Eiszeit in der Weltwirtschaft - Daniel Stelter - E-Book

Eiszeit in der Weltwirtschaft E-Book

Daniel Stelter

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Beschreibung

Vermögensrettung in der Dauerkrise Privatanlegern erschien die Finanzkrise von 2008 noch als kurzer Schneesturm, der bald vorüber sein würde. Doch mittlerweile ist die gesamte Weltwirtschaft erstarrt. Mit negativen Konsequenzen für unsere Privatvermögen, die langsam, aber sicher schrumpfen. Was können wir tun, um unser Geld zu retten? Daniel Stelter umreißt die vier wahrscheinlichsten Entwicklungsszenarien, auf die wir uns in naher Zukunft einstellen sollten: große Depression, Sanierung durch Schuldenschnitte, Vermögensabgaben und Inflation. Daraus leitet er rationale Strategien ab, die uns helfen, unsere Vermögen zu erhalten - egal, was passiert. "Daniel Stelter gelingt eine ausgezeichnete Analyse der aktuellen Situation der globalen Ökonomie. Die Folgen für Anleger sind dramatisch: deutlich geringere zukünftige Renditen und eine zunehmende Gefahr von schweren Krisen an den Finanzmärkten." Marc Faber, Herausgeber des Gloom, Boom & Doom Report und einer der einflussreichsten Investoren der Welt - Stelters Buch ist eine Anleitung zum Selberdenken in der Wirtschaftskrise. - Seine Analyse: Der rasche Kollaps unseres Wirtschaftssystems ist ausgeblieben. Eine Anhaltende Stagnation - die Eiszeit - hat eingesetzt. - Ein Buch für Anleger, die ihr Vermögen langfristig erhalten möchten. - Stelter gibt sich nicht als Prophet, er ist ein Kenner!

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Daniel Stelter

EISZEIT IN DER WELTWIRTSCHAFT

Die sinnvollsten Strategien zur Rettung unserer Vermögen

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Privatanlegern erschien die Finanzkrise von 2008 noch als kurzer Schneesturm, der bald vorüber sei. Doch mittlerweile ist die gesamte Weltwirtschaft erstarrt. Mit negativen Konsequenzen für unsere Privatvermögen, die langsam aber sicher schrumpfen. Was können wir tun, um unser Geld zu retten? Daniel Stelter umreißt die vier wahrscheinlichsten Entwicklungsszenarien, auf die wir uns in naher Zukunft einstellen sollten: Große Depression, Sanierung durch Schuldenschnitt, Manipulation des Geldes und Einführung von Vollgeld. Daraus leitet er rationale Strategien ab, die uns helfen, unsere Vermögen zu erhalten – egal, was passiert.

Vita

Daniel Stelter ist die unabhängige Stimme zur Finanzkrise. Der Makroökonom war bis 2013 Senior Partner bei der internationalen Strategieberatung The Boston Consulting Group (BCG) und dort zuletzt Managing Director und Mitglied des Vorstands. Nach 23 Jahren BCG lenkt der ausgewiesene Finanzexperte unsere Aufmerksamkeit nun mit seinem Diskussionsforum »Beyond the Obvious« sowie seiner Kolumne »Stelter strategisch« (WirtschaftsWoche) auf die drängenden finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen unserer Zeit. Seine Artikel erscheinen auch in manager magazin, Capital, SZ oder Euro am Sonntag. Er ist Autor zahlreicher finanzwirtschaftlicher Sachbücher, zuletzt veröffentlichte er mit »Die Schulden im 21. Jahrhundert« (2014) seine Replik auf die Thesen des französischen Ökonomen Thomas Piketty.

INHALT

EINLEITUNG

Teil 1: Der Weg in die Eiszeit

MONEY FOR NOTHING

30 Jahre Schuldenboom

Entfesselung der Märkte

Schulden als Allzweckwaffe der Politik

Der Euro als Schuldenturbo

Die Blase platzt

DIE ROLLE DER BANKEN

Privatbanken schöpfen Geld

Niemand versteht die Banken

Unproduktive Kredite

Weg vom Krisenzyklus

DEUTSCHLAND UND DER EURO

Scheinblüte auf Pump

Die Natur der Rezession von 2008

Island – oder der andere Weg

Deutschland, der Eurogewinner?

Die ungelösten Probleme des Euroraums

DIE DEMOGRAFISCHE KRISE

Die Erwerbsbevölkerung schrumpft

Wie Demografie wirkt – das Beispiel Spaniens

Deutschland braucht qualifizierte Zuwanderer

Ungedeckte Versprechen

DIE PRODUKTIVITÄTSKRISE

Das Wachstum kehrt nicht zurück

Warum investieren wir nicht?

Im Kondratieff-Winter?

Innovationen wirken weniger

Teil 2: Die Politik verschärft die Eiszeit

DIE ANTWORT AUF DIE KRISE – NOCH MEHR SCHULDEN

Die Ausgangslage 2009

Die Schulden des einen sind die Forderungen des anderen

Das Ponzi-Spiel geht weiter

Schulden wirken immer weniger

Wie viele Schulden sind »zu viel«?

CHINA – SCHULDENWIRTSCHAFT NACH WESTLICHEM VORBILD

China wie Griechenland – nur viel größer?

An der Wohlstandsmauer

Der Geist von 1929?

Deflationsexporteur China

PLANLOSE EURORETTER

Die deutsche Europolitik vor dem Scherbenhaufen

Die linke Agenda für Europa

Musterschüler Spanien

Was man tun müsste

Ausblick

JAPAN: VORBILD FÜR EUROPA?

Der Weg in die Krise

Verlorene Jahrzehnte

Japan ist pleite

Mit Abenomics die Mauer durchbrechen

Staatsschulden annullieren

Lehren für Europa

Teil 3: Dreißig Jahre Eiszeit?

DIE THESE VON DER SÄKULAREN STAGNATION

Die Welt wächst nicht mehr

Gefangen in der Negativspirale

Gute und schlechte Deflation

Der Ruf nach drastischen Maßnahmen

Was zu tun wäre

Basisszenario: Eiszeit

CHAOS UND DEFLATIONÄRER KOLLAPS

Die zweite große Depression – nur verschoben

China als Risikofaktor

Beppe Grillo und Co.

Volksfront gegen den Euro

SANIERUNG DURCH SCHULDENSCHNITT

Insolvenz oder Schuldenschnitt?

Keine neue Idee

So könnte man es machen

Vernünftig, aber unpopulär

DIE NOTENBANKEN SOLLEN ES RICHTEN

Mahnende Worte aus Basel

Schlechter Rat aus Basel?

Erhebliche Nebenwirkungen

Kampf der Deflation

Monetarisierung: Rettung oder Desaster?

Die Notenbanken sind schon weit gegangen

GELDREFORM UND SCHULDENTILGUNG – ZWEI FLIEGEN MIT EINER KLAPPE?

Revolution in Island?

Bisherige Reformversuche greifen zu kurz

Lösung der Schuldenkrise?

Zunehmende Unterstützung

Kann man dem Staat trauen?

JEDER GEGEN JEDEN IN DER EISZEIT

Der globale Währungskrieg

Das Szenario für die kommenden Jahre

Teil 4: Überleben in der Eiszeit

KALTE ZEITEN – KÜHLER KOPF

Am Gipfel angelangt

Der einzige Tipp: Glauben Sie nicht an Tipps!

Vermögen ist mehr als Geld

Selber denken

Kosten senken

Hin und her macht Taschen leer

Nicht auf ein Pferd setzen

WER VERLIERT, ERFRIERT

Verluste vermeiden

Im Einkauf liegt der Gewinn

Recht haben ist etwas anderes als recht bekommen

Vorsicht mit Schulden

MIT DISZIPLIN DURCH DIE EISZEIT

Vermögenserhalt hat Priorität

Wir investieren zu viel in Europa

Das diversifizierte Portfolio in der Praxis

Diversifikation wirkt bei Deflation und Inflation

Cash

Anleihen

Gold

Immobilien

Aktien

Was, wenn der Euro scheitert?

