Nicht mehr verstoßen … - Gisela Reutling - E-Book

Nicht mehr verstoßen … E-Book

Gisela Reutling

5,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. »Da ist die Kleine ja wieder«, bemerkte Edgar Gerstner und ließ die Zeitung sinken. Seine Frau Vera folgte seinem Blick. Das Kind im kurzen Hängekleidchen stand bei den Blumenbeeten im Vorgarten und machte sich da zu schaffen. Immer wieder bückte es sich und zupfte daran herum. Wenn es sich aufrichtete, sah es zu den beiden hin, die da auf der ebenerdigen Terrasse in bequemen Korbstühlen saßen und es beobachteten. Das Kind schien es nicht zu stören, im Gegenteil, es schien, als warte es auf etwas. »Komm mal her, was tust du denn da?« sagte Vera endlich mit erhobener Stimme. Das kleine Mädchen gehorchte sofort. »Ich mach' nur weg, was da so dazwischen wächst«, erklärte es eifrig. »Hier, das schlingt sich da rum, und dann kriegen die Blumen keine Luft mehr.« Zum Beweis hielt es das kleinwüchsige Unkraut in seinem Händchen empor. »So so, du nimmst uns die Gartenarbeit ab«, lächelte Vera. »Ja, das hab ich auch getan, wie Sie weg waren. Aber eine Blume hab ich nie weggenommen, das wär ja gestohlen«, versicherte es ernsthaft. Nach einer kleinen, unschlüssigen Pause fügte es schüchtern hinzu: »Sie waren lange weg, nicht?«

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Mami Classic – 1 –

Nicht mehr verstoßen …

Gisela Reutling

»Da ist die Kleine ja wieder«, bemerkte Edgar Gerstner und ließ die Zeitung sinken.

Seine Frau Vera folgte seinem Blick. Das Kind im kurzen Hängekleidchen stand bei den Blumenbeeten im Vorgarten und machte sich da zu schaffen. Immer wieder bückte es sich und zupfte daran herum. Wenn es sich aufrichtete, sah es zu den beiden hin, die da auf der ebenerdigen Terrasse in bequemen Korbstühlen saßen und es beobachteten. Das Kind schien es nicht zu stören, im Gegenteil, es schien, als warte es auf etwas.

»Komm mal her, was tust du denn da?« sagte Vera endlich mit erhobener Stimme.

Das kleine Mädchen gehorchte sofort.

»Ich mach’ nur weg, was da so dazwischen wächst«, erklärte es eifrig. »Hier, das schlingt sich da rum, und dann kriegen die Blumen keine Luft mehr.« Zum Beweis hielt es das kleinwüchsige Unkraut in seinem Händchen empor.

»So so, du nimmst uns die Gartenarbeit ab«, lächelte Vera.

»Ja, das hab ich auch getan, wie Sie weg waren. Aber eine Blume hab ich nie weggenommen, das wär ja gestohlen«, versicherte es ernsthaft. Nach einer kleinen, unschlüssigen Pause fügte es schüchtern hinzu: »Sie waren lange weg, nicht?«

»Wir waren verreist«, sagte Vera.

Das Kind nickte. »Darum sind Sie auch so braun. Das waren Sie vorher nicht. Da war wohl viel Sonne?«

»Wir haben dich schon öfter hier gesehen«, mischte sich der Hausherr ein. »Wie heißt du denn?«

»Ich heiße Isabella. Das ist der schönste Name, den es überhaupt gibt.«

»Dann hast du ja Glück gehabt, daß deine Eltern dich so getauft haben«, äußerte Edgar Gerstner mit einem leisen Schmunzeln. »Schimpfen die denn nicht mit dir, wenn du in fremde Gärten gehst?«

Isabella schüttelte den Kopf. »Meine Mama schimpft nie mit mir, die ist ganz lieb, und mein Papa auch. Ich hab noch eine Schwester und einen Bruder, die sind auch lieb. Mein Bruder wird mich beschützen, wenn ich jetzt bald in die Schule komme und einer frech zu mir ist.«

Während sie redete, ging ihr Blick über den runden Gartentisch, auf dem, zwischen geleerten Tassen, noch zwei Erdbeertörtchen auf einer Kuchenplatte lagen. Vera kam es vor, als läge etwas Begehrliches darin.

