Elbengift - Frank Rehfeld - E-Book

Elbengift E-Book

Frank Rehfeld

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Beschreibung

Die neue Fantasy-Saga des deutschen Erfolgsautors

Mit Hilfe der Elben gelang es den Zwergen von Elan-Dhor, die Invasion der Dunkelelben zurückzuschlagen und die Angreifer zu vernichten. Doch der Preis war zu hoch. Der Fluch, der die Vorfahren der Dunkelelben verdammte, hat ein neues Ziel gefunden. Nun ist es an Warlon und den Zwergen, den Elben Hilfe und Heilung zu bringen, auch wenn sich bereits wieder alter Groll zwischen den Völkern regt. Doch Warlon wird seine neuen Freunde niemals im Stich lassen …

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Seitenzahl: 454

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Frank Rehfeld

Elbengift

Die Zwerge von Elan-Dhor 1

Roman

Originalausgabe

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. 1. AuflageOriginalausgabe April 2011 bei Blanvalet,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCopyright © 2011 by Frank RehfeldUmschlagmotiv: © HildenDesign unter Verwendung einer Illustration von Raphael Lacoste Redaktion: Simone HellerHK · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-05564-6V002www.blanvalet.de

Prolog

Stimmen drangen vergänglichen Schatten gleich durch die Unendlichkeit, wurden leiser, verloren sich, zerfaserten und verhallten schließlich im Nichts, bis kurz darauf neue erklangen. Jedenfalls dachte das Wesen dies zunächst, bis es irgendwann plötzlich erkannte, dass es sich eigentlich nicht um Stimmen, sondern um seine eigenen Gedanken handelte.

Die Erkenntnis löste Erschrecken in ihm aus, eine Empfindung, die es bisher noch nie gespürt hatte, von der es nicht gewusst hatte, dass es dazu fähig war. Es hatte nicht einmal geahnt, dass es überhaupt zu Empfindungen fähig war. Jedenfalls konnte es sich nicht erinnern, jemals zuvor welche verspürt zu haben. Es konnte sich nicht erinnern, dass es überhaupt jemals etwas anderes gekannt hatte als die Unendlichkeit um sich herum, durch die es trieb, angefüllt mit allen nur erdenklichen Farben und voller seltsamer Formen, die immer wieder zerflossen und sich neu bildeten.

Und den Stimmen.

Die Stimmen waren da gewesen, seit es sich erinnern konnte, ohne dass es ihnen jemals bewusst gelauscht hatte. Nun jedoch hatte sich etwas verändert, und es begriff, dass es bereits zuvor etwas gefühlt hatte, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, weil das Gefühl bislang einfach ein vertrauter Teil seiner Existenz gewesen war. Die Stimmen waren beruhigend gewesen, hatten es mit der tröstlichen Einbildung erfüllt, dass andere bei ihm waren, obwohl es ihnen noch nie begegnet war.

Nun jedoch war diese Illusion ausgelöscht, und das Gefühl von Einsamkeit brach mit erbarmungsloser Gewalt über es herein. Es begriff, dass es in Wahrheit allein war, dass es vollkommen für sich durch die Endlosigkeit trieb. Das Erschrecken darüber steigerte sich zu Entsetzen und wurde immer stärker, bis es nicht einmal mehr klar denken konnte und selbst die vermeintlichen Stimmen verstummten. Aber der Aufruhr in seinem Inneren übertrug sich auf seine Umgebung. Die Farben wirbelten wild durcheinander und vermengten sich, die Formen zerflossen und bildeten sich neu, zumeist zu bedrohlich erscheinenden, deformierten Gebilden, die sich gleich darauf wieder auflösten und erneut andere Gestalt annahmen.

Einsam.

Allein.

Treibend in der Unendlichkeit.

Unfähig, etwas anderes zu tun, als nur zu sein.

In ihm herrschten nichts als Chaos, Schrecken und Angst. Es wusste nicht, wie lange es gefesselt von seinen Empfindungen einfach nur so dahintrieb, da Zeit hier keinerlei Bedeutung besaß, bis sich auf einmal etwas änderte.

WER BIST DU?

WAS BIST DU?

Verwirrung mischte sich unter die Empfindungen, die es erfüllten. Die Stimme entsprang nicht ihm selbst, war kein bloßer Widerhall seiner Gedanken, dennoch begriff es erst mit Verzögerung, dass sie tatsächlich von außen zu ihm drang und was das bedeutete.

Gerade noch hatte es die Erkenntnis der allumfassenden Einsamkeit in tiefste Verzweiflung gestürzt, doch sie traf nicht zu.

Es war nicht allein!

1 DIE FROSTSPINNE

Dezember 9424 neuer Zeitrechnung der Elben

Frostige Böen fauchten den Reitern einen Willkommensgruß entgegen, als sie den Kamm des Felsgrates erreichten, der ihnen bislang notdürftig Schutz vor dem eisigen Wind geboten hatte. Es wäre für Lhiuvan einfach gewesen, sich genau wie seine Begleiter durch Magie vor der Kälte und dem Sturm zu schützen, doch im Gegensatz zu ihnen hatte er darauf verzichtet und lediglich um sein Pferd einen entsprechenden Zauber gewoben. Er mochte die Unbilden der Natur, selbst den rauen Biss des Windes, der ihm wie eine Kampfansage Schneefäuste entgegenschleuderte und die ungeschützte Haut seines Gesichts prickeln und brennen ließ.

Zumindest an diesem Tag.

Der Schnee stach wie mit Millionen winziger Nadeln auf sein Gesicht ein, aber er begrüßte den Schmerz, denn er zeigte ihm, dass er noch lebendig war. Ein Gefühl, das er in letzter Zeit viel zu selten verspürt hatte. Kälte und Schnee waren wie ein Feind, dem er sich zum Kampf stellen wollte, dem er nicht ausweichen und von dem er sich nicht niederringen lassen würde.

»Wie weit wollt Ihr die Patrouille noch ausdehnen?«, fragte einer der Elbenkrieger, die ihn begleiteten. Er musste schreien, um sich durch das Brüllen des Sturms verständlich zu machen. »Die Frostspinne entfernt sich vom Tal und stellt schon längst keine Gefahr mehr dar.«

Ein anderer deutete auf die kaum noch erkennbaren Vertiefungen im Schnee vor ihnen.

»Ihre Spur ist schon jetzt fast zugeweht, und in ein, zwei Stunden wird es dunkel. Spätestens dann müssen wir die Verfolgung abbrechen. Wenn wir jetzt umkehren, können wir es bis zur Dämmerung noch zurück zum Tal schaffen.«

Lhiuvan sah zum Himmel auf, der mit dicken, grauen Wolken bedeckt war, die das Versprechen auf noch viel mehr Schnee bargen. Dann ließ er seinen Blick über die Einöde aus Felsen, Schnee und Eis wandern, die sich vor ihnen erstreckte. Natürlich hatten die anderen recht, natürlich wäre es an der Zeit, umzukehren. Sie hätten es schon längst tun sollen. Die Frostspinne war dem goldenen Tal nicht einmal sonderlich nahe gekommen und hatte niemals eine Bedrohung dargestellt. Nur durch puren Zufall waren sie auf ihre Spur gestoßen, und es hatte von Anfang an keinen vernünftigen Grund gegeben, sie zu verfolgen.

Aber nicht immer ging es nur um Vernunft.

»Brechen wir die Verfolgung ab«, entschied er nach kurzem Überlegen. »Ich denke auch, dass das Biest keine Gefahr mehr darstellt. Reitet schon vor. Ich will nur noch etwas überprüfen und folge euch dann.«

Mit sichtlicher Erleichterung wendeten die Reiter ihre Pferde, lediglich Naltiria zögerte. Die junge Kriegerin hatte noch nicht an vielen Patrouillenritten teilgenommen, und Lhiuvan wusste, dass sie eine schwärmerische Verliebtheit für ihn empfand, ein Gefühl ohne jegliche Aussicht auf Erwiderung.

»Ich würde lieber mit Euch reiten«, sagte sie. Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen, sodass Lhiuvan sie kaum verstehen konnte.

Er schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht nötig. Ich werde nicht lange brauchen.«

»Ihr wollt die Frostspinne weiter verfolgen«, hielt Naltiria ihm unumwunden vor. »Versucht gar nicht erst, es zu leugnen, ich erkenne es in Euren Augen. Ich habe keine Angst vor dem Ungeheuer. Lasst mich Euch begleiten.«

Lhiuvan erschrak. Waren ihm seine Gedanken so deutlich anzumerken? Am liebsten hätte er Naltiria befohlen, sich den anderen anzuschließen, doch stattdessen zuckte er nach ein paar Sekunden nur die Achseln und ritt weiter. Sollte sie ihm folgen, wenn sie wollte.

