Eine neue Geschichte des Lebens - Joe Kirschvink - E-Book

Eine neue Geschichte des Lebens E-Book

Joe Kirschvink

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Beschreibung

Das neueste Wissen über die Entwicklung des Lebens auf der Erde

Eine neue Geschichte des Lebens vereint erstmals die erst in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse verschiedener Fächer von der Geologie über Paläontologie, Geo- und Astrobiologie, Physik, Chemie bis zur Genetik, Zoologie und Botanik in einer großen, umfassenden Erzählung – und schreibt in entscheidenden Punkten die bisherige Darstellung der Evolution des Lebendigen auf der Erde um. Nach Darwin waren wir davon ausgegangen, dass sich die Veränderungen eher gleichförmig und allmählich vollzogen, aber der jetzt mögliche Blick in die Erdgeschichte zeigt, dass die Entwicklung stärker durch Katastrophen geprägt wurde und zwar nicht nur solche, die Meteoriteneinschläge von außen verursachten. Peter Ward und Joe Kirschvink schildern das spannende Zusammenspiel von Lebewesen und Ökosystemen, von Atmosphäre und Klima, das mehrmals im Lauf der Evolution dazu führte, dass sich die Bedingungen auf der Erde gravierend veränderten und Lebensformen massenhaft ausstarben. Sie geben einen faszinierenden Einblick in die seit 4,6 Milliarden Jahren dauernde Geschichte des Lebens und zeigen zugleich, wie fragil unsere heutige Lebenswelt ist.

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Seitenzahl: 705

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Peter Ward undJoe Kirschvink

Eine neue Geschichte des Lebens

Wie Katastrophen den Lauf der Evolution

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel A New History of Life. The Radical New Discoveries about the Origins and Evolution of Life on Earth bei Bloomsbury Publishing, London und New York. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2015 Peter Ward und Joe Kirschvink Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Susanne Warmuth, Darmstadt Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München Umschlagmotiv: © Getty Images, Bild-Nr. 129832720. Typografie und Satz: DVA/Andrea Mogwitz ISBN: 978-3-641-14992-5V005www.dva.de

Zum Buch

Die neue Geschichte des Lebens vereint erstmals die erst in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse verschiedener Fächer von der Geologie über Paläontologie, Geo- und Astrobiologie, Physik, Chemie bis zur Genetik, Zoologie und Botanik in einer großen, umfassenden Erzählung – und schreibt in entscheidenden Punkten die bisherige Darstellung der Evolution des Lebendigen auf der Erde um. Nach Darwin waren wir davon ausgegangen, dass sich die Veränderungen eher gleichförmig und allmählich vollzogen, aber der jetzt mögliche Blick in die Erdgeschichte zeigt, dass die Entwicklung stärker durch Katastrophen geprägt wurde und zwar nicht nur solche, die Meteoriteneinschläge von außen verursachten. Peter Ward und Joe Kirschvink schildern das spannende Zusammenspiel von Lebewesen und Ökosystemen, von Atmosphäre und Klima, die mehrmals im Lauf der Evolution dazu führten, dass sich die Bedingungen auf der Erde gravierend veränderten und Lebensformen massenhaft ausstarben. Sie geben einen faszinierenden Einblick in die seit 4,6 Milliarden Jahren dauernde Geschichte des Lebens und zeigen zugleich, wie fragil unsere heutige Lebenswelt ist.

Zu den Autoren

Peter Ward, geboren 1949, ist ein renommierter Paläontologe und Professor für Biologie, Geo- und Weltraumwissenschaften an der Universität von Washington. In der Vergangenheit lehrte und forschte er bereits am NASA-Institut für Astrobiologie und am Institute of Technology in Kalifornien. Er ist Autor zahlreicher viel gelobter und ausgezeichneter populärwissenschaftlicher Bücher.Joe Kirschvink, geboren 1953, ist Professor für Geobiologie am Institute of Technology in Kalifornien. Internationale Bekanntheit erlangte er insbesondere mit seiner Hypothese vom „Schneeball Erde“. Gemeinsam mit Peter Ward betreibt er seit vielen Jahren intensiv Forschung zur Erdgeschichte.

Motto

Von Peter Ward: Für Dr. Howard Leonard und Dr. Peter Shalit, die Historiker des Lebendigen, sowie für den großen Robert Berner, Yale University

Von JK: Dem Andenken an Dr. Eugene M. Shoemaker, Dr. Heinz A. Lowenstam und Dr. Clair C. Patterson vom California Institute of Technology. Sie und viele andere haben überall in meinem Gehirn ihre Spuren hinterlassen.

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1

Aufschlussreiche Zeiten

Kapitel 2

Vor 4,6–4,5GJ:Wie die Erde zur Erde wurde

Kapitel 3

Leben, Tod und der neu entdeckte Platz dazwischen

Kapitel 4

Als das Leben entstand: vor 4,2 (?) bis 3,5GJ

Kapitel 5

Vom Ursprung zum Sauerstoff: vor 3,5 bis 2,0GJ

Kapitel 6

Der lange Weg zu den Tieren: vor 2,0 bis 1,0GJ

Kapitel 7

Das Cryogenium und die Evolution der Tiere: vor 850 bis 635MJ

Kapitel 8

Die kambrische Explosion: vor 600 bis 500MJ

Kapitel 9

Die Vermehrung der Tiere im Ordovizium und Devon: vor 500 bis 360MJ

Kapitel 10

Tiktaalikund die Eroberung des Landes: vor 475 bis 300MJ

Kapitel 11

Das Sauerstoff-Hoch: vor 320 bis 260MJ

Kapitel 12

Das große Sterben: Sauerstoffmangel und globale Stagnation vor 252 bis 250MJ

Kapitel 13

Die triassische Explosion: vor 252 bis 200MJ

Kapitel 14

Dinosaurierherrschaft in einer sauerstoffarmen Welt: vor 230 bis 180MJ

Kapitel 15

Ozeane im Treibhaus: vor 200 bis 65MJ

Kapitel 16

Der Tod der Dinosaurier: vor 65MJ

Kapitel 17

Das lange aufgeschobene dritte Zeitalter der Säugetiere: vor 65 bis 50MJ

Kapitel 18

Das Zeitalter der Vögel: vor 50 bis 2,5MJ

Kapitel 19

Menschen und das zehnte Massenaussterben: vor 2,5MJ bis heute

Kapitel 20

Die Zukunft des Lebens auf der Erde und was wir darüber sagen können

Anmerkungen

Register

Einleitung

Geschichte gehört – in welcher Form auch immer – bei Jugendlichen vermutlich zu den unbeliebtesten Schulfächern. Eine scharfsinnige Analyse dieses Phänomens liefert James Loewen in seinem Buch Lies My Teacher Told Me.1 Seine Erkenntnis lässt sich in einem Wort zusammenfassen: »Bedeutungslosigkeit«. Loewen schreibt: »Die Schilderungen in den Geschichtsbüchern sind vorhersehbar; jedes Problem wurde bereits gelöst oder wird bald gelöst werden … Fast nie bedienen sich Autoren der Gegenwart, um die Vergangenheit zu erhellen – die Gegenwart ist für die Urheber historischer Abhandlungen keine Informationsquelle.«

Was Loewen damit sagen will, ist ganz klar. So, wie amerikanische Geschichte heute an den Highschools gelehrt wird, stehen Vergangenheit und Gegenwart in keinem Zusammenhang. Was früher geschehen ist, bleibt für unser Alltagsleben ohne Auswirkungen und ohne Bedeutung. Aber diese Herangehensweise ist falsch. Das gilt insbesondere für die Geschichte des Lebendigen, die so alt ist, dass sie in Form von Fossilien im Gestein und in jeder unserer Zellen in Molekülen, insbesondere den DNA – Strängen, niedergeschrieben wurde. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie uns einen Platz im »großen Ganzen« zuweist. Und die Geschichte des Lebendigen könnte uns sogar in naher Zukunft vor dem Aussterben retten, wenn wir sie zur Kenntnis nehmen und ihre Warnungen beherzigen.

