Einspruch! - Ingrid Brodnig - E-Book

Einspruch! E-Book

Ingrid Brodnig

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Beschreibung

Klimakrise, Ukrainekrieg und Inflation – nur drei Themen, die die Welt derzeit beschäftigen. Sie sorgen aber auch zunehmend für Verunsicherung in der Gesellschaft. Irreführung und Desinformation im Netz tragen ihr Übriges dazu bei. Immer öfter sehen wir uns mit Behauptungen und Verschwörungserzählungen konfrontiert. Nicht selten werden diese Falschmeldungen in der Familie oder im Freundeskreis wiederholt und verbreitet, als wären es Fakten. Das birgt großes Konfliktpotenzial. Doch was tun, wenn der eigene Bruder plötzlich Falschmeldungen erzählt oder gar Verschwörungsmythen glaubt und man im WhatsApp-Chat selbst mit Fakten nicht mehr kontern kann? In der aktualisierten und erweiterten Neuausgabe ihres Bestsellers "Einspruch", liefert Ingrid Brodnig, Expertin für "Hass im Netz", Strategien und Tipps für das geschickte Diskutieren im Privaten und Öffentlichen und erklärt, wie wir in hitzigen Debatten ruhig bleiben und unseren Standpunkt verdeutlichen. Die Themen ändern sich, über die kontrovers diskutiert wird, die Methoden der Manipulation bleiben aber gleich – und dementsprechend lohnt es sich, rhetorische Gegenstrategien zu kennen. Brodnig zeigt, wie Falschmeldungen im Internet leichter zu erkennen sind und wie man reagieren kann, wenn man mit irreführenden Behauptungen konfrontiert ist. Vor allem macht Ingrid Brodnig deutlich, in welchen Momenten man skeptisch werden sollte und warum intellektuelle Demut dabei helfen kann, sich in Zeiten von Social Media besser gegen Verschwörungserzählungen zu rüsten. Wer sich der Grenzen des eigenen Wissens bewusst ist und die psychologische Anziehungskraft von Fehlinformationen versteht, wird klüger reagieren.

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„Falschmeldungen und auch Verschwörungserzählungen sind davon abhängig, dass sie von möglichst vielen Menschen geglaubt und weitererzählt werden, daher können wir alle versuchen, diese Verbreitung zu erschweren.“

Erweiterte Neuauflage

INGRID BRODNIG

EINSPRUCH!

Verschwörungsmythenund Fake News kontern –in der Familie, imFreundeskreis und online

ILLUSTRATIONEN VON MARIE-PASCALE GAFINEN

Einleitung

1Niemand ist zu hundert Prozent rational – und daraus können wir einiges fürs Diskutieren lernen

Strategie wechseln: Berücksichtigen Sie beim Diskutieren nicht nur Fakten

Warum es so schwierig ist, gelassen zu bleiben

Der emotionale Wert von Gerüchten und Verschwörungserzählungen

2Vorsicht vor Wundermitteln und rhetorischen Ablenkungsmanövern!

Erkennen Sie die Macht von Fragen

Hier kommt die Impfung gegen unsinnige Argumente

3Wie erkennt man, wer tatsächlich Expertise hat?

Achtung bei spektakulären Studien – und weitere Warnsignale

Wie man Falsches erfolgreicher richtigstellt

4Empfehlungen für strategisches Diskutieren

5Gegen die Selbstüberschätzung – wie man Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen entlarvt

Intellektuelle Bescheidenheit üben

Die richtigen Fragen stellen

Quellen und Anmerkungen

Einleitung

Wir leben in erhitzten Zeiten – und gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, ein gutes Radar zum Erkennen von unseriösen Behauptungen und Falschmeldungen zu haben und auch zu wissen, wie man auf derartige Versuche der Irreführung effizienter antworten kann. Deshalb habe ich eine erweiterte Ausgabe dieses Buchs verfasst. Die erste Auflage entstand inmitten der Coronavirus-Pandemie, beinhaltet aber viele Beobachtungen, die auch bei den derzeit hitzig diskutierten Themen wie Klimapolitik, Migration oder Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hilfreich sein können: Wie kann man Fakten ein Stück weit besser verständlich machen? Welche Methoden gibt es beim Diskutieren, um geschickter auf das Gegenüber argumentativ einzugehen?