Szenario 1: Deutschland tritt aus

Szenario 2: Italien tritt aus und der Euro endet im Chaos

Qualität geht vor

Marktattraktivität

Wettbewerbsposition

Management

Transparenz

Ehrliche Berichterstattung

Stabile Ertragskraft

Operative Effizienz

Auswahl der Qualitätswerte

Zinsen können steigen – oder fallen!

These 1: Politik und Notenbanken drücken die Zinsen, um den Schuldenturm vor dem Einsturz zu bewahren

These 2: Niedrige Zinsen sind ein direktes Resultat der Eiszeit

These 3: Geringe Zinsen sind die direkte Folge der Angst der Investoren

These 4: Die Überalterung der Gesellschaft führt zu geringerer Nachfrage und damit einem Überangebot an Ersparnissen

Lange niedrig, sehr hoch und dann Normalisierung

Gold gehört in jedes Portfolio

Lieber eine Rolex als Swatch-Aktien?

Wie anfangen?

Glück ist mehr als Geld

GLOSSAR

ANMERKUNGEN

EINLEITUNG

Die Krise von 2008 war keine normale Krise. Es war auch keine »Finanzkrise«. Es war der Beinahe-Kollaps unseres Wirtschaftssystems, welches von immer mehr und immer billigeren Schulden abhängt. Wie ein Heroinsüchtiger braucht die Weltwirtschaft eine immer größere Dosis billigen Geldes. Wenn die Schulden nicht mehr weiter wachsen, dann bricht alles zusammen.

Schulden schaffen keine Probleme, solange der Kreditnehmer die Absicht hat, einen entsprechenden Teil seines Einkommens zu verwenden, um das geliehene Kapital zurückzuzahlen und seiner Verpflichtung zur Zahlung von Schuldzinsen nachzukommen. Ich nenne solche Schulden »produktiv«. Dies gilt für Investitionen und einen Teil der privaten Kredite.

Auf der anderen Seite stehen die unproduktiven Schulden. Der Schuldner eines unproduktiven Kredits hofft, seine Zahlungsverpflichtungen dadurch erfüllen zu können, dass der Wert des von ihm erworbenen Vermögensobjekts steigt. Meist handelt es sich bei dem besagten Objekt um eine Immobilie.

Je größer der Anteil der unproduktiven Kredite, desto krisenanfälliger ist das System. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Bestand der produktiven Kredite im Verhältnis zum → Bruttoinlandsprodukt1 nicht nennenswert verändert. Die unproduktiven Schulden haben sich währenddessen vervielfacht. Immer mehr Schulden dienen spekulativen Geschäften.

Die Regierungen und → Notenbanken der westlichen Welt haben diese Entwicklung massiv gefördert. Billige Kredite und steigende Vermögenswerte sollten darüber hinwegtäuschen, dass die → Realwirtschaft nicht mehr so stark wuchs wie in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass infolge des Markteintritts Chinas und Osteuropas die Löhne stagnierten, ließ sich durch die Vermögenszuwächse leichter kompensieren.

Wann immer eine Krise drohte, wurde interveniert: Die Zinsen wurden ein weiteres Mal gesenkt, die Kreditstandards weiter gelockert. 2008 schien die Grenze erreicht. Wer immer sich verschulden konnte und wollte, war nunmehr verschuldet. Das System stieß an seine Grenze und es wurde offensichtlich, dass der Schuldenturm vor dem Zusammenbruch stand.

Wir hatten die Wahl: kalter Entzug, also Abkehr vom Leben auf Pump, oder ein weiterer »Schuss«. Wohl nur wenige wundern sich darüber, dass die Politik sich für den Schuss entschied. Manipulierte Bankbilanzen, nochmalige Zinssenkungen und der direkte Kauf von Wertpapieren sollten das Schuldenwachstum anheizen.

Mit Erfolg. Überall liegt die Gesamtschuld der Regierungen, der Unternehmen und der privaten Haushalte im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung höher als 2007. Nur der zusätzlichen Verschuldung ist es zu verdanken, dass wir 2008 nochmals davongekommen sind. Doch wir haben uns nur Zeit gekauft. Ein immer größerer Teil der neuen Schulden dient zur Aufrechterhaltung der Illusion, die bereits bestehenden ließen sich weiterhin bedienen.

Europa und die USA haben sich von dem Einbruch erholt. Doch der Aufschwung ist der schwächste seit dem Krieg. Hohe Arbeitslosigkeit, schwache Nachfrage und geringe Investitionen prägen das Bild. Die → Inflationsraten sind bedrohlich gering. Sinkende Preise auf breiter Front sind in greifbare Nähe gerückt.

Alles spricht dafür, dass die Notenbanken in einer Abwärtsspirale gefangen sind. Billiges Geld führt zu steigenden Schulden für Spekulation und Konsum. Damit wächst die Krisenanfälligkeit der Wirtschaft, was wiederum noch geringere Zinsen erforderlich macht.

Merksatz

Zu niedrige Zinsen in der Vergangenheit machen noch niedrigere Zinsen heute erforderlich, die wiederum nochmals niedrigere Zinsen morgen bedingen. Geld muss immer billiger und immer großzügiger in das System gepumpt werden.

Dabei wirkt die Schuldenlast deflationär und trägt damit den Keim des Kollapses in sich. Haben wir uns mit immer mehr Schulden nach oben gehebelt und Vermögenswerte »aufgeblasen«, so droht ein scharfer Einbruch, sobald die Preise ins Rutschen kommen oder die Zinsen steigen. Sehr schnell gelangen wir an den Punkt, an dem Verkäufe nicht mehr freiwillig erfolgen, sondern erzwungen werden.

In einer überschuldeten Welt gibt es nur wenige Wege der Sanierung: den kalten Entzug mit Pleiten, Konkursen und Depression. Oder die etwas weniger drastische Lösung über Besteuerung oder Inflationierung.

Wohin man auch blickt, es mehren sich die Warnsignale. Die Welt ächzt unter hohen Schulden, geringem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Das Sparbuch wirft kaum noch Zinsen ab. Die Finanzmärkte erleben, ausgehend von China im Sommer 2015, heftige Turbulenzen. Terror und Flüchtlingskrise untergraben die wirtschaftliche Stabilität und den politischen Zusammenhalt. Der Ruf nach immer ungewöhnlicheren Maßnahmen der Notenbanken wird lauter. Statt einer neuen großen → Depression erleben wir eine Depression in Zeitlupe. Der rasche Kollaps ist ausgeblieben. Stattdessen hat eine lang anhaltende Stagnation eingesetzt: die Eiszeit.

Fast niemand hat die Krise von 2008 erwartet. Fast niemand sieht die Eiszeit vorher. Das sollte nicht verwundern, zeigen Studien doch eindeutig, dass Volkswirte → Rezessionen nicht vorhersagen.2

Die Krise begann vor mehr als acht Jahren. Nach den Maßstäben der Bibel wären die mageren Jahre vorbei und wir könnten uns auf sieben fette freuen. Doch danach sieht es nicht aus. Stattdessen müssen wir uns privat und in der Vermögensanlage auf die Eiszeit einstellen. Selber denken und vorbereiten, lautet die Devise.

Teil 1: Der Weg in die Eiszeit

MONEY FOR NOTHING

30 Jahre Schuldenboom

Finanz- und Wirtschaftskrisen sind die Folge eines zu starken Kreditwachstums bei privaten Haushalten und Unternehmen. Auf den Staat greifen diese vom Privatsektor ausgelösten Krisen erst dann über, wenn der Staat eingreifen muss, um Banken und Privatwirtschaft zu stabilisieren. Das ist das Fazit einer Studie der Universität Bonn, die 94 Krisen der letzten 140 Jahre zum Gegenstand hat. Schon allein die Zahlen zeigen: Krisen sind eher die Regel als die Ausnahme.3

Was die Studie außerdem zeigt: Je weniger Schulden der Staat vor dem Ausbruch der Krise hatte, desto milder verlief die Krise. Dieser Zusammenhang leuchtet ein, denn nur gering verschuldete Regierungen haben genügend Luft zur Aufnahme von Krediten, um gegensteuern zu können. Müssen sie hingegen zeitgleich mit dem Privatsektor sparen, so folgt daraus ein schwerwiegender Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 war demgemäß kein Zufall. Sie war vielmehr das unvermeidliche Resultat eines Übermaßes an Schulden, die im privaten Sektor und von einigen Regierungen eingegangen wurden.