Er verstand selbst nicht ganz, was mit ihm los war. Gedanken, wie er sie in letzter Zeit immer häufiger und drängender verspürte, hatte er früher nicht gekannt – das Verlangen, sich mit jemandem oder wenigstens mit etwas zu messen, zu kämpfen.

Zu töten.

Es war ein düsteres Verlangen, eines Elben unwürdig. Er schämte sich dafür, doch es war so stark, dass es ihn manchmal fast von innen heraus aufzufressen schien, wenn er ihm nicht bald nachgab. Bis in seine Träume hinein verfolgte ihn immer häufiger der Drang, sein Schwert in lebendes Fleisch zu treiben, mit seiner Klinge durch Haut, Sehnen, Muskeln und Knochen zu schneiden, zu töten und zu zerstückeln.

Wie stets, wenn ihn diese Gedanken packten, empfand Lhiuvan Schrecken und Abscheu vor sich selbst, und wie stets versuchte er sie auch jetzt zu verdrängen.

»Warum?«, brüllte Naltiria ihm über das Fauchen des Sturms zu, nachdem sie ihr Pferd an seine Seite gelenkt hatte.

Lhiuvan antwortete nicht, tat, als hätte er sie gar nicht gehört.

»Warum?«, rief sie noch einmal. »Die Frostspinne stellt doch keine Gefahr mehr da. Warum wollt Ihr sie unbedingt weiter jagen?«

Fast widerwillig wandte Lhiuvan ihr für einen Moment das Gesicht zu und blickte sie an. Kälte und Wind vermochten ihr nichts anzuhaben – auch sie hatte sich durch einen Zauber geschützt. Ihr blondes, glattes Haar fiel herab und umrahmte ihr Gesicht. Es war ein überaus hübsches Gesicht, wie auch er zugeben musste, mit großen, leicht mandelförmigen Augen. Er hätte sich ob ihrer Gefühle für ihn glücklich schätzen sollen, obwohl ihm bewusst war, dass diese weniger ihm persönlich als dem berühmten Krieger galten, dem sie ihr Leben verdankte. Als Sklavin und dazu bestimmt, wie Schlachtvieh zu enden, war sie in den unterirdischen Katakomben tief unter dem Schattengebirge und der Zwergenmine Elan-Dhor aufgewachsen. Einem Stoßtrupp aus Elben und Zwergen war es gelungen, die Gefahr durch die Thir-Ailith, die Abtrünnigen seines Volkes, die sich dem Bösen verschrieben hatten und vor Äonen in die Tiefe verbannt worden waren, zu beseitigen und deren Opfer zu befreien, darunter auch Naltiria.

Etwas mehr als sieben Jahre lag das nun zurück.

Und damit auch der Tod Aliriels, der einzigen Frau, die er jemals geliebt hatte und jemals lieben würde. In einem Stollen der Zwergenmine Zarkhadul hatte sie bei einem Überfall der Thir-Ailith ein grausames und sinnloses Ende gefunden, und trotz der mittlerweile verstrichenen Jahre war es ihm seither unmöglich, etwas für eine andere Frau zu empfinden. Es wäre ihm wie Verrat vorgekommen.

Auch Naltiria würde dies irgendwann erkennen, vermutlich schon bald, und selbst wenn es sie im ersten Moment schmerzen würde, würde sie wahrscheinlich schnell darüber hinwegkommen. Aber auch daran wollte er jetzt nicht denken.

Er hätte ihr gar nicht erst gestatten sollen, bei ihm zu bleiben, aber sein Verlangen, sich in einem Kampf zu beweisen, war kurzzeitig so stark gewesen, dass ihm alles andere gleichgültig geworden war, und es wäre grausam und verantwortungslos gewesen, sie jetzt allein zurückzuschicken. Noch andere Gefahren und Ungeheuer als Frostspinnen lauerten in der eisigen Einöde, und obwohl sie sich trotz ihrer Jugend bereits zu einer hervorragenden Kriegerin entwickelt hatte, wollte er sie keinem unnötigen Risiko aussetzen.

Narr, schalt er sich gleich darauf selbst. Welche größeren Gefahren könnten sie wohl erwarten, als eine hungrige Frostspinne auf Beutezug zu jagen, die schrecklichste Bestie in diesem Teil der Welt?

Wortlos trieb er sein Pferd an, preschte schneller und schneller durch die Eiswüste, ehe die Spuren des Ungeheuers völlig verweht wurden. Die Frostspinne hatte ihre Höhle irgendwo in der Nähe, das spürte er. Sie kamen dem Ungeheuer näher. Erwartung und Vorfreude erregten ihn und löschten jegliches andere Gefühl aus.

Kein Mensch, vermutlich nicht einmal der geübteste menschliche Fährtenfinder, wäre noch in der Lage gewesen, der Spur der Frostspinne zu folgen. Aber was konnte man von minderwertigen Völkern schon erwarten, egal ob es sich um Menschen, Zwerge oder sonst jemanden handelt, dachte Lhiuvan. Niemand unter ihnen besaß so scharfe Sinne wie ein Elb, und genau diese scharfen Sinne ermöglichten es ihm selbst jetzt noch, die fast zugewehten Abdrücke im Schnee zu erkennen.

Er ritt wesentlich schneller, als in diesem Gelände angeraten gewesen wäre. Überall unter der trügerisch glatten Schneedecke konnten sich tückische Spalten verbergen, die eine Gefahr für ihn, aber mehr noch für sein Pferd darstellten. Doch das Jagdfieber war stärker als jede Regung seines Verstandes. Er wandte nicht einmal den Kopf, um sich zu vergewissern, ob Naltiria ihm noch folgte.

Nach einiger Zeit wurden die Spuren deutlicher und führten in einem Bogen auf eine große Hügelkette im Norden zu. Mit etwas Glück, so hoffte Lhiuvan, waren diese Hügel das Ziel der Frostspinne und sie hatte irgendwo dort eine Höhle. Er war der Verfolgung überdrüssig, wollte das Ungeheuer endlich stellen, es im Kampf bezwingen und töten.

Die Hügel erwiesen sich als fast gebirgsartig zerklüftet, mit tief eingeschnittenen Schluchten und steil aufragenden Felswänden. Eine Umgebung, wie Frostspinnen sie liebten, was Lhiuvans Hoffnung steigerte, den Unterschlupf des Ungeheuers gefunden zu haben.

Die Felsen boten Schutz vor dem Biss des Windes, wodurch auch die Spuren der Bestie nicht mehr so rasch verweht wurden und nun wieder besser zu sehen waren. Sie führten durch eine breite, gewundene Schlucht, die von zerklüfteten, rund einem Dutzend Meter hohen Felswänden begrenzt wurde.

Sie gelangten an eine recht steil ansteigende Geröllhalde. Lhiuvan zögerte kurz, dann sprang er aus dem Sattel und band sein Pferd an einem Felsbrocken fest. Es erschien ihm zu gefährlich, über das mit einer dicken Schneedecke überzogene Geröll zu reiten. Er zog eine Fackel aus den Satteltaschen, wartete, bis Naltiria es ihm gleichgetan hatte, dann begannen sie die Steigung hinaufzuklettern. Rasch merkten sie, wie gut es war, dass sie die Tiere zurückgelassen hatten. Das feine Gestein war so glatt, dass es ihren Füßen mehrmals keinen Halt bot und sie nur mit äußerster Geschicklichkeit verhindern konnten, dass sie stürzten und das gerade erst emporgestiegene Stück zurückrutschten. Jedes Pferd würde sich auf diesem Untergrund die Beine brechen.

Schließlich endete der Hang. Fast lotrecht fiel das Gestein in einen mehrere Meter durchmessenden Kessel ab, der auf allen Seiten von hohen Felsen umgeben war. In einer der Felswände klaffte ein Loch, bei dem es sich nur um den Eingang zur Höhle der Frostspinne handeln konnte. Innerlich jubelte Lhiuvan in grimmigem Triumph auf. Er hatte gewusst, dass er das Ungeheuer allen Widrigkeiten zum Trotz aufspüren würde. Nun endlich waren sie am Ende ihrer Jagd angelangt und hatten ihr Ziel erreicht.

