Eine riskante Affäre - Joanna Bourne - E-Book

Eine riskante Affäre E-Book

Joanna Bourne

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Beschreibung

Wird sie für die Liebe alles riskieren?

Jess Whitbys Vater wird der Spionage angeklagt. Jess ist von seiner Unschuld überzeugt und will alles tun, um seinen Namen reinzuwaschen. Sie hat Captain Sebastian Kennett in Verdacht, der wahre Verräter zu sein, und versucht, Beweise gegen ihn zu finden. Doch der attraktive Kennett weckt unerwartet tiefe Gefühle in Jess ...

Joanna Bourne entführt ihre Leserinnen und Leser in düstere Gassen und Tavernen, wo Spione sich treffen und Gefahr und Leidenschaft Hand in Hand gehen.

Band 1: Die Geliebte des Spions
Band 2: Eine riskante Affäre
Band 3: Die Dornen der Rose

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Inhalt

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

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Danksagung

Über die Autorin

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Impressum

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Über dieses Buch

Jess Whitbys Vater wird der Spionage angeklagt. Jess ist von seiner Unschuld überzeugt und will alles tun, um seinen Namen reinzuwaschen. Sie hat Captain Sebastian Kennett in Verdacht, der wahre Verräter zu sein, und versucht, Beweise gegen ihn zu finden. Doch der attraktive Kennett weckt unerwartet tiefe Gefühle in Jess …

JOANNA BOURNE

Eine riskante Affäre

Aus dem amerikanischen Englisch von Firouzeh Akhavan-Zandjani

Für Douglas

1

Katherine Lane

Hat man am Stehlen erst einmal Gefallen gefunden, kommt man nie wieder davon los. Genau das hatte Papa immer gesagt und ihr dabei einen Klaps auf den Kopf gegeben, um sie wissen zu lassen, wer gemeint war.

Taschen auszurauben fehlte ihr. Sie vermisste es, die Finger in aller Seelenruhe und Heimlichkeit in fremde Jacken gleiten zu lassen und klug und verstohlen einen Geldbeutel herauszuangeln. Und sie vermisste, was die Krönung des Ganzen war: den Beutel auf dem Straßenpflaster auszuschütten, dass die Münzen nur so klimperten, um sich dann mit den Freunden um die Beute zu scharen und das Geld zu zählen. Sie hatte gelernt, Buch zu führen und sich so einen recht ordentlichen Anteil zu sichern.

Ein anständiges Leben war nichts im Vergleich dazu. Vielleicht hatte sie sich gerade deswegen zu diesem Unsinn verleiten lassen. Sie war es so verdammt leid, anständig zu sein.

Es war ein guter Tag für einen Raubzug. Von der Themse kroch Nebel herauf und machte es sich in der Katherine Lane gemütlich. Er schlängelte sich über die Kanäle und lauerte in Ecken, wobei er wie der Fluss roch, also nicht unbedingt nach Götterspeise und Honigwein. Im Nebel konnte sich alles und jeder verbergen … was wohl auch der Fall war.

»Willkommen daheim, Jess«, flüsterte sie, zog die Kapuze über den Kopf und ging weiter. Der Nachmittag empfing sie mit Nieselregen.

Im Nebel auf der Katherine Lane räumten die Geschäftsleute ihre Waren in die Läden, schlossen ab und beendeten so einen wenig einträglichen Tag. Auch die Straßenmädchen hatten sich in die Schenken begeben und nicht nur die Seemänner und die Hintergrundgeräusche mitgenommen, sondern auch die kräftigen Farben ihrer Kleider. Immer öfter kam Jess an dunklen Eingängen und ausdruckslosen Fensterläden vorbei. Schon bald würde niemand mehr draußen sein, außer ihr und diesem Kater, der sorgfältig, wenn nicht gar übergründlich, seinen Weg über das Kopfsteinpflaster suchte. Er hatte etwas zu erledigen. Das konnte man ihm ansehen.

Sie wären unter sich, wenn sie in Sebastian Kennetts Taschen griff.

Das Letzte, was Papa gesagt hatte, als sie ihn in Hemdsärmeln aus dem Whitby-Lagerhaus zerrten, war: »Mach bloß nicht die Dummheit, mich befreien zu wollen!«

Papa kannte sie ziemlich gut. Er würde nicht besonders erfreut sein, wenn er das hier herausfand.

Die Gasse zur Rechten hieß Dark Passage. Wenn das kein hübscher, anschaulicher Name war! Links befand sich Dead Man’s Way. Noch so ein poetisches Glanzstück. Als Kind war Jess barfuß durch dieses Labyrinth geflitzt. Sie kannte jede Straße und jede noch so kleine Gasse, die in die Katherine Lane mündeten. Auf einem ungemütlichen, winzigen Dachboden ein Dutzend Straßen weiter nördlich war sie zur Welt gekommen. Es hatte eine Zeit gegeben, da sie offen und freundlich mit jedem Bettler und Zuhälter dieser Straße geplaudert hatte. In jeder dieser Schenken hätte sie untertauchen können und wäre dazu eingeladen worden, sich am Feuer aufzuwärmen. Nun war sie eine Fremde. Nicht mehr Jess, sondern Miss Whitby. Sie gehörte nicht mehr hierher. Früher hatte ich hier keine Angst.

Als die Straße sich nach Süden wandte und Richtung Themse abfiel, verlangsamte Jess ihre Schritte und passte auf, wohin sie die Füße setzte. Die Steine waren modrig und glatt. Zudem voller Pfützen. Früher hätte sie Kedger mitgenommen, um Gesellschaft zu haben. An der linken Seite ihres Umhangs, unter dem Ellbogen, befand sich eine Tasche, die extra für ihn dort angebracht worden war. Wenn sie noch ein gutes Stück vor sich hatten, durfte er immer auf ihrer Schulter sitzen, daher fühlte Jess sich jetzt nicht ganz wohl in ihrer Haut. Normalerweise saß er still da, atmete in ihr Ohr und passte auf.

Dies war nicht der richtige Ort für Kedger. Das hier musste sie allein erledigen.

Doch sie war nicht allein.

Mit einem Herzen, das wie ein gefangenes Kaninchen in ihrer Brust herumhüpfte, blieb sie regungslos stehen. Etwas bewegte sich im Schatten, und eine massige Gestalt trat aus dem Dunkel eines Eingangs.

Trotz seiner Größe kam der Mann auf leisen Sohlen aus der Finsternis auf sie zu. Er trug ein Bleirohr bei sich, und zwar so lässig, als wäre es nicht das erste Mal.

»Na dann.« Mit einem dumpfen Geräusch schlug er das Rohr quer über die fleischige Innenfläche seiner Hand.

Der stämmige Mann war etwa fünfzig, wettergegerbt und bekam langsam graues Haar. Von seiner rechten Braue verlief eine hässliche schmale Narbe bis in die Bartstoppeln am Kiefer. Ein durchnässter, zerknitterter Hut verdeckte seine Augen. Diese Augen waren noch das Beste an seinem Gesicht, fand Jess. Konnte man seine Augen erkennen, sah er nur halb so böse aus.

»Verraten Sie mir mal, was wir hier treiben?«

»Doyle.« Sie stieß den angehaltenen Atem aus. »Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich die Zusammenarbeit mit einem so überaus verlässlichen Menschen schätze. Können wir ein Stück in diese Gasse da gehen? Wenn jemand Sie mit diesem Rohr in der Hand sieht, könnte er mir zu Hilfe eilen wollen. Außerdem ist es da vielleicht etwas trockener.«

»Nicht viel.« Er ging schwerfällig voraus, wobei er den Nebel teilte. »Ich steh schon ’ne Weile hier rum und hab mich gefragt, ob ich wohl an Unterkühlung sterbe oder ob irgend so ein Halunke vorbeikommt und mir nur so zum Spaß die Kehle aufschlitzt. Keine Ahnung, was mir besser gefallen hätte.«

»Das dürfte eine dieser rein akademischen Fragen sein, über die gestritten wird.«

»Akademisch. Nach dem Wort hab ich gesucht.« Er wählte eine passende Stelle in der Gasse, schob mit dem Stiefel ein paar Abfälle beiseite und lehnte sich an die schmutzige Wand. »Für das, was Sie da planen, zahlen Sie mir nicht genug, Miss, wenn ich’s mal so sagen darf.«

Sie folgte ihm und fand ein sauberes Fleckchen an der Wand, direkt ihm gegenüber. Der Dachüberstand hielt einen Teil des Regens ab. Doch, wie Doyle gesagt hatte, nicht viel. »Übrigens, ein beeindruckendes Rohrstück.«

»Oh, vielen Dank, Miss Whitby. Ich hab’s extra besorgt, nachdem ich Ihre Nachricht erhalten hatte.«

Ein richtiger alter Gauner, dieser Doyle. Was für ein Glück, dass sie ihn hatte verpflichten können! Es hieß, er wäre ein Bow Street Runner gewesen, ein Mitglied der ersten Polizeitruppe Londons, ehe er die Seiten gewechselt hatte. Jetzt nahm er Aufträge an, die ein ehrbarer Polizist niemals angerührt hätte. Der Reichtum an gesetzeswidrigen kleinen Diensten, die notwendig waren, um Papa freizubekommen, war unerschöpflich. Und bei den meisten half Doyle ihr.

