Eine kurze Geschichte der Trunkenheit - Mark Forsyth - E-Book
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Eine kurze Geschichte der Trunkenheit E-Book

Mark Forsyth

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Beschreibung

Kenntnisreich und berauschend witzig beschreibt Mark Forsyth in seiner feuchtfröhlichen Kulturgeschichte des Betrunkenseins, warum wir evolutionär danach streben, dem Alkohol zuzusprechen. Seriös und voller Enthusiasmus berichtet er von alten Ägyptern mit Schlagseite, Weintrinkern im antiken Griechenland und sternhagelvollen Wikingern, die wie uns ihre Liebe zum Alkohol einte. Was mit angeschickerten Einzellern in der Ursuppe begann, setzte sich historisch in der immerwährenden menschlichen Tendenz fest, lieber häufiger als seltener zu tief ins Glas zu schauen. Zu jeder Zeit, an jedem Ort der Welt hat eine jede Kultur sich dem alkoholischen Rausch ergeben oder ihn – zweifelsohne erfolglos – bekämpft. Trunkenheit war und ist eine Anhäufung von Widersprüchen, die mal Streit, mal Frieden stiftet. Für die Perser eine Voraussetzung zur politischen Debatte, war sie für die alten Griechen ein Mittel zur Selbstdisziplinierung und im antiken Ägypten Bedingung für spirituelle Ekstase und Erleuchtung. Sich einen zu genehmigen kann religiöse oder sexuelle Gründe haben, es kann Könige stürzen und Bauern erheben. Höchst informativ und amüsant beschreibt Mark Forsyth, womit sich die Menschen zuschütteten, wer einen über den Durst trank und warum – aus den zahllosen möglichen Gründen – die Menschheit bis heute nicht vom Alkohol loskommt. Dies ist, im besten Sinne, die Geschichte der angesäuselten Welt.

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Seitenzahl: 303

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Mark Forsyth

Eine kurze Geschichte der Trunkenheit

Der Homo alcoholicus von der Steinzeit bis heute

Aus dem Englischen von Dieter Fuchs

Klett-Cotta

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »A Short History of Drunkenness. How, Why, Where and When Humankind Has Got Merry from the Stone Age to the Present« im Verlag Penguin Books Ltd., London 2017

© 2017 by Mark Forsyth

Für die deutsche Ausgabe

© 2019, 2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg nach einem Entwurf von Penguin Books, UK unter Verwendung mehrerer Illustrationen von © Penguin Books, UK

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN978-3-608-96483-7

E-Book: ISBN 978-3-608-11583-3

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Einführung

Kapitel 1

Evolution

Kapitel 2

Die Urgeschichte des Trinkens

Kapitel 3

Sumerisches Schankwesen

Kapitel 4

Das alte Ägypten

Kapitel 5

Das griechische Symposion

Kapitel 6

Alkohol im alten China

Kapitel 7

Die Bibel

Kapitel 8

Das Convivium der Römer

Kapitel 9

Das dunkle Zeitalter

Kapitel 10

Trinken im Nahen Osten

Kapitel 11

Die Wikinger und ihr Sumbel

Kapitel 12

Im englischen Alehouse

Kapitel 13

Die Azteken

Kapitel 14

Die Gin-Epidemie

Kapitel 15

Australien

Kapitel 16

Der Wildwest-Saloon

Kapitel 17

Mütterchen Russland

Kapitel 18

Die Prohibition

Epilog

Bibliografie

Dank

Einführung

Leider weiß ich überhaupt nicht, was Trunkenheit ist. Das mag für jemanden, der eine Geschichte eben dieser Trunkenheit schreiben will, ein merkwürdiges Geständnis sein, aber mal ganz ehrlich: Wenn sich Autoren durch Kleinigkeiten wie etwa Unkenntnis vom Schreiben abhalten lassen würden, wären die Buchhandlungen leer. Ich würde aber sagen, dass ich zumindest grob weiß, worum es geht. Seit dem zarten Alter von vierzehn Jahren habe ich ausgiebige empirische Studien zur Trunkenheit betrieben. In vielerlei Hinsicht sehe ich mich daher in der Nachfolge des heiligen Augustinus, der philosophiert hat: »Was ist die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es. Wenn ich es einem erklären will, der danach fragt, weiß ich es nicht.« Man ersetze Zeit durch Trunkenheit, dann versteht man in etwa meine heiligenmäßige Situation.

Ich kenne die grundlegenden medizinischen Fakten. Ein paar Gin Tonics beeinträchtigen deine Reflexe. Ein Dutzend oder mehr bringen dich in erneuten Kontakt mit deinem Mittagessen und erschweren dir das Aufstehen. Eine ungewisse Anzahl, deren Präzisierung ich aber nicht leisten möchte, bedeutet deinen Tod. Nur handelt es sich dabei nicht um das, was unserem Wissen nach die Trunkenheit (im Sinne des Augustinus) ist. Wenn ein Außerirdischer an die Tür klopfen und fragen würde, warum die Menschen auf diesem eigenartigen Planeten Alkohol trinken, wäre meine Antwort wohl kaum: »Ach, das tun wir nur, um unsere Reflexe zu beeinträchtigen. Auf die Art werden wir nicht allzu gut im Tischtennis.«

Als weiteres Detail wird an diesem Punkt gern angeführt, dass Alkohol die Hemmschwelle senkt. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Ich mache in bedüdeltem Zustand Dinge, die mir nüchtern nicht einmal im Traum einfallen würden. Zum Beispiel rede ich stundenlang mit Leuten, die mich bei klarem Verstand zu Tode langweilen würden. Ich weiß noch genau, wie ich mich einmal im Londoner Stadtteil Camden aus dem Fenster gehängt, mit einem Kruzifix herumgewedelt und die Passanten zur Buße aufgerufen habe. Das ist definitiv nichts, was ich nüchtern gern machen würde, mich aber bloß nicht traue.