Tatsächlich haben wir es mit einem Verschuldungsboom zu tun, der in der Geschichte ohne Beispiel ist. Von 1980 bis 2010 ist die weltweite Verschuldung dramatisch angewachsen. Berechnungen der → Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – der Notenbank der Notenbanken mit Sitz in Basel – weisen für die Industrieländer einen Anstieg von 160 Prozent auf über 320 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus. Real betrachtet, also bereinigt um den Effekt steigender Preise, haben sich die Schulden der Unternehmen mehr als verdreifacht, die der Staaten mehr als vervierfacht und die der privaten Haushalte gar mehr als versechsfacht.

Abbildung 1: Entwicklung der Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, 1980 bis 2010 (in v. H.)

Abbildung 1 zeigt die Zunahme der Verschuldung von Staaten, privaten Haushalten und Unternehmen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den verschiedenen Ländern. Der leichte Rückgang der Schuldenquote in den USA von 1990 bis 2000 ist auf den damaligen Wirtschaftsboom zurückzuführen. Der deutliche Anstieg der Schulden in Deutschland im selben Jahrzehnt ist die direkte Folge der deutschen Wiedervereinigung. In allen Ländern wuchsen die Schulden deutlich schneller als die Wirtschaftsleistung.

Entfesselung der Märkte

Nachdem die Verschuldung über Jahrzehnte hinweg relativ stabil war, setzte ab 1980 ein deutlicher Anstieg ein. Das war kein Zufall, sondern das gewollte Ergebnis der Wirtschaftspolitik. Den Regierungen ging es immer darum, unmittelbar bestehende Probleme auf einfache Weise zu lösen und Rezessionen zu bekämpfen, wie ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt.

In den 1970er-Jahren schwächte sich das Wirtschaftswachstum in der westlichen Welt deutlich ab. Mit dem ersten Ölpreisschock 1973, steigender Inflation und zunehmender Arbeitslosigkeit kam eine Ära ständigen Wachstums und kontinuierlicher Wohlstandsgewinne zu ihrem Ende. Die Zeit des hohen Wachstums seit dem Zweiten Weltkrieg hatten die Staaten dazu genutzt, die Verschuldung im Verhältnis zum BIP zu reduzieren. Nun begannen sie, mit Konjunkturprogrammen im Sinne der Empfehlungen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883 bis 1946) Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die Privatverschuldung war derweil gering. Man wirtschaftete vorsichtig.

Bei Kriegsende hatten sich die führenden Nationen im US-amerikanischen Städtchen Bretton Woods auf ein System fester Wechselkurse mit Bindung an den US-Dollar geeinigt. (Der US-Dollar war damals an den Goldpreis gebunden.) In den ersten Jahren funktionierte das System gut, doch dann mehrten sich die Spannungen. Zu ungleich war die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Staaten. Überdies führten die enormen Kosten des Vietnamkriegs zu deutlichen Staatsdefiziten in den USA. Als die Franzosen Zahlungen in Gold statt in US-Dollar forderten, brach das System fixer Wechselkurse zusammen. Die Bindung des US-Dollar an das Gold wurde 1973 aufgehoben. Die Schaffung neuen Geldes vollzog sich von nun an losgelöst von den Goldbeständen der Notenbanken.

Die Inflationsraten stiegen deutlich an. Der Begriff der »Stagflation« wurde geprägt, um eine Wirtschaft zu umschreiben, deren Entwicklung bei gleichzeitig stark steigenden Preisen erlahmte. Nur durch drastische Zinserhöhungen gelang es den Notenbanken, allen voran der US-Notenbank Federal Reserve Board (kurz Fed), die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Der Preis war eine heftige Rezession Anfang der 1980er-Jahre.

Um das Wachstum der Wirtschaft zu fördern, setzten die Staaten – ausgehend von den USA und Großbritannien – auf eine zunehmende Liberalisierung und Deregulierung vor allem des Banken- und → Finanzsektors. Die Banken durften ihre Geschäfte deutlich ausdehnen und die Finanzierung von Anschaffungen auf Kredit wurde für breitere Bevölkerungsschichten normal.

Nach der erfolgreichen Bekämpfung der Inflation ging das Zinsniveau deutlich zurück. Die Nachfrage der privaten Haushalte und Unternehmen zog an. Die Wirtschaft belebte sich und andere Länder folgten dem Vorbild der USA und Großbritanniens und deregulierten ihre Finanzmärkte.

Wachsende Kredite und ein Wirtschaftsaufschwung bewirkten einen deutlichen Anstieg der Vermögenspreise. Die Kurse von Anleihen stiegen, während die Zinsen sanken. Die Aktienmärkte starteten zum größten »→ Bullenmarkt« ihrer Geschichte, der erst Anfang des Jahres 2000 sein Ende fand.

Mit dem Fall der Mauer und dem Eintritt Osteuropas und Chinas in den Weltmarkt – der sogenannten Globalisierung – intensivierte sich der weltweite Wettbewerb. 820 Millionen Menschen strömten neu auf den weltweiten Arbeitsmarkt.4 Sie brachten die Löhne unter Druck und die Preise stiegen nur noch langsam. Die Inflationsgefahr schien gebannt. Die Notenbanken befürchteten gar eine → Deflation, das heißt im Durchschnitt sinkende Preise. Da eine Deflation als Vorzeichen einer großen Depression wie in den 1930er-Jahren galt, hielten sie mit niedrigen Zinsen dagegen. Um jeden Preis sollte ein Verfall der Preise verhindert werden. Das Zinsniveau war jahrelang zu gering und befeuerte die Preise von Anleihen, Aktien und Immobilien. Es war einfach, auf Kredit ein Vermögen zu machen.

Schulden als Allzweckwaffe der Politik

Wann immer es zu Turbulenzen an den Finanzmärkten kam, waren die Notenbanken zur Stelle. Dies gilt für den Börsenkrach im Oktober 1987 und die Asienkrise 1997/98 ebenso wie für die Russlandkrise 1998/99 und die Schieflage des → Hedgefonds LTCM 1998. Spekulanten und Investoren an den Finanzmärkten gelangten deshalb zu der Überzeugung, dass nie wirklich etwas schiefgehen könne. Die Notenbanken würden sie retten, wann immer es zu einem Unfall im Finanzsystem kommen würde.

Die steigenden Preise der Vermögenswerte erlaubten es zugleich, mehr Kredite nachzufragen. So ließ sich der höhere Preis für ein Haus nutzen, um mit einem weiteren Kredit entweder ein größeres und schöneres Haus zu kaufen oder das neue Auto oder die Ausbildung der Kinder zu bezahlen. Steigende Vermögenswerte und Schulden dienten als Ausgleich für ausbleibende Lohnzuwächse.

Nicht nur die US-Notenbank betrieb eine aggressive Geldpolitik. Auch die japanische Notenbank versuchte, durch eine Politik des billigen Geldes die eigene Wirtschaft, die noch immer unter den Folgen der im Jahr 1990 geplatzten Spekulations- und Schuldenblase litt, auf Wachstumskurs zu bringen. Kredite in Yen waren unschlagbar günstig. Dies regte Spekulanten aus aller Welt dazu an, sich in Yen zu verschulden und auf den weltweiten Finanzmärkten zu spekulieren – eine Einladung, die bereitwillig angenommen wurde.