Anfang der 1960er Jahre schrieb der große amerikanische Autor James Baldwin: »Die Menschen sind in der Geschichte gefangen, und die Geschichte ist in ihnen gefangen.«2 Als er diese Worte zu Papier brachte, ging es um die Rassenfrage. Die Aussage gilt aber ebenso, wenn man das Wort »Menschen« durch »alle heutigen und früheren Lebensformen auf der Erde« ersetzt, denn jeder DNA – Strang in jeder unserer Zellen ist eine uralte Aufzeichnung biologischer Geschichte, die in einem einfachen Code geschrieben und von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Man kann sagen, DNA ist nichts anderes als Geschichte, eine Geschichte, die physischen Ausdruck gefunden hat und während unzähliger Erdzeitalter langsam vom erbarmungslosesten aller Phänomene geformt und angehäuft wurde: von der natürlichen Selektion. Die DNA ist einerseits in uns niedergelegte Geschichte, andererseits ist sie unser Herr und Meister, die Blaupause für unseren Körper und der Diktator, der bestimmt, was wir an unsere Kinder weitergeben werden: Geschenke, die ein Segen sein können – oder auch tödliche Zeitbomben. In diesem besonderen Vehikel der Geschichte sind wir tatsächlich ebenso gefangen, wie es in uns gefangen ist.

Die Geschichte des Lebendigen gibt uns Antworten auf viele quälende Fragen, vor denen wir alle stehen: Wie kam es, dass wir Menschen diesen dünnen, spät aufgetauchten, ganz am Rand stehenden Zweig am riesigen Baum des Lebens besetzten? Welche Kämpfe musste unsere Spezies ausfechten? Welche Katastrophen kennzeichnen den Ast der Menschen am vier Milliarden Jahre alten Lebensbaum? Die Vergangenheit kann uns helfen, unseren Platz unter den mindestens 20 Millionen heute lebenden Arten zu verstehen – und unter den ungezählten Milliarden, die mittlerweile ausgestorben sind. Wenn eine Spezies nicht mehr existiert, ist damit auch die zukünftige Evolution unzähliger Arten zunichte gemacht.

Auf den folgenden Seiten betrachten wir den langen Weg zu unserer Gegenwart und die weit zurückliegenden Prüfungen, die unsere Ururahnen bestehen mussten: Feuer, Eis, Kometeneinschläge aus dem Weltraum, Giftgas, die Reißzähne von Raubtieren, erbarmungslosen Wettbewerb, tödliche Strahlung, Hunger, ungeheure Lebensraumveränderungen sowie Episoden von Krieg und Eroberung im Laufe einer rücksichtslosen Besiedelung aller bewohnbaren Winkel dieses Planeten. Jede dieser Episoden hat ihre Spuren in der heute vorhandenen DNA hinterlassen. Jede Krise, jede Eroberung war ein Schmiedefeuer, das die Genome veränderte, weil die verschiedensten Gene hinzukamen oder wegfielen. Jeder von uns ist der Nachkomme von Überlebenden, die in den Katastrophenfeuern gehärtet und von der Zeit abgekühlt wurden.

Einen zweiten, vielleicht noch wichtigeren Grund, warum wir der Geschichte des Lebendigen unsere Aufmerksamkeit schenken sollten, nennt Norman Cousins: »Geschichte ist ein riesiges Frühwarnsystem.«3 Diese Erkenntnis geht auf die Zeit kurz vor dem Ende des Kalten Krieges zurück. Angehörige der jüngeren Generation haben kaum noch ein Gespür dafür, was es hieß, in den 1950er und 1960er Jahren aufzuwachsen – damals erzählten die wöchentlich zur Mittagszeit stattfindenden Sirenenübungen uns Kindern von der dunklen Zeit, als der Weltuntergang nur ein beängstigendes Sirenenheulen weit entfernt war, und jedes schwache Geräusch eines nächtlich vorüberfliegenden Düsenjägers konnte den Anfang vom Ende bedeuten.

Kriege haben immer wieder und scheinbar unaufhörlich einen heimtückischen Tribut von der Menschheit gefordert – und das nicht nur physisch, sondern auch wirtschaftlich und emotional. Die Geschichte des Lebendigen lässt sich in vielerlei Hinsicht mit den Konflikten und Kriegen der Menschen vergleichen. Die Entwicklung von Offensivwaffen durch Raubtiere (bessere Klauen, Zähne, Gasangriffe, ja sogar Stacheln mit vergifteten Spitzen, mit denen man Beutetiere erlegen kann) führten bei der Beute umgehend zu koevolutionären Gegenmaßnahmen wie besserer Körperpanzerung, Schnelligkeit und der Fähigkeit, sich zu verstecken; manchmal entstanden sogar Defensivwaffen – das alles wird auch als »biologisches Wettrüsten« bezeichnet. Viele große Ereignisse der Evolution können sich nicht wiederholen, denn die Evolution hatte viel Zeit, die Biosphäre mit höchst leistungsfähigen, konkurrierenden Lebewesen zu füllen. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich beispielsweise die Kambrische Explosion wiederholt, in der alle Grundbaupläne der Tiere entstanden. Etwas anderes aber kann sich durchaus wiederholen: Dinge, die das Gegengewicht zu Leben und Entwicklung bilden, Aussterben beispielsweise oder – wenn es im größeren Umfang stattfindet – Massenaussterben, entsetzliche Katastrophen der fernen Vergangenheit.

Mit jedem Kohlendioxidmolekül, das wir in die Atmosphäre pumpen, verschließen wir die Ohren vor den Frühwarnsirenen, die uns sagen: Ein schneller Anstieg des Kohlendioxidgehalts war das Merkmal, das mindestens zehn Massenaussterben in der fernen Vergangenheit mit der heutigen Entwicklung gemeinsam haben. Diese Massenaussterben wurden nicht von Asteroideneinschlägen ausgelöst, sondern sie gehen auf eine schnelle Zunahme der von Vulkanen produzierten Treibhausgase in der Atmosphäre und die dadurch hervorgerufene globale Erwärmung zurück. Eine beängstigende neue Erkenntnis unseres Jahrhunderts: Es gibt ein durch den Treibhauseffekt verursachtes Massenaussterben (englisch greenhouse mass extinction). Diese Bezeichnung wurde bewusst gewählt, weil man damit die Ursache beschreiben wollte, die während der Massenaussterben in der Vergangenheit für den Tod der überwiegenden Mehrheit aller biologischen Arten verantwortlich war.4

Wann, wo und wie solche vom Treibhauseffekt verursachten Aussterben stattgefunden haben, lässt sich heute anhand verschiedener Daten glasklar erkennen. Für diejenigen, die solche Sirenen hören, ist die Gefahr nur allzu real. Viel zu viele andere jedoch haben die ungeheuren Lehren, die wir aus der Vergangenheit für eine mögliche Zukunft ziehen können, entweder ignoriert oder übersehen. Die Geschichte des Lebendigen bildet ein Frühwarnsystem, und dieses System sagt uns, dass wir die von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen vermindern müssen; dagegen sagt uns die Menschheitsgeschichte, dass wir höchstwahrscheinlich die Warnungen nicht beherzigen und den Schaden nicht rückgängig machen werden, bis die Häufung klimabedingter Todesfälle unter Menschen uns keine andere Wahl mehr lässt.

Wissenschaftliche Informationen aus den Tiefen der Vergangenheit – manchmal auch als »Tiefenzeit« (englisch deep time) bezeichnet – sind der am häufigsten übersehene Einzelaspekt in der Debatte über den Klimawandel. George Santanya schrieb einen Aphorismus über die Geschichte, der so häufig wiederholt wurde, dass er mittlerweile abgedroschen ist: »Wer die Geschichte ignoriert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.«5 Angesichts eindeutiger historischer Erkenntnisse über Massenaussterben, die durch einen atmosphärischen Kohlendioxidgehalt verursacht wurden, an den wir uns schon in naher Zukunft wieder annähern werden, sollten wir uns das wichtigste Wort in Santanyas Prophezeiung besonders zu Herzen nehmen: »verdammt«.