Schon als die Pandemie ausbrach, schrieben mir Menschen, dass Familienmitglieder oder Bekannte auf Falschmeldungen hineingefallen waren oder nun sogar an Verschwörungsmythen glaubten. Ein Mann erzählte mir von seinem Bruder, der plötzlich solche Erzählungen wiedergab – und er schrieb, dass er regelrecht Angst davor habe, ihn das nächste Mal zu treffen, „da dieses Thema zwischen uns großes Konfliktpotenzial birgt“. Immer wieder fragten mich Menschen: Wie kann man überzeugender in solchen Diskussionen auftreten?

Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Phänomen der Desinformation im Netz, halte Vorträge und Workshops dazu. Trotzdem hat auch mich überrascht, wie viele Menschen in ihrem Bekanntenkreis und der Familie mit unbelegten Behauptungen oder glatten Verschwörungsmythen konfrontiert werden – und wie belastend das für viele Beziehungen ist, wenn jemand, den oder die man wertschätzt oder liebt, sich gedanklich so weit von einem weg und auch vom Boden der Tatsachen entfernt.

Der zweite wesentliche Ausgangspunkt für dieses Buch waren die Corona-Demos in Deutschland: Ich war selbst auch vor Ort. Einige Szenen, die ich beobachtet habe, sind mir stark in Erinnerung geblieben. Etwa jener Protestierende, der ein T-Shirt mit aufgedrucktem „Judenstern“ trug – und behauptete, die deutsche Demokratie sei „an Corona verstorben“. Es ist nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der solche Ansichten teilt. Aber man erkennt an solchen Aktionen: Die Desinformation und die extremen Ansichten, die über digitale Kanäle verbreitet werden, enden nicht dort. Menschen verbreiten solche Ideen in ihrem Alltag, manche gehen dafür sogar auf die Straße, einzelne schließen sich extremistischen Bewegungen an. Viele falsche oder spekulative Behauptungen schüren das Misstrauen in die Demokratie oder in die Wissenschaft. Und viele haltlose Gerüchte bis hin zu Verschwörungsmythen sind auch deshalb ernst zu nehmen, weil sie es uns erschweren, als Gesellschaft und im persönlichen Umfeld in ein sachliches Gespräch miteinander zu kommen; weil sie die Bruchlinien zwischen uns vergrößern.

Auf den kommenden Seiten gehe ich vor allem einer Frage nach: Was können Sie als Einzelne oder Einzelner tun, wenn Sie sachlich diskutieren und zur Aufklärung bei einzelnen Themen beitragen möchten?

1

Niemand ist zu hundert Prozent rational – und daraus können wir einiges fürs Diskutieren lernen

Anja Sanchez Mengeler ist Mitte vierzig, lebt im Norden Deutschlands und sagt über sich selbst: „Ich war eine Zeit lang Verschwörungsgläubige.“ Sie glaubte, die Welt würde von einer im Verborgenen bleibenden Elite geleitet; alle Medien würden gesteuert; wer eine andere Meinung vertrat, den oder die verdächtigte sie, dafür bezahlt zu werden. Aber Anja Sanchez Mengeler gelang es, ihre erdrückende Weltsicht einem grundlegenden Wandel zu unterziehen und nach und nach wieder für überprüfbare Fakten erreichbar zu werden. Sie erklärte mir: „Das ist ein langer Weg zurück, den man laufen muss.“ Es hat zwei, drei Jahre gedauert, bis sie wieder bereit dazu war, differenziert zu denken – die Welt nicht in Schwarzweiß, sondern in Graustufen zu sehen.

