Eine wunderbare Familie - Gisela Reutling - E-Book

Eine wunderbare Familie E-Book

Gisela Reutling

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Es war der 20. März, und es war ihr 14. Hochzeitstag, der gefeiert werden sollte. Die Idee, zu jedem Hochzeitstag die besten Freunde einzuladen, hatte Markus schon im ersten Ehejahr gehabt, und dann war es zur Tradi? tion geworden. Über einen Mangel an Gästen konnten sie sich nicht beklagen. So waren auch heute im Untergeschoss der Villa die Räume hell erleuchtet. Im offenen Kamin züngelten die Flammen an den Holzscheiten hoch, überall im Haus standen frische Blumen. Die stets gut gelaunte Frau Filser überflog mit Sabrina noch einmal das aufgebaute kalte Buffet. Anerkennend wandte sie sich der Hausherrin zu, sie sah auf deren elegante Gestalt. »Und wie Sie heute wieder ausschauen, Frau Berwing! Ihr Mann ist schon ein Glückspilz. Bloß, dass er Ihnen das jedes Jahr antut, die vielen Leut', grad am Hochzeitstag. Mein Leopold sagt immer: An dem Tag, Franzi, führ ich dich aus. Und Blumen und einen Kuss gibts natürlich auch.« Blumen und einen Kuss, dachte Sabrina wehmütig, damit war in letzter Zeit nicht allzu viel los bei uns. Die Firma, die Markus ständig vergrößerte, verschlang mehr und mehr seine Freizeit. Vermutlich auch seine Gedanken. Und die Zeiten, da er ein ungeduldiger, zuweilen auch stürmischer Liebhaber gewesen war, die waren seit längerem vorbei. Ach was.

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mami – 2123 –Eine wunderbare Familie

Für Benjamin wendet sich alles zum Besten

Gisela Reutling

Es war der 20. März, und es war ihr 14. Hochzeitstag, der gefeiert werden sollte.

Die Idee, zu jedem Hochzeitstag die besten Freunde einzuladen, hatte Markus schon im ersten Ehejahr gehabt, und dann war es zur Tradi?tion geworden. Über einen Mangel an Gästen konnten sie sich nicht beklagen.

So waren auch heute im Untergeschoss der Villa die Räume hell erleuchtet. Im offenen Kamin züngelten die Flammen an den Holzscheiten hoch, überall im Haus standen frische Blumen.

Die stets gut gelaunte Frau Filser überflog mit Sabrina noch einmal das aufgebaute kalte Buffet. Anerkennend wandte sie sich der Hausherrin zu, sie sah auf deren elegante Gestalt.

»Und wie Sie heute wieder ausschauen, Frau Berwing! Ihr Mann ist schon ein Glückspilz. Bloß, dass er Ihnen das jedes Jahr antut, die vielen Leut’, grad am Hochzeitstag. Mein Leopold sagt immer: An dem Tag, Franzi, führ ich dich aus. Und Blumen und einen Kuss gibts natürlich auch.«

Blumen und einen Kuss, dachte Sabrina wehmütig, damit war in letzter Zeit nicht allzu viel los bei uns. Die Firma, die Markus ständig vergrößerte, verschlang mehr und mehr seine Freizeit. Vermutlich auch seine Gedanken. Und die Zeiten, da er ein ungeduldiger, zuweilen auch stürmischer Liebhaber gewesen war, die waren seit längerem vorbei.

Ach was. Sabrina wehrte sich gegen diese Regung.

Der Alltag bestand nun einmal nicht aus lauter Sonnenschein. Auch wenn sie in ihrem Bekanntenkreis als vorbildliches Paar galten. Nur aufeinander eingestellt, ohne die Sorgen um heranwachsende aufmüpfige Kinder.

Vor dem Haus erklang kurz die Hupe von Markus’ Wagen.

Frau Filser ging in die Diele, öffnete die Haustür und nahm dem Hausherrn den Mantel ab. Sabrina ging ihrem Mann entgegen. Im Vorbeigehen am Spiegel stellte sie fest, dass ihr das neue, schmalgeschnittene und kniekurze kleine Abendkleid wirklich gut stand. Die zartviolette Seide umspielte ihre schlanke Figur. Man sah es ihr eigentlich nicht an, dass sie nächstes Jahr vierzig wurde – oder?

Mit einem Lächeln auf den Lippen sagte sie: »Fein, dass du pünktlich sein konntest, Markus!«

Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. Er küsste sie auf die Wangen.