Die Felswand wies kaum Vorsprünge oder Vertiefungen auf und stellte selbst für einen Elben eine Herausforderung dar. Durchgefroren, wie er war, würde er es schwerlich schaffen, daran hinunterzuklettern, erkannte Lhiuvan. Auch würde er seine ganze Kraft und Geschmeidigkeit im Kampf gegen die Frostspinne benötigen, und so umgab er sich nun doch mit einem Schutzzauber gegen die Kälte. Rasch breitete sich eine angenehme Wärme auf seiner Haut aus, drang kribbelnd in sein Inneres und vertrieb die Steifheit aus seinen Gliedern.

Er beugte sich vor, musterte die vor ihm abfallende Felswand gründlich und schwang sich dann über die Kante. Behände und elegant, wie es nur ein Elb vermochte, kletterte er ohne einen Laut in die Tiefe, fand für Hände und Füße Halt an kaum sichtbaren Vorsprüngen oder Vertiefungen im Gestein, so dass es aussah, als würde er wie eine Spinne am Fels kleben.

Bereits nach wenigen Sekunden erreichte er den Grund des Kessels. Naltiria folgte ihm nicht minder langsam und mit mindestens ebenso großer Eleganz. Als sie sich nur noch einen knappen Meter über dem Boden befand, bröckelte ein winziger Vorsprung ab, auf den sie den rechten Fuß setzte. Instinktiv versuchte Lhiuvan den Stein aufzufangen, aber trotz seiner elbenhaft schnellen Reaktion griff seine Hand ins Leere. Der nicht ganz faustgroße Stein fiel zu Boden und kullerte davon.

Gleich darauf erreichte auch Naltiria den Grund. Lhiuvan warf ihr einen zornigen Blick zu. Einige Sekunden lang lauschte er angespannt, aber es blieb alles ruhig. Offenbar war der Aufprall des Steins nicht bis in die Höhle zu hören gewesen.

Vorsichtig näherten sie sich der Öffnung im Fels und zogen ihre Schwerter, wobei sie die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgleiten ließen, um jedes verräterische Geräusch zu vermeiden.

Sie drangen ein Stück weit in den Stollen ein, der sich hinter der Öffnung erstreckte, bis es zu dunkel wurde, als dass sie noch etwas hätten erkennen können. Lhiuvan rieb die Spitze seiner Fackel an der Wand entlang. Funken sprühten und setzten die Fackel in Brand. Ein grelles weißes Licht flackerte auf.

Spätestens jetzt musste die Frostspinne die drohende Gefahr bemerken, aber das spielte nun keine Rolle mehr. Das Ungeheuer konnte ihnen nicht mehr entkommen.

Wenige Schritte vor ihnen verbreiterte sich der Stollen und mündete in eine Höhle. Lhiuvan bebte mittlerweile vor Erregung am ganzen Körper. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, nicht blindlings vorzustürmen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sein Verstand nur noch von dem Gedanken ans Töten und Vernichten erfüllt.

Sie erreichten den Eingang zur eigentlichen Höhle. Sie war größer als erwartet, viele Dutzend Meter in alle Richtungen, und selbst das grell-weiße, nahezu taghelle Licht der Fackel reichte nicht aus, sie vollständig zu erleuchten. Allerdings nahm Lhiuvan an ihrem hinteren Ende vage, schattenhafte Bewegungen wahr.

Um seine Selbstbeherrschung war es endgültig geschehen. Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, stürmte er mit einem lauten Schrei los, sein Schwert in der einen und die Fackel in der anderen Hand. Hinter ihm rief Naltiria etwas, doch er nahm es nur am Rande wahr und achtete nicht darauf.

Wenige Sekunden später schrie sie erneut, und diesmal war es eindeutig ein Warnschrei. Im gleichen Moment sah Lhiuvan aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Instinktiv warf er sich zur Seite, und vermutlich rettete nur diese ungeheuer schnelle Reaktion ihm das Leben.

Welche Bewegung er auch immer im Hintergrund der Höhle gesehen hatte, die Frostspinne war es nicht. Das Ungeheuer musste seine Annäherung sehr wohl frühzeitig bemerkt haben und hatte an der Decke gelauert. Nun ließ es sich auf ihn herabfallen, und nur um Haaresbreite entging er einem tödlichen Hieb.

Statt ihn voll zu treffen, streifte das auf ihn herabzuckende Spinnenbein ihn nur, dennoch war die Wucht des Hiebes immer noch groß genug, ihn von den Beinen zu reißen und mehrere Meter weit durch die Luft zu wirbeln. Die Fackel entglitt seiner Hand und fiel zu Boden, brannte dort jedoch weiter. Wenigstens gelang es Lhiuvan, sein Schwert festzuhalten und so zu drehen, dass er sich beim Aufprall auf den Fels nicht selbst darauf aufspießte oder anderweitig verletzte.

Benommen blieb er einen Moment liegen und kämpfte gegen den Schmerz an, der wie eine feurige Lohe durch seinen ganzen Körper raste. Neben ihm ragte die Frostspinne wie ein Berg empor, erschien ihm aus seiner liegenden Position noch größer, als sie ohnehin war. Hellgraues, stoppeliges Fell, das ihr sowohl vor Fels als auch im Schnee ideale Tarnung bot, bedeckte ihren monströsen Körper und die mehr als mannslangen Beine. Aus im Fackellicht funkelnden Facettenaugen starrte das Ungeheuer auf ihn herab, doch es griff nicht an, um ihm den Todesstoß zu versetzen.

Stattdessen wandte es unschlüssig den Kopf. Erst jetzt sah Lhiuvan, dass Naltiria herbeigeeilt war und dem Monstrum mit ihrem Schwert einen wuchtigen Hieb versetzte. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden rettete sie ihm damit das Leben.

Die Bestie ließ die Gelegenheit verstreichen, ihn zu töten, stattdessen fuhr sie herum und wandte sich dem augenscheinlich gefährlicheren Gegner zu, der sie attackierte. Drohend fauchte sie Naltiria an, die einen weiteren Streich gegen eines der langen Beine führte, es jedoch verfehlte.

Vorsichtig bewegte Lhiuvan seine Glieder. Er hatte sich eine Reihe von Prellungen zugezogen, doch erleichtert stellte er fest, dass offenbar keine Knochen gebrochen waren. Schrecken und Schmerz hatten das Jagdfieber und die Erregung in ihm abkühlen lassen. Nun aber kehrten sie rasch zurück und überschwemmten erneut seine Gedanken. Er unterdrückte den Schmerz, stemmte sich hoch und packte sein Schwert fester.

Naltiria wurde von der Frostspinne immer weiter zurückgedrängt. Durch die Länge ihrer Beine besaß diese eine weitaus größere Reichweite als die junge Elbin. Immer wieder schlug das Ungeheuer nach ihr, manchmal mit mehreren Beinen gleichzeitig, und teilweise gelang es Naltiria nur mit knapper Not, den Hieben ausweichen. Nur vereinzelt kam sie dazu, ihrerseits mit dem Schwert zuzuschlagen. Und selbst wenn sie traf, erwies sich das Fell der Frostspinne als so zäh, dass ihre Klinge es kaum zu durchdringen vermochte und dem Monstrum nur leichte Verletzungen zufügte, die es kaum behinderten, sondern es höchstens noch wütender machten.

Umgekehrt steckte in den langen Spinnenbeinen genug Kraft, um einen Elben zu töten oder zumindest kampfunfähig zu machen. Lhiuvan wagte sich kaum vorzustellen, was mit ihm geschehen wäre, wenn der Hieb ihn voll getroffen hätte.

Und dabei waren die Beine noch nicht einmal die gefährlichsten Waffen einer Frostspinne. Sie trug ihren Namen nicht nur deshalb, weil sie vor allem in eisigen Breitengraden anzutreffen war. Sollte es ihr gelingen, ihn mit ihren Giftzähnen zu beißen, so war er verloren. Das Gift einer ausgewachsenen Frostspinne war für jedes Lebewesen absolut tödlich.

Noch bevor das Untier auf die neue Gefahr aufmerksam wurde, versetzte Lhiuvan ihm von hinten einen Schlag gegen eines seiner Beine. Auch seine Klinge vermochte das Fell lediglich zu ritzen, doch immerhin quollen einige Blutstropfen aus der Wunde.

Die Bestie stieß ein wütendes Fauchen aus, doch noch ehe sie herumfahren und sich ihm zuwenden konnte, schlug er ein weiteres Mal zu. Er traf exakt dieselbe Stelle noch einmal. Sein Schwert fraß sich tiefer in die bereits bestehende Wunde und ließ sie weiter aufklaffen.

Sofort wich Lhiuvan einige Schritte zurück.

