Eine deutsche Mission in Südafrika - Elisabeth Wickert - E-Book

Eine deutsche Mission in Südafrika E-Book

Elisabeth Wickert

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Beschreibung

Elisabeth Wickert geb. Wittrock (1857-1947) gewährt uns Einblick in ein nicht nur für ihre Zeit ungewöhnliches Leben Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre und beschreibt eindrucksvoll ihre persönliche Entwicklung in den Wirren mehrerer Kriege und Machtkämpfe rivalisierender politischer Kräfte. Besondere Bedeutung mögen ihre Beschreibungen des missionarischen Auftrags erlangen, dem sie sich gemeinsam mit ihrem Mann in Südafrika verschrieb. Damit werfen ihre Lebenserinnerungen auch ein Schlaglicht auf ein Kapitel des deutschen und europäischen Kolonialismus, woraus unsere Sicht auf das aktuelle Europa erneuert wird. Ihr christlicher Glaube steht bei allem im Zentrum ihres Handelns. Er gab ihr stets Kraft und Halt. Trotzdem soll es nachfolgenden Generationen ein Weckruf sein, wie sie sich trotzdem als Christin von der national-sozialistischen Ideologie hat verführen lassen.

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Eine französische Übersetzung der für die Missionsgeschichte interessanten Teile wurde veröffentlicht:

Waltraud Verlaguet, « Entre Mahanaïm et Morgensonne. Femme de missionnaire au Transvaal (1880 – 1908) », in: Missionnaires et Eglises en Afrique et à Madagascar (XIXe siècle), Anthologie de textes missionnaires publiée sous la direction d’Annie Lenoble-Bart, Turnhout : Brepols 2015. ISBN 978-2-503-52648-5

Inhalt

EINLEITUNG

DIE FAMILIE

VERGANGENHEIT

Die ersten Jahre

1866

1870

1873

1877

1880

1881

1885

1887

1891-1893

1895

1896

1897

September 1939

Oktober 1939

1898

1899

1900

13. November 1939

14. November 1939

1901

1902

1908

9. Mai 1940

1909

1910

1913

1914

9. Juli 1940

8. Oktober 1940

27. März 1941

1914-1915

1918

22. April 1941

8. Mai 1941

10. August 1941

11. Februar 1942

15. Februar 1942

9. Juli 1943

18. Juli 1943

30. Juli 1943

30. August 1943

3. Januar 1944

27. Januar 1944

29. Mai 1944

19. Juni 1944

17. September 1944

3. Oktober 1944

15. Januar 1945

26. Februar 1945

Einleitung

1880 wanderte Elisabeth Wittrock nach Transvaal aus, um Adam Wickert zu ehelichen und dort eine Missionsstation der Hermannsburger Mission zu errichten. Nach dem Burenkrieg und acht überlebenden Kindern kehrte sie nach Adams Tod nach Deutschland zurück. Ihr Wunsch, mit Sohn Winfried nach Afrika zurückzugehen, zerschlug sich, da er nach Indien gesandt wurde. In Deutschland verblieben, durchlebte sie zwei Weltkriege und verstarb 1947 in Hermannsburg.

Dem Wunsch ihrer Kinder folgend, begann Elisabeth vor dem Zweiten Weltkrieg ihre Lebenserinnerungen niederzuschreiben, zunächst nur für die Familie gedacht. Nach Gesprächen mit den Nachkommen entschlossen wir uns, ihr Erbe zu teilen, denn ihre Aufzeichnungen sind nicht nur für die Missionsgeschichte Südafrikas, sondern auch für das Verständnis des Alltags einer einfachen Frau während des 2. Weltkriegs bedeutend.

Elisabeth schreibt klar und ungeschmückt, chronologisch von ihrer Kindheit bis nach Afrika und zurück nach Deutschland. Im Krieg notiert sie Daten und mischt aktuelles Zeitgeschehen in ihre Erinnerungen, bis Gegenwart und Geschichte eins werden.1

Es ist verstörend zu sehen, wie Elisabeths fester Glaube mit ihrer politischen Blindheit verschmilzt. Der Burenkrieg schürte ihren Hass auf die Engländer und ließ sie im Führer ein göttliches Strafwerkzeug erkennen.