»Erwarten wir Gesellschaft?« Er blickte in den Teil der Katherine Lane, auf den Jess ein Auge hatte. Mr. Doyle konnte man nichts vormachen.

»Einen Mann. Ein recht großer Zeitgenosse, nach dem, was man so hört.«

»Sie möchten, dass ich ihm eins überbrate?« Nachdenklich wog er das Rohr in der Hand.

»Würden Sie das für mich tun?«

»Nie im Leben.« Als er lächelte, legte sich die Narbe auf seinem Gesicht in schreckliche Falten. »Zumindest nicht für das, was Sie mir dafür zahlen.«

Ein Mann mit Prinzipien. Das mochte sie so an ihm. »Zufälligerweise bitte ich Sie heute nicht, jemanden zu verprügeln. Sie sollen nur jemanden jagen, in der Absicht, ihm eine – wie Sie sagen würden – zu verpassen.«

»Hört sich recht leicht an. Wen soll ich verfolgen?«

»Mich.«

»Ach … Das ist ja mal ’ne nette Abwechslung! Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«

Es würde Doyle nicht gefallen. Sie erzählte ihm, was sie vorhatte. Dabei verzichtete sie auf unnötige Details, was die ganze Sache kurz machte.

»Aus genau dem Grunde arbeite ich für Sie, Miss Whitby. Sie erweitern mein Repertoire Stück für Stück.« Das Leder seiner Jacke war schwer vor Nässe. Als er sich mit dem Ärmel über die Stirn wischte, trug das nicht im Geringsten zu deren Trockenheit bei. »Nur damit es keine Missverständnisse gibt: Ich schwinge dieses Stück Rohr ein paarmal – ganz bedrohlich, wie Sie sagen würden – über Ihrem Kopf, als wollte ich Sie damit verprügeln, und Sie laufen weg und werfen sich diesem Kerl an den Hals, während Sie vor Angst schlottern. Ist das richtig?«

»Ganz genau. Durchnässt, schluchzend und bis in die letzte Faser meines Körpers zitternd.«

»Womit Sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit haben dürften.« Doyle schob seine Hutkrempe nach oben und musterte sie mit einem langen spöttischen Blick. »In meinem ganzen Leben hab ich noch nie so einen idiotischen Plan gehört. Abgesehen von dem Teil, wo ich versuchen soll, Ihnen mit dem Rohr hier den Schädel einzuschlagen. Das würde ich plausibel nennen.«

Es war doch immer wieder schön, mit einem Menschen mit Sinn für Humor zusammenzuarbeiten. Jess blickte erneut in die Straße. Noch immer leer. »Ich brauche drei Minuten, um seine Taschen zu durchsuchen. Verschaffen Sie mir drei Minuten!«

Das sollte genügen, um das Päckchen zu finden, wenn Kennett es überhaupt bei sich trug. Wenn sie es doch endlich in die Finger bekäme und die Zeit des Überlegens und der Mutmaßungen ein Ende hätte! Dann wüsste sie Bescheid. Ich bin es so verdammt leid, gegen Schatten zu kämpfen.

Andererseits dreht sich ein Schatten nicht einfach um und sticht dich ab, wenn du über seine Taschen herfällst. »Normalerweise kommt er am späten Nachmittag hier vorbei, auf dem Weg zum Schiff. Sie laden Wollartikel, Möbel und irgendwelche extravaganten Steinplatten aus Italien ab, für die er keinen Zoll bezahlt.«

»Ein Schmuggler. Das wird ja immer schöner. Jemand, den ich kenne?«

Früher oder später musste sie es ihm sagen. »Der Name des Schiffs lautet Flighty Dancer.«

»Heiliges … Kanonenrohr.« Er murmelte etwas, dessen Inhalt sie nicht verstehen konnte, und klopfte dabei wie zur Betonung hin und wieder mit dem Bleirohr gegen die Wand. Sie behielt recht. Er war von ihren Plänen ganz und gar nicht angetan. »Das ist ein Schiff der Kennett Company. Erzählen Sie mir jetzt nicht, dass Sie es auf den Flottenkapitän Sebastian Kennett abgesehen haben.«

»Ich wünschte, das könnte ich, Mr. Doyle.«

Klirr. Klirr. Doyles Bleirohr klopfte an die Wand in der Gasse. Klirr. »Haben Sie schon mal gehört, was dieser verfluchte Kennett mit Dieben anstellt?«

»Nur Gerüchte.« Es wurde erzählt, dass Kennett einem Dieb mal die Finger abgeschnitten hatte … in Alexandria. Hatte sie einfach mit einem seiner großen Messer abgesägt, die er immer bei sich trug. Die Leute erzählten viel, wenn der Tag lang war. »Wahrscheinlich alles übertrieben.«

»Darauf würde ich nicht wetten. Wenn Sie haben wollen, was er bei sich trägt, sollten Sie mich das besser machen lassen.«

Aber Cinq konnte jeden für sich arbeiten lassen. Sogar Doyle. Deshalb stand sie persönlich hier draußen im Regen – völlig durchgefroren, durchnässt und mit einem mulmigen Gefühl – und erledigte diesen Job lieber selbst. »Das geht nicht.«

Papa saß in diesem schmucken, ausbruchsicheren Haus in der Meeks Street fest und wartete auf den Henker, während der echte Spion, der Mann, den die Franzosen Cinq nannten, frei wie ein Vogel durch London spazierte. Just in diesem Moment konnte er die Katherine Lane hinuntergeschlendert kommen.

Ich hoffe, es stellt sich heraus, dass Kennett Cinq ist. Ich hoffe, er hat das Päckchen bei sich. Hoffe, dass er mich nicht wie einen Heilbutt ausnimmt, wenn er mitbekommt, dass sich meine Finger durch seine Jacke winden.

Klirr. »Ich kann’s Ihnen wohl nicht ausreden, was?«

»Nein.«

Sie hatte keine Wahl. Alles hatte sie versucht: Bestechung, Drohungen, Erpressung. Das ganze Repertoire. Nichts hatte funktioniert. Weder beim britischen Auslandsgeheimdienst noch beim Militärgeheimdienst. Weder beim Außenministerium noch bei der Admiralität. Es hatte den Anschein, dass die halbe britische Regierung Josiah Whitby hinter Gittern sehen wollte.

Zum Teufel, wenn man nicht einmal mit Bestechung zum Ziel kam.

Doyle musterte sie unter seiner Hutkrempe hervor. »Dies ist kein sicherer Ort für Sie, Miss Whitby, nicht bei dem, was Sie sind. Nicht mal, wenn ich bei Ihnen bin. Sie schlendern da einfach so über den Kai, vorbei …«

»Ich passe schon auf.«

»… an ein paar Zuhältern, die spontan Verwendung für so ein junges Ding wie Sie hätten. Und jetzt wollen Sie auch noch diesen elenden Kennett verärgern. Sind Sie eigentlich verrückt geworden?«

Verrückt konnte man das nicht nennen. Manchmal waren die Alternativen, die man hatte, auch nicht besser.

Damals, als sie sich noch einigermaßen regelmäßig windigen Geschäften gewidmet hatte, hätte sie das hier eine echt fiese Masche genannt. Sie wusste nicht, als was sie es jetzt bezeichnen sollte. Nachdem sie damit aufgehört hatte, in dem ihr bis dahin vertrauten Unterweltsjargon zu reden, gab es eine wahre Flut von Dingen, für die ihr jetzt die Wörter fehlten. »Sie müssen nicht bleiben.«

Klirr. »Ich verdiene den Hungerlohn, den Sie mir zahlen, Miss Whitby, falls Sie sich das fragen sollten.«

»Das tun Sie in der Tat, Mr. Doyle.« Er würde ihr helfen. Bei all ihren niederträchtigen Plänen. Der Knoten in ihrem Magen löste sich.

»Ich könnte mir auch gleich selbst die Kehle aufschlitzen und Kennett damit die Mühe ersparen.« Doyle kratzte sich mit dem Daumen über die Narbe. »Trauriges Ende für einen Mann mit meinen Fähigkeiten. Wann kreuzt er denn hier für diese Wahnsinnstat auf?«

»In einer halben Stunde etwa. Falls er kommt.«

»Ist also nicht mehr lang hin.«

Was ihr jedoch sehr lang erschien. Sie lehnte sich an die Wand. An einem Fenster im dritten Stock flackerte eine Kerze auf. Da war wohl eines der Mädchen bei der Arbeit. Ein hölzerner Fensterladen knarrte im Wind. Schon lustig, wie trocken ihr Mund trotz all dieser Nässe war.

»Doyle …«

»Hm?«

»Bleiben Sie ein gutes Stück hinter mir. Die Messer, mit denen Kennett so gut umzugehen weiß … Er wirft sie.«

»Hab davon gehört und keine große Lust, eins in die Eingeweide zu kriegen.«

»Ging mir auch immer so.« An der Ecke trieb der Wind den Nebel in einem Treppenschacht zusammen und drängte ihn zurück, sobald er zu entkommen versuchte. In einer Schenke die Katherine Lane weiter runter sangen sie eine recht ordentliche Version von »Rule, Britannia!«. Wer sich in dieser Straße aufhielt, war Abschaum, aber patriotischer Abschaum.

Das war das Schlimmste an einem Job: das Warten, bis es endlich losging.

