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"Ausgesprochen unterhaltsam. Wärmstens allen Liebhabern ausgezeichneter Krimis empfohlen, mit überraschenden Wendungen und einer gut durchdachten Handlung. Sie werden nicht enttäuscht sein! So lässt sich ein Wochenende bei schlechtem Wetter am besten verbringen!" – Buch- und Filmrezensionen (über Der Tod kam vor dem Frühstück) EINE VILLA IN SIZILIEN: ORANGENHAINE UND VERGELTUNG ist der 5. Band einer wunderbaren neuen Wohlfühlkrimi-Reihe der Bestseller-Autorin Fiona Grace, die auch Der Tod kam vor dem Frühstück geschrieben hat, einen Nr. 1 Bestseller mit über 100 Fünf Sterne-Bewertungen (und einem kostenlosen Download)! Audrey Smart, 34, hat ihr Leben von Grund auf verändert: Sie hat ihr Dasein als Tierärztin (und eine Reihe gescheiterter Liebesbeziehungen) hinter sich gelassen und ist nach Sizilien gezogen, um ein Haus für 1 Dollar zu kaufen – und eine damit verbundene Renovierung in Angriff zu nehmen, womit sie sich allerdings überhaupt nicht auskennt. Sie ist damit beschäftigt, das neue Tierheim der Stadt zu leiten, während sie gleichzeitig ihr Haus renoviert und wieder auf Verabredungen geht. Audrey erhält einen Anruf, um einen verletzten Streuner in einem Orangenhain auf einem alten Landgut zu finden. Aber wartet dort auch die Liebe auf sie? Denn der Besitzer des Guts ist charmant und gutaussehend – so jemand ist ihr noch nie begegnet. Könnte er vielleicht sogar ein Mafioso sein? Es folgen nie enden wollende Überraschungen, und auf dem Rückweg aus dem Hain findet sie sogar noch etwas: eine Leiche. Band 6 der Serie – CANNOLI UND EIN TODESFALL – ist jetzt ebenfalls erhältlich! Ein Wohlfühlkrimi mit einer ordentlichen Prise Humor und voller Intrigen, romantischer Szenerien, Tiere, Essen, Wein – und natürlich Liebe. EINE VILLA IN SIZILIEN wird Sie im Sturm erobern, und Sie werden das Buch erst wieder zur Seite legen, wenn Sie es zu Ende gelesen haben. "Das Buch ist mit viel Herz geschrieben, und die Handlungsstränge fügen sich so nahtlos zusammen, dass weder der Charakter des Buches noch die Geschichte darunter leiden. Und dann erst die Figuren, so viele tolle Figuren! Ich kann Fiona Graces nächstes Buch kaum erwarten." – Amazon-Rezension (über Der Tod kam vor dem Frühstück) "Wow, was für ein rasantes Tempo! Dieses Buch lässt einen nicht mehr los! Ich empfehle es allen Krimi-Liebhabern, die auf Geschichten mit unerwarteten Wendungen, Romantik und einem verloren geglaubten Familienmitglied stehen. Gerade lese ich schon das nächste Buch!" – Amazon-Rezension (über Der Tod kam vor dem Frühstück) "Das Buch hält einen in Atem. Mit der richtigen Mischung aus Figuren, Orten und mit viel Gefühl. Es ist mir schwergefallen, mit dem Lesen aufzuhören, und ich möchte unbedingt das nächste Buch aus dieser Reihe lesen." – Amazon-Rezension (über Der Tod kam vor dem Frühstück)
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2021
EINE VILLA IN SIZILIEN:
ORANGENHAINE UND VERGELTUNG
Fiona Grace
Debütautorin Fiona Grace ist die Verfasserin der LACEY DOYLE COZY-Krimis, welche bisher neun Bücher umfassen; der EIN TOSKANISCHER WEINGARTEN COZY-Krimis, die bisher sieben Bücher umfassen; der BÄCKEREI AM STRAND COZY-Krimis, die bisher sechs Bücher umfassen; und der EINE VILLA IN SIZILIEN-Krimis, die bisher neun Bücher umfassen.
Fiona freut sich, von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.fionagraceauthor.com für kostenlose eBooks und die neuesten Informationen. Schauen Sie vorbei.
Copyright © 2021 von Fiona Grace. Alle Rechte vorbehalten. Mit Ausnahme der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Datenabfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen verschenkt werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann geben Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihr eigenes Exemplar. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist ein Werk der Belletristik. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Produkt der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jackenbild Copyright Pigprox
BÜCHER VON FIONA GRACE
EIN HUND UND KATZ WOHLFÜHLKRIMI
EINE VILLA IN SIZILIEN: OLIVENÖL UND MORD (Buch #1)
EINE VILLA IN SIZILIEN: FEIGEN UND EIN KADAVER (Buch #2)
EINE VILLA IN SIZILIEN: VINO UND EIN TODESFALL (Buch #3)
EINE VILLA IN SIZILIEN: KAPRIOLEN UND EIN UNGLÜCK (Buch #4)
EINE VILLA IN SIZILIEN: ORANGENHAINE UND VERGELTUNG (Buch #5)
EIN COZY-KRIMI AUS DER BÄCKEREI AM STRAND
EIN CUPCAKE ZUM STERBEN (Buch #1)
EINE MÖRDERISCHE MAKRONE (Buch #2)
EIN GEFÄHRLICHER CAKE-POP (Buch #3)
EIN HEXEN-COSY-KRIMI
SKEPTIKER IN SALEM: EINE MORDSFOLGE (Tome #1)
SKEPTIKER IN SALEM: EINE FOLGE DES VERBRECHENS (Tome #2)
SKEPTIKER IN SALEM: TODESFOLGE (Tome #3)
EIN COZY-KRIMI MIT LACEY DOYLE
DER TOD KAM VOR DEM FRÜHSTÜCK (Buch #1)
FÄHRTENSUCHE IM SAND (Buch #2)
VERBRECHEN IM CAFÉ (Buch #3)
EIN VERHÄNGNISVOLLER BESUCH (Buch #4)
EIN TÖDLICHER KUSS (Buch #5)
EIN MALERISCHER MORD (Buch #6)
VERSTUMMT DURCH EINEN ZAUBER (Buch #7)
VERDAMMT DURCH EINE FÄLSCHUNG (Buch #8)
KATASTROPHE IM KLOSTER (Buch #9)
EIN TOSKANISCHER WEINGARTEN COZY-KRIMI
EIN ERLESENER MORD (Buch #1)
EIN ERLESENER TODESFALL (Buch #2)
EIN ERLESENES VERBRECHEN (Buch #3)
EINE ERLESENE VERFÜHRUNG (Buch #4)
EIN ERLESENER RACHEAKT (Buch #5)
INHALT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Audrey Smart grub ihre Fingernägel in die Armlehne, als die kleine Propellermaschine, in der sie saß, aufsetzte und über die Schotterpiste holperte. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie nur eine karge Landschaft. Sie erstreckte sich bis zu den schwarzen Bergen in der Ferne, deren Spitzen in den dichten Wolken verschwanden.