Die Geschichte von Anja Sanchez Mengeler macht Mut. Weil sie zeigt, dass es in einzelnen Fällen doch funktionieren kann, Menschen, die sich rationalen Argumenten verschlossen haben, argumentativ zu erreichen. Dies wird nicht immer gelingen – und wenn es gelingt, kann der Weg zurück unterschiedliche Formen annehmen. Im Fall von Frau Sanchez Mengeler war dies kein einfacher Prozess. Gerade Verschwörungsmythen bieten ein trügerisches Gefühl von Gewissheit, das den daran Glaubenden den Eindruck vermittelt, sie hätten ganz viel durchschaut. Will man solche Verschwörungserzählungen oder auch andere Formen falscher oder unbelegter Behauptungen kontern, ist es wichtig, nicht nur auf Ebene der Fakten anzusetzen, sondern vor allem die emotionalen und kognitiven Mechanismen zu verstehen, wieso Falsches oder Spekulatives so große Resonanz erzeugen.

Im Verlauf dieses Buches werde ich den konkreten Reiz von Falschmeldungen analysieren und ich werde dabei auch auf das Feld der Verschwörungserzählungen eingehen. Denn gerade aus diesem Verständnis heraus lassen sich Gegenstrategien ableiten, mit denen man beim Diskutieren und Dagegenhalten effizienter wird. Wichtig ist: Diskutieren ist hart – ein Wundermittel, das garantiert, dass Ihnen zugehört oder gar geglaubt wird, gibt es nicht. Aber zumindest kann es sinnvoll sein, wenn möglichst viele Menschen Erkenntnisse aus der Wissenschaft oder Erfahrungen aus der Praxis kennen und wissen, welche Diskussionsformen man vermeiden sollte und welche eher dazu geeignet sind, Gesprächsbereitschaft bei ihrem Gegenüber zu fördern.

Begonnen hat die Phase des tiefen Misstrauens gegenüber offiziellen Erzählungen bei Anja Sanchez Mengeler in den Jahren 2013, 2014: Es gab dabei nicht das eine Schlüsselereignis, erklärte sie, sondern es sei ein schrittweiser Prozess gewesen, durch den sie allmählich ins Reich der Verschwörungsmythen vordrang. Zuerst hatte sie diese Bekannte, mit der sie sich gut verstand, die Kinder im gleichen Alter hatte, die aber auch überzeugt war, alle würden überwacht werden. Da war Frau Sanchez Mengeler noch skeptisch und meinte: „Warum sollte sich irgendein Geheimdienst für mich interessieren?“ Dann aber deckte Edward Snowden auf, dass US-amerikanische Geheimdienste tatsächlich eine Massenüberwachung gestartet und Internetdaten im großen Stil ausgewertet hatten. Frau Sanchez Mengeler kam ins Grübeln und wurde zusehends verunsichert. Sie informierte sich auf Facebook und stieß dort auf, wie sie es nennt, „alternative Fakten“. Mehr und mehr bekam sie online Erzählungen geliefert, die gar nicht zu den Berichten in der etablierten Presse passten. Zum Beispiel folgte sie einer Seite namens „Anonymous.Kollektiv“. Ihr gefiel, dass dieser Kanal angab, für Freiheitsrechte und gegen die Überwachung der Bevölkerung einzutreten. Was ihr damals aber nicht auffiel: Zunehmend postete diese Seite rechtsextreme Inhalte, wurde immer radikaler in der Tonalität. Und irgendwann hatte sich Frau Sanchez Mengeler selbst im Denken versteift: Überall meinte sie Anzeichen zu erkennen, dass eine kleine Elite ein dunkles Spiel treibe, dass diese Elite die Medien steuere und letztlich eine Versklavung der Menschheit plane. Für Außenstehende mögen sich solche Vorstellungen geradezu bizarr anhören – auch für Anja Sanchez Mengeler klingt das heute nicht mehr nachvollziehbar. Aber in der Szene von Verschwörungsgläubigen ist genau diese Ansicht, dass insgeheim eine „Neue Weltordnung“ – die NWO – geplant würde, sehr populär. Und Frau Sanchez Mengeler steckte damals mitten in dieser Szene. Sie organisierte sogar in ihrem Wohnort eine „Mahnwache für den Frieden“, weil sie Angst hatte, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommen würde. Sie war nicht nur Zaungast in der Szene, sie war Akteurin.