In diesem Umfeld steigender Kredite und Vermögenswerte wurde das Internet erfunden, das die Hoffnungen auf viele neue Industrien und Geschäftsmodelle nährte. Obwohl es noch einige Zeit dauern sollte, bis sich diese neuen Geschäfte etablierten, kam es an der Börse zu einer wahren Euphorie. Ein neues Zeitalter wurde beschworen und anerkannte Grundsätze der Bewertung von Unternehmen wurden als veraltet abgetan. Angeheizt durch die Hochstimmung und niedrige Zinsen, kam es zur wohl größten Aktienmarktblase der Geschichte. US-Aktien notierten auf der Spitze mit dem mehr als Dreifachen des fundamental gerechtfertigten Wertes und damit deutlich über dem Höchststand vor dem letzten großen Crash von 1929. Es kam, wie es kommen musste: Die Aktienmärkte stürzten ab und die Angst vor einer neuen großen Depression breitete sich aus.

Dies wiederum rief die US-Notenbank auf den Plan. Unter ihrem damaligen Präsidenten Alan Greenspan wurden die Zinsen auf ein erstes Rekordtief gesenkt. Als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Verschärfung der Rezession drohte, wurden sie nochmals herabgesetzt. Die US-Autoindustrie warb mit günstiger Finanzierung. »Keep America rolling«, lautete das Motto. Die US-Regierung tat alles, um den Bürgern den Erwerb von Eigenheimen zu erleichtern. Klares Ziel: durch ein Anheizen der Immobilienpreise den US-Konsum und damit die Wirtschaft stimulieren. Die Methode hatte Erfolg. Die Rezession wurde rasch überwunden, die Wirtschaft wuchs wieder, die Arbeitslosigkeit ging zurück und die Aktienkurse ebenso wie die Immobilienpreise stiegen deutlich.

Die → Zinspolitik der US-Notenbank wirkt sich unmittelbar auf die Zinspolitik in den anderen Ländern aus. Halten die anderen Notenbanken an höheren Zinsen fest, so kommt es zu einer Aufwertung der jeweiligen Währungen mit entsprechenden negativen Wirkungen für den Export und die Wirtschaft in den betreffenden Ländern. Die Notenbanken der Welt sahen sich deshalb gezwungen, den US-amerikanischen Weg mitzugehen. Weltweit sanken die ohnehin schon niedrigen Zinsen noch weiter ab.

Der Euro als Schuldenturbo

In Europa begann zeitgleich ein historisches wirtschaftspolitisches Experiment: Der Euro wurde eingeführt, ohne dass die für eine → Währungsunion wichtigste Voraussetzung – nämlich eine gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik – geschaffen wurde. Der Euro hatte in erster Linie folgende Wirkung: Die Zinsen fielen überall auf das deutlich geringere deutsche Niveau. Da die Inflationsraten nicht gleichermaßen zurückgingen, ergaben sich in vielen Ländern negative → Realzinsen. Die Folge war ein rasanter Verschuldungsboom in den heutigen Krisenländern Europas.

Deutschland, das mit einem zu hohen Umtauschkurs in den Euroraum eingetreten war, durchlief derweil eine schwerwiegende Anpassungskrise. Die Arbeitslosigkeit schnellte nach oben und die Löhne stagnierten. Es folgten umfassende Arbeitsmarktreformen (Harz IV). Die Binnennachfrage war davon besonders betroffen, weshalb sich die Wirtschaft noch stärker auf den Export konzentrierte.

Ein Land, das mehr Waren exportiert als importiert, erzielt einen → Handelsüberschuss. Ein solcher Überschuss steht aber nicht für sich alleine. Spiegelbildlich bedeutet er, dass das Land mehr Kapital aus- als einführt. Wer also einen Handelsüberschuss erwirtschaftet, transferiert Geld ins Ausland. Der → Kapitalexport führt zu einer weiteren Senkung des Zinsniveaus in den anderen Ländern und fördert so den – schuldenfinanzierten – Konsum.

Kapital aus dem Ausland kann gut angelegt sein, zum Beispiel in neuen Fabriken, oder auch schlecht, zum Beispiel in Krediten für Immobilien und Konsum. Können die Kredite nicht bedient werden, so verliert das Kapitalexportland seine Forderungen. Im Grunde genommen könnte es die exportierten Waren, die seiner Kapitalausfuhr gegenüberstehen, auch gleich verschenken. Dieser Aspekt wird uns im Hinblick auf Deutschland noch beschäftigen.

Die niedrigen Zinsen zeigten ihre Wirkung: In den USA, Großbritannien, Spanien, Portugal und Irland stiegen die Preise für Immobilien deutlich. Die Aktienmärkte erholten sich ebenfalls und näherten sich zum Teil wieder den im Jahr 2000 erreichten Höchstständen. Banken und Investoren suchten angesichts der niedrigen Zinsen nach attraktiveren Anlagemöglichkeiten. So kam man in den USA auf die Idee, die vergebenen Hypothekenkredite in Wertpapieren zu bündeln und diese Wertpapiere an Investoren aus aller Welt zu verkaufen. Angesichts der Erfahrung, dass die Immobilienpreise eigentlich nur steigen können, bot dies Investoren eine relative sichere Möglichkeit, ihr Geld anzulegen – so dachte man zumindest.

Der Boom führte dazu, dass die Kreditvergabe immer laxer gehandhabt wurde. Es war immer weniger Eigenkapital vonnöten, um ein Haus zu erwerben, und immer weniger achteten die Banken auf die Finanzkraft des Käufers. Warum auch? Konnten sie doch die Hypothek sogleich, in ein Wertpapier verpackt, an ahnungslose Käufer weiterreichen.

Die Blase platzt

Der Rest ist bereits Geschichte, wie man so schön sagt, denn natürlich kam es, wie es kommen musste: Der Boom wurde immer offensichtlicher. Fernsehsendungen beschäftigten sich mit Strategien, durch »Immobilien-Flipping« – also den schnellen Kauf und Verkauf – reich zu werden. Immer mehr Kunden kauften ohne Eigenkapital, weil sie darauf hofften, der Wertzuwachs des Hauses würde ausreichen, um die Finanzierungskosten zu decken. Aus ihrem laufenden Einkommen konnten viele die Zinsen nicht aufbringen. Die Baubranche boomte und immer mehr Häuser kamen auf den Markt, mit der Folge eines zunehmenden Überangebots.

Als die Immobilienpreise zu fallen begannen, wurde schnell klar, dass viele Schuldner nicht in der Lage waren, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und dass folglich die Wertpapiere längst nicht so werthaltig waren wie gedacht. Die Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers machte die Risiken vollends offensichtlich. Angesichts der Dimensionen, welche die Verschuldung erreicht hatte, und der immer geringer gewordenen Eigenkapitalquoten der Banken drohte ein Kollaps des Finanzsystems, der die Weltwirtschaft in eine tiefe Depression gestürzt hätte.

In Europa zeigte sich zugleich, dass der Euro ein Schönwetterkonstrukt ist. Er ermutigte nicht nur private Haushalte, Unternehmen und Regierungen zu enormer Verschuldung, sondern er hat auch zu wachsenden Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone geführt. Deutschland hatte im Zuge der Krise Anfang des Jahrtausends die Lohnkosten stabilisiert, in den anderen Ländern aber stiegen die Löhne während des Booms weiter an. Infolgedessen verloren die anderen Länder an Wettbewerbsfähigkeit und sammelten im Handel mit Deutschland hohe Defizite an.

»Große Finanzkrisen sind meistens die Folge eines sehr starken Kreditwachstums im privaten Sektor«, lautet das Fazit der bereits angesprochenen Studie der Universität Bonn. Nicht anders ist es auch bei der Krise, die 2008 begann. Im Unterschied zu den 94 von den rheinländischen Forschern untersuchten Krisen der letzten 140 Jahre hatten wir es hier jedoch mit einer Krise zu tun, die nicht nur ein einzelnes Land betraf, sondern nahezu die gesamte westliche Welt.