Montagna.
Endlich war sie da. Und vielleicht – nur vielleicht – würde sie ihren Vater wiedersehen.
Das war schließlich der Grund, warum sie hierhergekommen war. Um ihren Vater zu finden, den sie vergöttert, aber nicht mehr gesehen hatte, seit sie 13 gewesen war. Das lang ersehnte Wiedersehen; der Stoff, aus dem Hollywood-Filme gemacht sind, mit vielen Tränen und Taschentüchern.
Aber das ist nicht der einzige Grund, machte sich eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf bemerkbar, als sie zum vorderen Teil des Flugzeugs ging und der Pilot ihr die Treppe hinunter aufs Rollfeld half. Die anderen drei Passagiere – alles Einheimische, wie es schien – gingen zu einem kleinen, weißen Gebäude mit der Aufschrift Montagna Aeroporto,also folgte sie ihnen mit ihrer schweren Reisetasche auf dem Rücken.
Über die anderen Gründe wollte sie aber jetzt nicht nachdenken.
Aber sie – Grund Nummer eins und Grund Nummer zwei – schienen das anders zu sehen. Jedes Mal, wenn sie sich während des halbstündigen Fluges in ihrem Kopf hatten breitmachen wollen, hatte Audrey sich einen Klaps gegeben, um sie zu vertreiben. Leider vergeblich.
Als sie ihr Handy aus dem Flugmodus schaltete, sah sie eine SMS von Grund Nummer eins: Hoffe, du genießt es dort. Vermisse dich.
Sie stöhnte leise. Mason Legare, ihr sexy Landsmann, der nicht weit von ihrem Haus in Mussomeli auf Sizilien – wo sie ihre Tierarztpraxis betrieb – entfernt wohnte, war gutaussehend, freundlich, hilfsbereit und … hatte das denkbar schlechteste Timing.
Als sie das Flughafengebäude erreichte, zögerte sie und überlegte, ob sie ihm antworten sollte. Sie entschied sich dagegen. Es war Mason gewesen, der sie hierher geschickt hatte, auf eine wahrscheinlich aussichtslose Suche, ohne vorher auszukundschaften, ob das überhaupt zielführend war. Mason und …
Ihr Handy surrte. Eine SMS von G, dem Besitzer des La Mela Verde, dem beliebtesten Café in Mussomeli. Ich freue mich auf unser Date, Principessa.
„Oh nein“, sagte sie laut und hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht, wenn er hier gewesen wäre. Das Letzte, woran sie denken wollte, war ein Date. Das Wort „Date“ hatte bei ihr immer zu Ausschlag geführt.
Und doch hatte sie an diesem Wochenende zwei davon vor sich – eines mit Mason und eines mit G. Die zwei und ihr schlechtes Timing. Schlechtes Timing könnte der Titel ihrer Lebensgeschichte sein. Nachdem sie seit ihrer Ankunft in Mussomeli vor über vier Monaten um den heißen Brei herumgeredet hatten, hatten endlich beide – gleichzeitig – zugegeben, dass sie mit ihr ausgehen wollten.
Zu sagen, es hätte ihr die Sinne vernebelt, wäre eine Untertreibung. Sie mochte beide, aus völlig unterschiedlichen Gründen, also hatte sie nicht Nein sagen können. Eine Zeit lang hatte sie gedacht, es wäre Mason, der Amerikaner, mit dem sie so viel gemeinsam hatte. Aber dann, als sie G kennengelernt hatte, hatte sie sich eingestehen müssen, dass sie auch ihn mochte. Er hatte ihr geholfen, sich in Mussomeli einzuleben, hatte sie liebevoll und herzlich empfangen. Und er war einer der Hauptgründe, warum sie das Städtchen ihr Zuhause nennen konnte. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, willkommen zu sein, und war immer für sie da gewesen – mit einer herrlichen Schüssel Ciambotta und charmanten Worten.
Genug, um ihr den Verstand zu rauben.
Das Einzige, woran sie hatte denken können, war zu fliehen, obwohl sie gerade erst nach Hause zurückgekehrt war, nachdem sie sich um die streunenden Katzen auf Lipari, einer Insel vor der Nordküste Siziliens, gekümmert hatte.
Zum Glück hatte sie Concetta, ihre Assistentin. Diese hatte ihr, nachdem sie von ihren „Männerproblemen“ erfahren hatte, vorgeschlagen, einen Tag Urlaub zu nehmen, um darüber nachzudenken und zu entscheiden, was zu tun wäre. Sie hatte den Ausschlag auf Audreys Haut, hervorgerufen durch Stress, gesehen und ihr befohlen, sich auszuruhen, um den Kopf freizubekommen.
Männerprobleme? Seit wann hatte Audrey in ihren 35 Jahren jemals Männerprobleme gehabt? Eigentlich hatte sie sich immer nur damit herumschlagen müssen, dass diese sich von ihr fernhielten.
Und jetzt, da sie zwei Männer hatte, hatte sie Ausschlag bekommen.
Als sie über ihre Flucht nachgedacht hatte, war ihr der Gedanke gekommen, zu der Ursache all ihrer Männerprobleme zurückzukehren. Zu der Quelle, der sie entsprungen waren: Montagna. Zu ihrem Vater.
