87,99 €
Die Nanotechnologie ist ein hochaktuelles, viel versprechendes interdisziplinäres Forschungsgebiet. Weltweit werden neue Institute gegründet, um Ressourcen zu bündeln und Anwendungen der Nanotechnologie in Materialforschung, Halbleitertechnik und Biophysik voranzutreiben. Der Druck auf Wissenschaftler und fortgeschrittene Studierende steigt, ihr vorhandenes Wissen auf dieses Gebiet anzuwenden bzw. sich spezifisches neues Wissen anzueignen. Dieses konzise Übersichtswerk in deutscher Sprache vermittelt Master-Studierenden und Doktoranden den aktuellen Stand nanotechnologischer Forschung in der Biophysik.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 305
Veröffentlichungsjahr: 2012
Contents
Vorwort
Beitragende Autoren
1 Kräfte in der Biologie
1.1 Woraus bestehen wir?
1.2 Kräfte und der menschliche Körper
1.3 Der große Bruder: Biomechanik
1.4 Molekulare Grundlagen biologischer Konstruktionen
1.5 Weiche und harte Materialien
1.6 Biologische und biomimetische Strukturmaterialien
1.7 Abnutzung von biologischen Strukturen
1.8 Thermodynamik und Mechanik in der Biologie im Nanometermaßstab
Literaturverzeichnis
2 Einführung in die Grundlagen der Mechanik
2.1 Elastische und plastische Verformung
2.2 Der Zusammenhang zwischen Spannung und Dehnung
2.3 Mechanisches Versagen von Materialien
2.4 Viskoelastizität
2.5 Mechanische Moduln von biologischen Materialien
2.6 Flüssigkeiten und Viskosität
2.7 Adhäsion und Reibung
2.8 Mechanisch geregelte Systeme
Literaturverzeichnis
3 Kräfte und Kraftmessung
3.1 Mechanische, thermische und chemische Kräfte
3.2 Die optische Pinzette
3.3 Das Rasterkraftmikroskop
3.4 Biomembranen als Kraftsonden
3.5 Magnetische Perlen
3.6 Gelsäulen
3.7 Blattfedern als Kraftsensoren
3.8 Die Geschwindigkeit der Belastung
3.9 Die Kraftklemmenmethode
3.10 Spezifische und unspezifische Kräfte
Literaturverzeichnis
4 Die Mechanik von Polymerketten
4.1 Polymere in der Biologie
4.2 Polymerketten
4.3 Der End-zu-End-Abstand
4.4 Die Persistenzlänge
4.5 Polymere in Lösung
4.6 Polymere auf Oberflächen
4.7 Polymere als biomimetische Materialien
4.8 Ziehen von Polymeren
Literaturverzeichnis
5 Wechselwirkungen
5.1 Kovalente und nichtkovalente Wechselwirkungen
5.2 Die Grundlagen der elektrostatischen Wechselwirkung
5.3 Verschiedene Arten von nichtkovalenten Kräften
5.4 Anwendung einer äußeren Kraft
5.5 Wechselwirkungen zwischen Makromolekülen
5.6 Wasser an Grenzflächen
Literaturverzeichnis
6 Wechselwirkungen zwischen einzelnen Molekülen
6.1 Ligand–Rezeptor-Wechselwirkungen
6.2 Zucker–Lektin-Wechselwirkungen
6.3 Antigen–Antikörper-Wechselwirkungen
6.4 Die Wechselwirkung zwischen GroEL und entfalteten Proteinen
6.5 Lipid–Protein-Wechselwirkungen
6.6 Die Verankerung von Proteinen an Membranen
6.7 Die Kartierung von Rezeptoren
6.8 Die Ablösung und Identifikation von Proteinen
6.9 Die Zerstörung von Membranen
Literaturverzeichnis
7 Die Mechanik einzelner DNA- und RNA-Moleküle
7.1 Dehnung doppelstrangiger DNA
7.2 Hybridisierung und mechanische Kräfte
7.3 Die Dynamik von DNA- und RNA-Ketten: Phasenübergänge
7.4 Wechselwirkungen zwischen DNA und Proteinen
7.5 Ausblick: Sequenzanalyse
Literaturverzeichnis
8 Die Mechanik einzelner Proteinmoleküle
8.1 Die Streckung von Proteinen
8.2 Proteinkerne
8.3 Streckung von modularen Proteinen
8.4 Dynamische Streckung
8.5 Die Fangbindung
8.6 Die Stauchung von Proteinen
8.6.2 Das Tataramodell
8.7 Innere Mechanik von Proteinmolekülen
8.8 Mechanische Steuerung der Proteinaktivität
8.9 Computersimulation der Deformation von Proteinen
8.10 Fallstudie: Carboanhydrase II
Literaturverzeichnis
9 Bewegung in der Nanobiologie
9.1 Zellbewegung und Strukturproteine
9.2 Muskel- und Motorproteine
9.3 Messungen an einzelnen Motorproteinen
9.4 Geißeln zur Fortbewegung von Bakterien
9.5 Die Gleitbewegung von Mykoplasmen
9.6 Der Wirkungsgrad von Motorproteinen
Literaturverzeichnis
10 Die Mechanik von Zellen
10.1 Formänderungen von roten Blutkörperchen
10.2 Membran und Zytoskelett
10.3 Die Verbindung der Membranproteine mit dem Zytoskelett
10.4 Deformation einer zweidimensionalen Membran
10.5 Die Helfrichtheorie der Membranmechanik
10.6 Zytoplasma und subzelluläre Strukturen
10.7 Mechanische Eindrückung und die sneddonschen Gleichungen
10.8 Die Mechanik der Deformation einer dünnen Platte
Literaturverzeichnis
11 Manipulation einzelner Moleküle
11.1 Zukunftsmusik: Praktische Anwendungen der Nanomechanik
11.2 Operationen an Zellen
11.3 Operationen an Chromosomen und Genmanipulationen
11.4 Operationen an Geweben
11.5 Liposomtechnologie
11.6 Freisetzung von Wirkstoffen
11.7 Gewinnung von DNA und RNA aus Chromosomen und Zellen
Literaturverzeichnis
12 Finite-Elemente-Analyse von mikroskopischen biologischen Strukturen
12.1 Einführung
12.2 Eine kurze Geschichte der Finite-Elemente-Methode
12.3 Die Finite-Elemente-Methode
12.4 Anwendung der FEM auf mikrobiologische Proben
12.5 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
A Grundzüge der linearen Mechanik nach Landau und Lifschitz
Literaturverzeichnis
B Die Mechanik von Balken
B.1 Biegung
B.2 Knickung
B.3 V-förmige Ausleger
Literaturverzeichnis
C Persistenzlänge und Kuhnlänge
D Das Hertzmodell
D.1 Punktlast
D.2 Verteilte Last
D.3 Zwei Kugeln im Kontakt
Literaturverzeichnis
E Farbtafeln
Index
Beachten Sie bitte auch weitere interessante Titel zu diesem Thema
Sarid, D.