Während des Krieges verfällt Elisabeth den Propagandaklischees, von einer paranoischen Vision, in der Deutschland das Opfer aller bösen Kräfte der Welt ist, bis hin zu einem stereotypen Antisemitismus, der wie aufgestülpt wirkt: sie spricht immer vom "Juden" im Allgemeinen, als Urheber einer Verschwörung, um die Weltherrschaft zu erlangen, nie von jüdischen Personen im Besonderen. Nur einmal erzählt sie von einem jüdischen Arzt, der die Familie in Afrika behandelt hat, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Propaganda stand.

Ihren Glauben an Gottes Fügung projiziert sie auf Hitler, kritisiert indes die NSDAP, aber nie Hitler direkt. Sie interpretiert die Geschehnisse als göttliche Strafe, als Anzeichen des Endes.

Leider endet ihre Erzählung kurz vor Kriegsende. Versagt ihre physische Kraft, oder ist es für sie zu schwer, die deutsche Niederlage in ihre Welt einzubinden?

Sabine Dänner und Waltraud Verlaguet

Enkelinnen von „Gustchen“

Bild 1: Elisabeth Wickert kurz vor ihrem Tod

Bild 2: Die erste Seite der Familienbibel, in die Elisabeth alle Daten der Familiengeschichte einträgt (mit Dank an Thomas Anschütz für die elektronische Aufarbeitung des im Original stark beschädigten Bildes).

1 Die von Elisabeth angegebenen Daten besagen, wann sie schreibt; sie sind rechtsbündig angegeben. Linksbündige Überschriften sind zu einer besseren Orientierung von uns aus dem Text erschlossen und geben das Jahr an, von dem sie erzählt.

Die Familie

Da Elisabeth für ihre Familie schreibt, der die verschiedenen Personen und Geschehnisse bekannt sind, ist der Erzählfaden für Außenstehende manchmal schwierig zu verfolgen. Aber da sie die Familienbibel sozusagen als Tagebuch benutzt und alle wichtigen Daten einträgt, wie es in pietistischen Kreisen üblich war, können wir die Familiengeschichte hier kurz skizzieren:

Elisabeth Wittrock

Geboren am 8. Mai 1857 in Rosche/Hannover, verstorben am 5. März 1947 in Hermannsburg, Tochter des Pfarrers Friedrich-Wilhelm Wittrock und der Emma geb. Sievers, achtes von dreizehn Kindern, von denen sieben überlebten.

Sie heiratete im Jahr 1880 in Berseba (Südafrika):

Adam Wickert

Geboren am 5. Dezember 1847 in Harle/Hessen, verstorben am 1. März 1901 in Morgensonne (Transvaal), Sohn des Cyriakus Wickert und der Catharina Elisabeth geb. Schaumlöffel (aus Elisabeths Erzählung erfahren wir, dass er später vom Pfarrer Braun adoptiert wurde).

Aus ihrer Ehe stammen acht Kinder

1881 (in Bethanie) Hermann Albert Werner Wilhelm (Willi): wird Kaufmann und heiratet 1915 in Bloemfontein Marga Dalldorf. Aus ihrer Ehe stammen vier Kinder:

Kurt Wickert

Karl-Heinz Wickert

Sonja Wickert

Gutta Wickert Über sein Ableben liegen uns keine Informationen vor.

1883 (in Linokana) Caroline Emma Helena Elisabeth (Elli): bleibt ledig und stirbt 1939 in Bloemfontein.

1885 (in Mahanaim) Theodor Wilhelm Winfried; wird Missionar in Indien und Afrika. In Indien heiratet er die Schwedin Elsa Blomstrand. Aus ihrer Ehe stammen sieben Kinder:

Ragni Wickert (1914)

Siegfried Wickert (1917)

Eskil Wickert (1918)

Ingrid Wickert (1921)

Gudrun Wickert (1924)

Barbara Wickert (1925)

Marianne Wickert

Winfried stirbt 1963 in Südafrika.

1887 (in Morgensonne) Ludwig Otto Walter; bleibt unverheiratet, wird Farmer in Deutsch-Südwestafrika und stirbt 1979.

1889 (in Morgensonne) Georg Karl Werner; bleibt unverheiratet, wird Beamter im Transvaal und gilt seit 1915 in Frankreich als vermisst.

