EINE DAME MIT VERGANGENHEIT - Ben Benson - E-Book

EINE DAME MIT VERGANGENHEIT E-Book

Ben Benson

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Beschreibung

Hope Desmond ist bildhübsch, aber schüchtern und zurückhaltend. Auch Sam Peck, der sich Hals über Kopf in sie verliebt hat, erfährt nichts über ihr bisheriges Leben.

Bis er eines Tages ein blondes Mädchen in ihrem Apartment findet - erwürgt.

Nun darf Hope nicht länger schweigen...

Der Band Eine Dame mit Vergangenheit aus der Feder des US-amerikanischen Kriminal-Schriftstellers Ben Benson (* 1915 in Boston, Massachusetts; † 1959 in New York) erschien erstmals im Jahr 1960 und enthält die Novellen Dame mit Vergangenheit und Dame mit Geheimnissen.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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BEN BENSON

 

 

Eine Dame mit

Vergangenheit

 

Zwei Novellen

 

 

 

 

Apex Crime, Band 126

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

EINE DAME MIT VERGANGENHEIT 

1. DAME MIT VERGANGENHEIT (Lady With A Past) 

2. DAME MIT GEHEIMNISSEN (Lady In Hiding) 

 

 

Das Buch

 

Hope Desmond ist bildhübsch, aber schüchtern und zurückhaltend. Auch Sam Peck, der sich Hals über Kopf in sie verliebt hat, erfährt nichts über ihr bisheriges Leben.

Bis er eines Tages ein blondes Mädchen in ihrem Apartment findet - erwürgt.

Nun darf Hope nicht länger schweigen...

 

Der Band Eine Dame mit Vergangenheit aus der Feder des US-amerikanischen Kriminal-Schriftstellers Ben Benson (* 1915 in Boston, Massachusetts; † 1959 in New York) erschien erstmals im Jahr 1960 und enthält die Novellen Dame mit Vergangenheit und Dame mit Geheimnissen.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   EINE DAME MIT VERGANGENHEIT

 

 

 

 

 

 

 

  1. DAME MIT VERGANGENHEIT (Lady With A Past)

 

 

 

1

 

An einem Montag im Spätherbst kam ich gegen halb neun Uhr ins Lafayette Building, wo ich mein Büro hatte, und wünschte dem alten Haskell, der dort Fahrstuhlführer war, einen guten Morgen.

»Guten Morgen, Mr. Lund«, antwortete er. »Ihr Inserat hat anscheinend Erfolg. Oben wartet schon ein Mädchen.«

»Ziemlich früh dran«, stellte ich fest.

»Die junge Dame steht seit acht Uhr vor Ihrer Tür. Ich habe ihr gesagt, dass Sie erst ab neun Uhr zu sprechen sind, aber sie ist gleich dageblieben.« Er blinzelte mir zu. »Sie sieht übrigens gar nicht schlecht aus.«

Ich stieg im zweiten Stock aus, ging den Korridor entlang und sah die junge Frau vor meinem Büro stehen. Sie war mittelgroß, dunkelhaarig und hübsch, obwohl ihre Schönheit nicht den landläufigen Vorstellungen entsprach. Ihr Profil kam mir irgendwie bekannt vor.

»Hallo«, sagte ich, während ich versuchte, mich an ihr Gesicht zu erinnern, »Sie sind eine Frühaufsteherin. Ich dachte, es gäbe längst keine mehr.«

Sie murmelte etwas Unverständliches. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür, auf der unter dem roten Warenzeichen der Firma Luxuro in Goldbuchstaben mein Name stand: Paul Lund - Generalvertreter.

Das Büro war klein; ich benützte es so selten, dass es unrentabel gewesen wäre, ein größeres zu mieten. Der Raum wurde durch eine niedrige Theke halbiert. Im vorderen Teil standen vier Kunstledersessel für Besucher und eine Vitrine mit einem Luxuro-Dampfbügeleisen auf grünem Samt. Hinter der Theke standen zwei Schreibtische: einer für die Kundenkartei, der andere für die Schreibmaschine, auf der ich meine Korrespondenz tippte. Dahinter befand sich der Lagerraum, in dem ich Bürobedarf und Werbematerial aufbewahrte.