In den USA erwuchs die Krise aus der zu hohen Verschuldung der privaten Haushalte, vor allem bedingt durch den Immobilienboom, bei zugleich ungenügender Finanzkraft der Banken. In Europa lag die Verschuldung der Unternehmen und der privaten Haushalte auf einem noch höheren Niveau als in den USA. Auffallend hoch war sie bei den privaten Haushalten in Großbritannien, Irland, Spanien und Portugal. Unternehmen, speziell solche aus dem Bausektor, waren vor allem in Irland, Spanien und Portugal hoch verschuldet. Zugleich wiesen Staaten wie Griechenland und Italien bereits 2008 eine nicht tragfähige Schuldenlast auf. Das Bankensystem Europas hatte zugleich deutlich mehr Kredite in den eigenen Büchern stehen als die Kollegen in den USA – und das auch noch mit deutlich weniger Eigenkapital.

Der Euro als Gemeinschaftswährung erschwerte die Anpassung zusätzlich. Früher konnte ein Land durch die Abwertung der eigenen Währung rasch wieder wettbewerbsfähig werden und so die Exporte und damit letztlich die gesamte Wirtschaft beleben. Für die Euroländer ist das nicht mehr möglich. Wer wettbewerbsfähig werden will, muss den Weg der sogenannten internen Abwertung gehen. Dieser Weg (dessen Verlauf im Kapitel »Die Natur der Rezession von 2008« erklärt wird) ist allerdings mit großen Nachteilen verbunden. Er dämpft die Wirtschaft und ist ungemein beschwerlich, langwierig und schmerzvoll.

Japan war es währenddessen nicht gelungen, sich aus der Stagnation zu befreien, die bereits 1990 begonnen hatte. Alle Bemühungen, mit billigem Geld und hohen Staatsausgaben die Wirtschaft zu beleben, waren gescheitert. Nun fiel Japan wieder zurück und geriet gemeinsam mit den Ländern des Westens in eine tiefe Rezession.

Die geschilderten Fakten belegen die Einmaligkeit der Situation von 2008. Noch nie zuvor hat es eine globale Finanzkrise dieses Ausmaßes gegeben. Nicht einzelne Länder, nicht einzelne Sektoren hatten über ihre Verhältnisse gelebt, sondern de facto fast die gesamte westliche Welt. Genau darin lag eine enorme Gefahr: Es drohte der Kollaps des Systems.

DIE ROLLE DER BANKEN

Privatbanken schöpfen Geld

Wenn die Bank einen Kredit gewährt, kann sie dies tun, ohne zuvor eine Spareinlage bekommen zu haben. Sie schafft das Geld also aus dem Nichts – lateinisch »fiat« (»es möge entstehen«), weshalb man von einem Fiat-Geldsystem spricht.

Dies ist eigentlich kein Problem. Vergibt doch die Bank im eigenen Interesse einen Kredit nur gegen eine gute Sicherheit wie zum Beispiel eine Immobilie oder eine Fabrikanlage. Konsumentenkredite sind schon kritischer zu sehen, weil nur die künftigen Einkommen des Schuldners für den Kredit geradestehen. Dieses höhere Risiko zeigt sich in der Regel am Zins, der höher ist als bei anderen Darlehen.

Der Kreditnehmer bekommt das Darlehen auf seinem Konto gutgeschrieben. Damit verfügt er über von der Bank neu geschaffenes Geld, das er für Konsum und Investitionen nutzen kann. Kauft er beispielsweise eine Immobilie, so wird das Geld dem Verkäufer gutgeschrieben. Dessen Einlage bei seiner Bank wächst um den entsprechenden Betrag. Dabei ist es egal, ob das Guthaben bei derselben Bank anfällt, die den Kredit vergeben hat, oder bei einer anderen. Da die Banken sich untereinander und über die Zentralbank wiederum Geld leihen, gleichen sich die durch den Kredit ausgelösten Zahlungsvorgänge stets gegeneinander aus.

Problematisch wird es erst, wenn der Schuldner seinen Kredit nicht bedienen kann und die Sicherheiten nicht (mehr) so werthaltig sind wie angenommen. Dann erleidet die Bank Verluste aus dem Kredit, während das Guthaben des Hausverkäufers und aller anderen Sparer bei der Bank unverändert bleiben. Die Bank, die den Kredit vergeben hat, droht insolvent zu werden. Das Geld, das sie selbst geschaffen hat, stellt nun eine Forderung gegen sie selbst dar. Um sich gegen die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit zu schützen, achten solide Banken darauf, es mit der → Geldschöpfung nicht zu übertreiben. Ausreichendes Eigenkapital und vorsichtige Kreditvergabe sind die beste Voraussetzung für eine Bank, um dauerhaft im Geschäft zu bleiben.

Sofern der größte Teil der Kreditvergabe dazu dient, Investitionen zu finanzieren, sind Krisen selten. Normalerweise investieren Unternehmen nur bei soliden Geschäftserwartungen und Banken finanzieren nur bei ausreichenden Sicherheiten mit entsprechendem Risikopuffer. Zugleich achten gut geführte Banken darauf, ihre Forderungen gegen einzelne Schuldner in einem gewissen Rahmen zu halten, damit eine einzelne Kreditbeziehung nicht zum Untergang der Bank führt. Welche Folgen eine Missachtung dieses Grundsatzes hat, zeigt etwa die Pleite der Kölner Traditionsbank Sal. Oppenheim im Jahr 2009. Der Großkunde Arcandor ging in den Konkurs und riss die Bank mit in den Abgrund. Letztlich endeten die Reste des Instituts bei der Deutschen Bank.

Da Banken mit recht geringem Eigenkapital arbeiten, sind sie immer anfällig für Verluste an Vertrauen aufseiten ihrer Kunden, egal ob diese berechtigt sind oder nicht. Der Verlust an Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit einer Bank kann zu einem Ansturm der Kunden auf diese Bank führen, die allesamt ihre Einlagen abziehen wollen. Der berüchtigte Bank-Run kann auf andere Banken übergreifen und so eine Banken- und Finanzkrise auslösen.

Solche Krisen zu verhindern war das Hauptmotiv für die Gründung von Zentralbanken, die im Krisenfall als lender of last resort – Kreditgeber letzter Instanz – einspringen. Die Zentralbank kann glaubhaft garantieren, dass kein Kunde sein Geld verliert. Allerdings ist die Rettung einer Bank im Krisenfall an harte Auflagen gebunden. Der Bankenexperte und Herausgeber des Economist, Walter Bagehot, hat dazu schon 1873 klare Regeln aufgestellt. Demnach soll die Zentralbank im Krisenfall nur solventen Banken helfen, nur gegen die Hinterlegung von sehr guten Sicherheiten und zu einem hohen Strafzins. Mit diesen Regeln wollte er sicherstellen, dass die Banken vorsichtig agieren und ihre Fähigkeit zur Geldschöpfung nicht missbrauchen.

Rund 90 Prozent des Geldes, das wir verwenden, wurde vom privaten Bankensystem geschaffen. Nur der kleinste Teil wird von der Notenbank – also der Bundesbank, der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der US-Notenbank Fed – zur Verfügung gestellt. Obwohl die Zentralbanken der Welt einen anderen Eindruck erwecken, sind ihre Möglichkeiten, die Entwicklung der Geldmenge zu beeinflussen, nur sehr indirekt und schwach: Sie können den Zinssatz und die Mindestreserve, welche die Banken bei ihnen hinterlegen müssen, variieren. Dabei sind sie in einer passiven Rolle: Die Zentralbanken folgen dem Bankensystem, nicht umgekehrt.

Zentralbanken können jedoch durch das Angebot billigen Geldes das Zinsniveau insgesamt beeinflussen. Diese Möglichkeit haben die Zentralbanken jahrzehntelang genutzt.5

Niemand versteht die Banken

»Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh«, meinte schon der Autopionier Henry Ford.