Verrückt nur, dass manche Auswirkungen des Alkohols gar nicht vom Alkohol kommen. Nichts ist einfacher, als alkoholfreies Bier auszuschenken und den Leuten zu verschweigen, dass da keinerlei Prozente enthalten sind. Ab da sieht man ihnen einfach beim Trinken zu und schreibt mit. Soziologen machen sowas ständig, und die Resultate sind immer so eindeutig wie konsistent. Zunächst zeigt sich, dass einem Soziologen am Tresen niemals getraut werden darf – man muss diese Leute im Gegenteil mit Argusaugen beobachten. Zweitens wird man als jemand, der aus einer Kultur kommt, in der Alkohol einen aggressiv machen soll, genau das: aggressiv. Entstammt man einer Kultur, in der Alkohol die Andacht befördern soll, wird man schwuppdiwupp aber auch sowas von andächtig. Man kann das sogar von Trinksituation zu Trinksituation verändern. Sagt dieser Windhund von Soziologe, er würde den Zusammenhang von Trunkenheit und Libido untersuchen, sind alle plötzlich ganz libidinös. Sagt er aber, es geht ums Singen, fängt jeder sofort an zu grölen.

Die Leute verhalten sich auch unterschiedlich, je nach dem, in welcher Form sie ihren Stoff einnehmen. Wenngleich der wirksame Bestandteil – Ethanol, auch Äthylalkohol genannt – durchgehend derselbe ist, kommt es je nach Herkunft und kultureller Bedeutung des Getränks zu ganz unterschiedlichem Benehmen. Leute aus England werden in der Regel aggressiv, wenn sie ein paar Pints Lager-Bier intus haben, nur gebe man ihnen ein Glas Wein – der mit Schick-Sein und Frankreich in Verbindung gebracht wird –, und schon sind sie ganz sittsam und weltläufig, wenn ihnen in schweren Fällen nicht sogar eine Baskenmütze wächst. Es hat schon seinen Grund, dass es Pint-Proleten gibt und nicht etwa Wermut-Vandalen oder Campari-Chaoten.

Manche Leute werden ziemlich sauer, wenn man ihnen das sagt. Sie bestehen darauf, dass Alkohol genau das befördert, was immer sie auch am meisten hassen – sagen wir mal, Gewalt. Weist man sie darauf hin, dass Kulturen, in denen Alkohol verboten ist, trotzdem gewalttätig sind, schnauben sie nur verächtlich. Wenn ich mit einiger Berechtigung sage, dass ich zwar deutlich mehr als die meisten trinke, aber niemanden geschlagen habe, seit ich ungefähr acht war (bevor alkoholisierende Substanzen meine friedlichen Lippen berührt haben), antworten sie: »Ja, okay, aber wie ist das bei anderen?« Es sind scheiße nochmal immer die anderen – diese anderen sind echt die Hölle. Wobei der Großteil der Menschheit bei einem netten Abendessen über Stunden saufen kann, auch ohne dass der Tischnachbar zur Rechten irgendwann ein Messer in den Rippen hat.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass man sich plötzlich in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzen könnte, wäre ein alter Ägypter wohl ziemlich erstaunt darüber, dass man nicht trinkt, um eine Vision der löwenköpfigen Göttin Hathor zu haben – ich dachte, das würde jeder tun. Und ein steinzeitlicher Schamane hätte wenig Verständnis dafür, dass unsereiner nicht mit seinen Ahnen kommuniziert. Ein Suri aus Äthiopien würde hingegen nachfragen, warum man noch nicht mit der Arbeit angefangen hat. Genau das tun die Suri nämlich, wenn sie trinken, denn wie heißt es doch so schön: »Wo kein Bier, da auch keine Arbeit.« Als kleines Detail am Rande sei erwähnt, dass man so etwas transitionales Trinken oder Übergangstrinken nennt: man trinkt, um den Wechsel von einem Tagesabschnitt zum nächsten zu kennzeichnen. In England trinkt man, weil die Arbeit beendet ist; bei den Suri tut man es, weil sie begonnen hat.

Um das noch in eine ganz andere Richtung zu drehen: Als Margaret Thatcher starb, wurde sie nicht mit ihren Weingläsern und einem Großhandelseinkauf an Spirituosen beerdigt. Das hielt jeder für völlig normal. Tatsächlich wäre es uns ziemlich seltsam vorgekommen, hätte man es getan. Nur dass wir die Seltsamen sind, die Durchgeknallten, die Exzentriker. Fast über die Gesamtheit der erforschten Menschheitsgeschichte wurden politische Führer mit allem bestattet, was man für ein anständiges postmortales Besäufnis braucht. Das geht zurück bis zu König Midas, dem proto-dynastischen Ägypten, den Schamanen im alten China und – scheiße noch mal – NATÜRLICH auch den Wikingern. Selbst die, die längst nicht mehr atmen, freuen sich ab und zu über ein bisschen Unvernunft – man frage nur den kenianischen Stamm der Tiriki, wo man Bier auf die Gräber der Vorfahren kippt, um da ganz sicher zu gehen.

Trunkenheit ist so gut wie universell. Fast jede Kultur auf der Welt verfügt über Stoff. Die einzigen, die nicht allzu scharf darauf waren – Nordamerika und Australien –, wurden von denen kolonisiert, die ein positives Verhältnis dazu hatten. Und zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort kann Trunkenheit etwas vollkommen anderes sein. Eine Feier, ein Ritual, ein Vorwand, um Leute zu vermöbeln, eine Art der Entscheidungsfindung oder der Inkraftsetzung von Vereinbarungen, dazu noch eintausend andere merkwürdige Praktiken. Wenn die alten Perser etwas beschließen mussten, diskutierten sie das Problem zwei Mal: einmal betrunken und einmal nüchtern. Wenn sie beide Male zum gleichen Ergebnis kamen, handelten sie entsprechend.