1891 (Mahanaim) Heinrich Friedrich Hermann; dient bis 1918 als Marineoffizier und wird dann Kaufmann. 1926 heiratet er Herta Lange. Aus ihrer Ehe stammen zwei Kinder:

Günther Wickert (1929)

Christa Wickert (1935)

Hermann stirbt 1991 in Hermannsburg, Deutschland.

1894 (Mahanaim) Anna Albertina Augustae Emma ( Emmchen); heiratet 1925 John Jack Campbell. Sie leben zunächst in den USA, dann in Großbritannien. Aus ihrer Ehe stammen zwei Kinder:

Elisabeth Henny Campbell (1928)

Alexander Elmsli Campbell (1929)

1897 (Mahanaim) Mathilde Wilhelmina Auguste(Gustchen); heiratet 1923 in Hermannsburg(Deutschland) Karl Röther.

Aus ihrer Ehe stammen drei Kinder:

Olaf Röther (1925)

Jutta Röther (1926)

Waltraud Röther (1928)

Vergangenheit

In Gottes Namen!

Die ersten Jahre

Die Kinder haben mich schon so lange und so oft gebeten, meine alten Erinnerungen aufzuschreiben, damit sie auch was davon hätten. So will ich es versuchen. Aber es ist nur für Euch, geliebte Kinder, ich bin nicht Tante S., die für Blätter schreibt, ich bin bloß Oma und schreibe für Euch.

Da müsste ich ja nun eigentlich ganz in meine Kindheit zurückgehen nach Rosche, wo ich 1857 geboren bin als achtes Kind meiner Eltern, Pastor Wittrock. Meine erste Erinnerung ist, wie ich auf dem Schoße meiner Mutter sitze und zusehe wie der kleine Wagen zurechtgemacht wird, worin mein Bruder Werner und sein Freund Müllers Hermann mich spazieren fahren sollen. Wie alt ich gewesen, weiß ich nicht, ich denke so 3 oder 4 Jahre. Ich hatte zweimal schwere Lungenentzündung gehabt, wobei ich auch meine Stimme verloren.

Die zweite Erinnerung ist, wie die alte Kirche abgebrochen wurde, und an derselben Stelle eine neue, größere gebaut werden sollte. Alle Bänke kamen in den sehr großen Pfarrgarten und wurden unter den Bäumen aufgestellt. Die Kanzel war an einem großen Birnbaum und darunter stand der Altar. 0 wie herrlich konnten wir da spielen. Nun als die Kirche fertig war, sollte sie eingeweiht werden,

und dazu wollte der König von Hannover, Georg V.2, kommen, es muss wohl im Jahr 1865 gewesen sein. 0 was wurden da für Vorbereitungen getroffen. Der Weg durch das «Hohe Holz» wurde eben und hübsch gemacht, ganz bis Uelzen.

Endlich war der erwartete Tag da. Das Dorf so hübsch gemacht und der Weg vom Pfarrhaus nach der Kirche an beiden Seiten mit jungen Tannen bepflanzt, zu hübsch. Bei uns kam ein Großonkel, Probst(?) Sievers mit Frau, Tante Amalie, die sollte uns Kleinen betreuen. Wir standen im Hintergrund, wo wir schön sehen konnten. Und dann kamen die Wagen. Der König stieg aus, eine große, stattliche Gestalt, geführt vom Kronprinzen, und sein Adjutant. In der Tür stand meine Mutter und machte einen so tiefen Knicks und dann nahm der König ihre Hand und sie führte ihn ins Zimmer. Ich weiß nicht, ob sie erst eine Erfrischung nahmen oder ob sie gleich zur Kirche gingen. Und dann ging der Zug los. Erst alle Pastoren aus der ganzen Inspektion und noch weiter viele im Ornat. Dann kamen weißgekleidete Mädchen, die Blumen streuten, darunter meine Schwester Auguste, dann der König und Kronprinz und dann das übrige Gefolge. 0 diese Menschenmenge! Sie konnten natürlich nicht alle in die Kirche - meine Mutter kam halb erdrückt wieder zurück. Viele Leute benutzten die Gelegenheit, um im Garten sich Obst von den Bäumen zu schlagen. Unser Geschrei half natürlich nichts, bis ein Landjäger3 kam und die ganze Bande hinaustrieb.