Ich zog meinen Mäntel aus, hängte ihn auf und setzte mich an den Schreibtisch. Sie war an der Tür stehengeblieben. »Nehmen Sie doch bitte Platz«, forderte ich sie lächelnd auf.

Sie kam herbei und setzte sich auf den Besucherstuhl an meinem Schreibtisch. Ihren braunen Mantel hatte sie aufgeknöpft, so dass zu sehen war, dass sie darunter ein grünes Wollkleid trug. Ihr Make-up war unaufdringlich und bestand eigentlich nur aus Wimperntusche und Lippenstift. Sie saß mit gefalteten Händen vor mir. Ich betrachtete ihre hübschen Beine und stellte fest, dass am rechten Strumpf eine Laufmasche sorgfältig vernäht war. Ihre braunen Pumps waren vorn und an der Innenseite abgeschabt - das war zu erkennen, obwohl sie versucht hatte, diese Stellen mit Schuhcreme zu verdecken. Dann hob ich den Kopf und sah ihr ins Gesicht.

Sie wurde rot vor Verlegenheit. Ihre Finger verkrampften sich, aber sie blieb in gleicher Haltung sitzen. Ich fragte sie nach ihrem Namen.

»Diane Le Clair«, antwortete sie. Ich notierte ihn mir und hatte das Gefühl, den Namen schon irgendwo gehört oder gelesen zu haben. Dann bat ich sie um ihre Adresse. Sie wohnte in der Chanford Street - also in einem der ärmeren Viertel. Ich sagte ihr, welches Gehalt sie bei fünfunddreißigstündiger Arbeitszeit pro Woche erwarten könne. Sie äußerte sich nicht dazu.

»Ich will ganz offen mit Ihnen sprechen«, fuhr ich fort. »Ich habe keine Erfahrung in solchen Dingen. Ich vertrete die Firma Luxuro hier im Nordosten, seitdem ich mich selbständig gemacht habe, und ich habe die anfallende Arbeit immer allein bewältigt. Aber in letzter Zeit habe ich einige Großabnehmer dazubekommen und brauche deshalb eine Schreibkraft mit Büropraxis.« Ich räusperte mich. »Referenzen wären natürlich auch wichtig.«

»Ich habe drei Jahre Büropraxis, Mr. Lund«, antwortete sie. »Ich beherrsche die doppelte Buchführung und selbstverständlich auch Steno und Schreibmaschine.« Sie holte tief Luft. »Sie haben von Referenzen gesprochen. Ich nehme an, dass Ihnen an welchen aus letzter Zeit gelegen ist, nicht wahr? Ich habe sie hier.« Sie öffnete ihre braune Handtasche, nahm drei Umschläge heraus und gab sie mir.

Die Zeugnisse waren jämmerlich. Drei Stellen in weniger als zwei Monaten. Sie hatte einmal vier Wochen, einmal zwei Wochen und im dritten Büro gar nur fünf Tage gearbeitet. Ihre Leistungen wurden übereinstimmend als zufriedenstellend bezeichnet, aber ansonsten waren die Empfehlungsschreiben auffallend vage formuliert. Ich las sie nochmals.

»Sie haben also im Norden gearbeitet«, stellte ich fest. »Diese Referenzen sind aus White Ridge. Haben Sie zufällig auch eine von hier?«

Sie zögerte kurz und spielte dabei mit dem Verschluss ihrer Handtasche. »Ja«, sagte sie dann. »Ich habe hier für die Wherry Art Chrome Company gearbeitet. Aber das war nur für eine Woche.«

»Wann?«, fragte ich und notierte mir die Firma.

