Ein Viertelpfund Mord - Ralf Kramp - E-Book

Ein Viertelpfund Mord E-Book

Kramp Ralf

4,8

  • Herausgeber: KBV
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Heimtückische Killer mit ausgetüftelten Plänen und ratlose Zufallstäter, denen der brutale Mord gewissermaßen im Handumdrehen gelingt, sie alle versammeln sich hier zu einem munteren mörderischen Stelldichein. Doch all den frischen Witwen, skrupellosen Auftragskillern und eiskalten Giftmörderinnen wird eines schnell bewusst: Verbrechen zahlt sich selten aus, denn die Tücke des Objekts wendet sich leider nur allzu oft gegen sie. Die perfiden Schnippchen, die Ralf Kramp, der Meister des schwarzen Humors, seinen Lesern in diesen Stories schlägt, sorgen immer wieder für haarsträubende Überraschungen.

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Seitenzahl: 166

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Sammlungen



Ralf Kramp

Ein Viertelpfund Mord

Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Tief unterm Laub

Spinner

Rabenschwarz

Der neunte Tod

Still und starr

… denn sterben muss David!

Kurz vor Schluss

Malerische Morde

Hart an der Grenze

Ein Viertelpfund Mord

Ein kaltes Haus

Totentänzer

Nacht zusammen

Stimmen im Wald

Voll ins Schwarze

Starker Abgang

Ralf Kramp, geboren am 29. November 1963 in Euskirchen, lebt heute in Flesten in der Vulkaneifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er den Förderpreis des Eifel-Literaturfestivals. Seither erschienen mehrere Kriminalromane, unter anderem auch die Reihe um den kauzigen Helden Herbie Feldmann und seinen unsichtbaren Begleiter Julius, die mittlerweile deutschlandweit eine große Fangemeinde hat. Seit 1998 veranstaltet er mit großem Erfolg unter dem Titel »Blutspur« Krimiwochenenden in der Eifel, bei denen hartgesottene Krimifans ihr angelesenes »Fachwissen« endlich bei einer Live-Mördersuche in die Tat umsetzen können.

Im Jahr 2002 erhielt er den Kulturpreis des Kreises Euskirchen.

Seit 2007 führt er mit seiner Frau Monika in Hillesheim das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« mit 30.000 Bänden, dem »Café Sherlock« und der Buchhandlung »Lesezeichen«.

www.ralfkramp.de • www.kriminalhaus.de

Ralf Kramp

Ein ViertelpfundMord

1. Auflage November 2003

2. Auflage Mai 2005

3. Auflage März 2009

4. Auflage Februar 2013

© KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, HillesheimTelefon: 0 65 93 - 998 96-0Fax: 0 65 93 - 998 96-20www.kbv-verlag.deE-Mail: [email protected]: Ralf KrampRedaktion, Satz: Volker Maria Neumann, KölnPrint-ISBN 978-3-937001-38-8E-Book-ISBN 978-3-95441-064-4

Für Schorsch,der eigentlich gar nicht liest.

Inhalt

Die Metzgerin

Cup H

Auf den Zahn gefühlt

Dichter Nebel

Abbruch einer Geschäftsbeziehung

Die Sache mit Paule

Mit Wampe durch die kalte Winternacht

Sonderturnen

Rutschpartie

Im elften Stock mit Friedhelm Tröbel

Lutz und Henning gehen schwimmen

Bruno

Des Sammlers stille Freude

Gute Nacht, Oma

Undines Tränen

Quellen

Die Metzgerin

Sie steht in ihrem Kachelreich,

gerahmt von Wurst und Schinken,

sagt freundlich »Ich bedien’ Sie gleich«

und bohrt in frisches Hammelfleisch

der Gabel spitze Zinken.

Fragt man sie einfühlsam und sacht

nach ihrem Erbonkel, dem ollen,

der ihr ein Sümmchen Geld vermacht,

dann hört man, wie sie leise lacht

und murmelt: »Ist verschollen.«

Die Schnitzel rosig und ganz zart,

die Sülze bunt und prächtig,

Landjägerwürstchen klein und hart,

prachtvoller Speck mit dicker Schwart’

und Leberkäs’ sehr mächtig.

Fragt man sie einmal ungeniert

nach ihrer Tante Dorothee,

von der die Erbschaft sie kassiert,

dann sieht man, wie sie vor sich stiert

und schließlich murmelt »Übersee«.