Und dann kam die Kirche aus. 0 der König hatte der Kirche eine prachtvolle Orgel geschenkt, die auch mit eingeweiht wurde! Mein Vater erzählte nachher, ihm wäre doch etwas schwarz vor Augen geworden.

Und dann das Essen! Der königliche Koch mit seinen Trabanten war schon vorher gekommen, damit hatten meine Eltern nichts zu tun. Aber wir hatten herrliche Pfirsiche im Garten, die waren gerade reif und kamen mit auf den Tisch, es muss also wohl September gewesen sein. Nach dem Essen wollte der König die Kinder sehn. Meine beiden ältesten Brüder, Albert und Ludwig, waren da, Albert als Student und Ludwig war Seemann und hatte gerade Urlaub, er half auch bei Tisch mit bedienen. Der König sprach mit jedem; ich hatte mich dicht bei dem König auf einem Stuhl gerekelt und alles Winken von Mutters Seite aufzustehen nutzte nichts, ich blieb einfach sitzen. Dann kam meine Schwester Auguste. Der König strich ihr übers Gesicht: «Nun weiß ich wie du aussiehst4«, und dann gab er ihr einen Kuss. Dann kam ich. Und als ich schnell hochspringen wollte, kippte mein Stuhl um, und der König fasste zu und hielt mich und sagte: «Holla mein Mäuschen, nicht fallen.» (Und dies ist ganz gewiss wahr, aber es wurde mir immer abgestritten, was ich mir wohl einbildete, bis ich nach 30 Jahren einen Jungen fand, der es beobachtet hatte und es vor Gericht beschwören wollte, dass es so gewesen!!!!). Dann strich er über mein Gesicht und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Mein Bruder Ludwig war nicht zu finden trotz allem Suchen. Da sagte der Adjutant zum König: «Majestät, er war heute Mittag der Mundschenk.» Da ging ein Schmunzeln über des Königs Gesicht (das sehe ich heute noch!) und er sagte: «Ach so!»

Am anderen Tage war noch eine große Festlichkeit in Corrin bei Clenze, bei General von Knesebecks, da mussten meine Eltern auch noch hin, und dann kam das Jahr 66. Das ist ja geschichtlich bekannt, und was es im Gefolge hatte, ich will nichts darüber schreiben.

0 von Ludwig muss ich noch sagen, wo er endlich gefunden wurde. In seinem Bett unter dem Strohsack (wir hatten noch keine Matratzen, nur Strohsäcke!), um seinen Rausch auszuschlafen!!

Und dann hatten wir noch einen Pensionär, der nicht «richtig» war, er hieß «Amandus» Haus und war eines Rittmeisters Sohn. Er war harmlos, Amandus meine ich, und er hatte eine sehr fromme Mutter, die es auch durchsetzte, dass er in keine Anstalt kam, sondern zu uns. Die Pastoren waren damals noch nicht so gestellt wie heute und meinen Eltern ging es man sehr knapp bei den vielen Kindern; da nahmen sie Pensionäre, das half dann etwas.

Was Amandus tat, weiß ich nicht, aber er fing auf dem Heuboden die Ratten mit den Händen und dann band er sie mit den Schwänzen zusammen und zog mit ihnen durchs Dorf, und natürlich Kinder hinterher, und warf sie in die «Beeke»! Ach, ich könnte noch so viel erzählen, aber es wird zu weitläufig; es war eine ganz herrliche Kinderzeit, die ich in dem lieben Rosche erlebt habe.

1866

Ich glaube, es war im Mai 1866, da wurde mein Vater nach Römstedt versetzt. Rosche war eine sehr große Gemeinde, ich glaube 25 Dörfer und die fernsten waren 3 Stunden und Räder gab es damals noch nicht, alles zu Fuß ablaufen, da reichten schließlich die Kräfte nicht mehr. Dazu hatte mein Vater die furchtbare Choleraepidemie mit durchgemacht, immer unterwegs, auch die Gemeinde Hirnbergen musste er mit versorgen, denn der Pastor war einfach in ein Bad gegangen und überließ die Gemeinde sich selbst.

