hofgut besucht hatte. Seine beiden Onkel Eckhart und Friedhelm von Schleiden kannte er nicht, denn sie gehörten zum Hochadel und in ihren Augen war Legyn nur ein besserer Bauernhof und unter ihrer Würde. Emma aber langweilte sich im Winter und kam gern nach Legyn. Sie wusste daher, dass auf Legyn nicht alles so bäuerlich war, wie es sich die anderen Mitglieder ihrer Familie ausmalten. Anfangs brachte sie alle vier Mädchen mit, das war Ulrich dann doch manchmal zu bunt geworden. Doch seit die beiden Älteren verheiratet waren, begleiteten sie ihre Mutter nicht mehr.
Wenn man ehrlich war, so hatte Emma zwar einen standesgemäßen Mann geheiratet, er langweilte sie aber bald. Sie hatten sich nicht viel zu sagen. Außerdem hatte Emma ihn enttäuscht, denn sie gebar nur Mädchen. Fürst Gundolf lebte daher sein eigenes Leben und war inzwischen froh, wenn seine Frau mehr auf Reisen als zu Hause war. Er konnte mit dieser Familie nichts anfangen und ließ das seine Frau immer mehr spüren. So kam es, dass Emmas Reisen von Jahr zu Jahr länger wurden.
Zudem mochte Emma das Schloss ihres Mannes nicht und war dort nie wirklich heimisch geworden. Wahrscheinlich einfach, weil es sein Schloss war. Deswegen fuhr sie zwar regelmäßig nach Legyn, lud aber ihre Schwester nie zu sich ein. Margarete war es recht.
Nun blickte Ulrich über das Meer und musste an Monika denken, sie hatte ihren großen Bruder in ihre Träume eingeweiht. So unendlich viel Wasser konnte Monika sich einfach nicht vorstellen. Ihre Cousinen erzählten ihr seit Jahren geradezu wunderbare Dinge über das Leben dort. Besonders über die jungen Kavaliere, die nur auf ihre älteren Cousinen zu warten schienen. Die Damen in ihren feinen Kleidern, die natürlich nur mit Sonnenschirm unterwegs waren. Einen Sonnenschirm hatte Monika noch nie gesehen, sie versuchte, ihn sich aus den Erzählungen vorzustellen. Aber auch was die Damen trugen, wurde jedes Jahr mit neuen Bezeichnungen erklärt, sodass Monika immer wieder ehrfürchtig auf ihre Cousinen schaute.
Früher hatte Emma ihre beiden jüngeren Töchter manchmal bei Margaretes Familie gelassen, wenn sie mit ihren beiden großen nach Felan zu verschiedenen Veranstaltungen fuhr.
Die zweitjüngste Tochter Mechthild war ein halbes Jahr älter als Monika und Almut, die jüngste, zwei Jahre jünger. Für Isabella war es schön, dass Almut nicht viel älter war als sie und sie schloss sich eng an Almut. Die vier Mädchen spielten gern miteinander.
Monika war fröhlich und wild geblieben, und Margarete hatte es nie übers Herz gebracht, ihre Erziehung anderen anzuvertrauen. In ihrer Familie wurde das sehr kritisch gesehen. Es gab genügend Briefe, die Margarete ermahnten, wie sie ihre Kinder, insbesondere ihre Mädchen, zu erziehen hatte. Besonders Eckhard Graf von Schleiden, ihr ältester Bruder, tat sich damit hervor.
Margarete und Emma mochten sich sehr, trotzdem hatte Margarete Monika nie erlaubt, mit ihrer Tante in einen Badeort zu fahren. Am Anfang waren es durchaus finanzielle Überlegungen, die sie davon abhielten, wie Ulrich inzwischen wusste. Denn Monika besaß damals keine Garderobe, die angemessen für solch einen Badeort gewesen wäre, der Aufenthalt selbst war ebenfalls teuer, und Margarete wollte nicht, dass Emma alle Kosten übernahm. Später fand Margarete, dass Monika so anders war, und sie sollte es in ihren Augen auch bleiben. Doch die Verweigerung der Reisen führten immer wieder zu heißen Tränen der Verzweiflung bei Monika. Diese Unerreichbarkeit machte es von Jahr zu Jahr verheißungsvoller, und Monika konnte sich nicht vorstellen, was für sie wichtiger sein sollte als ein Badeurlaub.
