SEX IN SCHWARZ - Ben Benson - E-Book

SEX IN SCHWARZ E-Book

Ben Benson

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Beschreibung

Jeder kennt ihre Stimme. Sie ist ein berühmter Schlagerstar. Junie Jacques - Sex in Schwarz.

In ihrer Villa bei Boston findet eine Party statt. Es gibt Streit. Ein Gast verlässt wütend das Haus.

Warum aber kam er dann zu nächtlicher Stunde doch noch einmal zurück? Diese Frage stellt die Polizei, als Junie verhört wird.

Denn er wurde erschossen - und die schöne Junie steht unter Mordverdacht...

Der Roman Sex in Schwarz des US-amerikanischen Kriminal-Schriftstellers Ben Benson (* 1915 in Boston, Massachusetts; † 1959 in New York) erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1966.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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BEN BENSON

 

 

Sex in Schwarz

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 106

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

SEX IN SCHWARZ 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Jeder kennt ihre Stimme. Sie ist ein berühmter Schlagerstar. Junie Jacques - Sex in Schwarz.

In ihrer Villa bei Boston findet eine Party statt. Es gibt Streit. Ein Gast verlässt wütend das Haus.

Warum aber kam er dann zu nächtlicher Stunde doch noch einmal zurück? Diese Frage stellt die Polizei, als Junie verhört wird.

Denn er wurde erschossen - und die schöne Junie steht unter Mordverdacht...

 

Der Roman Sex in Schwarz des US-amerikanischen Kriminal-Schriftstellers Ben Benson (* 1915 in Boston, Massachusetts; † 1959 in New York) erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1966.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   SEX IN SCHWARZ

 

 

 

 

 

 

  

  Erstes Kapitel

 

 

Junie Jacques kam am Vormittag mit dem Flugzeug in Boston an. Die Maschine um 7.45 Uhr aus New York hatte die übliche Dreiviertelstunde gebraucht. Junie schlief fast die ganze Zeit und wurde von der Stewardeß erst geweckt, als die Maschine zur Landung ansetzte.

Junie wurde wach und rieb sich die brennenden Augen. Um vier Uhr früh war sie erst ins Bett gekommen und hatte schon um halb sieben aufstehen müssen, um die Maschine am Flughafen La Guardia zu erreichen. Durch ihren Beruf kam sie in New York nie vor den frühen Morgenstunden zum Schlafen, weshalb sie immer erst gegen Mittag aufzustehen pflegte. Ausnahmen waren ihre Gastspielreisen, die sie von New York wegführten, noch weniger Schlaf zuließen, bis sie erschöpft und gereizt am liebsten aufgegeben hätte. Nur diesmal nicht. Auf Boston freute sie sich immer, denn hier war sie zu Hause. Außerdem würde sie Tony sehen können.

 

Das silbrig glänzende Flugzeug schwebte auf die Landebahn hinunter, setzte sanft und weich auf. Während es ausrollte, schaute Junie zum Kabinenfenster hinaus. Sie kniff die Augen zusammen, weil sie ein wenig kurzsichtig war. Allerdings trug sie nie eine Brille.

Am Flugsteig sah sie eine kleine Gruppe von Menschen. Junie legte sich das Nerz-Cape um die Schultern, tupfte Parfüm an die Ohrläppchen, fuhr mit dem Kamm durch ihr schulterlanges blondes Haar, prüfte ihr Make-up im Spiegel und dachte sehnsüchtig an eine Tasse Kaffee.

Das Flugzeug hielt. Sie blieb sitzen und wartete, bis alle Passagiere ausgestiegen waren, weil sie die letzte sein wollte. Die Menschen drängten hinaus, über die Schulter nach ihr zurückblickend.

Sie verließ die Maschine und blieb oben auf der Gangway stehen. Aus der Gruppe am Flugsteig lösten sich ein paar Personen. Sie sah Reporter mit Blitzlichtkameras.