»Möchtest du gern so ein Törtchen?« fragte sie gutmütig. »Dann setz dich da auf den Hocker und nimm dir eins. Oder warte, ich gebe es dir auf den Teller.«

Wie die braunen Augen aufleuchteten, als es der Aufforderung folgte. »Das habe ich mir immer gewünscht«, sagte Isabella.

»Was, Erdbeerkuchen? Den bekommst du doch zu Hause sicher auch mal«, warf Vera hin.

»Nein, hier bei Ihnen zu sein!«

Das kam so inbrünstig heraus, daß es Vera verwunderte. Was fand sie so Besonderes daran, sie waren doch Fremde für sie. Nun, Kinder hatten sicher manchmal seltsame Ideen.

Ihr Mann hatte wieder nach der Zeitung gegriffen. Vera betrachtete ihren kleinen Gast, der sich auch das zweite Törtchen noch nehmen durfte. Es war kein besonders hübsches Kind, dafür war das Gesichtchen zu blaß und zu spitz. Das braune, etwas strähnige Haar war bestimmt nicht von einem Fachmann geschnitten, es hing unordentlich um den schmalen Kopf und in die Stirn. Trotzdem hatte diese Isabella etwas Liebes, irgendwie Rührendes an sich. Eigentlich sah sie noch gar nicht aus wie sechs Jahre, so klein und dünn, wie sie war.

»Kommst du denn dieses Jahr schon in die Schule?« erkundigte sich Vera.

»Ja.« Das Kind tupfte mit dem Zeigefinger die letzten Krümel auf. »Weil ich im Mai doch schon sechs geworden bin. Darum bin ich auch schon zu alt…« Es stockte.

»Zu alt?« wiederholte Vera verblüfft. »Was soll denn das heißen?«

»Och, nur so…« Isabella wurde rot und sah beiseite. Eigentlich müßte sie wohl jetzt gehen, statt dessen fragte sie: »Darf ich noch ein bißchen bleiben?« Ihr Blick ging zu dem Haus.

»Ja, ich weiß nicht – wirst du denn nicht zu Hause erwartet? Wo wohnst du denn?«

»Dort hinten.« Es folgte eine Armbewegung in eine unbestimmte Richtung. »Das ist so ein wunderschönes Haus«, redete das Kind mit einem verträumten Ausdruck weiter, »und so groß. Wohnen Sie da allein drin?«

»Ja. Aber so groß ist es gar nicht. Oben sind die Schlafzimmer und unten der Wohnraum. Sonst noch etwas, du kleine Neugier?« Es klang scherzhaft aus Veras Mund.

»Drinnen ist es sicher auch schön, so mit Bilder und Teppichen, ja?«

»Nun ist es aber genug.« Das war Edgar, dem das Frage- und Antwortspiel langsam zuviel wurde. »Du machst dich jetzt besser auf den Heimweg, Kind. Nicht, daß deine Mutter dich noch sucht.«

Das Mädchen erwachte aus seiner träumenden Bewunderung des Hauses und stand auf. »Auf Wiedersehen«, sagte es und streckte zuerst Vera, dann dem Mann das schmale Händchen entgegen. »Und vielen Dank auch.«

»Auf Wiedersehen, Isabella.«

Sie sahen der kleinen Gestalt nach, die sich zögernd entfernte. Vorn, an der Straße drehte sie sich noch einmal um und winkte. Vera winkte lächelnd zurück.

»Ein komisches kleines Ding«, bemerkte Edgar.

»So komisch fand ich sie eigentlich nicht«, meinte seine Frau etwas nachdenklich und begann, die Tassen zusammenzustellen.

»Na, hör mal! Wenn ich sie nicht weggeschickt hätte, wären wir sie wohl nicht mehr losgeworden. Geht einfach zu irgendwelchen fremden Leuten…« Er schüttelte den Kopf.

Vera trug das Geschirr auf einem Tablett hinein. Freilich hatten sie es schön in ihrem schmucken Haus. Die Kleine hätte sich nur zu gern darin umgesehen, das hatte sie gemerkt. Aber das führte zu weit.

