Einfach kann jeder - Cornelia Schäfer - E-Book

Einfach kann jeder E-Book

Cornelia Schäfer

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Beschreibung

Erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. Nadjas Leben könnte endlich in ruhigeren Bahnen verlaufen, wäre da nicht ihr unschlagbares Talent, mit vollem Anlauf durch Fettnäpfchen zu springen. Mit neuer Wohnung, Job und vielleicht auch Mann, stürzt sie alle ins Chaos. Ein weiteres Mal stehen ihre Freundinnen treu an ihrer Seite. Die Achterbahn der Gefühle beschleunigt sich, als Nadja von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Kann es ein Happy End für sie geben?

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Einfach kann jeder

oder

Ist er Mister Right?

von Cornelia Schäfer

Dieses Buch ist die Fortsetzung von

Einfach kann jeder

oder

Wie angle ich mir einen Mann

ISBN Buch: 9783751983624

ISBN E-Book: 9783752694550

oder als Hörbuch auf allen bekannten Portalen

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Vorwort

Was bisher geschah

Nach über zehn Jahren in einer oftmals unglücklichen Ehe und einer anschließenden katastrophalen Beziehung hatte ich, Nadja Sommer, mit Mitte dreißig vor einer wichtigen Entscheidung gestanden. Was erwartete ich vom Leben? Sollte ich es alleine bestreiten oder mit einem Partner auf Augenhöhe? 

All die Probleme einer alleinerziehenden Mutter im Nacken, den täglichen Stress und die vielen Kilos auf den Rippen hatten mir das Gefühl gegeben, nur ein ungeliebtes, reizloses Arbeitstier zu sein.

Doch Aufgeben existiert in meinem Wortschatz nicht! 

Mit viel Energie, einer großen Portion Selbstironie und Sarkasmus meisterte ich gemeinsam mit meinem Sohn Tim und Kater Rolli den Alltag.

Zum einen hatte ich die Wohnung auf den Kopf gestellt und zum anderen den zwar ungeliebten, aber sicheren Job gekündigt.

Nur die nahezu wöchentlichen Mädelsabende mit meinen Freundinnen Anita und Bianka hatte ich mir nicht nehmen lassen. Zufällig hatten wir drei hierbei eine Zeitschrift mit dem Titel: ‚Jeder Topf findet einen Deckel‘ entdeckt.

Nur wenige Tage später hatte Bianka ohne mein Wissen ein erstes Blind-Date arrangiert. Ein absolutes No-Go, aber wie so oft in meinem Leben hatte letztendlich meine Neugier gesiegt. Thorsten war zwar nett, als Partner kam er jedoch nicht in Frage.

Doch einmal auf den Geschmack gekommen, folgten weitere, teilweise chaotische Treffen mit unterschiedlichen Männern. Hierbei reifte in mir die Erkenntnis, dass Männer oft viel verzweifelter nach einer Frau suchten, als Frauen nach Männern!

Nicht einer der Männer hatte sich an meinen überflüssigen Pfunden gestört. Denn völlig gleich, ob ich mich mit Thorsten, Udo, Kai, oder Jan getroffen hatte, jeder dieser Männer konnte es kaum erwarten, mich wiederzusehen.  Aus einer alleinerziehenden Mutter, die mit Männern gedanklich bereits abgeschlossen hatte, war über Nacht eine Frau geworden, die sich nach vielen Jahren endlich wieder begehrenswert fühlte und diese Selbstsicherheit auch ausstrahlte!

Bei meiner Suche war ich immer wieder auf einen gewissen David gestoßen. Ihn hatte ich auf der Datingseite zwar unter ‚Favoriten‘ abgespeichert, jedoch aus irgendeinem Grund zuerst nicht kontaktiert.

Eines Tages hatte ich es gewagt und ihn frech, wie ich eben war, angeschrieben. Noch am selben Abend war unser erstes Treffen, bei dem sich David statt einer Begrüßung gleich einen Rüffel anhören musste. Einmal mehr hatte ich mich dadurch selbst in eine absolut peinliche Situation gebracht.

Doch David hatte sich von meiner offenen, direkten Art nicht vertreiben lassen. Zum Abschied hatte er es gar gewagt, mich keck auf die Lippen zu küssen. Dieser eine kleine Kuss hatte genügt, um mich komplett aus der Bahn zu werfen. 

Beim zweiten Date hatte ich beschlossen, David durch verrückte Aktionen auf den Zahn zu fühlen in der Hoffnung, dass er hierdurch das Interesse an mir verlieren würde. Zwar wollte ich einen Partner, doch gleichzeitig zögerte mein Innerstes vor diesem großen Schritt und einer erneuten Enttäuschung.

Doch David meisterte alle Herausforderungen mit Bravour. Damit hatte ich niemals gerechnet! Mein Gefühlsleben geriet völlig durcheinander, so dass ich die mir selbst auferlegten Hürden übersprang und mich Hals über Kopf in das Abenteuer David stürzte.

Kapitel 1

Gibt es eine gemeinsame Zukunft?

Was hatte ich mir selbst fest vorgenommen? Mein Leben nie wieder von einem Mann bestimmen zu lassen! Das war der Plan, doch wie so oft in meinem Leben, war ein Plan nur dazu da, um auf den Kopf gestellt zu werden. Weshalb also nicht auch in Liebesdingen?

Seit Davids verlängertem Wochenende waren inzwischen drei Wochen vergangen. Als ich es nicht mehr für möglich hielt, da klopfte das Glück an die Tür. Nein, es schlug regelrecht die Türe ein! Im Sturm hatte David nicht nur mich, sondern meinen Sohn Tim, meinen Dad, Freundin Gabi und bisher jede Person, die ich ihm vorstellte, erobert. Noch immer fragte ich mich: ‚Warum um alles in der Welt war dieser Kerl Single?‘

Hätte nicht im Grunde genommen jedes weibliche Wesen hinter ihm her sein müssen? Und was gefiel ihm ausgerechnet an mir? Er sah gut aus, konnte zuhören, akzeptierte von der ersten Minute an, dass es mich nur im Doppelpack mit Tim gab. War mitunter charmant, gleichzeitig frech, brachte mich zum Lachen, und nicht zu vergessen ... wir hatten unglaublichen Sex! Nie in meinem Leben, nicht einmal zu Zeiten vor meiner ersten Ehe, hatte ich so oft und so guten Sex.

Ja, ich weiß, das war nicht das Wichtigste, aber sind wir mal ganz ehrlich, es kann auch nicht schaden!

Ich, die Frau, die sich für dick, unansehnlich und viel zu kompliziert hielt, hatte tatsächlich einen Partner auf Augenhöhe gefunden. Einen der, wenn es nötig war, mit der Faust auf den ‚Tisch schlug‘, wenn ich oder mein oftmals verrücktes Teufelchen übers Ziel hinauszuschießen drohte. Er gab mir mein Selbstvertrauen und den Glauben an die Liebe zurück. Zeigte mir, dass eine Partnerschaft nicht nur aus Geben bestand, in der ich am Ende den Kürzeren zog und auf der Strecke liegen blieb wie ein Auto ohne Sprit.

Statt morgens mit einem Stupser von Kater Rolli geweckt zu werden, startete ich mit einem Kuss von David in den Tag. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten wie wild umher und David schien es ebenso zu ergehen, wie er mir immer wieder bestätigte. Trotz all unserer bisherigen Erlebnisse gaben wir unserer Liebe eine Chance, ohne Wenn und Aber, ohne Bedingungen!

Lediglich zweimal waren wir beide in diesen Wochen bei ihm zu Hause, um Kleidung und persönliche Dinge abzuholen. Ansonsten lebte er bei uns und fuhr morgens mit dem Zug zur Umschulung nach Stuttgart. Nahm, ohne sich einmal zu beklagen, einen einfachen Fahrweg von eineinhalb Stunden statt der bisherigen halben Stunde auf sich.