Als sie den Fuß der Gangway erreicht hatten, winkte sie, lächelte angestrengt, zeigte die weißen Zähne und hob das Nerz-Cape von ihren Schultern. Der Wind presste das schwarze Kleid an ihren Körper, wie eine zweite Flaut. Das linke Bein vorgestreckt, die Zehen nach unten gebogen, wodurch sich der Rist rundete und die sanfte Wölbung der Wade deutlicher hervortrat. Das schwarze Kleid spannte sich eng um Hüften und Schenkel, Am Träger war eine weiße Kamelie befestigt.

Sie schüttelte ihr blondes Haar, bis es schwankte, dann lächelte sie wieder und zeigte eine andere Pose, wie man es ihr beigebracht hatte. Sie hasste das. Die Posen waren billige Tricks der Branche. Die abgebrühten Reporter wussten es, während sie ihre Kameras auf sie richteten. Obwohl die Morgensonne schien, benützten sie Blitzlichtlampen, um keine Schatten auf die Bilder zu bekommen.

Während sie sinnlich und herausfordernd lächelte, dachte sie bitter, dass Sex ihre Handelsmarke war, ihr Abzeichen, die Masche, der Gag, der gewisse Kniff, wie man das auch immer nennen wollte. Das enge schwarze Kleid, die weiße Kamelie und das lange, blonde Haar. Aber George Pringle, der Direktor der Schallplattenfirma Micro-Records, hatte diese Requisiten ausgesucht. Dergleichen macht den Künstler, hatte er erklärt. Eine Erkennungsmelodie, eine Violine, eine Gitarre, ein Kandelaber. Lange Koteletten, verrückte Ohrringe, ein ausgefallener Hut, ein Brillanten-Anhänger in Herzform oder weiße Mokassins. Was immer man wählte, man musste dabei bleiben, bis es zu einem unverwechselbaren Bestandteil geworden war.

Junie Jacques war das Mädchen im schwarzen Kleid mit der weißen Kamelie. Junie Jacques war Sex in Schwarz.

»Wiederhol das hundertmal am Tag«, hatte Pringle zu ihr gesagt. »Dann geht es dir in Fleisch und Blut über.«

Er hatte beinahe recht. Für Millionen Menschen war sie jetzt Junie Jacques - Sex in Schwarz. Nur nicht für sich selbst. Sie hasste jeden Augenblick dieses Daseins. Sie war eine Schwindlerin, eine Betrügerin. Ihr Sex war künstlich und stieß sie ab. Nach einem Jahr hatte sie genug davon.

Sie sah Bill Marshall, den Werbeleiter von Micro für Neuengland. Er trat auf die erste Stufe und streckte den Arm aus. Jung, schlank, scharfer Verstand. Er trug seinen Eifer, seine Begeisterung wie die Lanze eines Ritters vor sich her.

Er wartete auf sie. Die Reporter starrten ihre Beine an, und einer pfiff leise durch die Zähne.

Marshall streckte genau zum richtigen Zeitpunkt die Hand aus und sagte: »Guten Morgen, Miss Jacques. Hoffentlich war der Flug angenehm.«

Sie lächelte strahlend.

»Wunderbar, Bill. Wie geht es meinem Bruder Tony?«

»Sehr gut, Miss Jacques. Mr. Pringle hat ihn gestern Abend besucht.«

»Ich bin sehr froh«, sagte sie. »Alle sind so großartig.«

Sie ging mit Marshall zum Flughafengebäude. Die Reporterblieben zurück, zerstreuten sich mit Ausnahme eines Werbespezialisten und eines Reporters vom Fernsehen, der neben ihr herging, die Kamera ans Auge gepresst.

Der Gepäckwagen kurvte zur Maschine, um die Koffer der Passagiere abzuholen. Der Herbstwind war kühl, und vom Hafen her wehte eine salzige Brise. Sie raffte das Nerz-Cape am Hals zusammen und sah zum Flugsteig hinüber.

»Warten die alle auf mich?«, fragte sie Marshall.