»Tun Sie oft Dinge, vor denen Sie Angst haben, Doyle?«

»Hin und wieder. Man merkt Ihnen nicht an, dass Sie nervös sind, Miss. Sehen absolut ruhig aus.«

»Danke. Das viele Regenwasser würde sogar einen brennenden Ofen abkühlen.« Sie wischte sich ihren Anteil an Londons Nieselregen von der Nase und reckte den Kopf, um einen Blick auf die Katherine Lane zu werfen.

Ein ganz räudiger Wind zog unter ihren Umhang und ließ sie zittern. Das sind nur die Nerven. Sogar Kedger fing an zu zittern, wenn er nervös wurde, was bei einem Frettchen wie von selbst einsetzte. Sobald sie sich bewegte, würde es ihr wieder gut gehen. »Ich kann diese Warterei nicht ausstehen.«

»Und ich das nicht, was passiert, wenn sie vorbei ist.«

Jess krümmte die Finger und gab vor, sie aufzuwärmen, womit sie sich selbst vorgaukelte, bereit für diese Sache zu sein. Wenige Stunden Übung hatten die alte Geschicklichkeit nicht zurückzubringen vermocht. Wird verdammt peinlich werden, wenn dieser Kapitän Kennett mich mit meinen Händen in seinen Taschen erwischt.

Sie hörte sie, noch ehe jemand zu sehen war.

Ein Stück die Straße hinunter nahmen zwei Männer im Nebel allmählich Gestalt an. Der große auf der rechten Seite ging zwar gerade, jedoch auf wackligen Beinen. Der dürr aussehende Kerl auf der Linken hielt sie beide aufrecht.

Sie waren sturzbesoffen, was in dieser Straße nichts Besonderes war, und sangen.

»… lief ein süßes Austernmädchen mir über’n Weg.

Ich hob den Deckel ihres Korbes, blickte frech hinein,

nur um zu seh’n, ob darin waren ein paar Auuuuustern fein.«

Doyle ließ einen langen, stockenden Atemzug pfeifend durch die Zähne entweichen. »Das ist er. Kennett ist der Große auf der rechten Seite. Sternhagelvoll, beide.« Er wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels übers Gesicht. »Genau das, was ich brauche. Trunkenbolde mit Messern.«

»Wenn er blau genug ist, wird er wahrscheinlich nicht treffen.«

»So sei es.«

Verborgen unter dem Stoff ihres Umhangs, schlang sie sich die Arme fest um den Leib. Sie hatte schon Tausende von Taschendiebstählen begangen. Es würde schon alles glattgehen.

Kennett war, wie alle sagten, ein recht großer Mann. Und er sah nach einem harten Kerl aus, auch wenn er sich gerade sehr albern benahm. Durch den Nebel hindurch konnte sie schwarzes Haar erkennen und düstere, hagere Gesichtszüge. Kein Hut. Sein Mantel stand offen, was – wenn man sie fragte – eine erstklassige Aufforderung zum Taschenleeren war. Den Kerl auf der linken Seite konnte Jess nicht besonders gut sehen, da Kennett ihn in Beschlag nahm. Er sah finster und drahtig aus, hielt den Kopf gesenkt und achtete auf seine Schritte.

Stimmen, die der Regen herantrug. Jess kannte das Lied über das Austernmädchen. Darin ging es um einen Mann, der besser nicht dem jungen Ding getraut hätte, das ihm auf der Straße begegnet war. Traurig, aber wahr.

»Manchmal«, stellte Doyle fest, »ist das Leben nur eine einzige große Prüfung.«

»Wie recht Sie haben, Mr. Doyle!« Sie schob sich eine nasse Haarsträhne aus den Augen und wartete auf den richtigen Moment, um Zeter und Mordio zu schreien.

2

Als sturzbesoffen würde Sebastian Kennett sich nun nicht bezeichnen. Andererseits war er auch nicht gerade nüchtern. Zwischen betrunken und stocknüchtern erstreckte sich ein riesiger, schiffbarer Ozean. In solchen Gewässern ließ sich gut segeln.

Und war das etwa kein Tag zum Feiern? Riley, einer seiner Kapitäne, Herr über die Lively Dancer, war am Nachmittag ins Büro von Eaton Expediters gewankt und hatte ein Fass französischen Brandy sowie gute Neuigkeiten mitgebracht. Bei Tagesanbruch war Rileys Sohn just in dem Moment zur Welt gekommen, als der Mann bei Wapping den Anker setzte. Alle hatten ausgiebig auf den kleinen Thomas Francis Sebastian Riley angestoßen. Nachdem sie das Brandy-Fass im Reedereibüro geleert hatten, waren sie in die Schenke auf der gegenüberliegenden Straßenseite eingefallen – er, Riley, die Büroangestellten, ein Dutzend Schiffsoffiziere und ein paar völlig Fremde – und hatten ihr Zechgelage dort fortgesetzt. Nach dem, was Riley sagte, der sich fraglos mit Babys auskannte, war Thomas Francis Sebastian Riley ein lautstarkes, kräftiges Kerlchen. Baby Thomas Francis, armes Dingelchen, würde auch schreien müssen, was die Lungen hergaben, angesichts sechs älterer Schwestern. Ein paar Jahre, dann würde er wahrscheinlich weglaufen und zur See fahren.

Ein schöner Tag. Ein herrlicher Tag. Mehr als Grund genug, um die Stimme zu erheben und die Katherine Lane mit einem Lied zu unterhalten.

»Das sind die besten Austern, die dich jemals machten froh.

Sonst kosten drei ’nen Penny, doch dir gebe ich sie so …«

Er legte den Kopf in den Nacken und ließ sich den Regen ins Gesicht fallen. Himmel. Er war erst seit weniger als einer Woche aus dem stickigen, heißen Korfu und anderen östlich gelegenen Orten zurück. Die Kälte zog ihm die Gifte aus der Lunge. Es tat gut, Luft mit einem gewissen Gehalt zu atmen.

Adrian sang schief und schlug im Rhythmus der Musik mit seinem Spazierstock gegen Lamellentüren und Fensterläden. Er war nicht betrunken. Adrian betrank sich niemals, nicht bei seinem Beruf. Nur konnte er überhaupt nicht singen.

»Denn ich sehe, dass du Auuuuustern liebst.«

Die Freudenhäuser waren Inseln der Wärme und der Lichter, die im Nebel schwebten. Oben im zweiten Stock lehnten sich ein paar dunkelhäutige Damen aus dem Fenster und ließen ihr langes, öliges Haar herabfallen. Die karminroten und gelben Gewänder über ihren Schultern stachen grell in diesen Straßen hervor. Die kleinen, dunklen Brüste lagen nackt auf den aufgestützten Armen und machten einen fröstelnden Eindruck. Wie krächzende Möwen riefen die Damen ihm im Vorbeigehen hinterher und boten sich an. Er winkte und sang weiter.

»Haben Sie ein Zimmer, das gemütlich ist und frei,

fürs hübsche Austernmädchen hier und mich ein Bett für zwei,

wo feilschen können wir um diesen Korb voll Auuuuustern?«

Unter ihm brandete die Straße hoch auf. Er ritt die Welle, ohne auch nur einmal ins Stolpern zu geraten. Das Klettern in der Takellage lehrte einen, sich auf den Beinen zu halten. Der Kapitän musste mit gutem Beispiel vorangehen. Adrian brauchte ihn nicht zu stützen. Und er brauchte auch nicht so zu grinsen.

»Sie raubte meine Taschen aus und gleich schon war sie fort und ließ mich mit dem Korb voll …«

Der angstvolle Schmerzensschrei einer Frau zerriss den Nebel.

Er drang aus der schmalen Gasse dort drüben. Schlagartig waren alle Sinne Sebastians auf diesen einen Punkt fokussiert.

Nebel bedeckte die Fassaden zu beiden Seiten der Straße. Scharfe, schwarze Ecken ragten aus dem Grau – ein schräg abfallendes Geländer, eine Stufe vor der Haustür, der Umriss eines Fensterladens. Aus einer Schenke in der Ferne drang der Lärm Betrunkener.

Adrian trat zur Seite und machte sich kampfbereit. Wie ein Geist im Nebel war dieser Mann. Sie verharrten Rücken an Rücken. Sebastian legte die Hand locker an den Griff seines Messers; Adrian zog eines von seinen.

In der Nähe hörte er schwach das Reiben von Stoff an Stoff. In dem schwarzen Spalt, der sich Gasse nannte, wartete jemand und beobachtete sie. Er konnte beinahe die Atemzüge hören.

Im nächsten Augenblick setzten sich Füße mit einem kratzenden Geräusch aus völligem Stillstand heraus in Bewegung. Ein Mädchen kam um die Ecke gerast, als wäre der leibhaftige Teufel hinter ihm her. Ein dunkler Umhang umwehte sie und gab ihr blasses Kleid frei, sodass es hell wie die Flamme einer Kerze leuchtete. Die Kapuze fiel ihr ins Gesicht. Mit gesenktem Kopf und ausgestreckten Armen rannte sie direkt auf ihn zu und rammte ihn so heftig, dass sie ins Straucheln geriet.

Dann klammerte sie sich an seinen Mantel. Er fing sie zuvorkommend auf, ehe sie auf das harte Pflaster stürzte. Reibungsloser Ablauf, beiderseits. »Jungfer in Not« hieß dieses Stück. Pech für sie, dass er es schon in einem Dutzend Variationen gesehen hatte.