Da kamen sie zu meinem Vater nach Rosche. Das ging so lange, bis mein Vater sie auch bekam5. Aber er wurde wunderbar behütet und überstand sie, und als die Epidemie vorbei war, wurde er zum König befohlen nach Hannover und der sprach so lieb und hübsch mit ihm und dann bekam er einen Orden, den er bei festlichen Gelegenheiten ansteckte. Ja diese alten Erinnerungen, zu schön.

Nun aber nach Römstedt. Es waren nur 7 Dörfer und alle 1/2 Stunde vom Pfarrdorf entfernt. Da war es wirklich bequem.

Das Pfarrhaus war bei unserm Vorgänger, Pastor Jordan, abgebrannt, und das neue war noch nicht fertig, so mussten wir 1 Jahr in einem ganz nahen Nachbarort wohnen, in einem kleinen Häuschen, das sich ein Schneider Endermann gebaut hatte und da wir nun hereinzogen, blieb Endermann in seiner alten Kate solange. Ach war das schön. Wir mussten ja nach Römstedt zur Schule, ich war 9 Jahre alt, und nicht weit vom Hause floss die Beeke, wirklich ein Graben nur, aber wenn es viel regnete, wurde es ein reißender Strom und überschwemmte alles. Einmal, gerade als wir in Nottorf wohnten, war es auch furchtbar, alles ein See und die Straße nach Römstedt ganz weggerissen. Das Wasser brüllte man so. Dann kamen von den Höfen verschiedene Knechte, nahmen uns Kleinen auf den Buckel und trugen uns durch, und mittags kamen Knechte aus Römstedt und trugen uns durch. Dann wurde die Straße aber höher gelegt, so was passierte nicht wieder.

Nachtrag

Von 1866 muss ich noch etwas erzählen. Als wir noch im drögen Nottorf in dem Endermannschen Hause wohnten, kam eines Tages ein Händler und wollte was verkaufen, Mutter hatte nichts nötig und wollte nichts kaufen, da wurde er frech und schimpfte über das Königshaus, besonders über unsere liebe Königin Maria. Plötzlich öffnet sich Vaters Stubentür und Vater kommt heraus (er war solch großer stattlicher Mann!) macht die Haustür auf, und sagt zum Händler: «Hinaus!» Der wollte aber nicht, da gab er ihm einen Schubs und er flog heraus, fiel auf die Erde. Vater machte die Tür zu. Dann krabbelte der Kerl draußen sich hoch und fing wieder an zu schimpfen auf die Königin. Plötzlich macht Vater die Tür auf, mit einem Sprung draußen, packt den Kerl und schmeißt ihn die Stufen hinunter auf die Straße. Da rappelt der Kerl sich wieder auf und will wieder loslegen, da kommen aber aus den Wiesen die Knechte, die sich dies mit angesehen haben, mit ihren Hacken und Harken, und Vater sagte ihnen und zeigte auf den Kerl: «Haut ihn.» Da konnte der Kerl aber laufen und die Knechte mit Hurrah hinter ihm her, und wir Kinder natürlich auch. Wie weit sie ihn verfolgten, wweiß ich nicht mehr, sicher bis nach Römstedt.

Etwas Niedliches muss ich noch erzählen. Bei Endermanns wohnte ein Arbeiter Müller, er hatte einen kleinen Jungen Heinrich, 1 Jahr älter als mein Bruder Friedrich, der wohl 4 Jahr alt war, die beiden Jungen spielten schön zusammen. Unsere liebe Mutter erzählte uns immer schön die biblischen Geschichten und sie hatte uns gerade die Geschichte von Petrus erzählt, wie er auf dem Wasser dem Herrn Jesus entgegen gehen will und dann anfängt zu sinken und ruft: «Herr hilf mir, ich verderbe.» Und der Herr fasst seine Hand und rettet ihn. Nun war die Beeke wieder ganz schrecklich voll, das Wasser gurgelte man so, es war ein richtiger Strom, und besonders bei der Brücke war es arg und da spielten die beiden Jungen. Friedrich kam wohl zu nah und fiel hinein und trieb ab. Da rief er: «Müller helf mich, ich verderbe!» Und der kleine Müller war so gewandt, er lief am Fluss herunter wo er enger war und Büsche standen und als Friedrich da angetrieben kam, packte er ihn und zog ihn heraus. Und da kam unser Mädchen Dortchen auch angerannt, die das Geschrei gehört. Die brachte die beiden kleinen Jungen dann ins Haus. Wie dankten wir dem treuen Gott, dass er unsern kleinen Friedrich so bewahrt und den kleinen Heinrich!