„Ulrich, Ulrich“, hörte er jemanden da rufen, schreckte aus seinen Gedanken auf und drehte sich um.
Eine junge Frau winkte hektisch mit ihrem Sonnenschirm .
Als er näherkam, erkannte er Mechthild. Hatte er nicht gerade noch an sie gedacht? Er lächelte sie an. „Cousine Mechthild, welch eine Überraschung.“
„Wir sind doch immer um diese Jahreszeit hier, aber was machst du hier?“, fragte sie erstaunt.
„Ich bin im Auftrag des Königs unterwegs“, antwortete Ulrich und warf sich in die Brust.
„Ah, deshalb die Uniform.“
„Ja, genau, aber wie konntest du mich von hinten erkennen?“
Mechthild lächelte schüchtern: „Ich habe dich nicht von hinten erkannt, ich war in einer Nebenstraße, als du vorbeigelaufen bist. Und zuerst war ich auch nicht sicher.“
„Schön, dass du gerufen hast. Wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen.“ Ulrich freute sich wirklich, denn die Fürstin und ihre Kinder gehörten seit seiner Jugend für ihn dazu.
„Ja, wir sind in den letzten Jahren wohl öfter und länger bei deinen Eltern gewesen als du“, stellte Mechthild mit einem Augenzwinkern fest.
„Das kann schon sein. Der Dienst ist lang und viel Urlaub bekomme ich nicht“, gab Ulrich zu.
„Hast du denn Zeit, dich heute Abend mit uns zu treffen?“, fragte sie vorsichtig. Was, wenn sein Auftrag ihm keine Zeit ließ? Sie wollte ihn nicht in eine Zwickmühle bringen.
„Ja, das kann ich sicher einrichten“, antwortete er jovial.
„Da werden sich alle freuen“, lächelte Mechthild und ihre Augen glänzten.
Sie erklärte, wo und wann sie sich treffen konnten, und Ulrich verabschiedete sich. Seine Tante und die Cousinen zu treffen, würde eine nette Abwechslung werden, und er wollte sowieso erst morgen aufbrechen.
Tatsächlich wurde es ein fröhlicher Abend. Alle freuten sich sehr über das unerwartete Wiedersehen. Ulrich kannte Mechthild und Almut von allen seinen Cousinen am besten und so war das Eis schnell gebrochen. Almut war noch sehr jung, aber sie benahm sich schon jetzt wie eine vollendete Dame, und es ließ sich vermuten, dass sie alle ihre Schwestern an Schönheit übertreffen würde.
Sie speisten in einem noblen Gasthaus und die Familie von Dreishagen erfreute sich an der Aufmerksamkeit, die dieser junge, gutaussehende königliche Soldat bei den anderen Gästen auslöste.
Im Gegenzug genoss Ulrich die Gesellschaft der Damen. Er merkte, dass er es irgendwie vermisst hatte, sich unter Frauen zu bewegen. War es ihm früher oft zu viel geworden, so hatte er als Soldat doch fast nur noch mit Männern zu tun.
Kurz nach Ulrichs 22. Geburtstag sollte zu Ehren des 50. Geburtstags der Königin ein großes mehrtägiges Fest mit Geschicklichkeitsspielen in Reiten, Fechten, Schwertkampf und Bogenschießen stattfinden. Ulrich bekam den Auftrag, die persönliche Einladung der Königin an seine Familie zu überbringen.
Er freute sich, die Gelegenheit nutzen zu können, nach Legyn zurückzukehren. Seine Eltern begrüßte ihn überrascht und erfreut. Die persönliche Einladung der Königin erstaunte sie, auch wenn es ein großes Fest werden würde, so eine Einladung für einen einfachen Landadligen war doch etwas Besonderes. Sie wurde gern angenommen.