So gesehen ist es gut, dass eine Umfrage unter britischen Abgeordneten ergeben hat, dass noch neun von zehn denken, dass das Geld ausschließlich vom Staat geschaffen wird. Getrost kann man davon ausgehen, dass es um das Verständnis bei deutschen Abgeordneten und der breiten Öffentlichkeit hierzulande nicht besser bestellt ist.6

Nun könnte man meinen, es spiele keine Rolle, dass die breite Öffentlichkeit unser Geldsystem nicht versteht, solange es funktioniert und solange die Fachleute zumindest wissen, wie es geht und was zu tun ist, um Krisen zu verhindern. Doch genau dies ist nicht der Fall, wie Zoltan Jakab und Michael Kumhof in einer neuen Studie der Bank of England aufzeigen.7 Ihre zentrale Aussage lautet: Während die Experten bei Notenbanken, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) das System verstehen, herrschen in der allgemeinen Volkswirtschaftslehre und auch bei den Bankern selbst immer noch völlig falsche Vorstellungen von der Funktionsweise des Geldsystems vor.

Hätte es nicht solch fatale Wirkungen, so könnte man über dieses Versagen der Volkswirtschaftslehre lachen. Die beiden Autoren haben nämlich herausgefunden, dass eine korrekte Abbildung der Arbeitsweise von Banken zu ganz anderen Ergebnissen bei der volkswirtschaftlichen Analyse führen würde. Die Veränderungen der Bankbilanzen, also die Großzügigkeit oder Zurückhaltung bei der Vergabe von Krediten und damit der Schaffung von Geld, vollziehen sich viel schneller und haben deutlich größere Auswirkungen auf die Realwirtschaft, als die Volkswirte denken.

Erst recht dann, wenn die Kreditwürdigkeit der Schuldner der Bank sinkt, wie zum Beispiel nach einem heftigen Einbruch am Immobilienmarkt, sind die Folgen für die Wirtschaft dramatisch: Die Banken schränken die Kreditvergabe drastisch ein. Überraschen kann dies nicht, denn nur wenn die Schuldner ausreichende Sicherheiten haben und ihre Pflicht zur Zahlung von Zinsen erfüllen, ist das von den Banken geschaffene Geld werthaltig. Wenn die Schuldner ausfallen, dann verliert die betroffene Bank sehr schnell ihre Zahlungsfähigkeit, sind doch die Eigenkapitalquoten der Banken mit durchschnittlich rund 3 Prozent extrem gering.

Betrachtet man die Banken nicht als allein neutrale Vermittler zwischen Ersparnissen und Investitionen – wie das in vielen Lehrbüchern getan wird –, so erkennt man, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die kurzfristige Entwicklung der Wirtschaft haben. In guten Zeiten, in denen die Einkommen sicher und die Vermögenspreise hoch sind oder weiter steigen, geben Banken gerne Kredit. In schlechten Zeiten hingegen halten sie sich zurück. Mit anderen Worten: Sie verhalten sich prozyklisch, das heißt, sie verstärken die Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten. Volkswirte hingegen erwarten in ihrem Vermittlermodell genau das Gegenteil: Weil in schlechten Zeiten die Ersparnisse zunehmen, gehen sie davon aus, dass die Banken mehr Kredite anbieten. Doch diese Annahme ist völlig falsch.

Diese Erkenntnis hat dramatische Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik. Solange mit falschen Annahmen zur Funktionsweise der Banken gearbeitet wird, laufen wir Gefahr, die falsche Medizin zu verordnen. Die Regulierung der Banken setzt an den falschen Hebeln an und die Geldpolitik verfolgt eine falsche Strategie.

Unproduktive Kredite

Der Anteil des Finanzsektors am Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Lag er in den 1960er-Jahren noch zwischen 2 Prozent (Deutschland) und 4 Prozent (USA), so ist er inzwischen auf Werte zwischen 6 Prozent (Deutschland) und 12 Prozent (Großbritannien) gestiegen.8

Dabei führt das prozyklische Verhalten der Banken nicht nur zu einer regelmäßigen Abfolge von Booms und Krisen, sondern tendenziell zu immer größeren Krisen. Wie wir gesehen haben, ist die Verschuldung der westlichen Welt in den letzten 40 Jahren kontinuierlich gewachsen. Dies ist so zu erklären: Die Banken vergeben zunächst Kredite an solvente Schuldner mit guten Sicherheiten. Damit wächst die Geldmenge. Die Wirtschaft läuft gut, Einkommen und Vermögenspreise steigen.

Höhere Vermögenspreise signalisieren einen Wertzuwachs bei den Sicherheiten. Die Banken können mehr Kredite geben, die Schuldner mehr Kredite aufnehmen. Am besten geht dies in der Tat mit Immobilien. Banken geben Kredite an Immobilienkäufer, die – ausgestattet mit dem Kredit – bereit sind, immer mehr für ein Haus zu bezahlen. Dabei wird das System zunehmend selbstreferenziell: Immobilienpreise gelten als günstig im Verhältnis zu den Beträgen, die in anderen Ländern bereits bezahlt oder aber auch im eigenen Land bald bezahlt werden dürften.

Welche Dimensionen diese Entwicklung erreicht hat, zeigen Zahlen aus England. Seit 1990 haben sich die Hypotheken und Kredite an Immobilien- und Finanzunternehmen von 33 Prozent auf nun 98 Prozent des BIP verdreifacht. Die Ausleihungen an die produktiven Sektoren – also die Unternehmen außerhalb des Finanzsektors, die in Maschinen und Anlagen investieren oder neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln– blieben stabil bei 25 Prozent des BIP.9

Merksatz

Das bedeutet: Englische Banken verleihen vier Mal so viel an unproduktive wie an produktive Sektoren der Wirtschaft.

Vorhandene Vermögensobjekte werden dadurch, dass Käufer deren Erwerb mit Krediten finanzieren, immer teurer.

Nicht anders sieht es unter anderem in den USA, Australien, Kanada, Holland und Schweden aus.

Diese Erkenntnis ist wichtig, betrachten wir die Diskussion zu Vermögen und Vermögensverteilung, die im Jahr 2014 durch das Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert des französischen Ökonomen Thomas Piketty an Intensität gewonnen hat. Piketty beklagt in seinem Buch eine deutliche Zunahme der Vermögen seit 1980 und befürchtet eine erhebliche Schieflage. In meinem eigenen Buch Die Schulden im 21. Jahrhundert habe ich dargelegt, dass die Vermögensentwicklung in direktem Zusammenhang mit der gestiegenen Verschuldung steht.

Eine Analyse des amerikanischen Ökonomie-Doktoranden Matthew Rognlie im Frühjahr 2015 hat ergeben, dass der Vermögensanstieg fast ausschließlich auf Immobilien zurückgeführt werden kann.10 Er ist eine klare Folge der unbegrenzten Kreditvergabe der Banken.

Exkurs

EXKURS: Von Vermögen und Schulden

Die Medien sind voll mit Berichten über die Ungleichverteilung des Weltvermögens. Immerhin soll 1 Prozent der Weltbevölkerung so viel besitzen wie die übrigen 99 Prozent zusammen. Gefordert wird mehr Umverteilung, breitere Bildung, mehr Regulierung der Finanzmärkte.

Der Franzose Thomas Piketty zeigt in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert einen Anstieg der Vermögen und der Vermögenskonzentration und erwartet eine Fortsetzung dieses Trends. Dabei unterstellt er, dass die Rendite (r), die auf Vermögen erwirtschaftet wird, konstant über der Wachstumsrate der Wirtschaft (g) liegt. Kurz gefasst lautet diese mittlerweile berühmte Annahme:

r > g

Es gibt berechtigte Zweifel am nachhaltigen Bestand dieses behaupteten Zusammenhangs. Nur kurzzeitig kann es Phasen geben, in denen r größer als g ist. Ein entscheidendes Gegenargument ist, dass ein wichtiger Vermögensbestandteil selbst genutzte Immobilien sind, deren Ertrag r – also die fiktive Miete für das eigene Haus oder die eigene Wohnung – per Definition nicht gespart wird, weil er in der Realität gar nicht anfällt.