Was ist neu an dieser »neuen Geschichte des Lebens«?

Der Geschichte des Lebens kann kein einzelnes Buch jemals gerecht werden. Wir mussten eine Auswahl treffen, und diese Auswahl war im Wesentlichen durch das vorgegeben, was wir uns mit dem Wort »neu« vorgenommen hatten. Die letzte »vollständige« Geschichte des Lebendigen in einem Band wurde Mitte der 1990er Jahre von Richard Fortey verfasst, einem britischen Paläontologen und Wissenschaftsautor, und war ein Bestseller.6 Auf Deutsch ist sie unter dem Titel Leben: eine Biographie. Die ersten vier Milliarden Jahre erschienen. Forteys »Momentaufnahmen« waren großartig, und es ist noch heute eine Freude, das Buch zu lesen – oder, was uns angeht, es nahezu zwei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen noch einmal zu lesen. Aber da die Wissenschaft so schnell voranschreitet, wusste man damals vieles im Vergleich zu heute noch nicht. Es gibt sogar zwei neue wissenschaftliche Fachgebiete, die Mitte der 1990er Jahre noch kaum existierten: Astrobiologie und Geobiologie.

Die Fortschritte in der apparativen Ausstattung führten zu ganz neuen Kenntnissen, und gleichzeitig kamen neue Gesteinsschichten ans Licht, in denen man Fossilien fand, die aus zuvor unbekannten Zeiträumen oder Tiergruppen stammten. Selbst das soziologische Umfeld der Wissenschaft hat sich gewandelt: Heute wird allgemein eingeräumt, dass die wichtigsten wissenschaftlichen Durchbrüche an den Grenzen zwischen den altehrwürdigen und altbekannten Fachgebieten Geologie, Astronomie, Paläontologie, Chemie, Genetik, Physik, Zoologie und Botanik stattfinden – Disziplinen, die symbolisch durch eigene Gebäude auf dem Gelände der meisten Universitäten abgegrenzt sind und von denen jede nicht nur über eine eigene Fakultät mit eigenen Regeln und Grenzen verfügt, sondern auch über eine eigene Fachsprache und über eigene Lieblingsmethoden, um die aus der Forschung erwachsenden Informationen zu verbreiten.

Als Dreh- und Angelpunkte für die Geschichte, die wir auf den folgenden Seiten behandeln wollen, haben wir drei Themen ausgewählt. Erstens gehen wir davon aus, dass die Geschichte des Lebendigen durch Katastrophen stärker beeinflusst wurde als durch die Summe aller anderen Kräfte – einschließlich der langsamen, allmählichen Evolution, die Charles Darwin, geschult bei den führenden Köpfen des Uniformitarianismus, als Erster erkannte. Der Uniformitarianismus – die Lehre, die in der Geologie mehr als zwei Jahrhunderte lang dominierte –, wurde erstmals Ende des 18. Jahrhunderts von James Hutton und Charles Lyell entwickelt.7 Er wurde an Generationen junger Naturforscher – unter ihnen auch Charles Darwin – weitergegeben und übte auf sie letztlich den wichtigsten wissenschaftlichen Einfluss aus.8 Die Entdeckung, dass ein Asteroid vor 65 Millionen Jahren unseren Planeten traf und die Dinosaurier tötete, stand am Beginn eines Paradigmenwechsels, der zum sogenannten Neokatastrophismus führte,9 – eine Anspielung auf die Lehre des Katastrophismus, die dem Uniformitarianismus vorausgegangen war.

Wie wir in diesem Buch nachweisen werden, ist der Uniformitarianismus in seiner Anwendung auf die Welt vergangener Zeiten wie auch auf Art und Geschwindigkeit der Evolution heute im Wesentlichen veraltet und widerlegt. Die moderne Welt ist eben nicht immer das beste Hilfsmittel, wenn man Zeiträume und Ereignisse in der fernen Vergangenheit erklären will: Vieles spielte sich in Wirklichkeit nicht allmählich, sondern plötzlich ab. So gibt es beispielsweise keine modernen Phänomene, mit denen man die »Schneeball-Erde«, die »große Sauerstoffanreicherung« oder die schwefelreichen »Canfield-Ozeane« erklären könnte, die mehr als eine Milliarde Jahre Bestand hatten und während dieser ganzen Zeit die Evolution komplexerer Tierformen behinderten. Selbst zum Aussterben der Dinosaurier an der Grenze zwischen Kreidezeit und Tertiär (heute spricht man von der K-Pg- oder Kreide-Paläozän-Zeit, aber unsere Kollegen werden es uns hoffentlich verzeihen, wenn wir bei der besser klingenden und bekannteren Abkürzung K-T bleiben) gibt es heute keine Parallele. Das Gleiche gilt für die Atmosphäre und die Meere, die auf der Erde die Entstehung des Lebens ermöglichten, oder für eine Atmosphäre mit so hohem Kohlendioxidgehalt, dass es auf der ganzen Erde kein Stückchen Eis gibt. Die Gegenwart ist für den größten Teil der Vergangenheit kein Schlüssel; selbst als Schlüssel für das Pleistozän eignet sie sich kaum. Dass wir sie dazu gemacht haben, hat unseren Blickwinkel und unser Verständnis eingeschränkt.

Zweitens basiert unser Leben zwar auf Kohlenstoff (genauer gesagt auf »langkettigen« Molekülen, in denen Kohlenstoffatome zu Proteinen verknüpft sind), den größten Einfluss auf die Geschichte des Lebens hatten aber drei einfache, gasförmige Substanzen: Sauerstoff, Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff. Der Schwefel dürfte sogar das wichtigste Element gewesen sein, das über das Wesen und die Geschichte des Lebendigen auf unserem Planeten mitbestimmt hat.

Und schließlich ist die Geschichte des Lebens zwar von vielen biologischen Arten bevölkert, der einflussreichste Faktor, der zu der heutigen Lebenswelt führte, war aber die Evolution der Ökosysteme. Korallenriffe, tropische Regenwälder, die Tierwelt an den Tiefseeschloten und viele andere – jedes Ökosystem kann man als Theaterstück mit unterschiedlichen Schauspielern betrachten, dessen Handlung aber über die Erdzeitalter hinweg gleich geblieben ist. Wir wissen aber auch, dass in der fernen Vergangenheit gelegentlich ganz neue Ökosysteme aufgetaucht sind, die von neuen Lebensformen bevölkert wurden. Die Entstehung von Lebewesen, die fliegen, schwimmen oder gehen konnten, war jeweils eine wichtige evolutionäre Neuerung, die die Welt veränderte und zur Schaffung neuartiger Ökosysteme führte.

Was wir mitbringen

Der Hintergrund eines Autors wirkt sich immer darauf aus, welche Schwerpunkte eine historische Darstellung enthält. Peter Ward ist seit 1973 als Paläobiologe tätig und hat zahlreiche Veröffentlichungen über moderne und vorzeitliche Kopffüßer sowie über das Massenaussterben von Wirbeltieren und Wirbellosen verfasst. Joseph Kirschvink ist geophysikalisch orientierter Biologe und erforschte ursprünglich den Übergang vom Präkambrium zum Kambrium. Später erweiterte er sein Interessengebiet auf noch frühere Zeiten (die große Sauerstoffanreicherung), und er entdeckte die Schneeball-Erde-Episoden, einen wichtigen Teil der Geschichte des Lebens. Später haben wir uns gemeinsam mit den Massenaussterben im Devon, im Perm, am Übergang von der Trias- zur Jurazeit und an der Grenze zwischen Kreidezeit und Tertiär beschäftigt (der zuletzt genannte Zeitraum wurde kürzlich in Paläogen umbenannt). Im Freiland arbeiten wir seit Mitte der 1990er Jahre zusammen. Im Rahmen unserer Forschungsreisen studierten wir von 1997 bis 2001 in Südafrika das Massenaussterben im Perm, die Ammoniten der oberen Kreidezeit auf der Halbinsel Baja California in Kalifornien und in der Region von Vancouver Island, das Massenaussterben am Übergang von Trias zu Jura auf den Queen Charlotte Islands, das K-T-Massenaussterben in Tunesien, auf Vancouver Island, in Kalifornien, Mexiko und der Antarktis, und das Massenaussterben im Devon in Westaustralien.