Besonders begeistert wurden Ulrich und die Einladung von seinen Schwestern aufgenommen. Für Ulrich war es erstaunlich, wie schnell sie erwachsen wurden. Dass Monika erwachsen war, konnte keiner leugnen, aber sie hatte ihr frisches und fröhliches Wesen beibehalten. Seit er die höfische Gesellschaft näher kennengelernt hatte, fiel ihm der Unterschied noch mehr auf.
Das gemeinsame Abendessen wurde zu einer lustigen Angelegenheit. Es wurde viel herumgealbert und gelacht.
„Wieso schickt euch die Königin eine persönliche Einladung?“, fragte Ulrich, nachdem das Essen beendet war, „nicht, dass ich mich nicht darüber freue, aber gewundert hat es mich doch.“
Seine Eltern lächelten sich an. „Nun, dass wir überhaupt heiraten durften, verdanken wir der Königin“, erzählte sein Vater geheimnisvoll und hatte sofort die Aufmerksamkeit seiner Kinder. „Wie ihr wisst, gehörte ich damals zur Leibwache des Königs und ich hatte mich in eine junge Hofdame verliebt, und das kam so ...“
Hermann von Legyn war immer schon ein unruhiger Geist gewesen. Er liebte es, seine Kräfte zu messen, und eine Rauferei war ihm tausendmal lieber, als das Studium von Büchern. So war ihm das Hofgut bald zu ruhig und zu eng. Sobald es seine Eltern erlaubten, verließ er sein Elternhaus und stellte sich in den Dienst des Königs.
Er wurde ein tapferer Soldat und trotz seiner Eskapaden wurde er nach wenigen Jahren in die Leibgarde des Königs berufen. So kam er nach Felan, der Hauptstadt des Königreichs. Die Leibgarde war schon damals in einem Nebengebäude des Schlosses untergebracht. Das war nun eine ganz andere Welt als die, aus der er entstammte. Doch Hermann besaß einen hellen Verstand und hatte sich schnell angepasst.
Als Teil der Eskorte der königlichen Kutsche fühlte er sich in seinem Element. Er genoss ehrlich gesagt auch die Aufmerksamkeit, welche die prunkvolle Eskorte auf sich zog. Die Kleidung der Soldaten war prächtig anzusehen. Ihr Oberstleutnant ließ da auch nicht mit sich spaßen, alles musste funkeln.
Aber es gab auch langweiligere Aufgaben, wie das Bewachen der königlichen Gemächer.
Hermann hatte seinen Dienst gerade beendet und war auf dem Rückweg, als ihm ein hübsches junges Fräulein entgegenkam, das irgendwie verzweifelt aussah.
„Oh, mein Fräulein, verzeiht, wenn ich Euch anspreche, aber kann ich Euch helfen?“, fragte er sie. Denn er sah ihr an, dass sie Kummer hatte.
Margarete von Schleiden blickte auf und sah in die aufmerksamen Augen des jungen Soldaten.
„Ach, ich weiß nicht“, antwortete sie und blickte ihn unglücklich an.
„Was ist denn los?“
Es war Margarete fast ein wenig peinlich und so merkte sie, dass sie auch noch rot wurde. Da er sie aber weiterhin hilfsbereit ansah, erzählte sie ihm von ihrer misslichen Lage: „Eine Freundin hat mir einen Fächer geliehen, unter der Bedingung, dass sie ihn spätestens heute Abend zurückbekommt. Nun habe ich ihn aber in dem Salon der Königin liegen lassen und die Wache lässt mich nicht hinein.“
„Ja, ich weiß, wer heute Wache hat, und er ist sehr gewissenhaft. Aber mit etwas Ablenkung können wir den Fächer sicher zurückbekommen. Wisst Ihr denn, wo er ist?“
„Der Fächer muss entweder auf dem Tisch oder auf einem Stuhl liegen. Es ist eine Elfenbeinschnitzerei.“
„Gut, wir brauchen etwas, was laut scheppert. Ich glaube, ich habe eine Idee. Traut Ihr Euch zu, den Wachmann abzulenken?“
Er schaute sie mit einem schelmischen Grinsen an, sie fand ihn unwiderstehlich und vergaß fast zu antworten.