Audrey musste innerlich darüber lachen, als sie in ein übelriechendes Taxi stieg – das Einzige am Bordstein. Sie schaute auf ihre Notizen, die sie sich gemacht hatte: die Adresse eines Mannes namens Smart, die Einzige im Telefonbuch von Montagna. Anstatt ihr katastrophales Italienisch zum Besten zu geben, zeigte sie dem Fahrer das zerknitterte Stück Papier. Er nickte, und sie fuhren los.
Die Stadt Montagna in Norditalien war sogar noch abgelegener als die Insel Lipari. Diese war von Touristen besucht worden, aber diese Gegend war offenbar Niemandsland. Als sie den Flughafen hinter sich gelassen hatten, fuhren sie durch eine Stadt, die nur aus Feldwegen bestand. Deren Staub wehte in einer dichten Wolke hinter dem Taxi, und Audrey blinzelte, um erkennen zu können, was draußen vor sich ging. Kinder spielten barfuß auf der Straße. Eine Frau in einem Kleid und mit einem Kopftuch trug einen Korb voller Wäsche vor sich her. Die Häuser sahen aus, als bestünden sie nur aus einem Zimmer und waren aus wahllosen Stücken ausrangierten Holzes zusammengeschustert.
Klar, Dad. Der Reiz dieses Ortes ist unverkennbar. Für das hier hast du uns verlassen?
Während ihrer Kindheit war ihr Vater ihr Ein und Alles gewesen. Was sie bis jetzt getan hatte, um das 1-Dollar-Haus, das sie in Sizilien gekauft hatte, zu renovieren, hatte sie von ihm gelernt. Obwohl sie sich nur an wenig aus ihrer gemeinsamen Zeit erinnern konnte, da es schon so lange her war, hatte sie diese Lektionen behalten. Sie und die Erinnerung an eine Postkarte, die er immer in seiner Brusttasche getragen hatte.
Ein Bild von diesem Ort, Montagna.
Sie rümpfte die Nase, als sie an das alte Foto dachte. Es war wunderschön gewesen. Friedlich. Erholsam. Ein Bild von der Sonne, die über den schwarzen Bergen unterging und das Meer orange färbte. Zwei Möwen, die im rosa gesprenkelten Himmel ihre Runden zogen. So sah es hier aber nicht aus. Oder doch?
Natürlich könnte es dieser Ort sein. Das Foto war bei Sonnenuntergang aufgenommen worden. Die Dunkelheit hätte die schäbigen Häuser verbergen können.
So, so, Dad. Wenn ich mein ganzes Leben lang von diesem Ort geträumt hätte und hier angekommen wäre, dachte sie, während sie einem Kind in einem zu kurzen Hemd, das seinen Bauch entblößte, dabei zusah, wie es einen alten Reifen die Straße hinunterrollte, hätte ich wahrscheinlich den erstbesten Rückflug genommen.
Aber auch wenn sie ihn vor über 20 Jahren das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie diese Postkarte nie vergessen. Nie hatte sie die Hoffnung aufgegeben, dass sie ihn eines Tages wiedersehen würde. Und jetzt war er so nah. Als Concetta ihr also gesagt hatte, sie sollte sich einen Tag freinehmen, um sich zu entspannen, hatte sie den Sprung gewagt. Das Ticket hatte sie bereits gehabt. Jetzt war es an der Zeit, ihre brennende Neugier zu befriedigen, ein für alle Mal.
Wie würde es werden? Vielleicht würde ihr Vater sie hereinbitten, sich freuen, sie zu sehen, ihr eine große Schüssel Nudeln machen und darauf bestehen, dass sie die nächste Woche bei ihm wohnte. Sie konnte sich gut vorstellen, ihre beiden Verehrer anzurufen und ihnen zu sagen, dass etwas dazwischengekommen wäre, und beide Verabredungen absagte. Vielleicht für immer. Aber jetzt wollte sie nicht daran denken, ihnen einen Korb zu geben. Sie konnte es nicht.
Aber sie würde zurückkehren müssen. Ihre Praxis wartete auf sie.
Heute Abend. Sie würde zurückfahren und entscheiden, zu welchem Date sie gehen würde. Heute Abend.
Jetzt würde sie ihren Vater wiedersehen.
Das Taxi fuhr auf eine Straße aus Sand, direkt am Strand. Hier gab es kleine Bungalows mit Strohdächern, nur wenige Schritte vom Meer entfernt. Obwohl sie nicht mehr als Hütten waren, war der Blick auf das aquamarinblaue Tyrrhenische Meer, gesprenkelt mit kleinen, grünen Inseln, atemberaubend. Männer und Frauen saßen auf den Stufen vor ihren Häusern und beobachteten sie aufmerksam, während das Taxi vorbeifuhr. Kinder wühlten im Sand, ihr Lachen hallte durch die warme Luft. Auch ein Fischer, der gerade seine Angel auswerfen wollte, drehte sich zu ihr um. Audrey hatte das Gefühl, dass hier normalerweise nicht viel Verkehr herrschte.
Nun, wenn mein Vater Ruhe und Frieden von der Hektik der Back Bay Boston gehabt haben wollte, dann hat er sich den perfekten Ort ausgesucht.
Das Taxi hielt vor einem kleinen, blauen Haus, das von Seegras überwuchert war. Von allen Häusern war es das Schönste und am wenigsten Heruntergekommene, abgesehen von demjenigen daneben. Die anderen sahen aus wie die Hütte der „Drei kleinen Schweinchen“, zusammengeschustert aus diversen Materialien und eine leichte Beute für die nächste steife Brise. Dieses Haus jedoch, auch wenn es klein war, schien von einem kundigen Schreiner gebaut worden zu sein. Genau wie …
Dad?
Ein Garten voller Wildblumen, übersät mit zerbrochenen Muscheln und Sand. Olivenbäume wuchsen neben der Tür, und ihre Kronen bildeten eine Art Vordach. Audrey starrte darauf, die Hand am Türgriff des Taxis, unfähig, sich zu bewegen.
Der Fahrer räusperte sich. „Sedici al mare“,sagte er und deutete auf den Zettel, den sie ihm gezeigt hatte. Dann zur Tür, als wollte er sagen: Geh schon.