Wie fand sie dann wieder hinaus? Es kam zu Momenten der Irritation, der persönlichen Enttäuschung und des Dazulernens, die in ihr den Keim eines Zweifels säten. „So wie der Einstieg schrittweise geschah, lief auch der Ausstieg schrittweise ab“, erzählte sie mir. Zum Beispiel zerstritt sie sich mit der Bekannten, die überzeugt war, selbst überwacht zu werden. Auch hatte sie Familienmitglieder wie ihren Mann oder ihre Schwester, die längst skeptisch beäugten, woran sie glaubte, die aber gleichzeitig nicht losließen, ihr zeigten, „du bist mir wichtig“. Und drittens gab es dann eben irritierende Momente, in denen Anja Sanchez Mengeler auffiel, wie sehr in ihrer Szene Erzählungen von Rechtsaußen kursierten – Erzählungen, die eigentlich gar nicht zu ihrem Weltbild passten. Zum Beispiel begann in dieser Zeit die Pegida-Bewegung mit ihren Demonstrationen – einigen ihrer Verbündeten gefiel diese Protestbewegung gegen die vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“. Aber Frau Sanchez Mengeler behagte das nicht: „Pegida passte nicht zu meinen Ansichten: Ich bin nicht gegen geflüchtete Menschen. Und auch an diese Verschwörungserzählung, dass Deutschland islamisiert würde, glaubte ich nicht.“ Das waren Situationen, in denen sie eine Ambivalenz spürte – und der Keim des Zweifels heranwuchs. Es gab dann einen Moment, in dem sie begriff, dass sie getäuscht worden war, und zwar als sie einen Faktencheck auf der Webseite Mimikama.at las, also die Überprüfung einer Falschmeldung im Internet.

Online waren Fotos im Umlauf, die angeblich eine große Verschwörung belegen sollten: Darauf abgebildet waren Flugzeuge, in denen zum Beispiel Tanks angebracht waren. Und es hieß, diese Flugzeuge seien „Chemtrails“-Flieger. Zur Erklärung: Die Chemtrails-Erzählung ist ein beliebter Verschwörungsmythos, wonach die Kondensstreifen am Himmel kein harmloses Nebenprodukt des Flugverkehrs seien, sondern ein Indiz, dass Flugzeuge gefährliche Substanzen versprühen. Das ist natürlich Humbug – und der Faktencheck zeigte auf: Die Fotos waren aus dem Kontext gerissen oder überhaupt manipuliert worden.1 Anja Sanchez Mengeler erzählt: „Ich begann nachzudenken: Warum war mir das nicht klar gewesen? Warum hatte ich das nicht in Erwägung gezogen? Und wenn man anfängt, es gedanklich für möglich zu halten, dass die Gegenseite doch recht hat, sieht man, wie logisch manche Argumente sind. Und zunehmend merkte ich: Ich wurde belogen, manipuliert.“

Diese Aussage von Anja Sanchez Mengeler liefert eine wichtige Erkenntnis in Bezug auf die Bedeutung von Faktenchecks: Manchmal wird deren Sinnhaftigkeit oder Durchschlagskraft angezweifelt. Denn wenn jemand partout einer Richtigstellung nicht glauben will, wird selbst der beste Faktencheck an der Person abprallen. Aber das Beispiel von Anja Sanchez Mengeler zeigt: In einigen Fällen sind Faktenchecks sehr wohl wertvoll – denn wenn jemand (wieder) bereit ist, den Fakten zuzuhören, können solche Texte augenöffnend sein.