»Ja. Nette Leute, wenn auch nicht sehr wichtig. Sie sind vom Komitee.«

»Von welchem Komitee?«

»Um zwölf findet doch das Wohltätigkeitsessen statt. Man hielt es für eine nette Geste, jemand zur Begrüßung herzuschicken.«

»Das ist lieb!«, sagte sie. »Was soll ich zu den Leuten sagen?«

»Nicht viel. Sie brauchen sich nur zu bedanken. Wir machen ein paar Fotos. Sie lernen alle beim Essen kennen. Da müssen Sie nicht singen. Sagen Sie einfach, dass Sie Ihre Arbeit für sehr wichtig halten.«

»Trotzdem finde ich es entzückend, dass sie mich abholen«, meinte sie. »Fahren wir dann zu Mr. Pringle?«

»Ja, er wartet im Hotel.«                

»Ihr beiden habt sicher ein großes Programm für mich zusammengestellt.«

Marshall lachte besänftigend.

»Tja...«, sagte er.

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Nicht mal eine Atempause?«

»Sie wissen, wie das ist, Miss Jacques. Heute tut sich allerhand. Aber morgen wird es nicht so schlimm. Morgen Abend haben wir nur die Wohltätigkeitsveranstaltung für das Rote Kreuz im Boston Garden.«

»Da singe ich zwei Lieder.«

»Gut«, sagte er. »Welche?«

»Ich habe meine Arrangements für Autumn Heat Wave und für das Neueste Tempest in Town, mitgebracht.«

»Das ist großartig! Großartig!«

»Wie geht Tempest?«

»Großartig! Nächste Woche erreichen wir Zweihunderttausend. Ein ganz großer Hit, Miss Jacques. Der Schlager geht hier in Neuengland phantastisch. Wirklich.«

»Das freut mich sehr.«

»Wir haben ihn auch ganz groß herausgebracht.«

»Ich bin euch dankbar«, sagte sie. »Ich bin Ihnen immer sehr dankbar, Bill. Sie sind einfach - nett.«

Er sagte ernsthaft: »Danke, Miss Jacques. Manche Künstler sagen so etwas nie.«

Sie näherten sich dem Flughafengebäude. Er verlangsamte den Schritt und sagte: »Noch etwas: Ein paar Fans sind hier. Halbwüchsige.«

»Wie viele?«

Sie runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. An den Glastüren sah sie einige Teenager stehen.

»Nicht viele«, gab er zurück. »Vier oder fünf. Von den Fan-Clubs.«

»Tut mir leid, aber ich habe noch nicht einmal gefrühstückt. Ich bin heute nicht besonders geduldig mit Kindern.«

»Damit habe ich nichts zu tun. Das ist von Ihrer Agentur veranlasst worden.«

»Na schön«, sagte sie müde.

Um der Karriere willen musste man solche Dinge auf sich nehmen. Sie wusste, dass sie dergleichen nicht umgehen konnte. Wenigstens ein Trost, kein männlicher Schlagerstar zu sein. Diese Leute kamen ja nicht einmal mehr ohne Polizeischutz aus, umringt von schreienden, zuckenden Mädchen, die alles versuchten, um ihr Idol wenigstens einmal zu berühren. Auch wenn diese Aufläufe von den Presseagenten sorgfältig organisiert waren, manchmal ging doch jede Kontrolle verloren. Es kam zu massenhysterischen Ausbrüchen, die man kaum mit Gewalt zu bändigen vermochte.

Die weiblichen Stars zogen nicht so große, nicht so tobende Menschenmengen an, aber die Anhänger zeigten sich konstanter.

Sie hatten die Wartenden erreicht, Bill Marshall hastete umher und winkte seinem Fotografen. Ais Junie dem Komitee vorgestellt wurde, lächelte sie, nickte, wiederholte sorgfältig jeden Namen, um ihn sofort wieder zu vergessen. Eine aufgeregte Frau mit riesigem Hut konnte nur mit Mühe einen Hofknicks unterdrücken.