Exploring Scanning Probe Microscopy with MATHEMATICA
2007
ISBN: 978-3-527-40617-3
Kumar, C. S. S. R. (Hrsg.)
Nanodevices for the Life Sciences
2006
ISBN: 978-3-527-31384-6
Kumar, C. S. S. R. (Hrsg.)
Nanosystem Characterization Tools in the Life Sciences
2006
ISBN: 978-3-527-31383-9
Reich, S., Thomsen, C., Maultzsch, J.
Carbon Nanotubes
Basic Concepts and Physical Properties
2004
ISBN: 978-3-527-40386-8
Bonnell, D. (Hrsg.)
Scanning Probe Microscopy and Spectroscopy
Theory, Techniques, and Applications
2001
ISBN: 978-0-471-24824-8
Autor
Prof. Atsushi Ikai
Innovation Laboratory
Tokyo Institute of Technology
Tokyo, Japan
Übersetzer
Dr. Michael Bär
Kapitel 2, 3 und 4 wurden mit Unterstützung von Herrn Carsten Heinisch, redaktor.de, übersetzt.
Originaltitel
The World of Nano-Biomechanics © 2008 Elsevier BV.
This first print edition of the work The World of Nano-Biomechanics, ISBN 9780444527776 by Atsushi Ikai is published by arrangement with ELSEVIER BV of Radarweg 29, 1043 NX Amsterdam, The Netherlands.
Titelbild
Schema der Gelsäulenmethode zur Kraftmessung zwischen einer sich bewegenden Zelle und den Oberseiten der Säulen (Abbildung Dr. Ichiro Harada).
1. Auflage 2010
Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
© 2010 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.
Print ISBN 9783527409549
Epdf ISBN 978-3-527-63101-8
Epub ISBN 978-3-527-63295-4
Mobi ISBN 978-3-527-65982-1
Vorwort
Die Nanobiomechanik, die diesem Buch seinen Titel gegeben hat, entwickelt sich derzeit schnell zu einer neuen und attraktiven Disziplin der Forschung auf molekularer Ebene. Sie bildet eine Brücke zwischen den Bio- und Ingenieurwissenschaften. Die Biomechanik ohne den Vorsatz „Nano“ ist bereits ein sehr aktives Gebiet, das sich überwiegend mit makroskopischen Bewegungen von und in Körpern und speziell mit der Dynamik der Blutströmung befasst. In der Nanobiomechanik werden viele erst vor kurzem entwickelte Geräte und Methoden zur Beobachtung und Manipulation einzelner Atome und Moleküle dazu verwendet, die Prinzipien der molekularen Wechselwirkungen zu verstehen, auf denen das Leben beruht. Ich selbst bin kein Physiker oder Ingenieur, sondern ein Biochemiker, den es in dieses aufregende Feld verschlagen hat und der sich für die Eigenschaften der Biomoleküle und Biostrukturen interessiert, die vor vier Milliarden Jahren dazu beigetragen haben, dass das Leben entstand, und die seine Ausbreitung seither so erfolgreich unterstützt haben.
Seit ich vor fast 20 Jahren anfing, mit der Rasterkraftmikroskopie zu arbeiten, habe ich in meiner eigenen Arbeit einige Probleme beim Wandeln zwischen den Welten von Biochemie und Material- oder Ingenieurwissenschaft erfahren. Ich musste einsehen, dass es eine Sache ist, zur Interpretation experimenteller Daten die gemessenen Größen durch Gleichungen mit den mechanischen Parametern eines Materials zu verknüpfen, aber eine ganz andere Sache, das Wesen dieser Gleichungen wirklich zu verstehen. In einer angewandten Wissenschaft werden bewährte Gleichungen aus verschiedenen Quellen entnommen und angewendet, was für einen Neuling immer wieder aufs Neue das Problem aufwirft, aus welchen Lehrbüchern er sich informieren kann, wenn er auf neue Gleichungen stößt. Dieses Buch soll hier eine Hilfestellung geben; es befasst sich ausschließlich mit den bewährten Resultaten der klassischen Mechanik, die bei der Messung der Materialeigenschaften von einzelnen Proteinen oder Zellen benötigt werden.
Dank der Entwicklung raffinierter neuer Instrumente, die eine Woge der Begeisterung unter Wissenschaftlern und Ingenieuren ausgelöst und die neue Disziplin der Nanotechnologie geschaffen haben, verschwinden einige der traditionellen Schranken zwischen biomedizinischer und physikalischer Forschung schnell, zumindest im Bereich der Erforschung einzelner Moleküle. Natürlich haben Physiker und Biologen unterschiedliche Herangehens- und Betrachtungsweisen, aber sie alle wollen das Verhalten von großen oder kleinen Molekülen verstehen oder neue Wege erforschen, diese durch direkte Berührung zu manipulieren.
Da biologische Makromoleküle nicht elektrisch leiten, läuft die biologische Informationsübertragung überwiegend mechanisch ab, durch direkte Kontakte von Atomen und Molekülen, nicht elektronisch wie bei Computern. Beispielsweise wird die Aktivität eines Enzyms in der Regel durch das Andocken und die Loslösung von Effektormolekülen an das bzw. von dem Enzym gesteuert. Ein Ligandenmolekül als Träger der extrazellulären physiologischen Information bindet an einen Membranrezeptor auf einer Zelle, der die Information auf mechanischem Weg an das Zellinnere weitergibt.
Beispiele wie diese gibt es in der Biologie im Überfluss. Sie alle verlangen, dass wir die Mechanik als ein wichtiges und unentbehrliches Werkzeug für ein Verständnis der Grundlagen der Biologie sowie die Entwicklung neuer Techniken zur Manipulation von Proteinen, DNA und Zellen akzeptieren und ernst nehmen. Eines der zahlreichen Ziele einer solchen Manipulation ist die Entwicklung neuer biomedizinischer Methoden.