»Bis vor ein paar Tagen. Ich... ich habe den Arbeitsplatz ziemlich rasch aufgegeben. Deshalb kann ich auch keine Referenz vorweisen.«

Ich betrachtete sie nachdenklich. Sie saß aufgerichtet vor mir und hielt ihre Handtasche mit beiden Händen fest. Ihre Fingernägel waren sorgfältig manikürt, aber nicht lackiert. Ich sah, dass das grüne Kleid abgetragen war; der Saum hatte sich gelöst und hing an einer Stelle herab. Im Büro war es sekundenlang totenstill. Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf.

»Okay«, sagte ich, »wann können Sie anfangen?«

Sie schien mir zuerst nicht zu glauben. Sie starrte mich mit großen Augen an und legte den Kopf zur Seite, als traue sie ihren Ohren nicht.

»Wenn Sie wollen, können Sie gleich anfangen«, fügte ich hinzu.

Sie bewegte die Beine und saß nicht mehr so steif wie bisher auf ihrem Stuhl. »Gern, Mr. Lund«, antwortete sie mit vor Erregung heiserer Stimme. »Vielen Dank!«

Das Büro kam mir plötzlich zu warm vor. Ich ging ans Fenster, öffnete es und drehte mich nach meiner neuen Sekretärin um. »Ihr Schreibtisch steht dort drüben«, erklärte ich ihr. »Die Maschine befindet sich im oberen Fach.« Ich trat an den stählernen Aktenschrank und klopfte leicht gegen die Tür. »Die Korrespondenz wird hier abgelegt. Dort drüben in der Vitrine steht ein Dampfbügeleisen Marke Luxuro. Sie können es sich ansehen, damit Sie wissen, was wir verkaufen.« Ich machte eine Pause. »Und noch etwas: Falls weitere Bewerberinnen kommen sollten, schicken Sie sie wieder fort.«

Sie hatte sich inzwischen den Mantel ausgezogen. »Gehen Sie gleich wieder, Mr. Lund?«

»Ja.« Ich sah auf meine Uhr. Zwei Minuten vor neun. »Ich komme wahrscheinlich erst am Nachmittag zurück.«

Ich zog mir den Mantel an, griff nach meiner Aktentasche und ging hinaus. Vor der Tür wäre ich beinahe mit einem blassen Mädchen zusammengeprallt. Ich murmelte eine Entschuldigung und ging in Richtung Fahrstuhl weiter. Das Hemd klebte mir schweißnass auf dem Rücken, und ich wusste, dass ich einen langen Spaziergang machen würde, um mich zu beruhigen, bevor ich den ersten Kunden aufsuchte. Ich versuchte zu ergründen, warum ich Diane Le Clair angestellt hatte. Aber ich wusste es nicht sicher. Damals noch nicht.

An diesem Tag machte ich drei Kundenbesuche. Ich hatte Glück und konnte drei große Bestellungen buchen. Als ich ins Büro zurückfuhr, erinnerte ich mich an den Zettel mit dem Namen der Firma, bei der Diane Le Clair zuletzt gearbeitet hatte. Ich nahm ihn aus der Tasche, hielt an der nächsten Telefonzelle und schlug die Nummer der Wherry Art Chrome Company nach. Dann wählte ich sie. Ein Mann meldete sich.

»Hallo«, sagte ich. »Ich hätte gern mit Mr. Wherry gesprochen.«

»Ich bin Wherry«, antwortete der Mann laut, um sich trotz des Lärms im Hintergrund verständlich zu machen.

»Ich rufe wegen Diane Le Clair an«, fuhr ich fort.

»Wessentwegen?«

»Diane Le Clair. Sie hat mir gesagt, sie habe bei Ihnen gearbeitet.«

»Wer sind Sie überhaupt?«

»Ich heiße Paul Lund. Ich habe Miss Le Clair heute Morgen angestellt. Sie hat Sie als Referenz angegeben.«

»Was hat sie?«

Ich sagte es ihm nochmals. Er ließ sich mit seiner Antwort merkwürdig viel Zeit. Irgendwo in seiner Nähe arbeitete ein Elektrobohrer.