Oft kam es vor, dass er mit gefüllten Einkaufstaschen am Bahnhof auf mich wartete und sich nach einem langen Tag in die Küche stellte. Denn eines seiner Hobbys war das Kochen. Dies kam mir sehr entgegen. Natürlich hatte ich jeden Tag für Tim und mich gekocht, aber Spaß machte es mir nicht. Stundenlang in der Küche zu stehen, um dann alles innerhalb von zehn Minuten zu verspeisen. Das würde ich nie verstehen. Bei mir ging es meistens ruckzuck, denn der Tag hatte schließlich nur vierundzwanzig Stunden, und es gab Schöneres, als in der Küche zu stehen.

Während David kochte, nahm ich mir Zeit für Tim, den Haushalt und alles Weitere, was so anstand. Die Abende, nachdem Tim schlafen gegangen war, verbrachten wir gemütlich zu zweit und genossen hierbei jede Minute.

Ja, ich war mit David glücklich und schwebte im Moment auf Wolke sieben, aber noch immer traute ich der Sache nicht. Zu groß war meine Sorge, wieder an einen Typen wie den Ex-Arsch geraten zu sein.

Bei ihm hatte ich zu Beginn ebenfalls fest daran geglaubt, dass er ‚DER‘ Mann für mich wäre. Kaum hatte ich jedoch die rosarote Brille abgesetzt, bekam seine Fassade nicht nur Risse, nein, sie stürzte komplett in sich zusammen. Nie wieder wollte ich mich daher auf mich selbst verlassen, sondern David von Menschen, die mir nah und wichtig waren, begutachten lassen. Noch immer suchte ich nach dem Haken bei diesem Mann, denn es schien einfach alles zu perfekt zu sein.

Bereits beim allerersten Treffen hatte David erlebt, was es hieß, sich mit mir einzulassen. Was passieren konnte, wenn ich mein Teufelchen nicht unter Kontrolle hatte, sondern ihm freie Hand ließ. Jeder andere Mann hätte am Bahnsteig die Flucht ergriffen, um sich nicht mit einer völlig irren Frau und all ihren Problemen abzugeben. Doch nicht David! Er war geblieben und saß in diesem Moment neben mir im Wagen.

Wir hatten geplant, in aller Ruhe im großen Supermarkt einzukaufen, und waren bereits auf dem Weg. Da schoss mir ein Name durchs Gehirn: Rosi! Wie lange hatte ich sie nicht mehr gesehen? Es mussten inzwischen gut drei Monate sein. Warum nicht einen kleinen Abstecher bei ihr einlegen?

Ich begann so beiläufig wie möglich: „Schatz, ich fahr mal einen kleinen Umweg, mir kommt da so eine Idee. Geht auch ganz schnell.“

„Okay, zu wem fahren wir dieses Mal?“, fragte David kopfschüttelnd.

Shit, er hatte mich wieder einmal durchschaut. „Nur zu Rosi. Ich hab sie schon ewig nicht mehr gesehen“, antwortete ich so unschuldig wie nur möglich.

Rosi und ich lernten uns 1995 beim Informationsabend des Kindergartens kennen. Erstaunt saß ich damals auf meinem Stuhl ihr gegenüber und schüttelte ungläubig den Kopf über die Fragen der Helikoptereltern. Eine Mutter hatte seinerzeit wissen wollen, ob ihre Tochter zu Hause bleiben dürfte, wenn sie leicht hustete oder sich nicht wohl fühlte. Es klang für mich, als nähme sie an, der Kindergarten wäre etwas ganz Schlimmes für ihren Spross und sie versuchte ihr Kind davor zu beschützen. Eine weitere Mutter hatte gefragt, ob sie Ersatzkleidung hinterlegen sollte, falls ihr Sohn sich beim Spielen im Garten schmutzig machen würde. Was um alles in der Welt ging nur in den Köpfen dieser Eltern vor? Es schien für sie ein großes Problem zu sein, ihre zart besaiteten Kinder in die Freiheit eines Kindergartens zu entlassen und so die komplette Kontrolle abzugeben.

Ein Vater hatte verlangt zu erfahren, mit welchen Messern die Kinder zum Beispiel Äpfel schneiden würden, denn er befürchtete, sein Sohn könne hierbei einen Finger verlieren. Mit völlig trockenem Humor hatte ich gefragt: „Wie, Sie machen sich Sorgen wegen Messern? Ich dachte, mein Sohn dürfte seine kleine Bohrmaschine mit in den Kindergarten bringen. Ist das denn nicht erlaubt?“

Die Gesichter der Eltern waren so wunderbar gewesen. Innerlich hatte ich mir vor Lachen auf die Schenkel geklatscht. Hatte ihnen jedoch angesehen, dass einige mit dem Gedanken gespielt hatten, das Jugendamt einzuschalten. Denn sie hielten es derzeit für ihre Pflicht, meinen fast dreijährigen Sohn aus einem unverantwortlichen Haushalt und von dieser Rabenmutter zu befreien. Einzig Rosi hatte mich angegrinst und in sich hineingelacht.

Alle Mütter der angemeldeten Kinder waren ausschließlich Hausfrauen. Rosi und ich bildeten auch hier die Ausnahme. Sie war stellvertretende Filialleiterin eines Discounters, und ich stand damals kurz vor der Eröffnung meines eigenen, kleinen Ladens.

In unserer Gemeinde mit nicht ganz fünftausend Einwohnern war es noch immer gang und gäbe, dass die Männer das Geld nach Hause brachten. Die Frauen kümmerten sich, wie bereits seit Jahrhunderten, einzig um Haushalt und Kinder. Wir beide waren somit zwei absolut exotische Wesen und wurden von allen anderen skeptisch betrachtet.

Nachdem der Elternabend beendet war, sahen wir uns grinsend an und beschlossen, um uns besser kennenzulernen, auf einen Absacker in die Pizzeria zu laufen.

Seit damals waren neun Jahre vergangen. Unsere Söhne besuchten gemeinsam den Kindergarten und später die Grundschule. Wann immer es möglich war, trafen wir uns und nicht nur die Jungs wurden zu Freunden.

Vor etwa drei Jahren hatte Rosi mit ihrer Familie ein Haus in einer anderen Gemeinde gebaut, wodurch wir uns nicht mehr so oft sahen. Doch völlig gleich, wie viel Zeit zwischen den einzelnen Treffen verstrich, immer wenn wir uns wieder begegneten, hatten wir das Gefühl, genau an dem Punkt unseres letzten Besuches anzuknüpfen. Fast so, als sei es erst gestern gewesen.

Rosi war mit meiner Vergangenheit mit dem Ex, all meinen damaligen Problemen und dem Plan, alleine zu wohnen, vertraut. Im Moment hatte sie nicht einmal den Hauch einer Ahnung, was auf sie zukam, als David und ich an diesem Samstagvormittag an ihrer Tür läuteten. Es wäre denkbar gewesen, dass wir sie nicht zu Hause antreffen, denn ihr Job beinhaltete oft Samstagsarbeit. Doch wir hatten Glück! Nach dem zweiten Läuten hörte ich sie hinter der Haustüre schimpfen und grinste amüsiert. „Ja, ja, ich komme schon. Immer langsam mit den alten Pferden.“

Sie öffnete die Eingangstür, sah mich mit großen Augen an und fiel mir voller Freude laut jubelnd um den Hals. David stand etwas verlegen daneben, beobachtete das Ganze zuerst still, räusperte sich dann aber leicht. Unmittelbar ließ Rosi von mir ab, kniff die Augen zusammen, musterte ihn von oben nach unten und wieder zurück.

„Hallo, ich bin Rosi und wer bitte bist du, junger Mann?“, richtete sie sich mit ihrer offenen, direkten Art, die ich so an ihr mochte, an David.

„Hallo, mein Name ist David und ich bin der Freund von Nadja“, antwortete er freundlich lächelnd und streckte ihr seine Hand entgegen.

Beim Blick auf Rosi lachte ich los. Ihr Mund stand sperrangelweit offen wie ein Scheunentor und ihre Augen wuchsen auf die Größe von Tischtennisbällen an, aber nicht ein Ton kam über ihre Lippen. „Ich denke, wir sollten erst einmal alle hineingehen“, versuchte ich Rosi ins Hier und Jetzt zurückzuholen.