Bill Marshall zog sie mit, zu den Teenagern. Hier passte sie genau auf, denn das waren die Käufer ihrer Schallplatten. Sie lächelte und hörte zu; sie lachte, sie gab sich ernst. Man stellte überall die gleichen Fragen. Sie gab die Antworten, die sie in jeder Stadt gab. Und Bill Marshall ließ sie mit den Mädchen aufnehmen, flitzte hin und her, befahl diesem Mädchen, sein Autogrammbuch hochzuhalten, einem anderen, näher heranzukommen und zu lächeln. Der Fotograf machte seine Aufnahmen.

»Ich freue mich so, dass ihr gekommen seid«, sagte sie zu den Mädchen.

Und sie meinte es wirklich ernst, weil sie sich überlegte, dass die Kleinen von der Schule weggeblieben waren, um sie zu begrüßen. Unschöne Mädchen, alle fünf. Die eine lang und schlaksig, mit gelben Zähnen. Die nächste mit schlechter Haltung und unreiner Haut. Eine zu dick. Eine mit Pickeln im Gesicht. Alle ernsthaft und eifrig. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht oft von Jungen ausgeführt wurden, ihre überschüssige Energie aber irgendwie loswerden mussten, dachte sie.

Sie nannten sie beim Vornamen. Das taten sie alle, überall.   

»Ich habe vorige Woche vierzehn neue Mitglieder geworben«, erklärte eine von ihnen.

»Was?«, fragte Junie. Sie hatte gerade an ihren Bruder Tony gedacht. »Ach ja. Danke, Kleines. Wunderbar! Wunderbar! Ihr sollt euch doch nicht so anstrengen.«

»Das macht uns nichts aus, Junie.«

Eine andere meinte: »Danke für Ihren Brief, Junie.«

Alle Briefe wurden von der Agentur geschickt, mit Faksimile-Unterschrift.

Eine dritte sagte: »Heiraten Sie Sandy Fabian?«

»Aber nein«, erwiderte sie. »Sandy und ich sind nur gute Freunde.«

Fabian war Gesangstar bei Micro, und sie erschienen aus Reklamegründen oft gemeinsam in der Öffentlichkeit.

»Mein Club hat jetzt hundertfünfzig Mitglieder«, sagte das dicke Mädchen. »Wir sind bestimmt der größte Club in ganz Neuengland, Junie.«

»Ganz gewiss«, sagte sie. »Das macht mich sehr stolz. Ich bin auf euch alle stolz.«

Sie fühlte, wie sich ihre Augen bei dem Gedanken an ihre Anhänglichkeit mit Tränen füllten. Am liebsten hätte sie sie alle umarmt.

Aber Bill Marshall fing ihren Blick auf und bewegte .unmerklich den Kopf.

Sie machte sich los. Die Mädchen folgten ihr.

»Die Anstecknadeln, die Sie uns geschickt haben, sind wirklich toll. Schauen Sie, wir tragen sie alle, Junie.«

»Freut mich, dass sie euch gefallen«, sagte sie.

Ihr fiel ein, dass in der Agentur von dieser neuen Reklame-Idee die Rede gewesen war. Sie sah genauer hin. Alle Mädchen trugen am Pullover eine kleine Nadel in Form einer Kamelie mit einem winzigen Foto Junies.

»Ich habe jetzt ganz neue Aufnahmen«, meinte sie. »Die schicke ich euch. - Aber jetzt muss ich gehen. Vielen, vielen Dank, Kinder. Schade, dass wir nicht mehr Zeit haben füreinander.«

»Treten Sie heute im Funk oder im Fernsehen auf?«, fragte das dicke Mädchen.

»Aber sicher«, sagte Bill Marshall, »den ganzen Nachmittag. Beim Sender WDAZ fangen wir an.«

Dann saß sie in Marshalls Wagen, und ihre beiden Koffer wurden gebracht. Marshall gab dem Träger ein Trinkgeld, und sie fuhren los. Die Mädchen standen auf dem Gehsteig vor den Taxis. Sie winkte ein letztes Mal und ließ sich zurücksinken.

»Gut gemacht, Junie«, sagte Marshall.