»Wo haben Sie Ihr Büro, Mr. Lund?«

»Im Lafayette Building.«

»Und sie hat mich als Referenz angegeben?«

»Ja.«

»Was wollen Sie von mir wissen?«

»Ob Sie mit ihrer Arbeit zufrieden waren.«

»Ja. Gearbeitet hat sie ordentlich.«

»Aber sie war nur eine Woche bei Ihnen.«

»Sie hat selbst gekündigt. Noch etwas?«

»Nein«, antwortete Ich. »Danke, Mr. Wherry.«

»Augenblick!«, sagte er rasch. »Wohnt sie noch immer in der Church Street?«

Ich wollte bereits antworten, aber dann fiel mir auf, wie eifrig er danach gefragt hatte. »Keine Ahnung«, log ich. »Ich habe sie noch nicht nach ihrer Adresse gefragt.«

»Okay«, meinte Wherry. »Hoffentlich wissen Sie auch, was Sie tun!«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Schon gut, schon gut«, wehrte er hastig ab. »Ich will nichts gesagt haben.« Er legte auf.

Ich stand mit dem Hörer in der Hand in der Telefonzelle. Ein Mann klopfte ungeduldig an die Tür. Ich hängte langsam ein, ging zu meinem Wagen und fuhr ins Lafayette Building zurück. Es war inzwischen vier Uhr.

Als ich die Bürotür öffnete, sah ich, dass sie nicht an ihrem Schreibtisch saß. Im ersten Augenblick dachte ich schon, sie sei verschwunden. Aber ihr brauner Mantel hing noch an der Garderobe. Durch die halboffene Tür des Lagerraums fiel Licht nach draußen. Ich ging darauf zu.

Sie stand auf der Leiter. Unter ihr lagen ausgepackte Prospekte und anderes Werbematerial. Einige Stapel waren bereits im Regal untergebracht.

»Das war eine gute Idee«, lobte ich sie. »Dazu bin ich leider nie gekommen.«

»Hallo, Mr. Lund!« Sie lächelte. »Ich musste irgendwo anfangen - und hier war es am nötigsten.«

Ich hatte den gestopften Strumpf und die abgeschabten Pumps genau vor meinen Augen. Dieser Anblick erinnerte mich an etwas anderes. »Sind Sie zum Mittagessen gegangen?«, fragte ich.

»Nein, Mr. Lund. Ich wusste nicht, ob es Ihnen recht ist, wenn ich das Büro verlasse.« Sie stieg von der Leiter. Sie war blass und schien etwas unsicher auf den Beinen zu stehen.

»Das hätte ich erwähnen müssen«, antwortete ich. »Am besten gehen Sie gleich jetzt nach Hause. Essen Sie etwas und schlafen Sie sich aus. Sie brauchen morgen früh nicht vor neun Uhr hier zu sein. Und wenn ich wieder fort bin, können Sie zum Mittagessen gehen, wann es Ihnen am besten passt. Lassen Sie sich ruhig eine Stunde Zeit - das tue ich auch.«

»Danke«, sagte sie und ging hinaus, um ihren Mantel anzuziehen. Dann griff sie nach ihrer Handtasche. »Auf Wiedersehen, Mr. Lund.«

»Augenblick«, warf ich ein. Ich zog meine Brieftasche, nahm mehrere Scheine heraus und legte sie auf den Schreibtisch. »Ich hätte beinahe vergessen, Ihnen den üblichen Vorschuss zu geben.«

Sie schüttelte verlegen den Kopf. »Oh, das kann ich nicht annehmen, Mr. Lund!«

»Natürlich können Sie das. Ich weiß, dass Sie das Geld nicht brauchen, aber ich möchte mich trotzdem an die branchenübliche Regelung halten.«

Sie nahm das Geld mit feuchten Augen entgegen, und ich fürchtete schon, sie werde zu schluchzen beginnen. »Danke, Mr. Lund«, sagte sie. »Vielen Dank!« Dann ging sie rasch hinaus.