Genau darum dreht sich dieses Buch. Es geht nicht um den Alkohol als solchen, sondern um die Trunkenheit: ihre Fallstricke und ihre Götter. Von Ninkasi, der sumerischen Biergöttin, bis hin zu den 400 betrunkenen Kaninchen in Mexiko.

Ein paar Dinge, bevor wir loslegen. Erstens: Dies ist eine kurze Geschichte. Eine vollständige Geschichte der Trunkenheit würde eine vollständige Geschichte der Menschheit darstellen und somit viel zu viel Papier verbrauchen. Stattdessen beschränke ich mich bei Erkundung der Mittel und Wege, mit denen die Menschen sich volllaufen ließen, auf bestimmte historische Momente. Wie ging es in einem Wildwest-Saloon tatsächlich zu – oder in einem Alehouse im mittelalterlichen England oder bei einem antiken Symposion? Was genau tat ein ägyptisches Mädchen, wenn es mal richtig auf die Kacke hauen wollte? Natürlich ist jeder Abend anders, aber trotzdem kann man einen ganz guten, wenngleich tendenziell verschwommenen Eindruck gewinnen.

In den Geschichtsbüchern steht durchaus mal, dass dieser oder jener betrunken war, aber auf die genauen Umstände und Details verzichtet man. Wo fand das statt? In welcher Gesellschaft? Zu welcher Tageszeit? Das Trinken war immer und überall in feste Regeln eingebunden, nur hat man sie in den seltensten Fällen niedergeschrieben. Zum Beispiel weiß im heutigen Großbritannien auch ohne ein dahingehendes Gesetz jeder, dass Trinken vor dem Mittag verboten ist, außer – aus unerfindlichen Gründen – am Flughafen oder bei einem Cricket-Match.

Aber inmitten aller Regeln herrscht ungebremste Trunkenheit. Die Anarchistin bei der Cocktailparty. Sie (ich denke, es ist eine sie, wie bei Gottheiten des Trunks für gewöhnlich der Fall) ist die, auf die ich mein Augenmerk richten will. Idealerweise kann ich sie festnehmen und ein Fahndungsfoto von ihr machen, wobei ich nicht sicher bin, ob das wirklich geht. Wenn doch, hätte ich in dem Moment, in dem mich der neugierige Außerirdische nach dem Wesen der Trunkenheit fragt, etwas zum Vorzeigen.

Kapitel 1

Evolution

We must recall that Nature’s laws

Are generally sound.

And everywhere, for some good cause,

Some alcohol is found.

There’s alcohol in plant and tree:

It must be Nature’s plan,

That there should be, in fair degree,

Some alcohol in Man.1

A. P. Herbert (1956)

Noch bevor wir zu Menschen wurden, waren wir Trinker. Alkohol kommt in der Natur vor, und zwar von Anfang an. Als das Leben vor vier Milliarden Jahren oder so begann, tat es das in Form von einzelligen Mikroben, die selig in einer sogenannten Ursuppe herumdümpelten, sich von Einfachzucker ernährten und Ethanol sowie Kohlendioxid ausschieden. Sie pissten also quasi Bier.

Zum Glück entwickelte sich das Leben weiter und erzeugte Bäume und Obst. Und Obst, das verfault oder verrottet, fermentiert beziehungsweise gärt auf ganz natürliche Weise. Durch Gärung entstehen Zucker und Alkohol, und Fruchtfliegen werden angezogen und laben sich daran. Es ist nicht bekannt, ob Fruchtfliegen auf eine Art und Weise betrunken werden, die uns Menschen verständlich wäre. Sie können ja von Haus aus weder richtig reden, noch Lieder singen, noch Auto fahren. Nachgewiesen ist einzig und allein, dass ein Fruchtfliegenmännchen, dessen romantische Avancen von einem gemeinen, hochnäsigen Weibchen abgewiesen werden, seinen Alkoholkonsum drastisch steigert.

Die Tierwelt hat aber insgesamt das Pech, dass der natürlich vorkommende Alkohol bei weitem nicht ausreicht, um Partys zu feiern. Na gut, manchmal schon. Vor der Küste von Panama liegt eine Insel, auf der sich die Mantelbrüllaffen an den heruntergefallenen Früchten der Astrocaryum-Palme gütlich tun können (mit 4,5 % Alkoholgehalt). Erst werden sie ausgelassen und laut, dann schläfrig und unkoordiniert, und dann fallen sie manchmal aus ihren Bäumen und tun sich weh. Bezogen auf ihr Körpergewicht kippen sie sich schon mal das Äquivalent zu zwei Flaschen Wein in dreißig Minuten rein. Nur bilden sie die Ausnahme. Für den Großteil der Tierwelt gilt, dass es einfach zu wenig Alkohol gibt, um alle eindecken zu können. Außer man hat das Glück, dass ein netter Forscher einen einfängt, an einem Laborversuch teilnehmen lässt und mit dem Zeug traktiert.

Betrunkene Tiere sind ziemlich lustig. Wissenschaftler, die über ausgetüftelte Experimente herausfinden wollen, wie sich Alkohol auf das Gehirn und das Verhalten unserer vierbeinigen Cousins auswirkt, kichern vermutlich die ganze Zeit vor sich hin. Was geschieht, wenn man einer Ratte ein winziges Schlückchen oder vielleicht sogar eine unbegrenzte Menge Alkohol verpasst? Und was passiert, wenn man einer ganzen Rattenkolonie freien Zugang zur Bar gewährt?