Die Stimme, mit der wir in diesem Buch sprechen, soll ein bruchloses Duett sein, aber mit manchen Abschnitten identifiziert sich der eine oder der andere von uns stärker, weil das Thema unseren jeweiligen Interessengebieten besonders nahe ist oder weil wir an den wissenschaftlichen Erkenntnissen, über die wir berichten, einen entscheidenden Anteil hatten.

Namen und Begriffe

Wie wir bereits erwähnt haben, geht die Zahl der biologischen Arten auf der Erde in die Millionen. Die meisten, die das Leben erforschen, werden einräumen, dass die derzeitige Zahl der offiziell definierten Arten (das heißt derer, die einen Gattungs- und einen Artnamen tragen) vermutlich weniger als zehn Prozent der Gesamtzahl aller heute lebenden Arten ausmacht.10 Aber wie viele Arten gab es in der Vergangenheit? Mit Sicherheit waren es Milliarden. Deshalb ist das Vorhaben, ihre Geschichte zu Papier zu bringen, eine Ehrfurcht gebietende Aufgabe. Paläontologie, Biologie und Geologie haben jeweils eine eigene Fachsprache mit einem spezialisierten Wortschatz; wir werden jedoch versuchen, uns so auszudrücken, dass der jeweilige Jargon verständlich wird – oder auch die endlosen Abkürzungen zu entschlüsseln. Und was vielleicht noch abschreckender ist: Notgedrungen werden wir für die vielen großen und kleinen Lebewesen, die auf unserem Planeten die Geschichte des Lebens ausmachen und ständig fortsetzen, lateinische Namen einführen müssen.

Eine vollständige Danksagung an die vielen Menschen, die uns auf unserem Weg zum Verfassen dieses Buches geholfen haben, wird am Ende des Textes stehen. Ward möchte aber insbesondere die Namen von zwei Wissenschaftlern und Autoren nennen, die ihn stark beeinflusst haben: Robert Berner, dessen Untersuchungen über Sauerstoff und Kohlendioxid für die hier beschriebenen Themen absolut unentbehrlich waren, und Nick Lane, einen höchst produktiven Wissenschaftler und Autor, dessen Bücher Musterbeispiele für Klarheit und Fachwissen sind; seine Arbeit hat zumindest einen der beiden Autoren nachhaltig beeinflusst und seine Bücher sind nach wie vor ebenso bahnbrechend wie aktuell.11

Kapitel 1

Aufschlussreiche Zeiten

Bis vor Kurzem waren die Zeitangaben in der Geschichte des Lebendigen etwas Besonderes: Sie wurden nicht in Jahren, sondern über die Lageverhältnisse von Gesteinsschichten in der Erdkruste ausgedrückt. Mit der geologischen Zeitskala wollen wir uns in diesem Kapitel beschäftigen, denn sie ist das Hilfsmittel, mit dem die Reihenfolge der Kapitel in der Geschichte des Lebens auf der Erde entdeckt wurde.

Bei der geologischen Zeitskala handelt es sich um ein altersschwaches Konstrukt, das von Regeln aus dem 19. Jahrhundert und einen modernen europäischen Formalismus zusammengehalten wird. Geologen der neueren Generation sind nicht begeistert von den altmodischen, starren Konventionen, die zu dieser Zeitskala gehören, aber sie werden von den älteren Geologen, die mit dieser Tradition groß geworden sind, nach wie vor gefordert. Bis heute muss jede Veränderung von Kommissionen genehmigt werden;1 alle Zeiteinheiten müssen mit »Schichttypen« in Beziehung gesetzt werden, realen Schichtungen aus Sedimentgestein, von denen man annimmt, dass sie einen bestimmten Zeitraum am besten repräsentieren. Der Schichttyp soll leicht zugänglich sein und darf nicht durch tektonische Verschiebungen, Wärme oder »strukturelle« Komplexität (Bruchlinien, Faltung und andere komplizierte Vermischungen der ursprünglichen Sedimentschichten) gestört sein. Die Schicht soll nicht auf dem Kopf stehen (was häufiger der Fall ist, als man glaubt), sollte zahlreiche Fossilien (sowohl Makro- als auch Mikrofossilien) aufweisen und außerdem Mineralien enthalten, die man mit einer Kombination aus radiometrischer Altersbestimmung, Magnetostratigraphie oder irgendeiner Form der Isotopendatierung (beispielsweise Kohlenstoff- oder Strontiumisotopen-Stratigraphie) absolut (das heißt in Jahren) datieren kann.

Die Zeitskala ist kompliziert und oftmals nutzlos: Etwa wenn man erklärt, ein Gestein sei jurazeitlich, sagt man damit in Wirklichkeit, dass das fragliche Gestein das gleiche Alter hat wie der Schichttypus, auf den man sich für die Jurazeit geeinigt hat – und der befindet sich im Juragebirge in Europa. Mit solchen Angaben muss man arbeiten, wenn man sich mit der Geschichte der Erde und des Lebendigen beschäftigt, anhand der Fossilien das Alter von Gestein ermittelt und die Ergebnisse anderen mitteilt. Manchmal stehen zwar Methoden zur Verfügung, die moderner sind als die Datierung von Ereignissen und biologischen Arten aufgrund ihrer relativen Lage in Schichten aus Sedimentgestein2 – unter anderem kann man das tatsächliche Alter von Fossilien mithilfe der Isotopendatierung feststellen, beispielsweise mit der Kohlenstoff-14 – Methode oder anderen Formen der »radiometrischen« Altersbestimmung, bei denen man sich auf die bekannte Zerfallsgeschwindigkeit verschiedener, im Gestein enthaltener radioaktiver Elemente stützt. Tatsächlich findet man in den Schichten aber nur sehr wenige Fossilien, deren Material eine solche absolute Altersbestimmung ermöglicht. In der Regel kennt man ausschließlich den Gehalt an Fossilien, und auf seiner Grundlage muss man das Gestein datieren.

Die geologische Zeitskala ist bis heute nicht nur das wichtigste Hilfsmittel für die Datierung aller Gesteinsformen auf der Erde (die man nicht nach ihren Eigenschaften unterteilt, sondern nach ihrem Alter), sondern auch das Mittel, mit dem man die Zeitpunkte von Ereignissen in der Geschichte des Lebendigen ermittelt. Mit ihren komplizierten Namen und scheinbar zufällig gewählten, ganz unterschiedlichen Zeitabschnitten ist die Zeittafel zutiefst dem 19. Jahrhundert verhaftet. Zu einem Hindernis wird sie in den meisten Fällen nicht wegen ihrer Entwicklungsgeschichte, sondern weil sie bürokratisch stur zu einem formalisierten, kodifizierten Regelwerk gemacht wurde. Erst in den letzten zehn Jahren hat man neue geologische »Perioden« definiert. Die Entstehung und der Gebrauch der Namen dieser beiden neuen Perioden sind für unser heutiges Verständnis der Geschichte des Lebens von entscheidender Bedeutung: Auf das Cryogenium vor 850 bis 635 Millionen Jahren folgte sofort das Ediacarium, das heißt die Zeit vor 635 bis 542 Millionen Jahren.