Nun muss ich noch etwas von Rosche erzählen. Es war im Jahr 65, da starb in Hermannsburg der große Gottesmann Louis Harms. Den kennt ihr ja alle, den großen Erweckungsmann, der die tote Gemeinde Hermannsburg aufweckte.

Ich habe ihn nicht mehr gekannt, aber mein Vater hat uns viel von ihm erzählt, denn seit ihrer Kandidatur waren die beiden sehr, sehr befreundet und fast könnte ich sagen, Vater hat die Mission mitgegründet. Nun, eines Tages kam ich in Vaters Stube. Da ging er immer hin und her in der Stube, und meine Mutter saß am Fenster und weinte. Da sagte Vater: «Wie kann Gott uns diesen Mann schon nehmen.» Harms war sehr leidend, er konnte zuletzt nicht mehr gehen und wurde in einem Rollwagen gefahren, sein Ende war für ihn eine rechte Erlösung, aber für die Gemeinde ein schwerer Schlag. Dann kam 66 und dieser furchtbare Krieg, wo alles anders wurde. Da sagte Vater mal: «Ja der Gerechte wird vor dem Unglück weggenommen.»

Wie hätte dies den lieben Louis Harms getroffen, er hing so an seinem Fürstenhause. Nach ihm kam sein Bruder Theodor Harms nach Hermannsburg, auch ein sehr treuer, tüchtiger Pastor und mein Vater und er freundeten sich auch an, so sind wir immer etwas mit den Harms verbunden gewesen.

Als wir in Römstedt einfuhren und erst nach Nottorf mussten, kamen wir am Friedhof vorbei. Da sagte Vater zu Mutter: «Hier wollen wir beide ruhn.» Auf den beiden Friedhöfen der vorigen Gemeinden, Brökel und Rosche, lagen je 2 kleine Geschwister beerdigt, und nun dachte Vater es sich so. Aber es kam ganz anders. Hier auf dem Römstedter Friedhof liegen auch noch 2 meiner Geschwister, Maria und später noch Ernst August, wir waren 13 Geschwister, 6 starben klein, die anderen 7 lebten.

Ich war nun die Zweitjüngste, mein Bruder Friedrich der Jüngste. Jetzt ist alles tot, ich bin noch die Einzige von der Familie und ich bin jetzt 81 Jahre alt.

Ich habe eine lange Pause gemacht mit Schreiben, ich war sehr lange und sehr schwer krank. Niemand hat gedacht, dass ich wieder durchkäme, der Arzt sagte, es wäre direkt ein Wunder, meine jüngste Tochter Gustchen war 5 Wochen hier und hat mich treu gepflegt. Jetzt darf ich noch nicht heraus, diesen ganzen Winter noch nicht, wir haben heute den 1. März, aber ich denke, wenn es erst wärmer wird, kann ich hinaus, darauf freue ich mich schon. Und wo ich doch nun immer in der Stube sitzen muss, will ich versuchen, etwas weiterzuschreiben.

Ja, in Römstedt habe ich eine sehr glückliche Kinderzeit verlebt, da kam der Verstand schon dazu, man sah und merkte alles. Meine geliebte Mutter hatte Gicht und war sehr kröppelig, sie konnte weiter nie allein gehen und da war ich ihre Stütze, sie legte ihren Arm auf meine Hüfte, dann ging es sehr gut. Sie war eine kleine, zierliche Frau und mein Vater groß und stattlich. Wenn die Eltern dann Besuche in der Gemeinde machten, musste ich immer mit, und dadurch habe ich die Leute gut kennengelernt.

Nach einem Jahr zogen wir in das neue Pfarrhaus ein, sehr groß und geräumig. Aber meine kleine Schwester Marie hatte uns schon verlassen und ruhte auf dem Friedhof. Wenn in den großen Sommerferien meine Brüder kamen, machten wir jedes Mal eine Tour nach der Göhrde, ein großer königlicher Forst mit viel Wild, ganz eingezäunt und viele Beamte, die dafür angestellt waren. Wenn aus dem Himberger Pfarrhaus jemand mitwollte, der wurde mitgenommen.