Piketty erwartet unabhängig vom Wirtschaftswachstum eine reale Kapitalrendite von 4 bis 5 Prozent. Die grundsätzliche Frage, wie es überhaupt sein kann, dass Vermögen dauerhaft schneller wachsen als das Volkseinkommen, stellt er jedoch nicht. Ein derartiges Wachstum der Vermögenswerte und auch der Vermögenskonzentration wäre ohne die zeitgleich enorm gestiegene weltweite Verschuldung gar nicht möglich. Dabei wirken Schulden auf unterschiedliche Art und Weise:

Zunächst führen Schulden zu mehr Nachfrage und damit mehr Wirtschaftswachstum und höheren Unternehmensgewinnen. Wie wir zuvor gesehen haben, war dies gerade in den USA erforderlich, um die stagnierenden Einkommen der Mittelschicht zu kompensieren.

Darüber hinaus erlauben Schulden die Nachfrage nach Vermögenswerten. Stellen Sie sich vor, Sie könnten eine Aktie zu 100 Euro kaufen, die jedes Jahr eine Dividende von 10 Euro abwirft. Die Verzinsung läge also bei 10 Prozent. Wenn Sie jetzt gegen einen Zinssatz von 5 Prozent 50 Euro bei der Bank leihen, müssen Sie nur noch 50 Euro von Ihrem eigenen Geld einsetzen. Da die Aktiengesellschaft nach wie vor 10 Euro pro Aktie ausschüttet und Sie davon nur 2,50 Euro an die Bank abgeben müssen (5 Prozent auf 50 Euro), bleiben Ihnen noch 7,50 Euro. Das entspricht einer stolzen Verzinsung von 15 Prozent (7,50 Euro auf 50 Euro Einsatz). Die Fachleute sprechen vom sogenannten Leverage-Effekt. Wenn die Bank noch großzügiger ist, können Sie sich vielleicht sogar 80 Prozent des Kaufpreises leihen. Zu Ihren 100 Euro Eigenkapital kämen dann weitere 400 Euro Kredit. Sie würden Aktien für 500 Euro kaufen, 20 Euro als Zinsen an die Bank zahlen (5 Prozent auf 400) und 30 Euro für sich behalten. Ihre Rendite würde auf 30 Prozent steigen.

Natürlich steigt der Preis der Aktie angesichts der enormen Rendite. Aber selbst wenn er sich verdoppelt, dann lohnt es sich noch. Steigt der Preis um 100 Prozent, so wächst auch Ihr Eigenkapital von 100 Euro auf 200 Euro, während die Schulden bei 400 Euro festgeschrieben sind. Die Bank wird Ihnen nur zu gerne weitere Kredite einräumen, ist doch jetzt Ihre Sicherheit so viel mehr wert. Sie sehen schon: Eine wunderbare Spirale der Vermögensvermehrung lässt sich in Gang setzen.

Zusätzlich können Sie natürlich mehr konsumieren, weil Sie deutlich reicher geworden sind.

Die skizzierten Abläufe zeigen, dass es kein Zufall ist, dass die Vermögen zeitgleich mit den Schulden gewachsen sind. Das Gegenteil ist der Fall: Es besteht ein zwangsläufiger Zusammenhang.

Merksatz

Ohne willige Banken und den gigantischen Kreditboom würde es Vermögenszuwächse wie die von Piketty beklagten gar nicht geben.

Kreditbasiertes Wachstum erhöht die Anfälligkeit der Wirtschaft für Krisen überproportional. Kommt es zu einem Rückgang der Immobilienpreise – was, wie wir wissen, nicht ausgeschlossen, sondern nur eine Frage der Zeit ist –, geraten die Banken sehr rasch in Not. Sie stellen fest, dass sie zu großzügig waren. Sie erleiden erste Verluste, die Sicherheiten verlieren an Wert und sie schränken die Vergabe neuer Kredite ein. In der Folge geraten die Immobilienpreise noch stärker unter Druck und ein wachsender Teil der Kredite ist nicht mehr ausreichend besichert. Erste Notverkäufe setzen ein und es beginnt eine Abwärtsspirale, die das ganze Finanz- und Bankensystem in den Abgrund ziehen kann.

Es war diese Entwicklung, die im Zentrum der Finanzkrise stand, als die Immobilienblasen in den USA, Irland, Spanien und Portugal platzten. Angesichts der Dimension der Verschuldung und der globalen Vernetzung der Finanzbeziehungen war eine große Depression mit Bankenpleiten, einer kollabierenden Realwirtschaft und Massenarbeitslosigkeit realistisch.

Wie in der Studie der Universität Bonn beschrieben, war es nun an den Regierungen und Notenbanken, diesen Kollaps zu verhindern. Genau das haben sie getan. Die Regierungen haben Banken mit neuem Kapital versorgt, verstaatlicht oder ihnen die faulen Schulden abgenommen und in sogenannte Bad Banks ausgelagert. Die Regeln der Rechnungslegung wurden für Banken so angepasst, dass sie Verluste verschieben und verstecken konnten. In Deutschland versprachen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) in einer Fernsehansprache den Sparern, dass ihr Geld bei den Banken sicher sei.

Die Notenbanken senkten die Zinsen erneut – wie schon in allen Krisen seit 1987 – und überschwemmten die Märkte mit Liquidität. Mit Erfolg: Die Vermögenswerte stabilisierten sich, die Aktienkurse stiegen, die Immobilienpreise zogen an. Die Verluste der Banken gingen zurück, die Krise war vorerst abgewendet.

Merksatz

Die Finanzkrise von 2009 war keine normale Krise im Rahmen des typischen Auf und Ab des Kreditzyklus, sondern eine Krise, die nach mehreren Jahrzehnten des Kreditbooms das Finanzsystem an die Grenze des Zusammenbruchs geführt hat.

Weg vom Krisenzyklus

Seither ist wenig passiert, um eine Wiederholung zu verhindern. Die Regulierung hat nichts daran geändert, dass die Banken mit einem viel zu geringen Eigenkapital arbeiten und sich prozyklisch verhalten. Die weltweite Verschuldung wächst ungebremst weiter.

Was nötig wäre, liegt auf der Hand: deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen, ein echtes Konkursrisiko für die Banken, Zentralbanken, die zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Geldpolitik zurückkehren, und ein Instrumentarium, um das prozyklische Verhalten der Banken zu verhindern. Letzteres wäre möglich, indem man zum Beispiel in Zeiten starken Kreditwachstums die erforderliche Eigenkapitalhinterlegung erhöht und in Zeiten geringen Wachstums verringert.

Dafür müssten die Entscheidungsträger allerdings nicht nur verstehen, wie das System funktioniert, sondern auch bereit sein, es zu ändern. Zweifel am realen Gehalt beider genannten Voraussetzungen sind angebracht.

In dem äußerst sehenswerten Film Margin Call11 aus dem Jahr 2011 gibt es eine Schlüsselszene. Der soeben gefeuerte Risikomanager der Bank räsoniert über sein Leben und stellt fest, dass sein einziger echter Beitrag zur Verbesserung der Welt der Bau einer Brücke gewesen sei, die für Tausende von Pendlern die Fahrstrecke um 40 Meilen reduziert. Seine Arbeit bei der Bank hingegen sei nicht nutzbringend für die Gesellschaft gewesen.

Diese Szene verdeutlicht ein weiteres Problem: Der Schaden durch ein aufgeblasenes, übergroßes Finanzsystem liegt nicht nur in den Kosten der Krisenbekämpfung, die letztlich eine Privatisierung von Gewinnen und eine Sozialisierung von Verlusten mit sich bringt. Hinzu kommt, dass die besten Talente nicht zur Erhöhung des Wachstumspotenzials der Volkswirtschaft beitragen, sondern stattdessen an den Finanzmärkten spekulieren.

Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) kommt zu einem eindeutigen Ergebnis:12 Die Produktivität des Realsektors sinkt, wenn der Finanzsektor eines Landes einen zu hohen Anteil einnimmt. Ein hohes Wachstum im Finanzsektor – zum Beispiel infolge eines Kreditbooms, der erfahrungsgemäß vor allem die nicht produktiven Bereiche einer Volkswirtschaft begünstigt (Immobilien!) – führt zu geringeren Produktivitätszuwächsen. Die Ursachen für geringere Produktivität der Wirtschaft als Ganzes sind demnach

Bevorzugungen nicht produktiver Investitionsbereiche und

Abwanderungen hoch qualifizierter Arbeitskräfte in den Finanzsektor.

Beides führt dazu, dass forschungsintensive Branchen in einem Land mit schnell wachsendem Finanzsektor langsamer wachsen als forschungsschwache Sektoren in Ländern mit langsam wachsendem Finanzsektor. Die Realwirtschaft wird infolgedessen derart geschwächt, dass sie noch schlechter dasteht als die schwächsten Sektoren anderer Länder! Es wäre volkswirtschaftlich vernünftiger, wenn die Banker nicht Banker wären, sondern Ingenieure.

Selbst das britische Wirtschaftsmagazin Economist13 sieht die Rolle der Banken kritisch und fragt, weshalb die zunehmende Bedeutung des Finanzsektors mit geringerem Wirtschaftswachstum und vermehrt auftretenden Blasen an den Finanzmärkten zusammentrifft. Meine Antwort ist einfach:

Merksatz

Der Finanzsektor verdient umso mehr, je höher die Verschuldung einer Volkswirtschaft ist.

Parallel zur Zunahme der Gewinne im Finanzsektor ist die Verschuldung in allen Ländern deutlich gestiegen. Von neu geschaffenem Geld profitieren immer jene am meisten, die über das neue Geld als Erste verfügen. Und das ist in erster Linie der Finanzsektor.

DEUTSCHLAND UND DER EURO

Scheinblüte auf Pump

Die Einführung des Euro hat einen schuldenfinanzierten Boom in den heutigen Krisenländern des Euroraums ausgelöst. Die Zinssätze waren angesichts nach wie vor vergleichsweise hoher Inflationsraten deutlich zu gering. Dabei kam es zu einer sich selbst verstärkenden Entwicklung, die ich am Beispiel Spaniens erläutern möchte.

Zunächst führten die billigen Kredite zu einer erhöhten Nachfrage nach Immobilien. Die Preise zogen an und noch mehr Menschen stellten fest, dass der Kauf von Immobilien auf Kredit ein attraktives Geschäft darstellt. In der Folge stieg die Nachfrage nach Immobilien weiter und im Verein mit ihr die Preise. Es wurde immer lohnender, Häuser zu bauen. Die Konjunktur belebte sich deutlich. Die Wirtschaft wuchs und die Einkommen stiegen. Weil der Bedarf an Arbeitskräften in der Bauwirtschaft zunahm, erlebte Spanien einen wahren Zustrom an neuen Arbeitskräften aus dem Ausland. Auch diese benötigten Wohnraum für sich und ihre Familien, was die Bautätigkeit wiederum ankurbelte.

Der Aufschwung der Wirtschaft führte zu steigenden Löhnen und Gehältern, die Steuereinnahmen stiegen, während die Kosten für Sozialleistungen zurückgingen. Der spanische Staat erzielte Überschüsse und konnte die Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt deutlich senken.

Die Nachfrage wuchs weiter und die Importe nahmen zu, weil die eigene Industrie gar nicht über genügend Kapazitäten verfügte, um die enorme Nachfrage zu bedienen. Mehrere Jahre in Folge verzeichnete Spanien erhebliche Außenhandelsdefizite, die aber niemanden weiter störten, weil es sich vor allem um Defizite mit anderen Ländern im Euroraum handelte. Man nahm an, Defizite in einem gemeinsamen Währungsraum wären so wenig wichtig wie Defizite im Handel zwischen Bayern und Niedersachsen. Das war ein großer Irrtum, wie sich inzwischen herausgestellt hat.

Die immer schneller steigende private Verschuldung bereitete niemandem Sorge. Weshalb sollte sie auch, geben doch Banken gewöhnlich nur gegen gute Sicherheiten Kredit? Und welche Sicherheiten konnten schon besser sein als Immobilien, die bekanntlich nicht an Wert verlieren? Dass der Bausektor Spaniens mittlerweile so groß war wie jener von Frankreich, England und Deutschland zusammen, fiel nicht weiter auf.

Nicht nur spanische Banken hatten den Boom finanziert. Aufgrund der schwachen Binnenkonjunktur war die Kreditnachfrage in Deutschland schwach. Auf der Suche nach attraktiven Anlagemöglichkeiten expandierten die deutschen Banken ins Ausland. Nur zu gerne gaben sie Banken und Unternehmen in anderen Ländern Kredit und trieben das Wachstum der Blase zusätzlich an.

Die Krise traf Spanien mit voller Wucht. Immer mehr Immobilien konnten nicht zu den erwarteten Preisen verkauft werden, die Preisen sanken und es zeigte sich, dass viel zu viel gebaut worden war. Die Bauwirtschaft stürzte ab, Bauträger gingen Konkurs. Immobilien wurden zusehends unverkäuflich. Die Rechnung vieler Hauskäufer, wonach allein der Wertzuwachs die Kosten der Finanzierung decken würde, ging nicht auf. Die Sicherheiten der Banken erwiesen sich als mehr oder weniger wertlos. Der schuldenfinanzierte Boom brach in sich zusammen.

»Rette sich, wer kann« war das Motto der Geldgeber und Schuldner. Alle wollten nun ihre Risiken zu reduzieren. Die Hauskäufer, indem sie versuchten, ihre Immobilie zu verkaufen – was den Druck auf dem Markt zusätzlich erhöhte. Die Banken, indem sie ihre Immobilienausleihungen reduzierten. Ein sich selbst verstärkender Abwärtstrend. Hatten sich im Aufschwung steigende Immobilienpreise und zusätzliche Kredite gegenseitig verstärkt, so trat im Abschwung das Gegenteil ein. Die Immobilienpreise fielen immer schneller und die Banken forderten ihr Geld zurück – oder vom Eigentümer mehr Eigenkapital. Die ausländischen Banken kappten ihre Kreditvergabe und versuchten ebenfalls, so viel wie möglich von ihrem Geld zurückzubekommen. Spanische Banken, die in der Immobilienfinanzierung aktiv waren – vor allem die Caixas, die Sparkassen –, standen vor der Pleite.

Die spanische Wirtschaft brach infolge der Immobilien- und Bankenkrise ein. Die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe und der Staat, der während des Booms Überschüsse erzielt hatte, verzeichnete nunmehr deutliche Defizite. Es trat genau der Effekt ein, den die Forscher der Universität Bonn für vergangene Krisen diagnostiziert haben: Die Staatsschulden stiegen, weil der Staat eingreifen musste, um eine durch zu hohe private Schulden ausgelöste Krise zu bekämpfen.

Die Natur der Rezession von 2008

Der Wirtschaftseinbruch in den Krisenländern im Jahr 2008 war demzufolge keine normale Rezession, sondern eine direkte Folge des vorangegangenen schuldenfinanzierten Booms. Nun ging es darum, die Bilanzen von privaten Haushalten, Unternehmen und Banken zu reparieren. Die Schuldenlasten mussten verringert werden. Die Fachwelt spricht auch von einer → Bilanzrezession, ein Begriff, den Richard Koo von der japanischen Investmentbank Nomura geprägt hat:14

Die Schuldner – also private Haushalte und Unternehmen – reduzieren ihre Ausgaben und verkaufen Vermögensgegenstände, um ihre Schulden zu reduzieren. Folge: Die Wirtschaft bricht ein und die Vermögenswerte verlieren weiter an (Markt-)Wert.