Es ist frustrierend, dass das Einstreuen nachweisbar richtiger Information nicht in jedem Fall fruchtet. Die einfachste Reaktion wäre oft, einfach aufzuhören, nicht mehr zu diskutieren, nicht mehr auf Fakten zu pochen. Ich glaube jedoch, dass dafür zu viel auf dem Spiel steht: Unsere Demokratie baut darauf auf, dass Menschen möglichst gut informierte Entscheidungen treffen. Für uns als Gesellschaft ist es sehr wohl von Bedeutung, dass ein möglichst großer Teil der Bevölkerung wissenschaftliche Erkenntnisse – zum Beispiel zum Coronavirus oder zur Klimakrise – ernst nimmt und wir basierend auf wissenschaftlicher Evidenz Entscheidungen treffen. Auch können Falschmeldungen bis hin zu Verschwörungserzählungen Schaden anrichten: Etwa, wenn Menschen fragwürdigen Gesundheitstipps folgen und angebliche „Heilmittel“ einnehmen, die in Wahrheit ihre Gesundheit schädigen. Oder wenn Verschwörungsmythen dazu führen, dass einzelne Personen enormes Misstrauen in Institutionen wie Politik, Medien, Wissenschaft entwickeln oder plötzlich sogar Gewalt als adäquates Mittel einstufen, um sich vor der angeblichen Verschwörung zu schützen. Diskutieren und weiterhin das Gespräch suchen, das ist mühsam. Aber es gibt viele gute Gründe, warum man ab und zu Einspruch erheben sollte oder es sich lohnt, auch im eigenen Umfeld immer wieder auf stichhaltige Argumente in Bezug auf Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen hinzuweisen.

In diesem Buch werde ich drei Dinge machen: Zuerst werde ich erklären, wieso es oft schwierig ist, argumentativ zum Gegenüber durchzudringen. Wenn man manche kognitiven Abwehrmechanismen verstanden hat, mit denen unliebsame Fakten beiseitegeschoben werden, dann kann man daraus auch Gegenstrategien ableiten und neue Taktiken ausprobieren, um vielleicht besser gehört zu werden. Zweitens gehe ich auf unfaire rhetorische Methoden ein, mit denen unlogische Argumente, Halbwahrheiten oder glatte Erfindungen so verpackt werden, dass sie plötzlich einleuchtend klingen. Wenn man solche rhetorischen Tricks kennt, kann man diese anderen aufzeigen – und das Durchblicken von Fehl- und Desinformation fördern. Drittens werde ich ein paar konkrete Empfehlungen liefern: Wie kann man zum Beispiel die Korrektur einer Falschmeldung effizienter gestalten und sich beim Diskutieren klarer ausdrücken? Zum Schluss schlage ich einen Zugang des strategischen Diskutierens vor, bei dem man sich genau überlegt: In welchen Situationen ist es überhaupt sinnvoll, das Wort zu ergreifen? Und was können realistische Ziele beim Diskutieren sein?

Wir leben in Zeiten erhitzter Debatten. Wahrscheinlich hat der eine oder die andere schon miterlebt, wie Falsches oder Spekulatives gekonnt verbreitet wird, womöglich hat man selbst Menschen im engsten Umfeld, die solche Erzählungen glauben. Niemand von uns kann das Problem der Fehl- oder Desinformation im Alleingang lösen, das wäre komplett unrealistisch und zu viel verlangt. Aber was ich sehr wohl für möglich halte, ist, dass man auch als Einzelne oder Einzelner einen positiven Beitrag zur Debattenkultur leistet.