Warum nicht auf den Mund, fragte sie sich. Heute mal. Aber sie behielt ihr Lächeln bei, ging ihm voran ins Wohnzimmer. »Trinken wir ein Glas Sekt zusammen, bevor die anderen kommen?«

Zerstreut fuhr Markus Berwing sich über das dunkelblonde glatt anliegende Haar.

»Später werden wir noch genug Gelegenheit zum Anstoßen haben, Sabrina«, wehrte er ab. »Und dann, damit ich es nicht vergesse …« Er zog ein Etui aus der Jackentasche, ließ es aufspringen. Ein schmaler Armreif war es, Gold mit Saphiren, sehr geschmackvoll. Wie immer. Ein Schmuckstück. Wie immer.

»Gefällt es dir?«

»Es ist sehr schön. Danke, Markus.«

Sie wartete. Kein liebes Wort? Keine Umarmung. Einfach nur so – abgegeben?

Es war ihr nicht danach, ihm die Arme um den Nacken zu legen. Vor einem Jahr, sie erinnerte sich, hatte sie es wohl noch getan.

»Blumen habe ich schicken lassen«, fuhr er fort. »Hat die Gärtnerei sie geliefert?«

»Ja, heute Mittag. Weiße Li-

lien …«

»Ich hatte wieder Lilien mit Rosen bestellt«, warf ihr Mann ein.

Sabrina nickte. Auch das war der übliche Strauß zu diesem Tag.

»Es sind Lilien mit Rosen«, sagte sie, »vielen Dank.« Sie stand, das Schmucketui in der Hand, mit leicht herabgesunkenen Schultern unter der Seide ihres Kleides. »Aber es könnte auch einmal, Markus, nur ein selbstgekauftes Veilchensträußchen sein, oder ein Bund Märzenbecher, wie sie an Straßenecken feilgeboten werden.«

»Wie kommst du denn darauf?«, entfuhr es Markus verständnislos.

Ja, wie kam sie darauf.

»Ach, es war nur so ein Gedanke.« Sie begegnete seinem Blick. In seinen Augen war ein eigenartiger Ausdruck, durchdringend prüfend, irgendwie. Es irritierte, ja, verwirrte Sabrina, weil sie ihn sich nicht deuten konnte.

Etwas abrupt wandte er sich ab. »Ja, ich gehe rasch nach oben und wechsle das Hemd. – Sehr hübsch hast du hier alles gemacht, aber das bin ich ja gewohnt, darauf verstehst du dich.«

Es klang eher so, wie man ein Kind lobt, es freute Sabrina nicht. Seine Schritte entfernten sich. Sie stand allein, betrachtete das Schmuckstück.

Ja, wenn er es ihr zärtlich über das Handgelenk gestreift hätte …

Warum war alles so glanzlos geworden?

Vierzehn Jahre, gut, das war eine lange Zeit. Oder auch nicht. Es kam darauf an, wie man es betrachtete.

Draußen ging jetzt die Klingel. Sabrina hörte Frau Filser zur Haustür laufen, öffnete. Dann erklang Stimmengewirr, ein Frauenlachen flatterte auf, Rascheln von Blumenpapier, und Sabrina ging hocherhobenen Hauptes, mit einem liebenswürdig heiteren Lächeln um den Mund, die ersten Gäste zu begrüßen.

*

Ein paar Stunden später …

Die letzten Wagen, die Taxis fuhren davon, ein Winken noch, ein Zuruf, und die Schlusslichter verschwanden in der Dunkelheit.

»Das wär’s mal wieder gewesen«, sagte Markus Berwing und schloss die Haustür ab. Dann ging er nach oben.

Sabrina half der Haushälterin noch beim Aufräumen. Sie trug die Gläser mit in die Küche, verstaute die paar Reste des kalten Buffets im Kühlschrank.

»Legen Sie sich jetzt auch hin, Frau Filser. Gute Nacht.«

Als sie hinaufkam, war Markus bereits im Morgenmantel in seinem Schlafzimmer, die Tür stand offen. Sie hatten von Anfang an getrennte Schlafzimmer gehabt. Unterschiedlicher Gewohnheiten wegen fanden sie das angenehmer, vielleicht sogar reizvoller, obwohl sie oft genug auch nebeneinander aufgewacht waren. Früher.

»Ja, das wars mal wieder«, sagte Sabrina zu ihrem Mann. Es klang nicht so beiläufig, wie es ihm vorhin über die Lippen gekommen war, sondern eher etwas schleppend, überdrüssig.

Er sah sie an.