Sie spickt den Braten, dreht den Wolf,

bohrt Spieße durch das Schaschlik,

bricht Knochen und sägt Koteletts auf,

beizt Keule, Brust und Hinterlauf

und würfelt glasiges Aspik.

Und fragt man sie dann irgendwann

Ganz ohne Bausch und Bogen

nach Anton, ihrem Ehemann,

der just die Lotterie gewann,

dann sagt sie »Unbekannt verzogen«.

Cup H

Es gibt in unserem Beruf nicht sehr viele Gelegenheiten, bei denen man wirklich die Wahl hat.

Ich will nicht jammern. Die Weihnachtssaison ist eigentlich nicht übel. Die Kassen klingeln nie süßer. Da bekommt auch unsereins ein wenig von der Wärme des Herzens ab. Auf dem Umweg über die Registrierkasse natürlich.

Manchmal wird man dann leichtsinnig. Und manchmal muss man schließlich teuer dafür bezahlen.

Ich hatte die Wahl zwischen dem Blaster-Sound-HiFi-Megastore und der Boutique Bijou – beides Wand an Wand, in bester Lage, mitten in der Fußgängerzone, mit erfreulich schlecht beleuchteten Hintereingängen vom rückwärtig gelegenen Parkplatz.

Sie finden, das ist gar keine richtige Wahl? Sie mögen recht haben. Vom merkantilen Standpunkt aus gesehen hätte es nichts Vernünftigeres geben können, als linkerhand in dieses technische Schlaraffenland einzusteigen, sich mit der gebotenen Sorgfalt über die Kasse voller Weihnachtsgeld herzumachen und sich auf dem Heimweg, gewissermaßen im Vorübergehen, eine neues Heimkino unter den Arm zu klemmen.

Ich bitte Sie jedoch eines zu bedenken: Einzelhändler mit ausgeprägtem technischen Verständnis pflegen für solcherlei unvorhergesehene Besuche allerlei Spielereien zu ersinnen. Kameras, Lichtschranken, Alarmglocken. All diese Dinge lauern in einem solchen Laden nur auf Leute wie uns. Diese Tüftler basteln und schrauben an ihren technischen Vorsorgeapparaturen oftmals mit solchem Feuereifer, dass manch einer von ihnen richtiggehend froh wäre, wenn endlich einmal jemand in die bereitgestellte Falle tappen würde.

Außerdem schneite es. Und wenn man in der kalten Winternacht unschlüssig zwischen zwei möglichen Arbeitsstätten zu wählen hat, da erscheinen einem die kalten, chromglänzenden DVD-Gehäuse und die mattschwarzen HiFi-Apparaturen mit einem Mal so frostig und unnahbar.

Und in der rotsamtenen Auslage der Boutique Bijou gleich nebenan, da schmiegen sich zarte, halbtransparente Stretch-Bodys an wohlgeformte Frauenkörper, da spannen sich raffinierte Spitzenbustiers über Brüste von geradezu idealen Ausmaßen. Künstliche Körper und künstliche Brüste natürlich – dennoch fiel mir in dieser Nacht die Wahl nicht schwer. Auch in der Kasse der Boutique Bijou würde so mancher größere Geldschein aus so manchem Herrenportemonnaie gelandet sein. Und ein Mitbringsel für irgendeine künftige Eroberung fände sich schließlich auch noch. Sogar zwei, drei. Je raffinierter die Spitze, desto mehr passte in die Tasche. All dies waren meine Gedanken, als ich mich mit bescheidenem, aber effektivem Werkzeug daran machte, die Tür vom rückwärtig gelegenen Parkplatz zu öffnen.

Sie mögen das für Standesdünkel halten, aber es gibt tatsächlich Schlösser, die einen derart unterfordern, dass einen geradezu die Wut packen möchte. Diese Tür, die die schwüle Traumwelt der Miederboutique von der klirrend kalten Winternacht trennte, hatte ein solches Schloss. Ich kenne einen Kollegen, der mir einmal im Brustton der Entrüstung erzählte, er habe, als er an eine solche Spielerei von einem Schloss geraten war, den Laden erst gar nicht betreten und als stumme Anklage die Tür weit offen stehen lassen. Zu solcher Größe konnte ich mich angesichts der mir entgegenschlagenden parfümierten, warmen Luft nicht aufschwingen.

Ich blickte mich ein letztes Mal auf dem Parkplatz um und trat in das Dunkel hinter der Tür.