„Oh. Das ist es?“
Er nickte.
„Grazie mille“,erwiderte sie und reichte ihm das Fahrgeld.
Sie stieg aus und fröstelte trotz der fast 30 Grad. Das Taxi fuhr sofort los, als sie die Tür zugeschlagen hatte, und machte damit jede Hoffnung auf eine Flucht zunichte. Audrey schob ein paar Äste beiseite und spähte durch die offenen Fenster, in der Hoffnung, einen Blick auf die Bewohner des Hauses zu erhaschen. Aber in dessen Innerem war es dunkel. Sie konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, voller Angst, sie würden sie im Stich oder weglaufen lassen, dem Taxi hinterher.
Er war über 20 Jahre lang aus ihrem Leben verschwunden. 20 Jahre, in denen er hätte zurückkehren können. Und doch hatte er ihr nie geschrieben, ihr nie gesagt, wohin er gegangen war. Er hatte sich nicht einmal verabschiedet, und ihre Mutter hatte sich geweigert, von ihm zu sprechen, als wäre sein Name ein Schimpfwort. Wann immer Audrey sie gefragt hatte, ob sie noch Kontakt zu ihm hätte, war die Antwort stets die Gleiche gewesen: „Das spielt keine Rolle. Er ist ein für alle Mal aus unserem Leben verschwunden, und wir sind ihn los.“
Audrey hätte wütend sein müssen, aber sie war es nicht … Lediglich neugierig. Sie hatte sich ohne ihn zurechtgefunden, ohne seine Hilfe. Sie wollte nichts von ihm. Sie wollte nur den Mann kennenlernen, der ihr das Leben geschenkt hatte. Es war ihr egal, ob er sich ärgern würde, sie zu sehen, oder ob er sie wegschickte … Sie wollte nur wissen, wer er war. Und – das war die wichtigste Frage – warum er gegangen war.
Das war doch nicht zu viel verlangt, oder?
Sie drückte die Schultern durch, ging schnell die letzten paar Schritte und stand schließlich vor der ramponierten Fliegentür. Da sie keine Klingel sah, klopfte sie an dessen Rahmen. „Hallo?“
Im Inneren konnte sie eine Bewegung ausmachen, die sie zunächst dem Wind zuschrieb, der Dinge ins Haus wehte. Aber dann bemerkte sie eine große, stämmige Silhouette, die sich erhob und langsam auf sie zukam.
Sie atmete nun stoßweise.
Die Gesichtszüge der Person kamen langsam in ihr Blickfeld. So vieles war anders, aber langsam konnte sie die Ähnlichkeit zu dem Mann erkennen, den sie einst gekannt hatte. Ein kräftiges Kinn, nun übersät mit grauen Bartstoppeln. Ein einst leicht kahler Kopf, der jetzt nur noch ein paar verbliebene Haarsträhnen aufwies, die in den Himmel ragten. Gebräunte Haut von der Arbeit im Freien, von der Sonne gegerbt. Augen, die tiefblau und etwas traurig waren, als wären sie voller Bedauern. Bedauern darüber, dass er seine Familie im Stich gelassen hatte?
Er blieb stehen, die Finger am Türgriff, einen fragenden Ausdruck im Gesicht.
Sie schluckte. „Dad?“
Der neugierige Ausdruck des Mannes verwandelte sich in eine Art Entsetzen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Die Falten in seinem wettergegerbten Gesicht wurden noch ausgeprägter. Er knirschte mit den Zähnen und stieß dann einen Schwall italienischer Worte aus, die kein Ende nehmen wollten.
Und Audrey wurden ein paar Dinge klar. Ihr Vater hatte auf seinem Unterarm ein Tattoo von einem vierblättrigen Kleeblatt gehabt. Und eine gerade, schön geformte Nase, nicht so eine flache, breite wie dieser Mann. Außerdem hatte der Typ ein lilafarbenes Muttermal auf der Wange.
Also … nicht ihr Vater. War sie wirklich so blind gewesen?
Nein. Irgendwie hatte sie gewusst, dass sie ihrem Vater hier nicht begegnen würde. Aber tief in ihrem Inneren hatte sie eine kindliche Hoffnung gehegt. Die Hoffnung eines 13-jährigen Mädchens, das seinen Helden für immer verloren hatte.
Sie machte einen Schritt zurück. „Ähm, tut mir leid. Sprechen Sie Englisch? Lei parla inglese? Ich bin auf der Suche nach meinem Vater. Kennen Sie einen Miles Smart?“
Seine Augen verengten sich. „Smart?“
Sie kam sich in diesem Augenblick alles andere als smart vor. „Ja. Ich dachte, hier wohnt jemand, der so heißt.“ Sie griff nach ihrem Handy. Vielleicht konnte sie ihm ihre Suchergebnisse zeigen. „Zumindest stand das online, wo ich nachgesehen habe …“
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Kein Smart.“
Audreys Stimmung sank in den Keller. Nun, so viel dazu.
„Oh. Grazie. Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe“, sagte sie und entfernte sich. Sie drehte sich um und stellte fest, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie zurück zum Flughafen kommen sollte. Der nächste Flug wäre erst am späten Nachmittag, laut dem Flugplan, den sie in Messina mitgenommen hatte. Von dort aus konnte man zu verschiedenen kleinen Städten auf dem Festland fliegen, zu günstigen Preisen. Sie griff nach ihrem Handy und schaute auf das Display. Kein Empfang.
Nun, der Flughafen war nicht so weit weg. Ich könnte ihn wahrscheinlich zu Fuß erreichen.
Sie machte einen Schritt und hörte einen lauten Knall, nicht weit weg von ihr. Eine Sekunde lang dachte sie, es wäre eine Fehlzündung eines Autos gewesen. Das musste es gewesen sein, oder? Das hier war schließlich nicht Amerika. Es konnte kein Schuss gewesen sein, oder? Nicht in dieser kleinen, idyllischen Stadt in Italien, in der ihr Vater so lange gelebt hatte.
Aber dann rannten ein paar verwahrlost aussehende Teenager wie der Blitz die Straße hinunter und schauten über ihre Schultern, als würde ihnen jemand folgen. Einer von ihnen hielt etwas Schwarzes in der Hand, das definitiv eine Waffe hätte sein können.