»Mir scheint, du bist nicht zufrieden, Sabrina. Dabei war es doch ganz unterhaltsam, und mit netten Komplimenten für die Hausfrau wurde nicht gespart.«

»Darum geht es nicht …« Sie zögerte.

»Um was geht es dann?«

»Ich weiß nicht.« Sabrina wich seinem Blick aus. »Um das Grundsätzliche, Markus. Ich finde, wir sollten mal ausbrechen aus der Routine, den Tag für uns verbringen, ohne zwanzig Menschen um uns herum und stundenlanges oberflächliches Reden. Bummeln gehen, nur wir beide, oder auf eine Berghütte fahren, irgendsowas.«

»Und anstatt Lilien mit Rosen nur ein Veilchensträußchen«, warf ihr Mann ein. Sabrina wandte ihm den Kopf wieder zu. Das hatte er sich gemerkt. Und während er ihr zugehört hatte, war wieder dieser besondere Blick in seinen Augen aufgeglommen, nachdenklich, prüfend, oder wie sollte sie es nennen?

»Ja«, sagte sie mit kleiner Stimme.

Markus straffte sich.

»Wir werden morgen darüber reden, Sabrina. Heute ist nicht der Tag, um darüber zu sprechen. Ich meine: über Grundsätzliches!«

Dieses Wort, das sie eben gebraucht hatte, kam so betont, dass Sabrina aufmerkte. Ihre Lider zuckten.

»Morgen ist schon heute, Markus, denn Mitternacht ist eben vorbei«, hielt sie ihm vor. »Wenn du mir etwas sagen wolltest, sag es jetzt!«

»Nicht doch.« Er berührte mit den Fingerspitzen ihre Wange. »Du bist jetzt müde, ich bin es auch. Gehen wir schlafen. Es ist ja wieder ein Werktag, der anbricht.«

Sabrina stand still. Sie sah ihm in die Augen. War das alles?

Es war alles.

Sie drehte sich ab. »Dann gute Nacht, Markus.« Und sachlich: »Wir können im kleinen Zimmer frühstücken. Im Wohnzimmer steht noch so allerhand herum.«

»Du brauchst nicht aufzustehen«, sagte er hinter ihr her. »Schlaf dich aus, und schlafe gut.«

In ihrem Zimmer schlüpfte Sabrina aus ihren Schuhen, sie ließ sich auf die Bettkante sinken, sah auf ihre schmalen Füße, bewegte die Zehen.

Die glücklichen Zeiten waren vorüber.

Wenn sie es nicht schon vorher gewusst hätte, so war es ihr jetzt deutlich geworden.

Sie war geneigt, sich rücklings auf die Decke fallen zu lassen, so liegen zu bleiben. Aber sie raffte sich doch auf, ging ins Bad, bereitete sich auf den Schlaf vor. Wie gewohnt, kippte sie das Fenster, um Luft herein zu lassen. Die Nacht war schwarz. Der Himmel war schwarz, ohne Sterne.

Eine einsame Nacht.

*

Am Tag flüchtete sich Sabrina in die Arbeit. Für Stunden verschwand sie in dem Zimmer mit dem Schrägfenster im Dachgeschoss, das ganz ihr eigenes Reich war. Hier konnte sie, die gelernte Designerin, sich auf die Stoffmuster konzentrieren, die sie für die Textilfirma Berwing entwarf. Seit ihrer Verheiratung nicht mehr so viel, dafür blieb ihr nicht die Zeit. Das große Haus, der Garten, es gab Verpflichtungen. Aber ihren Beruf ganz aufzugeben, das war ihr nie in den Sinn gekommen. Schon gar nicht, als ihre Ehe kinderlos geblieben war. Und ihre Entwürfe kamen an, sie hatten eine ganz spezielle Note.

Heute, seltsamerweise, erschienen sie Sabrina besonders gelungen, in den Farben und Gestaltung. Das gab ihr ein Gefühl der Zufriedenheit. Sie war in sich gefestigter als am Anfang ihrer Tätigkeit.

Beim Abendessen erzählte sie ihrem Mann davon. Markus nickte ihr zu.

»Wenn du sie fertig hast, bringe sie Kirchner. Er wird hocherfreut sein. Wir werden sie noch für die Winterkollektion produzieren können.«

Danach gingen sie ins Wohnzimmer, sie sahen sich die Tagesschau an. Als sie vorbei war, schaltete Markus ab. Es entstand ein kurzes Schweigen, das sich mit anwachsender Spannung füllte.

»Wir wollten über Grundsätzliches sprechen«, erinnerte Sabrina mit dem Hauch eines eigenartigen Lächelns in den Mundwinkeln.