Tatsächlich verhalten sie sich recht zivilisiert. Die ersten paar Tage allerdings nicht. Zu Beginn drehen sie ein bisschen durch, aber dann beschränken sich die meisten auf zwei Drinks pro Tag: einen vor der Nahrungsaufnahme (was die Wissenschaftler als Cocktail-Stunde bezeichnen) und einen vor dem Schlafengehen (den sogenannten Absacker). Alle drei oder vier Tage kommt es zu einem erhöhten Alkoholkonsum, denn da tun sich alle zu kleinen Rattenpartys zusammen. Das klingt so idyllisch, dass sich der eine oder andere vielleicht bedauert, nicht als Ratte zur Welt gekommen zu sein. Dabei sollte man aber zwei Dinge bedenken: erstens sind nicht alle Ratten so glücklich, in den Genuss eines Laborversuchs zu kommen; zweitens hat die mausspezifische Trunkenheit auch ihre Schattenseite. Rattenkolonien haben in der Regel ein dominantes Männchen, den Rattenkönig. Dieser ist knallharter Abstinenzler. Der Alkoholkonsum ist bei denjenigen Männchen am höchsten, die in der sozialen Hierarchie ganz unten rangieren. Sie trinken, um ihre Nerven zu beruhigen, sie trinken, um ihre Sorgen zu vergessen – sie trinken, so wie es aussieht, weil sie sich als Versager fühlen.

Und das ist vielleicht das größte Problem beim Studium tierischer Trunkenheit. Es ist derart stressig, eingesperrt zu sein und manipuliert und zu diesem oder jenem bewegt zu werden, dass das arme Vieh zu jedem angebotenen Rauschmittel greift. Im umgekehrten Fall wäre das ja wohl genau so. Wenn mich eine Horde Orang-Utans einfangen würde, um mich dann in die Baumkronen Borneos zu verschleppen und mir dort oben trockene Martinis anzubieten, würde ich sie auch exen, allein schon wegen meiner Höhenangst.

Wissenschaftler müssen also sanfte Methoden entwickeln, mit denen Tieren Alkohol verabreicht werden kann, ohne sie zu erschrecken. Das gilt ganz besonders für Elefanten, denn einen betrunkenen Elefanten sollte man unter gar keinen Umständen erschrecken. Diese Tiere werden gewalttätig. Im Jahr 1985 verschaffte sich in Indien eine Elefantenherde Zugang zu einer Destillerie, was ziemlich verheerende Folgen hatte. Die einhundertfünfzig Tiere gerieten in einen Zustand betrunkener Kampfbereitschaft, rasteten komplett aus und fingen an zu randalieren. Sie brachten sieben Betongebäude zum Einsturz und trampelten fünf Menschen tot. Sagen wir so: Ein betrunkener Elefant ist bereits einer zu viel, aber einhundertfünfzig sind richtig problematisch.

Man kann das Ganze in kontrollierterer Form in einem Naturpark machen. Dazu lädt man ein paar Fässer Bier auf die Ladefläche eines Pick-ups, düst in die Nähe der jeweiligen Elefanten, öffnet die Deckel und lässt sie probieren. Üblicherweise wird ein bisschen gedrängelt und geschubst, woraufhin die großen Elefantenbullen das meiste abkriegen. Ab da kann man zusehen, wie die Tiere herumstolpern und irgendwann einschlafen und sich dabei köstlich amüsieren. Wobei auch das schiefgehen kann. Ein Wissenschaftler, der einem dominanten Bullen erlaubte, sich allzu sehr die Kante zu geben, stand plötzlich vor dem Problem, einen Streit zwischen einem angesäuselten Elefanten und einem Nashorn schlichten zu müssen. Normalerweise greifen Elefanten keine Nashörner an, aber das Bier macht sie aggressiv.

Ungefährlicher ist die Sache, wenn man sich an Ameisen hält. Es gab mal eine Theorie, nach der Ameisen über Passwörter verfügen. Ameisen leben in Kolonien und lassen fremde Ameisen, also Bewohner anderer Kolonien, nicht in ihren Bau. Das wirft die Frage auf, woher sie denn wissen, wer jetzt wer ist? So seltsam die Passwort-Theorie anmutet, war sie unter viktorianischen Naturforschern sehr populär, bis sie nach einigen Experimenten in den 1870ern von Sir John Lubbock, erster Baron Avebury, komplett entkräftet wurde:

Es wurde vermutet, dass die Ameisen eines Baus ein Zeichen oder Losungswort haben, anhand dessen sie sich gegenseitig erkennen. Um das zu überprüfen, probierte ich es mit Betäubung. Zunächst nahm ich Chloroform; das wirkte aber tödlich, und … ich hielt den Versuch nicht für befriedigend. Also beschloss ich, sie in einen Rauschzustand zu versetzen. Nur war das gar nicht so leicht wie gedacht. Keine meiner Ameisen wollte sich freiwillig dazu herablassen, betrunken zu werden. Ich überwand das Problem, indem ich sie für ein paar Sekunden in Whisky gab. Ich nahm fünfzig Ameisen – fünfundzwanzig aus einem Bau, weitere fünfundzwanzig aus einem anderen –, und machte sie betrunken, markierte jede mit einem farbigen Punkt und setzte sie auf eine Fläche, direkt neben andere, momentan mit Nahrungsaufnahme beschäftigte Ameisen aus einem der beiden Baue. Wie bisher war rings um die Fläche ein Wassergraben, damit sie nicht weglaufen konnten. Rasch bemerkten die fressenden Ameisen die von mir betrunken gemachten. Sie waren recht erstaunt, ihre Artgenossen in einem derart beschämenden Zustand vorzufinden, und waren genauso unsicher wie mit den Betrunkenen umzugehen sei, wie wir es für gewöhnlich sind. Dies ging eine Weile so, aber nach einigem Hin und Her trugen sie diese einfach weg; die Fremden schleppten sie an den Rand des Grabens und warfen sie hinein, während sie ihre Freunde heim in den Bau brachten, wo diese nach und nach die Auswirkungen des Alkohols wegschliefen. Dies ist der Beweis dafür, dass sie ihre Freunde auch dann erkennen, wenn diese unfähig sind, ein Erkennungszeichen oder Losungswort zu geben.