»Danke«, sagte sie. »Haben Sie nie das Gefühl, dass Sie die Kinder ausnützen?«

Er lachte und erwiderte: »Sie halten mich so in Atem, dass ich keine Zeit zum Nachdenken habe.«

»Bitte tun Sie es einmal.«

»Na ja«, meinte er ernst, »das gilt für beide Seiten. Man benützt sie. Sie benützen Sie. In ihrer Gruppe gelten sie etwas. Sie haben allerhand davon.«

»Und ich werde ein merkwürdiges Gefühl nicht los...«, sagte sie. »Wann trete ich das erste Mal auf?«

»Gleich nach dem Essen. Sie müssen unter Umständen etwas früher weg, weil es sonst zu knapp wird. Um ein Uhr besuchen Sie den ersten Discjockey. Steve Coby, natürlich.«

Sie nickte und fragte dann: »Wie geht mein Schlager?«

»Ich dachte, das hätte ich Ihnen schon erzählt«, erwiderte er. Der Wagen rollte in den Osttunnel. »Tempest schafft...«

»Ach, ja«, unterbrach sie ihn. »Verzeihung, Bill. Zweihunderttausend, nicht wahr?«

»Ja. Ein großer Hit. Sie sollten sich nicht so viele Sorgen machen.«

»Ich habe an die Rückseite gedacht.«

»Die Discjockeys strengen sich an. Auch dieses Lied wird bekannt.«

»Danke, Bill.« Sie presste die Hand an die Stirn. »Ich bin heute ganz durcheinander. Für mich ist ja jetzt eigentlich Nacht. Wie spät ist es überhaupt?«

»Kurz nach neun.«

»Ach, könnte ich jetzt eine Tasse Kaffee vertragen!«

»Wir sind ja gleich im Ritz, Junie. - Und Ihr Gepäck? Wollen Sie über Nacht in der Stadt bleiben oder die Koffer zum Haus hinausschicken?«

»Zum Haus. Ich bleibe in Briercliff über Nacht und rufe vom Hotel aus an.«

»Gut, Junie. Ein herrlicher Besitz, den Sie da draußen haben.«

»M-hm«, sagte sie.

Sie dachte daran, wie schön es jetzt dort sein musste, auf den Klippen über dem sonnenglänzenden Meer.

Noch schöner wäre es gewesen, wenn in dem stillen, alten Haus nicht ihr geisteskranker, zwanzigjähriger Bruder eingesperrt gewesen wäre...

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Die Stille des großen, alten Hauses ließ die Spannungen des Tages nicht abklingen. Sie hatte darauf gehofft, als sie am frühen Abend nach Hause kam. Sie täuschte sich.

Der ganze Tag war schrecklich gewesen. Nichts lief richtig.

George Pringle war aus New York gekommen, um mit dem örtlichen Vertriebsleiter zu sprechen. Zuerst gab es in seinem Appartement im Ritz-Carlton eine scharfe Auseinandersetzung. Sie hatte Pringle noch nie so zornig gesehen.

»Ein ganzes Jahr«, hatte er sie angeschrien. »Die Mühe, das Geld, um einen Star aus dir zu machen. Die viele Arbeit, die Anstrengungen, der Kampf, dich durchzusetzen.«

»Ich habe dir schon vor Monaten erklärt, dass ich heirate«, sagte sie.

»Und ich war einverstanden. Aber du hast nichts davon erwähnt, dass du mit dem Singen aufhören willst«, fügte er empört hinzu. »Ich habe gesagt, heirate John Garrison. Oder etwa nicht? Heirate ihn. Nur zu. Aber warum musst du mit dem Musikgeschäft Schluss machen?«

»Weil John es so will. Er möchte eine Ehefrau.«

»Und deine Karriere?«

»Das ist meine Karriere: Ehefrau sein.«

»Man kann Ehefrau sein und eine Karriere haben.«

»Ich will Mutter sein.«

»Kinder aufziehen«, schrie er. »Jeder kann Kinder aufziehen. Tempest ist ein Riesenhit. Das hat ein ganzes Jahr Blut und Tränen gekostet, und jetzt lässt du uns im Stich. Es gibt einen Kontrakt, Junie. Unumstößliche Vereinbarungen.«

»Tut mir sehr leid, George«, sagte sie.