„Aber wie?“
„Wartet bitte, ich komme gleich wieder.“
Er verschwand schnellen Schrittes um die Ecke. Margarete wartete etwas verunsichert. Sie wusste, dass die Königin sicher nichts dagegen hatte, dass sie den Fächer holte, aber sie war nicht da und unerlaubtes Betreten der privaten Räume wurde bestraft. Das war kein Kavaliersdelikt.
Der Soldat kam mit einem Tablett und viel Silberbesteck zurück.
„Nehmt das Tablett und lasst das Besteck in Sichtweite von Walter, dem Wachmann, auf den Boden fallen. Er wird Euch helfen und ich schleiche mich in die Räume. Ihr müsst ihn ablenken, bis ich wieder zurück bin.“
„Aber ich sollte mich in den Salon schleichen“, widersprach Margarete.
„Nein, sicher nicht. Von mir ist man so etwas gewöhnt“, lächelte er spitzbübisch, „mir passiert nichts Schlimmes. Außerdem, mir hilft Walter sicher nicht, das Besteck aufzuheben.“
„Gut, ich mache es.“
„Dann wartet bitte ein paar Minuten, denn ich muss zuerst auf die andere Seite des Flures.“
Gesagt getan. Herman von Legyn lief am ahnungslosen Wachsoldaten vorbei und versteckte sich hinter ihm in einer Türlaibung. Walter starrte stur geradeaus. Hätte er ihm nachgeblickt, hätte er ihn vielleicht entdeckt. Dann kam Margarete mit dem Tablett um die Ecke. Es rutschte ihr aus der Hand und alles Besteck schepperte auf den Steinfußboden und sprang umher. Sie sah verzweifelt aus, das musste sie nicht spielen.
Hermann sah Walter an, wie er mit sich kämpfte, aber der Flur schien leer und so half er der hübschen jungen Frau, während Hermann durch die Tür in die königlichen Räume schlüpfte.
Er kannte sich in den Räumlichkeiten gut aus und sah sich im Salon um. Da lag der Fächer auf der Lehne eines Sessels. Schnell war er wieder an der Eingangstür und schob sie vorsichtig auf. Das Fräulein unterhielt sich noch mit Walter und er konnte erneut unbemerkt durch die Tür huschen. Dann ging er an den beiden mit einem knappen Gruß vorbei.
Es dauerte eine Weile, bis das Fräulein zu ihm kam. Sie trafen sich an demselben Platz, an dem sie sich zuvor begegnet waren. Er reichte ihr den Fächer und sie strahlte ihn an.
„Vielen Dank, jetzt kann ich mein Versprechen halten“, rief Margarete erfreut.
„Es war mir eine Freude“, antwortete er galant, „doch darf ich fragen, wer Ihr seid?“
„Ich bin Margarete von Schleiden, Hofdame der Königin“, antwortete Margarete und knickste leicht.
„Leutnant Hermann von Legyn“, stellte Hermann sich mit einer Verbeugung vor, „zu Euren Diensten.“
Danach verabschiedeten sich die beiden und gingen ihrer Wege.
Doch Margarete hatte sich in Hermann von Legyn, den jungen, gutaussehenden Soldaten der Leibwache verguckt. Sie kannte ihn nun und so fiel er ihr immer wieder auf. Immer wenn sie ihn aus der Ferne sah, machte ihr Herz einen Sprung.
Ihren Freundinnen blieb die Schwärmerei nicht lange verborgen. Sie war ein sanftes, stilles Geschöpf und ihre Freundinnen fragten sich, was sie mit so einem Raubein wollte. Passten nicht die edlen, gebildeten Günstlinge viel besser zu ihr?