Wie aufs Stichwort spuckte die Gasse eine bedrohliche Figur aus, groß, männlich und mit einem gut einen halben Meter langen Rohr. Das Scheusal blieb abrupt stehen, in dem Bemühen, sich im Schatten unsichtbar zu machen. Der Mann verharrte und schien seine Erfolgsaussichten abzuwägen. Dann ließ er den Knüppel sinken und eilte flink wie ein Hase und für einen so großen Kerl erstaunlich schüchtern dorthin zurück, von wo er gekommen war.

Hinter ihm raunte Adrian: »Jetzt wird’s interessant. Entschuldigt mich …«, und hetzte wie auf Katzenpfoten in dieselbe Gasse.

Die hübsche Taschendiebin hing Sebastian weiterhin am Revers und atmete heftig in seine Weste. Auf der ganzen Welt gab es keinen Mann, der sie nicht in seiner Hilfsbereitschaft eng an sich gedrückt hätte.

»Bitte …« Sie keuchte und tröpfelte wirklich mitleiderregend. »Oh bitte! Er verfolgt mich.« Als sie sich verdrehte, um einen Blick über die Schulter zu werfen, rieben sich ihre Brüste wie hungrige Welpen an ihm. Sofort spannten sich seine Lenden an und wollten ihren Anteil abhaben.

Du bist gut hier drin, nicht wahr? Diese durchweichte junge Frau hatte schon eine ganze Weile im Regen gestanden und darauf gewartet, dass das passende Opfer vorbeikam. Sie gab ein süßes kleines Bündel ab. Er kuschelte sie an sich, wobei ihm der Duft von Lavendel und der nassen Baumwolle unter ihrem Umhang in die Nase stieg sowie ein femininer, blumiger Wohlgeruch, der von ihrer Haut ausging. Ihr Haar duftete nach Gewürzen.

Wenn sie geschickt genug war, würde er es nicht mal spüren, wenn sie seine Taschen durchsuchte. Darin befanden sich nicht mehr als vier oder fünf Schilling, die er lose bei sich trug. Sollte sie sie ruhig nehmen. Keiner wusste besser als er, wie kalt und einsam diese Zimmer im Obergeschoss waren. Soll sie sich doch ein paar Kohlen kaufen, um heute Abend ihre Zehen daran zu wärmen, oder eine Fleischpastete. Oder einen Tag Ruhe vor ihrem Zuhälter, vermutlich dieser überdimensionale Kerl, der den Rüpel mit dem Bleirohr mimte.

Wenn sie sich durch seine Jacke arbeitete, würde sie auf ein oder zwei Messer stoßen. Aber sie musste Männer, die Messer bei sich trugen, gewohnt sein.

Als ihre Kapuze nach hinten fiel und sie ihn direkt anschaute, hörte er auf, die ganze Sache amüsant zu finden.

Mein Gott, sieh sich einer das an!Nicht hübsch war alles, was er denken konnte. Sie ist nicht einfach nur hübsch, sondern unglaublich schön. Dieser Gedanke bildete sich so klar wie der Klang einer Glocke.

Sie hatte das Gesicht einer feurigen Wikingerin. Nasse Haarsträhnen schmiegten sich an die zarte Rundung ihrer Wange und hoben sie hervor. Augen in der Farbe baltischen Bernsteins blickten ihn an. Und ihre Haut glänzte wie griechischer Honig in der letzten, verregneten Abenddämmerung.

Wie von selbst langten seine Hände unter den nassen Umhang und schoben ihn zurück. Das Baumwollkleid klebte wie eine zweite Haut an ihr. Ihre Brustwarzen ragten wie verrunzelte Knötchen auf, vor Kälte fest zusammengezogen. Er umfasste ihren Körper, ließ die Hände nach unten wandern und zog sie die letzten Zentimeter heran, bis ihre Körper eng aneinanderlagen. Ihr Rücken bestand aus schlanken, geschmeidigen Muskeln, die leicht zitterten.

»Helfen Sie mir!«, hauchte sie flehentlich. Ihre Finger hasteten über seine Brust, auf der Suche nach einer Innentasche und möglicherweise darin verborgenen Geldscheinen. »Wenn ich bei einem Mann wie Ihnen bin, wird er mir nichts tun.«

Er war entzückt. Äußerst geschmeichelt. Die ganze Zeit, während sie sich ihm so unbeholfen anbiederte, durchsuchte sie ihn Stück für Stück mit intensiven, federleichten Berührungen, die unglaublich erotisch waren. Ob sie das überhaupt wusste? Sie war ihm so nah, dass seine Brust von ihrem warmen Atem bedeckt wurde und seine Lenden mit jedem Luftzug, den er spürte, ein wenig mehr zwickten.

Ihre Lippen formten irgendeine alberne Geschichte, dass sie aus ihrer Kutsche gestiegen wäre, um etwas zu kaufen, und man sie dann angegriffen hätte. Dass sie weggerannt wäre und sich im Nebel verirrt hätte. Doch er hörte gar nicht zu. Er beobachtete ihren Mund. Ein Mann könnte seinen Daumen in diesen süßen, breiten Mund gleiten lassen, ihre Lippen teilen und sie darauf vorbereiten, geküsst zu werden. Völlig problemlos.

Unglaublich. Wie gierig er nach ihr war, wie steif er geworden war, allein durch den Anblick ihres Mundes.

Sie stand kerzengerade vor ihm, presste sich fest und aufgeregt an ihn und log, dass sich die Balken bogen. In ihrem Innern brannte eine lebhafte und nervöse Intelligenz wie Feuer. Sie war eine lausige Lügnerin.

»Man hat mich gejagt. Seit Kilometern vielleicht. Ich weiß es nicht.« Sie leckte sich den Regen von den Lippen. »Ich weiß nicht …«

»Was wissen Sie nicht?« Er gab dem Drang nach und strich ihr mit dem Daumen über die Unterlippe, vor und zurück, streichelte sie langsam, ließ sie voll und weich werden. Sagte ihr lediglich Hallo. Sie konnte jederzeit gehen, wenn sie wollte.

»Ich musste …«

Er hörte nicht auf und wartete ab, was als Nächstes passieren würde. Immer wieder zeichnete er ihre Lippe nach, die vom Ablecken des Regens seidig zart und feucht war. Dabei beobachtete er sie und hörte nicht eher damit auf, bis sie ganz still wurde. Ein Beben durchfuhr ihren Körper, Widerstand vielleicht. Dann öffnete sich ihr Mund ein Stückchen und begann zu zittern.

Es war etwas sehr Schönes, was man für eine Frau tun konnte, wenn man ihren Liebreiz auf diese Weise zum Vorschein brachte. Allein mit dieser Berührung hatte er sie förmlich in seinen Bann gezogen. »Was für eine traurige Geschichte, Spätzchen!«

»Geschichte?« Ihre Pupillen wurden groß und schwarz, als sie ihn von unten anblickte. Sie war so sensibel. Unglaublich. Wie hatte sie auf der Katherine Lane nur überleben können, so feinfühlig, wie sie war?

»Warum vergessen wir die ganze Sache nicht? Ich bringe Sie an ein trockenes Plätzchen.« Er hoffte, dass er beruhigend klang. Für seine Ohren hörte es sich nur betrunken an. »Das würde Ihnen doch gefallen, oder? Ich bringe Sie irgendwohin, wo es warm und sicher ist. Kommen Sie mit?«

Keine Antwort. Nur diese durchdringende, samtweiche Faszination in ihrem Blick. Er ließ von ihrem Mund ab, schmiegte die Hand an ihr Kinn und gab ihr die Chance, sich zu sammeln. Regentropfen fielen ihr ins Gesicht und liefen über eine Haut, so fein und glatt wie Blütenblätter. Sie hatte Glück. Das Leben, das sie führte, hatte bisher noch keine Spuren hinterlassen.

Nach einer kurzen Pause blinzelte sie ihn an. »Wie bitte?«

»Sie brauchen nicht hier draußen im Regen zu stehen. Suchen wir irgendwo Schutz und reden eine Weile. Kommen Sie mit mir mit.«

»Mit Ihnen?« Der Klang ihrer Stimme gefiel ihm. Wie benommen. Großartige Sache für das Selbstwertgefühl eines Mannes. »Sie wollen, dass ich mit Ihnen mitgehe?« Sie biss sich auf die Lippe, als versuche sie, so das Gefühl seiner Berührung loszuwerden. Er fragte sich, ob es half.

»Ich gebe Ihnen fünf Schilling für die Nacht. Die habe ich noch, glaube ich. Mein Freund hat auf alle Fälle so viel dabei.«

Adrian würde ihm das nötige Kleingeld schon leihen. Er trug immer reichlich Geld bei sich, und niemand hatte es ihm je gestohlen. Wo zum Teufel war Adrian überhaupt? Er sollte hier sein und die Stimme der Vernunft spielen, anstatt zuzulassen, dass sein angesäuselter Freund wegen einer hübschen Hure auf dumme Gedanken kam.

»So viel würden Sie bezahlen?« In ihren Augen funkelte ein Lachen.

Ein lächerlicher Preis für diese Straße. Doch diese Frau hier war es wert, sich mehr als dumm zu verhalten. Es überraschte ihn selbst, wie sehr es ihn drängte, sie von diesem Markt käuflicher Körper zu nehmen und vor jenem Untier von Zuhälter in Sicherheit zu bringen.