WARUM ÜBERZOGENE ERWARTUNGEN SIE BEIM DISKUTIEREN BREMSEN WERDEN

Mein erster Tipp klingt paradox, aber ich meine das ernst: Gerade wenn Ihnen Fakten wichtig sind, haben Sie bitte nicht zu viel Vertrauen, dass Fakten allein ein Umdenken bewirken. Ehrlich gesagt, ist in manchen Fällen bereits ein Erfolg erzielt, wenn Ihr Gegenüber nach einer Diskussion auch nur den Hauch eines Zweifels verspürt. Und selbst das wird man nicht immer erreichen. Nehmen Sie das Beispiel von Anja Sanchez Mengeler: Lange Zeit war sie nicht für Faktenchecks zugänglich. Sie brauchte Ereignisse und eigene Erfahrungen, die in ihr nach und nach Zweifel weckten. Es ist nämlich so: Wenn wir Menschen etwas glauben wollen, dann hat unser Denkapparat eine Fülle von Schutzmechanismen parat, die uns vor widersprüchlicher Information – vor kognitiver Dissonanz – bewahren. Und im Folgenden werde ich einige solcher Mechanismen erklären. Denn meine eigene Erfahrung ist: Kennt man psychologische Mechanismen, mit denen Menschen unliebsame Information gedanklich beiseiteschieben oder umdeuten, dann schützt einen das vor Frustration. Diskutieren wird weniger aufwühlend, wenn man ein sehr klares Bild davon hat, wie faktenresistent Menschen (und zwar wir alle) sind. Zweitens wurden basierend auf solchen wissenschaftlichen Beobachtungen auch schon Gegenstrategien formuliert, mit denen man sich ein Stück weit besser verständlich machen kann. Zum Beispiel werde ich beschreiben, wie man Argumente so verpackt, dass sie eher gehört werden. Ich möchte noch einmal betonen: Ein Wundermittel beim Diskutieren gibt es nicht, sehr wohl aber gibt es ein paar Rezepte, die im besten Fall eine Spur besser funktionieren als der weitverbreitete Zugang, sein Gegenüber so lange mit Fakten zuzuschütten, bis es hoffentlich die Falschheit seiner Weltsicht verstanden hat. Letzteres funktioniert oft nicht: Denn niemand (auch ich nicht) geht in eine Debatte mit der Absicht, danach die Welt völlig anders zu sehen. Und je mehr man verinnerlicht hat, wie schwer wir Menschen uns damit tun, Informationen, die nicht unserem Weltbild entsprechen, aufzunehmen, desto pragmatischer, aber auch geschickter kann man beim Diskutieren sein.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben, wie gekonnt Menschen unliebsame Information vom Tisch wischen. Ich muss oft an ein Telefoninterview zurückdenken, das ich 2017 mit einer Frau aus Bayern führte, eine Kritikerin der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und eine Wählerin der AfD. Sie war auf Facebook auf eine irreführende Meldung über Angela Merkel hereingefallen, wonach die deutsche Bundeskanzlerin auf „12 Millionen Einwanderer“ hoffe – ein Unsinn.3 Diese Aussage wurde Merkel einfach in den Mund gelegt. Bemerkenswert fand ich, dass die Frau aus Bayern durchaus anerkannte, dass die Behauptung falsch gewesen war. Nur schien es sie nicht sonderlich zu stören. Ich hatte vermutet, dass es die Frau ärgern könnte, einer falschen Aussage aufgesessen zu sein. Aber sie widersprach mir. Sie sagte: „Was heißt ärgern? Ärgern tut es mich insofern nicht, weil ich der Meinung bin, es kann passieren. Auch wenn es jetzt momentan nicht gestimmt hat, ist es doch eine Meldung, die passieren kann – wenn nicht heute oder morgen, dann vielleicht in einem halben Jahr.“4

Mich hat diese Formulierung vor den Kopf gestoßen: Was antwortet man auf so etwas? Die Frau akzeptierte zwar, dass die Behauptung über Angela Merkel falsch gewesen ist, aber sie meinte gleichzeitig, die Meldung könnte eines Tages noch wahr werden. Ich persönlich finde es schwierig, in solchen Situationen schlagkräftig zu kontern, weil die Diskussion mit einem Schlag die Tatsachenebene verlässt: Es geht nicht mehr darum, was Person XYZ nachweislich gesagt oder getan hat; es geht plötzlich darum, was jemand über Person XYZ fühlt, was er oder sie ihr zutrauen würde.