»Nein, dir ist ja alles egal. Glaubst du nicht, dass ich auch eine Stellung habe? Wie, meinst du, kann ich mich auf diesem verdammten Misthaufen überhaupt halten? Dadurch, dass ich die Firma und die Aktionäre glücklich mache. Und was soll ich den Leuten jetzt sagen? Dass wir ein Vermögen für dich ausgegeben haben und du uns jetzt davonläufst? Wie sehe ich da aus?«

»Bitte«, sagte sie. »Würdest du mir Kaffee bringen lassen?«

Er achtete nicht auf ihre Bitte. Er ging im Zimmer hin und her, ein schlanker, mittelgroßer, eleganter Mann, Ende Vierzig, mit ruhelosen Händen und kleinen Füßen. Sein Haar war grau und seidig, seine Gesichtshaut straff, abgesehen von den Tränensäcken unter den Augen. Er war sehr gepflegt, trug einen dunkelbraunen, einreihigen Anzug, ein Hemd mit rundem Kragen und eine gestreifte Krawatte.

Er fuhr auf dem Absatz herum und sagte: »Was kann dir einer wie John Garrison bieten? Seine Ahnenreihe?«

»Auch das hilft«, erwiderte sie.

»Die hilft meinem Pudel«, sagte er.

»Ich liebe den Mann zufällig«, flüsterte sie.

Er schnaubte verächtlich.

»Wie alt bist du? Zweiundzwanzig?«

Er drehte ihr den Rücken zu und starrte in den Park hinunter.

»Was weißt du von Liebe? So ein Quatsch! Biologie. Drüsen. Überhaupt nichts dran. Glaub mir, ich weiß Bescheid. - Na schön, rekapitulieren wir: Vor fünf Monaten hast du mir erzählt, dass du heiraten möchtest. Stimmt’s?«

»Ja, George.«

»Davon, dass du aufhören willst, war nicht die Rede.«

»Ich hatte Angst«, gab sie zurück. »Ich hatte nicht den Nerv, es dir zu sagen.«

»Natürlich nicht. Weil du im Unrecht bist. Juristisch, ethisch und moralisch. Deshalb hast du dich nicht getraut. Also - schlag dir das aus dem Kopf, Junie. Wir lassen dich nicht aufhören.«

»Tut mir leid«, sagte sie. »Wir haben es uns genau überlegt.«

Er schnaubte durch die Nase.

»Du willst also mit dem Singen aufhören und ein braves Hausmütterchen werden. Was für eine Zukunft! Und was für eine kolossale Verschwendung!«

»Das ist mir gleichgültig. Ich will heiraten.«

»Wenn ich gewusst hätte, dass du so scharf drauf bist, hätte ich dich vielleicht selbst geheiratet.«

»Vielleicht würde ich dich nicht nehmen, George«, sagte sie ruhig. »Hast du daran schon einmal gedacht?«

»Du würdest mich nicht nehmen?«, sagte er, sie anstarrend, mit schriller Stimme. »Nur nicht so eingebildet, Liebchen. Ich hätte dich jederzeit haben können.« Er schnippte mit den Fingern. »So. Und du hättest gar keine Wahl gehabt. Aber ich habe mich zurückgehalten. Und warum? Weil ich Achtung vor dir hatte und weil ich wünschte, dass dich alle achten...«

Nein, dachte sie, weil du gar kein Mann bist.

»...eben ein Fehler von mir«, sagte er. »Da erwischt dich einer von den vornehmen Garrisons. Der Neffe des Herrn Gouverneurs. Ein kalter Fisch, wenn du mich fragst. Wann hat er dich denn so weit gebracht? Und wie ist er als Liebhaber? Sehr munter kann ich ihn mir nicht vorstellen.«

Sie erwiderte nichts. Sie wagte nichts zu antworten, so hasste sie ihn in diesem Augenblick. Ihre bevorstehende Heirat mit John Garrison war das erste wirklich Schöne in ihrem Leben. George Pringle beschmutzte es absichtlich. Trotz seiner schönen Worte von der Achtung zeigte er so wenig davon, dass er sie vor dem verlegenen Bill Marshall demütigte.