Über Leutnant von Legyn und Leutnant von Karlsberg machten die verrücktesten Geschichten die Runde. Es gab Strafen für unerlaubte Ausflüge und von so mancher Rauferei oder sogar Schlägerei wurde erzählt. Doch Margarete war sich sicher, dass die Geschichten wilder waren als die Wahrheit. Aber dass sich Leutnant von Legyn nicht die Butter vom Brot nehmen ließ, glaubte sie sofort.
Hermann von Legyn hatte sich seinerseits vorsichtig über Margarete erkundigt, doch was er erfuhr, hatte ihn entmutigt. Sie stammte aus einem bedeutenden Grafengeschlecht und war eine der bevorzugten Hofdamen der Königin. Zu allem Überfluss war Gundolf Fürst von Dreishagen, in Hermanns Augen ein aufgeblasener, aber mächtiger Günstling des Königs, ihr Schwager.
Sie kam ihm vor wie ein unerreichbarer strahlender Stern. Zum ersten Mal störte es ihn, dass er ungebildet und von niederem Adel war und sich so der Angebeteten nicht nähern konnte.
Margarete wollte jedoch kein Stern sein, sie merkte schon, dass der Leutnant keine Anstalten machte, sich ihr zu nähern, und so nahm sie bei einem Fest ihren Mut zusammen. Sie wanderte durch den ganzen Saal und blieb wie zufällig neben ihm stehen und betrachtete die tanzenden Paare. Er schien sie aber nicht wahrzunehmen und so blieb ihr als letztes Mittel nur, eine Ohnmacht vorzutäuschen. Mit einem Seufzer fiel sie in seine Arme, so dass ihm nun wirklich nichts anderes übrigblieb, als sie nach draußen zu tragen oder wenigstens in ein ruhigeres Zimmer.
Andere Verehrer, die zur Hilfe eilten, wurden von Hermann zurückgewiesen. Er kümmerte sich rührend und besorgt um sie. Den Rest der Nacht sah man sie nur noch gemeinsam.
Margarete konnte Hermann endlich überzeugen, dass für sie der Standesunterschied keine Rolle spielte, und das machte ihn glücklich.
Im Anschluss an das Fest war es für beide aber schwierig, Zeit miteinander zu verbringen. Sie hatten als Soldat und Hofdame zu unterschiedliche Pflichten und ihre Zuneigung wurde vom restlichen Hofstaat sehr kritisch gesehen.
Die Königin fühlte sich Margaretes Eltern gegenüber verpflichtet, die diese Verbindung sicher nicht gutheißen würden. Außerdem mochte sie Margarete zu sehr, um sie an einen niederen Offizier zu verlieren. Margarete war zwar etwas jünger als die Königin, aber durch ihre Jugend und Frische brachte sie Leben in den sonst so steifen Tagesablauf. Auch war sie der Königin eine ebenbürtige Gesellschafterin, da sie sehr gebildet war.
Der König wiederum würde seinem Günstling zwar das Glück gönnen, doch er kümmerte sich nicht um solche Angelegenheiten an seinem Hof.
Als Margarete ihr Geheimnis ihrer Familie mitteilte, waren sich alle einig, dass ein Offizier der Garde kein geeigneter Ehemann für sie wäre.
„Er ist ein tatkräftiger Mann und doch so fürsorglich“, warb sie, als sie anlässlich der Taufe ihrer zweiten Nichte zu Hause war, „und er liebt mich.“
„Margarete, viele Männer werden sich in dich verlieben“, meinte ihr Vater mit einem Schmunzeln. Seine Tochter hatte sich am Hofe zu einer wunderschönen Frau entwickelt.