»Ja«, sagte Markus. »Es fällt mir leichter, weil du offensichtlich auch nicht mehr glücklich bist. Es gibt eine andere Frau in meinem Leben, Sabrina.« Mit einem festen geraden Blick sah er sie an.

Sie zuckte zusammen. Die Worte schienen riesengroß in dem stillen Raum zu stehen, von den Wänden widerzuhallen.

»Ach«, sagte sie mit enger Kehle, »ach, so ist das …«

Sie presste ihre Hände zusammen, schluckte schwer.

»Führen wir eine Ehe zu dritt? Und wie lange schon?«, entrang es sich ihr.

»Von einer Ehe zu dritt, wie du es nennst, kann keine Rede sein«, gab Markus zurück. »Ich kenne Lena seit einem Dreivierteljahr ungefähr. Wir sehen uns nur gelegentlich. Sie ist wesentlich jünger als ich, erst fünfundzwanzig …«

»Ach so«, hauchte Sabrina. Markus war vierundvierzig. Das Übliche also: Reifer Mann verliebte sich in ein junges Wesen, das seine Tochter sein konnte. Blond, langbeinig, sexy, vermutlich. Und neu, das vor allem.

Sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne, versuchte, sich zu fassen.

»Wenn es nur eine Affäre ist, Markus, wenn es vorübergeht, dann muss ich es wohl hinnehmen, wie es schon andere Frauen in mittleren Jahren hinnehmen mussten, die einen gut aussehenden, begüterten Mann haben, der eine junge Freundin mit einem gewissen Luxus verwöhnen kann.«

»Das ist ein Klischee, Sabrina, es trifft nicht auf Lena und mich zu«, entgegnete Markus ruhig. »Lena ist nicht darauf aus. Sie ist eine tüchtige, selbstständige Frau, von Beruf Fotografin. Ich habe sie kennen gelernt, als sie Werkaufnahmen in der Firma machte. Wir konnten dann nicht mehr aneinander vorübergehen. Es zog uns immer wieder zueinander hin.«

Lena. Der Name sank in Sabrina ein. Ein Name nur, aber wie hatte er vorhin gesagt: Eine andere Frau in meinem Leben. Demnach mehr als eine Affäre.

»Darf ich wissen, wie du dir das Weitere vorstellst?«, fragte Sabrina tonlos und suchte seinen Blick. Diesmal wich er ihr aus. Markus sah gegen die Wand.

»Lena ist schwanger von mir«, fiel es schwer in die Stille.

Sabrina stockte der Atem. Ihr Herz tat ein paar dumpfe Schläge.

Damit war die Angelegenheit wohl in ein entscheidendes Stadium getreten.

»Du weißt«, sprach er weiter, »dass ich immer vergeblich gehofft hatte, wir würden Kinder haben. Zumindest einen Sohn.«

Sabrina senkte den Kopf. Sie sah auf ihre Hände. O ja, sie wusste. Auch sie hatte jahrelang von Monat zu Monat vergeblich gehofft. Aber wenn es doch nicht sein sollte. Es hatte sie nicht zur Verzweiflung gebracht. Man konnte nicht alles haben. Sie hatten doch auch so ein schönes Leben gehabt.

»Einen Jungen, der die Firma mal übernimmt«, hörte sie Markus hinzufügen.

»Der arme Junge«, sagte sie. »Und wenn er Schauspieler werden will? Oder Pilot? Oder Rennfahrer?« Sabrina lachte traurig auf. »Außerdem könnte der Sohn ja auch eine Tochter sein.«

»Es muss ja nicht das einzige Kind bleiben«, erwiderte der Mann.

»Das nenne ich Familienplanung.« Sie hob die Lider. »Und ich dachte immer, wir hätten uns geliebt. Die Leidenschaft ist verweht, die Zärtlichkeiten waren müder geworden. Die Freundschaft, das Füreinander da sein an ihre Stelle getreten. Ich kenne dein nervöses, dein müdes Gesicht. Ich weiß, worauf dein Magen rebelliert und wann du nicht angesprochen werden willst. Schließlich sind diese vierzehn Jahre doch wohl etwas gewesen.«

»Ich habe dich geliebt, Sabrina«, sprach Markus mit dunkler Stimme, »und ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, es wäre nichts mehr von dieser Liebe vorhanden. Da bleibt doch etwas, das dir gehört.«

»Wenn ich mich geschmeichelt fühlen sollte, Markus«, versetzte sie bekümmert, »so ist das nicht der Fall. Eine Frau zu lieben und eine andere zu umarmen, das finde ich ziemlich klein, um nicht zu sagen schäbig. Aber ein Mann kann wohl so sein. Er sieht eine reizvolle Jüngere und muss sie haben. Und zuhause spielt er den untadeligen Ehemann. Und nun ist sie schwanger. – Will sie das Kind haben?«

»Natürlich!«, fuhr Markus auf, und er sah sie an, als hätte sie eine Ungeheuerlichkeit ausgesprochen.

