Er nannte des Vaterliebe - Gisela Reutling - E-Book

Er nannte des Vaterliebe E-Book

Gisela Reutling

0,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. »Mami, wo gehen denn die Sterne hin, wenn die Nacht vorbei ist?« Die kleine Amelie rieb sich schlaftrunken die Augen und sah, obwohl sie todmüde war, ihre Mutter erwartungsvoll an. Mami wußte einfach alles, und sie konnte auch immer so wunderschöne Geschichten erzählen. Nina Mertens, die am Bett der Kleinen saß, strich ihrer Tochter liebevoll eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. »Die Erde dreht sich, und wenn bei uns die Sonne aufgeht, dann wird es Nacht auf der anderen Seite der Welt. Dann scheinen dort die Sterne vom Himmel und auch der Mond«, erklärte sie. Die junge Frau war eine hübsche, mädchenhafte Erscheinung, sehr schlank, sehr grazil, mit langen blonden Haaren und samtbraunen Augen. Ihre kleine Tochter Amelie sah ihr sehr ähnlich – nur, daß ihre Augen nicht braun wie die ihrer Mutter, sondern strahlend blau waren. »Aber nun schlaf schön, mein Liebling, es ist schon spät…« »Auf der anderen Seite der Welt – wohnt dort mein Vater?« fragte das Kind leise und stockend. Nina sah sie entgeistert an. »Wer hat dir denn das erzählt?« fragte sie. »Tante Meyer«, antwortete Amelie. »Natürlich, Tante Meyer. Wer sonst«, sagte Nina ein wenig ärgerlich.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 127

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mami Classic – 81 –

Er nannte des Vaterliebe

Gisela Reutling

 »Mami, wo gehen denn die Sterne hin, wenn die Nacht vorbei ist?«

  Die kleine Amelie rieb sich schlaftrunken die Augen und sah, obwohl sie todmüde war, ihre Mutter erwartungsvoll an. Mami wußte einfach alles, und sie konnte auch immer so wunderschöne Geschichten erzählen.

  Nina Mertens, die am Bett der Kleinen saß, strich ihrer Tochter liebevoll eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.

  »Die Erde dreht sich, und wenn bei uns die Sonne aufgeht, dann wird es Nacht auf der anderen Seite der Welt. Dann scheinen dort die Sterne vom Himmel und auch der Mond«, erklärte sie. Die junge Frau war eine hübsche, mädchenhafte Erscheinung, sehr schlank, sehr grazil, mit langen blonden Haaren und samtbraunen Augen. Ihre kleine Tochter Amelie sah ihr sehr ähnlich – nur, daß ihre Augen nicht braun wie die ihrer Mutter, sondern strahlend blau waren. »Aber nun schlaf schön, mein Liebling, es ist schon spät…«

  »Auf der anderen Seite der Welt – wohnt dort mein Vater?« fragte das Kind leise und stockend. Nina sah sie entgeistert an.

  »Wer hat dir denn das erzählt?« fragte sie.

  »Tante Meyer«, antwortete Amelie.

  »Natürlich, Tante Meyer. Wer sonst«, sagte Nina ein wenig ärgerlich. Die redselige Frau Meyer, die im Erdgeschoß des Mietshauses wohnte, in dem sie lebten, steckte nur allzu gerne ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten, in Dinge, die sie nichts angingen. Und was es mit Amelies Vater auf sich hatte, das ging sie nun wahrhaftig nichts an. Andererseits war sie eine herzensgute Seele und sehr hilfsbereit. Sie paßte – gegen ein kleines Taschengeld – auf Amelie auf, während Nina im Büro eines Steuerberaters arbeitete. Sie holte sie nachmittags aus dem Kindergarten ab und ging manchmal auch mit ihr auf den Spielplatz. Tante Meyer war ein rührend guter Mensch, aber sie wußte alles besser und war schrecklich neugierig.

  Und wo Amelies Vater sich aufhielt – so dachte Nina – darüber sollte sich die alte Dame nun wahrhaftig keine Gedanken machen.

  Nina unterdrückte einen Seufzer. Nicht einmal sie wußte, wohin das Schicksal ihn verschlagen hatte.