Wie lange es so weitergegangen wäre, wusste sie nicht. Aber sie wurden von anderen Leuten gestört. Sie sah, wie sich Pringles Jähzorn in hemmungslose Wut verwandelte. Er drehte sich um und fiel über Bill Marshall her.

So war es den ganzen Vormittag zugegangen. Pringles benützte die anderen als Blitzableiter für seinen bösartigen Zorn. Und erst zu Mittag bekam sie ihren Kaffee - beim Wohltätigkeitsessen. Inzwischen hatte sie solche Kopfschmerzen bekommen, dass sie eine Tablette einnehmen musste.

 

Ein übler Tag, alles in allem. Sie kam gegen sechs Uhr nach Briercliff. Bill Marshall fuhr sie die schmale Straße hinauf, die sich zu den Klippen emporwand, vorbei an den großen Villen, die jetzt über den Winter geschlossen waren. Sie schwiegen beide bedrückt. An dem hohen Zaun mit den scharfen Zacken half er ihr aus dem Wagen. Sie bedankte sich, und er fuhr davon.

Das Tor war abgesperrt. Sie drückte auf den Klingelknopf. Ein Summen, und das Tor öffnete sich. Sie ging die geteerte Auffahrt hinauf. Das Haus war nicht schön. Über fünfundsiebzig Jahre alt. Dunkelgrün. Viktorianisch. Giebel und Türmchen und Erkerfenster, dazu eine Veranda, die das ganze Gebäude umschloss. Aber sie liebte es. Sie war hier geboren, und der Blick aufs Meer hatte nirgends seinesgleichen.

Grace Whitaker begrüßte sie an der Tür. Sie umarmten sich, dann ging Junie sofort in den ersten Stock, zu Tony. Er war unruhig, reagierte kaum und wollte zuerst nicht mit ihr sprechen. Sie setzte sich aufs Bett und wartete geduldig. Er machte den Versuch, zu artikulieren. Aber seinem Gestammel waren keine verständlichen Wörter zu entnehmen. Sie fürchtete diese Perioden der Unruhe bei ihm, weil er oft gewalttätig wurde. Sie ließ die Schachtel mit den Spielzeugsoldaten auf dem Bett liegen, sperrte das Stahlgitter, das als Tür diente, ab und ging hinunter.

Spielzeugsoldaten, dachte sie. Anthony Jacques, gutaussehend, zwanzig Jahre alt, einsachtzig groß, achtzig Kilo schwer. Strohfarbenes Haar und gesunde Gesichtsfarbe. Aber fast ganz ohne Verstand.   

Sie trat auf die Sonnenterrasse hinter dem Haus, von der aus man weit aufs Meer hinaussah. Die Sonne stand tief am Horizont, und lange Schatten fielen über die Klippen. Sonst beruhigte sie dieser Anblick. Aber an diesem Abend brachte das blaugrün schwellende Meer keinen Frieden, keine Tröstung. Der Wind fuhr durch Kleidung und Haar, während sie versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden.

Grace Whitaker kam heraus und trat neben sie. Grace Whitaker - mehr als eine alte, treue Freundin. Mehr als eine Stiefmutter für Tony und sie. Fast Fünfzig, immer optimistisch und fröhlich, mit ansteckender Vitalität und Lebensfreude. Klein, rötliches Haar, glattes, gebräuntes Gesicht. Festes Fleisch, wohlgeformte Brust, schlanke, junge Beine.

»Heute ist er sehr unruhig«, sagte sie zu Grace und sah hinauf zum Gitter an Tonys Fenster.

»Schon seit ein paar Tagen«, erwiderte Grace Whitaker. Sie nahm ein Päckchen Zigaretten aus der Rocktasche, zündete eine davon geschickt im Wind an und reichte sie Junie.