Wenn wir die Mechanik als Werkzeug verwenden, um einzelne Moleküle zu manipulieren, dann müssen wir zumindest die Grundlagen der Mechanik von Materialien mit ihrer langen und bemerkenswerten Geschichte in der Physik und der Technik verstehen. Für viele von uns mit einem Hintergrund in Biologie, Molekularbiologie, Biochemie oder Chemie ist das Niveau der studentischen Ausbildung in Mechanik eher beschränkt, und es erfordert besondere Anstrengungen, die Funktionsprinzipien von Instrumenten für die Messung der mechanischen Eigenschaften von Materialien verstehen und die Ergebnisse solcher Messungen interpretieren zu können. Die meisten Veröffentlichungen in der Nanobiomechanik werden unter der Annahme geschrieben, dass die Leser mit der elementaren Mechanik sowie mit dem Hintergrund der für die Interpretation von Daten notwendigen Gleichungen vertraut sind. Es kostet viel Zeit (ist aber nicht unmöglich), sich die dazu benotigte Literatur aus einer großen Zahl von Lehrbüchern der Mechanik zusammenzusuchen und sich auf diesem Weg ein tieferes Verständnis der Gleichungen zu erarbeiten, für die Messung und Interpretation der Daten benötigt werden.
Dieses Buch ist im Wesentlichen eine Sammlung von grundlegenden Gleichungen aus der makroskopischen Kontinuumsmechanik, die notwendig sind, um aktuelle Arbeiten aus der Biomechanik im Nanometer- und Nanonewton-Maßstab zu verstehen. Ich habe versucht zu erklären, wie solche Gleichungen aus den grundlegenden Prinzipien der linearen Mechanik abgeleitet werden, in der Hoffnung, dass dieses Buch denjenigen Zeit sparen und Arbeit abnehmen wird, die neu auf diesem Gebiet und auf der Suche nach einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Grundlagen der klassischen Mechanik sind. Das Thema dieses Buches ist hauptsächlich die statische Mechanik, daher werden Themen wie Viskoelastizität, Fluiddynamik und nichtlineare Mechanik, die auch in der Nanobiomechanik wichtig sind, nicht oder nur kurz behandelt. Für weitergehende Einführungen in diese Gebiete verweisen wir auf die einschlägigen Lehrbücher. Manche Leser werden dieses Buch zu elementar oder auch zu mathematisch finden, weil ich versucht habe, möglichst viele (auch elementare) Herleitungen anzugeben, um allen, die bisher weniger mit der Mechanik vertraut sind, das Wesen von Gleichungen nahe zu bringen und ihnen die Gelegenheit zu geben, mit der Denkweise der Mechanik vertraut zu werden.
Wie bereits gesagt liegt der Schwerpunkt des Buches auf den Grundlagen der Mechanik, daher sind die Anwendungsbeispiele keineswegs erschöpfend; das sollen sie auch nicht sein. Ich muss mich bei vielen Autoren wichtiger Arbeiten entschuldigen, weil ich sie in diesem Buch nicht zitiert habe. Die aufgeführten Beispiele sollen eher dazu dienen, Grundideen zu veranschaulichen und mechanische Prinzipien auf die Untersuchung von biologischen Makromolekülen und daraus aufgebauten Strukturen anzuwenden. Viele der Beispiele stammen aus dem Laboratory of Biodynamics des Tokyo Institute of Technology, an dem ich selbst arbeite. Mein besonderer Dank gilt den Verlagen und Autoren, die mir großzügig erlaubten, Abbildungen aus ihren Veröffentlichungen zu verwenden.
Ich würde mich gerne bei vielen Freunden und Kollegen bedanken, die mich beim Schreiben dieses Buches unterstützt haben; besonders danke ich R. Afrin für ihre Fallstudie zur Carboanhydrase II in Kapitel 8 und S. Kasas, T. Gmür und G. Dietler, die freundlicherweise Kapitel 12 über die Anwendung der Finite-Elemente-Methode beigetragen haben. Weiter danke ich H. Sekiguchi und I. Harada, die einige der Abbildungen erstellt haben, M. Miyata für eine Originalfotografie von Mycoplasma, R. Afrin, A. Yersin und H. Sekiguchi für das Probelesen des Manuskripts und schließlich A. Itoh für den Entwurf des Umschlags. Für die im Buch verbleibenden Fehler und unzulänglichen Erklärungen bin ich allein verantwortlich; ich freue mich über Anmerkungen und Kommentare von interessierten Lesern (per E-Mail an [email protected]).
Weiterhin danke ich neben vielen anderen vor allem O. Nishikawa, S. Morita und M. Tsukada, die mich in das Feld der Nanomechanik von Atomen und Molekülen eingeführt und mich ermutigt haben, meine Arbeit auf diesem Gebiet fortzusetzen. Ich bedanke mich auch bei meinen früheren und gegenwärtigen Kollegen und fortgeschrittenen Studenten, mit denen mich eine ausgezeichnete Zusammenarbeit bei der Aufklärung der Natur von Biomakromolekülen und biologischen Strukturen verband und noch verbindet.
Schließlich möchte ich mich bei Kristi Green, Donna de Weerd-Wilson, Ezhilvijayan Balakrishnan und Erik Oosterwijk bei Elsevier bedanken, die sich der Herstellung dieses Buches annahmen und mir eine große Hilfe waren.