Es roch nach einem schweren Parfüm und auch ein wenig nach nassen Mänteln. Als ich am Nachmittag einen Erkundungsgang durch die vorweihnachtliche Fußgängerzone angetreten hatte, war das Geschäft voller Leute gewesen.

Für gewöhnlich trage ich eine kleine Taschenlampe bei mir, deren Lichtschein durch eine rote Folie gedämpft wird. Ihr warmes Licht sollte mich davor bewahren, herumzustolpern und Unheil anzurichten. Mein Ehrgeiz war es von jeher gewesen, bei meinem Besuch nicht übermäßig viel zu zerstören.

Der helle Teppichboden zu meinen Füßen war fleckig. Wahrscheinlich lag er ansonsten außerhalb des Blickfelds der Besucher dieser Räumlichkeiten. Der rötliche Schein meiner Lampe wanderte höher und rückte nun das ins rechte Licht, was Tag für Tag hier die Blicke anzog. Eine dunkelhäutige Schönheit lächelte mich mit strahlend weißen Zähnen an. Sie war etwa so groß wie ich und hielt mit ihrem hochgereckten, angewinkelten linken Arm das schwarze, lockige Haar auf dem Hinterkopf zusammengerafft. Sie hatte unglaublich schlanke Beine, die in glänzenden, kaffeebraunen Hüften mündeten, und eine Taille, die man womöglich mit zwei Händen umfasst bekam. Ihr Busen war beeindruckend, ohne sich allzu sehr in den Vordergrund zu spielen. Ich flüsterte: »Hallo, meine Schöne«, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie war aus Pappe. Über ihren herrlichen Rundungen spannte sich ein blassblauer Spitzenbody, der nur am unteren Ende dicht genug gewirkt war, um einen Durchblick unmöglich zu machen. Als ich meine Hand ausstreckte, um meine Bekanntschaft wenigstens einmal sanft zu berühren, streifte mein Ellenbogen einen Ständer voller Büstenhalter. Einer von ihnen, ein Exemplar größeren Ausmaßes, schaukelte sanft im Dunkel der Nacht, und für einen Augenblick gab ich mich der Illusion hin, er schaukele am ausgestreckten Zeigefinger einer verführerischen Schönheit, die sich seiner gerade erst entledigt habe. Ich richtete meine Lampe unwillkürlich dahin, wo ich sie vermutete. Tatsächlich war dort ein weiblicher Körper. Er hatte mir allerdings den Rücken zugekehrt und machte Werbung für Strumpfhosen. Schwarzes Gewebe, ein verführerischer Hauch nur, zart wie eine zweite Haut über zwei herrlichen Pobacken.

Fast hätte ich vergessen, warum ich eigentlich hier war. Fast wären meine Gedanken in eine höllische Falle geraten, hätten sich an der Erinnerung an meine letzte Nacht mit einer Frau festgebissen und hätten mir endlos und immer wieder bewusst gemacht, dass all das viel zu lange her war, dass ich hier, am Ort der Polystyrolbrüste und Glasfiberschenkel falsch war, dass ich heute Nacht das Gefühl von weichem, weiblichem Fleisch unter meinen Fingern zu spüren bekommen musste.

Ich riss mich zusammen, machte ein paar entschlossene Schritte nach vorne, ließ auf der Suche nach Theke und Registrierkasse den Lichtstrahl über lächelnde Gesichter tanzen, über nicht enden wollende Beine, über Tangas und Strapse – und mit einem Mal war mir, als sei ich nicht allein.

Ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Sie glauben, das virtuelle Vorhandensein eines halben Dutzends sparsam verhüllter Traumfrauen habe mir die Sinne verwirrt. Ein Männertraum im Wachzustand. Eine Halluzination von zu nächtlichem Leben erwachten, liebeshungrigen Modellen mit gierigen Fingern und lüsternen Blicken, die sich in diesem Moment leise schnurrend und voller Lust anschlichen …

Und doch hörte ich tatsächlich ein Geräusch. Es kam aus dem Dunkel hinter mir und trieb augenblicklich einen eisigen Pflock der Kälte in die plüschige Gemütlichkeit, die mich umfing.

Ich spürte einen Luftzug ganz dicht hinter mir, und dann zerbarst etwas an meinem Hinterkopf, warf mich mit aller Wucht nach vorne, und ich sah noch im tanzenden Rot meiner Taschenlampe den fleckigen Boden auf mich zurasen, bevor ich die Besinnung verlor.