Besser, er schaffte sie schleunigst zu Eunice, ehe er noch vergaß, dass er sich keine Straßenmädchen kaufte. Es war ein trauriges, ehrloses Geschäft, die Ausweglosigkeit dieser armen Mädchen auszunutzen, ganz zu schweigen von der guten Gelegenheit, sich Tierchen im Schritt einzufangen.

Diese Frau hier aber war anders. Er sah sie an und stellte sich schon vor, wie er sie eilig zum Kai trieb, an Bord der Flighty Dancer führte und die Tür seiner Kajüte hinter sich zuknallte. Er würde ihre entzückenden Brüste in den Mund nehmen, ihre Schenkel spreizen und dort hineingleiten, wo selbst an einem kalten Tag wie diesem Wärme zu finden wäre. Und dann würde sie ihm zeigen, wozu diese zarten, geschickten Hände und dieser weiche Mund in der Lage waren.

Wozu es jedoch nicht kommen würde. Stattdessen würde er sie mit fünf Schilling nach Hause locken. Tante Eunice würde schon etwas mit diesem durchnässten, zerlumpten, diebischen Gassenkind anzufangen wissen. Eunice könnte sie für immer von der Straße holen. »Fünf Schilling. Und ich gebe Ihnen eine Mahlzeit. Sorge dafür, dass Sie es warm und trocken haben. Ich bringe Sie zu …« Verdammt, er war zu besoffen und seine Sprache vor lauter Lust zu holprig für Erklärungen.

Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal nach einer Straßendirne gesehnt hatte. Diese hier war so quicklebendig, rein und liebreizend. Sie duftete nach Seife, Blumen und Gewürzen. Sogar ihre Fingernägel waren sauber.

Niemand auf der Katherine Lane roch nach Seife und Blumen. Lügen. Ihre Lügen stanken zum Himmel.

Rein und lieblich, mit der Ausdrucksweise einer Dame … eine Frau wie sie verkaufte sich in einem schicken Bordell in St. John’s Wood. Sie kam nicht aus einer Gasse auf die Katherine Lane gestürzt. Sie hatte jemandem aufgelauert – keinem beliebigen Opfer, sondern einem bestimmten Mann. Was trieb diese geschickte Hure noch, außer Taschendiebstahl zu begehen und mit den Augen Lügengeschichten zu erzählen? Stieß sie etwa einem Mann mit ihren flinken Fingern ein Messer zwischen die Rippen?

Er hielt ihre Handgelenke fest. »Wer hat Sie geschickt?«

»Wie bitte?« Sie riss die goldbraunen Augen auf. Das war Angst. Sie hatte gewusst, dass man sie schnappen könnte.

Sie tat recht daran, sich vor ihm zu fürchten. »Wer hat Sie bezahlt?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Noch mehr Lügen. Jemand hatte eine Falle mithilfe dieser hübschen, lebhaften Frau ausgelegt. Keine Falle für ihn. Niemand scherte sich einen Deut um irgendeinen Warenhändler. Es war Adrian, den sie wollten. Und Adrian war allein in einer dieser Seitengassen und durchstöberte jede Ecke.

Sebastian hob den Kopf und schrie: »Adrian! Pass auf! Das ist eine Falle.«

Das war das Startsignal.

»Hinter dir, Sebastian!«, rief Adrian.

Dann sah er sie. Leise wie Käfer trippelten zwei Männer auf ihn zu. Weitere folgten aus Hauseingängen und Ecken. Im Schutz von Regen und Nebel hatte sich das Pack ungesehen angeschlichen und näherte sich nun aus drei Richtungen. Dem Gälisch nach, mit dem sie sich verständigten, waren es Iren. Sie hatten Messer, Knüppel und Ketten bei sich. Abschaum von den Docks, eiskalt und todbringend. Sie hatten das Mädchen als Köder vorgeschickt, um ihn festzuhalten, während die Bande anrückte. Sie hatte ihn angelächelt und sich die ganze Zeit darauf vorbereitet, ihn sterben zu sehen.

»Laufen Sie weg!.« Er ließ sie los. »Laufen Sie!«

Aber sie wich mit aufgerissenen Augen und keuchendem Atem zurück. »Wieso? Niemand weiß, dass ich hier bin.« Was da in ihrer Stimme lag, waren Schock und Angst. Sie drehte sich im Kreis und suchte nach einem Loch in dem Netz, das sich um sie zuzog. Da wusste er, dass sie nicht dazugehörte. Sie war kein Lockvogel.

»Weiter in die Richtung sind noch mehr von ihnen. Dreizehn Mann.« Adrian glitt aus dem Nebel und nahm seinen gewohnten Platz auf der linken Seite ein.

Zwei gegen eine ganze Bande. Nicht gerade viel Aussicht auf Erfolg.

Sebastian wählte ein Ziel aus – einen, der vor seinen Kumpanen stand und den sie sehen würden, wenn er starb – und warf. Der gedungene Meuchelmörder brach mit einer sprudelnden Halswunde zusammen. In der Gasse erhob sich der vertraute widerliche Geruch des Todes. Sebastian zog das zweite Messer.

Die Ganoven zögerten, blickten in alle Richtungen und fingerten nervös an Klingen und Knüppeln herum. Angriff oder Rückzug. Beides war denkbar.

Dann stürzte ein Mann vor und langte nach dem Mädchen.

Sie war schnell. Wieselflink wandte sie sich um, biss ihrem Angreifer in den Arm, schmetterte sein Messer beiseite und riss sich los. Sie sprang zurück und fing sich einen langen Kratzer am Unterarm ein. »Alles gut. Mir geht’s gut.«

Keine Tränen, keine Schreie. Unendlich tapfer. Und sie stand ihm verdammt noch mal im Weg. Sebastian schob sie hinter sich, zwischen sich und Adrian. In größtmögliche Sicherheit.

Wenn dies hier länger dauert, bedeutet das ihren Tod. »Der rechts gehört mir.« Sebastian warf, doch seine Klinge traf schlecht und blieb in einem Schlüsselbein stecken. Ein Mann erledigt. Einer verwundet. Eigentlich wären es jetzt zwei Tote, wäre er so schlau gewesen, nüchtern zu bleiben. »Schade um das Messer. Verdammt.«

Sein letztes Messer steckte im Stiefel, kein Wurfmesser, sondern eines zum Töten aus nächster Nähe.

Er zwang sich, seine Konzentration auf das Angriffsmuster seiner Gegner zu richten und den Anführer auszumachen. Wird der Anführer getötet, machen sich die anderen vermutlich aus dem Staub. Adrian tänzelte zwischen den Schlägern hindurch und brach mithilfe seines bleiverstärkten Spazierstocks den einen oder anderen Knochen.

Keine Möglichkeit, die Frau aus dem Gefahrenbereich zu schaffen. Mit kreidebleichem Gesicht blieb sie in Sebastians Schatten und benutzte ihn als Schutzschild. Dies ist nicht ihr erster Straßenkampf.

Abrupt endeten seine Gedanken über sie. Eine Kette zischte vorbei. Er packte sie, brachte den Mann mit einem Ruck aus dem Gleichgewicht und trieb ihm sein Messer durch eine Lücke in der Lederweste unterhalb des Brustbeins aufwärts in den Leib, ins Herz.

Verbunden durch das Messer stand er dem Mann, dem er soeben den Todesstoß versetzt hatte, einen Moment lang von Angesicht zu Angesicht gegenüber, einem blasshäutigen Rotschopf mit verschlagenen blauen Augen, aus denen Schadenfreude und Wahnsinn sprachen. Wut und Unglauben schlugen Sebastian rhythmisch entgegen … und erstarben. Der Blick des Mannes wurde leer.

Dann krümmte sich der tote Mistkerl zuckend über dem Messer zusammen und nahm es mit sich, als er zu Boden ging.

Keine Zeit, es sich zurückzuholen. Eine Brechstange krachte auf Sebastians Schulter und rief einen grell brennenden, kupferroten Schmerz hervor. Er stürzte, wich einem Stiefel aus und rollte sich beiseite, während Adrian den Angreifer überwältigte.

Das Mädchen schrie auf.

Hoch. Er musste hoch. Wieder auf den Füßen, schüttelte Sebastian den Kopf und versuchte, durch einen schwarzen Schleier etwas zu sehen. Das Mädchen hing zwischen zwei Männern, von denen es weggeschleppt wurde. Er stolperte durch Wahnsinn und Verwirrung, durch Nebel und Schmerz. Adrian fluchte wie ein Bierkutscher.

Inmitten des ganzen Chaos’ hörte Sebastian das laute Rattern von Rädern auf Kopfsteinpflaster. Ein Transportwagen kam um die Ecke gerollt.

Das Mädchen riss sich los, wobei es seinen Umhang zurückließ, taumelte den Pferden direkt in den Weg und glitt auf den nassen Steinen aus. Sie konnte für den Bruchteil einer Sekunde aufblicken und sah die Hufe, ihr Gesicht eine Maske reinsten Entsetzens.

Sebastian warf sich in ihre Richtung. Zu spät. Er wusste, er würde zu spät kommen.