Atsushi Ikai
Beitragende Autoren
Rehana Afrin
Tokyo Institute of Technology, Graduate School of Bioscience and Biotechnology, Department of Life Science, Laboratory of Biodynamics, 4259 Nagatsuta, Midori-Ku, Yokohama 226–8501, Japan
Sandor Kasas
Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, Laboratoire de physique de la matière vivante, 1015 Lausanne, Schweiz, undUniversité de Lausanne, Département de Biologie Cellulaire et de Morphologie, Bugnion 9, 1005 Lausanne, Schweiz
Thomas Gmür
Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, Département de mécanique appliqué et d’analyse de fiabilité, 1015 Lausanne, Schweiz
Giovanni Dietler
Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, Laboratoire de physique de la matière vivante, 1015 Lausanne, Schweiz
Das zentrale Thema dieses Buches wird die Frage sein: „Aus welchen Materialien bestehen wir?“ Verglichen mit vielen – natürlichen oder künstlichen – unbelebten Objekten in dieser Welt ist unser Körper weich und zerbrechlich. Warum ist unser Körper nicht so hart, dass bei einem Autounfall das Auto zerstört wird, während wir unverletzt überleben? Oder wenn das schon nicht möglich ist, weil unser Körper auf dem organisierten Zusammenwirken einer großen Zahl von Molekülen beruht, können wir dann wenigstens irgendwann die Montage und Demontage dieser Moleküle so weit kontrollieren, dass wir sie wieder zusammenbauen können, wenn unser Körper durch Verletzungen beschädigt ist? Die gezielte Manipulation von Atomen, Molek ülen, Zellen und Geweben in unserem Körpers ist das Thema der „ Nanobiomechanik“ . Damit wir die Bestandteile unseres Körpers in einer entfernten Zukunft manipulieren können, müssen wir die physikalischen Eigenschaften der Materialien kennen, die ihn ausmachen. Da der Körper eher einem mechanischen als einem elektronischen Gerät ähnelt, untersuchen wir folglich die mechanischen Eigenschaften seiner Komponenten, also der Proteine, der Nukleinsäuren, der Polysaccharide, der Lipidgewebe, der Biomembranen und Zellen usw. Dabei setzen wir die modernsten Techniken ein, die uns gegenwärtig zur Verfügung stehen. Es ist eine wichtige Tatsache, dass die häufigsten Bausteine des Körpers – die Proteine – elektrisch nichtleitend sind. Die Informationsübertragung innerhalb und zwischen Proteinstrukturen erfolgt daher hauptsächlich durch mechanische Deformationen.
Da jede mechanische Manipulation durch Anwendung einer Kraft auf die betreffenden Objekte erfolgt, werden wir im ersten Kapitel den Begriff der Kraft in unserer Alltagserfahrung erforschen. Kraft ist etwas, was wir fühlen können, und daher ein vertrauteres Konzept als thermodynamische Funktionen wie Enthalpie oder Entropie. Dieses Buch befasst sich mit der Wirkung von Kräften im Kleinen, weil wirüber Atome und Moleküle und schließlichüber lebende Zellen sprechen werden, die weniger als 1 mm groß sind. Atome sind aus Protonen, Neutronen und Elektronen aufgebaut; sie sind sehr stabil und zerbrechen in unserem Körper nicht (abgesehen von einem winzigen Anteil von Radioisotopen). Moleküle sind Gruppen von Atomen, die durch kovalente Bindungen zusammengehalten werden und die ebenfalls ziemlich stabil und schwierig zu zerstören sind, aber doch viel leichter als Atomkerne. Moleküle können von einer Form in eine andere umgewandelt werden, indem kovalente Bindungen geschaffen, gebrochen oder ausgewechselt werden, häufig mithilfe eines Katalysators. Ein viel zitiertes Beispiel ist die industrielle Umwandlung von Stickstoffgas in Ammoniak mithilfe von Katalysatoren. In lebenden Organismen sind mehrere zehntausend Katalysatoren damit beschäftigt, aus Nahrungsmitteln die Gewebe unseres Körpers aufzubauen und die Energie zu gewinnen, die wir brauchen, um zu leben.
Die Katalysatoren in unserem Körper werden Enzyme genannt. Eines von ihnen, die Invertase, bindet beispielsweise ein Zuckermolekül und wandelt es in Glukose und Fructose um, indem es die kovalente Bindung spaltet, die die beiden im ursprünglichen Zuckermolekül verbindet. Ein spezifisches Substratmolekül aus den Millionen ähnlich aussehender Moleküle gezielt binden zu können, ist der entscheidende erste Schritt für ein Enzym. Die Bindung wird in diesem Fall durch schwächere Kräfte bewirkt, die mit so genannten nichtkovalenten Wechselwirkungen oder nichtkovalenten Bindungen zusammenh ängen. Alle Handlungen und Bewegungen unseres Körpers sind das Resultat dieser nichtkovalenten Wechselwirkungen zwischen Zehntausenden von Molekülen in unserem Körper. In den folgenden Kapiteln werden wir die Arten von Wechselwirkungen untersuchen, die auf molekularer Ebene in lebenden Organismen wirken. Leben bedeutet Bewegung und Aktivität. Um dazu in der Lage und dabeimöglichst effizient zu sein haben Organismen viele raffinierte Mechanismen entwickelt, die hauptsächlich auf Proteinen, Nukleins äuren, Lipiden und Kohlenhydraten beruhen. Wir werden die grundlegende Natur der so geschaffenen Mechanismen und ihrer Bestandteile auf molekularer Ebene untersuchen.
Wir fühlen die Schwerkraft der Erde, weil wir mit unserem großen und schweren Körper in Luft leben, die eine viel geringere Dichte hat als unser Körper. Würden wir wie Wale und Fische im Wasser leben, spürten wir die Schwerkraft viel weniger, weil die Kraft der Gravitation größtenteils durch den Auftrieb im Wasser kompensiert würde. Wenn wir nun zu viel kleineren Maßstäben übergehen, lernen wir ein Leben ohne Schwerkraft kennen. Bakterien schwimmen beispielsweise frei herum, ohne viel von der Schwerkraft zu spüren. Ihr Leben ist viel stärker von der Viskosität des Wassers bestimmt. Weil ihr Körper so klein ist,überwiegt der Viskositätseffektüber die Wirkung der Massenträgheit. Die Reynoldszahl Re gibt eine Abschätzung der relativen Bedeutung von Trägheit und Zähigkeit:
(1.1)
wobei ρ, R, v und η die Dichte, die charakteristische Größe und die Geschwindigkeit des bewegten Körpers und der Viskositätskoeffizient von Wasser sind. Wenn die Reynoldszahl kleiner als etwa 2 000 ist, ist das Strömungsmuster um den bewegenden Körper glatt ohne jede Turbulenz und wird laminare Strömung genannt. Für Re > 2000 ist die Strömung dagegen turbulent. In beiden Fällen spürt der bewegte Körper erstens einen Trägheitswiderstand, weil er eine Wassermasse beiseite schieben muss, und zweitens einen viskosen Widerstand durch das Wasser an seiner Oberfläche. In einer turbulenten Strömung spürt der bewegte Körper aufgrund von Wirbeln außerdem eine Zugkraft. Die Kraft auf eine Kugel mit dem Radius r in einer laminaren Strömung ist durch das stokessche Gesetz gegeben, wobei f, η und v der Reibungskoeffizient, die Viskosität der Flüssigkeit und die Geschwindigkeit der Kugel sind:
(1.2)
Von dieser Kraft stammen etwa 2/3 aus der Viskosität und 1/3 vom Druckeffekt des Wassers. Für ein Bakterium mit einem Durchmesser von etwa 1 μm, das mit einer Geschwindigkeit 1 μm pro Sekunde in Wasser schwimmt, ist die Kraft etwa 0.02 pN, was ziemlich klein im Vergleich zu der durch das Geißelsystem des Bakteriums erzeugten Kraft ist. Auf einer Skala von Mikro- oder Nanometern ist die Viskosität wichtiger als die Trägheit oder die Kraft aufgrund von Wirbeln in der Flüssigkeit, sodass die Kraft auf die Kugel nach dem stokesschen Gesetz berechnet werden kann. Der Reibungskoeffizient muss je nach der Form des bewegten Körpers verändert werden. Reibungskoeffizienten für nicht kugelförmige Körper können näherungsweise durch die von Garcia de la Torre entwickelte Methode [1, 2] berechnet oder durch numerische Anpassung an analytische Ausdrücke für abgeplattete oder verlängerte Ellipsoide [3, 4] erhalten werden. Nach [1] kann man einen Näherungswert für den Reibungskoeffizienten eines beliebig geformten Gegenstands erhalten, indem man die Form des Gegenstands durch Kugeln mit den Radien Ri in Abständen rij von den Zentren anderer Kugeln mit den Radien Rj aufbaut und die folgende Gleichung verwendet:
(1.3)
Nach dieser Methode bestimmte Ikai den Reibungskoeffizienten von komplexen Proteinen [5].