Das mag albern und vielleicht sogar verschroben wirken, aber die Parallelen von menschlicher und tierischer Trunkenheit, die Art und Weise, wie sich die Pelzartigen in den Glatthäutigen spiegeln, bewirkte in der Tat den größten Fortschritt innerhalb der viktorianischen Biologie. Charles Darwin fand betrunkene Affen zum Brüllen. Das sind sie auch. Aber darüber hinaus erkannte er eine tiefere Bedeutung. Vollkommen begeistert war er etwa von der Methode, mit der man einen Pavian fängt:

Brehm behauptet, dass die Eingeborenen Nordost-Afrikas Affen dadurch einfangen, dass sie Gefäße mit starkem Bier ausstellen, an dem sich die Affen berauschen. Er sah ein paar dieser Tiere, die er in Gefangenschaft hielt, in diesem Zustand, und er gibt einen sehr humorvollen Bericht über ihr Benehmen und ihre seltsamen Grimassen. Am folgenden Morgen waren sie sehr schlecht gelaunt und elend; sie hielten ihr schmerzendes Haupt mit beiden Händen und sahen ganz erbärmlich aus; wurde ihnen Bier oder Wein angeboten, so wandten sie sich mit Abscheu ab, labten sich dagegen an Zitronensaft. Weiser als viele Menschen, rührte ein amerikanischer Affe, ein Ateles, nach einem Branntweinrausch das infame Getränk nie mehr an. Diese an sich unbedeutenden Tatsachen beweisen, wie ähnlich die Geschmacksnerven bei Menschen und Affen sein müssen und in wie ähnlicher Weise ihr ganzes Nervensystem erregt wird.

Wenn, so dachte Darwin, Menschen und Affen genau gleich auf einen Kater reagieren, müssen sie miteinander verwandt sein. Das war nicht sein einziges Indiz, stellte aber doch den Beginn des Nachweises dar, dass auch Bischöfe zu den Primaten zählen.

Der Gedanke war auch Vorläufer einer viel jüngeren Theorie über unsere Abstammung von den Pelzartigen.

Die Theorie vom betrunkenen Affen

Menschen sind fürs Trinken geschaffen. Wir sind darin wirklich verdammt gut. Besser als alle anderen Säugetiere, ausgenommen vielleicht das malaiische Federschwanz-Spitzhörnchen. Lassen Sie sich niemals auf eine Wettsauferei mit einem malaiischen Federschwanz-Spitzhörnchen ein! Sollte es doch dazu kommen, ziehen Sie die Sache um Gottes Willen nicht im Verhältnis zum Körpergewicht durch! Diese Tiere können sich umgerechnet neun Gläser Wein reinkippen, ohne mit der Wimper zu zucken. Was daran liegt, dass sie sich mit fermentiertem Palmennektar als Nahrungsgrundlage entwickelt haben. Über Millionen von Jahren hat die Evolution hier im Naturverfahren die besten Hörnchentrinker Malaysias herausselektiert, und jetzt sind sie eben die Champions.

Bei uns ist das genauso. Wir haben uns für das Trinken entwickelt. Vor zehn Millionen Jahren sind unsere Vorfahren von den Bäumen geklettert. Warum, ist nicht ganz geklärt, aber es könnte ja durchaus sein, dass sie auf die überreifen Früchte scharf waren, die man am Waldboden so findet. Diese Früchte enthalten mehr Zucker und mehr Alkohol als andere. Also entwickelten wir Nasen, die Alkohol schon aus der Ferne riechen konnten. Der Alkohol zeigte an, wo wir den Zucker finden würden.

Das führt uns zu etwas, das die Wissenschaft als Aperitif-Effekt kennt. Sowohl der Geschmack als auch der Geruch von Alkohol bewirken, dass wir etwas essen wollen. Was, denkt man länger darüber nach, eher komisch ist. Alkohol enthält viele Kalorien: warum sollte also der Konsum von Kalorien zum Wunsch nach einer weiteren Kalorienaufnahme führen?

Wie einem jeder Dritte erzählt, wirkt ein kleiner Gin Tonic anregend auf den Verdauungstrakt, nur stimmt das nicht ganz. Denn wenn man den Alkohol intravenös zuführt, erhält man dieselbe Wirkung. Auch ist es keineswegs so, dass betrunkene Fastende einfach die Kontrolle über sich verlieren. Alkohol aktiviert ein bestimmtes Neuron2 im Gehirn, das einen sehr, sehr hungrig macht. Es ist das gleiche Neuron, das aktiviert wird, wenn man tatsächlich, also in echt, kurz vor dem Verhungern ist. Eine sehr sinnvolle Sache vor zehn Millionen Jahren. Man schlendert arglos über den Waldboden, denkt vielleicht ein bisschen nostalgisch an die Zeit in den Baumwipfeln zurück, da dringt plötzlich ein feiner Duft ans Riechorgan: überreife Früchte. Man folgt dem Geruch und findet eine gigantische Melone oder was nicht alles. Das ist mehr, als man bequem verdrücken kann, aber trotzdem sollte man sich alles reinstopfen. Man kann die Kalorien in Form von Fett speichern und irgendwann später verbrennen. Damit hat man ein Regelsystem geschaffen: Jeder Happs gibt einem ein bisschen Alkohol, der das Gehirn aktiviert und einen immer hungriger macht, weshalb man mehr davon isst und dadurch gleich noch mehr essen will – was zur Folge hat, dass 500 000 Generationen später dein Nachkomme aus der Kneipe torkelt und für einen Döner töten würde.

Aber nochmal zehn Millionen Jahre zurück. Alkohol hat uns zu unserer Nahrung geführt, Alkohol hat bewirkt, dass wir diese Nahrung essen wollen, aber jetzt müssen wir den Alkohol auch noch verarbeiten, sonst werden wir zur Nahrung für jemand anderen. Ein prähistorisches Raubtier abzuwehren, ist schon nüchtern schwer genug, aber einen Säbelzahntiger an der Backe und gleichzeitig einen in der Krone zu haben, ist ein echter Alptraum.