Voller Wut und Schmerz setzte ihm die Frostspinne nach. Mit zwei Beinen zugleich hieb sie nach ihm, und nur mit einem zusätzlichen, weiten Satz nach hinten konnte er ihnen ausweichen.

Gleichzeitig verlor die Bestie das Gleichgewicht. Die Wunde, die er ihr beigebracht hatte, zeigte Wirkung: Als sie ihr verletztes Bein belastete, knickte es unter ihr weg. Der gesamte massige Körper geriet ins Schwanken. Einen Moment lang hoffte Lhiuvan, dass sie vollends zu Boden stürzen würde, aber soweit kam es nicht. Dennoch war sie für Sekunden damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht zu wahren, so dass sie während dieser Zeit praktisch verteidigungsunfähig war.

Naltiria erkannte die sich bietende Gelegenheit und griff sofort wieder an. Auch Lhiuvan wollte sich erneut auf das Ungeheuer stürzen, als er plötzlich einen Schmerz im rechten Oberschenkel verspürte. Gleich darauf breitete sich eisige Kälte in seinem Bein aus und lähmte es, sodass nun er seinerseits den Halt verlor und zu Boden stürzte, als das Bein seinen Muskeln nicht mehr gehorchte.

Er blickte geradewegs in die Facettenaugen zweier weiterer Frostspinnen, allerdings wesentlich kleiner als das Ungetüm, mit dem er es bislang zu tun gehabt hatte. Jetzt wusste er, was für eine Bewegung er im Hintergrund der Höhle wahrgenommen hatte, und ihm wurde klar, warum die Spinne bei der Jagd bereit gewesen war, sich so weit von ihrer Höhle zu entfernen. Sie hatte eine Brut zu versorgen!

Glücklicherweise waren ihre Nachkommen noch jung und nicht allzu groß. Wäre er gestanden, hätten sie ihm gerade bis zur Hüfte gereicht, doch jetzt, da er halb gelähmt auf dem Boden lag, erschienen selbst sie ihm als riesige, Furcht einflößende Ungetüme.

Erneut versuchte eines der Jungen nach ihm zu beißen, doch diesmal war Lhiuvan auf der Hut. Wild schwang er sein Schwert, und wenn er auch nicht traf, reichte es doch, das Biest zurückzutreiben. Dabei hatte er Glück, dass die Brut noch so jung und ihr Gift längst nicht so konzentriert wie bei einem erwachsenen Tier war, sonst wäre er bereits tot gewesen. So aber merkte er, wie die Kälte und damit auch die Lähmung allmählich wieder aus seinem Bein zu weichen begannen.

Er warf einen raschen Blick zu Naltiria hinüber. Sie wurde von der Frostspinne in arge Bedrängnis gebracht, doch dank ihrer Geschicklichkeit gelang es ihr, den Angriffen immer wieder auszuweichen und dem Ungeheuer ihrerseits kräftige Schwerthiebe zu versetzen.

Aber Lhiuvan sah auch drei weitere junge Spinnen, die aus dem Hintergrund der Höhle herankrochen. Zwei davon näherten sich ihr, die dritte kam auf ihn zu. Er rief Naltiria eine Warnung zu.

Nicht allzu weit von ihm entfernt, aber knapp außerhalb seiner Reichweite, lag die Fackel auf dem Boden. Mühsam wälzte Lhiuvan sich herum, bis er sie mit den Fingerspitzen seiner linken Hand erreichen und ergreifen konnte. Er schwenkte sie im Halbkreis. Die Brut der Frostspinne fürchtete das Feuer und wich zornig zischend zurück.

Ein kaum erträgliches Kribbeln breitete sich in Lhiuvans Bein aus, als die Kälte wich und das Gefühl zurückkehrte. Er überprüfte, ob er es wieder belasten konnte. Zumindest teilweise gelang es ihm. Die Fackel weiterhin vor sich schwenkend kämpfte er sich mit äußerster Mühe wieder auf die Füße.

Eines der Jungen versuchte seine Schwäche auszunutzen und schlug mit seinen beiden vorderen Beinen nach ihm. Wuchtig ließ Lhiuvan sein Schwert niedersausen. Auch das Fell war beim Nachwuchs noch längst nicht so fest und dicht wie bei einem ausgewachsenen Tier. Die rasiermesserscharfe Klinge glitt hindurch und trennte beide Beine dicht unterhalb des Gelenks ab. Das Ungeheuer bäumte sich auf und stieß einen schrillen Schrei aus. Noch einmal stieß Lhiuvan sein Schwert auf das Jungtier hinab, und diesmal spaltete er ihm mit einem mächtigen Hieb den Kopf.

Brüllend fuhr das Muttertier herum, als es bemerkte, dass er eines ihrer Jungen getötet hatte.

Für Naltiria bedeutete dies Rettung in höchster Not. Ein Hieb eines der Spinnenbeine hatte sie zu Boden gestreckt, wo sie der Frostspinne nahezu hilflos ausgeliefert war. Nun jedoch verlor die Bestie schlagartig jedes Interesse an ihr und kam noch immer vor Wut und Schmerz über den Tod ihres Jungen brüllend auf Lhiuvan zugestürmt.

Aber Zorn und Rachedurst machten sie auch blind und unvorsichtig. Lhiuvan erwartete sie ruhig, das Schwert in der einen und die Fackel in der anderen Hand. Rasend vor Hass schlug das Ungeheuer mit seinen Beinen nach ihm, während ihn gleichzeitig eines der Jungen ein weiteres Mal zu beißen versuchte.

Erst im letzten Moment wich er geschickt zur Seite aus, zu spät für die Bestie, ihren Angriff noch zu bremsen. Eines ihrer wirbelnden Beine traf an seiner statt eines der Jungen und schleuderte es davon, gleich darauf prallte sie gegen das zweite und begrub es fast unter sich. Kläglich wimmernd brach es zusammen.

Lhiuvan wartete den Moment ab, an dem die Bestie dicht an ihm vorbeistürmte, um ihr mit einem kraftvollen Schwerthieb eine weitere Wunde an einem ihrer Beine zuzufügen. Die Frostspinne schien es nicht einmal wahrzunehmen. Sie stupste ihr wimmerndes Junges vorsichtig an, sodass er Gelegenheit zu einem weiteren Hieb fand, während er aus den Augenwinkeln sah, dass Naltiria sich benommen wieder aufrichtete.

Erneut wurde die Frostspinne von rasender Wut gepackt. So schnell und plötzlich, dass er es kaum wahrnahm, stürzte sie sich ein weiteres Mal auf ihn.

Nur mit knapper Not konnte er ihren wirbelnden Beinen ausweichen, aber das war nicht die einzige Gefahr. Dicht vor ihm klaffte das Maul mit den mehr als fingerlangen, nadelspitzen Giftzähnen auf. Klebriger Geifer tropfte davon herab.

Ein Ausweichen war nicht mehr möglich. Instinktiv riss er die Fackel nach oben. Der Kopf der Bestie zuckte vor dem grellen Licht und der Hitze zurück. Giftiger Geifer spritzte durch die Luft, aber die zuschnappenden Zähne verfehlten ihn. Lhiuvan versetzte dem Ungeheuer mit der Fackel einen Schlag gegen das Maul und stach gleichzeitig mit seinem Schwert nach einem der Facettenaugen, verfehlte es jedoch.

Die Frostspinne bäumte sich auf. Geschickt tauchte er unter ihren Beinen hindurch und stach erneut zu. Die Schwertspitze bohrte sich tief in ihre Brust, wo das Fell nicht ganz so dicht wuchs, drang durch Fleisch und Sehnen – und hing plötzlich fest!

Um ein Haar wäre Lhiuvan das Schwert aus der Hand gerissen worden. Mit aller Kraft zerrte er am Griff, aber es gelang ihm nicht, es wieder zu lösen. Wahrscheinlich hatte sich die Klinge an einem der Knochen verhakt, die dieses Monstrum anstelle eines Außenpanzers besaß.

Es brüllte, bäumte sich für einen Moment noch höher auf und stürzte dann zurück. Lhiuvan konnte die Waffe nicht länger festhalten, wollte er nicht unter dem riesigen Leib begraben werden. Seine Finger rutschten vom Griff ab. Er taumelte zurück, wäre fast zu Boden gestürzt und konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht halten, während er unbeholfen die Fackel vor sich schwenkte.