Die hydrodynamische Kraft auf Mikroorganismen und Moleküle ist recht klein; sie ist jedoch ein wichtiger Faktor, um ihr Verhalten verstehen zu können.
Die Biomechanik untersucht die Wirkung von verschiedenen Arten von Kräften auf makroskopische biologische Strukturen. Durch ausgefeilte Analysen auf der Grundlage einer mathematischen Formulierung der Mechanik kann man die Reaktion biologischer Strukturen auf äußere Kräfte verstehen. Umfassende Abhandlungen dazu sind in der Literatur [6, 7] zu finden.
Die Reibungskoeffizienten eines Zylinders mit der Länge L und dem Radius r in einer laminaren Strömung sind in Tabelle 1.1 angegeben. Die Indizes geben an, ob die Strömung und der Zylinder parallel oder senkrecht zueinander angeordnet sind [3].
Die Biomechanik selbst hat eine lange Geschichte. Dieser Zweig der Wissenschaft befasst sich mit den mechanischen Grundlagen der Funktion und der Bewegung unseres Körpers und somit vor allem mit makroskopischer Mechanik. Ihre Grundlage ist die hoch entwickelte theoretische und experimentelle Mechanik mit ihrer langen Geschichte hervorragender Grundlagenforschung und zahlreichen nützlichen Anwendungen z. B. im Bauwesen und der Werkstoffkunde. Obwohl sie ursprünglich ein Zweig der technischen Mechanik ist, wurden auch viele Arbeiten gerade im Bereich der medizinischen Anwendungen wie z. B. der Sport-und Rehabilitationsmedizin veröffentlicht, und es arbeiten Wissenschaftler aus vielerlei Disziplinen auf diesem Gebiet. Sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Industrie stößt die Biomechanik auf großes Interesse; der World Congress of Biomechanics ist eine gut besuchte Veranstaltung (zuletzt 2006 in München). Dort wurde eine Vielfalt von Themen diskutiert wie z. B. die Mechanik der Muskelkontraktion, der Blutfluss, die Organentwicklung, die Wirkungen von Verletzungen, künstliche Gliedmaßen, Sportmedizin und seit kurzem auch die Mechanik der Moleküle und Zellen in unserem Körper. Nanobiomechanik kann als Kind der Biomechanik aufgefasst werden, in dem Sinn, dass sie sich mit der Wirkung von Kräften auf Biomoleküle und Biostrukturen befasst, die in der Größenordnung von Nanometern bzw. Nanonewton liegen. Das Prinzip der Mechanik ist in der Biomechanik und in der Nanobiomechanik dasselbe, aber die Methoden zur Messung einer kleinen Kraft und ihrer Wirkung auf Biosysteme unterscheiden sich von denjenigen, die in der makroskopischen Biomechanik zum Einsatz kommen. Die klassische Mechanik befasst sich hauptsächlich mit Materialien, die homogen zusammengesetzt und deren Abmessungen groß im Vergleich zu einer Messsonde sind. Eine umfassende Behandlung der Biomechanik ist bei Fung [6] zu finden.
Tabelle 1.1 Reibungskoeffizienten von verschiedenen Körpern in einer laminaren Strömung.
Die Entwicklung von verschiedenen physikalischen Methoden zur Messung kleiner Kräfte und Verschiebungen hat Wissenschaftler auf den Gebieten Biomakromoleküle und Zellstrukturen dazu ermuntert, die Beziehung zwischen der angewandten Kraft und der Deformation zu untersuchen, die in ihren Proben auf molekularem Niveau auftritt (Spannungs-/Dehnungs- Beziehung). Indem wir solche Beziehungen experimentell untersuchen und theoretische Vorhersagen anwenden, können wir mechanische Parameter be stimmen, die für die Materialeigenschaften der Probe charakteristisch sind. Dank der technologischen und theoretischen Fortschritte in der Nanowissenschaft und der Nanotechnologie können wir heute ein einzelnes Proteinmolekül anstoßen und/oder ziehen, um die Kraft zu bestimmen, die wir benötigen, um es von einem kompakten Kügelchen zu einer linear ausgedehnten Schnur zu entfalten. Die resultierenden Kurven geben uns viele Informationenüber die Starrheit und Zugfestigkeit der intramolekularen Struktur. Ein ähnliches Experiment ist auch mit einem einzelnen DNA-Strang möglich – mit dem genetischen Material selbst. Mit dieser Methode konnte der Mechanismus aufgeklärt werden, nach dem sich DNA mit einer Gesamtlänge von etwa 1 m in einen Zellkern mit einem Durchmesser von einigen Mikrometern faltet.
Tabelle 1.2 Mechanische Parameter, die in diesem Buch verwendet werden. Anmerkung: Formelzeichen in Klammern sind häufig verwendete alternative Ausdrücke.