Zuerst war da diese Frauenstimme, rauchig, flüsternd. So leise flüsternd, dass in meinem Dämmerzustand sofort wieder diese Fantasie entfacht wurde. Die schwarzhaarige Schönheit, der Duft frischer Kokosmilch, zwei Hände, die nach den meinen greifen, sich um die Gelenke legen und sie langsam zu ihren Brüsten führen …

Was redete sie? Was sagte sie mir eigentlich?

Es war ein monotoner Singsang, ächzend, durchaus rauchig, wie gesagt, aber jetzt hörte ich etwas heraus, das sich wie ein leises Schimpfen anhörte. Ich öffnete langsam die Augen. Das linke Auge schmerzte, war irgendwie verklebt, zugeschwollen. Ich musste mich bei meinem Sturz verletzt haben. Warum war ich überhaupt gestürzt? In dem Moment, in dem ich begann, mich an die Sekunden vor meiner Bewusstlosigkeit zu erinnern, breitete sich augenblicklich ein brennender Schmerz über meinen Hinterkopf aus. Mein Hemd klebte mir am Rücken. Unter den schwülen Duft des Dessousladens, in dem ich mich noch immer befand, hatte sich der metallische Geruch von Blut gemischt.

Dann sah ich, was wirklich geschah.

Sie hielt in der Tat meine Handgelenke umklammert. Allerdings war sie weder im Begriff, meine Hände in irgendeiner Form auf eine besonders appetitliche Stelle ihres Körpers zu pressen noch sie in anderer Form zu liebkosen oder zu massieren. Sie war damit beschäftigt, unter stetigem Zischeln und Geflüster etwas um meine Gelenke zu schlingen, das ich, je mehr ich meine Augen öffnen konnte, als das erkannte, was man einen Tanzgürtel nennt. Ein violettes, spitzenbesetztes Etwas, von dem die Knopfbänder für die Strümpfe herabbaumelten und das sich mir tief ins Fleisch grub.

Irgendetwas steckte in meinem Mund und etwas anderes spannte über meinen Wangen. Als ich den Kopf bewegte, konnte ich schemenhaft weitere Strapsbänder unterhalb von meiner Nase baumeln sehen. Ein Knebel aus feinster, cremefarbener Spitze hinderte mich daran, in dem Moment loszuschreien, in dem sich mein Gesichtskreis erweiterte und sich aus dem Nebel meiner Umnachtung die Gestalt meiner geheimnisvollen Schönheit herausschälte.

Der Duft, der mir in die Nase stieg, war alles andere als der von karibischer Kokosmilch. Es war Schweiß. Herber, süßsaurer Schweißgeruch, der aus dicht behaarten Achseln drang.

Sie war groß, mächtig und unglaublich fett. Selbst als sie vor mir kniete und unter Ächzen und Schnaufen die Spaghettiträger eines Bikinis um meine Fußgelenke schnürte, sah sie im Halbdunkel aus wie ein Berg. Ich sah ihre teigigen, zitternden Arme, die aus ihrer Kittelschürze hervorwuchsen, ihren feisten Nacken, sah das dunkle Haar, das sie zum Knoten gebunden hatte und von dem sie sich immer wieder die eine oder andere fettige Strähne aus dem Gesicht strich. Im Hintergrund lag der Schrubber, ganz offensichtlich die Waffe, mit der sie mich außer Gefecht gesetzt hatte.

Als sie die Schlinge um meine Füße zuzog, durchzuckte mich ein Schmerz, und mir entfuhr, gedämpft durch meinen Knebel, ein leiser Schrei.

Sie blickte auf.

Dicht unter der knolligen, kleinen Nase, direkt über der Oberlippe kräuselte sich der Flaum des beeindruckendsten Damenbartes, den ich je gesehen hatte. Am Kinn erkannte ich kleine Borsten. Ich stöhnte erneut auf. Dieses Mal allerdings nicht vor Schmerz. Ihr Mund verzog sich augenblicklich zu einem Grinsen, das auf vielerlei Arten gedeutet werden konnte.

Eine Putzfrau hatte mir meinen Bruch versaut. Wenn das die Runde machte, hätte ich für die nächsten paar Jahre unter den Kollegen den Vogel abgeschossen.

Die Putzfrau erhob sich. Ich hörte Gelenke knacken, ich sah, wie sich ihre gewaltige Silhouette aufrichtete und fast völlig das kleine, mattgraue Rechteck des hinter ihr liegenden Schaufensters verdeckte. Sie stemmte die Hände in die Seiten und seufzte schwer.