Da wir also auf den Geschmack gekommen waren, mussten wir – in evolutionärer Hinsicht – eine Methode der Verarbeitung entwickeln. Und tada! – tatsächlich fand vor zehn Millionen Jahren eine Genmutation statt, durch die wir Alkohol fast so gut verarbeiten können wie das malaiische Federschwanz-Spitzhörnchen. Das hängt mit einem speziellen Enzym3 zusammen, das wir plötzlich produzieren konnten. Auf einmal befanden sich die Menschen (oder die Vorfahren der Menschen) in der Lage, alle anderen Affen unter den Tisch zu saufen. Bei uns modernen Menschen sind 10 Prozent der Leber-Enzyme dazu da, Alkohol in Energie umzuwandeln.

Eine weitere, abschließende Entwicklung war für uns aber am allerwichtigsten: die Art und Weise, wie wir trinken. Wir konsumieren Alkohol gemeinsam in der Gruppe. Wir werden zutraulich und benommen und erzählen den Leuten, dass sie unsere allerbesten Freunde sind und wir sie lieben und so weiter und so fort. Das Interessanteste an der Theorie vom betrunkenen Affen ist, dass all das evolutionär bedingt ist. Wir mögen Alkohol, weil er uns für den Verzehr der vielen Kalorien belohnt. Wir teilen ihn mit der Gruppe, weil es für Affen sinnvoll ist, ihre Familie und ihre Horde zu füttern. Wir trinken gemeinsam, weil uns das Schutz vor Raubtieren oder anderen Feinden bietet. Ein betrunkener Mensch ist leichte Beute, aber bei zwanzig betrunkenen Menschen wird es sich auch das hungrigste Mammut genauer überlegen.

Okay, dieser letzte Gedanke ist der spekulativste Teil der Theorie, wobei ich ihn ziemlich überzeugend finde. Wir Menschen sind echte Champions im Saufen, und die Theorie vom betrunkenen Affen erklärt, warum das so ist. Es sei jedoch betont, dass nicht alle Biologen diese Ansicht teilen. Und dann gibt es auch noch jene, die diese ganze Evolution für Humbug halten und uns stattdessen als Schöpfung einer wohlmeinenden Gottheit betrachten. Die jeweiligen Anhänger von Schöpfungs- beziehungsweise Evolutionslehre haben die unzivilisierte Angewohnheit, ständig miteinander zu zanken, wobei ihre unterschiedlichen Gedankengänge zu ein und demselben Ergebnis führen. Benjamin Franklin, Gründungsvater der Vereinigten Staaten von Amerika, machte die berühmt gewordene Feststellung, die Existenz des Weines sei der »Beweis, dass Gott uns liebt und uns glücklich sehen will«. Aber im selben Brief notierte er auch eine wichtige Beobachtung hinsichtlich der menschlichen Anatomie:

Um unsere Pietät und Dankbarkeit gegenüber der göttlichen Vorsehung noch zu steigern, denken wir einfach an die Position, die sie dem Ellbogen verliehen hat. Man sieht bei Tieren, die vom Wasser trinken sollen, welches auf der Erde fließt, dass solche mit langen Beinen auch einen langen Hals besitzen, damit sie ihren Trunk ohne Niederknien erreichen. Der Mensch jedoch, zum Weintrinken geschaffen, muss in der Lage sein, ein Glas zum Mund zu führen. Läge der Ellbogen näher bei der Hand, wäre er viel zu kurz, um den Mund zu erreichen; befände er sich näher an der Schulter, würde er wegen seiner Überlänge das Glas weit über den Mund hinaus führen. Aber durch die tatsächliche Position können wir ganz bequem trinken, denn das Glas findet problemlos zum Mund. Lasst uns also mit dem Glas in der Hand über diese wohltätige Weisheit staunen – lasst uns staunen und trinken!

Darüber hinaus lag für Franklin der Sinn von Noahs Sintflut darin, die Menschheit für das Trinken von Wasser zu bestrafen und uns deshalb in genau diesem Zeug zu ersäufen. Wie immer man die Sache also betrachtet, ob vom Standpunkt der Evolution oder der Schöpfung aus – wir sind fürs Trinken geschaffen.

Kapitel 2

Die Urgeschichte des Trinkens

Anatomisch betrachtet gibt es den modernen Menschen (wie Sie und mich) seit zirka 150 000 Jahren, wovon die ersten 125 000 eher eine Katastrophe waren. Soweit bekannt gab es da noch nichts Richtiges zu trinken. Wirkliche Klarheit herrscht allerdings nicht, weil prähistorische Menschen nichts aufschrieben. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, zu jagen, zu sammeln und ihre Höhlen anzumalen.

Der erste Hoffnungsschimmer war eine Lady namens Venus von Laussel. Vor rund 25 000 Jahren bildhauerte jemand eine Frau mit riesigen Brüsten und dickem Bauch, die ein Trinkhorn zum Mund zu führen scheint. Nicht alle sind der Meinung, dass es sich um ein Trinkhorn handelt. Manche sagen, es sei ein Musikinstrument und das arme Mädchen wisse nicht recht, wie rum es da reinzublasen habe. Ein paar Archäologen vermuten, die Darstellung hätte irgendwie mit der Menstruation zu tun. Und obwohl es sich um ein Trinkhorn handelt, könnte natürlich auch nur Wasser drin sein. Nur ist das eher unwahrscheinlich, denn das Trinken von Wasser ist üblicherweise nichts, was man für die Ewigkeit in Stein meißelt. Gewissheit werden wir dahingehend wohl nie erlangen.