Der Fahrer zog an den Zügeln. Die Pferde bäumten sich mit grellem Wiehern auf. Verzweifelt kauerte sie sich vor den niedersausenden Hufen zusammen. Fast hätte sie es geschafft, sich in Sicherheit zu bringen …

Dann rutschte sie auf dem glitschigen Pflaster weg. Die eisernen Radkränze des Wagens schlitterten quietschend über die Steine. Mit einem entsetzlich dumpfen Aufprall wurde sie von einem Rad seitlich am Kopf getroffen. Sie wirbelte herum, wankte einen Augenblick und brach dann auf dem schmutzigen Straßenpflaster zusammen.

Ein Gewirr aus gälischen Stimmen erhob sich. Die Bande zog sich humpelnd zurück und schleifte die verwundeten Kumpane mit sich.

Sebastian trat über einen Toten hinweg und rannte zu dem Mädchen.

Sie lag wie schlafend zusammengekauert auf der Seite und war voller Blut und Dreck. Ihr hübsches Kleid war ihr halb vom Leibe gerissen, und ihre Hand lag mit leicht gekrümmten Fingern da, die Innenfläche gegen den Regen nach oben gerichtet. Einen elendig langen Moment nahm Sebastian an, sie wäre tot.

Adrian ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. »Oh Gott. Gütiger Gott. Sie ist es!«

Sie atmete noch. Sebastian strich ihr mit beiden Händen übers Gesicht bis hinauf ins Haar.

Das Mädchen öffnete die Augen, sah ihn jedoch nicht. »Wer?«

»Sie sind außer Gefahr.«

»… weh. Ich brauche …« Sie wurde mit offenen Augen ohnmächtig.

»Wie schlimm ist es?«, wollte Adrian wissen.

»Das Rad hat sie seitlich am Kopf gestreift.« Er schob ihr Haar beiseite, um Adrian die Stelle zu zeigen. »Hier. Nur ein kleines bisschen stärker, und ihr Schädel wäre wie eine Melone zerplatzt.«

»Sie ist voller Blut.« Adrian zog ein Taschentuch hervor.

»Nur eine Kopfhautwunde. Nicht der Rede wert.« Sebastian tastete ihren Schädel ab und versuchte, etwas Ungewöhnliches zu entdecken, etwas, das so nicht sein sollte. In all den Jahren auf See hatte er unzählige Unfälle gesehen. Daher wusste er, wonach er suchte. »Die Pupillen sind gleich groß. Ohren … Nase … keine Blutungen. Ich kann keine Brüche an ihrem Kopf feststellen. Adrian, ich bin besoffen. Sie wären nicht an sie rangekommen, wäre ich nicht betrunken gewesen. Zu betrunken für das hier.«

»Ich vertraue dir im angeheiterten Zustand mehr als den meisten Ärzten, wenn sie nüchtern sind.«

Sie versuchte sich wegzudrehen. Er hielt sie fest. »Ich brauche mehr Licht.«

»Wo? Die Schenke da hinten?«

Sie war nass bis auf die Haut, lag in einer Pfütze, und der Boden saugte ihr die Wärme aus dem Körper. Sie wurde immer kälter … bedrohlich klamm. »Nicht hier. Sie könnten zurückkommen, mit Verstärkung.« Er zog seinen Mantel aus und legte ihn ihr um. Dann hob er sie an. Sie war federleicht.

Als sie merkte, wie sie hochgehoben wurde, wehrte sie sich. »Lassen Sie mich runter! Ich kann gehen.« Noch ehe sie das ausgesprochen hatte, fiel ihr Kopf gegen seine Brust.

»Aber sicher. Sie können gehen. Kein Zweifel.« Er verlagerte sie ein wenig, damit ihr der Regen nicht ins Gesicht fiel. »Hol mir ein Messer! Meine Waffen sind weg. Ich bringe sie auf die Flighty.«

»Ich treffe dich dort.« Adrian wischte bereits ein Messer am Hemd eines Toten ab. Er steckte es in das Futteral in Sebastians Jacke. »Ich muss gehen. Ich will herausfinden, wer sie geschickt hat. Pass du für mich auf sie auf, Bastian!«

Adrian war nicht nur ein Freund. Er war der Sektionschef des Britischen Geheimdienstes, eine Macht in der Schattenwelt der politischen Spionage. Es war nicht das erste Mal, dass Adrian ihn in seine dienstlichen Auseinandersetzungen verwickelte. Na gut. Doch manchmal kamen Unschuldige wie dieses arme Mädchen zu Schaden.

»Du hast da wirklich ein paar unangenehme Feinde in der Stadt.«

»Das stimmt.« Im Vorbeigehen drehte Adrian die Schläger auf den Rücken und sah nach, ob sie tot waren. »Hast du es nicht gemerkt?« Sein dunkles, spöttisches Gesicht verzog sich vor Wut. »Sie waren nicht hinter mir her, sondern hinter ihr. Dieser Überfall galt einzig und allein ihr.«

3

Die Flighty Dancer

»Mach die Tür auf!«, befahl Sebastian.

Der Schiffsjunge eilte voraus. Dabei tappten seine nackten Füße über die Planken.

Als Sebastian die Frau auf seinem Bett abgelegt hatte, murmelte sie: »Wo …?«

»Sie blutet, Käpt’n.«

»Das sehe ich, Kleiner. Hol heißes Wasser!« Der scharfe Tonfall ließ Tom aus der Kajüte sausen.

Ihr geflochtenes Haar lag in Schlingen auf dem Kissen. Es war kaum zu glauben, dass dieses zarte Würmchen von bewaffneten Männern durch die Gassen gejagt worden war. Worin zum Teufel war sie bloß verwickelt?

Nur halb bei Bewusstsein rollte sie sich weg und schlug matt nach ihm. Gleichzeitig versuchte sie sich aufzusetzen. »La…ssen Sie …«

»Ruhig, Mädchen.« Er drückte sie sanft in die Kissen zurück. »Ruhig. Sie können doch nirgendwohin. Schön liegen bleiben.«

Sah sie ihn überhaupt, wenn sie ihn anschaute? Wahrscheinlich nicht. Ihr Blick war leer. »Es ist dunkel. Es … tut weh. Weh. Ich kann nicht raus.«

»Sie sind in Sicherheit. Wo tut es denn weh?«

»Dumme Frage. Überall.« Sie entschloss sich, für eine Weile ohnmächtig zu werden. Ihre Lider senkten sich, und ihr ganzer Körper wurde schlaff.

»Das kann ich mir vorstellen.« Er streckte sie bequem aus. »Wollen wir hoffen, dass in Ihrem Kopf nichts Wichtiges in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich will verdammt sein, wenn ich es nicht wieder in Ordnung bringen kann.« Im Augenblick konnte man nichts weiter für sie tun als abzuwarten. Auch der beste Doktor Londons hätte nicht mehr leisten können.

Seine Schuld, dass sie zu Schaden gekommen war. Da betrank er sich ein Mal im Jahr, und genau an dem Tag hätte diese Frau seine Hilfe gebraucht. Es gab gar nicht genügend Ausdrücke, um ihn hinreichend als Idioten zu bezeichnen.

Sebastian befreite sie von seinem Mantel und zog ihr die Schuhe aus. Sie hatte kaum blutende Wunden, war jedoch völlig durchnässt und zitterte vor Schock und Kälte. Wenigstens dagegen konnte er etwas unternehmen. All diese schmutzigen, triefenden Sachen mussten runter.

Er zögerte kurz, bevor er sein Messer zog und die Spitze unterhalb des vergoldeten Medaillons an ihrem Hals ansetzte. Dann drehte er die Schneide um, legte schützend seine Hand auf ihre Haut und schnitt. Das Band zersprang. Es handelte sich um Alençon-Spitze, heutzutage etwa für sieben Schilling und sechs Pence für zwei Handbreit zu bekommen, geschmuggelt, illegal … und um eine sehr kostspielige Dirne.

Sie reagierte nicht, als er sie aus den feuchten Kleidern schälte, die ihr am Leibe klebten. Ihre Brüste glitten heraus. Sie waren wie Pfirsiche. Auf der Oberseite, wo die Sonne sie erreichte, golden, darunter bleich. Sie schaukelten und waren von einer Gänsehaut überzogen, die Brustwarzen fest.

»Den beiden ist nichts passiert. Darüber dürften sich Scharen von Männern freuen.« Links wie rechts wunderschön. Ungestüme Regionen seines Körpers nahmen es zur Kenntnis, schwollen an und waren bereit. Seine eifrige Männlichkeit schlug eine Möglichkeit vor, wie sie am schnellsten aufzuwärmen sei. Er und sein bestes Stück waren auf dem besten Wege, deswegen in Streit zu geraten.

»Befreien wir sie endlich vom Rest.« Er arbeitete sich durch das nächste Stück Seidenband, wodurch er immer mehr nackte Haut unter einem größer werdenden und bauchabwärts wandernden V freilegte, was seine Erregung mit jedem Zentimeter wachsen ließ. Wie zum Teufel kamen Ärzte nur damit klar? Vielleicht waren sie alle Eunuchen.

Die Haut unter seinem Handrücken fühlte sich kalt und glatt wie Wasser an. Schon bald streifte er die Ausläufer lockigen Haars. Auch da unten war sie blond. Ein Mann konnte das nie mit Sicherheit wissen, ehe er nachgesehen hatte.

Eine Legion von Männern hatte dieses besondere Weizenfeld beackert, was eine Sünde und Schande für eine derartige Frau war.