Sie sagte: »Arschkarte jezogen, wa?« Und dann kicherte sie. Eine rheinische Frohnatur.

Ich machte den Versuch, mit ein bisschen Zappelei und mit ein paar melodiös aneinander gereihten Vokalen darum zu betteln mich loszubinden, oder mir wenigstens den Knebel aus dem Mund zu nehmen. Ich bin nicht klaustrophobisch veranlagt, aber zusammengeschnürt wie eine Kohlroulade fühle ich mich unwohl. Dazu kam ein Gedanke, der plötzlich irgendwo in meinem Hinterkopf Gestalt annahm: Wenn sie jetzt stolperte und nach vorne fiele, dann …

Der Knebel, nur den Knebel raus, und ich könnte meine Überredungskünste einsetzen. Ich kann das gut. Frauen mögen es, wenn ich erzähle.

»Armes Würstchen«, sagte die Walküre und ich sah eine Reihe gelber Zähne in der Höhe über mir. Das von unten hinauf scheinende, rötliche Licht meiner am Boden liegenden Taschenlampe gab ihr etwas Höllisches. »Dat haste dir so jedacht, wa?«

Bind mich los, lass mich reden und atmen!

»Strapsejeil, wa? Biste so ’n Perverser? Ziehste so wat selber an oder wat haste hier jewollt?« Und sie hob sehr langsam einen ihrer Füße, die in – das glaubt mir alles sowieso kein Mensch! – die in dunkelbraunen Socken und Birkenstocklatschen steckten. Der Fuß kreiste für einen Moment über meinen Füßen, wanderte hoch, bis sie ihn über meinem Unterkörper positioniert hatte, und dann senkte er sich langsam, bis er schließlich auf meinem besten Stück ruhte.

»Un?« Sie verstärkte den Druck. »Tut sich da wat? Macht dich dat alles an hier?«

Da tut sich überhaupt nichts! Da ist etwas klein und verängstigt und versucht sich zu verkriechen!

Ich spürte, wie mir buchstäblich der kalte Angstschweiß auf die Stirn trat. Was war, wenn sie jetzt ihr Gewicht verlagerte … nur ein bisschen mehr nach vorne …

»Ooooh, ist der kleine Piephahn müde?« Sie verschränkte die Arme und schüttelte mit gespieltem Bedauern den Kopf. Aus meinem Blickwinkel sah sie aus wie der Golem, wie das Monster des Dr. Frankenstein, wie ein überlebensgroßes Michelinmännchen … neinweibchen. Nur noch viel, viel fetter.

Als sie den Fuß mit einem Ruck wegnahm, entspannte sich mein Körper.

Sie bummelte scheinbar ziellos umher, bis sie schließlich neben der kaffeebraunen Papp-Latina zu stehen kam, die mich vorhin noch so beeindruckt hatte. Abschätzig ließ sie den Blick von oben nach unten an ihren Kurven entlanggleiten. Schließlich packte sie sie und trug sie zu mir herüber. Sie hielt sie locker mit einer Hand fest, und ich erkannte, dass ihre Fingerkuppen auf beiden Seiten der Taille der braunen Schönheit hervorguckten.

»Dat isset, wat dich anmacht? Biste deswejen hier?«, fragte der Berg patzig. »Nä, nä, nä, Liebelein. Da isset ja kein Wunder, dat de keinen hochkriegst. Dat is doch en Fliejenjewicht. Dat is doch en Handtuch. Nix dran, kein Arsch, kein Busen. Nur Haut un Knochen. Wat du brauchs, is wat anderes, glaub et mir, Kerlchen.« Und sie presste die ausgestreckte Hand einfach zusammen, dass der Schönen mit leisem Knistern die Hüfte zerschrumpelte, bis ihr Oberkörper nach vorn klappte und zu Boden segelte. Ich sah noch ihr Lächeln, das ungebrochen strahlte, bis sie mit dem Gesicht nach unten auf dem fleckigen Teppichboden lag.

Den Unterleib warf die Wuchtbrumme hinter sich. Er schwebte zu den Bademoden und blieb schief auf einem Metallständer mit Tangas liegen.

»Die liebe Tante zeicht dir jetz mal, wie so wat wirklich aussehen muss. Pass emal auf.«

Es war, als sei ich in einen Albtraum von Russ Meyer geraten. Das alles hier war doch inszeniert! Vielleicht war es ein mieser Scherz, den sich meine Kollegen mit mir erlaubten. Dieses Monstrum konnte doch unmöglich echt sein. Keine Frage, wenn ich noch ein paar Minuten tapfer aushielte, würde jemand hervorspringen und »Überraschung« rufen und würde sie wieder wegsperren, zurück in irgendein Versuchslabor, von dem man sie ausgeliehen hatte.