Auf dem Weg zu einer aktuellen Zeitskala

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Fachgebiet Geologie geboren, und zur gleichen Zeit definierte man auch die geologische Zeitskala, wie wir sie heute kennen. Während dieser Zeit definierte man die verschiedenen Ären, Epochen und Perioden und verwendete sie anstelle eines älteren Systems.3 Vor 1800 glaubte man, jeder Gesteinstyp, den man auf der Erde beobachtet, habe ein ganz bestimmtes Alter. Das höchste Alter schrieb man dem harten vulkanischen und metamorphen Gestein zu, das den Kern aller Gebirge und Vulkane bildet. Die jüngeren Sedimentgesteine waren demnach das Produkt einer Reihe weltweiter Überschwemmungen. Dieses Prinzip, Neptunismus genannt, nahm eine beherrschende Stellung ein und entwickelte sich sogar so weit, dass man annahm, einzelne Typen von Sedimentgestein hätten jeweils ein spezifisches Alter. Der allgegenwärtige weiße Kalkstein, der am Nordrand des europäischen Subkontinents zu Tage tritt und sich bis nach Asien zieht, sollte demnach überall das gleiche Alter haben und sich vom Sandstein unterscheiden, der wiederum anders war als der feinkörnige Tonstein und Schiefer. Im Jahr 1805 machte man dann eine Entdeckung, durch die sich alles änderte. William »Strata« Smith4 erkannte als Erster, dass sich das Alter nicht an der Reihenfolge der Gesteinstypen ablesen lässt, sondern an der Reihenfolge der darin eingelagerten Fossilien: Mit ihrer Hilfe kann man die Schichten datieren und diese dann mit Schichten an anderen Orten in Beziehung setzen. Smith wies nach, dass verschiedene Gesteinstypen ganz unterschiedliche Alter haben können und dass man in weit voneinander entfernten Regionen die gleiche Abfolge von Fossiltypen findet.

Das Prinzip der Fossilfolge ebnete den Weg zur Entstehung der Zeittafel, wie wir sie heute kennen.5 Der Schlüssel war das Leben, das sich in Form von Fossilien erhalten hatte, und anhand der Unterschiede im Fossilgehalt konnte man die Gesteinsfolge an der Erdoberfläche erkennen. Die größte Unterteilung trennte älteres, fossilienfreies Gestein von den darüberliegenden Gesteinsschichten, in denen Fossilien häufig vorkamen. Den ältesten fossilienhaltigen Zeitabschnitt bezeichnete man nach einer Bevölkerungsgruppe aus Wales als Kambrium, und entsprechend wurden alle älteren Gesteinsformen dem Präkambrium zugeordnet. Die sich ans Kambrium anschließenden fossilhaltigen Gesteinsschichten wurden als Phanerozoikum oder »Zeit des unsichtbaren Lebens« bezeichnet. Das Proterozoikum, die letzte Schicht vor der Evolution der Tiere, folgt auf die älteren Abschnitte des Archaikums und Hadaikums.

Innerhalb des Phanerozoikums definierte man anhand des Fossilgehalts sehr schnell mehrere Perioden. Nach wenigen Jahrzehnten, in denen Fossilien mit echten wissenschaftlichen Methoden gesammelt, aufbewahrt und »verbucht« wurden (wobei man das erste und das letzte Auftreten bestimmter Fossiliengruppen erfasste), erkannte man, dass sich das Phanerozoikum in drei große Zeitabschnitte und entsprechende Gesteinssschichtungen unterteilen lässt. Den ältesten bezeichnete man als Paläozoikum (»altes Leben«), den mittleren als Mesozoikum und den jüngsten als Känozoikum.

Aber schon bevor man diese Ären abgrenzte, existierten die meisten noch heute gebräuchlichen Namen für Perioden bereits. Kambrium, Ordovizium, Silur, Devon, Karbon (so der europäische Sprachgebrauch; in Nordamerika unterteilt man das Karbon in Mississippium und Pennsylvanium) und Perm bilden in dieser Reihenfolge das Paläozoikum. Das Mesozoikum besteht aus Trias, Jura und Kreidezeit, zum Känozoikum gehören Paläogen, Neogen (früher Tertiär) und Quartär.

Die heutige Version der geologischen Zeitskala. (aktualisiert nach Felix M. Gradstein et al.)*

* Felix M. Gradstein et al., »A New Geologic Time Scale, with Special Reference to Precambrian and Neogene«, Episodes27 (2004): 83–100

Um 1850 hatte man die Perioden definiert, und neue wurden nur in seltenen Fällen anerkannt (gegen Ende des 19. Jahrhunderts bemühten sich allerdings viele Geologen um den Ruhm, eine ganz neue Periode definiert zu haben, aber das war nur auf Kosten bereits vorhandener Einheiten möglich). Ein solcher Versuch hatte tatsächlich Erfolg: Der Engländer Charles Lapworth6 fügte die Periode Ordovizium hinzu; dazu behauptete er mit Erfolg, einige tiefer liegende Schichten aus dem Kambrium und darüberliegende Gesteine aus dem Silur hätten ihre eigene geologische Periode verdient. Und weil er die übrige Geologengemeinde überzeugen konnte, wurde seine Unterteilung 1879 anerkannt. Zu jener Zeit waren zwei führende englische Vertreter, die bei der Benennung der Perioden Pionierarbeit geleistet hatten – Adam Sedgwick für das Kambrium, Roderick Murchinson für Silur und Perm – bereits gestorben und hatten ein Machtvakuum hinterlassen, in das Lapworth hineinstieß. Alle diese Männer hatten gewaltige Egos und kämpften wie die Berserker für »ihre« Zeitabschnitte.

Was die Geschichte des Lebendigen angeht, trat die wichtigste echte Veränderung in der geologischen Zeitskala ein, als innerhalb der Ära des Proterozoikums, in dem die Entstehung der Tiere bereits kurz bevorstand, die Perioden Cryogenium und Ediacarium hinzukamen. Aber schon lange bevor nicht nur die Evolution der Tiere, sondern die Evolution des Lebens insgesamt begann, musste die Erde bedeutende Veränderungen durchmachen, damit sie dem Lebendigen eine Grundlage liefern konnte. Das Cryogenium (von den griechischen Wörtern für »kalt« und »Geburt«) umfasst den Zeitraum vor 850 bis 635 Millionen Jahren; es wurde 1990 von der Internationalen Kommission für Stratigraphie und der International Union of Geological Sciences (IUGS) anerkannt, den Gremien, die für die Vergabe geologischer Namen zuständig sind.7 Das Cryogenium bildet die zweite geologische Periode des Neoproterozoikums; als nächste folgt das Ediacarium, das im Vergleich zu den anderen Perioden ebenfalls erst spät hinzukam. Beide Zeiträume sind, wie wir in späteren Kapiteln noch genauer erfahren werden, für die Geschichte des Lebendigen von entscheidender Bedeutung. Das Ediacarium wurde nach den Ediacara-Hügeln im Süden Australiens benannt und ist die letzte geologische Periode des Neoproterozoikums sowie des Proterozoikums. Es ging dem Kambrium unmittelbar voraus, der ersten Periode in der Ära des Paläozoikums, und dem Äon des Phanerozoikums. Die Stellung des Ediacariums als offizielle geologische Periode wurde 2004 von der IUGS bestätigt.8

In ihrer heutigen Form ist die geologische Zeitskala ein Mischmasch aus der Wissenschaft vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. In dieser Hinsicht ähnelt sie der Klassifikation der Lebewesen in den biologischen Wissenschaften: Beide stützen sich auf historische Behauptungen, Beobachtungen und vorhandene Begriffe und Definitionen, die aber häufig im Widerspruch zu neuen Definitionsmöglichkeiten stehen – das gilt sowohl für die Zeit als auch – im Fall der Biologie – für die Arten. Ebenso wie die DNA – Analysen unsere Auffassung von der Evolution radikal verändert haben, so stehen auch neue Methoden der Gesteinsdatierung im Widerspruch zu der alten »relativen« Zeitskala, die sich auf die Lageverhältnisse der Gesteine und ihrer Fossilien stützen. Häufig kommt es dabei zu gewaltigen Konflikten. Wir fragen uns, wie die geologische Zeitskala in 100 Jahren aussehen wird, insbesondere nachdem moderne Universitäten keine Spezialisten mehr ausbilden, die die schwierige Bestimmung von Fossilien so gut beherrschen, dass sie tatsächlich geologische Zeiträume definieren können. Das würde keine Rolle spielen, wenn irgendein neues Hilfsmittel nach Art von Star Trek die Möglichkeit schaffen würde, jedes Gestein durch Umlegen eines Schalters oder mit einer Scanaufnahme zu datieren. Leider wird das wahrscheinlich nie der Fall sein. Wir sind sowohl im Hinblick auf das Gestein als auch mit den historischen Datierungsmethoden und Definitionen in der Geschichte gefangen. Die geologische Zeitskala wurde sogar auf andere Planeten und Monde erweitert – anhand der Zahl der Einschlagkrater je Flächeneinheit –, und jeder Himmelskörper hat sein eigenes geologisches Begriffssystem, das wir ebenfalls lernen müssen.