Mit weit aufgerissenen Augen drehte Audrey sich um und ging zurück zum Haus. Sie wollte darum bitten, das Telefon zu benutzen. Wenn man hier überhaupt Telefonanschlüsse hatte. Oder um ein Versteck, falls diese Teenager sie entdecken würden und ausrauben wollten. Sie drückte sich die Tasche an die Brust und wünschte sich, sie hätte nicht so viel Geld mitgenommen. Aber sie hatte sich bei der Abreise gedacht: Was, wenn ich den Ort genauso liebe wie mein Vater und mir ein Souvenir-T-Shirt kaufen möchte? Oder eine Nacht im Hotel bleiben? Oder …
Einfach nur dumm. Diese ganze Reise. Sie wollte keine weitere Sekunde hierbleiben.
Vielleicht war es ihrem Vater genauso gegangen.
Plötzlich steckte eine Frau ihren Kopf aus dem hübschen Bungalow nebenan. Sie winkte. „Sie suchen Miles Smart?“, fragte sie mit einem vermutlich australischen Akzent.
Audrey nickte aufgeregt. „Ja, genau. Haben Sie von ihm gehört?“
Die attraktive Frau nickte. „Er ist nicht mehr hier. Er ist seit mindestens zehn Jahren nicht mehr hier gewesen. Sind Sie seine Tochter?“
„Ja.“
Sie lächelte. „Das sehe ich. Sie haben sein Lächeln.“
„Sie kannten ihn?“, fragte Audrey und sah sie genauer an. Sie war ein wenig älter, alt genug, um Audreys Mutter sein zu können. Vermutlich hatten sich ihr Vater und diese Frau gut verstanden. Er hatte ihr wahrscheinlich bei den Reparaturen geholfen, weshalb ihr Haus schöner war als die meisten anderen in der Straße. Vielleicht waren sie sogar ein Liebespaar gewesen. Audrey war noch jung gewesen, als sich ihre Eltern getrennt hatten, aber ihre Erinnerungen an deren Ehe waren keine guten. Sie hatten viel gestritten, oft bis tief in die Nacht hinein. Ihre Mutter sprach überhaupt nicht mehr von ihm. Sie wusste nicht einmal, ob sie sich hatten scheiden lassen.
Natürlich hatte sie damit gerechnet, dass ihr Vater mit seinem Leben weitergemacht hatte. Aber irgendwie trübte diese Frau – die Person, mit der er weitergemacht hatte – ihre Freude darüber, jemanden gefunden zu haben, der ihren Vater gekannt hatte.
„Ich habe ihn immer Smile Smart genannt“, sagte die Frau und kicherte mädchenhaft, sehr zu Audreys Verärgerung. Aber die Frau war so gefangen in der Erinnerung an ihren Vater, dass sie es nicht zu bemerken schien. „Er hatte das schönste Lächeln der Welt. Ich bin Dinah.“
Audrey hatte wenig Lust, sich der Frau vorzustellen, die Zeit mit ihrem Vater verbracht hatte, die eigentlich ihre Zeit hätte sein sollen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als Dinah fortfuhr: „Audrey, richtig? Oder sind Sie Sabrina? Er hat oft von Ihnen gesprochen. Sie sehen aus wie Audrey. Er hat mir ein Bild von Ihnen gezeigt.“
Hat er das? Sie brannte darauf zu erfahren, was genau er gesagt hatte, aber stattdessen fragte sie: „Wissen Sie, wo er hingegangen ist?“
Dinah lachte. „Er ist weitergezogen. Ihr Vater schien mir nicht der Typ zu sein, der Wurzeln schlagen wollte. Eines Tages war er einfach auf und davon. Hat sich nicht einmal verabschiedet.“
Audrey stieß einen Seufzer aus. Das kommt mir bekannt vor. „Sie haben nie wieder von ihm gehört?“
„Oh, doch. Habe ich. Ich bekomme ab und zu Postkarten. Allerdings sehr selten. Die letzte vor etwa einem Jahr. Vielleicht zwei.“ Sie schob sich vom Fenster weg, suchte nach etwas, das außer Sichtweite war, und hielt es dann Audrey hin. „Ich habe sie an meinem Eisschrank aufbewahrt, weil sie so schön war. Hier. Sie können sie haben.“
Audrey sah sich die Postkarte an. Sie zeigte einen anderen Strand, mit weißem Sand und einem Schloss in der Ferne. Sie drehte sie um. Der Poststempel war verschmiert und kaum lesbar, sodass sie nicht entziffern konnte, wo sie abgeschickt worden war. Na klar. Darunter stand in schwungvoller Handschrift:
Hallo, Dinah, meine Liebe! Und Grüße von meinem neuen Wohnort. Ich glaube nicht, dass ich lange hierbleiben werde – zu viel Wind! Aber das Meer ist dunkelblau, genau wie die Farbe deiner Augen. Also denke ich jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster schaue, an dich. Und ich hoffe, dass ich dich eines Tages wiedersehen werde. In Liebe, MILES
Audrey starrte die Postkarte an, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Er hatte andere Frauen geliebt, nach Audrey, ihrer Mutter und ihrer Schwester. Und jetzt war er weg, möglicherweise auf dem Weg, um noch mehr andere Frauen zu lieben. Vielleicht hatte er Dutzende von ihnen, verteilt in Städten auf der ganzen Welt.
Sie drehte die Postkarte um, betrachtete das Bild und versuchte zu bestimmen, woher es stammte. Die Postkarte war ein Anhaltspunkt, aber wie war es möglich, so viel zu sagen und so wenig zu verraten? Es schien, als wollte Miles Smart nicht gefunden werden.
Und vielleicht war das der Punkt.
Vielleicht sollte sie keine schlafenden Hunde wecken.
„Er reist gerne“, sinnierte sie.