 

 

2

 

Ich hatte ein Apartment am Pelham Boulevard - allerdings nicht im hocheleganten letzten Drittel, sondern mehr in Richtung Stadtmitte. Das Haus war alt, aber es befand sich in tadellosem Zustand und war mir lieber als die modernen Apartmentgebäude, die in seiner Nähe aus dem Boden gestampft worden waren.

Meine behaglich eingerichtete Wohnung lag im fünften Stock Das große Wohnzimmer mit dem alten Marmorkamin war mit modernen Möbeln ausgestattet, die in reizvollem Gegensatz zu der altmodischen Stuckdecke und den hohen Fenstern des Raumes standen. Eine bis zum Boden verglaste Doppeltür führte auf den kleinen Balkon hinaus. Schlafzimmer, Küche und Bad vervollständigten das Apartment. Als Junggeselle war ich hier gut aufgehoben; die Miete war nicht allzu  hoch, so dass ich jeden Monat einen größeren Betrag zurücklegen konnte.

Ich hatte in einem kleinen Restaurant zu Abend gegessen und war dann nach Hause gefahren. Dort hatte ich geduscht und mich bequemer angezogen. Um sieben Uhr verließ ich mein Apartment und klopfte an die nächste Tür.

Joe Gardiner öffnete. Er war untersetzt und kräftig, hatte die frischen Farben eines Mannes, der viel Sport treibt, und war letzte Woche dreißig geworden. Joe war Werbefachmann und arbeitete bei einer großen Agentur. Wir waren seit fünf Jahren Nachbarn und Freunde.

»Hallo, Paul«, sagte er. »Ich habe mir eben einen Drink gemixt. Willst du auch einen?«

»Ich müsste meine Flasche eigentlich selbst mitbringen.«

»Ha, es ist dein eigener Whisky! Ich habe mir die Flasche gestern geholt. Das sind eben die Vorteile eines Zweitschlüssels.«

Ich betrat sein Apartment, ließ mich in Joes Lieblingssessel fallen und legte die Beine auf die Couch. Joe verschwand in der Küche und kam mit zwei Highballs zurück. Mir fiel auf, dass er frisch rasiert war und seine Schuhe geputzt hatte.

»Gehst du noch aus?«, fragte ich ihn.

»Später. Wir haben noch massenhaft Zeit.« Er hob sein Glas und nickte mir zu. »Prost!« Wir tranken. Joe stellte das Glas ab und rieb sich die Oberlippe. »Mann, das ist guter Whisky! Du kaufst eine gute Sorte, Paul.«

»Und du mixt sie richtig.«

»Das muss man als Werbefachmann können.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Was ist übrigens aus deiner Anzeige geworden? Hast du eine Sekretärin gefunden?«

»Ja. Sie heißt Diane Le Clair.«

»Klingt nett«, meinte Joe. »Wie ein Filmstar.«

»Sagt dir der Name etwas?«

»Müsste ich ihn kennen?«

»Das weiß ich nicht. Ich dachte, ich hätte ihn schon einmal gehört. Aber ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang.« Ich runzelte die Stirn. »Vielleicht habe ich ihn in der Zeitung gelesen.«

»Keine Ahnung, Paul - ich lese immer nur die Anzeigen.«

»Sie ist sehr hübsch«, fügte ich hinzu.