Die geologische Zeitskala, interplanetar erweitert

Kapitel 2

Vor 4,6–4,5GJ:Wie die Erde zur Erde wurde

Anders als sogar die aufgeklärteren Denker der Renaissance halten wir die Erde heute nicht mehr für den Mittelpunkt des Universums, den Mittelpunkt des Sonnensystems oder den einzigen Platz im Universum, an dem Leben existiert, einen Ort, bevölkert von intelligenten Wesen, die Ebenbilder eines mächtigen Schöpfergottes sind. Vielmehr wissen wir, dass die Erde nur ein Planet unter vielen ist – und dass wahrscheinlich auch das Leben auf ihr wenig Bemerkenswertes hat. Dafür sprechen die Erfolge bei der Suche nach erdähnlichen Planeten (earthlike planets oder ELPs) in neuerer Zeit. Jedes Jahr werden mehr von ihnen gefunden1, und diese große Zahl von Entdeckungen verändert auch unsere Vorstellungen davon, wie verbreitet Leben im Kosmos ist. Aber bedeutet »erdähnlich« auch, dass es dort Leben gibt? Sehen wir uns einmal an, was unser Planet im Frühstadium seiner Evolution durchmachte, bis er bewohnbar wurde und schließlich auch von Lebewesen bewohnt war.

Seit den 1990er Jahren setzte in den Forschungsgebieten, die uns Aufschlüsse über die Geschichte des Lebendigen auf unserem Planeten liefern, ein Paradigmenwandel ein. Früher schenkten die Geowissenschaftler der Vorstellung, dass unsere Erde nur ein Planet unter vielen ist, kaum Aufmerksamkeit. Und entsprechend wenig Gedanken machte man sich darüber, dass das irdische Leben vielleicht nur eine von vielen Formen von Leben ist, die es in den unendlichen Weiten des Kosmos geben könnte. Als man dann aber Planeten entdeckte, die andere Sterne umkreisen, änderte sich dieser Zustand sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich.2 Der Wissenssprung, den die neuen Erkenntnisse einleiteten, ging über die Fachgebiete, die sich für außerirdische Planeten interessieren, hinaus – er betraf nicht nur die Astronomie und bestimmte spezialisierte Zweige der Geologie, die sich mit den jetzt als Exoplaneten bezeichneten Himmelskörpern beschäftigen, sondern auch die Biologie und sogar die Religion. Einer der Pioniere, die einen Exoplaneten entdeckten, war Geoff Marcy; er erinnert sich noch, dass einer der ersten Anrufe, den er nach der Entdeckung eines Exoplaneten erhielt, aus dem Vatikan kam. Die Vertreter der katholischen Kirche (die sich mit Astronomie sehr gut auskennen) erkundigten sich, ob es auf dem neu entdeckten Planeten Leben geben könne – mit allen religiösen Folgerungen, die das mit sich brächte.

Den allerersten Exoplaneten (einen Planeten, der einen Pulsar umkreist) entdeckte man 19923; es folgte 1995 die Entdeckung eines Planeten, der einen »Stern der Hauptreihe« umkreist und damit für die Evolution von Leben viel bessere Voraussetzungen mitbrachte als Pulsare, denn die haben die unangenehme Gewohnheit, in regelmäßigen Abständen große Salven lebensvernichtender Energie auf jeden sie umkreisenden Planeten abzuschießen.

Nur ein Jahr nachdem man den zweiten Exoplaneten gefunden hatte, faszinierte eine ganz andere astronomische Entdeckung die wissenschaftliche Welt ebenso wie Politik und Öffentlichkeit: In einem Bericht über einen Meteoriten vom Mars4 äußerten Wissenschaftler der NASA die Vermutung, dieser könne Anhaltspunkte für Lebewesen (und möglicherweise sogar fossile Mikroorganismen) enthalten. Insgesamt führten solche Befunde dazu, dass das neue Fachgebiet der Astrobiologie entstand.

Nun flossen große Geldbeträge in die Erforschung von Fragen, die irgendwie mit der Geschichte des Lebendigen zu tun haben und früher schlecht finanziert und kaum untersucht worden waren, darunter die nach der Entstehung und dem Wesen der allerersten Lebensformen auf der Erde. Dieser große Wandel begann in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, und zu Beginn des neuen Jahrhunderts war die Astrobiologie eines der spannendsten Forschungsgebiete. Es veränderte die Wissenschaft und verändert bis heute das Thema dieses Buches: unser Wissen über die Geschichte des Lebendigen auf der Erde, über das Potenzial für die Entstehung von Leben auf anderen Planeten und über die Geschichte solcher »anderen« Lebensformen.

Heute ist zwar häufig von »erdähnlichen Planeten« die Rede, man sollte aber überlegen, welche Erde gemeint ist: die Erde in ihrer Frühphase (links oben, eine vollständige Wasserwelt) oder die ganz unten rechts (in einigen Milliarden Jahren, wenn die Ozeane in den Weltraum entschwunden sind).

Dass unsere Erde nur einer von vielen potenziell bewohnbaren Planeten ist und dass unsere Form des Lebens nur eine von vielen möglichen chemischen Rezepturen verkörpert, setzen heute viele Astrobiologen als gegeben voraus. Aber komplexe Lebewesen, die den Tieren und höheren Pflanzen auf der Erde entsprechen, haben komplexe, durchaus nicht banale Bedürfnisse. Unsere Form von Leben ist (zumindest was die Komplexität angeht) vermutlich nicht einzigartig. Aber einer von uns (Ward) ist der Ansicht, dass das Wort »selten« zutrifft, und formulierte deshalb seine »Rare Earth Hypothesis« (»Hypothese der seltenen Erde«)5: Danach dürften mikrobiologische Lebensformen im Universum zwar weit verbreitet sein, aber die Systeme und insbesondere Zeiträume, in denen stabile Umweltbedingungen auf einem Planeten eine Evolution bis hin zur Entsprechung von Tieren ermöglichen, könnten in der Tat Seltenheitswert besitzen.

Was ist ein »erdähnlicher Planet«?

Vielleicht ist es unser irdischer Chauvinismus, vielleicht stimmt es aber auch tatsächlich, dass im Universum nur Leben wie das unsere möglich ist. Aber die Suche nach Exoplaneten hat im Kern das zentrale Ziel, andere »Erden« zu finden. Entsprechend muss man definieren, was ein erdähnlicher Planet eigentlich ist. Die Vorstellung von unserem Planeten in seiner heutigen Form haben wir alle im Kopf: Er ist blau und grün, zu weiten Teilen von Ozeanen bedeckt und er ist unser Zuhause. Wenn wir uns aber in der Zeit vorwärts und rückwärts bewegen, stellen wir fest, dass die Erde früher ganz anders war als der Planet, den wir heute unsere Heimat nennen, und dass sie es in der Zukunft in jedem Fall auch wieder sein wird. Wie sich herausstellt, orientiert sich die Definition von »erdähnlich« nicht nur an einem Ort, sondern auch an einer Zeit.