Inzwischen war Naltiria herangekommen und griff das Ungeheuer mit Todesverachtung erneut an. Lhiuvan erkannte, dass er es in unverantwortlicher Weise unterschätzt hatte. Ohne die junge Elbin, die er anfangs nur für eine Belastung gehalten und gar nicht hatte mitnehmen wollen, wäre er bereits tot. Sie blutete am Kopf, an der linken Seite färbte sich ihr blondes Haar rot. Doch schien es glücklicherweise nur eine harmlose Platzwunde zu sein, und auch ihre Benommenheit hatte sie abgeschüttelt, denn sie bewegte sich wieder mit der gleichen Geschmeidigkeit wie zuvor.

Inzwischen jedoch war die Frostspinne auf der Hut und ließ sich kein weiteres Mal von hinten überrumpeln. Auch sie bemerkte den heranstürmenden Feind und ließ augenblicklich von Lhiuvan ab, um sich Naltiria zuzuwenden. Mit einer für ein Wesen ihrer Größe unglaublich schnellen Bewegung fuhr sie trotz ihrer bereits erlittenen Verletzungen herum.

Diesmal versuchte sie auch gar nicht erst mit ihren Beinen nach der Elbin zu schlagen. Stattdessen zuckte ihr Kopf vor. Lhiuvan sah das Verhängnis kommen und stieß einen Schrei aus, aber es war bereits zu spät. Naltiria schaffte es nicht mehr, dem Angriff auszuweichen. Tief bohrten sich die Zähne des Ungeheuers in ihre Schulter.

Auch Naltiria schrie auf, doch ihr Schrei brach abrupt ab. Beinahe augenblicklich begann das Gift zu wirken. Sie erstarrte zur Regungslosigkeit, ihr hübsches Gesicht eine verzerrte Grimasse aus Schmerz und Entsetzen. Ihre Haut und ihre Haare verloren die Farbe, wurden gräulich und blass. Einen Moment lang sah es so aus, als würde sich eine wächserne Schicht darüberlegen, doch Lhiuvan wusste es besser.

»Nein!«, brüllte er.

Er hatte selbst erlebt, wie lähmend kalt schon das Gift des Frostspinnenjungen gewesen war. Das um ein Vielfaches konzentrierte Gift des Muttertieres entfaltete eine ungleich stärkere Wirkung. Was wie eine wächserne Schicht aussah, war in Wirklichkeit Eis. Im Augenblick ihres Todes war Naltirias gesamter Körper in ungeheurer Kälte gefroren.

Schreckensbleich musste Lhiuvan mit ansehen, wie die Frostspinne eines ihrer Beine hob und damit nach der Elbin schlug. Es war ein fast sanfter Hieb, dennoch reichte er aus, Naltiria zu zerschmettern. Wie eine gläserne Skulptur zerbarst ihr gefrorener Körper in tausende winzige Bruchstücke, die über den Höhlenboden verteilt wurden. Einzig ihre Ausrüstung blieb davon verschont. Ihre Gürtelschnalle, ihr Schwert und ein Dolch, den sie im Gürtel getragen hatte, fielen zusammen mit ihrer Kleidung klirrend zu Boden.

Entsetzen und ohnmächtige Verzweiflung über den Tod der jungen Elbin erfüllten Lhiuvan. Auch wenn er unfähig gewesen war, ihre Liebe zu erwidern, die sie dazu gebracht hatte, ihm hierher zu folgen, hatte er sie doch gern gehabt. Er hatte die Verantwortung für sie getragen, und ohne sie wäre er längst selbst ein Opfer der Frostspinne geworden.

Irgendetwas in ihm zerbrach. Hass und ein grenzenloses Verlangen nach Rache stiegen in ihm auf und fegten alle anderen Gefühle beiseite.

Als die Frostspinne sich erneut ihm zuwandte, wich er ihrem zuschlagenden Bein mit einem weiten Satz aus, kam mit einer Rolle wieder auf die Füße und hetzte an dem Untier vorbei auf die Stelle zu, an der Naltiria gestorben war. Noch immer steckte sein Schwert im Leib des Untiers, und waffenlos hatte er keinerlei Chance. Hastig hob er Naltirias Schwert auf. So leistete sie ihm selbst im Tod noch einen letzten Dienst. Es war eine gute Waffe, wenn auch etwas leichter als seine eigene und nicht ganz so perfekt ausbalanciert, aber sie lag auf jeden Fall gut in der Hand und würde ihren Zweck erfüllen.

Er ließ sie zwei-, dreimal durch die Luft sausen, um ein Gefühl dafür zu bekommen – mehr Zeit blieb ihm nicht, ehe die Frostspinne sich erneut auf ihn stürzte.

Lhiuvan legte all seine Kraft und Konzentration in einen gewaltigen Streich gegen ihr vorderes linkes Bein. Er traf exakt die schon vorhandene Wunde, und diesmal war der Hieb so gewaltig, dass er das Bein vollständig durchtrennte. Das abgeschlagene Ende wirbelte durch die Luft, Blut spritzte aus der Wunde. Das Monstrum stieß schrille Laute aus, die in den Ohren schmerzten, und bäumte sich auf. Schwerfällig versuchte es vor ihm zurückzuweichen, doch Lhiuvan setzte sofort nach. Der Vorderleib der Bestie sank nach unten, als sie wegen des fehlenden Beins einknickte. Sofort nutzte er die Gelegenheit und attackierte sie mit der Fackel.

Diesmal gelang es ihm, eines ihrer Augen zu treffen. So gut geschützt ihr übriger Körper auch war, für ihre Augen galt das Gegenteil. Es überraschte Lhiuvan selbst, wie leicht und tief die Fackel eindrang; er spürte kaum einen Widerstand.

Erneut kreischte die Frostspinne schmerzerfüllt auf. Wie rasend schlug sie mit ihren noch verbliebenen Beinen nach ihm, sodass er sich nur durch einen hastigen Sprung zurück retten konnte.

Aber das Ungeheuer war nun so schwer verletzt, dass er den Kampf endlich beenden und es töten wollte. Er täuschte eine Bewegung nach rechts an, bewegte sich dann stattdessen mit elbenhafter Geschwindigkeit nach links, und kam auf diese Art in den toten Winkel, wo es mit seinem ausgebrannten Auge nichts mehr sehen konnte.

An den eigentlichen Leib der Frostspinne kam er nicht heran, ohne dass er Gefahr lief, von einem der in blindwütiger Agonie durch die Luft peitschenden Beine getroffen zu werden, deshalb führte er seine Hiebe auch weiterhin gegen die Beine aus. Wenn das Ungeheuer sich drehte, vollzog er die Bewegung mit, sodass er sich auch weiterhin stets außerhalb seines Sichtfeldes hielt.

Es gelang ihm, ein weiteres Bein abzuschlagen, und damit war das Schicksal der Frostspinne vollends besiegelt. Ihre nun noch verbliebenen beiden linken Beine schafften es nicht, das Gewicht ihres Körpers zu tragen. Sie brach zusammen und trieb sich damit sein altes, in ihren Knochen verhaktes Schwert noch tiefer in den Leib. Aus ihrem Brüllen und Kreischen wurde ein klägliches Wimmern.

Lhiuvan umrundete den Koloss und näherte sich ihm erneut von vorne. So wurde die Gefahr für ihn zwar größer, da die Bestie ihn hier sehen konnte und nach ihm zu schlagen begann, doch fehlte ihr die vorherige Beweglichkeit. Ihre Hiebe waren schwerfällig und langsam, und es bereitete ihm keinerlei Schwierigkeit, ihnen auszuweichen.

Im Gegenzug hieb er wieder und wieder kraftvoll auf ihr vorderes rechtes Bein ein, bis auch dieses abgeschlagen zu Boden fiel.

Damit war ihm das Ungeheuer nun völlig ausgeliefert. Es trommelte mit den Beinen auf den Boden, ohne ihn erreichen zu können. Voller Hass und Schmerz starrte es ihn aus dem lidlosen Facettenauge an, und Lhiuvan starrte einige Sekunden lang triumphierend zurück, ehe er genüsslich auch in dieses Auge die Fackel stieß und es zum Erlöschen brachte.

Einen Moment lang überlegte er, ob er das Ungeheuer einfach so liegen lassen sollte, damit es in seiner Hilflosigkeit langsam und qualvoll verendete, doch brachte er das nicht fertig. Entgegen jeglicher Elbenart hielt jedoch nicht Mitleid ihn davon ab. Ganz im Gegenteil, es hätte den Blutdurst, der ihn wieder fest in seinen Krallen hielt, nicht befriedigt. Einzig seine Gier zu töten trieb ihn an.