»Das freut mich. Aber du wolltest doch eine Sekretärin, kein Fotomodell. Hast du die Sache realistisch angepackt? Hast du dich nach Referenzen erkundigt?«

»Ja. Sie waren nicht sonderlich gut.«

»Wahrscheinlich war sie die erste Bewerberin, was?«

»Ja.«

»Und du hast sie gleich angestellt?«

»Ja.«

»Warum?«

Ich betrachtete Joes elegante Maßschuhe und dachte dabei an ihre braunen Pumps. »Ich habe ihr angesehen, dass sie Pech gehabt hatte. Sie brauchte einen Job.«

»Das ist ungewöhnlich. Gute Sekretärinnen sind augenblicklich sehr gefragt.« Joe zuckte mit den Schultern. »Hoffentlich weißt du, was du tust.«

»Das hat heute schon einmal jemand gesagt.«

»Wer?«

Ich erzählte ihm von Wherry.

»Ich kenne ihn schon länger«, sagte Joe. »Kenneth Wherrys Firma ist eine Goldgrube, aber er verspielt alles. Seine Bemerkung gefällt mir nicht. Die Sache ist irgendwie merkwürdig.«

»Vielleicht hat sie Schwierigkeiten mit ihm gehabt. Sie ist ein hübsches Ding. Wahrscheinlich hatten alle Chefs es auf sie abgesehen.«

»Unsinn!«, widersprach Joe. »Dazu sind gute Sekretärinnen heutzutage viel zu selten. Du siehst die Sache nicht unvoreingenommen.« Er betrachtete mich prüfend. »Du hast dich beschwatzen lassen, mein Lieber - oder du bist auf ein hübsches Gesicht hereingefallen.«

»Sie ist nicht so, wie du denkst, Joe.«

»Das kannst du gar nicht beurteilen. Du hast zu wenig Erfahrung. Weißt du, was ich glaube? Du solltest ernsthaft daran denken, dir eine Frau zu suchen. Lucy und ich heiraten zu Weihnachten. Dann kann ich dich nicht mehr ständig beaufsichtigen.«

»Danke, ich brauche keinen Vormund.«

»Nein, du brauchst eine Frau. Hör zu, wir geben am Sonntag eine kleine Party. Wir haben auch Carol eingeladen, die...«

»Danke, Joe«, unterbrach ich ihn.

»Gut, ich will mich nicht aufdrängen«, meinte er seufzend. »Aber du wärst bestimmt keine schlechte Partie. Du bist unter dreißig, siehst gut aus, bist groß - und hast vor allem Geld auf der Bank.«

»Danke«, sagte ich. »Vielen Dank für den Drink.«

Joe begleitete mich zur Tür. »Nimm dich mit dieser Diane Le Clair in Acht, Paul«, warnte er mich. »Du bist immer zu leichtgläubig. Pass auf, sonst erlebst du vielleicht eine unangenehme Überraschung!«

»Gute Nacht, Joe«, antwortete ich und ging hinaus.

 

Am nächsten Morgen kam ich um neun ins Lafayette Building und nickte dem alten Haskell zu.

»Ihr Mädchen ist schon da«, berichtete er mir, als wir hinauffuhren. »Eine fleißige junge Dame, und wirklich sehenswert, was?«

»Ja«, antwortete ich und stieg aus.

Sie saß über einen Ordner gebeugt an ihrem Schreibtisch. Diesmal trug sie einen schwarzen Rock mit weißer Bluse.

»Guten Morgen«, sagte ich.

Sie lächelte. »Guten Morgen, Mr. Lund.«

»Solange niemand in der Nähe ist, könnten Sie eigentlich Paul zu mir sagen«, schlug ich vor. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, so dass ich hastig versicherte: »Keine Angst, dabei bleibt es dann.«

Sie wurde rot. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch«, bat sie, »aber ich...«

»Schon gut«, wehrte ich ab. »Ich weiß, was Sie gedacht haben.«

»Halten Sie mich bitte nicht für kindisch«, fügte sie trotzig hinzu, »aber man weiß nie, wie so etwas anfängt.«

»Darüber brauchen Sie sich bei mir keine Sorgen zu machen«, erklärte ich ihr. Ich ging an meinen Schreibtisch, kam mit einem Schnellhefter zurück und zog mir einen Stuhl heran. »Jetzt müssen wir arbeiten, Diane. Das hier ist meine Korrespondenz mit dem Einkäufer von Colton.«