Wie ferngesteuert trat sie zur Seite und ließ uns ins Haus. Im Wohnzimmer sah ich die geöffnete Terrassentür und forderte David auf, draußen eine zu rauchen. Ich wollte zuerst mit Rosi unter vier Augen reden und sie aus ihrem Schock befreien.

In der Küche angekommen, hatte sie ihre Worte wiedergefunden und drängte: „Okay, was bitte hab ich alles verpasst, dass du hier mit einem Mann auftauchst, der sich als dein Freund vorstellt und wie lange bitte haben wir uns nicht mehr gesehen?!?“

Es dauerte lediglich fünf Minuten, danach hatte ich sie im Schnelldurchlauf auf den neuesten Stand gebracht. Sie unterbrach mich zweimal kurz, um eine Frage zu stellen, hörte ansonsten dem Bericht mit großen Augen und gerunzelter Stirn aufmerksam zu.

Meine Erzählung endete mit den Worten: „Und hier bin ich nun, auf dem Weg zum Einkaufen, um dir David vorzustellen.“

Rosi schüttelte den Kopf, lachte und sagte: „Nadja, man könnte fast meinen, dass wir uns ein Jahr lang nicht gesehen hätten. Du bringst es wirklich fertig, mich sprachlos zu machen. Wie kann ein Mensch nur so viel Chaos in so kurzer Zeit anrichten? Und dann mit einem Mann hier bei mir vor der Türe stehen, als sei nichts geschehen? Du bist so eine Nummer!“

Ja, sie hatte recht! All das, was sich in den letzten sechs, sieben Wochen in meinem Leben ereignet hatte, klang total irre und wie in einem Mega-Zeitraffer zusammengefasst. Jedem Drehbuchautor einer Daily Soap würde man maßlose Übertreibung unterstellen und ihn entlassen. Doch genau so hatte sich alles zugetragen!

„Und du bist dir wirklich sicher, dass es nach dem Ex-Arsch eine gute Idee ist, wieder einen Mann bei Tim und dir wohnen zu lassen?“, fragte sie mich mit besorgtem Blick.

„Wer weiß das schon? Aber im Moment fühlt es sich richtig und gut an“, erwiderte ich schulterzuckend. „Auch Tim mag David sehr, und alles Weitere wird die Zeit zeigen. Sollte es schief gehen, fährt David wieder zurück in seine Wohnung und das wars. Zudem, was glaubst du wohl, warum ich heute hier bin?“

„Damit ich einen Blick auf ihn werfe und meinen Senf zu ihm abgebe!“, schlussfolgerte sie, klug wie immer.

„Ganz genau! Und nun lass uns zu David gehen“, stupste ich sie an.

Mit drei Kaffeetassen in der Hand traten wir hinaus auf die Terrasse zu David, der uns lächelnd empfing. Wie ich erwartet hatte, entwickelte sich ein offenes Gespräch mit viel Gelächter und die Zeit flog nur so dahin. Zwischendurch zwinkerte Rosi mir zu. Somit wusste ich, auch den Test bei ihr hatte mein Freund bestanden.

Beim Blick auf die Uhr erschrak ich, denn inzwischen war es halb zwölf. Ich entschuldigte mich, um auf die Toilette zu gehen. Wieder zurück meinte ich, dass wir fahren müssten, um noch einzukaufen.

„Aber ihr kommt in den nächsten Wochen mit Tim zum Grillen vorbei! Sascha wird sich garantiert freuen, ihn wiederzusehen“, meinte Rosi.

„Versprochen, ich ruf dich nächste Woche an. Dann weiß ich, wann Tim die Wochenenden bei seinem Vater ist und wann bei mir. Wir finden dann bestimmt mal samstags oder sonntags einen Termin“, versprach ich ihr.

Zum Abschied hielt Rosi mich fest und flüsterte mir ins Ohr: „David scheint echt nett zu sein. Auch denke ich, er weiß, auf was er sich mit dir einlässt. Ich wünsch dir alles Glück der Welt, denn du hast es dir verdient!“

Schnell drückte ich sie etwas fester an mich. Schaute ihr anschließend tief in die Augen und sagte: „Danke und bis bald“, schon saßen David und ich im Auto und brausten davon.

Schnell hatten wir alles, was auf unserem Einkaufszettel stand im Supermarkt gefunden, und schon ging es zurück nach Hause.

Während der Fahrt legte David, so wie er es immer tat, seine Hand auf meinen Oberschenkel. Heureka! Es passierte schon wieder! Dieses Kribbeln, das in den Haarspitzen begann, sich über den Bauch hinunter zu den Zehenspitzen zog und in einem heißen Ball hinauf in meinen Schoß stieg. ‚Reiß dich zusammen‘, schrie das Engelchen auf der linken Schulter. ‚Bald kommt Tim vom Fußballspielen nach Hause! Da ist ein Abstecher ausgeschlossen!‘

Vor ein paar Tagen war es ihm nicht gelungen, mich zu stoppen. Mein Körper hatte wie wild gekribbelt und ließ sich nicht bändigen. Das Gehirn sagte: Tim ist beim Fußballtraining, und so hatte das Teufelchen voller Vorfreude das Auto in einen Waldweg gelenkt. Kaum hatte ich den Wagen gestoppt, küsste mich David leidenschaftlich und hatte in mir ein regelrechtes Feuerwerk entzündet. Von einer Minute zur anderen stand mein Körper in Flammen! Jede Faser in mir schien wie eine Lunte zu brennen, um dann tief in mir zu explodieren. Es war wirklich verrückt, über wie viel Platz so ein kleines Auto doch verfügte. David weckte Gefühle und Verlangen in mir, die mir bis dahin vollkommen fremd waren. Gemeinsam mit ihm war ich der Gegenwart und meinem sonst so organisierten, klaren Verstand entflohen. An jenem Nachmittag waren wir mit einer dreißigminütigen Verspätung, aber einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, zu Hause angekommen.

Heute behielt mein Verstand jedoch die Oberhand! David verschwand mit den Einkaufstaschen in der Küche, während ich den Kofferraum schloss und alles an seinem angestammten Platz verstaute.

Pünktlich wie immer kam Tim nach Hause und gemeinsam besprachen wir beim Essen unser weiteres Wochenende. Während Tim und David die Küche aufräumten, ging ich mit einer Tasse Kaffee auf den Balkon und rief Anita an.

„Hallo Frau Sommer, wie geht´s dir an diesem sonnigen Tag?“, begrüßte sie mich nach dem dritten Klingeln.

„Sehr, sehr gut“, antwortete ich.

„Das heißt, du hast mal wieder eine echt heiße Nacht hinter dir, du böses Mädchen!“, stellte sie sachlich fest.

„Ich genieße und schweige“, lautete meine vielsagende Antwort. „Und wie geht´s dir? Was gibt´s Neues?“

„Ich hab mich in der letzten Woche zweimal mit Holger, dem Forstarbeiter getroffen. Ihn habe ich wie du David auf Stern-Dating gefunden“, berichtete sie mir.

„Wie immer hast du keine Zeit verschwendet“, stellte ich fest.

„Warum auch, drei Tage schreiben reicht aus. Dann wird es Zeit, die Männer zu treffen. Du weißt ja, schreiben können die viel, so wie der Spinner, den ich neulich getroffen hatte“, erklärte sie.

Sofort rief ich mir Anitas letztes Abenteuer und wie sie Bianka und mir davon berichtet hatte in Erinnerung. Vor etwa zwei Wochen war Anita an ein exklusives Exemplar der Spezies ‚Mann Mitte vierzig, in der Midlife-Crisis‘ geraten.