»Du darfst dir keine Sorgen machen.«

»So fängt er immer an«, flüsterte Junie. »Dann wird es schlimmer.« Der Rauch kräuselte sich vor ihrem Gesicht. Sie sah Grace an und entdeckte zum ersten Mal den kleinen bläuen Flecken am Jochbein, der mit Make-up sorgfältig überdeckt worden war. »Er hat dich wieder geschlagen, nicht wahr?«

»Reiner Zufall«, erwiderte Grace. »Du weißt ja, wie er ist. Er bewegt sich so unruhig.«

»Er ist so groß und stark geworden. Was tun wir, wenn es schlimmer wird?«

»Es wird nicht schlimmer. Ich komme mit ihm zurecht. Ich habe ihn seit seiner Kindheit gepflegt. Er ist beinahe mein Kind. Sag solche Dinge nicht, Junie.«

Junie drückte ihr die Hand.

»Ich habe nur an deine eigene Sicherheit gedacht«, meinte sie. »Du bist wunderbar zu ihm.«

»Ich will nicht hören, dass er in eine Anstalt soll«, sagte Grace. »Ohne Liebe, Geduld und Pflege verkümmert er. Ich bin immer mit ihm fertig geworden, und ich hoffe, dass ich es auch in Zukunft schaffe.«

»Du hast ihm dein ganzes Leben gewidmet.«

»Nur, weil ich es so wollte«, gab Grace zurück. »Weil ich ihn liebe und dich liebe. Mach keine Märtyrerin aus mir.«

»Ich geb’ mir ja Mühe. Aber ich kann auch nicht ausdrücken, wie dankbar ich dir bin.« Junie sog an der Zigarette. »George Pringle hat mir erzählt, dass er gestern Abend hier war.«

»Ja.«

»George ist doch nett zu ihm, nicht? Oder mag er George nicht?«

»Oh, ja. Mr. Pringle kann sehr charmant sein. Er hat große Geduld mit Tony.«

»George hat etwas Merkwürdiges gesagt. Er sagt, er fühlt sich bei Tony unsicher. Dieses Gefühl hat er noch nie gehabt.«

»Tony hat sich nicht verändert«, meinte Grace. »Mr. Pringle bildet sich das ein.«

»Mr. Pringle kommt heute Abend.«

»So? Ich dachte, John besucht dich.«

»Natürlich. Und Steve Coby auch.« Sie drehte sich um und sah, dass Grace die Brauen zusammengezogen hatte. »Was ist los? Möchtest du nicht, dass ich Gesellschaft habe?« ,

»Du siehst so müde aus, Liebling.«

»Ich kann absagen, wenn du willst. Du weißt, dass ich mich immer an deinen Rat halte, Grace.«

Grace Whitaker starrte aufs Meer hinaus.

»Vielleicht ist es besser, du bringst es heute Abend hinter dich«, sagte sie. »Sie sollen ruhig kommen. Du musst es loswerden.«

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich George aufgeführt hat, Grace. Als ich ihm sagte, dass ich Schluss mache, benahm er sich wie ein Wahnsinniger. Findest du, dass ich etwas falsch mache?«

»Nein. Wenn du mit John Garrison eine normale Ehe führen willst, musst du klare Verhältnisse schaffen, Liebes. Und Mr. Pringle kann gar nichts dagegen tun.«

»Du hast natürlich recht.« Junie atmete tief ein. »Der Tag war einfach schrecklich. Ich bin ganz kaputt. Aber du hast absolut recht. Ich muss es heute Abend hinter mich bringen. Deshalb habe ich Steve gebeten, mir zur Seite zu stehen. Vielleicht lässt sich George von ihm beeinflussen.«

»Wird schon alles gut werden«, meinte Grace gelassen. »Ich kümmere mich inzwischen um die Küche.«

»Nicht nötig. Sie kommen erst nach dem Essen.«

»Alkohol ist genug da«, erwiderte Grace. »Ich rufe bei Palmer an, lasse Hummer und Langusten bringen, noch ein paar andere Sachen und Eis für die Getränke.«

Sie verstummte. Beide schauten sie nach oben. Aus dem vergitterten Fenster drang Musik.