  »Tante Meyer hat gesagt, er könnte mir ruhig mal eine Ansichtskarte schreiben von dort, wo er ist«, sagte Amelie und kuschelte sich in ihr Kopfkissen. »Ist er weit weg, Mami?«

  »Er ist wahrscheinlich irgendwo im Urwald, und dort gibt es keine Post«, entgegnete Nina ein wenig heftiger, als es eigentlich ihre Art war. Aber Ulfs spurloses Verschwinden war etwas, was sie bis heute noch nicht verwunden hatte. Er war eines Tages aus ihrem Leben verschwunden, und sie hatte seither nichts, nichts mehr von ihm gehört. Nach einem heftigen Streit war er von ihr weggegangen und hatte nie mehr etwas von sich hören lassen. Er wußte nicht einmal, daß er ein Kind hatte, eine Tochter, die nun inzwischen fast fünf Jahre alt war.

  Es war nicht so, daß er von einem Tag zum anderen verschwunden ist, dachte sie voll Bitterkeit. Wir hatten schon vorher öfters mal eine kleine Auseinandersetzung oder auch einen Streit. Das war, weil wir uns fremd geworden, weil unsere Gefühle füreinander abgekühlt sind, die Liebe erloschen ist – und heute weiß ich auch, wieso. Er hat damals eine andere Frau kennengelernt, eine, die interessanter, schicker und hübscher war als ich und die ihm etwas bieten konnte. Ich war ihm gleichgültig geworden, schrecklich gleichgültig.«

  Nina und er hatten sich auf einem Faschingsfest kennengelernt – sie, die kleine Sekretärin, und er, der junge Arzt mit den hochfliegenden Plänen von einer ehrgeizigen Karriere. Auf seltene Tropenkrankheiten wollte er sich spezialisieren und hatte schon einen längeren Aufenthalt in den Tropen geplant.

  Sie waren bald unzertrennlich gewesen, hatten jede freie Minute miteinander verbracht. Sie planten ein gemeinsames Leben, und Ulf hatte sogar Aussicht auf eine eigene, gutgehende Arztpraxis. Ninas Onkel, der eine große Praxis auf dem Lande hatte, wollte sich bald zur Ruhe setzen und suchte nach einem passenden Nachfolger. Doch das entsprach ganz und gar nicht Ulfs Vorstellungen. Nina jedoch machte die Hoffnung auf ein ruhiges Leben auf dem Land unsagbar glücklich. Sie liebte die zauberhafte Gegend, mochte das kleine Städtchen gern, in dem ihr Onkel lebte und hatte dort manch schöne Ferien verbracht. Die Menschen waren freundlich, und sie hatte viele Bekannte und Freunde. Es wäre wunderbar, so dachte sie, dort zu leben und mit Ulf zusammen in der Praxis arbeiten zu können. Er hätte sich um die Patienten und sie sich um die anfallenden Schreibarbeiten und den Praxisbetrieb kümmern können. Sie malte Ulf die Zukunft in den leuchtendsten Farben aus und wunderte sich, daß er nicht genau so begeistert war wie sie.

  Immer wieder vertröstete er sie mit Ausflüchten und allerhand Ausreden, wollte sich nicht festlegen.

  Er wartete auf seine große Chance, und die kam dann auch. Ulfs Professor bezog seinen ehrgeizigen, begabten Schüler in ein riesiges Forschungsprojekt mit ein. Das bedeutete natürlich anstrengende, langwierige Forschungsarbeit und Auslandsaufenthalte. Am Ende aber winkte wissenschaftliche Anerkennung, eine Professur und wahrscheinlich auch noch ein gutbezahlter Posten in der Pharma-Industrie. Ulf war begeistert und fühlte sich – im Gegensatz zu Nina – am Ziel all seiner Erwartungen.