Zwei Mails hatten ihr genügt und sie hatte ein Treffen im Café am Brunnen verabredet. Dort angekommen hatte der ‚gute‘ Herr nach nicht einmal zehn Minuten versucht, den Arm um sie zu legen. Anschließend seine Hand in Richtung ihres Busens gleiten lassen, worauf Anita etwas Abstand gesucht hatte. Doch er rückte ihr sofort wieder auf die Pelle, als sei sie magnetisch, und es wäre ihm unmöglich sich von ihr fernzuhalten. Innerhalb kürzester Zeit hatte er ihr all seine bisher angeblich ausgelebten Sexstellungen erzählt, einschließlich derer, die er austesten wollte. Ebenso die Neugierde an speziellen Bondage-Fesselspielen, und seine Vorstellung, die BDSM-Schiene zu erkunden. Es war völlig klar, der Kerl suchte lediglich eine Frau als Spielzeug, um seine Sexphantasien auszuleben.

Anita hatte ihm aufmerksam zugehört, wie er sich in seiner Fantasie weiter ausmalte, der Dom zu sein, und sie seine unterwürfige Sub. Mit großen Augen hatte sie ihn angesehen und mit strenger Stimme, einer Domina gleich, an den Kopf geworfen: „Wie kommst du kleiner Wicht nur auf die Idee, der Dom zu sein? Was maßt du dir eigentlich an? Selbstverständlich steht es außer Frage, dass ich der Dom in diesem Arrangement wäre und du maximal zu einem meiner vielen Subs taugen würdest! In der BDSM-Sparte bin ich seit Jahren zu Hause und habe einige überaus unterwürfige und willige Toy Boys!“

Angstverzerrt hatte er sie angestarrt, wie ein Kaninchen die Schlange kurz vor der Mahlzeit.

Anita verfügte zwar über keinerlei Kenntnisse in dieser Richtung. Doch was, wenn dieser Spinner an eine schüchterne Frau geriet und diese sich nicht wehren konnte? Für Anita war völlig klar, sie musste diesem kleinen Wichtigtuer eine Lektion erteilen und alle Frauen schützen!

Weiter hatte sie ihn aufgeklärt: „Falls ich dein Interesse geweckt habe und ich mich herablasse, dich in meinen elitären Kreis aufzunehmen, würde ich einen entsprechenden Vertrag ausarbeiten. Diesen müsstest du aufmerksam lesen und unterschreiben. Zu meinem Schutz wird er anschließend bei einem Notar hinterlegt. Nur zur Sicherheit, falls irgendwelche Schäden an Haut oder Gliedmaßen zurückbleiben und du mich in dem Fall nicht verklagen könntest. Danach stünde einer beiderseitig lohnenden Dom-Sub-Beziehung nichts mehr im Wege!“

Der angeblich testfreudige Herr war so geschockt, dass er unter dem Vorwand, auf die Toilette zu gehen, durch die Hintertür verschwunden war.

Anita hatte mit einem extra breiten Grinsen die Rechnung mit Freuden bezahlt. Denn es war völlig klar, dass der Möchte-gern-Dom beim nächsten Treffen mit einer Dame vorsichtiger sein würde. Man konnte ja schließlich nie wissen, an welche Sorte Frau Mann geriet.

„Holger ist da ganz anders“, schwärmte sie. „Er ist, wie ich, geschieden, weiß, was er will und wir liegen auf einer Wellenlänge. Am Freitag hab ich ihn zu Hause besucht und alles lief gut.“

„Hey, das ist wirklich ein großer Schritt für dich!“, rief ich freudig aus. „Das freut mich sehr.“

Wir sprachen einige Zeit, dann trat David auf den Balkon und gab mir per Zeichen zu verstehen, dass ich Grüße ausrichten solle. Nachdem ich diese weitergegeben hatte, beendeten wir unser Telefonat und wünschten uns gegenseitig weiterhin viel Glück.

Zufrieden grinste ich vor mich hin. Im Großen und Ganzen lief es super bei uns drei Mädels. Lediglich Bianka, die den Jackpot bereits geknackt zu haben schien, kam nicht zur Ruhe. Noch immer geisterte ihr Heiner im Kopf herum und sie verglich jeden Mann mit ihm.

Fünf der Briefe, die ich vor Wochen auf meine Zeitungsanzeige erhalten hatte, hatte sie beantwortet. Vier Männer schrieben ihr zurück, mit dreien traf sie sich und einer meldete sich erst gar nicht wieder. Ich denke, ihm war die Sache nicht geheuer.

Wahrscheinlich befürchtete er, an eine Gruppe irrer Frauen geraten zu sein, und mal ehrlich, so falsch lag er mit dieser Vermutung nicht. Denn wer bitte bekommt schon eine Antwort von der Nachbarin der Frau, die er eigentlich angeschrieben hat? Ich denke, niemand!

Zwei der Männer, die Bianka getroffen hatte, schloss sie sofort aus. Da das, was in den Briefen gestanden hatte, in der Realität nicht im Geringsten zutraf. Einer gab an, er sei ein Meter fünfundneunzig, war beim Treffen jedoch kaum größer als Bianka mit ihren ein Meter siebenundsiebzig.

Den Dritten traf sie ein zweites Mal, entschied sich dann dagegen, dies nochmals zu wiederholen. Ihr Bauchgefühl hielt sie davon ab und es war meist das Beste, darauf zu hören.

Stattdessen wandelte sie meinen Account auf der Stern-Dating-Seite in ihren um.

Kaum war dieser eingerichtet und freigeschaltet, stand bei ihr der Rechner nicht mehr still. Noch immer schien die Welt voller Singles auf der Suche nach einem Partner zu sein.

Anders als Anita traf sich Bianka nicht gleich mit jedem, sondern beschloss, die knapp zwanzig Euro zu investieren und die Mitgliedschaft einen Monat zu verlängern.

In Ruhe beabsichtigte sie, mit den Männern zu schreiben, genau abzuwägen und sich mit maximal fünf persönlich zu treffen. Wäre danach noch immer kein passender Partner für sie gefunden, würde sie die Stern-Dating-Seite kündigen und sich wieder offline auf Männersuche begeben. „Vielleicht sollte es dann einfach nicht sein“, meinte sie neulich im Treppenhaus zu mir. „Dann leg ich mir ne Katze zu oder ich werde lesbisch und such mir ne Frau!“

„Warum grinst du so?“, fragte mich David.

„Ach, ich bin nur froh, dass auch Anita ihr Glück gefunden zu haben scheint“, antwortete ich.

Dabei bemerkte ich, dass David mir eine Schüssel mit Joghurt und frischen Himbeeren mit auf den Balkon gebracht hatte. Tim war mit Eis für seine Freunde Armin, Paul und sich selbst wieder auf dem Weg zum Fußballplatz.

Ich ließ mich von David füttern, und kostete die süßen Früchte. Nachdem die Schüssel leer war, kratzte er mit einem Finger den restlichen Joghurt zusammen, um ihn mir dann auf die Nase zu tippen. Lachend wischte er den Joghurt weg. In diesem Moment berührte sein Finger meine Lippen. Ich öffnete den Mund, um ihn sauber zu lecken und sah David mit funkelnden Augen an. Sofort stellte er die Schüssel auf dem Tisch ab, nahm mich an der Hand, und gemeinsam betraten wir das Schlafzimmer.

Eine Stunde später saßen wir frisch geduscht auf dem Balkon und tranken zufrieden unseren Kaffee.

„Sag mal, wie findest du Rosi eigentlich?“, fragte ich David.

Bisher hatten wir noch nicht über unseren Besuch bei ihr gesprochen.

„Sehr nett, nachdem sie deinen Überfall verkraftet hatte“, feixte er.

Ob er ahnte, warum ich den Stopp bei Rosi eingelegt hatte? Noch immer war mir die Sache mit David nicht geheuer. Natürlich genoss ich jede Minute mit ihm. Erst recht solche, wie die der letzten Stunde. Aber es fiel mir nicht leicht, auf mein Bauchgefühl zu vertrauen und den Kopf auszuschalten.

Beim Ex-Arsch hatte ich mich blenden lassen und dies teuer bezahlt. Nie wieder würde ich denselben Fehler machen und blind und in rosarote Wolken gehüllt, einem Mann vertrauen!