Sie selber genoß es auch, nach der weiten Reise wieder daheim zu sein. Sie waren dieses Jahr in die Karibik geflogen, doch das war nicht ihre Welt. Laute Disco-Musik über den »Traumstränden«, im Riesenhotel viel Stillosigkeit. Man sollte eben nicht dem allgemeinen Trend folgen. Oder sie hatten einfach Pech gehabt. Zum Glück hatte Edgar noch eine Woche Ferien, um sich davon zu erholen. Der Sommer lag auch noch vor ihnen, denn es war erst Mitte Juni. Sie würden noch viele schöne Wochenenden haben, mit dem Boot draußen auf dem See, das ihnen gehörte.

Am Abend kam ihre Schwester Jenny, um sich von ihrem Urlaub erzählen zu lassen. Da sie bereits etwas Abstand hatten, berichteten Vera und Edgar eher amüsiert von ihrem Abenteuer. Sie vermochten jetzt schon über manches zu lachen, was sie geärgert hatte.

»Trotzdem«, seufzte Jenny, »ihr kommt wenigstens mal raus und seht ein Stück von der Welt. Ihr könnt doch planen, wie ihr wollt. Wenn ich denke, wie angebunden ich dagegen bin: der Haushalt, die Kinder und das Geschäft, mit dem Dieter verheiratet ist.«

»Mach nicht so eine verdrossene Miene, Jenny, das steht dir nicht«, sagte Edgar mit einem leichten Lächeln zu seiner Schwägerin.

»Ja, du hast gut reden.« Düster sah Jenny ihn an. »Wenn du aus der Bank kommst, ist Feierabend für dich. Bei Dieter gibt’s so was nicht. Er hat sich auch heute wieder einen Stapel Kataloge von Auktionshäusern mitgebracht, da brütet er nun bis Mitternacht drüber.«

»Dafür paßt er auf die Kinder auf, und wir haben einen gemütlichen Abend für uns«, versuchte Vera zu besänftigen und stand auf, um eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank zu holen. Daß sie nur immer so unzufrieden war, ihre Schwester! Jenny war vierzig, acht Jahre älter als sie, und sie war eine schöne, aparte Frau. Das würde sie nicht mehr lange sein, wenn sie sich weiter in eine gewisse Verbitterung hineinsteigerte. Warum denn nur? Sie hatte zwei gesunde Kinder, war das nicht schon Glück genug? Statt dessen ging sie oftmals nervös und zänkisch mit ihnen um. Da war es kein Wunder, daß die beiden hin und wieder trotzig aufmuckten.

Sicher, Dieter kümmerte sich zu wenig um seine Familie, das stimmte schon. Er lebte für seine Kunsthandlung, war ein passionierter Sammler und Förderer junger Talente. Der Kunstsalon Sasse war seit Generationen in der Familie und hatte weithin in Fachkreisen einen guten Ruf.

Auch Vera entfloh nun ein Seufzer. Es war eben nichts vollkommen auf der Welt.

»Wir haben Claus und Katrin etwas mitgebracht«, sagte sie, als Edgar den Sekt eingeschenkt hatte. »Es gibt da ganz originelle Sachen. Hoffentlich können sie mit dem Spiel etwas anfangen. Ich gebe es dir nachher für sie mit.«

»Könntest du es ihnen nicht selber geben, Vera? Ich wollte sie euch nämlich morgen herschicken, wenn es euch nichts ausmacht. Sie würden nach der Schule kommen und bis abends bleiben. Dieter braucht mich im Geschäft. Er plant doch wieder eine Ausstellung.«

»Natürlich können sie kommen. Wir freuen uns doch immer, wenn wir die beiden um uns haben, nicht wahr, Edgar?«

»Und ich bin froh, wenn ihr sie mir mal abnehmt.«

»Das sagst du in einem Ton, als liebtest du deine Kinder nicht«, hielt Vera ihrer Schwester mit leichtem Vorwurf entgegen.