  Und dann gab es da noch etwas, das ihn in seinen Plänen bestärkte und was Nina nicht wußte: die Tochter seines Professors. Yvonne war eine bildschöne, kapriziöse, junge Frau. Sie waren schon einige Male miteinander ausgegangen, und Ulf war von ihr fasziniert. Sie sah nicht nur hinreißend aus, wußte auch interessant zu plaudern, war gewandt im gesellschaftlichen Umgang und hatte tausend einflußreiche Freunde. Sie war eine erfolgreiche Golf- und Tennisspielerin und besaß ein edles Reitpferd. Sie spielte mit Ulf Tennis, ritt mit ihm aus. Es schmeichelte dem jungen Mann, daß Yvonne ihn bei allen möglichen Gelegenheiten so offensichtlich bevorzugte, daß sie ihm zu verstehen gab, daß er ihr gut gefiel.

  Yvonne und er? Eine bessere Verbindung konnte man sich gar nicht vorstellen. Nicht nur, daß Yvonne einfach eine tolle Frau war, temperamentvoll, schön, charmant und von sportlicher Eleganz, gewandt im Umgang mit Menschen. Nein, sie war dazu auch noch genau das, was er sich unter einer Lebensgefährtin vorstellte – eine Frau, die seiner Karriere nützlich sein würde, die ihm aufgrund ihrer Beziehungen viele Türen öffnen konnte. Es dauerte nicht lange, da wurden sie überall, wo man gesehen werden mußte – auf Partys, auf wichtigen Veranstaltungen, auf großen Festen und Kongressen – zusammen gesehen. Für Ulf gab es nur noch Yvonne und noch einmal Yvonne – er war von dieser Frau hingerissen. In Fachkreisen galt er schon als der zukünftige Schwiegersohn des Professors und wurde dementsprechend hofiert. Nina war vergessen.

  Nina ahnte von alldem nichts. Sie wunderte sich zwar über seine Kühle, seine häufigen Ausreden, wenn er wieder einmal eine Verabredung platzen ließ. Sie suchte die Schuld bei sich, denn die beginnende Schwangerschaft – die sie Ulf noch nicht gebeichtet hatte – machte sie müde und reizbar. Sie hatten öfter Streit und kleine Auseinandersetzungen. Sie warf ihm vor, daß er zu wenig Zeit für sie habe, sich nicht um sie kümmere und daß er viel mehr mit seinen Kollegen und auch mit der Tochter seines Professors zusammen sei als mit ihr. Er beschuldigte sie, kleinkariert, grundlos eifersüchtig und spießig zu sein. Immer wieder versuchte sie, sein Verhalten mit der vielen Arbeit wegen des Projektes, an dem er vorgab zu arbeiten, zu entschuldigen. Immer noch – so erzählte er ihr – plane er einen längeren Tropenaufenthalt, und die Vorbereitungen dafür kosteten eben viel, viel Zeit. Er machte ihr Vorwürfe, daß sie seiner wissenschaftlichen Karriere im Weg stehe. Hatte er sich nicht schon vor langer Zeit vorgenommen, noch bevor sie sich kennenlernten, entweder für zwei oder drei Jahre in die Tropen zu gehen, um seltene Tropenkrankheiten an Ort und Stelle zu erforschen, oder sich um eine Anstellung an einer der großen Universitäts-Kliniken in Amerika zu bewerben?

  Nina hatte gespürt, daß Ulf ihr entglitten war. Er hatte kein Interesse mehr an ihr. Immer öfter hatte er aus nichtigen Gründen einen Streit vom Zaun gebrochen. Er hatte einen Grund gesucht, sie zu verlassen, denn seine neue Liebe war ihm wichtiger gewesen.

  Ulf hatte keine Ahnung davon, daß ich schwanger bin, dachte Nina. Die passende Gelegenheit, es ihm mitzuteilen, wollte sich einfach nicht ergeben. Aber – hätte das denn etwas geändert?

  Sie schüttelte traurig den Kopf.

  Zur Feier seines Geburtstages, so hatte sie es sich ganz fest vorgenommen, wollte sie ihn endlich mit der großen Neuigkeit überraschen, daß er Vater würde. Doch dazu kam es nicht mehr.

  Ulf hatte keinen anderen Gedanken mehr gehabt als den an die schöne Yvonne und an die große Aufgabe, die ihn erwartete. Er schmiedete Pläne für seine Zukunft, Pläne, in denen Nina nicht mehr vorkam.

  Der gute Ulf hat leider keine Ahnung davon, daß er eine so entzückende Tochter hat, dachte Nina bitter.