David würde somit noch einige Menschen kennenlernen, die mich und meine Macken kannten, damit sie einen Blick auf ihn werfen konnten. Sicher war sicher!

Ich beschloss, David zu erzählen, wie Rosi und ich uns kennengelernt hatten. Ebenso, dass uns von der ersten Minute an etwas verband. Zwar sahen wir uns seit ihrem Umzug nur mehr alle paar Monate, aber noch immer war sie mir wichtig.

„Und sie scheint dich gut zu kennen“, meinte David, nachdem ich geendet hatte.

„Wie meinst du das?“, fragte ich und kniff die Augen zusammen. „Hat sie irgendetwas zu dir gesagt, als ich auf der Toilette war?“

David grinste mich nur frech an. Was sollte das?!?

Rosi würde garantiert nie leichtfertig etwas über mich ausplaudern. Völlig gleich, was ich ihr jemals anvertraute, meine Gedanken und Geheimnisse waren bei ihr sicher. Was also sollte dieses Grinsen?

David sah mir an, dass ich wieder ins Grübeln verfiel, und entschloss sich, mich nicht länger auf die Folter zu spannen.

„Rosi hat gefragt, ob ich mir das mit dir gut überlegt habe“, legte er los. „Ob ich bereits wüsste, dass du nicht ganz einfach wärst und wie ich auf die Dauer damit klarkäme?“

Boah … das musste ich erst einmal sacken lassen! Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst war hatte Rosi den Nagel auf den Kopf getroffen.

Ja, ich bin schwierig! Ein echter Sturkopf! Jemand, der nicht beabsichtigt, sich das Ruder aus der Hand nehmen zu lassen. Somit völlig klar, schwere Kost für jeden Mann, der nach all den bisherigen Erfahrungen in mein Leben treten würde. Zudem kamen nicht alle mit meinem ironischen Humor zurecht und wie ich oft von einem ins nächste Fettnäpfchen sprang.

Doch was genau bezweckte Rosi mit ihrer Frage an David? Wollte sie mich gar schützen? Verhindern, dass ich an einen Mann geriet, der bei der ersten Schwierigkeit verschwand? Und mir eine erneute Enttäuschung ersparen?

Würde das, was wir zusammen hatten, etwas auf Dauer sein? All die Ängste, die ich nach gescheiterter Ehe und Beziehung mit mir herumtrug, keimten erneut auf. Konnte unser Glück beständig bleiben? Die Verliebtheit zu einer Liebe wachsen, die Alltagstürmen standhielt? Oder würde sie schnell einstürzen, wie ein Kartenhaus, beim ersten kleinen Windstoß? Wäre ich am Ende wieder allein mit Kind und Kater? Müsste einmal mehr meine Wunden lecken? Um mich danach tiefer ins Schneckenhaus zurückzuziehen und Tag für Tag monoton vor mich hinzuexistieren? Nein! Das würde ich nicht zulassen!

Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah David tief in die Augen. „Und was denkst du? Wirst du auf die Dauer mit mir klarkommen? Oder werde ich dir irgendwann zu viel?“

Er grinste mich frech an. Warum antwortete er nicht? Ich fühlte, wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals ausbreitete und tiefer, in Richtung Herz, wanderte. Hatte Rosi mit nur einem Blick erkannt, dass das Kapitel David nur eines auf Zeit war?

Inzwischen drehte mein Gehirn komplett durch! Im Bruchteil von nur einer Sekunde spielten sich unterschiedliche Filme in meinem Kopf ab. Ich nahm nichts mehr wahr, starrte vor mich hin und wirkte wie weggetreten. In Gedanken sah ich uns heftig streiten und anbrüllen wie zwei Verrückte. Frauen, die ihn wild anbaggerten und ihm im Gegensatz zu mir immer recht gaben. Wie er der schlanken, jungen Blondine vom Bahnhof folgte. Sah uns faul und gelangweilt auf dem Sofa liegen. Ihn, wie er mit meinem Ordnungswahn nicht klarkam und mich einen Putzteufel schimpfte. Mich, wie ich es satthatte, ihm alles hinterherzutragen. Tim, der David anmeckerte: Du bist nicht mein Vater und hast mir gar nichts zu sagen ...

Gefühlt vergingen Stunden, bis ich, wie durch eine Nebelwand, meinen Namen hörte.

Spürte, wie zwei Hände meinen Kopf zärtlich festhielten und zarte Lippen auf meinen.

Sofort war ich wieder hier, in der Gegenwart!

Was würde ich als Antwort von David hören? Dass er Tim, Rolli und mich verlassen würde?

„Nadja, du verrücktes Mädchen, wo bist du nur mit deinen Gedanken?“, fragte er besorgt. „Ich habe Rosi lediglich zwei Gegenfragen gestellt. Kennst du mich? Weißt du, ob ich einfach bin?“

Ich sah ihn an und erkannte tief in seinen Augen, dass er die Wahrheit sagte. Nein, er würde uns nicht verlassen, wenn die erste kleine Schwierigkeit auftauchte! David war genau wie ich, durch all seine Erlebnisse vorgeprägt, und hatte sich mit offenen Augen in unser neues, gemeinsames Leben gestürzt. Die Wohnung gewechselt, kurzerhand alle Zelte abgebrochen. Er nahm einen längeren Weg zur Umschulung auf sich und hatte Tim in sein Herz geschlossen. Völlig gleich, was in der Zukunft auf uns wartete, wir waren bereit, sie gemeinsam zu meistern!

Kapitel 2

Sorgen und Ängste

Tims Stimme drang an mein Ohr. „Mama, ich bin zurück und geh gleich duschen.“

Ohne einen Blick auf die Uhr zu werfen, wusste ich, dass es inzwischen nach sechs war. Tim kam wie immer pünktlich zurück. Beim Mittagessen hatten wir ausgemacht am Abend gemeinsam in die Stadt zu fahren und in die kleine Pizzeria zu gehen. Somit war klar, dass mein Sohn heute garantiert überpünktlich war.

In der Stadt angekommen parkte ich auf dem großen Parkplatz am ‚Haal-Brunnen‘. Hand in Hand liefen David und ich durch die Fachwerkgassen, während Tim vor uns herrannte und die Schaufenster betrachtete.

Schon auf dem Weg zur Pizzeria überlegten die beiden angeregt, was sie gleich bestellen würden.

Dort angekommen, entschied sich David wieder um und wechselte zur Lasagne. Tim blieb, ich hatte es nicht anders erwartet, bei einer Pizza Hawaii. Ich bestellte hausgemachte Tagliatelle mit Lachs.

Mit vollen Bäuchen schlenderten wir anschließend kreuz und quer durch die Stadt. Um an der Eisdiele anzuhalten und gleichzeitig David Schwäbisch Hall, seine neue Heimat, näher zu bringen. Tim quasselte ohne Punkt und Komma. Wo es die größte Auswahl an Eissorten gab, den besten Döner, wo man Schulhefte kaufte und über wie viele Brunnen und Treppen die Stadt verfügt. Den schönsten Platz, um Enten zu füttern, den Weg zum Minigolf, vorbei am großen Spielplatz. Wie man zum Kino kam und wo das Marionetten-Theater lag. In welchem Haus unser Zahnarzt seine Praxis hatte, und dass gleich einen Stock darunter der Kieferorthopäde sei.

Während wir durch die Stadt schlenderten, fiel mir auf, dass irgendetwas mit David nicht stimmte. Drei Mal bat er uns, kurz stehen zu bleiben und zu warten. Hatte plötzlich der Reißverschluss seiner Hose ein Eigenleben? Denn in dieser Höhe hantierte er herum. Beim zweiten Mal sah ich genauer hin und bemerkte, dass er etwas weiter links zugange war. Um Tim nicht zu beunruhigen, entschied ich mich, nichts zu sagen, sondern abzuwarten und unter vier Augen nachzufragen, was los sei. David hatte mir bereits beim ersten Treffen von seiner großen Operation 1997 und der kompletten Entfernung der Gallenblase, Gallenwege, des Zwölffingerdarms, eines Teiles des Enddarms, jeweils zwei Dritteln Magen und Bauchspeicheldrüse berichtet. Mein Hals wurde trocken, als ich daran dachte, dass hier etwas nicht in Ordnung sein könnte. Was nur sollte ich tun, wenn er hier wieder Probleme hatte? Sofort mit ihm ins Krankenhaus fahren oder zuerst versuchen unseren Hausarzt, Doktor Kühn zu erreichen? Ich versuchte, nach außen so ruhig wie nur möglich zu bleiben, während mein Gehirn sich wild drehte.