Parameter
Zeichen
Effekt
Elastizitätsmodul, Young-Modul
Y
, (
E
)
Dehnung und Kompression
Torsionsmodul, Schubmodul
G
, (
μ
)
Verformung durch Scherspannung
Poissonzahl, Querdehnzahl
ν
, (
σ
)
Dickenänderung bei Dehnung
Kompressionsmodul
κ
Kompression bei isotropem Druck
Torsionssteifheit
Τ
Verdrehung
Biegesteifheit
YI
, (
EI
)
Verbiegung
In diesem Buch werden die Materialeigenschaften von biologischen Makromolekülen aus ihnen zusammengesetzten Strukturen erklärt. In Tabelle 1.2 sind einige der hierfür relevanten Parameter mit kurzen Anmerkungen vorgestellt.
Das Grundprinzip biologischer Konstruktionen ist, dass alles „bottom up“ aus Molekülen aufgebaut wird, d. h. alle makroskopischen Bauteile des Körpers werden mithilfe von molekularen Wechselwirkungen direkt aus Molekülen zusammengefügt. Da es für diese Aufgabe keine geeigneten Bauarbeiter gibt, hilft sich unser Körper mit dem Prinzip der Selbstmontage (engl. self-assembly) der einzelnen Moleküle. Um einen Vergleich zu bemühen: Ein Kran auf einer Baustelle ist aus einer relativ kleinen Zahl möglichst starrer und steifer makroskopischer Bauteile mit einem vorgegebenen Design aufgebaut, die von einem Team von Monteuren oder Robotern zusammengefügt werden. Seine Beweglichkeit beruht auf einer relativ kleinen Zahl flexibler Gelenke, und seine Bewegungen werden durch die Kraft eines zentralen Elektromotors angetrieben, dieüber Kabel verteilt wird. Der menschliche Arm führt eine ähnliche Aufgabe aus wie ein Kran, nur auf einem kleineren Maßstab, aber seine Bewegung wird direkt durch eine Ansammlung von Muskelzellen kontrolliert und die Kraft wird direkt von der molekularen Bewegung von Proteinfilamenten in der Zelle erzeugt. In dieser Weise beruhen biologische Systeme auf den dynamischen Wechselwirkungen einer großen Zahl von Molekülen, vor allem Proteinen. Proteine sind lineare Polymere aus zwanzig Arten von Aminos äuren, die zu speziellen dreidimensionalen Anordnungen zusammengefaltet werden, sodass sie optimal für ihre jeweilige Funktion programmiert sind.
Auf molekularer Ebene wirken Proteine als Enzyme, Antikörper, Rezeptoren, Kanäle, Inhibitoren und Hormone, und in organisierten Ansammlungen bilden sie Mikrotubuli, Muskelfilamente, Sehnen, Knochen, Zähne, Haare oder Seidenfasern, um nur einige zu nennen. Es sind Tausende von Enzymen bekannt, von denen jedes eine spezifische Reaktion katalysiert, sodass Tausende von biochemischen Reaktionen kontrolliert ablaufen, um den jeweiligen Organismus am Leben zu erhalten. Wie oben angedeutet hat ein Enzym die Fähigkeit, genau eine Art von Molekül, das so genannte Substrat, aus Millionen von anderen an sein aktives Zentrum zu binden und eine notwendige Veränderung an diesem Molekül auszuführen. Das Andocken eines Substrats an das aktive Zentrum ist der erste Schritt der Enzymkatalyse. Dieses Andocken ist im Prinzip ein mechanischer Prozess in dem Sinn, dass das Substrat durch mechanisch gesteuerte Prozesse angezogen und zum aktiven Zentrum geleitet wird. Und wenn das Substrat schließlich am aktiven Zentrum des Enzyms angekommen ist, verändert sich die dreidimensionale Anordnung des Enzyms, um das Substrat in sein aktives Zentrum aufzunehmen, wobei es dieses zwingt, auch seine Konformation etwas aus der stabilsten Anordnung zu verzerren, vor allem in dem Bereich um die zu brechende(n) Bindung(en). Diese verzerrte Konformation ähnelt schon dem aktivierten Zustand des Substrats entlang des Reaktionsweges, der zu dem gewünschten Produkt führt. Das gebundene Substrat sitzt somit’aktiviert’ im aktiven Zentrum des Enzyms. Diese Aktivierung wird ohne Temperaturerhöhung erreicht, aber auf Kosten der Bindungsenergie an das aktive Zentrum. Das aktive Zentrum des Enzyms besitzt an strategischen Positionen funktionelle Gruppen aus Aminos äure-Seitenketten, um das Substrat in eine Anordnung zu bringen, die seinem aktivierten Zustand ähnelt, und so die Konversion vom Reaktanten zum Produkt unter milden Bedingungen zu erleichtern. Im aktivierten Zustand liegt das Substrat in der Regel in einer mechanisch gespannten Konformation vor, und das Enzym muss starr genug sein, um diese Spannungüber eine angemessene Zeit aufrechtzuerhalten, während der die Reaktion mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ablaufen kann.
Bindung – genauer gesagt spezifische Bindung – ist ein wichtiges und zentrales Thema in der Biochemie. Viele Proteine arbeiten mit anderen Molekülen zusammen und wiederholen immer wieder dieselben Prozesse von Bindungsbildung und -bruch. Wenn die bindenden Moleküle klein sind, nennt man sie Liganden und das Protein heißt Rezeptor; häufig sind die Liganden aber auch bestimmte Teile von Makromolekülen wie z. B. DNA, Proteinen oder Polysacchariden. In diesen Fällen nennt man die Makromoleküle ebenfalls Liganden. Antikörper sind ein Beispiel für Bindungsproteine ohne katalytische Funktion. Sie bilden eine Familie von eng verwandten Proteinen mit einer gemeinsamen dreidimensionalen Struktur, aber jedes von ihnen besitzt eine besondere Affinität zu einem spezifischen Ligandenmolekül, dem so genannten Antigen. Das Antigen, das an einen Antikörper bindet, entspricht dem Substrat, das an ein Enzym bindet, aber weder aktivieren Antikörper ihre Liganden noch katalysieren sie ihre Umwandlung in andere Moleküle. Lerner [8] versuchte erfolgreich, die Anordnung von Aminosäuren um die Bindungsstelle eines Antikörpers so zu modifizieren, dass er den gebundenen Liganden aktiviert; ein solcher zum Enzym verwandelter Antikörper wird katalytischer Antikörper oder Abzym genannt. Eine aktuelle Übersicht über katalytische Antikörper ist in [9] zu finden.