Ebenso unsicher ist, ob damals schon Alkohol hergestellt wurde oder ob man ihn einfach nur fand. Die meisten der frühen Drinks wurden ja vermutlich nicht so sehr erdacht und hergestellt, als vielmehr entdeckt. Eine erfreuliche Theorie dreht sich um Bienen. Man stelle sich ein Bienennest in einem hohlen Baum vor. Ein Sturm kommt auf, der Baum fällt um, und das Nest wird mit Regenwasser überflutet. Bei ungefähr einem Teil Honig und zwei Teilen Regenwasser sollte ziemlich rasch eine Fermentierung einsetzen. Wenn dann ein paar Tage später ganz zufällig ein durstiger und naturgemäß nüchterner Urmensch vorbeikommt, stößt er auf etwas durch und durch Wunderbares: natürlichen Met. Logisch, dass er mal kostet, denn Menschen lieben Honig. Das hier schmeckt tatsächlich nach Honig, nur macht es einen gleichzeitig auch noch betrunken.

Das ist natürlich nur eine Theorie, aber doch eine nette. Prosaischer gesprochen: Man muss einfach nur Obst pflücken und unter Ausschluss von Wasser irgendwie lagern. Der Saft am Boden wird ziemlich bald Blasen werfen, und schon hat man eine Art primitiven Wein. Dafür würde man vermutlich Tongefäße brauchen. Noch wichtiger ist aber, dass man für eine gewisse Zeit an ein und demselben Ort bleiben muss, und das, obwohl die Forschung beweist, dass unsere ältesten Vorfahren ständig auf Achse waren.

Warum wurden wir also sesshaft? Normalerweise lautet die Antwort, dass wir dadurch unsere Nahrung gezielt anbauen konnten. Erst dann fingen wir irgendwann mit der Herstellung von Getränken an. Im Anschluss errichteten wir supergroße Tempel und wurden zivilisiert. So sinnvoll das auf den ersten Blick scheint, kann es doch auch ebenso gut komplett falsch sein.

Das älteste bekannte Gebäude befindet sich in Göbekli Tepe in der heutigen Türkei. Es ist ein komisches Bauwerk, denn weder hat es ein Dach oder Wände, noch gibt es auch nur irgendein Anzeichen dafür, dass dort je Menschen gewohnt haben. Auch im näheren Umkreis deutet nichts auf irgendeine Form menschlicher Ansiedlung hin. Das leuchtet ein, denn Göbekli Tepe entstand um das Jahr 10 000 v. Chr., also noch vor der Ära von Ackerbau und Sesshaftigkeit. Die Anlage scheint also von Jägern und Sammlern als eine Art Tempel errichtet worden zu sein. Sie ist sehr groß, und die verwendeten Steine wiegen teilweise bis zu 16 Tonnen. Eine Vielzahl von Stämmen muss sich also dort versammelt und beim Bau mitgeholfen haben.

Warum hätten sie das tun sollen?

In Göbekli Tepe gibt es ein paar große Wannen aus Stein – die größte fasst rund 180 Liter –, und sie enthalten Spuren einer chemischen Substanz namens Oxalat, die entsteht, wenn man Gerste und Wasser miteinander vermischt. Wenn man Gerste und Wasser miteinander vermischt, entsteht durch natürliche Fermentierung Bier. Es sieht also ganz so aus, als sei Göbekli Tepe ein Versammlungsort gewesen, an dem die Stämme sich trafen und gemeinsam Bier tranken. Es war sicher nett, sich hier draußen einen hinter die Binde zu gießen: auf der Anhöhe, mit schöner Aussicht.

Klar gibt es auch andere Theorien. Die gibt es immer. So sagen manche Forscher, dass mit dem Bier die Arbeiter bezahlt wurden. Andere meinen, dass es überhaupt kein Bier gab und Gerste mit Wasser vermischt wurde, weil man damals die Gerste eben gern aufgeweicht zu sich nahm, und dass man sie natürlich rausgesiebt hätte, bevor das Gemisch zu blubbern anfing und sich in ein köstliches, epipaläolithisches Helles verwandelte.

Allem Anschein nach gab es aber Bier, und, viel wichtiger, allem Anschein nach gab es dieses Bier bereits, bevor es Tempel oder Ackerbau gab. Das führt uns zu der großen Theorie der Menschheitsgeschichte: Dass wir nämlich die Nummer mit dem Ackerbau nicht einführten, weil wir Nahrung wollten – ringsumher war ja alles voll davon! –, sondern weil wir scharf auf Alkohol waren.

Das ist viel sinnvoller, als Sie vielleicht im ersten Moment glauben, und zwar aus sechs Gründen. Erstens ist Bier einfacher herzustellen als Brot, denn man braucht keinen heißen Ofen. Zweitens enthält Bier Vitamin B, das Menschen benötigen, um gesund und bei Kräften zu bleiben. Jäger versorgen sich mit Vitamin B, indem sie andere Tiere essen. Wenn der Speiseplan zwar Brot, aber kein Bier enthält, verwandeln sich Getreidebauer in anämische Schwächlinge und werden von den großen, gesunden Jägern niedergemacht. Doch durch Fermentierung von Weizen und Gerste entsteht Vitamin B.

Drittens ist Bier einfach ein besseres Nahrungsmittel als Brot. Es ist nahrhafter, weil die Hefe bereits einen Teil der Verdauung geleistet hat. Viertens kann Bier gelagert und zu einem späteren Zeitpunkt konsumiert werden. Fünftens reinigt der Alkohol das Wasser, mit dem es hergestellt wurde, indem er all die fiesen kleinen Bakterien tötet. Das große Problem der Sesshaftigkeit ist, dass man irgendwo sein Geschäft verrichten muss, woraufhin sich winzige Partikel dieser Geschäftigkeit den Weg ins Wasser bahnen und damit schnurstracks zurück in den Mund. Dieses Problem haben Nomaden nicht.

Das sechste und schwerwiegendste Argument ist aber, dass nur ein echter kultureller Antrieb zur Veränderung des Verhaltens führt. Und wenn Bier ein religiöses Getränk war (was Göbekli Tepe nahelegt), dann ließ sich wohl auch der hartgesottenste Jäger davon überzeugen, sesshaft zu werden und ein bisschen Gerste für die Bierherstellung anzubauen.