„Immer. Ein Globetrotter. So hat sich Ihr Vater immer genannt.“
Audrey zeigte auf das Bild. „Wo ist das? Wissen Sie das?“
Dinah zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, es könnte die französische Riviera sein, aber ich selbst bin kein großer Vagabund. Er hatte mich gefragt, ob ich mit ihm gehen wollte, aber ich war zu glücklich hier. Er liebte das Meer. Er sagte, er wolle in den Westen.“ Sie sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, hielt dann jedoch inne. Schließlich fuhr sie fort: „Ich sollte es Ihnen sagen … Ihr Vater hat mir das mit Ihnen und Ihrer Schwester erzählt. Er ist so lange geblieben, wie er konnte. 15 Jahre. Er sagte, das wäre ein Rekord für ihn gewesen. Er hatte Sie wirklich großziehen wollen, aber immer wieder diesen Sog gespürt. Dem hatte er nicht widerstehen können. Er wollte weg.“
Und zwar dann, als ich ihn am meisten gebraucht hätte. Was vielleicht schlimmer war, als wenn er gar nicht da gewesen wäre.
Audrey seufzte und erwiderte: „Danke für die Informationen. Darf ich die behalten?“
Dinah nickte. „Natürlich.“
„Darf ich außerdem Ihr Telefon benutzen, falls Sie eins haben? Ich muss einen Flug erwischen.“
Dinah nickte und öffnete ihr die Tür. Sie bedankte sich und ging hinein. Allein der Gedanke, bereits jetzt wieder zurückzukehren, so kurz nach ihrer Ankunft, machte sie traurig. Aber das hier war eine Sackgasse. Sie musste endlich akzeptieren, dass sie ihren Vater wahrscheinlich nie wiedersehen würde.
*
Audreys Taxi fuhr schließlich um kurz nach sechs Uhr in Mussomeli ein. Sie ließ den Fahrer an ihrer Praxis halten. Sobald sie den Fuß auf den Bordstein gesetzt hatte, sah sie ihren Lieblingsfuchs Nick, der auf sie wartete. Sein Anblick war das Schönste an diesem mehr als enttäuschenden Tag.
„Hey, mein Junge!“, sagte sie, als er sich wie eine Katze um ihre Waden wand und nach einer Streicheleinheit verlangte. „Ich habe dich auch vermisst. Warte kurz. Lass mich sehen, was in der Praxis los ist, und dann machen wir uns auf den Heimweg. Willst du einen Apfel?“
Sie hob ihn hoch, und er leckte ihr das Gesicht. Sie lachte, ging hinein und gähnte. Es gibt nichts Besseres als ein warmes, pelziges Tier, das einen alle Sorgen vergessen lässt.
Concetta öffnete gerade die Tür des Behandlungszimmers, um den letzten Patienten des heutigen Tages hinauszulassen. Sie sah müde aus, als wären es mühsame Stunden gewesen. „Hi, Concetta!“, rief Audrey und ließ ihre Tasche auf den Boden fallen. „Anstrengender Tag?“
Die bildhübsche, junge Frau mit den langen Haaren gähnte. Sie war Tiermedizinstudentin in Palermo und absolvierte hier ihre klinischen Praxisstunden, damit sie bald selbst Tierärztin werden konnte. In den vergangenen Wochen war sie Audreys rechte Hand gewesen. „Sehr lang. Termine von morgens bis abends. Aber nur Routine-Untersuchungen.“
„Gab es Probleme?“
Concetta schüttelte den Kopf. „Was ist mit dir? Hast du deinen Vater gefunden?“
„Nein. Er war offenbar vor vielen Jahren dort, ist aber weitergezogen.“ Sie zog die Postkarte heraus. „Aber ich habe einen Hinweis, wohin er gegangen sein könnte. Allerdings keinen besonders großen.“
Concetta nahm die Postkarte und las sie. „Wo ist das?“
„Keine Ahnung. Es kommt dir nicht bekannt vor?“
„Nein. Das ist nicht gerade eine große Ausbeute, oder? Wie traurig.“
„Wahrscheinlich will mir das Universum damit sagen, dass ich aufgeben und das Ganze vergessen soll. Bestimmt hat mein Vater mich schon aus seinem Gedächtnis gestrichen. Also hat es vielleicht keinen Sinn.“ Allerdings sagte Dinah, dass er mich oft erwähnt hätte. Wenn das stimmt, warum hat er mir dann nie eine Postkarte geschickt? Er hat 15 Jahre mit unserer Familie verbracht und sich dann nie wieder um uns geschert. Warum hat er mich so radikal aus seinem Leben ausgeschlossen?
Sie schob diese Gedanken beiseite. Sie hatte bereits den ganzen Rückflug darüber nachgegrübelt. Leider war diese ganze Mission ein Fehlschlag gewesen. Sie hatte sich auf den Weg gemacht, in der Hoffnung, Antworten zu finden. Aber nun war sie noch ratloser als vorher, stand vor einem noch größeren Rätsel, das es zu lösen galt. Und so etwas konnte sie momentan nicht gebrauchen. Nicht, wenn …
„Also, hast du dich entschieden, mit welchem deiner beiden Verehrer du dieses Wochenende ausgehen willst? Du hast heute Abend dein erstes Date, nicht wahr? Mit G?“
Audrey zuckte bei dieser Frage zusammen. Sie hatte noch gar nichts entschieden.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sag du es mir!“ Als Concetta nur mit den Schultern zuckte, fuhr sie fort sie: „Es ist zum Verzweifeln. Ich bin genauso ratlos wie vor meiner Abreise, was das betrifft.“
„Nun, du kannst einfach …“
„Ich weiß. Ich werfe eine Münze.“ Sie kramte in ihrer Tasche und zog einen Vierteldollar heraus, den sie seit ihrer Abreise aus Amerika mit sich herumtrug. „Kopf, ich gehe mit Mason aus. Zahl, ich gehe mit G aus.“
Sie warf die Münze hoch und wollte sie fangen, aber sie verfehlte sie, als sie in der Luft danach griff. Sie schlitterte über die Fliesen und landete unter einem der Stühle im Wartezimmer. Audrey eilte dorthin und bückte sich. „Kopf.“
„Was war das nochmal?“, fragte Concetta.