Ein Antikörper hält das Antigen in seinem stabilen Grundzustand und bildet durch seine di- oder multivalente Bindungsfähigkeit ein dreidimensionales Gel. Dieses Gel hilft dem Körper bei der Beseitigung von körperfremden Antigenen durch Aktivierung des Immunsystems mithilfe von Fresszellen wie z. B. Makrophagen. Die Bindung von Antigenen und die Entstehung eines dreidimensionalen Netzes von Antikörper–Antigen-Komplexen sind größtenteils durch die Thermodynamik des Systems bestimmt, aber auch die mechanische Stabilität des Systems ist ein wichtiger Faktor für die Haltbarkeit des Netzes im Blut.
Eine andere prominente Gruppe von Bindungsproteinen sind die Rezeptorproteine, die häufigüber stark hydrophobe Transmembransegmente, die sich mit der Kohlenwasserstoffschicht der Phospholipidmembran verbinden, in der Zellmembran verankert sind. Diese Proteine werden intrinsische oder integrale Membranproteine genannt; sie besitzen in der Regel extrazelluläre und intrazelluläre Segmente an den beiden Enden des membranübergreifenden Segments. Die Bindung von Liganden erfolgt meist auf der extrazellulären Seite, gelegentlich aber auch auf der intrazellulären Seite. Die Liganden binden dabei an einen spezifischen Rezeptor, um physiologische Informationen von anderen Teilen des Körpers zuübermitteln, z. B. um die biochemische Aktivit ät bestimmter Arten von Zellen an einen neuen metabolischen Zustand des Körpers anzupassen. Die Bindung eines Liganden an die extrazelluläre Bindungsstelle des Rezeptors muss daher dem intrazellulären metabolischen System durch eine Konformationsänderung oder den Aggregationsstatus des Rezeptorsübermittelt werden.
Die Strukturen der biologischen Welt werden durch Selbstmontage einer großen Zahl gleicher oder unterschiedlicher Moleküle aufgebaut, nicht durch Zusammenbau makroskopischer Bauteile aus festen Materialien wie Metallen und/oder Kristallen. Die Atome in Metallen und Kristallen sind durch starke metallische oder kovalente Bindungen verknüpft, wohingegen die Bindung zwischen Biomolekülen gewöhnlich durch viel schwächere Wechselwirkungen vermittelt wird, die so genannten nichtkovalenten Bindungen. Sie werden häufig gar nicht als „Bindungen“ bezeichnet, sondern als nichtkovalente „Wechselwirkungen“ . Zwar werden Atome in Molekülen durch starke kovalente Bindungen zusammengehalten, aber die Zahl von Atomen innerhalb selbst eines Makromoleküls beträgt gewöhnlich nicht mehr als einige zehntausend, höchstens einige Millionen, wohingegen zum Aufbau auch nur einer Fingerspitze in der Größenordnung von 1020 Atome gebraucht werden – zig Milliarden mehr als die Zahl der Atome in einem Molekül. Daher wird unser Körper von einer großen Zahl von schwachen Wechselwirkungen zwischen winzigen Bausteinen, den Biomolekülen, zusammengehalten.
Die Weichheit und Flexibilität unseres Körpers ermöglicht uns, viele Millionen unterschiedlicher Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen einzunehmen, die in Robotern noch sehr schwierig zu reproduzieren sind. Roboter bestehen aus Metallen, Plastik und amorphen Materialien – festen makroskopischen Baustoffen. Die motorischen Fähigkeiten von Robotern sind durch die Größe ihrer Komponenten und die Stärke der Verbindungen zwischen ihnen festgelegt. Da die Bestandteile eines Roboter „körpers“ Abmessungen in der Größenordnung einiger Zentimeter haben und die Stärke der Verbindungen zwischen ihnen in der Größenordnung von einigen Newton liegt, laufen ihre Bewegungen im Zentimetermaßstab gleichmäßig ab, aber nicht im Mikrometermaßstab. Menschliche Körperbewegungen erscheinen im Vergleich dazu fast perfekt, vor allem wenn man junge und trainierte Menschen wie die Spitzensportler bei Olympischen Spielen betrachtet.
Der Nachteil unseres weichen und flexiblen Körpers ist seine Verletzlichkeit, die sich z. B. beim Aufprall auf harte Objekte wie Felsen oder Autos offenbart. Bei einem Autounfall ist es fast immer der menschliche Körper, der zerstört wird. Um diesen Nachteil zuüberwinden und unseren Körper widerstandsf ähiger gegen heftige Zusammenstöße mit harten Objekten zu machen, schufen unsere Vorfahren fastüberall auf der Welt Harnische aus kleinen Metallstücken, Leder, starken Fasern usw., wenn auch das genaue Design von Ort zu Ort unterschiedlich war. Sie schützten den Körper bis zu einem gewissen Grad, allerdings mit bedauerlichen Kompromissen in Hinblick auf die Anmut der Bewegungen.
Wir verstehen nun, warum unser Körper nicht aus starren Armen und Drähten gebaut ist, wie wir sie bei Kränen auf einer Baustelle sehen. Muskeln bestehen aus Milliarden von Milliarden von Proteinmolekülen – Myosin und Aktin –, die zu sehr dünnen, aber noch molekülgroßen, Fasern gebündelt werden. Die Wechselwirkungen zwischen Myosin und Aktin betragen zwischen null und einigen Pikonewton (10−12 N). Eine Kraft von 1 N ist das Gewicht von 100 mL Wasser auf unserer Hand. Ein Pikonewton ist ein billionstel Newton, d. h. wir bräuchten wenigstens 1012 Myosin/Actin-Wechselwirkungen, um 100 mL Wasser zu heben. Wenn wir die Zahl der Myosin/Actin-Wechselwirkungen variieren, können wir die Kraft fast kontinuierlich verändern.
Während die Weichteile von biologischen Strukturen gewöhnlich aus Proteinen, Lipiden und Kohlenhydraten bestehen, sind die harten Teile wie Knochen, Schalen oder Schuppen meist Verbundwerkstoffe aus anorganischen und organischen Materialien. Säugetierknochen bestehen aus Calciumphosphat im Komplex mit dem Protein Kollagen; Schalen von Austern und anderen Schalentieren aus Calciumcarbonat im Komplex mit dem Protein Conchiolin. Die Panzer von Krebsen bestehen aus dem starren Polysaccharid Chitin, komplexiert mit Calciumionen. Das Konstruktionsprinzip solcher biologischen harten Materialien ähnelt dem von Baumaterialien, die wir Menschen bei unseren Bauwerken einsetzen, z. B. Beton.