Eine Reaktionsmöglichkeit in so einer Situation kann übrigens sein, dass man genau das anspricht und sagt: „Moment, das irritiert mich jetzt, was Sie sagen. Weil ich denke, jede Politikerin, jeder Politiker sollte nur danach bewertet werden, was sie oder er gesagt hat – nicht danach, welche Gefühle man für die Person hat.“ Man legt in solchen Situationen offen, welche Gesprächstaktik jemand gerade einsetzt. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn Dritte danebenstehen und mithören oder wenn sie in einem Chat oder in sozialen Medien mitlesen, weil man dadurch einordnet, was rhetorisch gerade abläuft. Aber es heißt nicht, dass Ihr Gegenüber sich von dieser Intervention beeindrucken lässt – es kann gut sein, dass die Person einfach ähnlich weiterargumentiert.

Denn solche Argumentationsmuster sind keine Seltenheit, ganz im Gegenteil – generell sollte man davon ausgehen, dass Menschen zu „motivated reasoning“ neigen, wenn sie einen Politiker oder eine Politikerin nicht mögen, oder wenn ihnen ein Thema regelrecht unter den Nägeln brennt. Bei Themen, denen man beispielsweise mit einer klaren Präferenz gegenübersteht, kommt es zu zielgerichtet motiviertem Denken – man verhält sich häufig unneutral gegenüber der Information, verarbeitet diese passend zur Wunschvorstellung. Einiges deutet darauf hin, dass wir nicht so sachlich sind, wie es für uns selbst anmutet: Das beginnt bei der Informationsauswahl zu dem Thema, reicht über die Einordnung der gefundenen Information bis hin zur Erinnerung, welche Details man eher abruft. In einem Experiment mussten beispielweise US-amerikanische Teilnehmende Artikel zu umkämpften politischen Themen online suchen und lesen – es ging um Streitfragen wie Waffengesetze, staatliche Gesundheitsversorgung, Abtreibung. Die Versuchspersonen verbrachten 64 Prozent mehr Zeit mit jenen Inhalten, die ihrer Weltsicht entsprachen. Sie vermieden also konträre Ansichten nicht komplett, aber sie schenkten ihnen etwas weniger Aufmerksamkeit.5

Ein wesentlicher Aspekt ist auch: Information, die unsere Sichtweise bestätigt, nehmen wir verstärkt auf – das ist der sogenannte „Confirmation Bias“, auf Deutsch der Bestätigungsfehler. Hingegen unliebsame Information, die zweifeln wir eher an – der sogenannte „Disconfirmation Bias“. Jeder kennt das von sich selbst: Sie lesen einen Zeitungstext, der Ihren Ansichten widerspricht, das irritiert Sie wahrscheinlich. Und möglicherweise beginnen Sie, in Ihrem Kopf Gegenargumente zu formulieren. Denken sich, vielleicht berücksichtigt der Artikel nicht alle relevanten Aspekte, vielleicht ist die zitierte Quelle gar keine Fachperson. Lesen Sie jedoch einen Text, der Ihnen gefällt bzw. der Ihre Weltsicht stützt, werden Sie gar nicht erst auf die Idee kommen, solche Fragen zu stellen.

Solche Effekte fallen immer wieder in Experimenten auf – und zwar nicht erst, seitdem es das Internet und soziale Medien gibt. In den 1970er-Jahren führten die Psychologen Charles G. Lord, Lee Ross und Mark Lepper eine interessante Untersuchung durch: Sie wollten wissen, wie unterschiedlich denkende Menschen auf die exakt selbe Information reagieren. Konkret wurde das anhand des polarisierenden Themas der Todesstrafe getestet: Personen, die entweder die Todesstrafe deutlich ablehnten oder diese klar befürworteten, mussten für diese Untersuchung Unterlagen lesen, die sowohl Argumente pro als auch contra Todesstrafe enthielten. Sie kamen also auch in Kontakt mit Aussagen, die die Gegenseite bestätigten. Ganz nüchtern betrachtet, hätte eine Annäherung der Positionen stattfinden sollen, weil beide Gruppen dieselben Texte lasen. Das Gegenteil geschah: Die Positionen verhärteten sich – wer die Todesstrafe befürwortet hatte, begrüßte sie nun vielfach noch vehementer. Und wer sie zuvor abgelehnt hatte, wies eine größere Chance auf, ihr nun noch abgeneigter gegenüber zu stehen. Das verdeutlicht: Menschen können aus derselben Information unterschiedliche Rückschlüsse ziehen oder dabei vor allem jene Aspekte berücksichtigen, die ihnen gut ins Konzept passen.2