Ihr Bauch rundete sich von den Hüften zu der langen, weichen Ebene, in deren Mitte sich dieser verletzliche Nabel befand, und stieg dann zu einer kleinen Erhebung an, wo diese Locken entsprangen. Es war ein Gebiet, das einen Mann dazu einlud, seinen Kopf darauf zu betten, sich dann umzudrehen und diesen Hügel hinaufzuküssen, und dabei seinen Mund mit ihrem Geruch zu füllen und mit dem Geschmack …

Ohne Einladung sollte sich seine Hand gar nicht dort befinden.

Er atmete tief durch und machte weiter, zerschnitt den Rest ihres Rockes und schob ihn beiseite.

Was hatte sie nur auf der Katherine Lane verloren gehabt, und warum hatte sie versucht, seine Taschen nach Kleingeld zu durchforsten? Wer hatte sie im Gestank und in der Kälte der Docks allein gelassen, sodass sie Opfer eines Überfalls durch eine Bande Iren hatte werden können? Das würde aufhören.

Noch ein Ruck, dann zog er den nassen Stoff unter ihr weg. Sie lag, leicht auf der Seite, auf den weißen Baumwolldecken seines Bettes, und versuchte instinktiv, sich vor der Kälte zusammenzurollen, da sie nun nicht mehr als ein Medaillon an einem schmalen blauen Band trug.

Nackt, wie sie war, wirkte sie klein und zerbrechlich. Als sie vor ihm gestanden, ihm Lügen aufgetischt und nach den Ganoven getreten hatte, war sie ihm kräftiger vorgekommen.

Was das Medaillon anging, hatte er sich geirrt. Es war nicht nur vergoldet, sondern bestand aus purem Gold, weich und schwer, und das Muster war schon fast vollständig abgewetzt. Als er es aufnahm, konnte er spüren, wie alt es war; er fühlte die Jahre, die es blank gescheuert hatten. Das raffinierte Scharnier war italienische Arbeit.

»Dieser Schmuck gehört nicht auf die Lane. Und du auch nicht, Spätzchen. Darüber werden wir uns ausgiebig unterhalten, wenn du wieder wach bist.« Er öffnete das Medaillon nicht, sondern legte es zwischen ihre Brüste zurück, wo er seine Hand ließ und seine Knöchel sie kaum merklich berührten. »Dein Herz klopft so gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Das ist gut. Weiter so.«

Ihre Haut unter seinen Fingern war glatt und unnatürlich kalt, darunter schlug ihr Herz. Sie hätte eine Marmorstatue sein können, die gerade erst zum Leben erweckt worden war und ihren ersten Atemzug getan hatte. Er könnte ein kleines Stückchen näher rücken und sich an diesen Brüsten zu schaffen machen. Vielleicht würde er ohnehin bald von ihnen kosten können. Sie würden wie Honig und Sahne sein, mit harten Klümpchen von Brustwarzen, die auf seiner Zunge hin und her sprangen.

Verdammt. Waren das wirklich seine Gedanken über eine bewusstlose Frau?

Ja. Ja. O ja. Mach das! Sein Penis hatte nicht die leisesten Skrupel.

Andererseits war es nicht sein Penis, der hier das Sagen hatte. »Und ich bin scharf wie eine Horde Seemänner auf Landurlaub.« Er zog die Hand weg und stapfte durch die Kajüte. Mit einem Gefühl der Selbstverachtung suchte er nach Handtüchern. »So ist es doch unangenehm. Wollen wir deine hübsche Haut mal etwas trocknen und dich zudecken.«

Decken befanden sich in der untersten Schublade, Handtücher neben dem Waschtisch. Er brachte beides zum Bett, setzte sich neben sie und trocknete sie schnell ab, wobei er es vermied, sie zu berühren. »Wenn du wieder wach bist, werden wir über deine äußerst verführerischen Waren sprechen. Ich habe gern mit Frauen zu tun, die reden können.«

Er wickelte sie in eine der Valletta-Decken, die er verschiffte, die mit den langen Streifen in den lebhaften Blau- und Grüntönen. Kuschelweiche Wolle. Er hüllte sie von Kopf bis Fuß ein, bis nicht mehr das kleinste bisschen Haut zu sehen war. Was ihm jedoch nicht in dem Maße half, wie er es sich erhofft hatte. »Wo zur Hölle steckt der Junge nur?«

Unglaublich, welche Wirkung sie auf ihn ausübte. Hatte er jemals eine Frau derartig gewollt? »So etwas wie du könnte einem Mann eines Nachts ins Netz gehen. Eine Meerjungfrau, perfekt und kühl. Vielleicht bist du dem Meeresreich entstiegen, hast deine Schuppen abgestoßen und bist auf direktem Weg in die Katherine Lane marschiert. Das wäre eine passende Art, wie eine Frau wie du dorthin geraten sein könnte.«

Klar und deutlich und ohne die Augen zu öffnen sagte sie: »Es ist dunkel.« Mit wem auch immer sie sprach, er war es nicht.

»Die Lampen sind noch nicht an. Darum kümmere ich mich gleich.«

»Ich kann nicht …« Dann rollte sie sich langsam zusammen, wie eine Blume, die sich schloss. Als sie den Kopf in den Armen verbarg, schmierte sie sich Blut übers Gesicht. »Ich kann nicht raus.«

»Ich bin hier.«

»Dunkel …«

Weil sie die Augen geschlossen hatte. »Ich mache gleich Licht.«

Mit lauten Geräuschen im Gang kündigte Tom seine Rückkehr an. Der Junge knallte die Tür gegen die Wand und ließ Wasser aus dem Eimer spritzen. »Ist sie tot?«

So viel zu seiner Meerjungfrauen-Idylle. »Sie wird nicht sterben, sondern sich aufsetzen und wissen wollen, warum ich so einen trägen, dummen Knirps als Schiffsjungen beschäftige. Bring das Wasser her!«

Sebastian setzte sich neben sie auf die Koje und tauchte eine Ecke des Handtuchs in den Eimer. Dann machte er sich daran, die Schrammen an ihren Händen zu säubern. Tom, ein frühreifer Elfjähriger, verrenkte sich den Hals, um einen Blick unter die Decke zu erhaschen. »Gott, was für ’ne Schönheit! Und die verkauft sich oben auf der Lane?«

»Nicht für deinesgleichen.«

Unter ihren Lidern kamen goldbraune Augen zum Vorschein. Das Erste, was sie erblickte, war Toms Gesicht auf gleicher Höhe mit ihrem. »Ich bin gestürzt, Sir. Ich habe nicht … aufgepasst.« Sie versuchte ihn klar zu sehen. »Wer sind Sie?«

»Ich heiße Tom. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«

»Sagen Sie ihm, ich kann nicht raus.«

»Was? Oh ja, Miss. Ich sag’s ihm. Kann ich Ihnen etwas bringen? Eine Tasse Tee? In der Kombüse ist das Feuer entfacht. Ich könnte Ihnen eine Tasse Tee holen, Miss.«

Sebastian konnte spüren, wie sie unter der Decke zitterte. Angst, Kälte und Verwirrung setzten ihr zu. »Tom.« Er wies mit dem Daumen zur Tür. »Zisch ab!«

Der Blick des Mädchens folgte dem Jungen nach draußen. Langsam und blinzelnd sah sie sich in der Kajüte um … Bücherregale, Seekarten, ein Stapel Kisten und schließlich wieder er. »Wo bin ich?«

»Auf meinem Schiff. Wie viele Finger halte ich hoch?«

»Sie glauben, ich hätte mir den Kopf gestoßen.« Sie zog eine Hand unter der Decke hervor und untersuchte ihren Schädel. »Das hab ich tatsächlich.«

»Wie viele Finger?«

»Drei.«

»Schmerzt das Licht in den Augen?«

»Mir tut alles weh.« Als sie diesmal versuchte, sich aufzusetzen, legte er einen Arm um sie und half ihr dabei. Er ließ den Arm, wo er war, und schaute zu, wie sie sich mit trübem Blick und verwirrter Miene zusammenkauerte, ohne die Decke tiefer rutschen zu lassen. Sie hätte sogar bei einem Stein Beschützerinstinkte geweckt.

»Rede mit mir, Spätzchen! Wer sind Sie?«

»Jess. Ich heiße Jess.«

Als sie zwischen Wachsein und Bewusstlosigkeit hin- und hergependelt war, hatte sich ihre Stimme nach tiefstem East London angehört. Nun klang sie vornehm. Irgendwo war seinem waschechten Londoner Spatz eine bessere Erziehung zuteilgeworden. Sie wurde immer interessanter. »Können Sie sich an den Schlag erinnern?«

Sie schüttelte den Kopf und verzog vor Schmerz das Gesicht. »Das sollte ich lieber lassen.«

»Ja, wäre besser. Wissen Sie, welcher Tag heute ist?«

»Nein, ich … Stellen Sie mir nicht so dumme Fragen.«

Sie hatte ein paar Gedächtnislücken. So etwas hatte er schon einmal erlebt, als sein Bootsmann aus der Takelage gestürzt war. Einen ganzen Tag hatte es gedauert, bis der Mann sich wieder daran erinnert hatte, auf welchem Schiff er sich befand. Die Erinnerung an den Sturz war jedoch nie mehr zurückgekehrt.

»Sie zittern ja immer noch. Lassen Sie uns mal Ihre Haare trocknen.« Als sie keine Einwände erhob, nahm er das Handtuch, löste und entwirrte er ihren Zopf und wrang ihr Haar aus. Dabei ging er sehr behutsam vor, um sie nicht zu ängstigen.