„Denk an deine Schwester Emma“, ergänzte ihre Mutter, „eine Fürstin von Dreishagen kann doch keinen Soldaten als Schwager haben.“
„Er ist Offizier und wird später das Gut seiner Eltern erben.“
„Umso schlimmer, willst du Bäuerin werden?“
„Aber Mama“, Margarete verdrehte die Augen, „wir leben doch am Hofe des Königs.“
„So ein Gutsbesitzer ist doch nur ein besserer Bauer. Nein, du hast alle Möglichkeiten, in die höchsten Kreise hineinzuheiraten, das wirft man nicht wegen eines schönen Gesichts und einer Uniform weg.“
„Lernt ihn doch wenigstens kennen.“
„Das müssen wir nicht“, beendete nun Margaretes Vater das Gespräch, „er ist kein Mann für meine Tochter und dabei bleibt es.“
Auch bei ihren Geschwistern fand Margarete keine Unterstützung. Besonders ihr ältester Bruder Eckhard konnte sich so eine Verbindung nicht vorstellen. Er war der Erbe der Grafschaft, sie waren reich und angesehen. Seine Frau Hildegard hatte sogar königliches Blut in den Adem, auch wenn das Nachbarkönigreich kleiner und unbedeutender als ihr eigenes war und sie aus einer Nebenlinie stammte. Aber Hildegard von Aldenaar zu Halfeld, der Name hatte Klang. Hildegard selbst war ihre königliche Abstammung gleichgültig. Sie fühlte sich als Grafentochter. Im Gegenteil, es ärgerte sie, dass es Eckhard so wichtig war.
Selbst Friedhelm, ihr Zweitältester Bruder, hatte sein Auskommen in der Grafschaft und beide Brüder waren stolz auf ihr edles Blut. Seine Verlobte stammte ebenfalls aus einer alten Grafenfamilie.
Nun reisten sie alle gemeinsam zur Taufe von Emmas und Gundolfs zweitem Kind. Das Schloss war beeindruckend, das musste selbst Margarete zugeben, allerdings fand sie es trotzdem eher pompös als anziehend.
Die Tauffeier war perfekt, aber Margarete war alles zu steif und unpersönlich. Sie wollte aber auch unbedingt ein Haar in der Suppe finden. Die Eltern des Täuflings machten tatsächlich keinen so glücklichen Eindruck auf sie, wie sie es erwartet hatte und wie sie es selbst fühlte, als sie das kleine, muntere Kind in den Armen hielt. Wie ihr Emma in einem Zweiergespräch eingestand, war Gundolf enttäuscht, dass es wieder nur ein Mädchen war. Dabei war die ältere Schwester allerliebst gewesen und Margarete hatte sich auf der Feier gern um ihre Nichte gekümmert.
Eine bekümmerte Margarete kehrte nach der Feier ins Königsschloss zurück. Sie hatten von ihrer Familie keinerlei Unterstützung zu erwarten, dies machte ihre Liebe jedoch nur stärker. Aber an den Umständen änderte es nichts. Es sah nicht gut aus für eine gemeinsame Zukunft.
Die Zeit verrann, da entsetzte eine schreckliche Nachricht den Hof. Räubern war es gelungen, die Königin auf einer Reise zu überfallen und zu entführen. Die Eskorte war niedergemetzelt worden, nur die drei Soldaten, welche die Nachricht dem König überbrachten, hatten überlebt.
Natürlich wusste man, dass es gefährlich war, den Wald zu durchqueren, der sich zwischen dem Königreich und dem Nachbarreich Vennau befand, aber niemand hatte den Räubern zugetraut, so dreist zu sein.
Hermanns bester Freund, Konstantin von Karlsberg, kam aus der Gegend und kannte sich deswegen dort sehr gut aus. Er entwickelte einen Plan, wie er die Königin finden und vielleicht befreien könnte. Der König in seiner Verzweiflung stimmte zu, denn Soldaten konnte er nicht schicken, ohne seine geliebte Frau zu gefährden. Und ob sie nach Zahlung eines Lösegeldes wirklich freikommen würde, war ebenso fraglich.
Als Konstantin Hermann fragte, ob er ihn begleiten wolle, stimmte Hermann sofort zu. Er war wütend über den Tod der Kameraden und er vertraute Konstantin. So tauschten die beiden ihren Rock gegen bäuerliche Kleidung und machten sich unverzüglich auf den Weg.