Aber das Grauen hatte gerade erst begonnen.

Neue Panik befiel mich, als ich mit meinen Blicken der spielerischen Bewegung ihrer Finger folgte, die sich an den Knöpfen ihrer Kittelschürze zu schaffen machten. Sie setzte dabei einen genießerischen Blick auf und summte leise etwas vor sich hin, das irgendwie nach Dieter Bohlen klang.

Der erste Knopf schlüpfte erleichtert aus dem Loch und der Stoff entspannte sich.

Der zweite.

Der dritte.

Allmächtiger, hilf mir!

Der vierte. Eine bedrohlich tiefe Hautfalte im entstehenden Keil zwischen den beiden Kittelnähten kündigte Unglaubliches an.

Der fünfte Knopf. Sie summte lauter. Ihr Kopf schwang mittlerweile rhythmisch hin und her, und sie wankte im Takt ihrer Melodie von einem Fuß auf den anderen. Dann drehte sie sich einmal um die eigene Achse und stand unvermittelt wieder breitbeinig vor mir, steigerte die Melodie zu einem imaginären Trommelwirbel und riss mit in den fetten Nacken geworfenem Kopf die Kittelschürze auseinander, sodass die Knöpfe nur so durch die Gegend prasselten.

Ich schloss gepeinigt die Augen. Wenn mich bis jetzt noch das Unfassbare in seinen Bann gezogen und mich, wie es einem mitunter bei einem grauenhaften Unfall geht, daran gehindert hatte wegzuschauen, war es jetzt genug.

Ich hörte nur noch ihr Schnaufen. Und obwohl ich die Augen fest zusammenkniff, sah ich vor mir das Bild ihres weißen, aufgeblähten, unglaublichen Körpers, der in einem Mieder steckte, das die Farbe von Karamellpudding hatte. Ihre Brüste wurden nur mühsam im Zaum gehalten und drohten jeden Augenblick über den Stoff des Mieders hinauszuschwappen. An den Oberschenkeln sah es aus, als quelle der Hefeteig aus der Schüssel.

»Augen auf!«, schrie sie, und als ich augenblicklich schockiert Folge leistete, sah ich wieder ihren Fuß, den sie drohend erhoben hatte und der auf mein Zentrum zusteuerte. »Ich bin noch net fertich!«

Ich wimmerte, riss die Augen weit auf, um zu zeigen, dass ich ein folgsamer Junge und sie eine Augenweide war, dass ich den Blick nicht von ihr abwenden konnte.

Wieder senkte sich der Fuß auf meine Hose und ein mitleidiges Lächeln machte sich breit. »Hab ich dich erschreckt?« Sie fischte mit einer schwungvollen Handbewegung ein paar fliederfarbene Strapse von einem Ständer, dass die Kleiderbügel nur so tanzten. »Aber eijentlisch isset ja auch dat hier, wat dich so anmacht, ne?«

Ich nickte mechanisch und ahnte in diesem unheilvollen Augenblick nicht, was ich damit auslöste. Sie grinste geradezu mädchenhaft, zwinkerte mir zu und hauchte: »Aber nur für disch, Liebchen. Weil du mir so jut jefälls und weil du so schön still zugucks.«

Sie legte die Strapse auf der nahen Verkaufstheke ab und kehrte mir den Rücken zu. Als sie den Dutt, der sich halbwegs aufgelöst hatte, erneut zusammenzurrte, winkelte sie die Arme weit vom Körper ab und ihre Achselhaare kräuselten sich im nächtlichen Halbdunkel. Dann beugte sie den Kopf nach vorne und mir stockte der Atem, als ich mit ansehen musste, dass sie offensichtlich im Begriff war, die winzigen Knöpfchen ihres Mieders zu öffnen.

Ein Mieder hält etwas zusammen. Dafür wird es genäht und gekauft. Und was hier darunter hervorquoll, wollte ich nicht sehen. In meinem Kopf wirbelten Gedankenfetzen durcheinander. Was konnte ich tun? Wie konnte meine Rettung aussehen? Hatte ich überhaupt noch eine Chance?

Sie ächzte und grunzte und ich ahnte, dass es ihr mit ihren fleischigen Fingern schwer fallen musste, die kleinen Knöpfe zu greifen.