Als Tim am Abend im Bett lag, fragte ich David: „Warum bist du in der Stadt immer wieder stehen geblieben? Hängt das mit der Großoperation zusammen?“, ängstlich sah ich ihn an.

„Nein, da ist schon lange alles in Ordnung“, versicherte er mir sofort. „Ich geh einmal im Jahr zur Kontrolle und gut. Schatz, du musst dir keine Sorgen um mich machen!“

Warum nur glaubte ich ihm nicht so ganz? Fragend starrte ich ihn an.

Zögernd rückte er mit der Sprache heraus: „Ich hab seit einiger Zeit wahrscheinlich einen Leistenbruch. Es tritt manchmal eine kleine Schwellung nach außen, die ich aber leicht wieder hineindrücken kann. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Alles ist gut.“

Ja, was bitte dachte er von mir?!? Natürlich bekam ich bei dieser Enthüllung Angst um ihn!

„Bist du denn noch zu retten?“, schrie ich ihn an. „Du weißt schon, dass du nach deiner Operation nicht mehr alle Därme hast und dadurch ein größeres Risiko trägst!?! Wie lange geht das schon? Und warst du damit beim Arzt?“

Gekränkt sah er mich an. „Nein, ich war noch bei keinem Arzt. Hatte keine Zeit, und so schlimm ist das nun auch wieder nicht.“

„Mein lieber Freund, das kannst du gleich mal vergessen!“, fauchte ich ihn an. „Am Montag wirst du einen Termin beim Arzt machen und der sagt dir dann, ob das schlimm ist oder nicht!“

David sah zu Boden und nickte stumm. Himmel, was hatte der verrückte Kerl mir für einen Schrecken eingejagt. Was, wenn ihm etwas zustoßen würde? Mein Herz schlug wild, als versuchte es, aus der Brust zu springen. Verdammt, was hatte er nur mit mir gemacht? Wie war es möglich in wenigen Wochen ein solches Gefühl für einen anderen Menschen zu empfinden?

Ich würde es nicht zulassen, dass David etwas geschah! Wenn er nicht freiwillig zum Arzt ginge, würde ich Wege finden, um ihn dorthin zu bringen, da war ich mir sicher!

David hatte die Angst in meinen Augen erkannt. Er nahm mich fest in die Arme und versprach mir hoch und heilig, gleich am Montagmorgen einen Termin zu vereinbaren. Selbst Rolli hatte mitbekommen, dass für Frauchen etwas Schlimmes geschehen war, und drückte sich wild an meine Beine.

Als ich am Sonntagmorgen erwachte, war das Bett neben mir leer. Ich spitzte die Ohren und hörte leise Stimmen. Alles okay, meldete mir das langsam erwachende Gehirn. Kaum hatte ich mich bewegt, sprang Rolli schon aufs Bett. So als wollte er sagen: ‚Guten Morgen, Schlafmütze, es wird Zeit, aufzustehen!‘

Ich streckte mich genüsslich, rieb mir den Schlafsand aus den Augenwinkeln. Hmmm ... die Nacht war irgendwie wieder zu kurz geraten, doch das tat meiner Laune keinen Abbruch. Ich schlüpfte in einen Slip und zog ein T-Shirt über den Kopf. Als ich aus dem Bad kam, stand der faul daliegende Rolli auf und lief voran in Richtung Wohn-Esszimmer. Damit gab er mir ganz klar zu verstehen: ‚Hier gehts lang, folge mir, ich zeige dir den Weg zum Fressnapf.‘

Im Esszimmer sah ich den gedeckten Frühstückstisch und lächelte. Es war an alles gedacht, selbst an Blumen aus dem Garten. Wie lange war es her, dass ich Blumen von einem Mann erhielt? Puhhh ... das musste inzwischen gut drei oder sogar vier Jahre her sein. Noch völlig in Gedanken spürte ich, wie Tim die Arme um mich schlang. Über die Schulter rief er in Richtung Küche: „David, Mama ist endlich wach, du kannst die Eier einschalten.“

„Guten Morgen, meine fleißigen Männer“, begrüßte ich die beiden und gab David, der aus der Küche kam, einen Kuss. „Der hat mir heute Morgen im Bett gefehlt.“

Sofort erhielt ich von David einen zweiten Kuss, während sich Tim aus meiner Umarmung löste und mir erklärte: „Mama, du setzt dich jetzt und ich bringe dir einen Kaffee.“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und beobachtete durch die geöffnete Tür, wie die beiden wild in der Küche herumflitzten. Auf dem Tisch bemerkte ich eine Schüssel mit frischem Obst in Naturjoghurt und fischte mir eine Himbeere heraus.

„Macht ihr zwei das nun jeden Sonntag?“, fragte ich, als wir kurz darauf zu dritt am Tisch saßen.

„Nicht jeden, aber vielleicht öfters mal“, folgte Tims Antwort und er klatschte mit David zum ‚High five‘ ab.

Ein Blick aus dem Fenster verriet, dass wir den geplanten Ausflug ins Freibad heute nicht unternehmen würden. Dicke schwarze Wolken zogen sich am Himmel zusammen. Kurzerhand entschieden wir, einen faulen ‚Kino-Tag‘ einzulegen. Kaum beschlossen, rannte Tim zum Telefon, um seine Freunde Paul und Armin anzurufen. Schließlich brauchten wir für die Vorstellung noch Besucher.

Bereits eine Stunde später saßen die drei im Kinderzimmer und bastelten Kino-Eintrittskarten. David und ich bereiteten in der Zwischenzeit den ‚Kinosaal‘ inklusive des Popcorns, der Getränke und sonstiger Verpflegung vor.

Um vierzehn Uhr war es soweit, der ‚Saal‘ wurde geöffnet.

Wie in einem richtigen Kino kontrollierte David die Eintrittskarten. Ich teilte den Jungs die Sitzplätze zu und fragte nach den Getränkewünschen. Die folgenden Stunden verbrachten wir, mit kurzen Unterbrechungen damit, ‚Star Wars‘ I und II anzusehen. Trotz des Wetters gelang uns so ein perfekter Sonntag.

In der nächsten Woche begannen für Tim und David die Sommerferien. Somit fuhr ich allein zur Arbeit und meine beiden blieben zu Hause.

Es waren die ersten Ferien seit Jahren, die Tim nicht mit Conny, seiner Tagesmutter, und ihren Söhnen verbrachte. Da Davids Praktikum erst gegen Ende der Ferien stattfinden würde, konnte Tim zu Hause bleiben. Somit hatten die beiden Zeit, sich besser kennenzulernen und ‚Männerdinge‘ zu unternehmen.

Abends berichtete mir Tim voller Stolz, dass er David heute gezeigt hatte, wo Doktor Kühns Praxis lag. Mein Freund hatte Wort gehalten und gleich am Morgen einen Termin vereinbart.

Nach dem Essen spielten wir ‚UNO‘. Danach erlaubte ich Tim, eine aufgenommene Serie anzusehen, und ging mit David auf den Balkon. Hier wollte ich unter vier Augen die Diagnose erfahren. Kleinlaut gestand mir David: „Schatz, du hattest vollkommen recht. Doktor Kühn hat nach einer kurzen Untersuchung meinen alten Hausarzt angerufen. Gleich darauf ließ er sich mit der Klinik verbinden und hat den OP-Termin selbst vereinbart. Bereits am kommenden Montag werde ich dort zu einer ambulanten Operation des Leistenbruchs auf dem OP-Tisch liegen.“

„Na, siehst du, was habe ich gesagt! Damit ist nicht zu spaßen!“, schimpfte ich mit David und hoffte, er würde meine Angst nicht bemerken.