Ihr Ziel war eine Schenke, deren zwielichtiger Wirt im Verdacht stand, dass er Kontakt zu Räubern hielt, wie Konstantin seinem Freund erklärte. Sie mieteten sich in ein Gasthaus in der Nähe ein, dann setzten sie sich in die Schenke und bestellten Bier. Der Wirt bediente sie mit mürrischem Gesicht, aber er bediente sie. Zu dieser Uhrzeit war die Schenke ziemlich leer. Sie hatten den Platz so gewählt, dass sie auf den Hof der Schenke blicken konnten. Da sie alles genau beobachteten, bemerkten sie, dass Lebensmittel auf einen Wagen verladen wurden. Verdächtige Gestalten hatten sie zwar nicht bemerkt, aber dem Wagen wollten sie trotzdem folgen.
Am späten Nachmittag verschwand der Wagen vom Hof der Schenke. Konstantin sah Hermann an und die beiden machten sich ebenfalls auf den Weg. Ganz so eilig hatten sie es nicht, denn sie wollten dem Wagen einen Vorsprung lassen.
Tatsächlich zeigte es sich, dass der Wagen in den Wald fuhr. Hermann grinste Konstantin an, denn der Boden war feucht genug, sodass sie der Spur leicht folgen konnten. Allerdings würde es in zwei Stunden zu dunkel, um auch der einfachsten Spur folgen zu können. Als die Dämmerung einsetzte, waren sie also gezwungen, sich dem Wagen zu nähern. Sie stiegen ab und folgten ihm weiterhin vorsichtig. Die Fuhrleute hielten an einer kleinen Lichtung, es war wohl so geplant gewesen. Sie lagerten und zündeten ein Feuer an.
Die beiden Freunde zogen sich zurück. Es gab nur etwas kaltes Fleisch aus dem Proviant. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sich so schnell eine Gelegenheit ergeben würde, die Räuber zu finden, daher hatten sie ihren Proviant im Gasthof nicht ergänzt. Nachts wechselten sie sich nun mit der Bewachung der Fuhrleute ab, doch so richtig schlafen konnte bei der Kälte keiner der beiden, hungrig und verfroren wie sie waren.
Sehr früh am Morgen brachen die Fuhrleute wieder auf. Hermann weckte Konstantin, der schließlich doch eingenickt war. In der Nähe der Feuerstelle war auch ein kleiner Bach, so konnten sie wenigstens ihre Wasserbeutel füllen.
„Der Platz war gut ausgewählt“, sagte Konstantin, „die kennen sich anscheinend aus.“
„Ja, so sieht es aus. Sie wussten, wann sie aufbrechen mussten, um diesen Platz noch vor der Dunkelheit zu erreichen. Das Wasser ist frisch, die Quelle kann nicht weit sein.“
Auf der Lichtung hatten auch die Kutschpferde grasen können, während ihre Pferde nur ein paar dürftige Kräuter zu knabbern gehabt hatten. So ließen sie ihre Pferde wenigstens saufen und ein wenig grasen, bevor sie ebenfalls aufbrachen. Der Spur zu folgen, war auch heute einfach.
Es wurde wieder Nachmittag und die Pferde waren inzwischen sehr müde. Vorsichtig näherten sie sich dem Wagen und wären beinahe den Wachen des Lagers in die Hände gefallen. Gerade noch rechtzeitig versteckten sie sich. Der Wagen hatte sein Ziel erreicht, ob es allerdings auch ihr Ziel war, das wussten sie nicht.
Die Felsen waren hier eng zusammengerückt und so ließ sich das letzte Stück Weg zum Lager gut bewachen. Die beiden ritten ein kleines Stück zurück und banden ihre Pferde an. Dann kletterten sie auf einen der Felsen und schlichen sich an den Rand der ungefähr 30 Meter tiefen Felsspalte, in der die vermeintlichen Räuber lagerten. Bis zum Rand wuchsen Bäume, nur in der Spalte selbst gab es keine mehr. Sie sahen ein Lager, es war geräumiger, als es vom Eingang her ausgesehen hatte. Es gab neben den Wachen am Eingang auch welche an der Felskante, also in ihrer Höhe. Doch ihre Annäherung hatten die Wachen bisher nicht bemerkt. So blieben sie erst einmal liegen und beobachteten das Treiben unter ihnen, immer bemüht, sich so wenig wie möglich zu bewegen.