Sie hatte die Stirn in Falten gelegt und grübelte ununterbrochen. Nach einer Weile sagte sie: »Ich kann mich nicht an alles erinnern. Was ist mit mir passiert?«

»Sie sind unter einen Wagen gestürzt und wurden verletzt.« Darüber würden sie morgen reden. In einem von mehreren vorgesehenen Gesprächen.

Fertig. Er ließ das Handtuch sinken. Ihr trocknendes Haar war heller als erwartet und nahm die Farbe einer frisch geschlagenen Spiere an. Zauberhaft. Ein Mann würde diese Frau allein um des Vergnügens willen behalten, das sie ihm damit bereitete, wenn sie abends ihr Haar öffnete.

»Mein Kopf ist ganz schön durcheinander, nicht wahr?«

»Ein wenig vielleicht. Warten Sie ein, zwei Stunden, dann geht es Ihnen wieder gut.«

»Ich habe nicht vor …« Plötzlich hielt sie inne und wich vor ihm zurück. Dann lockerte sie die Decke ein wenig, schaute darunter und tauchte mit vorwurfsvollem Blick wieder auf. »Sie haben mich ausgezogen. Ich bin ja völlig nackt.«

Er machte ihr Angst. Sogleich ließ er das Handtuch fallen, rückte ein Stück von ihr weg und breitete die Hände zu einer Geste der Unschuld aus.

Der Mann entfernte sich von ihr und versuchte, einen harmlosen Eindruck zu erwecken, womit er nicht den geringsten Erfolg hatte.

Er widersprach: »Sie sind nicht nackt. Sie stecken in einer Decke.«

Oh, wie beruhigend. Sie steckte in kalter Haut und einer Wolldecke. Die Decke zog sie bis zum Kinn hoch, um sich dahinter zu verbergen. »Dann müssen wir uns recht gut kennen, wer auch immer Sie sind.«

»Mein Name ist Sebastian.«

»Se…bas…tian.« Sie probierte die Silben und war sich ziemlich sicher, dass dieser Mann ein völlig Fremder war. Ein gefährlicher Fremder. Ihr waren schon viele gefährliche Männer begegnet, und sie erkannte sie auf den ersten Blick. »Sie sind ein Teil dessen, woran ich mich nicht erinnere, Sebastian. Mir fehlt jegliche Erinnerung an Sie.«

»Sie kennen mich nicht.«

»Dann sollte ich doch wohl meine Kleider tragen, oder?«

Er sprach betont ruhig und wie mit einem Kind, das sich fürchtete. »Sie waren nass.«

Dort auf dem Teppich lag ihr Kleid, ein Haufen zerschlitzten Stoffes. »Mein Kleid war nass, also haben Sie es zerschnitten. Dann dürften Sie bei Gewitter ja das reinste Grauen sein.« Eine vernünftige Frau würde an ihrer Stelle nicht so sarkastisch reagieren.

»Sie waren bis auf die Haut durchnässt, blutverschmiert und eiskalt. Das schmutzige Bündel Stoff war nur im Weg.« Er ließ die Tatsache, dass er sie ausgezogen hatte, so banal wie Haferbrei klingen. »Und Sie haben mir mein ganzes Bett verdreckt. Ich habe eine ganze Gallone Schmutzwasser aus Ihnen geholt.«

»Schmutz. Das erklärt natürlich alles.« Ihr Schädel pochte wie eine Hammermühle. Jede Zelle ihres Körpers schmerzte, einige von ihnen auf sehr einfallsreiche Weise. Jess erinnerte sich einfach nicht, wie sie hierhergekommen war. Sie war nackt. An der ganzen Situation war nichts Gutes. Gar nichts.

Sie befand sich in der Koje der Kapitänskajüte eines recht großen Handelsschiffes von etwa einhundertsiebzig Tonnen. Dies ist kein Whitby-Schiff. Ich bin nicht in Sicherheit. Der Schnitt der Kajüte und die hübschen Messinggegenstände sagten ihr, dass es aus einer Werft in Boston stammte. Dieser Mann jedoch klang nach einem Engländer, nicht nach einem Amerikaner.

Vor allem aber … hatte sie ein seltsames Gefühl im Kopf. Als hätte jemand eine große Kelle genommen und ihr Gehirn ein paarmal damit umgerührt. Nichts war, wo es sein sollte. Als sie sich fragte, warum sie splitterfasernackt in der Kapitänskajüte eines Handelsschiffes saß, konnte sie nicht einmal einen Teelöffel voll Erklärungen abschöpfen. Das gibt einen Haufen Ärger.

Käpt’n Sebastian stand anderthalb Meter von ihr entfernt, wirkte groß und gefährlich und runzelte besorgt die Stirn. »Ich werde Ihnen nichts zuleide tun.«

Klar, dass er so etwas sagt.

Für einen Kapitän war er jung. Vielleicht dreißig. Er hatte schwarze Haare und einen wahren Zinken von Nase sowie stark gebräunte, derbe Seemannshaut, die weder von einer gnädigen noch englischer Sonne herrührte. Auf seinem Hemd waren farbenfrohe angetrocknete Blutspritzer. Das war vermutlich ihr Blut.

Ich hab ihn schon mal irgendwo gesehen.

Eine Erinnerung tauchte auf, eine ganze Sequenz. Sie stand vor dem Kapitän, so dicht und auf intime Weise wie zwei benachbarte Zähne. Nebelschwaden. Das pechschwarze Haar war nass und fiel ihm in die Stirn. Er ist mir mit seinen Fingern über die Lippen gefahren, ein angenehm erregendes Gefühl. Mehr war nicht zwischen uns, doch ich war voller Lust und innerlich so aufgewühlt, als hätte er mich eine Stunde lang geküsst.

Er wusste, was er mit mir anstellte. Er wollte es so.

Ich sagte: »Fünf Schilling?« Und habe ihn angelacht.

Die Erinnerung brach ab und ging unter wie ein Stein. Sie hatte keine Ahnung, was als Nächstes kommen würde. Obwohl sie in den hintersten Ecken ihres Gedächtnisses suchte, konnte sie nichts finden.

Seine Stimme erklang polternd: »Sie machen sich Sorgen. Ich möchte, dass Sie damit aufhören. Ich passe schon auf Sie auf.«

Ich möchte aber nicht, dass Sie auf mich aufpassen. Ich möchte meine Kleider anhaben. Sie kauerte sich noch mehr zusammen und zog die Decke höher unter ihr Kinn. Das ist eine griechische Decke. Wir verwenden sie, um zerbrechliche Waren einzuwickeln. Papa kauft ein oder zwei Ballen am Kai, zuletzt in Valletta, und wir werfen sie oben auf …

Dann war es weg. Das Bild vom Kai in Valletta zerfiel in seine Einzelteile und wurde weggeweht, und mit ihm Papa. Es gab etwas, das sie für ihn tun musste. Etwas Wichtiges. Sie musste …

Chaos und kreisende Schmerzen in ihrem Kopf. Weiter nichts. Sie schaffte es nicht zu denken.

Also ließ sie den Blick sinken. Ihre Zehen lugten unter der Decke hervor, sahen albern rosig und wehrlos aus. »Ich kann mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin.«

»Ich habe Sie getragen, nachdem Sie vom Wagen angefahren worden waren. Ich würde gern Licht machen. Es wird früh dunkel.«

Ich wurde von einem Wagen angefahren? Das ist doch ein billiger Trick. Hört sich irgendwie gar nicht nach mir an. Sie beobachtete ihn, als er durch die Kajüte ging und ein paar Lampen holte. Wenn sie die Augen bewegte, stachen sie wie Nadeln. Und wenn sie sie schloss, schmerzten sie ebenfalls. Manchmal gab es nur die Wahl zwischen zwei schlechten Möglichkeiten. Das hat Lazarus immer zu mir gesagt.

Als der Kapitän das Fenster passierte, konnte sie seine Umrisse erkennen, die sich gegen das Grau draußen abhoben.

Dies rüttelte einen weiteren kleinen Erinnerungsfetzen los.

Er stand mit dem Rücken zu mir, ein Messer in der Hand, während sich Männer wie Dämonen aus dem Dunkel ergossen. Er hat sich zwischen mich und diese Leute gestellt …

»Ich war da draußen … in dieser Sache.« Sie betrachtete den Regen und den Nebel hinter dem Fenster. »Zusammen mit Ihnen. Und Sie haben jemanden getötet.«

»Es gab eine Auseinandersetzung.« Er stellte die Laternen auf einer Seekarte ab. »Wir reden morgen darüber. Sie können Ihren Kopf durchforsten, wenn er nicht mehr wehtut.«

Dann ist er also ein Killer. Ich kenne zu viele davon.

In einem schattenartigen Kampf im Nebel hatte er sie beschützt. Dessen war sie sich sicher. Vielleicht war ihre Angst vor ihm deswegen nicht so groß, wie sie eigentlich hätte sein sollen. Jess sah zu, wie er ein Feuer entfachte und den Zunder in der Hand hielt. Er hatte große Hände. Überhaupt war er eine imposante Erscheinung, was sich an Bord eines Schiffes sehr deutlich zeigte. Ein Mann seiner Größe füllte den Raum aus, vom Schott bis zum Rumpf, vom Deck bis zur Decke.