»Ich meine, es könnte ja auch anders sein, so wie die Dinge liegen«, überlegte Sabrina. »Du bist verheiratet, sie hat einen Beruf. Sie könnte dir das ersehnte Kind schenken, wir würden es nehmen. Ich glaube, ich würde es das Kind nicht merken lassen, dass es nicht von mir geboren worden ist.«

»Es tut mir leid, Sabrina, aber das ist völlig abwegig!«, versetzte Markus. »Eher würde Lena das Kind allein großziehen. Sie würde ihr Bestes geben und alles im Griff haben. Sie ist wirklich eine besondere Frau. Sie hat Power …«

»Ihre Vorzüge erlasse mir bitte im Moment.« Sabrina stand auf, sie kreuzte ihre Arme über der Brust. »Das heißt also, dass wir uns scheiden lassen werden. Nimmt man sich da eigentlich zwei Anwälte, oder genügt einer?«

Sie wunderte sich über sich selbst, dass sie das so ohne weiteres über die Lippen brachte. Auch Markus schien es zu verblüffen. »Wir müssen ja nichts überstürzen«, murmelte er.

»Ich möchte eine schnelle und saubere Lösung«, erklärte Sabrina fest. »Kein Beziehungschaos, das nicht. Nicht länger mit einem Mann unter einem Dach leben, der mit einer anderen Frau schläft.« Sie stand auf. »Ich brauche klare Verhältnisse. Auch wenn es mir vorläufig noch nicht ganz eingeht, dass es zu Ende ist, dieses Leben mit dir.«

Damit wandte sie sich ab. Der Mann blieb reglos in seinem Sessel.

Erst als Markus vernahm, dass sie nicht nach oben ging, wie er angenommen hatte, sondern das Licht in der Diele an war, trat er aus dem Zimmer. Er sah seine Frau sich den Mantel anziehen, einen Schal um den Kragen binden. »Was soll das?«, fragte er geradezu schroff. »Wo willst du noch hin?«

»Nur ein Stück laufen«, antwortete sie. »Frische Luft schöpfen.«

»Aber das ist doch Unsinn«, begehrte er auf. »Jetzt, in der Nacht, zehn Uhr vorbei. Draußen ist es kalt und windig, und es ist stockdunkel. Da läufst du nicht allein herum. Bleib hier, bitte.«

»Ich werde noch oft allein laufen, Markus«, erwiderte Sabrina. »Ich gehe auch nur durch die vertrauten Straßen, und die sind erhellt.« Sie nahm die Hausschlüssel vom Brett und war hinaus, bevor Markus noch etwas sagen oder tun konnte.

Sie schritt zügig aus, leicht vorgebeugt gegen den Wind. Der fuhr durch ihr Haar und ließ es um ihr Gesicht wehen, sie strich es nicht zurück. Immer schon war sie, oftmals ziellos, gern gelaufen, wenn etwas sie stark beschäftigte. Nicht um davonzulaufen, sondern um in flotter Bewegung den Kopf frei zu bekommen.

Heute wurde ihr der Kopf nicht frei. Es blieb eine sonderbare Leere, einer leichten Betäubung gleich. Es war zu plötzlich über sie hereingebrochen.

Oder doch nicht?

War es ihr nicht schon schleichend ins Unterbewusstsein gekommen, dass Markus sich von ihr entfernt hatte, und sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen? Man wies nur zu gerne von sich, was nicht sein sollte, weil es nicht sein durfte.

Sie musste darüber nachdenken. Es würde über vieles nachzudenken sein.

Aber nicht jetzt.

Jetzt waren da nur die menschenleeren Straßen, das graue Pflaster, auf dem ihre Schritte hallten. Große breitästige Bäume standen zwischen Laternen schwarz und schweigend am Wege, als warteten sie darauf, dass sie zu knospen beginnen konnten. Aus stillen Häusern fiel hier und da ein Lichtschein durch die Fenster auf gepflegte Vorgärten, in denen die ersten Frühlingsboten sich regen wollten.