„Ja, du hattest völlig recht“, stimmte er mir leise zu und senkte den Blick. „Aufgrund meiner Vorgeschichte darf die Operation nicht länger aufgeschoben werden. Doktor Kühn meinte, das Risiko eines Darmdurchbruches ist einfach zu groß und hat mir ordentlich den Kopf gewaschen.“

Eine angsteinflößende Stille entstand. Mein Brustkorb fühlte sich an, als wäre jemand mit vollem Anlauf darauf gesprungen. Alles in mir zog sich schmerzhaft zusammen.

David blickte auf, sah mir tief in die Augen und sprach: „Schatz, ich will dich etwas fragen.“ Bei seinen Worten griff er nach meinen Händen.

‚Himmel, was wollte er wissen? Der wird doch wohl nicht!?!‘, schoss es durch meinen Kopf. ‚Nein, nicht nach dieser Zeit!‘

Aber was sollte das dann? Diesen Blick kannte ich nicht an ihm. Angst stieg in mir auf. Meine Brust schien zu platzen und ich wagte nicht zu atmen.

„Schatz, ich bin doch so oder so nur noch hier bei Tim und dir. Nun werde ich auch noch in Schwäbisch Hall operiert.“

Er sah auf und es entstand eine Pause, in der man die Luft hätte schneiden können.

Garantiert würde ich gleich ohnmächtig werden!

Dann sprach er mit einem Seufzer endlich weiter: „Was meinst du dazu, wenn ich ganz hierher zu euch beiden ziehe? So richtig offiziell, mit Ummeldung im Rathaus und allem was dazu gehört.“

Die letzte Luft strömte mit diesen Worten aus seinen Lungen und er sah mich ängstlich gespannt an.

Puhhhhh ... Ich holte tief Luft, kniff meine Augen zusammen und legte die Stirn in Falten. Seit dem Tag, als David wieder zu mir und Tim zurückgekommen war, hatten wir nie darüber gesprochen. Er war ganz selbstverständlich hier bei uns geblieben. Aber noch immer war er lediglich ein Gast. Nachdem David die Worte ausgesprochen hatte, erschien es mir gar nicht mehr so unwirklich. Lebte er inzwischen nicht längst bei uns? War die Ummeldung im Rathaus nicht eine zwangsweise, logische Schlussfolgerung? Doch wie stellte David sich seinen offiziellen Einzug vor? Beabsichtigte er mit den ganzen Pokalen, Schals, Postern und dem restlichen Fußballzeugs, das ich inzwischen gesehen hatte, bei uns einzuziehen?

Mein Verstand lief einmal mehr auf Vollgas. Was bedeutete all dies weiter? Bisher gab es keinen wirklichen Streit in unserer kurzen Liebelei. Aber es war klar, dass andere, unschöne Tage im Alltag auf uns zukämen. Früher oder später würden wir die rosarote Brille ablegen und was würde dann geschehen? Ich war nicht allein, Tim und ich waren eine Einheit, konnte die Beziehung mit David wirklich auf Dauer funktionieren?

Er sah mir an, dass es in mein Kopf rotierte. Trotz all der Angst, die in ihm aufsteigen musste, küsste er mich. „Überleg dir was ich gerade gesagt habe in aller Ruhe. Du musst mir nicht sofort antworten.“

Stumm nickte ich ihm zu und sah durch die Scheibe der Balkontüre hinein ins Wohnzimmer zu meinem Sohn. Die Folge war zu Ende und er schaltete den Fernseher aus.

„Ich geh ins Bad und mach mich fertig“, rief er mir zu und verschwand bereits im Flur.

„Lass mich eine Nacht darüber schlafen“, murmelte ich David zu. Mit traurigen Augen nickte er stumm und zündete sich eine Zigarette an. Was ging nur in diesem Moment in ihm vor? Ich war froh, nicht in seiner Haut zu stecken. Doch er verstand, dass ich eine solch weitreichende Veränderung nicht aus einer Stimmung heraus jetzt gleich treffen durfte. Meinen Kopf, das Herz, den Bauch und allem voran Tim würde ich in aller Ruhe befragen. Alles ganz genau abwägen, um mich dann anschließend zu entscheiden.

„Möchtest du noch etwas trinken?“, fragte ich David. „Ich sage kurz Tim gute Nacht und bringe dann etwas mit.“

„Ja, gerne noch eine Cola“, folgte zaghaft seine Antwort.

In diesem Moment trat Tim auf den Balkon, umarmte David und der wünschte ihm eine gute Nacht. Gemeinsam mit meinem Sohn ging ich hinein.

Im Kinderzimmer erzählte mir Tim erneut begeistert, was die beiden heute erlebt hatten und wie er David den Weg zu Doktor Kühn gezeigt hatte.

„Du, Tim“, legte ich los. „Was hältst du davon, wenn David richtig bei uns einzieht?“

Mein Sohn sah mich verständnislos an. „Aber er wohnt doch schon hier! Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Noch nicht so richtig. Um richtig hier wohnen zu können, muss David sich im Rathaus anmelden. Das heißt aber auch, dass er für immer hier wohnen wird und nicht wieder weggeht.“ Gespannt wartete ich die Reaktion meines Kindes ab.

„Das macht doch keinen Unterschied!“, folgte die für ihn logische Erklärung. „Ob David nun einen Zettel hat, auf dem das steht oder nicht. Ich mag ihn und will, dass er bei uns bleibt!“

Ich spürte, wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete und wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Nicht nur mir allein war David ans Herz gewachsen. Nicht nur ich träumte von einem gemeinsamen Leben. Nein, er hatte ebenso meinen Sohn für sich gewonnen. Schnell drückte ich Tim an mich, wünschte ihm eine gute Nacht und verließ sein Zimmer. Vor der Zimmertür lehnte ich mich ans Türblatt. Erst einmal musste ich mich beruhigen und die Gedanken ordnen. Was sollte ich nur tun?

‚Schalte den Kopf aus und hör auf dein Herz!‘, flüsterte Engelchen mir ins Ohr. Von Teufelchen war nichts zu hören, vermutlich hatte es heute nichts zu sagen.

Mit einem Glas Eistee für mich und Cola für David trat ich hinaus auf den Balkon. Ich stellte beides auf dem kleinen Tisch ab und umarmte David. Er sah erstaunt auf und küsste mich mit einer fordernden Leidenschaft, die ich so noch bei keinem Mann zuvor erlebt hatte.

Vorsichtig drückte ich ihn zurück und löste mich von seinen Lippen. Tief blickte ich in seine Augen und flüsterte: „Es dauert keine Nacht, um dir eine Antwort zu geben. David, ich habe mit Tim gesprochen.“

Angsterfüllt sah er mich an, ohne etwas zu sagen.

Mit meinen Worten atmete ich aus: „Ja, wir beide möchten, dass du ganz offiziell bei uns einziehst!“

Davids Reaktion hierauf war die Fortsetzung dieses unglaublichen Kusses. Was vermochte dieser Kerl nur in Bruchteilen von Sekunden in mir auszulösen? Ich spürte das heiße Kribbeln, wie es sich explosionsartig in meinem Körper ausbreitete.

In einer kurzen Kusspause fügte ich an: „Aber wir müssen unbedingt noch einmal über deinen ganzen Fußballkram reden.“

„Dafür finden wir garantiert eine Lösung!“, lachte David befreit auf.

Kapitel 3

Angekommen

Die restliche Woche verging wie im Flug. Während ich Tag für Tag dem Vollzeitjob nachging, erledigten meine Männer alles, was zu Hause anfiel. David besuchte gemeinsam mit Tim das Rathaus, wo er sich ordnungsgemäß als 5467. Bewohner in unserer kleinen Gemeinde anmeldete.

Da das Wetter schön war, fuhren die beiden in die Stadt, um neue Schuhe für Tim zu kaufen. Hierbei entdeckten sie im Schaufenster eines Schlüsselladens gravierte Schilder. Abends empfing mich Tim freudig und rief: „Sieh mal, Mama, was ich mit David gekauft habe!“ Und hielt mir unsere neuen Klingel- und Briefkastenschilder unter die Nase.