  Sie seufzte. Sie zupfte Amelies Bettdecke zurecht und hob den Teddybär, der auf den Fußboden gefallen war, auf. Sachte legte sie das Stofftier neben Amelie auf das Kopfkissen. Dann ging sie auf Zehenspitzen hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu. Einen ganz kleinen Spalt ließ sie sie offen, damit ein Lichtschein in ihr Zimmer fiel und sich die Kleine im Dunkeln nicht ängstigte, falls sie in der Nacht aufwachen sollte.

*

  Amelies Fragen nach ihrem Vater und die Gedanken an Ulf hatten Erinnerungen aufgewühlt, und Nina fühlte sich traurig und müde. Sie ließ sich in ihren bequemsten Sessel fallen und griff nach der Fernbedienung des Fernsehers, um das Gerät einzuschalten. Doch dann legte sie sie wieder weg. Sie war nicht in der Stimmung, um sich durch einen Film oder ein Fernsehspiel ablenken zu lassen. Lieber wollte sie Musik hören, und so schaltete sie das Radio ein. Eine sanfte Melodie durchflutete den Raum, eine sanfte Melodie, die einmal eine ganz besondere Bedeutung für sie gehabt hatte. Es war ihr und Ulfs Lied, das Lied, das sie immer gespielt hatten, wenn sie besonders glücklich waren. Tränen stiegen in ihre Augen. Sie wollte schon aufstehen, um das Radio wieder auszuschalten, doch in diesem Augenblick klingelte es draußen an ihrer Wohnungstür.

  »Ulf«, flüsterte sie, und für einen kurzen, irrwitzigen Moment dachte sie wirklich, Ulf müßte draußen vor der Tür stehen. Ulf, den ihre Gedanken von irgendeinem Ende der Welt herbeigezaubert hatten. Aber als sie öffnete, stand ihr Nachbar vor ihr, ein junger Mann namens Friedhelm Brückner, der die Wohnung über ihr bewohnte. Er hatte ein scheues, verlegenes Lächeln auf seinem offenen Gesicht.

  »Entschuldigen Sie, Frau Mertens, daß ich so spät noch hereinplatze, aber ich fahre morgen in Urlaub und ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht ab und zu mal meine Blumen gießen würden…«, sprudelte er heraus und hielt plötzlich inne. »Was für eine schöne Musik Sie haben!« rief er aus. »Ist das eine CD?«

  Nina schüttelte den Kopf.

  »Nein, es ist im Radio«, antwortete sie.

  »Schade«, meinte er bedauernd. »Ich hätte Sie nämlich gebeten, mir die CD zu leihen oder mir dieses Lied aufzunehmen.«

  »Ich muß diese Schallplatte irgendwo haben«, meinte Nina und winkte ihm, näher zu treten. Mit suchendem Blick ging sie die Reihe ihrer CDs entlang, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. »Ach ja, hier ist sie.«

  Sie hielt sie ihm hin.

  »Ich schenke Sie Ihnen. Ich brauche sie nicht mehr«, sagte sie. Erstaunt hob er den Kopf und sah sie an.

  »Aber – es ist doch ein so schönes Lied«, meinte er.

  »Trotzdem. Ich brauche sie wirklich nicht mehr«, sagte sie und fügte, als er sie immer noch ein wenig verständnislos ansah, erklärend hinzu: »Das Lied erinnert mich an etwas, das ich gerne vergessen möchte.«

  »Ach so. Ich verstehe«, antwortete er, obwohl er rein gar nichts verstand. Traurig sah Nina Mertens aus, und er hätte ihr gerne etwas Nettes gesagt.

  »Vielen Dank, ich nehme die CD gerne«, meinte er. »Aber nur, wenn Sie sich dafür eine von meinen aussuchen.«

  »Warum? Haben Sie auch ein Lied, das Sie gerne loswerden möchten?« fragte sie lächelnd. »Könnte ja sein, nicht wahr?«

  Wahrscheinlich, so dachte er, erinnert sie das Lied an eine unglückliche Liebesgeschichte.

  »Könnte sein«, entgegnete er grinsend und dachte an die Schar seiner verflossenen Freundinnen. Es waren, wenn er ehrlich war, eine ganze Menge gewesen.