»Natürlich liebe ich sie«, erwiderte Jenny ungeduldig. »Aber manchmal wächst mir eben alles über den Kopf.«

Als sie fort war, sagte Vera zu ihrem Mann: »Kannst du das verstehen, daß Jenny so unfroh ist? Sie war doch früher nicht so.«

Edgar zuckte die Achseln. »Bei Männern redet man von einer »Midlifecrisis«. Vielleicht gibt es das bei Frauen auch, so eine Krise in der Mitte des Lebens, und deine Schwester hat sie erwischt.« Er lächelte ein wenig. »Wir werden damit nichts zu tun haben, denke ich, wenn wir mal in die Jahre kommen. Oder, was meinst du?«

»Das will ich doch nicht hoffen.« Auch Vera lächelte nun, aber es war eher ein ernstes Lächeln. Sie trat auf ihn zu und legte ihm den Arm um den Nacken. »Dafür sind wir zu eng miteinander verbunden, Edgar.«

Er nickte nachdrücklich und umfaßte sie ganz, legte seinen Kopf gegen ihr leichtgelocktes, volles Haar, das die Farbe reifer Kastanien hatte. Sie war schon eine wunderbare Frau, seine Vera. Sie trugen es zusammen, daß sie keine Kinder hatten. Nach achtjähriger Ehe hatten sie die Hoffnung darauf aufgegeben. Aber sie klagte und jammerte nicht, und wenn sie manchmal traurig darüber gewesen war, hatte sie sich ihm nur inniger zugewandt. »Wir haben uns, das ist sehr viel«, pflegte sie zu sagen.

Da waren ja auch noch die Kinder ihrer Schwester, die nur zu gern zu ihrer Tante Vera kamen. Dann war doch einmal Kinderlachen im sonst so stillen Haus, und Vera hatte etwas zum Verwöhnen.

Sie bereitete auch am nächsten Tag deren Lieblingsspeise, Dampfnudeln mit Vanillesoße. »Wer soll denn die alle essen?« lachte Edgar, als sie sie auf den Tisch brachte.

»Die verdrücken wir schon«, behauptete der neunjährige Claus und rutschte erwartungsvoll auf seinem Stuhl hin und her.

»Ja, du«, seine zwei Jahre ältere Schwester knuffte ihn leicht in die Seite, »du wirst sowieso zu dick. Sagt Mama immer.«

»Sagt sie nur, wenn sie schlechte Laune hat. Hat sie leider öfter.« Claus wandte sein rundes Gesicht der Tante zu. »Wieso bist du eigentlich immer gutgelaunt, Tante Vera?«

»Tante Vera hat ja auch nicht soviel um die Ohren wie unsere Mama«, hielt ihm Katrin altklug entgegen. »Sie hat kein Geschäft am Hals und keine Kinder, die sie nerven. Ich schaffe mir bestimmt auch mal keine an. Ich mach’s wie du, Tante Vera. Du hast es doch ganz toll. Immer Zeit.«

»Ja, ja«, sagte Vera. »Jetzt debattiert mal nicht länger, sondern greift zu.« Das ließ sich Claus nicht zweimal sagen, es gab ein fröhliches Schmausen, und die Dampfnudeln wurden bald weniger.

»Wieso mußt du fort, Onkel Edgar?« fragte Claus nach dem Essen ganz enttäuscht. »Ich denke, du hast noch Urlaub und mußt nicht in deine Bank.«

»Es ist nicht ›meine‹ Bank«, stellte Edgar richtig, »ich leite nur die Filiale. Und ich muß meinen Wagen in der Werkstatt nachsehen lassen, das ist auch wichtig.«

»Och, wo wir doch gerade da sind… Du könntest doch das neue Spiel mit uns spielen. Das verstehen wir sonst überhaupt nicht. Wie sollen wir denn damit klarkommen?«

»Tante Vera wird euch helfen. Ich bleibe ja auch nicht lange weg.«

»Ihr werdet doch auch Schularbeiten machen müssen«, meinte Vera. Die beiden Kinder wechselten einen Blick. »Das ist ja gerade das Fürchterliche!« stöhnte Claus.