Der Duft von gebratenem Fleisch zog nach oben und erinnerte sie an ihre leeren Mägen, doch von der Königin hatten sie noch nichts gesehen. Vielleicht war sie ja doch in einem anderen Räuberlager. Außer dem Platz, der von den Feuern beleuchtet wurde, war nichts mehr zu erkennen. Nun kamen alle Räuber dort zusammen, auch die Wachen von oben verließen ihre Posten. Nur die am Eingang zur Schlucht blieben dort. Es wurde gemeinsam gegessen und getrunken, wohl auch Schnaps. Auf dem Wagen waren verdächtig kleine Fässchen gewesen. Als alle gegessen hatten, wurden die Wachen abgelöst und jetzt tauchte auch eine Gefangene auf, die nun essen durfte. Konstantin stupste Hermann an, es war die Königin.
Die Männer setzten sich nah zu ihr und banden ihre Hände los. Die Nähe der Räuber war ihr sichtlich unangenehm, aber sie aß, was ihr auf einem einfachen Teller gereicht wurde. Dann brachte man sie in ihr Versteck zurück.
Wieder lag eine kalte Nacht vor Konstantin und Hermann. Sie konnten nirgends hin, dazu war es zu dunkel, also blieben sie in der Nähe der Felskante. Abwechselnd schlichen sie sich von Zeit zu Zeit zurück und beobachteten das Lager.
Endlich dämmerte es. Die Königin war nicht zu sehen. Doch wie sie es beobachtet hatten, hatten die meisten Räuber viel getrunken. Zum Schluss war sogar um die letzten Schlucke gestritten worden.
Die beiden kehrten zu ihren Pferden zurück und brachten sie vorsichtig wieder in die Nähe der Schlucht, sodass sie schnell zu erreichen waren. Dann huschten sie zum Eingang. Einen besseren Plan hatten sie nicht. Die übermüdeten Wachen wurden schnell und lautlos getötet und der Weg ins Lager war frei.
Sie schlichen sich in die Ecke, aus der die Königin am Abend vorher gekommen war, und richtig, dort saß sie an den Stamm eines toten Baumes gebunden. Sie sah die beiden mit großen, ängstlichen Augen an. Hermann bedeutete ihr jedoch, leise zu sein. Sie töteten die Männer, die sie bewachen sollten, aber eingeschlafen waren, und befreiten sie.
Gemeinsam bewegten sie sich auf leisen Sohlen zurück zum Eingang der Schlucht. Ein Mann erwachte und bezahlte das mit seinem Leben. Alle anderen schliefen tief und fest und kamen so mit dem Leben davon.
Sie erreichten ihre Pferde und stiegen auf. Konstantin nahm die Königin hinter sich aufs Pferd und sie verließen zügig die Schlucht. Hermann wäre in dem Wald verloren gewesen, doch Konstantin hatte nicht zu viel versprochen. Er kannte sich aus. Er führte sie in ein Nachbartal, dort gab es auch einen Bach, dem sie folgten. An der Quelle machten sie Rast und ließen die Pferde auf der Lichtung grasen, während sie von ihren schmalen Vorräten aßen und etwas tranken.
„Vielen Dank für die Rettung vor diesen schrecklichen Menschen“, sagte die Königin, „aber wer seid Ihr?“
„Ich bin Leutnant Hermann von Legyn von der Leibgarde des Königs“, antwortete Hermann, „doch noch seid Ihr nicht gerettet, Eure Majestät.“
„Und ich Leutnant Konstantin von Karlsberg“, ergänzte Konstantin, „zu Euren Diensten.“
„So, Ihr wisst, wer ich bin?“
„Aber ja, seine Majestät hatte die Befürchtung, dass ein Lösegeld Euch nicht retten würde, aber er hat uns vertraut, dass wir die Räuber finden können“, erläuterte Konstantin.
„Das konntet Ihr wahrlich. Aber wie?“, fragte die Königin nach.