Wie besessen hieb er auf die Beine des nunmehr hilflosen Monstrums ein, schlug eins nach dem anderen ab. Die Frostspinne zuckte nur mehr wimmernd in ihrem Schmerz, doch nach wie vor gab er sich nicht zufrieden. Zunächst versuchte er sich noch einzureden, dass er lediglich Rache für Naltirias grausamen Tod übte, doch als immer mehr und mehr Blut floss, dachte er nach einiger Zeit an überhaupt nichts mehr. Nur von dem Drang zu zerstückeln beseelt, hackte er wieder und wieder auf den riesigen Körper ein, merkte nicht einmal, dass die Frostspinne irgendwann den letzten Rest ihres Lebens aushauchte.

Erst als seine Arme schließlich zu erlahmen begannen, ließ er von ihr ab, verharrte einige Sekunden keuchend und wandte sich dann stattdessen ihrer Brut zu. Die Jungen waren zurück in den hinteren Teil der Höhle geflohen, wo sich ihr Nest befand. Lhiuvan ließ keines von ihnen am Leben.

Erneut gönnte er seinen schmerzenden Muskeln einige Momente Ruhe, dann hackte er weiter auf den Kadaver der Frostspinne ein. Diesmal waren seine Schläge jedoch gezielter als zuvor, kein blindwütiges Verstümmeln mehr. Es ging ihm darum, sein Schwert freizulegen, das noch im Leib der Bestie steckte und unter ihr begraben war.

Als er es endlich an sich genommen hatte, hob er Naltirias Kleidung und ihre Ausrüstung auf und verließ die Höhle, ohne sich noch einmal umzublicken.

Sein Blutdurst und sein Verlangen nach Kampf und Tod waren gestillt.

Zumindest für den Augenblick.

2 EINE KÖNIGLICHE HOCHZEIT

Juni 9430 neuer Zeitrechnung der Elben

Niemand, der jemals eine Zwergenfeier miterlebt hatte, hätte bestritten, dass Zwerge gerne sangen, vor allem nach einigen zünftigen Humpen Bier oder Wein. Allerdings galt ihre Vorliebe in erster Linie derben Sauf- und Kampfliedern, wie dem unsterblichen Klassiker

Bringt noch Fässer herein,wir wollen mehr Wein.Unser Blut ist rot, unser Feind bald tot,

der sich auf jeder Feier großer Beliebtheit erfreute und vor allem nach Genuss größerer Mengen des entsprechenden Weins stets aus zahlreichen Kehlen lauthals mitgegrölt wurde.

Poetische Dichtkunst war wahrlich keines der Gebiete, auf denen es Zwerge zu besonderer Meisterschaft gebracht hatten. Ihre kunstfertigen Talente lagen eher im handwerklichen Bereich als im Ersinnen geschliffener Liedtexte und feiner Melodien. Dies war vielmehr die Domäne menschlicher und vor allem elbischer Barden, die mit Wort und Musik weitaus geschickter umzugehen verstanden. Und dennoch hätten wohl auch sie Schwierigkeiten gehabt, die Pracht und den Prunk der Hochzeit zwischen Königin Tharlia und Kriegsmeister Thilus in Worte zu kleiden, die der Wahrheit tatsächlich gerecht wurden, obwohl in der nächsten Zeit zweifellos viele Lieder darüber gesungen werden würden.

Für viele war die Nachricht von der königlichen Vermählung eine Überraschung gewesen. In beiden großen Zwergenminen, sowohl in Elan-Dhor wie auch in Zarkhadul, hatte sie wie eine Streitaxt eingeschlagen und für erheblichen Gesprächsstoff gesorgt. Zwar hatte man die Königin und den Kriegsmeister häufig gemeinsam in der Öffentlichkeit gesehen, doch das war nicht ungewöhnlich, seit sie ihn nach dem Sieg über die Dunkelelben vor nunmehr dreizehn Jahren zum Kriegsmeister und Oberkommandierenden der Palastgarde befördert hatte, die auch ihre persönliche Leibgarde stellte.

Insofern hatte niemand mehr dahinter vermutet, und Tharlia hatte sich auch bemüht, keinerlei Anlass zu diesbezüglichem Gerede zu bieten. War ihr nach ihrer Krönung und der Vertreibung der Zwerge aus Elan-Dhor zunächst wachsende Feindschaft entgegengeschlagen, so hatte sich dies seit dem Sieg über die Dunkelelben umgekehrt, und sie hatte seither beim gesamten Volk höchste Popularität erlangt. Anders als ihr Vorgänger, der wegen seiner Misswirtschaft vom Thron gejagte König Burian, duldete sie keinerlei Korruption und Verschwendung, aber wohl noch entscheidender für ihre Beliebtheit war der ungeheure Aufschwung, den das Zwergenvolk in den vergangenen Jahren erlebt hatte, und der seinen Höhepunkt vermutlich noch längst nicht erreicht hatte.

Zuvor hingegen war es mit Elan-Dhor stetig bergab gegangen. Die einst so reichen Minen waren weitgehend erschöpft, größere Vorkommen an Edelsteinen oder -metallen waren schon lange nicht mehr gefunden worden. Auch das Vordringen in immer größere Tiefen hatte sich als nutzlos erwiesen. Keine der unzähligen Probeschürfungen hatte zu einem Erfolg geführt, zudem hatte sich die Gefahr, der sie sich aussetzten, rapide gesteigert, je weiter sie in die Tiefe vordrangen. Weit von Elan-Dhor entfernt war so mancher Erkundungstrupp trotz Kriegereskorte in einen Hinterhalt von Gnomen, Schraten oder Goblins geraten.

Und schließlich hatte das gewaltige Tiefenmeer eine natürliche Grenze gebildet. Der Transport größerer Mengen von Waren über das Wasser wäre nicht nur extrem gefährlich, sondern auch nur mit größtem Aufwand zu bewältigen gewesen, der sich nur bei wirklich spektakulären Funden gelohnt hätte.

Wege, das Tiefenmeer zu umgehen, waren nie entdeckt worden.

Und doch gab es sie, wie man nun wusste. Während der entscheidenden Schlacht gegen die Thir-Ailith hatten die Goblins einen Trupp aus Zwergen und Hochelben auf geheimen, nur ihnen bekannten Pfaden am Meer vorbeigeführt, wohl wissend, dass ihr Geheimnis anschließend keines mehr sein würde. So war es den Zwergen nun möglich, tiefer in die Erde vorzudringen, ohne das verhasste Wasser überqueren zu müssen – bis hin ins gigantische ehemalige Reich der Dunkelelben.

Auf jeden Fall hatte es nach der Rückkehr des Zwergenvolkes nach Elan-Dhor mehr als genug Arbeit gegeben. Die eigentliche Stadt war zwar weitgehend unversehrt geblieben, doch in den Minen hatte der Krieg große Verwüstungen hinterlassen, vor allem, weil das Zwergenvolk versucht hatte, durch gezielt herbeigeführte Stolleneinstürze und Sprengungen seinen Rückzug zu decken. Von der Arbeit am Wiederaufbau des tausend Jahre lang verschütteten und von den Thir-Ailith beherrschten Zarkhadul gar nicht erst zu sprechen …

Angesichts des Übermaßes an zu erledigenden Aufgaben und des verbissenen Ringens zahlreicher kleinerer Familien, sich eine neue, bessere Existenz aufzubauen, war es Tharlia unpassend erschienen, rauschende Feste zu feiern oder anstatt durch ihre Arbeit durch ein Techtelmechtel mit dem Kommandanten ihrer Palastgarde ins Gerede zu kommen.

Nur einige Wenige, die die beiden so gut kannten wie Warlon, hatten längst bemerkt, dass zwischen ihnen mehr als nur freundschaftliche Gefühle existierten, die im Laufe der vergangenen Jahre zu leidenschaftlicher Liebe herangewachsen waren. Insofern war er von der Ankündigung der Hochzeit auch nicht übermäßig überrascht worden, obwohl er mittlerweile nicht mehr in Elan-Dhor lebte, sondern lediglich von Zeit zu Zeit als Gast dort weilte.

Überrascht hatten ihn allerdings der ungeheure Aufwand des Festes und die große Zahl hochkarätiger Ehrengäste, die daran teilnahmen. Zu ihnen gehörten Bürgermeister oder andere Abgesandte der im Umkreis von ein, zwei Tagesritten liegenden Dörfer und Städte der Menschen, aber sogar der lartronische König Kalmar, zu dessen Hoheitsgebiet das Schattengebirge formal gehörte, war mit großem Gefolge aus der fernen Hauptstadt Teneret angereist. Selbst aus dem nördlichen Nachbarreich Radon war eine Abordnung erschienen, die Geschenke und Glückwünsche von König Lorian überbrachte.