„Es ist … Ich glaube, es bedeutet, dass ich mit Mason ausgehen soll. Oder dass ich Mason absagen soll …? Oh nein!“ Sie warf die Hände in die Höhe. „Ich weiß es nicht mehr.“
Sie setzte sich auf den Boden und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. „Ich drehe gleich durch.“
„Nun, was ich sagen wollte, Audrey, ist, dass du dich noch für keinen entschieden hast, oder?“
Audrey sah sie verzweifelt an. „Nein. Natürlich nicht.“
„Du darfst dich also mit beiden verabreden. Darum hat man doch Verabredungen, nicht wahr? Um zu sehen, ob man jemanden mag? Man muss sich doch nicht schon vorher festlegen.“
„Aber … Die beiden wissen doch gar nichts voneinander. Ist das nicht so etwas wie … Betrug?“
„Betrug?“ Concetta lachte. „Wie kann man jemanden betrügen, wenn man noch gar nicht zusammen ist?“
Nicht zusammen. Audrey dachte kurz darüber nach. Sie hatte niemandem etwas versprochen …
Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Was die junge Frau sagte, stimmte natürlich. Und es war genau das, was ihre ältere Schwester Brina ihr gesagt hätte, wenn sie hier wäre. Brina hatte sich auf dem College praktisch jeden Tag mit einem anderen Typen verabredet, bis sie ihren Mann kennengelernt hatte. „Weißt du was, du hast recht. So habe ich das noch gar nicht betrachtet, aber es ergibt Sinn.“
Concetta nickte. Obwohl sie wahrscheinlich zehn Jahre jünger war als Audrey, hatte sie bestimmt deutlich mehr Erfahrung mit Männern als diese. Audreys Liebesleben in Boston hatte darin bestanden, Männern hinterherzulaufen, die sich lediglich in einer schummrigen Garderobe mit ihr hatten vergnügen wollen.
In diesem Augenblick schien die Antwort so einfach. So offensichtlich.
„Dann werde ich das tun. Und ich muss niemanden enttäuschen … Noch nicht. Das ist doch in Ordnung, oder?“
„Aber natürlich!“
Audrey schaute auf die Uhrzeit auf ihrem Handy. Es war kurz nach sechs, also hatte sie etwa zwei Stunden, um sich fertig zu machen. G hatte ihr gesagt, dass sie gegen acht, halb neun in einem Bistro in der Nähe seines Hauses zu Abend essen würden. Sizilianer waren jedoch ziemlich flexibel, was Uhrzeiten betraf. Da er schon seit seiner Kindheit in Mussomeli wohnte, kannte er die Stadt und alle ihre Bewohner – und sie alle liebten ihn. Er verbreitete Leben und Freude, wo immer er war. Ganz zu schweigen davon, dass er ein hervorragender Koch war. Er war außerdem muskulös und gutaussehend und hatte etwas von einem Bad Boy an sich mit seinen dunklen Augen und Haaren sowie seinen Tätowierungen auf jedem Arm. Sie konnte es sich durchaus vorstellen, mit so jemandem zusammen zu sein.
„Ist gut. Ich sollte nach Hause gehen und …“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine Frau mit einem kleinen Teacup-Pudel auf dem Arm betrat das Wartezimmer. Mit besorgter Stimme redete sie auf Italienisch auf die beiden ein, aber ihre Worte sprudelten so schnell aus ihr heraus, dass Audrey kein einziges verstehen konnte. Sie schaute zu Concetta.
Diese übersetzte: „Bambino hat heute einen kleinen Tannenzapfen gegessen. Sie dachte, er hätte ihn abgehustet und wäre wieder gesund, aber er benimmt sich schon den ganzen Tag seltsam.“
Ein Blick auf den Hund bestätigte, dass Bambino nicht ganz bei sich war. Sein Kopf lag schlaff auf dem Arm seiner Besitzerin, und er sah elend aus. „Hatte er Durchfall? Erbrechen?“
Die Frau gestikulierte wild, während sie antwortete. Concetta sagte erschrocken: „Er hatte einen Anfall!“
Audrey handelte sofort. „Geben Sie ihn mir“, befahl sie und nahm das Hündchen in ihre Arme. „Er hat vom Saft des Tannenzapfens eine Anaphylaxie bekommen. Wir müssen ihm sofort eine Spritze geben und ihn an eine Infusion anschließen.“
Die beiden eilten in den Operationssaal, wo Audrey Concetta sagte, wo sie das Epinephrin finden konnte. Sobald diese es hatte, wies sie sie an: „Lege die Infusion.“
Audrey verabreichte die lebensrettende Medizin, und Concetta legte die Infusion. Das arme Tier war zu müde, um sich gegen all das zu wehren. Das deutete darauf hin, dass es ihm sehr schlecht ging.
Als Audrey fertig war, ging sie nach vorne und sagte zu der Besitzerin: „Ja, er ist sehr krank. Aber es ist gut, dass Sie ihn hergebracht haben. Wir werden ihn heute Nacht zur Beobachtung hierbehalten, aber ich denke, dass es Ihrem Bambino morgen Früh wieder gutgehen wird.“
Concetta übersetzte, und die Frau fasste sich ans Herz. „Grazie! Grazie mille!“
Sie umarmte Audrey und Concetta erleichtert, dann ging sie ins Behandlungszimmer, um Bambino zu streicheln und seine Wange zu küssen. Audrey lächelte, als sie sah, wie besorgt die Besitzerin war. Das erwärmte ihr Herz. Sie liebte es, kleinen Tieren und ihren Besitzern auf diese Weise helfen zu können. Das war der Grund, warum sie ihren Beruf niemals leid sein würde. Der dankbare Blick in den Augen dieser Frau machte ihren schrecklichen Tag fast wieder wett.
Concetta begleitete die Tierbesitzerin zur Tür und sagte ihr, dass alles in Ordnung werden würde. Dabei strich sie ihr sanft über den Rücken. Als die Frau gegangen war, klatschte Audrey in die Hände.