In Astronomie und Astrobiologie – den beiden wichtigsten Fachgebieten, die der Frage nachgehen, auf was für einem Planeten wir eigentlich leben – sind heute verschiedene Definitionen verbreitet. Nach der umfassendsten Beschreibung hat ein erdähnlicher Planet eine Gesteinsoberfläche und einen Kern mit höherer Dichte. Im engsten Sinn sollte er wichtige Voraussetzungen für das »Leben, wie wir es kennen« bieten, darunter eine gemäßigte Temperatur und eine Atmosphäre, die an der Oberfläche die Entstehung von flüssigem Wasser erlaubt. Als »erdähnlich« bezeichnet man häufig einen Planeten, der unserer heutigen Erde ähnelt, aber wir wissen, dass die Erde sich in den 4,567 Milliarden Jahren seit ihrer Entstehung grundlegend gewandelt hat. In Teilen ihrer Geschichte hätte unser eigener erdähnlicher Planet dem Leben keinerlei Grundlage geboten, und während über der Hälfte seiner Geschichte waren komplexe Lebensformen wie Tiere und höhere Pflanzen unmöglich. Die Erde war praktisch während ihrer gesamten Geschichte nass. Schon 100 Millionen Jahre nachdem – durch den Zusammenstoß zwischen einem marsgroßen Protoplaneten und dem noch nicht ganz kondensierten erdgroßen Himmelskörper – der Mond entstanden war, gab es flüssiges Wasser. Ein Zufall? Oder einfach die Folge eines großen Regens von stark wasserhaltigen Kometen, die auf der Erdoberfläche einschlugen und eine extraterrestrische Sintflut verursachten?

Indizien finden sich in winzigen Sandkörnern aus Zirkon6, einem Mineral, das radiometrisch auf ein Alter von bis zu 4,4 Milliarden Jahren datiert wurde. Sie weisen den Isotopen-Fingerabdruck von Meerwasser auf, das im Rahmen eines Subduktionsprozesses (ähnlich dem in der Plattentektonik) in den Erdmantel hinuntergezogen wurde. Obwohl unsere Sonne in der Frühzeit der Erdgeschichte viel weniger Energie abstrahlte als heute, enthielt die Atmosphäre so viele Treibhausgase, dass der Planet warm blieb. Noch wichtiger als die Sonnenwärme war dabei vermutlich die Vulkanaktivität auf der frühen Erde: Sie dürfte zehnmal so stark gewesen sein wie heute. Entsprechend stiegen große Wärmemengen aus der Erde auf und heizten sowohl die Meere als auch das Land auf. Nach Ansicht mancher Astrobiologen konnte das Leben auf der Erde erst entstehen, nachdem unser Planet viel kühler war als in der ersten Milliarde Jahre seiner Geschichte; das ist einer der vielen Gründe, warum man glaubt, dass irdisches Leben seinen Anfang möglicherweise auf einem anderen Planeten genommen haben könnte, beispielsweise auf dem Mars. Es gab aber in der Geschichte unseres Sonnensystems noch einen anderen erdähnlichen Planeten: die Venus.

In ihrer Frühgeschichte7 dürfte die Venus sich in der habitablen Zone der Sonne befunden haben; heute dagegen liegt ihre Oberflächentemperatur bei fast 500 Grad Celsius, was auf einen außer Kontrolle geratenen Treibhauseffekt zurückzuführen ist, der ihre Oberfläche mit ziemlicher Sicherheit keimfrei machte – manche Fachleute glauben allerdings, dass es in ihrer Atmosphäre Mikroorganismen geben könnte, die Wahrscheinlichkeit dafür scheint uns jedoch recht gering zu sein. Auf dem Mars dagegen zeigen die geologischen Spuren ganz eindeutig, dass es dort früher flüssiges Wasser gab, das sogar große Flüsse und Bäche bildete, so dass Kiesel rund geschliffen wurden und Schwemmkegel entstanden.8 Heute ist das Wasser verschwunden, gefroren oder als dünner Wasserdampf im Beinahe-Vakuum der Planetenatmosphäre gebunden. Wegen der geringeren Masse des Mars konnten dort vermutlich nicht die plattentektonischen Prozesse stattfinden, die für das Recycling der Kruste notwendig sind. Dadurch wiederum verminderten sich die Temperaturgradienten im metallischen Planetenkern, die für ein Magnetfeld notwendig sind, das die Atmosphäre schützt. Und wegen der größeren Entfernung von der Sonne konnte der Planet leichter in einen Dauerzustand des Typs »Schneeball-Erde« übergehen. Wenn auf dem Mars jemals Leben existiert hat, könnte es unter der Oberfläche immer noch vorhanden sein, aufrechterhalten von der minimalen geochemischen Energie des radioaktiven Zerfalls.

Vor mehr als 4,6 Milliarden Jahren9 (von jetzt an bezeichnen wir die Jahrmilliarden als Gigajahre, abgekürzt GJ) bildete sich die frühe Erde durch die Zusammenlagerung unterschiedlich großer »Planetesimale« – kleiner Körper aus Gestein und gefrorenen Gasen, die in der Ekliptikebene kondensierten, jener flachen Raumregion, in der alle unsere Planeten kreisen. Vor 4,567GJ (der Zeitpunkt ist ziemlich genau datiert und seine Zahlen kann man sich leicht merken) schlug offenbar ein Objekt von der Größe des Mars auf dem Himmelskörper ein, was dazu führte, dass die Nickel-Eisen-Kerne der beiden Planeten verschmolzen und der Mond aus einer »Atmosphäre« aus Siliziumdampf, die kurz darauf vorhanden war, kondensierte. Während der ersten paar Hundert Millionen Jahre seines Daseins wurde der neue Planet ständig und mit ungeheurer Gewalt von einem schweren Bombardement aus Meteoren getroffen.

Sowohl wegen der Lavatemperaturen auf der entstehenden Erdoberfläche als auch wegen der Energie, die durch die auftreffenden Meteore frei wurde, herrschten auf der Erde mit Sicherheit keine Bedingungen, die Leben möglich gemacht hätten.10 Allein die Energie, die vor mehr als 4,4 Milliarden Jahren durch den ständigen Regen aus Kometen und Asteroiden freigesetzt wurde, sorgte auf der Erdoberfläche für so hohe Temperaturen, dass Gestein sich verflüssigte und im geschmolzenen Zustand blieb. Es konnte sich unmöglich Wasser in flüssiger Form auf der Oberfläche bilden.

Nach der anfänglichen Kondensation wandelte sich der neue Planet recht schnell. Vor 4,56 Milliarden Jahren gliederte sich die Erde in verschiedene Schichten. Der innerste Kern, der vor allem aus Eisen und Nickel besteht, wurde von einer Schicht mit geringerer Dichte umgeben, die wir heute Erdmantel nennen. Über dem Mantel entstand eine dünne, schnell härter werdende Kruste aus Gestein von noch geringerer Dichte, und der Himmel füllte sich mit einer dichten, brodelnden Atmosphäre aus Dampf und Kohlendioxid. Auf der Oberfläche befand sich zwar kein Wasser, aber im Inneren der Erde war ein großes Wasservolumen eingeschlossen, und auch in der Atmosphäre war es als Dampf vorhanden. Als die leichteren Elemente aufwärts stiegen und die schwereren in die Tiefe sanken, wurden Wasser und andere flüchtige Verbindungen aus dem Erdinneren verdrängt und sammelten sich in der Atmosphäre.11

Im frühen Sonnensystem gab es neue Planeten und eine Riesenmenge Trümmer, die noch nicht zur Planetenbildung beigetragen hatten. Sie alle umkreisten die Sonne. Aber nicht alle Umlaufbahnen waren so stabile, schwach exzentrische Ellipsen wie die Bahnen der heutigen Planeten. Viele waren stark gekippt, andere durchquerten den Raum zwischen den kreisenden Planeten und der Sonne. Das gesamte Sonnensystem war damit einem kosmischen Trommelfeuer ausgesetzt, und zwar am stärksten in der Zeit vor 4,2 bis 3,8GJ. Manche dieser Himmelskörper, insbesondere die Kometen, dürften zum Wassergehalt der Planeten beigetragen haben, aber diese Frage ist Gegenstand recht hitziger Diskussionen. Wie viel Wasser durch Einschläge aus dem Kosmos auf die frühe Erde gelangte, wissen wir schlicht und einfach nicht. Kürzlich hat man entdeckt, dass die winzigen Wasserspuren in den Gesteinsproben, die vom Mond mitgebracht wurden, zu denen der großen Wassermenge auf der Erde passen. Das spricht dafür, dass die heutige Hydrosphäre und Atmosphäre zum größten Teil bereits in dem globalen Magmaozean gelöst waren, der sich im Gefolge der Kollision mit dem marsgroßen Protoplaneten Thaea gebildet hatte.