Wir bewerten nicht nur Information passend nach unserem Weltbild, wir stufen auch Menschen danach ein. Bei wem erkennen wir die Expertise an – und wen nehmen wir weniger ernst? Dazu hat der Rechtswissenschaftler Dan Kahan von der Universität Yale gemeinsam mit Kollegen meine Lieblingsbefragung in diesem Bereich durchgeführt – ich finde sie nämlich sehr ausgeklügelt. Die Studie erfand fiktive Lebensläufe US-amerikanischer Wissenschaftler*innen, die beeindruckend klangen. Den Befragten wurde der Eindruck vermittelt, es handle sich um reale Personen, und sie mussten bewerten, wem sie eine hohe Expertise zusprachen. Nüchtern betrachtet hätten sämtliche der aufgelisteten Forschenden als fachkundig eingestuft werden müssen – jedoch passierte das nicht. Befragte, die politisch nach links tendieren, stuften Personen eher dann als fachkundig ein, wenn diese Ansichten vertraten, die im linken Spektrum hohe Anerkennung bekommen (etwa im Bereich Klimakrise). Und konservative Befragte machten das Gleiche: Sie sprachen dann eher von Expertentum, wenn aus dem erfundenen Lebenslauf hervorging, dass die Person bereits Positionen passend zu konservativen Wertvorstellungen eingenommen hatte. Widersprachen die erfundenen Standpunkte jedoch den Ansichten, die im eigenen politischen Lager verbreitet sind, dann wurde die Expertise eher in Zweifel gezogen. Dan Kahan nennt das „politisch motiviertes Denken“ und er meint, dass Gruppenidentität hier die entscheidende Rolle spielt.6 In der Forschung gibt es nämlich durchaus eine lebhafte Debatte darüber, welches Konzept oder welche Theorie die oft augenscheinliche Faktenresistenz von uns Menschen am besten beschreibt – einfach ausgedrückt deutet zumindest einiges darauf hin, dass eine starke politische Überzeugung erschweren kann, wie nah man unliebsame Aussagen an sich heranlässt.

STRATEGIE WECHSELN: BERÜCKSICHTIGEN SIE BEIM DISKUTIEREN NICHT NUR FAKTEN

Vielen Menschen ist durchaus bewusst, wie einseitig unser Denken ist. Aber diese Erkenntnis zwingt einem in Diskussionen geradezu eine Gegenstrategie auf, nämlich dem Gegenüber quantitativ nicht noch mehr gleichartige Argumente aufzudrängen, was oft nicht zielführend ist. Probieren Sie stattdessen aus, ob eine andere Stoßrichtung Ihres Arguments möglicherweise wirkungsvoller ist.

Diese Taktik wurde im Bereich der Klimafakten erforscht. Warum gerade dort? Weil es einen eklatanten Widerspruch zwischen Forschungsergebnissen und politischer Debatte gibt – von manchen wird die Erkenntnis eines menschengemachten Klimawandels sogar geleugnet. Speziell in den USA ist eine politische Spaltung deutlich, Mitglieder oder Fans der republikanischen Partei verharmlosen tendenziell die Erderhitzung. Das deutlichste Beispiel ist Donald Trump, der bereits eine ganze Palette widersprüchlicher Aussagen zu der Thematik vorbrachte – mal nannte er die Idee der Erderhitzung eine Erfindung, dann deutete er an, es gibt eine Erhitzung des Klimas, aber der Mensch sei nicht verantwortlich dafür.7