So kam es, dass wir etwa 9000 v. Chr. den Ackerbau erfanden, um regelmäßig einen zwitschern zu können. Daraus ergaben sich zwei Dinge. Einerseits erhalten wir erstmals echte und unzweifelhafte archäologische Belege für das Vorhandensein alkoholischer Getränke. Wein ist in dieser Hinsicht ganz gut, denn er hinterlässt Rückstände von Weinsäure. Man fand sie in China und konnte sie auf 7000 v. Chr. datieren. Wenig später fand man sie im heutigen Iran, dann breiten sie sich nach Westen bis in den Mittelmeerraum aus. Natürlich kann die Bewegung auch umgekehrt erfolgt sein. Alles, was wir besitzen, ist sporadisches archäologisches Flüstern inmitten eines gewaltigen Schweigens.

Die zweite und weit weniger wichtige Folge war die Zivilisation.

Kapitel 3

Sumerisches Schankwesen

Städte entstehen dadurch, dass Landwirte zu viel arbeiten. Im Grunde basiert die ganze Menschheitsgeschichte darauf, dass Landwirte zu viel arbeiten. Wenn man einen Job hat, der nichts mit Lebensmittelerzeugung zu tun hat (und am Leben ist), bedeutet das, dass es irgendwo einen Landwirt gibt, der mehr produziert, als er braucht. In dem Moment, in dem das passiert, ist man reif für einen Spezialisten-Job, schließlich muss man dem Landwirt ja etwas für seine Lebensmittel geben, also etwa Klamotten oder Unterbringung oder Schutz oder die Erledigung seiner Steuererklärung. Ein unfehlbares Anzeichen für landwirtschaftlichen Überschuss ist der Umstand, dass es bewohnte Orte gibt, an denen keine Lebensmittel produziert werden. Solche Orte nennt man Städte.

Das lateinische Wort für Stadt war civitas, und davon leiten sich unsere Begriffe Zivilbürger, zivilisiert und Zivilisation ab.

Wenn wir dem Landwirt etwas für seine Produkte geben, dann nennt man das Handel, und Handel führt zwangsläufig zu Streit, und die Leute, die solche Streitereien schlichten, nennt man Regierung. Die Regierung benötigt Geld, um wichtige Dinge wie einen Thron, eine Armee und Informationsreisen finanzieren zu können. Und weil man sich nur schwerlich merken kann, wer jetzt die Steuern schon bezahlt hat und wer nicht, bringen Steuern fast zwangsläufig die Schriftlichkeit mit sich. Diese Schriftlichkeit sorgt dafür, dass die Urgeschichte abrupt zu Ende ist und die Geschichte anfängt.

All dies ereignete sich ziemlich plötzlich im vierten vorchristlichen Jahrtausend im heutigen Irak, der einst Mesopotamien hieß, aber auch Sumer genannt wird, einfach weil so die dortige Sprache hieß. Jedenfalls wurde in ebendieser Gegend die Zivilisation erfunden, und ab da ging’s nur noch bergab.

Mit das Erste, worüber die Menschen schrieben, war Bier. Die primitiven Anfänge der Schriftlichkeit bestanden in nicht viel mehr als Schuldscheinen. Es gab allerdings kein Münzgeld. Die Leute bezahlten sich gegenseitig mit Gerste, Gold oder Bier. Ursprünglich, so um das Jahr 3200 v. Chr., malte man ein Bild von einem kegelförmigen Bierkrug. Das wurde rasch zu etwas stilisiert, das leichter in feuchten Ton geritzt werden konnte, und ebenso, wie die Zeichen für Männer und Frauen auf den Klotüren heute nicht mehr wie richtige Menschen aussehen, entwickelte sich das Symbol für Bier rasch zu simplen Strichen auf der Schreibtafel. Es konnte sowohl Bier bedeuten, als auch für den Klang des Wortes Bier stehen – kash –, woraufhin es ein Buchstabe wurde.

Das hatte zur Folge, dass die Mesopotamier mehr als nur Schuldscheine ausstellen konnten. Sie konnten über alles schreiben, was sie für wichtig hielten, also vornehmlich Gott und Bier. Sie schrieben auch über Ninkasi, die Göttin des Bieres. Diese Dame verbrachte ihre Zeit damit, unaufhörlich und bis in alle Ewigkeit Bier zu brauen. Eine an sie gerichtete Hymne beschreibt, wie sie mit ihrer großen Schaufel die Maische anrührt und im Ofen trocknet, dann in einem Gefäß einweicht und Bierwürze, Honig und Wein dazu gibt, et cetera, et cetera. Niemand weiß, wie genau die Sumerer ihr Bier herstellten, jedenfalls benutzten sie ganz viele verschiedene Gefäße, wie wir später noch sehen werden.

Jeder trank Bier. Könige tranken es auf dem Thron. Priester tranken es im Tempel. Der erste Poet der bekannten Geschichte war eine Dichterin namens En-hedu-anna. Sie war die Tochter Sargons von Akkad, der sie zur Hohepriesterin eines Tempels in der Stadt Ur machte. Sie befolgte den Grundsatz »Schreib über das, was du kennst« und schuf eine Reihe von Gedichten, in denen sie die Tempel in und um Ur pries. Darin standen Sachen wie:

an deinem Tor, das Richtung Iri-kug weist, gießt man den Wein in die herrlichen Schüsseln des heiligen An, die im Freien aufgestellt sind. Was immer auch in dich kommt, ist unvergleichlich, was immer auch aus dir strömt, bleibt bestehen … furchteinflößende Fassade, Bauwerk der Strahlen, ein Ort zur Erlangung der Entscheidung, den der Herr Ning̑irsu mit Staunen und Furcht erfüllt hat! Alle Anuna-Götter wohnen deinen großen Trinkgelagen bei.

Oder: