Einführung in die Kernphysik - Harry Friedmann - E-Book

Einführung in die Kernphysik E-Book

Harry Friedmann

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Beschreibung

Das Buch deckt einen sehr großen Bereich der Kernphysik ab, d.h. es werden sowohl experimentelle als auch theoretische Aspekte beleuchtet sowie Anwendungen (Kernspaltung, Kernfusion, medizinischen Anwendungen, Strahlenschutz) ausführlich behandelt. Der Aufbau folgt der historischen Entwicklung. Schließlich wird auch Basiswissen aus der Teilchenphysik kurz angesprochen.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

1.1 Entdeckung

1.2 Natürliche Radioaktivität

1.3 Die kosmische Strahlung

1.4 Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen

1.5 Zerfallsgesetze, radioaktives Gleichgewicht

1.6 Die Entdeckung des Atomkerns (Rutherford-Streuung)

1.7 Wirkungsquerschnitt und Massenbelegung

1.8 Übungsaufgaben

2 Die statistische Natur des radioaktiven Zerfalls

2.1 Übungsaufgaben

3 Wechselwirkung von Strahlung mit Materie

3.1 Wechselwirkung geladener Teilchen mit Materie

3.2 Wechselwirkung von Neutronen mit Materie

3.3 Wechselwirkung von Photonenstrahlung mit Materie

3.4 Sekundärprozesse

3.5 Übungsaufgaben

4 Strahlungsdetektoren

4.1 Prinzipien

4.2 Elektronische Impulsverarbeitung

4.3 Übungsaufgaben

5 Neue Teilchen und künstliche Radioaktivität

5.1 Isotope

5.2 Die Entdeckung des Neutrons

5.3 Die Entdeckung des Positrons

5.4 Künstliche Radioaktivität

5.5 Übungsaufgaben

6 Aufbau der Atomkerne

6.1 Kernmassen

6.2 Die Größe des Atomkerns

6.3 Übungsaufgaben

7 Das Tröpfchenmodell des Atomkerns

7.1 Isotopentafel

7.2 Das Tröpfchenmodell

7.3 Stabilität gegen β-Zerfall

7.4 Stabilität gegen Nukleonenemission

7.5 Stabilität gegen Spaltung

7.6 Übungsaufgaben

8 Die quantenmechanische Behandlung des Atomkerns

8.1 Grundlagen

8.2 Zur Lösung der Schrödinger-Gleichung

8.3 Das Schalenmodell, Einzelteilchenniveaus

8.4 Kollektive Anregungen

8.5 Kernmomente

8.6 Experimentelle Bestimmung von Kernspin und -momenten

8.7 Niveauübergänge

8.8 Übungsaufgaben

9 Der Mößbauer-Effekt

9.1 Nukleare Resonanzabsorption

9.2 Natürliche Linienbreiten

9.3 Anwendungen der Mößbauer-Spektrometrie

9.4 Übungsaufgaben

10 Die Theorie des α-Zerfalls

10.1 Modell des α-Teilchens im Potential des Restkerns

10.2 Ergänzende Bemerkungen zum α-Zerfall

10.3 Übungsaufgaben

11 Der β-Zerfall

11.1 Das β-Spektrum

11.2 Fermis Theorie des β-Zerfalls

11.3 Der experimentelle Nachweis des Neutrinos

11.4 Die Neutrinomassen

11.5 Die schwache Wechselwirkung

11.6 β-Übergänge: Drehimpulse, Matrixelemente, Kopplungskonstante

11.7 Die Paritätsverletzung

11.8 Übungsaufgaben

12 Kernreaktionen

12.1 Grundlagen

12.2 Erhaltungssätze und Kinematik

12.3 Qualitativer Verlauf von Anregungsfunktionen

12.4 Die quantenmechanische Behandlung der Streuung

12.5 Kernpotentiale und das optische Modell

12.6 Die R-Matrix-Theorie

12.7 Reaktionsmodelle

12.8 Übungsaufgaben

13 Kernspaltung

13.1 Zur Geschichte der Kernspaltung

13.2 Physikalische Grundlagen, Kettenreaktion

13.3 Die Atombombe

13.4 Physik der Kernreaktoren

13.5 Typen von Kernreaktoren

13.6 Sicherheitsbewertung und Risiko

13.7 Reaktorunfälle

13.8 Beitrag der Kernenergie zur weltweiten Energiegewinnung

13.9 Ein natürlicher Kernreaktor

13.10 Übungsaufgaben

14 Kernfusion

14.1 Physikalische Grundlagen

14.2 Die Fusionsbombe

14.3 Fusionsreaktoren

14.4 Übungsaufgaben

15 Elementsynthese

15.1 Übungsaufgaben

16 Dosimetrie und die biologische Wirkung von Strahlung

16.1 Das Dosiskonzept

16.2 Die biologische Wirkung der Strahlung

16.3 Die Strahlenbelastung des Menschen

16.4 Strahlentherapie

16.5 Übungsaufgaben

17 Beschleuniger

17.1 Elektrostatische Beschleuniger

17.2 Elektrodynamische Beschleuniger

17.3 Übungsaufgaben

18 Elementarteilchen

18.1 Die Idee der Elementarteilchen

18.2 Entdeckungen der Hochenergiephysik

18.3 Austauschkräfte und Wechselwirkungsteilchen

18.4 Der Weg zum Standardmodell

18.5 Das Standardmodell

18.6 Vereinheitlichte Theorie

18.7 Übungsaufgaben

Anhang A Wellen und ihre mathematische Darstellung

Anhang B Dieδ-Distribution (Dirac’scheδ-Funktion)

Anhang C Vektoren und Differentialoperatoren

Anhang D Einige formale Grundlagen der Quantenmechanik

Anhang E Störungsrechnung und Fermis Goldene Regel

Anhang F Die Born’schen Näherungen

Anhang G Feynman-Diagramme

Literaturverzeichnis

Personenverzeichnis

Sachverzeichnis

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Bethge, K., Gruber, G., Stöhlker, T.

Physik der Atome und Moleküle

Eine Einführung

2004

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Griffiths, D.

Introduction to Elementary Particles

2008

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Autor

Harry FriedmannUniversität Wien, Fakultät für Physik,KernphysikWähringerstr. 171090 WienÖsterreich

Titelbild

Blick in eine elektrostatische Ablenkeinheit vonVERA (Vienna Environmental Research Acclerator).

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Print ISBN 978-3-527-32774-4ePDF ISBN 978-3-527-67740-5ePub ISBN 978-3-527-67741-2Mobi ISBN 978-3-527-67742-9

Vorwort

Dieses Buch entstand aus einem Vorlesungsskriptum, unter Hinzunahme einiger Abschnitte, die in anderen Vorlesungen vorgetragen wurden. Um eine möglichst umfassende Darstellung der vielen Aspekte der Kernphysik zu geben, musste an vielen Stellen auf eine tiefere Ausführung verzichtet werden. Auch sind Ableitungen und Beweise nicht immer lückenlos und mathematisch exakt formuliert. Der Leser soll einen Überblick gewinnen und muss gegebenenfalls entsprechende Spezialliteratur zu Rate ziehen.

Das Buch soll allen jenen, die erstmalig mit dem Gebiet der Kernphysik in Kontakt treten, einen Überblick geben, von der Entdeckung der Radioaktivität bis zur Postulierung der Quarks und dem Nachweis des Higgs. Im Wesentlichen folgt das Buch der historischen Entwicklung der Kernphysik und damit gewissermaßen auch der logischen Abfolge von Entdeckungen und der daraus folgenden Entwicklungen.

Die Übungsaufgaben haben sich über mehrere Jahre angesammelt und sind möglicherweise auch teilweise aus anderen Quellen übernommen. Es ist mir jedoch nicht mehr möglich, festzustellen ob, und im Fall dass dies zutrifft, aus welchen anderen Quellen sie stammen. Für den Fall, dass tatsächlich Beispiele anderer Autoren verwendet wurden, möchte ich mich diesbezüglich entschuldigen. Lösungen für Dozenten sind auf der Homepage www.wiley-vch.de abrufbar.

Da die Vorlesung nicht verpflichtend für alle Studierenden war, hatten die Besucher oft sehr unterschiedliche physikalische Vorbildung. Aus diesem Grund sind in den Anhängen einige für das Verständnis der Vorlesung wichtige Aspekte zusammengefasst.

Bei den Registern sind zu den Stichworten zumeist nur die wichtigsten Seiten angeführt, wobei jedoch Übungsbeispiele und Anhänge nicht beschlagwortet wurden.

Ich hoffe, dass sich nicht allzu viele Fehler, Ungenauigkeiten und Unsinn eingeschlichen haben und ersuche alle jene, denen etwas Derartiges aufgefallen ist, dies mir mitzuteilen.

Die Diskussion mit Kollegen und Studierenden hat wesentlich zur Gestaltung dieses Buches beigetragen. Insbesondere möchte ich mich für die konstruktive Kritik bei (in alphabetischer Reihenfolge) Herrn Prof. Ecker, Herrn Prof. Grimus, Herrn Prof. Hille, Herrn Prof. Püschl und Frau Prof. Strohmaier bedanken.

Wien, Januar 2014

Harry Friedmann

1

Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität

1.1 Entdeckung

Die Entdeckung der natürlichen Radioaktivität erfolgte 1896 durch Henri Becquerel, als er im Anschluss an die von Röntgen entdeckte Strahlung, bei der von Poincaré als Ausgangspunkt der Strahlung fälschlicherweise der grüne Phosphoreszenzfleck der Geißlerröhre vermutet wurde, Untersuchungen an phosphoreszierenden Stoffen durchführte. Als glücklicher Umstand erwies sich, dass er im Besitz von (phosphoreszierenden) Uransalzen war und sehr bald feststellen konnte, dass diese Substanzen durch Papier und Aluminium hindurch fotografische Platten schwärzen konnten. Die ersten Ergebnisse wurden am 24. Februar 1896 veröffentlicht (Sitzung der franz. Akademie d. Wissenschaften), aber schon am 5. März 1896 erkannte er, dass keine Vorbelichtung der verwendeten Uransalze notwendig war, um die fotografische Wirkung zu erzielen. Außerdem konnte er zeigen, dass andere phosphoreszierende Substanzen diese Wirkung nicht besaßen. Schließlich folgerte er, dass die Strahlung eine Eigenschaft des Uranatoms war und in keinem Zusammenhang mit der Phosphoreszenz der ursprünglich untersuchten Substanzen stand. Die ausgesandten Strahlen hatten große Ähnlichkeit mit Röntgenstrahlen und wurden später als Becquerel-Strahlen bezeichnet.

Wir wissen heute, dass neben Uran noch viele andere Elemente radioaktive Strahlung emittieren, ohne dass dem eine durch den Menschen verursachte Aktivierung (Kernumwandlung) vorangeht. Man bezeichnet solche, ohne menschliches Zutun bestehende, Radioaktivität als natürliche Radioaktivität. Durch Messung, z. B. mittels eines Geigerzählers, kann man sich leicht überzeugen, dass dies kein selten auftretendes Phänomen ist, sondern vielmehr als allgegenwärtig angesehen werden kann. So ist Uran in Spurenelementen nahezu überall in der anorganischen Natur vorhanden, und auch in der Biosphäre werden verschiedene radioaktive Substanzen in alle Körper eingebaut, so dass es keine Lebewesen gibt, die nicht auch von sich aus radioaktiv sind.

Schon sehr früh erkannte man, dass mit der Radioaktivität eine Elementumwandlung verbunden ist, wobei sich die Menge des Ausgangselements (und auch die Strahlenintensität) exponentiell verringert. Es waren der neuseeländische Physiker Ernest Rutherford (Nobelpreis für Chemie 1908) und der englische Chemiker Frederick Soddy, die an der McGill Universität in Montreal die Theorie der Elementumwandlung entwickelten [1–6]. Der Nachweis erfolgte durch chemisches Abtrennen der Elemente. Für die Intensität I der Strahlung oder die Anzahl N der Atome eines Elementes ergab sich als Funktion der Zeit t folgendes Verhalten:

(1.1)

1.2 Natürliche Radioaktivität

Aus der Tatsache, dass die Radioaktivität exponentiell abnimmt, sollte man schließen können, dass nach genügend langer Zeit keine Radioaktivität mehr vorhanden sein dürfte. Es stellt sich also die Frage, wieso eine natürliche Radioaktivität überhaupt nachweisbar ist bzw. wie sie entstanden ist. Zwei Mechanismen der Entstehung radioaktiver Substanzen sind denkbar, und beide tragen zur natürlichen Radioaktivität bei.

1.3 Die kosmische Strahlung

Als Ursache für diese dauernde Nachbildung ist die kosmische Strahlung anzusehen, deren Entdeckung u. a. auf Victor Hess zurückgeht (siehe später in diesem Abschnitt). Es treffen etwa 1000 Kerne pro Quadratmeter und Sekunde auf die Erdatmosphäre, wobei Protonen mit etwa 90 %, α-Teilchen mit 9% und schwerere Kerne sowie Elektronen mit etwa je 1% zur kosmischen Strahlung beitragen. Ein Teil dieser Teilchen weist sehr hohe Energien auf, manchmal bis zu 1020 eV (ultrarelativistisch), was 11 Größenordnungen über der Ruhemasse der Protonen liegt. Aufgrund des Magnetfeldes der Erde kommt es zu einer Abhängigkeit der Intensität der kosmischen Strahlung von der geographischen Breite. Zumeist werden in der Literatur Werte für mittlere Breiten angegeben. Kommt es zur Bildung von Radionukliden in der Atmosphäre, so ist die Breitenabhängigkeit von nicht allzu großer Bedeutung, da in der Atmosphäre stets eine relativ rasche Durchmischung stattfindet. Im Fall von Radionukliden, die an der Erdoberfläche gebildet werden, ist jedoch die Abhängigkeit der kosmischen Strahlung von der geographischen Breite sehr wohl zu berücksichtigen. Natürlich werden durch die kosmische Strahlung auch in der interstellaren Materie Radionuklide gebildet, jedoch ist dieser Beitrag für die auf der Erde relevanten natürlichen Radionuklide als vernachlässigbar anzusehen.

Man unterscheidet in der kosmischen Strahlung aufgrund ihrer Herkunft eine solare Komponente, eine galaktische Komponente (Entstehung außerhalb unseres Sonnensystems, aber innerhalb unserer Galaxie) und eine außergalaktische (extragalaktische) Komponente.

Die kosmische Strahlung wurde von Victor Franz Hess [13] bei seinen Arbeiten über radioaktive Stoffe in der Atmosphäre entdeckt. Victor Hess war damals „Erster Assistent“ unter Stefan Meyer am neu gegründeten Institut für Radiumforschung in Wien. Da damals bereits die Verteilung natürlicher radioaktiver Substanzen in der Erde und Atmosphäre im Großen und Ganzen bekannt war, konnte erwartet werden, dass mit zunehmendem Abstand von der Erdoberfläche die „durchdringende Strahlung“ abnahm. In den Jahren 1909 und 1910 untersuchten auch andere Forscher (Wulf, Bergwitz, Gockel) die Radioaktivität in größeren Höhen und unternahmen sogar Ballonfahrten, jedoch konnten keine eindeutigen Ergebnisse erzielt werden. In den Jahren 1911 und 1912 unternahm Hess mehrere Ballonfahrten (siehe Abb. 1.1) und konnte dabei eindeutig eine Zunahme der Strahlenintensität mit der Höhe feststellen [14, 15].

Es wurden 1913–1914 auch von W. Kolhörster Ballonaufstiege bis 9 km Höhe unternommen, jedoch wurden die Experimente durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Hess errichtete noch 1913 eine Station zur Dauerbeobachtung auf dem Hochobir. In den Dreißigerjahren erfolgte schließlich die endgültige Identifikation der „Höhenstrahlung“ als kosmische Strahlung mit Hilfe von Arbeiten von Piccard, Cosyns, Regener, Pfotzer, Bothe und Kolhörster. Schließlich erhielt Victor Hess 1936 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der kosmischen Strahlung.

Treffen die hochenergetischen Protonen der kosmischen Strahlung auf die Atomkerne der Elemente in der Atmosphäre, so kommt es einerseits zu einer Zertrümmerung der Targetkerne, andererseits vor allem zur Erzeugung von Pionen (π+ , π−, π°), Protonen, Antiprotonen und sogenannten „strange particles“. Es werden dabei zumeist mehrere hochenergetische Teilchen pro Stoß erzeugt, die aufgrund der hohen Energie des einfallenden Teilchens parallel zur Einfallsrichtung gebündelt emittiert werden. Diese können mit anderen Kernen neuerlich eine Kernreaktion eingehen, und es entsteht ein Schauer von sekundären Teilchen, die teilweise die Erdoberfläche erreichen können. Mittels Koinzidenzmessungen an der Erdoberfläche kann auf die ursprüngliche Quelle eines Schauers zurückgeschlossen werden. Die verwendeten Detektoren können dabei über Flächen von mehreren hundert Quadratmetern verteilt sein. Getroffene Kerne verbleiben meist in hoch angeregten Zuständen, wobei die Anregungsenergie durch „Abdampfen“ von Kernfragmenten, insbesondere Neutronen, abgegeben wird. Diese „Abdampfung“ ist im Massenmittelpunktsystem isotrop (kein Winkel bevorzugt). Für die Produktion von radioaktiven Nukliden ist das Entstehen von Neutronen von entscheidender Bedeutung. Da Neutronen keine elektrische Ladung besitzen, können sie leicht in den Kern eindringen und Kernreaktionen auslösen. Daneben kann ein Teil der Anregungsenergie natürlich auch über γ-Emission abgegeben werden. Diese Art von nuklearer Wechselwirkung hochenergetischer Projektile mit Atomkernen wird als Spallationsreaktion bezeichnet (siehe Abb. 1.2).

Abb. 1.1 Victor Hess bei einem seiner Ballonaufstiege.

1.4 Strahlenarten und natürliche Zerfallsreihen

Abb. 1.2 Symbolische Darstellung der Wechselwirkung hochenergetischer Protonen aus der kosmischen Strahlung mit Nukliden der Atmosphäre.

Es war sehr bald klar geworden, dass verschiedene Arten von Strahlung zu unterscheiden waren, denn Absorptionsversuche zeigten, dass es eine Art der Strahlung gab, die sehr leicht zu absorbieren war, eine andere, die schon dickere Schichten durchdrang, und schließlich eine weitere Art der Strahlung, die nur durch massive Abschirmmaterialien zu schwächen war. 1899/1900 zeigten unabhängig voneinander F. Giesel, St. Meyer und E. von Schweidler sowie H. Becquerel, dass sich „Radiumstrahlen“ im Magnetfeld ablenken lassen. Nicht ablenken ließen sich aber „Poloniumstrahlen“. Man fand eine Fülle von Kombinationen von weichen, harten, ablenkbaren und nichtablenkbaren Strahlen. Schließlich war es E. Rutherford, dem die richtige Deutung all dieser Strahlungserscheinungen gelang. Man unterscheidet zwischen:

Die meisten Forscher vermuteten bereits damals, dass alle diese unterschiedlichen Effekte auf sukzessiven Zerfällen radioaktiver Substanzen beruhen. Es waren wieder E. Rutherford und F. Soddy, die diese Zerfallshypothese im Einzelnen systematisch untersucht haben.

Heute weiß man, dass im Prinzip maximal vier natürliche Zerfallsreihen existieren können, da bei β-Zerfall die Massenzahl nicht geändert wird und bei α-Zerfall sich die Massenzahl stets um 4 ändert. Tatsächlich existieren nur drei natürliche Zerfallsreihen, ausgehend von den langlebigen Nukliden 232Th, 238U und 235U mit den historischen Bezeichnungen Thorium-Reihe, Uran-Radium-Reihe und Actinium-Reihe. Die vierte mögliche Zerfallsreihe (4n + 1 Reihe) sollte von 237Np ausgehen, welches aber mit einer Halbwertszeit von „nur“ 2,14 Millionen Jahren viel zu kurzlebig ist, als dass noch ausreichend Material vorhanden wäre, diese Zerfallsreihe zu speisen. In Abb. 1.3 sind die natürlichen Zerfallsketten (wie heute bekannt) schematisch dargestellt (auf die historischen Namen wurde verzichtet).

Die radioaktiven Substanzen können also aus sich selbst heraus Energie freisetzen, was zu einer Krise der klassischen Physik geführt hat, die ja eine Erhaltung der Energie verlangt. Die Lösung dieses Problems ergab sich erst durch Einsteins spezielle Relativitätstheorie.

Schon damals hat sich etwa Soddy die Frage gestellt, ob diese Energie in Zukunft zu Gutem oder zu Bösem genutzt werden könnte. Die unbegrenzte und billige Energie der Kerne könnte zu einem Paradies auf Erden oder aber zu gewaltigen Zerstörungen bis zur Auslöschung der menschlichen Zivilisation durch „radioaktive“ Bomben führen. Auch H.G. Wells [17] wurde durch solche Szenarien zu einer 1913 geschriebenen Science-Fiction-Novelle inspiriert. Wells spricht darin erstmalig von einer „atomic bomb“, die in einem europäischen Konflikt („The Last War") 1956 eingesetzt und später dieser Krieg durch eine Friedenskonferenz am Lago Maggiore beendet wird. Diese Konferenz sichert der Welt den immerwährenden Frieden und durch die Atomenergie kann eine glückliche Zukunft garantiert werden. Am Beginn dieses Buches erklärt ein Universitätsprofessor seinen Schülern folgendes: This little box contains about a pint of uranium-oxide; that is to say about fourteen ounces of elementary uranium. It is worth a pound. And in this bottle, ladies and gentlemen, in the atoms in this bottle there slumbers at least as much energy as we could get by burning a hundred and sixty tons of coal. If at a word, in one instant, I could suddenly release that energy here and now, it would blow us and everything about us to fragments; if I could turn it into a machinery that lights this city, it would keep Edinburgh brightly lit for a week. But at present no man has an inkling of how this little lump of stuff can be made to hasten the release of its store!

Abb. 1.3 Die natürlichen Zerfallsreihen: Pfeile nach links bedeuten α-Zerfälle mit in Prozent angegebenen Häufigkeiten, Pfeile nach rechts unten stellen β-Zerfälle dar. Die Halbwertszeiten der Nuklide sind unter ihren Symbolen notiert. Dicke Pfeile symbolisieren die bevorzugten Zerfallsverläufe.

Die Einschätzung vieler Wissenschaftler war damals wesentlich skeptischer. Als Beispiel sei hier ein Zitat aus dem Buch Radioaktivität von St. Meyer und E. von Schweidler [18] angeführt: Die großtechnische Anwendung der in den radioaktiven Substanzen aufgespeicherten Energien in der Form irgendwelcher ,Atom-Explosions-Motoren‘ gehört jedoch in das Reich der Fabel, da hierzu die vorhandenen auf kleinem Raum konzentrierbaren Mengen nicht hinreichen können.

Abb. 1.4 Der Zerfall von 226Ra in 222Rn erfolgt zu 94,5 % durch α-Emission mit einer Energie von 4,78 MeV in den Grundzustand von 222Rn und zu 5,5 % mit einer Energie von 4,60 MeV in den angeregten Zustand von 222Rn (Anre gungsenergie 0,18 MeV). Der Übergang in den Grundzustand erfolgt über Emission eines (z. T. konvertierten1)) γ-Quants der Energie 0,18 MeV (Rückstoß vernachlässigt).

1.5 Zerfallsgesetze, radioaktives Gleichgewicht

Der zeitliche Verlauf der Bildung und des Zerfalls von Aktivitäten soll nun genauer untersucht werden. Die Aktivität A ist die Anzahl der pro Zeiteinheit zerfallenden Atome einer Substanz (entspricht der zeitlichen Abnahme der Atomzahl). Die Einheit der Aktivität ist 1 Bq (1 Becquerel), was einen Zerfall pro Sekunde bedeutet. Da der radioaktive Zerfall ein stochastischer Prozess ist, ist die Anzahl der Zerfälle pro Zeiteinheit, also die Aktivität, zur Gesamtzahl N der vorhandenen Atome proportional:

(1.2)

Diese Differentialgleichung lässt sich mit dem Ansatz

(1.3)

(1.4)

Die Konstante λ ist die Zerfallskonstante und hängt mit der Halbwertszeit folgendermaßen zusammen:

(1.5)

Betrachten wir nun den Fall, dass ein Nuklid einerseits von einer Muttersubstanz gebildet wird, andererseits selbst mit einer gewissen Halbwertszeit zerfällt. Die zugehörige Differentialgleichung muss also folgendermaßen lauten (λ1 ≠ λ2):

(1.6)

(1.7)

Abbbildung 1.5 zeigt die Teilchenzahlen als Funktion der Zeit von Mutter- und von Tochternuklid in den Fällen, dass das Tochternuklid größere bzw. kleinere Halbwertszeit als die Mutter aufweist. Man erkennt aus dieser Abbildung, dass bei Zeiten viel größer als die Halbwertszeit der Mutter das Folgeprodukt mit längerer Halbwertszeit zuerst gebildet wird (Anstieg) und auch nach nahezu vollständigem Zerfall der Muttersubstanz noch immer vorhanden ist und danach mit der eigenen Halbwertszeit abnimmt. Bei einem Folgeprodukt, das eine kürzere Halbwertszeit als die Mutter hat, steigt am Anfang natürlich auch die Teilchenzahl, jedoch wird sie nie die der Mutter übersteigen. Vielmehr stellt sich asymptotisch das sogenannte radioaktive Gleichgewicht ein, d. h. es werden gerade so viele Tochterkerne pro Zeiteinheit zerfallen wie durch den Zerfall der Muttersubstanz nachgebildet werden. In diesem Fall ist die Aktivität der Mutter gleich jener der Tochter, d. h. die Aktivität der Tochtersubstanz fällt mit der Halbwertszeit der Muttersubstanz ab (laufendes radioaktives Gleichgewicht). Ist die Muttersubstanz sehr langlebig (Aktivität nahezu konstant), nähert sich die Aktivität der Tochtersubstanz dieser konstanten Aktivität stetig an, was auch als säkuläres radioaktives Gleichgewicht (Dauergleichgewicht) bezeichnet wird.

(1.8)

Rechnerisch ergibt sich für tT1/2(2) und T1/2(1) > T1/2(2) (λ1 < λ2)

(1.9)

(1.10)

Eine Anwendung, die sich aus dem Wissen über den radioaktiven Zerfall ergibt, ist z. B. die Altersbestimmung von kohlenstoffhaltigen Materialien über den darin enthaltenen Radiokohlenstoff (14C-Datierungsmethode): Die Bildung von 14C erfolgt primär in der durch die kosmische Strahlung induzierten Reaktion Neutron C 14N → 14C + Proton (heutige Schreibweise: 14N(n,p)14C) in den oberen Schichten der Troposphäre mit weitgehend konstanter Rate. In der Atmosphäre wird der Kohlenstoff zu CO2 oxidiert. Die Halbwertszeit von 14C beträgt 5730 Jahre. Da der Radiokohlenstoff chemisch dem stabilen Kohlenstoff gleicht, wird er in gleicher Weise dessen Umsetzungen mitmachen. Insbesondere gelangt Kohlenstoff über die Assimilation in den Biokreislauf. Es stellt sich daher in allen biologischen Materialien, sieht man von speziellen Fraktionierungseffekten ab, ein Gleichgewicht zwischen 14C und 12C ein, das dem in der Atmosphäre entspricht („Rezent-Konzentration“). Im (Norm-)Menschen sind etwa 1015 Atome 14C vorhanden, was zu einer 14C-Aktivität von 3,7 kBq führt. 14C gelangt aber auch in Karbonsinter (z. B. Tropfsteine), indem das im Wasser gelöste Bikarbonat ausgeschieden wird und dieser „biogene“ Kohlenstoff im Karbonatanteil des Kalks verbleibt. Stirbt ein Organismus ab, so nimmt er nicht mehr am biologischen Kreislauf teil und der radioaktive Kohlenstoff zerfällt durch β-Zerfall wieder in 14N. Das Verhältnis von 14C zu 12C wird daher mit der Zeit immer kleiner. Gelingt es nun dieses Verhältnis zu bestimmen, so kann man auf den Zeitpunkt zurückschließen, zu welchem die Probe aus dem Biokreislauf ausgeschieden ist. Voraussetzung dafür ist, dass die natürliche 14C-Konzentration in der Atmosphäre über die Zeit konstant geblieben ist. Für die Entwicklung dieser Radiokohlenstoffdatierungsmethode hat W.F. Libby [19, 20] den Nobelpreis erhalten. Aufgrund der weit gestreuten Anwendungsmöglichkeiten überragt die Radiokohlenstoffmethode alle anderen Datierungsmethoden. Die weite Verbreitung von Kohlenstoff in der Natur erlaubt die Verwendung dieser Datierungsmethode in vielen wissenschaftlichen Disziplinen, wie etwa Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Geographie, Glaziologie, Limnologie, Klimatologie, Geologie, Mineralogie, Hydrologie, Ozeanographie, Botanik, Bodenkunde, Bergbau, Waldbau, Holzforschung u. a.

Nach der 14C-Methode kann organisches Material und anorganisches Material organischer Genese bis zu einem Alter von etwa 30 000 bis 40 000 Jahren datiert werden. Typische geeignete pflanzliche Materialien sind: Holz, Holzkohle, Borke, Blätter, Samen, Harz, Wurzeln, Stroh, Humus, Torf, Torfkohle, Gyttja (Faulschlamm), Sumpfgas, Algen usw. Auch tierische Materialien wie Knochen, Haut, Fleisch, Fett, Haare, Horn, Elfenbein, Schneckengehäuse, Muschelschalen, Korallen, Seesedimente usw. können mit der 14C-Methode datiert werden. Darüber hinaus eignet sich auch anorganisches Material, in das atmosphärischer (biogener) Kohlenstoff eingebaut ist, wie Karbonatsinter (Tropfsteine, Travertin). Ferner konnten archäologische Eisenartefakte über den beim Verhüttungsprozeß eingebrachten biogenen Kohlenstoff datiert werden.

Es hat sich jedoch gezeigt, dass der 14C-Gehalt der Atmosphäre in der Vergangenheit zeitlich nicht konstant war (deVries-Effekt). Ursachen dafür sind in Intensitätsänderungen der kosmischen Strahlung durch Variation von Sonnenaktivität und geomagnetischem Feld sowie in Klimaschwankungen zu suchen. Um nun aus dem Radiokohlenstoffalter das wahre Alter einer Probe zu berechnen, bedarf es einer Kalibrierung, die den atmosphärischen 14C-Gehalt in der Vergangenheit berücksichtigt. Das Problem wurde mit Hilfe der Dendrochronologie gelöst. Durch systematische Untersuchungen der 14C-Konzentrationen in Baumringen konnte der atmosphärische 14C-Gehalt mehrere Jahrtausende zurückverfolgt werden. Natürlich kann nicht aus einem Baum die gesamte Kalibrierkurve abgeleitet werden, jedoch fand man immer wieder Bäume, bei denen charakteristische Abfolgen von Jahresringen so übereinstimmten, dass eine zeitliche Überlappung der Lebenszeiträume der Bäume bestand und damit eine Kalibrierung bis etwa 10 000 v. Chr. durchgeführt werden konnte. Für weiter zurückliegende Alter greift man auf eine Kalibrierung über Korallen zurück. Um also aus dem „rein physikalischen“ Radiokohlenstoffalter das wahre Alter abzuleiten, verwendet man entsprechende Kalibrierkurven bzw. Kalibrierprogramme (z. B. OxCal oder CALIB).

1.6 Die Entdeckung des Atomkerns (Rutherford-Streuung)

Schon in den ersten Jahren nach der Entdeckung der α-Strahlung wurden Streuversuche an dünnen Folien vorgenommen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die aus solchen gewonnen wurde, ist das Wissen um die Größe des Atomkerns (Rutherford’sches Atommodell [21]). Aufgrund von Streuexperimenten von α-Teilchen an ganz dünnen Goldfolien (Rutherford-Streuung), konnte gezeigt werden, dass der positiv geladene Atomkern wesentlich kleiner als ein Atom ist und die Elektronen den Kern als Hülle umgeben.

Die Experimente, die von Hans Geiger und Ernest Marsden [22, 23] unter der Leitung von Ernest Rutherford gemacht wurden, zeigten, dass neben einer relativ großen Anzahl von um nur kleine Winkel (< 1°) gestreuten α-Teilchen auch Streuungen um große Winkel (> 10°) erfolgten, wobei die Intensität der gestreuten Teilchen mit 1/ sin4 (θ/2) (θ Streuwinkel) abnimmt. Dieses Ergebnis kann nur dadurch erklärt werden, dass die positiv geladenen α-Teilchen von einem elektrisch geladenen, (kleinen) massiven Zentrum abgelenkt werden. Damit konnte das Atommodell von Thomson [24] als nicht richtig erkannt werden. Thomson hatte das Atom als elektrisch neutral modelliert, wobei die positive Ladung gleichmäßig über das Atom verteilt sein und darinnen punktförmige negative Ladungen (Elektronen) schwimmen sollten (Plumpudding- oder Rosinenkuchen-Modell). Die beiden Modelle unterscheiden sich für die Berechnung der Streuintensitäten durch die Form des wirksamen Potentials, und es zeigt sich, dass nur ein nahezu punktförmiges Streuzentrum die beobachtete Intensitätsverteilung erklären kann.

Die folgende Rechnung wird unter Annahme eines schweren, punktförmigen Streuzentrums (Atomkern) und eines dagegen verhältnismäßig leichten, punktförmigen gestreuten Teilchens (α-Teilchens) durchgeführt. Ist dies nicht der Fall, muss anstelle der Masse des kleinen Teilchens die reduzierte Masse verwendet werden. Bei einem Vergleich mit Messergebnissen müsste die Formel dann auf das Laborsystem umgerechnet werden. Außerdem werden Strahlungseffekte und relativistische Effekte nicht berücksichtigt (nichtrelativistische Näherung).

Die Kraft F, die auf das Teilchen mit der Masse m und der Geschwindigkeit v wirkt, ist die Coulomb-Kraft. Es gilt also

(1.11)

Da näherungsweise das Streuzentrum vor und nach der Streuung in Ruhe betrachtet wird, kann man zur weiteren Rechnung nicht den Impulserhaltungssatz verwenden. Man kann jedoch die Erhaltung des Drehimpulses L um das Streuzentrum nutzen. Einerseits verwendet man die Definition des Drehimpulses als Funktion des Abstandes r und der zeitlichen Änderung des Drehwinkels φ um das Streuzentrum, andererseits kennt man den Drehimpuls in großer Entfernung vom Streuzentrum durch Impuls (vo ist die Geschwindigkeit weit weg vom Streuzentrum) und Stoßparameter b (siehe Abb. 1.6):

Abb. 1.6 Zur Berechnung der Rutherford-Streuung: Bahnk urvenpunkt mit Radiusvektor r vom Streuzentrum und Winkel φ zur Einschussrichtung, Streuwinkel θ und Stoßparameter b.

(1.12)

Betrachtet man die Y-Komponente der wirkenden Kraft und setzt für 1/r2 das Ergebnis von (1.12) ein, erhält man

(1.13)

Das wird nun zuerst auf beiden Seiten über die Zeit integriert

(1.14)

und danach über die jeweiligen Differentiale, wobei im Prinzip 2 Konstanten hinzuzufügen sind (unbestimmte Integrale).

(1.15)

(1.16)

Abb. 1.7 Zur Berechnung des Rutherford-Streuquerschnitts: Einfallende Teilchen mit einem Stoßparameter zwischen b und b + db werden um Winkel von θ bis θ + dθ gestreut.

(1.17)

Subtrahiert man (1.16) von (1.17), erhält man

(1.18)

oder umgeformt

(1.19)

Woraus sich der Zusammenhang zwischen Streuwinkel θ und Stoßparameter b ergibt:

(1.20)

Als Nächstes soll der winkeldifferentielle Streuquerschnitt berechnet werden, der grob als Wahrscheinlichkeit für die Streuung eines Teilchens in einen Raumwinkel dΩ angesehen werden kann (eine genauere Definition folgt in Abschn. 1.7). Es wird also gefragt, wie viele Teilchen von einem einfallenden Strahl in einen Bereich zwischen θ und θ + dθ hinein gestreut werden (siehe Abb. 1.7). Der Raumwinkel, der dabei aufgespannt wird – das ist die Fläche des Ringes um die Einheitskugel zwischen θ und θ + dθ − m ist

(1.21)

Wir wissen, dass bei gegebener Einschussenergie alle Teilchen, die einen Stoßparameter zwischen b und b + db aufweisen, in diesen Raumwinkel gestreut werden – das sind 2πb · db (Fläche des Kreisringes) Teilchen – wenn man die Flussdichte der einfallenden Teilchen auf eins setzt (normiert).

(1.22)

Aus (1.20) kann db/dθ errechnet werden:

(1.23)

Und zusammen mit (1.20) in (1.22) eingesetzt ergibt dies nun den gesuchten winkeldifferentiellen Wirkungsquerschnitt für die Rutherford-Streuung:

(1.24)

Aus den Messungen von Geiger und Marsden [23] konnte nur festgestellt werden, dass tatsächlich die Intensität der gestreuten Teilchen mit 1/ sin4(θ/2) abnimmt und damit die Annahmen der Rechnung stimmen. Insbesondere muss der positiv geladene Atomkern wesentlich kleiner als das Atom selbst sein, also nahezu punktförmig erscheinen. Man kann aus den obigen Rechnungen leicht den Minimalabstand, den ein Teilchen zum Streuzentrum erreichen kann, berechnen (Streuung um 180°). Erst aus späteren Messungen (siehe Kapitel 5) konnten aufgrund der Abweichung der Streuquerschnitte bei sehr kleinen Stoßparametern (Einfluss der Kernkräfte) vom Rutherford-Querschnitt die Radien der Atomkerne genau bestimmt werden. Es treten übrigens auch bei sehr großen Stoßparametern Abweichungen auf, die darauf zurückzuführen sind, dass die Elektronen die elektrische Wirkung des Kerns abschirmen. Daher ist die Divergenz bei Integration von (1.24) über alle Raumwinkel, die auf die unendliche Reichweite der Coulomb-Wechselwirkung zurückzuführen ist, nicht relevant.

Rutherford versuchte auch eine Umkehrung des α-Zerfalls herbeizuführen. Er beschoss u. a. auch Stickstoff mit α-Teilchen und beobachtete dabei die Emission von Teilchen mit wesentlich größerer Reichweite in Stickstoff als jene der α-Teilchen [25]. Ein Vergleich mit Experimenten, bei denen Wasserstoff beschossen wurde, ließ Rutherford schließen, dass Wasserstoffionen aus dem Stickstoff herausgeschossen wurden, bzw. führte er eine Reihe von Experimenten durch, die diese Hypothese bestätigten [26]. Heute würde man die Reaktion folgendermaßen schreiben:

(1.25)

Dem Wasserstoffkern wurde schließlich der Name Proton (griech.: das Erste) gegeben. Damit war nach dem Elektron, das J.J. Thomson 1897 in Entladungsröhren nachwies und dessen Verhältnis von Masse zu Ladung bestimmte, ein weiteres Teilchen gefunden, welches am Aufbau der Atome beteiligt war.

1.7 Wirkungsquerschnitt und Massenbelegung

Die Intensitätsverteilung der durch Rutherford-Streuung abgelenkten Teilchen wurde durch einen Streuquerschnitt beschrieben. Der Begriff „Querschnitt“ („cross-section“) hat in der Kernphysik eine besondere Bedeutung, die im Folgenden genauer diskutiert wird.

(1.26)

(1.27)

Man kann für jegliche Art von Wechselwirkung einen (partiellen) Wirkungsquerschnitt angeben, z. B. einen „elastischen Wirkungsquerschnitt“ für elastische Streuung, einen „Reaktionsquerschnitt“ für eine bestimmte Kernreaktion oder auch einen „totalen Wirkungsquerschnitt“. Quotienten aus solchen Querschnitten liefern dann die Verhältnisse der Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten dieser Wechselwirkungsprozesse.

Daneben sind auch oft differentielle Wirkungsquerschnitte von Wichtigkeit. So gibt der winkeldifferentielle Wirkungsquerschnitt ∂σ/∂Ω die „Wahrscheinlichkeit“ für die Streuung in einen bestimmten Raumwinkel an (Einheit z. B.: b/sr), der energiedifferentielle Wirkungsquerschnitt ∂σ/∂E die Streuung in ein bestimmtes Energieintervall an (Einheit z. B.: b/MeV), und der doppelt differentielle Wirkungsquerschnitt ∂2σ/(∂Ω∂E) die Streuung in einen bestimmten Raumwinkel und ein bestimmtes Energieintervall an (Einheit z. B.: b/(MeV sr)).

In den meisten Fällen interessiert man sich nicht für die Anzahl der Wechselwirkungen in einer Volumseinheit, sondern in einer Probe (z. B. in einem Abschirmmaterial). Hat die Probe die Dicke d, so hat man d · n Teilchen in der Probe, die mit je σ zur Wechselwirkung beitragen. Da diese Teilchenbelegung nicht direkt, sondern nur über die Kenntnis der Teilchenmasse (Kenntnis der Atomart) zugänglich ist, hat man aus praktischen Gründen die Massenbelegung d* eingeführt. Diese ist also jene Masse, die pro Flächeneinheit vom einfallenden Fluss (einfallender Strahlung) getroffen wird. In SI-Einheiten ist die Massenbelegung in kg/m2 anzugeben, üblicherweise wird sie jedoch in g/cm2 oder mg/cm2 gemessen. Die Massenbelegung berechnet sich zu

(1.28)

mit m der Atommasse, d der Dicke des Absorbers und n der Anzahl der Atome pro Volumseinheit. In der Praxis wird die Massenbelegung auch für Materialien mit unterschiedlichen Atomarten (Ionengitter, Molekülstrukturen, Legierungen…) verwendet, wobei die Proben einfach gewogen und durch ihre der Strahlung rechtwinkelig dargebotenen Flächen dividiert werden.

Die Massenbelegung wird vielfach auch für die Angabe von Reichweiten (z. B. 5,3 MeV α-Teilchen in Luft: Reichweite 4,7 mg/cm2) oder Halbwertsdicken (Abfall der Intensität auf die Hälfte, z. B. 662 keV γ-Strahlung in Blei: Halbwertsdicke 7 g/cm2) oder mittlere freie Weglängen verwendet.

1.8 Übungsaufgaben

Übungsaufgabe 1.1.235U und 238U kommen in der Natur im Verhältnis 1 : 140 vor. Man schätze aus diesem Verhältnis und den Halbwertszeiten (235U: 7,1 · 108 a, 238U: 4,5 · 109 a) das Alter der Materie ab unter der Annahme, dass beide Isotope ursprünglich im Verhältnis 1:3,1:1 und 3 : 1 gebildet wurden.

Übungsaufgabe 1.2. Man nehme an, dass die derzeitige Gesamtmasse von 226Ra (Halbwertszeit 1600 a) auf der Erde 100 Millionen Tonnen beträgt. Wie groß war die Gesamtmasse von 226Ra vor 4,5 · 109 a (kurz nach der Erdentstehung – Erdalter: 4.6 · 109 a)?

Übungsaufgabe 1.3. Es gibt einen internationalen 14C Standard zur Altersbestimmung nach der Radiokohlenstoffmethode, der der Aktivität des rezenten Kohlenstoffs im Bezugsjahr 1950 entspricht.

Die Aktivität in einer low-level Apparatur ergibt für den Standard eine (Brutto-)Zählrate von 11,2 Impulsen pro Minute (Imp/min). Der Leereffekt beträgt 1,7 Imp/min. Verschiedene zu untersuchende Proben ergeben die (Brutto-)Zählraten: 1,9, 6,1, 8,9, 10,0, 10,6 Imp/min. Wie groß ist das „konventionelle“ 14C-Alter der Proben, wenn eine über die Jahrhunderte konstante 14C Konzentration in der Erdatmosphäre angenommen und mit der Halbwertszeit von 5568 a für 14C gerechnet wird?

Anmerkung: Bei der Radiokarbondatierung wird international ein „konventionelles“ 14C-Alter berechnet, das auf das Jahr 1950 mittels einer Halbwertszeit von 5568 a (nach Libby) bezogen wird. Über Kalibrierkurven (konventionelles Alter gegen wahres Alter) lässt sich das tatsächliche Alter bestimmen, wobei in diesen Kalibrierkurven die unterschiedliche 14C-Konzentration der Atmosphäre über die Jahrhunderte berücksichtigt ist. Diese Kurven konnten vor allem durch die Untersuchung von Jahresringen alter Baumstämme erstellt werden (Dendrochronologie). Mittels dieser Kalibrierkurven ist es nicht nötig, die „richtige“ Halbwertszeit (5730 a) zur Berechnung heranzuziehen.

Übungsaufgabe 1.5. Das Element Samarium emittiert niederenergetische α-Teilchen mit einer Rate von 124 ± 5 Teilchen/(s g). Für diese Radioaktivität ist das Isotop 147Sm (Häufigkeit 15,0%) verantwortlich. Wie groß ist die Halbwertszeit von 147Sm?

Übungsaufgabe 1.6. Zufolge seiner langen Halbwertszeit von 1,28 · 109 a ist das Radioisotop 40K auch in natürlichem Kalium enthalten, und zwar mit einer Isotopenhäufigkeit von 0,0117 %. Wie groß ist die Kaliumaktivität eines durchschnittlichen Menschen (80 kg), der etwa 2 g Kalium pro kg Körpergewicht enthält?

Übungsaufgabe 1.7. Das Vorhandensein von 238U in Mineralien/Gestein ermöglicht die Abschätzung von deren Alter. Die vom Radioisotop 238U (Ordnungszahl 92) ausgehende Uran-Zerfallsreihe endet nach Bildung und Zerfall mehrerer Zwischenprodukte mit dem stabilen Bleiisotop 206Pb (Ordnungszahl 82). Die Halbwertszeiten der gebildeten Zwischenprodukte sind durchwegs um mehr als 4 Größenordnungen kleiner als die Halbwertszeit 4,5 · 109 a von 238U. Es kann daher in sehr guter Näherung angenommen werden, dass jedes zerfallene 238U-Atom ein 206Pb-Atom gebildet hat. Wie groß ist das Alter einer Gesteinsprobe, in der das Verhältnis 206P- zu 238U-Atome zu 0,6 gefunden wurde, wenn man annimmt, dass kein Blei vorhanden war als das Gestein gebildet wurde?

Übungsaufgabe 1.9. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein 5 MeV α-Teilchen durch eine Goldfolie (Au, Flächengewicht 1 mg/cm2) unter einem Winkel zwischen 10° und 11° gestreut wird (einfache Streuung und M m)?

1) Die γ-Übergangsenergie wird auf ein Hüllenelektron übertragen und dieses wird aus dem Atom emittiert. Damit ergibt sich die Energie der Konversionselektronen als Differenz von γ-Energie und atomarer Bindungsenergie des Elektrons.

2

Die statistische Natur des radioaktiven Zerfalls

Sei w die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kern in dem kleinen Zeitintervall Δ zerfällt. Diese Wahrscheinlichkeit ist proportional zur Größe von Δ, wobei die Proportionalitätskonstante eine Eigenschaft der betrachteten Kernsorte ist:

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