Die charakteristischen Eigenschaften von lebenden Organismen finden wir jedoch am ehesten in den Weichteilen wie Muskeln, Herz, Leber, Haut und Gehirn. Da die auffälligsten Bestandteile der Weichteile Proteine sind, wollen wir sie kurz durch die Brille der Materialwissenschaft betrachten. Protein ist uns am vertrautesten in Form von Fleisch. Fleisch ist der weiche Bestandteil des Körpers von Tieren, auch Säugetieren, und hat eine sehr ähnliche Textur wie unser Körper. Proteine sind im Inneren der Zellen eingeschlossen, die im Prinzip nicht weiter als Beutel aus Phospholipid-Doppelschichtmembranen sind, wie Abbildung 1.1 schematisch zeigt.
Die Phospholipid-Doppelschicht ist etwa 5 nm dick und ist für Wasser und viele unpolare Moleküle durchlässig, aber undurchlässig für Ionen. Dieser kleine Beutel aus Phospholipid-Doppelschichten ist dadurch in der Lage, eine heterogene Umgebung in einem ansonsten homogenen Medium zu erzeugen. Innerhalb der Umhüllung aus Phospholipid-Doppelschichten sind die häufigsten Makromoleküle viele Tausende von unterschiedlichen Proteinen mit jeweils spezifischen Funktionen. Die Eigenschaften jedes Proteins werden durch die Zahl der Aminosäurereste bestimmt, die kovalent zu einem Polymermolekül verknüpft sind, sowie durch ihre Reihenfolge von einem Ende des Moleküls bis zum anderen. Diese Anordnung der Aminosäurereste wird Aminosäuresequenz genannt; sie bewirkt eine spezifische biologische Funktion. Somit ist jedes Polymer mit einer bestimmten Sequenz ein eigenes Protein und bekommt daher einen eigenen Namen. Alle Aminos äuren besitzen eine Amino- und eine Carboxylgruppe an ihrem zentralen α-Kohlenstoffatom, wie Abbildung 1.2 zeigt. Die restlichen Valenzen des α-Kohlenstoffatoms werden durch ein Wasserstoffatom und die Seitenkette besetzt. Alle Aminosäuren, die die Aminogruppe auf dem α-Kohlenstoffatom tragen, werden α-Aminosäuren genannt. Das α-Kohlenstoffatom ist ein chirales Zentrum; alle natürlich vorkommenden Aminosäuren besitzen an diesem Zentrum L-Konfiguration. Nach den unterschiedlichen Seitenketten unterscheidet man 20 Gruppen von Aminosäuren, die jedoch alle dieselbe Struktur um das zentrale α-Kohlenstoffatom besitzen. Theoretisch gibt es unendlich viele α-Aminosäuren, aber in lebenden Organismen kommen nur 20 (bis 22) davon vor, die die Proteine in den Zellen aufbauen.
Abbildung 1.1 Schematischer Querschnitt durch eine tierische Zelle. Nur Hauptorganellen im Zytoplasma sind gezeigt. Für eine farbige Version der Abbildung siehe Anhang E.
Abbildung 1.2 Die Struktur einer L-α-Aminosäure. Es gibt 20 (nach neueren Ergebnissen 22) Arten von Seitenketten, die die lebenswichtigen Eigenschaften von Zehntausenden unterschiedlicher Proteine hervorbringen.
Proteine werden in der Zelle als lineare polymere Kette synthetisiert, deren Aminosäuresequenz durch den in der DNA des Genoms gespeicherten genetischen Code bestimmt wird. Die Hauptfunktion des Genoms ist, die Aminos äuresequenzen von mehreren zehntausend unterschiedlichen Proteinen zu speichern und es der Zelle zu ermöglichen, die gespeicherte Information auszulesen, um Kopien der gerade benötigen Proteine zu produzieren. Die gespeicherte Information wird in Form von mRNA (Boten-RNA, engl. messenger RNA) innerhalb des Kerns ausgelesen und ins Zytoplasma transportiert. Die Proteinsynthesefabrik im Zytoplasma ist das Ribosom, das aus einer kleinen und einer großen Untereinheit besteht, von denen jede wieder aus verschiedenen Arten von RNA und Proteinen aufgebaut ist. Ribosomen verknüpfen die Aminosäuren gemäß der in den mRNA enthaltenen Anweisungen, wobei sie die Energie aus energiereichen Phosphatbindungen beziehen. Am Ende der Polymerisation in den Ribosomen liegen die Proteine als lineare Kette aus Hunderten oder Tausenden von Aminosäureresten vor – ein Polypeptid ohne jede biologische Funktion. Was den neugeborenen Polypeptiden eine biologische Funktion gibt, ist die so genannte Faltung.
Nach der Biosynthese hat das Polypeptid ein paar Sekunden Zeit, um seine unter den gegebenen physiologischen Bedingungen thermodynamisch stabilste Konformation zu finden. Gewöhnlich führt dies zu einer bestimmten, kompakten Konformation, dem nativen Zustand. Christian Anfinsen gebührt der Ruhm, zweifelsfrei gezeigt zu haben, dass die thermodynamisch stabilste Konformation eines gegebenen Polypeptids gerade der native Zustand des Proteins mit der jeweiligen biologischen Funktion ist [10, 11]. Er extrahierte das Protein Rinder-Pankreasribonuklease A in vollständig funktioneller Form und zerstörte seine native Konformation und biologische Aktivität durch Zugabe von Harnstoff in hoher Konzentration – was eine bewährte Methode ist, um die meisten nichtkovalenten Wechselwirkungen zu zerstören. Er zerstörte auch Disulfidbrücken in den nativen Molekülen, indem er sie mit 2- Mercaptoethanol reduzierte. Nachdem er geprüft hatte, dass das Protein keine Funktion mehr besaß, trennte er den Harnstoff und das 2-Mercaptoethanol durch Dialyse ab und zeigte, dass ein großer Teil des denaturierten Proteins seine ursprüngliche biologische Aktivität wiedergewann und erneut die charakteristische Konformation des nativen Zustands einnahm. Als den wichtigsten Schritt konnte er dabei die Rekonstruktion der reduzierten Disulfidbrücken in ihren einzigartigen Originalzustand (eine von 105 unterschiedlichen Möglichkeiten) identifizieren.