An irgendeiner schönen Stelle wurde gefrühstückt, o wie schmeckte das gut, allerlei schöne Sachen wurden vom Wagen geholt, und wir suchten Bickbeeren und sahen dann das Wild grasen. Vor den wilden Schweinen hatte ich immer Angst. Dann fuhren wir nach «Göhrdehof», wo alle die hohen Forstbeamten wohnten, und die benachbarten Pastoren mit ihren Familien kamen auch, da war dann ein großes gemeinsames Mittagessen. Dann machte Vater seine Besuche bei den Beamten und sie kamen dann und begrüßten meine Mutter, die ja nicht mitgehen konnte.

Dann wurde das Schloss besehen, denn zu der großen Hofjagd kam doch der König, da habe ich das reizend eingerichtete Schlösschen noch zu Georg V. Zeiten gesehen. Dann das große Gebäude, wo die Offiziere und Beamten drin wohnten. Gleich wenn man hereinkam, stand da ein großer ausgestopfter Wolf, der hatte sich mal nach der Göhrde verirrt und richtete viel Schaden und Schrecken an, sodass eine große Treibjagd auf ihn gehalten werden sollte. Das war noch unter der Kurfürsten Zeiten. Der Vater von König Georg, der Kurfürst, konnte nicht gut Deutsch sprechen, er war ja ein Engländer. Na, unter diesen Jägern war einer, der hatte das «Wechselfieber», aber er wollte diese Jagd doch gern mitmachen. Da hört er im Busch neben sich solch merkwürdiges Geräusch, und als er genau zusieht, steht der Wolf da, und er schießt und schießt ihn mausetot! Später wird er an den Hof nach Hannover befohlen, und muss da auf einer großen Hofgesellschaft alles erzählen, auch diese Laute nachmachen, die er vom Wolf gehört hat. Da schreien die Damen, und da sagt der König mit Lachen: «Haha, fürchte sich vor die dote Wolf.» Und dann wurde er ausgestopft und kam in das Schloss in der Göhrde.

Nach 66, als König Wilhelm die erste Hofjagd abhalten wollte, war das Königsschloss ganz ausgeräumt, alles war über Seite gebracht, heimlich, von den treuen Beamten.

Dann kriegten die Pastoren, durch deren Dörfer der König kommen musste, den Befehl von den neuen preußischen Beamten, die alten waren alle abgegangen, sie sollten im Ornat an der Ehrenpforte stehen mit den Schulkindern und singen und die Glocken sollten läuten. Da weigerten sich alle, Bevensen, Römstedt und Eimbergen, sie hätten dem König Georg den Eid geleistet, und wären noch nicht von ihm entbunden, dies könnten sie nicht. «Dann werden Sie abgesetzt,» sagte der Beamte. Als der König Wilhelm dies hörte, wollte er nicht hin zur Hofjagd, aber es wurden Leute hingeschickt, die da mal nachsehen mussten, und da sahen sie, dass alle Häuser leer waren. Da fuhren die großen Wagen voll Möbeln quer durch Römstedt, denn damals war die Bahn noch nicht bis dort gelegt, jetzt ist das ja anders. Und als alles fertig war (der Wolf kam bei der Gelegenheit oben auf den Boden, ob er noch da ist, weiß ich nicht), da fuhr König Wilhelm eines Abends ganz still durch Römstedt, und es ist man eine sehr traurige Hofjagd gewesen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, ich glaube nicht, dass der König jedes Jahr zur Jagd kam. Das weiß ich nicht mehr, wie das kam, aber es wurde doch nachher ein Predigerseminar, vielleicht könnt ihr das mal herausfinden, es ist ja alles so anders geworden in der lieben alten Göhrde. Die alten Beamten sind lange weg, ich glaube, jetzt ist da nicht viel mehr los, ach manchmal habe ich richtig Heimweh nach der lieben alten Göhrde und den alten Zeiten.

Ja das muss ich noch sagen: Als dem König Georg, der ja in Wien in der Verbannung lebte, das hinterbracht wurde, dass die Pastoren sich geweigert hatten, zu singen, und nun wohl abgesetzt würden, da schickte er sofort Order, die entband sie ihres Eides zu ihm, und damit war die Geschichte erledigt.

1870