»Och«, seine Schwester machte eine wegwerfende Handbewegung, »die können wir auch heute abend noch machen. Oder, bei uns fällt morgen die erste Stunde aus, dann mach ich sie morgen früh.«

»Und ich hab gar nicht viel auf«, fiel Claus eifrig ein. Schmeichelnd griff er nach der Hand seiner Tante. »Laß uns lieber spielen, ja?«

Weil das Wetter immer noch schön war, setzten sie sich damit auf die Terrasse, dort verteilten sie auf der Vorlage die drolligen Figürchen, die nach bestimmten Regeln in ein Ziel gebracht werden mußten. Das mußten sie erst studieren, und sie waren noch eifrig dabei, als Katrin plötzlich sagte: »Wer schleicht’n da vorne rum? Gehört die hier in die Straße? Die guckt immer her.«

Vera sah auf. Isabella! Da war sie tatsächlich schon wieder. Und jetzt näherte sie sich zögernd, als ihre Blicke sich trafen. »Guten Tag«, sagte sie, sichtlich eingeschüchtert von den Kindern, die sie wie einen Störenfried betrachteten. Sie wandte sich an Vera. »Sind das Ihre Kinder? Ich dachte, Sie hätten keine.«

»Wir sind hier nur zu Besuch«, erklärte Claus, »bei unserer Tante.«

Vera nahm die kleine Hand, die sich ihr scheu und irgendwie bittend entgegenstreckte. »Guten Tag, Isabella. Bist du denn schon wieder allein unterwegs?« Das Kind nickte, es sah auf den Tisch. »Darf ich da mitspielen?« fragte es.

»Nee«, antwortete Claus unumwunden, »das verstehst du doch nicht. Wir haben es auch gerade erst kapiert.«

»Ja, und wir wollten gerade anfangen«, vollendete Katrin nachdrücklich und kehrte dem ungebetenen Gast den Rücken zu.

Das kleine Mädchen fühlte sich deutlich abgewiesen, es wurde rot. Einen Moment wartete es noch, den Blick auf Vera gerichtet. Als auch diese es nicht zum Bleiben aufforderte, drehte es sich um und lief rasch und beschämt davon.

»Was die für ausgelatschte Schuhe anhat«, bemerkte Katrin verächtlich.

»Jetzt komm aber, du fängst an«, drängte Claus, und der kurze Zwischenfall war vergessen. Nur Vera mußte noch daran denken, wie das Kind sie angeschaut hatte…

*

Es verging ungefähr eine Woche, bis das Mädchen wiederkam. Vera war im Garten und schnitt ein paar Blumen für die Vase auf dem Wohnzimmertisch. Ihr Mann war nun wieder im Büro, für ihn waren die Ferien vorbei.

»Hallo, Isabella«, sagte Vera mit freundlichen Lächeln. »Komm ruhig näher. Sieh mal, wird das nicht ein schöner Strauß?«

Das Kind nickte. »Kann ich denn heute ’n bißchen bleiben?«

»Ja, du kannst auch nachher mit reinkommen, da kriegst du ein Eis. Das magst du doch sicher.«

Es schien die Erfüllung eines Traumes für Isabella zu sein, mit ins Haus genommen zu werden. Jedenfalls sah sie sich fast andächtig um, und ihre Augen glänzten. »Da hab’ ich jeden Tag dran gedacht. Ich meine, an Sie hab’ ich gedacht, jeden Tag«, bekannte sie.

»Ich habe auch mal an dich gedacht, Isabella.« Vera ordnete die Blumen in die Vase. »Weißt du, was mich wundert? Daß du immer allein herumläufst. Du hast doch Geschwister. Kümmern die sich denn gar nicht um dich?«

»Die sind doch schon groß. So groß wie die Kinder, die neulich bei Ihnen waren. Ja, genauso. Die mich nicht haben wollten. Ich dachte, die wären vielleicht immer noch da. Darum bin ich so lange nicht gekommen.«

»Na, so lange war das nicht«, warf Vera ein.

»Doch, ganz lange«, widersprach das Kind mit einem Nicken.

»Hast du denn deinen Eltern erzählt, wo du manchmal hingehst?« wollte Vera wissen. Ein unsicherer Ausdruck erschien in dem kleinen, spitzen Gesicht. »Ja – nein, nicht so richtig –«, und schnell fuhr das Kind fort: »Mein Papa fährt auch so ein schönes Auto wie das, was draußen manchmal vor Ihrer Tür steht. Das gehört doch Ihnen?«

Vera bejahte. »Und macht ihr da manchmal auch Ausflüge damit, so die ganze Familie?«

»O ja, ganz schöne Ausflüge. Meine Mama packt dann einen Korb mit lauter feinen Sachen, die essen wir dann auf einer Wiese. Und Papa angelt und fängt Fische, das ist ganz toll.«