Dass sie alle es für nötig gehalten hatten, der Einladung Folge zu leisten, zeigte überdeutlich, welche Bedeutung man dem Zwergenvolk mittlerweile wieder beimaß. Der Handel war in den vergangenen Jahren von Neuem in Schwung gekommen, und jeder wollte sich von diesen lukrativen Geschäften einen möglichst großen Anteil sichern. Wie in lange vergangenen Zeiten machten sich sogar wieder aus fernen Landstrichen ganze Karawanen auf den Weg zum Schattengebirge, was nicht nur den Zwergen selbst, sondern auch den umliegenden Ortschaften einigen Reichtum bescherte und die Streitigkeiten der jüngeren Vergangenheit mit dem an die Oberfläche geflüchteten Volk von Elan-Dhor vergessen ließ.

Den größten Glanz jedoch verlieh dem Fest eindeutig die mit einem Schiff hoch aus den eisigen Einöden des Nordens angereiste Delegation der Elben, die von der Herrin Illurien von den Bäumen persönlich angeführt wurde. Obwohl ihr Volk einen maßgeblichen Anteil am Sieg über die Dunkelelben gehabt hatte, war es ihr erster Besuch in Elan-Dhor. Über Jahrtausende hinweg hatte es keinerlei Kontakte zwischen Elben und Zwergen gegeben – die einen hielten die anderen für arrogant und hochnäsig oder gierig und eigensüchtig. Völlig überwunden waren diese gegenseitigen Vorurteile noch immer nicht, zumal sich gezeigt hatte, dass sie bis zu einem gewissen Grad tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Ihre Völker waren einfach in vielerlei Hinsicht grundverschieden.

Immerhin aber hatte es in den letzten Jahren zumindest unregelmäßige Kontakte gegeben. Zumeist gingen diese von den Elben aus, da sie mit ihren Schiffen nur wenige Tage oder höchstens Wochen benötigten, um das Schattengebirge zu erreichen, während eine Reise zum goldenen Tal für die Zwerge eine monatelange Strapaze darstellte. Durchschnittlich alle zwei, drei Monate suchte eine Elbenabordnung die Minen auf. Zumeist ging es dann um einen Austausch von Wissen. Vor allem in Carem Thain, der gigantischen Bibliothek von Zarkhadul, lagerten unzählige uralte Schriften mit längst verloren geglaubtem Wissen, das von den Gelehrten nach und nach gesichtet wurde und teilweise selbst für die Elben von Interesse war.

Ganz im Gegensatz zu der großen, strahlend schönen Abordnung der Elben stand die Gesandtschaft der Goblins. Quarrolax, ihr Anführer, war mit einem Begleiter erschienen, und Schönheiten waren die Goblins sicherlich nicht. Sie waren noch kleiner als Zwerge und besaßen eine runzlige, grünlich-graue Hautfarbe. Ihre haarlosen Köpfe schienen viel zu groß für den Rest ihrer schmächtigen Körper zu sein und saßen auf dürren Hälsen, die aussahen, als würden sie jeden Moment unter dem Gewicht brechen. Gekleidet waren sie in einfaches, durch ein paar aufgetragene Malereien verziertes Leder, das für sie sicherlich festliche Kleidung darstellte, gerade im direkten Vergleich zu den Prachtgewändern der anderen Gäste jedoch schäbig wirkte.

»Das war eine wunderschöne Feier«, seufzte Ailin, als die Zeremonie schließlich abgeschlossen war.

»Etwa schöner als unsere eigene?«, gab Warlon zurück.

Die Hohepriesterin versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellbogen, dann musste sie lächeln, wie er trotz ihres Schleiers erkannte.

»Da darfst du ausgerechnet mich nicht fragen, ich bin wahrscheinlich die Einzige, die darauf mit einem Nein antwortet. Weißt du, hier fehlt einfach die Atmosphäre von Verfall, das besondere Flair von Ruinen und das Stolpern über Risse im Boden, das unser Fest ausgezeichnet hat. Erst so etwas macht eine Hochzeitsfeier für meinen Geschmack richtig perfekt.«

All das hatte die königliche Trauung in der Tat nicht zu bieten. Für das Fest präsentierte sich die gesamte Stadt in allerbestem Zustand. Die letzten Schäden, die von der Eroberung durch die Dunkelelben zurückgeblieben waren, waren längst beseitigt, die Stadt noch prachtvoller als zuvor geworden. Tausende von Lampen, Fackeln und farbigen Lampions ließen sie erstrahlen und säumten vor allem den Weg vom Dunkelturm, in dem die Hohepriesterin Breesa die Trauung vollzogen hatte, zum Palast, wo der Tag für die geladenen Ehrengäste mit einem großen Bankett ausklingen würde, während der Großteil des Zwergenvolkes auf den Straßen weiterfeierte.

Warlon hingegen hatte in Zarkhadul geheiratet, wo er mittlerweile lebte. Nur so war es möglich gewesen, das strenge Zölibat zu umgehen, dem sich die Priesterinnen Li’thils in Elan-Dhor den uralten Regeln des Ordens gemäß unterwerfen mussten. Ailin hingegen war von Tharlia und Breesa gleichfalls in den Rang einer Hohepriesterin erhoben und mit der Aufgabe betraut worden, auch in Zarkhadul einen Orden zu gründen, dessen Vorschriften sie weniger streng gefasst hatte. Dadurch war es ihr und dem frisch zum Kriegsmeister beförderten Warlon ermöglicht worden, sich zu vermählen.

Angeführt vom Brautpaar setzte sich der Zug der Ehrengäste, zu denen auch sie beide als Teil einer offiziellen Abordnung aus Zarkhadul gehörten, in Bewegung, hinaus aus der überfüllten Tempelhalle und auf die von Wappen, Fahnen, bunten Lampen und jubelnden Zwergen gesäumten Straßen der unterirdischen Stadt in Richtung Palast. Selbst die beiden großen Festsäle dort, die durch offene Türen miteinander verbunden waren, reichten kaum aus, alle Gäste aufzunehmen. Tharlia hatte eine sorgfältige Auswahl treffen müssen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Trotz ihrer mittlerweile unangefochtenen Stellung konnte sie es sich nicht leisten, das Wohlwollen der großen und mächtigen Häuser zu verlieren, die den Großteil der Gäste stellten.

Dennoch vermutete Warlon, dass so mancher mit seinem Schicksal haderte, nicht ebenfalls an dem Bankett teilnehmen zu können. Aber auch von denen, die keine Einladung erhalten hatten, kam niemand zu kurz. An zahlreichen Plätzen der Stadt waren große Buffets aufgebaut worden, genug, dass jeder Zwerg in Elan-Dhor sich satt essen konnte, und auch der Nachschub an Wein und Bier würde nicht ausgehen. Dies sollte ein Fest für das ganze Volk sein.

Vor den Stufen des Palastes ließ Warlon seinen Blick zu der gewaltigen Statue Barloks schweifen, die dort aufgestellt worden war, größer und prachtvoller als alle anderen Statuen auf dem Vorplatz.

Dem vermutlich größten Krieger angemessen, den das Zwergenvolk jemals hervorgebracht hat, dachte Warlon sarkastisch. Dabei wäre Barlok selbst all die Verehrung, mit der er nach seinem Tod überhäuft wurde und die seinen Namen für alle Zeiten unsterblich machen sollte, wahrscheinlich unangenehm gewesen, und er hätte nur ein verächtliches Schnauben dafür übrig gehabt. Für ihn waren Ruhm und Ehre niemals ein Selbstzweck gewesen, stattdessen hatte er bei seinen großen Taten stets das Wohl aller im Sinn gehabt.

Und dabei hatte er schließlich den Tod gefunden.

Gerne hätte Warlon einen Augenblick vor der Statue innegehalten und seines väterlichen Freundes und Mentors gedacht. An Tagen wie diesen, wenn er wieder in Elan-Dhor weilte und mit all den anderen Würdenträgern zusammentraf, fühlte er sich besonders an ihn erinnert, und auch nach den seither verstrichenen Jahren vermisste er ihn noch. Doch der Gästezug wälzte sich unaufhaltsam weiter voran, die Stufen hinauf und in den Palast.