Ich merkte bald, wie tüchtig Diane war. Sie stenografierte so rasch, wie ich diktieren konnte. Wir hatten etwa eine Stunde an ihrem Schreibtisch gesessen, als das Telefon klingelte. Diane stand auf, trat an meinen Schreibtisch und nahm den Hörer ab. Sie zuckte zusammen, flüsterte etwas in die Sprechmuschel und legte auf. Dann kam sie an ihren Platz zurück. Ihre Hand zitterte, als sie nach dem Stenoblock griff. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.

»Entschuldigen Sie bitte«, murmelte sie. »Das war ein Anruf für mich. Ich werde dafür sorgen, dass das in Zukunft nicht mehr vorkommt.«

»Unsinn!«, wehrte ich ab. »Das macht mir nichts aus.«

»Nein, ich sorge dafür, dass ich nicht mehr angerufen werde«, beteuerte Diane und senkte den Kopf, so dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte...

 

Die nächsten vier Tage brachten nur angenehme Veränderungen. Diane kam jeweils schon um halb neun, erledigte die Korrespondenz, soweit sie nur Bestellungen betraf, und hielt meine Buchhaltung auf dem Laufenden. Sie trug jetzt neue Schuhe, hatte keine gestopften Strümpfe mehr an und brachte Blumen für die kleine Vase auf ihrem Schreibtisch mit. Ich hatte allen Grund, mit meiner neuen Sekretärin zufrieden zu sein.

Am Donnerstag war ich den ganzen Vormittag unterwegs und kam erst gegen zwölf Uhr ins Büro zurück. Mir fiel schon im Korridor auf, dass die Tür offenstand. Dianes Mantel hing an seinem Haken, aber sie saß nicht an ihrem Schreibtisch. Erst dann sah ich einen großen Mann in der Ecke beim Fenster stehen. Er drehte sich um, als er mich kommen hörte. Diane benützte die Gelegenheit, um aus der Ecke zu treten.

Ich blieb dicht vor dem Mann stehen. Der Kerl hatte ein rundes, volles Gesicht, eine Hakennase, wulstige Lippen und kurzgeschnittene Haare. Er trug eine Kamelhaarjacke, ein grünes Sporthemd und eine rehbraune Hose.

»Hat es hier Schwierigkeiten gegeben?«, fragte ich Diane.

Sie schüttelte den Kopf. Ihre weiße Bluse war an der Schulter zerrissen, und Diane atmete schwer. »Nein«, behauptete sie trotzdem.

»Wer ist der Kerl?«, fragte der Mann sie. »Dein neuer Boss?«

»Ja«, sagte ich. »Ich heiße Paul Lund. Was wollen Sie?«

»Von Ihnen will ich gar nichts«, antwortete er gelassen. Er sah auf seine Armbanduhr. »Ich gehe jetzt mit ihr zum Essen. Sie hat doch eine Mittagspause, was?«

»Nein«, behauptete Diane. »Gehen Sie endlich. Bitte!«

»Ich warte draußen«, sagte er.

»Nein!«, wiederholte sie verzweifelt.

Er wollte auf sie zu treten, aber ich hielt ihn zurück. »Sie haben gehört, was sie eben gesagt hat. Verschwinden Sie lieber.«

Er sah auf meine Hand herab. Dann hob er den Kopf und starrte mir ins Gesicht. »Suchen Sie Streit, Lund?«

»Nein, ich suche keinen Streit. Aber Diane will, dass Sie jetzt gehen.«

»Sie weiß nicht, was sie will«, behauptete er. »Das ist eben ihr großer Fehler. Aber ich kann ihr sagen, was sie will.«

»Nicht hier«, stellte ich fest.

Er überlegte kurz. »Okay, nicht hier«, gab er dann zu. »Suchen Sie wirklich keinen Streit, Lund?«