Aber wenn damals schon Leben existierte, musste es sicher einen hohen Preis zahlen. Wissenschaftler der NASA haben mathematische Modelle solcher Einschlagereignisse erstellt. Die Kollision eines Himmelskörpers von 500 Kilometern Durchmesser mit der Erde zieht eine fast unvorstellbare Katastrophe nach sich. Große Abschnitte der Gesteinsoberfläche verdampfen und lassen eine Wolke aus überhitztem »Gesteinsgas« oder Dämpfe mit einer Temperatur von mehreren Tausend Grad entstehen. Die atmosphärischen Gase sorgen dafür, dass der gesamte Ozean verdampft, so dass am Meeresboden nur eine Masse aus geschmolzenen Salz zurückbleibt. Da Strahlung in den Weltraum entweicht, kommt es zwar zu einer Abkühlung, aber ein neuer Ozean kann erst einige Tausend Jahre nach dem Ereignis durch Regen entstehen. Solche großen Asteroiden oder Kometen von der Größe des US – Bundesstaates Texas lassen sogar einen 3000 Meter tiefen Ozean verdampfen und vernichten dabei alles Leben an der Erdoberfläche.12

Vor ungefähr 3,8 Milliarden Jahren war der schlimmste Beschuss mit Meteoren zwar vorüber, aber heftige Kollisionen fanden immer noch viel häufiger statt als in jüngerer Zeit. Auch die Tage hatten eine andere Länge: Die Erde rotierte damals schneller, und deshalb dauerten sie noch nicht einmal zehn Stunden. Die Sonne schien viel schwächer und sah vielleicht eher wie eine rote Scheibe aus, die kaum Wärme abgab. Sie erzeugte nämlich nicht nur viel weniger Energie als heute, sondern ihr Licht musste auch eine giftige, ätzende Atmosphäre durchdringen, die aus wogendem Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff, Wasserdampf und Methan bestand, während Sauerstoff weder in der Atmosphäre noch im Ozean vorhanden war. Der ganze Himmel sah wahrscheinlich orange oder ziegelrot aus, und das Meer, das mit ziemlicher Sicherheit nahezu die gesamte Erdoberfläche bedeckte, war schmutzigbraun gefärbt. Immerhin gab es auf der Erde jetzt aber Gas, flüssiges Wasser, eine Kruste aus den verschiedensten Mineralien und Gesteinen. Unter den damaligen Umweltbedingungen waren auch solche, die nach heutiger Kenntnis für den zweistufigen Prozess der Entstehung von Leben notwendig waren: die Produktion der vielen »Einzelteile« und ihre Zusammenführung in einer »Fabrik«.

Der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre während der Erdgeschichte einschließlich einer Abschätzung der zukünftigen Entwicklung. Die Zeit 0 ist die Gegenwart.

Notwendige Lebenserhaltungssysteme und ihre Geschichte

Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Entstehung von Leben auf der Erde gehörten atmosphärische Gase, die so stark »reduzierend« wirkten, dass sie die Bildung präbiotischer Moleküle ermöglichten, der Bausteine des irdischen Lebens. Die dazu notwendigen chemischen Prozesse werden Oxidations-Reduktions-Reaktionen oder kurz Redoxreaktionen genannt. Bei der Oxidation gehen einem Molekül Elektronen verloren, bei der Reduktion kommen sie hinzu. Elektronen sind wie Geld, das gegen Energie eingetauscht werden kann: Bei der Oxidation zahlt sich der Elektronenverlust in Form eines Energiegewinns aus, bei der Reduktion werden Elektronen entgegengenommen wie Geld von einer Bank – und dieses Geld hat die Form von Energie. Öl und Kohle sind beispielsweise »reduziert«, das heißt, sie gleichen einer Bank mit viel Energie, die freigesetzt werden kann, wenn sie durch Verbrennung oxidiert werden. Mit anderen Worten: Wir oxidieren sie, und dabei wird Energie gewonnen.

Die Frage, wie die Atmosphäre in der Erdfrühzeit zusammengesetzt war, ist umstritten und Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten. Die Stickstoffmenge dürfte ähnlich gewesen sein wie heute, eine Fülle ganz unterschiedlicher Indizien deutet aber darauf hin, dass Sauerstoff so gut wie nicht zur Verfügung stand. Kohlendioxid dagegen war in der Atmosphäre in viel größerer Menge enthalten als heute, und diese CO2 – reiche Atmosphäre hat vermutlich durch eine Art Super-Treibhauseffekt mit einem CO2 – Druck, der 10 000 – mal höher war als heute, sehr hohe Temperaturen erzeugt.13

Heute besteht unsere Atmosphäre zu 78 Prozent aus Stickstoff und zu 21 Prozent aus Sauerstoff; Kohlendioxid und Methan machen weniger als ein Prozent aus. Diese Zusammensetzung dürfte allerdings relativ neuen Datums sein. Wie heute nur allzu deutlich wird, kann sich die Zusammensetzung unserer Atmosphäre relativ schnell verändern; das gilt insbesondere für das vermeintlich kleine eine Prozent, zu dem Kohlendioxid und Methan gehören, neben Wasserdampf zwei der sogenannten Treibhausgase, deren Bedeutung im Vergleich zu ihrem Anteil in der Atmosphäre überproportional groß ist.

Elementkreisläufe und globale Temperaturen

Damit sich der Zustand einstellt, den wir Leben nennen, muss eine ungeheure Zahl komplizierter Vorgänge ablaufen. In vielen davon spielt das Element Kohlenstoff eine Rolle, das sich dabei durch verschiedene Systeme »bewegt«. Ähnliches gilt für Sauerstoff und Schwefel, auch sie haben entscheidenden Anteil an der Aufrechterhaltung von Umweltbedingungen, unter denen das Leben auf der Erde existieren kann.

Während Kohlenstoff verschiedene Systeme durchläuft, wechselt er zwischen dem festen, dem flüssigen und dem gasförmigen Zustand. Sein Transport zwischen Ozeanen, Atmosphäre und Lebewesen wird als Kohlenstoffkreislauf bezeichnet und trägt entscheidend dazu bei, dass sich die Temperaturen auf unserem Planeten durch schwankende Konzentrationen der Treibhausgase verändern. Der Kohlenstoffkreislauf besteht eigentlich aus zwei verschiedenen Kreisläufen, die sich überschneiden: dem kurzfristigen und dem langfristigen Kohlenstoffkreislauf.14 Für den kurzfristigen Kohlenstoffkreislauf spielen Pflanzen die entscheidende Rolle. Bei der Photosynthese wird Kohlendioxid aufgenommen, und ein Teil des so absorbierten Kohlenstoffs wird im lebenden Pflanzengewebe gebunden; hier liegt er in einer reduzierten Verbindung vor, das heißt, diese ist reich an Energie, die freigesetzt werden kann. Wenn Pflanzen absterben oder Blätter fallen, gelangt der Kohlenstoff in den Boden und kann dort im Körper von bodenlebenden Mikroorganismen, anderen Pflanzen oder Tieren in andere Kohlenstoffverbindungen umgewandelt werden, wobei die reduzierten Kohlenstoffverbindungen oxidiert werden und der Organismus, der für die Oxidation sorgt, Energie gewinnt.

ENDE DER LESEPROBE