Nadja & Tim Sommer

und David Häberle

stand darauf zu lesen.

Während des Essens konnte ich Tim kaum stoppen.

„Mama, David und ich haben einen neuen Laden entdeckt, in dem es coole Klamotten gibt“, teilte mir mein Sohn mit.

Seit David bei uns war, stellte ich fest, dass mein Kind sich für Dinge interessierte, die ihn bisher völlig kalt gelassen hatten. Auch seine Wortwahl veränderte sich. Ich bemerkte, wie er versuchte, meinen Freund nachzuahmen, und grinste hierbei in mich hinein. Tim redete, ohne müde zu werden. Er war glücklich, einen Mann im Hause zu haben, der etwas mit ihm unternahm und in ihm nicht nur ein kleines Kind sah. Nein, David setzte sich mit Tim auseinander und nahm ihn ernst. Natürlich hatte Tim seinen Vater. Doch Jochen fiel nach dem ersten Trennungsschmerz in seinen altbekannten Trott zurück.

Bereits bei unserer Trennung hatte ich Jochen eindringlich gebeten, bei Tim nicht denselben Fehler wie bei mir zu machen. Sondern gemeinsame Zeit zu verbringen, mit ihm zu reden, ihm zuzuhören und das von Tim Gesagte ernst zu nehmen. Nur zu gut erinnerte ich mich an den zweiten Weihnachtsfeiertag 1999. An jenem Tag hatte ich beschlossen, mit Jochen über unsere Ehe und den Umgang miteinander zu sprechen. Mir war klar geworden, dass ich so nicht weiterleben konnte und ebenfalls nicht mehr wollte! Ich war nicht einmal dreißig Jahre alt und doch hatte Jochen mein komplettes Leben bereits bis zur Rente durchgeplant.

Tim lag schlafend in seinem Bett, im Schwedenofen brannte ein knisterndes Feuer, die Tasse Punsch darauf entfaltete im ganzen Haus einen weihnachtlichen Duft. Es leuchteten mehrere Kerzen, aus den Lautsprecherboxen drang beruhigende Musik und auf dem Tisch standen zwei Gläser und eine Flasche Wein. Somit hatte ich damals, so dachte ich, eine wunderbare Umgebung für eine Unterhaltung und vielleicht auch einen romantischen Abend zu zweit geschaffen.

In Gedanken hatte ich mir ausgemalt, in aller Ruhe mit Jochen zu reden. Wie ich versuchte, ihm klarzumachen, wie sehr mich unser monotones Eheleben und der Umgang miteinander erdrückten. Wollte ihm meine Gefühlswelt nahebringen, dass ich mir vorkam, als schnürte mich ein zu enges Korsett ein und raubte mir die Luft zum Atmen. Ich hatte auf Verständnis und ein offenes, reinigendes Gespräch gehofft. Davon geträumt, dass wir ein neues Kapitel unseres Lebens aufgeschlagen würden. Und mir endlich wieder eine Nacht voller Leidenschaft ausgemalt, in der er mich angesehen hätte wie in den Zeiten vor Tims Geburt. Bevor all diese Kilos auf meinen Rippen lagen und er mich schön und sexy fand. Als er nicht nur die Mutter, Köchin, Haus- und Putzfrau in mir sah, sondern einzig die Frau, die er liebte und geheiratet hatte.

Mit all diesen Bildern im Kopf hatte ich nach Jochen gesucht und fand ihn schließlich im Arbeitszimmer vor dem Computer. Weder hörte er die leise Musik, noch roch er den Duft des Punschs.

Ich fragte ihn, ob er zu mir ins Wohnzimmer kommen würde, doch seine Antwort hatte gelautet: „Jetzt nicht, ich bin gerade an einem wichtigen Punkt und kann keine Pause einlegen, sonst verliere ich alles.“

Wie vom Blitz getroffen hatte ich auf den Monitor gestarrt und erkannt, was ihn so in den Bann zog. Das konnte doch nicht wahr sein! Ich hatte gespürt, wie Wut in mir aufkeimte. Sein Computer bedeutete ihm mehr als unser Eheleben, unser Sohn und offenkundig war ihm dieser schwarze Kasten weitaus wichtiger als ich! Er hatte Angst, dort alles zu einzubüßen, und nicht erkannt, was gerade im realen Leben geschah. Eben, dass er im Begriff war unsere Ehe aufs Spiel zu setzen und mich und seinen Sohn zu verlieren. Warum war ich selbst nur so dumm gewesen und hatte ihm zu Weihnachten das neue Computerspiel geschenkt? Hatte ich denn wirklich nichts dazu gelernt? Wie konnte ich nur so blöd sein? War der Rechner nicht ein zusätzlicher Grund, weshalb wir zu wenig Freizeit miteinander verbracht hatten? Ich hatte sämtliche PC-Spiele wie wild verflucht und einmal mehr mir selbst die Schuld dafür gegeben. Kurz hatte ich mir überlegt einfach den Stecker zu ziehen. Doch dann hatte ich mich stumm in mein Schneckenhaus zurückgezogen.

Um ihn nicht weiter zu stören, hatte ich leise die Tür geschlossen und war, wie ein geprügelter Hund, die Treppenstufen hinunter ins Wohnzimmer gegangen.

Aus lauter Frust hatte ich die Flasche Wein geöffnet, das Glas bis zum Rand gefüllt und mit nur einem kräftigen Schluck geleert.

Unser Kater hatte gespürt, wie es Frauchen ging und sprang zu mir aufs Sofa. Als er sich an mich schmiegte, kraulte ich ihm das Fell und schluckte die Tränen hinunter.

Selbst heute, nach all den Jahren, erinnere ich mich noch immer daran, was an jenem Abend mit mir geschah. Fühle die Traurigkeit, die Einsamkeit, die Jochens Verhalten in mir auslöste und spüre die schreckliche Leere, die sich in mir ausbreitet, sobald ich an diesen Moment zurückdenke. Aber auch die geballte Wut, die sich in etwas anderes umgewandelt hatte und innerlich schrie: ‚ICH WILL MEIN LEBEN ZURÜCK!!!‘

An jenem Abend hatte ich den Entschluss gefasst, mich von Jochen zu trennen. Mir das Leben und meine Freude daran zurückzuholen. In diesem Moment war ich aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht, hatte die alten Mauern niedergerissen, um etwas Neues daraus aufzubauen. Nach diesem Ereignis hatte es für ihn nicht mehr den Hauch einer Chance gegeben, unsere Ehe zu retten. Damals hatte ich versucht, die Wut in Kraft für einen Neubeginn umzuwandeln und das war mir gelungen!

Eindringlich hatte ich Jochen bei der Trennung gebeten, sich Zeit für unseren Sohn zu nehmen. Doch nur wenige Monate später, hatte Tim mir berichtet, dass sein Vater meist am Rechner saß, wenn er ihn besuchte. Jochen war eben Jochen und bestimmte Dinge würden sich nie an ihm ändern.

Umso mehr genoss Tim jetzt die Zeit mit David. Während des Abendessens erzählten beide, was sie am Tag alles erlebt hatten, danach brachten sie gemeinsam die neuen Schilder an. Ich beschloss, Jochen beim nächsten Aufeinandertreffen über Davids Einzug zu informieren und die beiden einander vorzustellen.

Gegen neun Uhr erhielt ich eine SMS von Bianka.

„Kann ich kurz stören?“, fragte sie.

„Klar, ich mach dir die Tür auf“, war meine knappe Antwort.

Vor zwei Wochen hatte sie mir meinen Wohnungsschlüssel zurückgegeben. Sie meinte, es wäre leichter, wenn David einen eigenen Schlüssel hätte. Zudem würde sie so nicht in eine, wie sie es nannte, ‚prekäre Situation‘ platzen. Sprich, sie hatte Angst, David und mich beim Sex zu erwischen.