  Er ist nett, dachte Nina, und er sieht nett aus mit diesem jungenhaften Grinsen auf dem Gesicht. Ein sportlicher Typ, ein freundlicher junger Mann, immer hilfsbereit, wenn sie einmal mit einer kleinen Reparatur nicht zurechtkam. Er war immer gut aufgelegt, und sie hatte das Gefühl, daß er in seinem Beruf tüchtig war und mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand.

  »Wie ist es, ich habe eine gute Flasche Wein im Kühlschrank. Wollen wir die zusammen trinken? Auf gute Nachbarschaft oder auf Ihren Urlaub?« schlug sie vor. Ihr war es mit einem Male wichtig, daß dieser nette junge Mann nicht sogleich wieder fortging, sondern ein Weilchen bei ihr blieb. Der Abend nahm auf einmal eine ganz andere Wendung. Zuerst war sie traurig und deprimiert gewesen – und nun war durch den Besuch dieses jungen Mannes unversehens eine Heiterkeit aufgekommen, die ihr von Herzen guttat und sie von ihren trüben Gedanken ablenkte.

  Er lachte fröhlich auf.

  »Das ist der beste Vorschlag, den ich seit langem gehört habe!« rief er aus. »Ich mußte nämlich in den letzten Tagen schrecklich schuften, damit ich in meiner Firma alles geordnet hinterlasse, denn ich fahre morgen in aller Frühe nach Spanien. Und heute steht mir noch dazu dieses vermaledeite Kofferpacken bevor. Wissen Sie, ich nehme immer das Falsche mit!«

  »So geht es mir auch. Ich weiß nicht, wie die anderen Leute das machen. Die sind immer so perfekt«, meinte Nina und holte Gläser aus dem Schrank. Irgendwo mußte sie auch noch Salzbrezeln haben, wenn Amelie sie nicht inzwischen aufgefuttert hatte.

  »Ach was, perfekt! Wahrscheinlich haben die Leute fünf Koffer dabei und können dann je nach Gelegenheit ihre Garderobe auswählen. Ich reise am liebsten mit kleinem Gepäck«, sagte der junge Mann und folgte Nina nach in die Küche. Er sah sich um und machte ein betretenes Gesicht. »Oh, wie ordentlich! Die Küche muß ich auch noch aufräumen, bevor ich abreise. Das wird eine kurze Nacht!«

  Obwohl er offensichtlich noch eine ganze Menge zu erledigen hatte, setzte er sich in aller Ruhe zu Nina und entkorkte die Flasche

  »Das ist aber ein gutes Tröpfchen«, sagte er anerkennend.

  »Ich hab sie von meinem Onkel geschenkt bekommen. Er ist Arzt auf dem Lande. Viele seiner Patienten sind Weinbauern und bezahlen ihn ab und zu in Naturalien statt mit Geld«, sagte sie. Friedhelm Brückner nickte anerkennend.

  »Das finde ich einfach großartig. Arzt auf dem Lande – und Bezahlung in Naturalien. Da kann man noch richtig gut leben«, meinte er.

  »Nun, es ist nicht alles Gold, was glänzt«, sagte Nina. »Es ist mittlerweile auch ganz schön anstrengend für den alten Herrn. Die Praxis wird immer größer, und er hat kaum noch Kollegen in seiner näheren Umgebung. Er muß oft bei Wind und Wetter, bei Eis und Schnee und manchmal auch mitten in der Nacht Hausbesuche machen und dafür weite Wege auf sich nehmen. Er sucht schon lange Zeit vergeblich nach einem Nachfolger.«

  Beinahe hätte Nina ihm dann auch noch von Ulf erzählt. Von Ulf, der eine wissenschaftliche Karriere, eine glanzvolle Laufbahn einem Leben als einfacher Landarzt vorgezogen hatte.

  »Aber seltsamerweise möchte keiner dauernd auf dem Land arbeiten«, fuhr sie fort. »Alle zieht es wieder in die Stadt. Seine Assistenten bleiben nur kurze Zeit und dann sagen sie ihm wieder Adieu. In der Stadt haben sie eben mehr Abwechslung.«