„Nun, ich denke, damit ist die Sache erledigt. Ich kann heute Abend nicht zu meinem Date gehen. Ich muss hier bei Bambino bleiben.“
Concetta schüttelte den Kopf und deutete auf die Tür. „Geh, ich bleibe hier. Es gibt nichts, was du tun kannst, was ich nicht auch tun könnte. Das ist ein Befehl!“
„Aber …“
„Ich habe heute Abend nichts vor. Also hör auf, Ausreden zu erfinden!“, sagte Concetta lachend. „Beeil dich lieber, sonst kommst du noch zu spät zu deiner Verabredung!“
„Schon gut, schon gut, ich gehe ja schon“, erwiderte Audrey, als die jüngere Frau sie zur Tür begleitete. Sie schnappte sich ihre Tasche und drehte sich um. „Aber …“
„Ich schicke dir eine SMS, wenn ich etwas brauche. Ich weiß, ich weiß“, sagte Concetta und hielt die Tür auf. „Viel Spaß bei deinem Date!“
Ich weiß nicht, ob das so spaßig wird, dachte Audrey, als sie sich auf den Heimweg machte. Aber ich werde es versuchen.
Audrey war tief in Gedanken versunken, als sie eine der schmalen Kopfsteinpflaster-Straßen von Mussomeli in Richtung ihres Hauses an der Piazza Tre hinunterging.Sie wäre dreimal fast über Nick gestolpert und winkte dem Besitzer von Il Mercado del Pepe, der gerade die Gemüsekisten auf dem Bürgersteig wegräumte,geistesabwesend zu. Wie so oft gab er ihr eine Papiertüte voller reifer Tomaten, Paprika und Äpfel, die er nicht hatte verkaufen können.
Sie nahm kaum wahr, was um sie herum geschah, bis sie mit der Tüte in der Hand ein paar Schritte gegangen war. Sie wirbelte herum. „Scusi“,sagte sie. „Ich meine, grazie. Buona sera, Luigi.“
Er zog einen imaginären Hut vor ihr. „Hast du schon die neuesten Nachrichten gehört, cara?“
Sie blieb stehen. Es war eine kleine Stadt, und die Leute liebten ihren Klatsch und Tratsch. Letzte Woche, als sie in Lipari gewesen war, war einer der Jungs auf das Festland gefahren, um Sportwagenrennen zu fahren. Davor war die Piazza voller Rauch gewesen, weil Mama Rivalta ihre Nudelsoße auf dem Herd hatte stehenlassen, als sie in die Kirche gegangen war, und der Deckel ihres Schnellkochtopfes war mit solch einer Heftigkeit nach oben geschossen, dass er sich in den Putz der Decke eingegraben hatte. Die Fotos waren auf der Titelseite von Mussomelis Lokalzeitung zu sehen gewesen. „Nein. Was ist denn jetzt schon wieder los?“
„Es gibt neue Besitzer des Tivoli-Anwesens.“
Audrey runzelte die Stirn. „Das Tivoli-Anwesen? Wo ist das?“
In diesem Augenblick kam seine Frau Carmen heraus. „Tivoli. Siehst du. Orangen?“ Sie formte eine kleine Kugel.
„Oh!“ Jetzt verstand Audrey. Sie hatte das Anwesen natürlich schon gesehen, denn es war von dem großen Panoramafenster in ihrem Schlafzimmer aus gut zu sehen. Ein weitläufiger Hügel mit hübschen Orangenbäumen, und dahinter ein prächtiges weißes Herrenhaus mit einem Ziegeldach aus gebranntem Siena. Es hatte einen von diesen Innenhöfen, deren Wände mit Weinreben bewachsen waren, die Audrey an eine spanische Mission erinnerten. Aber so schön es auch war, es gab nichts Schöneres als den Geruch der Zitrusfrüchte, der sie jedes Mal umwehte, wenn sie die Fensterläden öffnete. „Oh, jetzt weiß ich es. Was ist damit? Es stand doch zum Verkauf, oder? Wahrscheinlich für mehr als einen Dollar, hm?“
Bei meinem Glück werden die neuen Besitzer es wahrscheinlich abreißen und ein Einkaufszentrum errichten. Das hat mir noch gefehlt! Ich bin aus Amerika geflohen, nur um in Sichtweite eines weiteren Einkaufszentrums zu leben.
„Si. Die Besitzer – nicht so gut.“ Die dicken, grauen Augenbrauen des Ladenbesitzers berührten sich fast.
„Nicht so gut? Was soll das heißen?“, fragte Audrey und war nun wirklich neugierig geworden.
Er beugte sich näher zu ihr. „Der Piccolo-Clan hat dort gelebt. Und ich glaube, es sind jetzt wieder welche von ihnen da drin. Der Clan ist einer der gemeinsten und schlimmsten. Cosa Nostra“, flüsterte er.
„Cosa …” Sie keuchte. „Warte mal. Du meinst die Mafia?“
Luigi nickte und presste einen Finger auf seine Lippen. „Pst. Aber ja.“
Sie sah sich um. Die Straße war leer. Dachte er etwa, dass sie ihn mit Weltraum-Satelliten abhörten? Sie wusste, dass die Mafia überall Augen hatte, aber solche Augen nun auch wieder nicht. Oder etwa doch? „Hast du sie gesehen?“
„Nein. Das hat niemand. Aber das ‚Zu verkaufen‘-Schild wurde entfernt. Sie haben alles wie immer gemacht, mitten in der Nacht. Keine Zeugen.“
Das klang zwielichtig. Audrey blinzelte und fragte sich, ob sie sie und ihr illegales Treiben von ihrem Schlafzimmerfenster aus beobachten könnte. Würde sie das zu einer Zeugin machen? Zu einer gesuchten Frau? Sie hatte mal eine Doku darüber gesehen.
Bei meinem Glück werden sie wahrscheinlich auch eine Doku über mich machen.
„Eine brave Frau wie du muss sich von ihnen fernhalten. Hast du mich verstanden? Du darfst dich nicht mit ihnen einlassen.“
„Oh. Toll. Das werde ich mir merken.“ Sie seufzte. Wenn sie keine Haustiere hatten, würden sie sie wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht bekommen, wenn man bedachte, wie viel sie in der Praxis arbeitete. „Schönen Abend noch, Luigi.“
Sie war sich bewusst, dass er sie neugierig beobachtete, als sie sich auf den Weg zu ihrem Haus machte. „Sei vorsichtig! Du hast viel um die Ohren, Dottore.“
Audrey nickte. Wem sagst du das?