Auch die Festsäle waren prächtig herausgeputzt. Lange, reich gedeckte Tafeln standen dort. Am Kopf der längsten und größten nahm das Brautpaar Platz. An diesem Tisch saßen besondere Ehrengäste. Ein jeder Platz dort war durch ein Namenskärtchen gekennzeichnet. Das hatte die unterschiedliche Herkunft einiger Gäste bedingt, zwischen deren Völkern nicht gerade das beste Einvernehmen herrschte. So war die politische Situation zwischen Lartronia und Radon seit vielen Jahren angespannt, weshalb man die beiden Abordnungen möglichst weit voneinander entfernt hatte Platz nehmen lassen. Schon allein die Höflichkeit gebot, dass man sie nicht unmittelbar nebeneinander setzte. Tharlia wollte nicht das geringste Risiko eingehen, obwohl niemand erwartete, dass sie ihre Streitigkeiten ausgerechnet hier austragen würden.

Bei anderen Gästen war sich Warlon dessen gar nicht so sicher.

Unbehaglich musterte er Sjorkan, den hünenhaften Barbaren, der gerade ein gutes Stück von der Abordnung aus Lartronia und auch der aus Radon, vor allem aber weit entfernt von den Elben, mit zwei Begleitern am Tisch Platz nahm. Dabei quittierte er eine Bemerkung mit einem lauten, durch den ganzen Saal dröhnenden Lachen, auf das hin so mancher sich erschrocken nach ihm umblickte.

Vornehmes Benehmen war noch nie eine Tugend der Barbaren gewesen, in dieser Hinsicht waren sie einem Großteil des Zwergenvolkes ähnlicher als den Menschen – oder zumindest den feinen Höflingen, die nach Elan-Dhor gekommen waren und aus ihrer Verärgerung über die Anwesenheit der Barbaren vom ersten Moment an keinen Hehl gemacht hatten. Noch empörter darüber waren die Elben gewesen, und Tharlia hatte all ihr diplomatisches Geschick aufbieten müssen, um die Wogen zu glätten.

»Es ist eine Zumutung, mit diesem ungehobelten Pack an einem Tisch sitzen zu müssen«, stieß Lhiuvan, der Warlon schräg gegenüber saß, nicht gerade leise hervor. »Lieber würde ich diesen Barbaren mein Schwert zu schmecken geben.«

Auch Warlon hielt es für einen Fehler, dass Tharlia Sjorkan eingeladen hatte. Um nach Clairborn zu gelangen, der Elan-Dhor am nächsten gelegenen menschlichen Siedlung, wo sie mit ihren Schiffen angelegt hatten, mussten die Elben den Oronin hinaufsegeln, der direkt durch die nordöstlich des Schattengebirges gelegenen Barbarengebiete floss. Mehrfach waren ihre Schiffe dabei in den letzten Jahren angegriffen worden. Der Beschuss mit Pfeilen hatte Tote und Verletzte gefordert, insofern war ihr Zorn auf die Barbaren nur zu verständlich.

Und auch für den schwelenden Zwist zwischen Lartronia und Radon war genau dieses Gebiet mit seinen kriegerischen Bewohnern einer der Anlässe. Nördlich davon gab es einige radonische Siedlungen, die immer wieder Opfer von Überfällen der Barbaren wurden. Die radonische Armee war machtlos, denn wenn Streitkräfte zu Vergeltungsmaßnahmen ausrückten, zogen sich die Barbaren stets über den Oronin zurück, der die Grenze zwischen den beiden Ländern bildete. Eine Verfolgung bis in die Wälder östlich des Schattengebirges war so gut wie aussichtslos.

Aus diesem Grund beschuldigte Radon Lartronia, die Barbaren auf seinem Gebiet zu dulden und ihnen Zuflucht zu gewähren, während König Kalmar im fernen Teneret keinerlei Interesse daran hatte, Streitkräfte in diese abgelegene Gegend zu schicken, um einen verlustreichen Kleinkrieg gegen die Barbaren zu führen. Es gab dort in weitem Umkreis keinerlei lartronische Siedlungen, und das Gebiet lag am äußersten Rand des Reiches, direkt an der Küste zum Ostmeer. Es war ohne jede Bedeutung für Kalmar, weshalb er es inoffiziell vermutlich längst aufgegeben und den Barbaren überlassen hatte.

Sjorkan schien die Feindseligkeit, die ihm von zahlreichen Seiten entgegenschlug, nicht weiter zu stören. Möglicherweise genoss er sie sogar insgeheim. Unbeeindruckt lachte und scherzte er mit seinen Begleitern und leerte dabei seinen Becher so schnell, dass die Palastdiener kaum mit dem Nachschenken nachkamen.

Über viele Jahrhunderte hinweg hatte es keinerlei Kontakte zwischen Zwergen und Barbaren gegeben. Das hatte sich erst in den letzten Jahren geändert. Nach der Wiederbesiedlung Zarkhaduls, das wesentlich näher an den Barbarengebieten lag als Elan-Dhor, war Sjorkan als Häuptling eines der größten Stämme unerwartet dort aufgetaucht, um sich seinen Brustharnisch durch die Schmiedekunst der Zwerge verzieren zu lassen. Im Gegenzug hatte er Nahrungsmittel und erstklassige Felle angeboten – beides vor allem in der Anfangszeit in Zarkhadul dringend benötigte Waren.

Im Laufe der Zeit hatte sich daraus eine fruchtbare Handelsbeziehung entwickelt, und deshalb hatte sich Tharlia allen Bedenken zum Trotz entschlossen, auch den Barbarenhäuptling einzuladen.

Im Gegensatz zu den anderen Gästen trug Sjorkan keine vornehme Festkleidung, sondern auch jetzt einen seiner in den Zwergenschmieden prächtig verzierten Brustpanzer, sowie kunstvolle metallene Armbänder und -schienen, dazu eine Hose und Stiefel aus Leder und einen Fellumhang. Lediglich seine Waffen hatte er wie alle anderen Gäste auf Tharlias Verlangen abgelegt.

Erst als Ailin ihn anstieß, bemerkte Warlon, dass Gelinian ihn etwas gefragt hatte. Sie war die Tochter der Elbenherrin und hatte die Abordnung der Elben befehligt, die im Kampf gegen die Thir-Ailith die Wende gebracht hatte.

Warlon wandte sich von dem Barbaren ab und blickte sie entschuldigend an, doch sie schien ihm seine Unaufmerksamkeit nicht übel zu nehmen. Geduldig erkundigte sie sich noch einmal, welche Fortschritte Zarkhadul in den vergangenen Monaten gemacht hatte.

Er begann einige Belanglosigkeiten zu berichten: dass sie viele Straßen und Gebäude ausgebessert und einige der alten Schmieden und sonstigen Werkstätten wieder in Betrieb genommen hatten, und dass es ihnen durch behutsame Ausgrabungen sowohl von der Außen-, wie auch der Innenseite unter ungeheuren Mühen gelungen war, das Baran-Tahal, das große Haupttor, wieder freizulegen.

»Wir haben es ausgebessert und in neuem Glanz erstrahlen lassen, so gut wir es vermochten, aber es ist längst noch nicht so prunkvoll und auch nicht so wehrhaft, wie es einmal gewesen ist. Die früheren Bewohner von Zarkhadul waren uns an Kunstfertigkeit schon damals weit überlegen. Auf manchen Gebieten konnten wir mittlerweile zu ihren früheren Leistungen aufschließen oder sie gar übertreffen, auf anderen jedoch können wir uns nach wie vor nicht mit ihnen messen, wie wir zu unserer Schande eingestehen müssen.«

Aufmerksam hörte Gelinian ihm zu, und rasch merkte Warlon, dass ihre Frage nicht nur eine Floskel gewesen war, sondern sie sich ernsthaft für den Fortgang der Arbeiten in den verschiedensten Bereichen interessierte. Solcherart ermutigt berichtete er weiter und verschwieg auch die bislang noch unbewältigten Schwierigkeiten nicht, denen sie sich noch stellen mussten.

»Ein großes Problem ist nach wie vor der Nachschub an Nahrungsmitteln«, sagte er. »Auch nach Jahren sind wir noch nicht in der Lage, uns vollständig selbst zu versorgen. Zarkhadul liegt tiefer unter dem Berg als Elan-Dhor. Es gibt kaum Lichtschächte dort, und durch diese wenigen dringt längst nicht genügend Helligkeit ein, als dass Getreide oder Früchte irgendwo in den Höhlen wachsen könnten. Einen Teil unserer Nahrung bauen wir im Freien unmittelbar am Fuße des Kalathun an, einen Teil kaufen wir von fahrenden Händlern oder in Clairborn. Vor allem aber sind wir in dieser Hinsicht von Elan-Dhor abhängig. Hier wurden die Hellhöhlen vergrößert, sodass wir hoffen, irgendwann zumindest nicht mehr auf Zukäufe von anderen angewiesen zu sein.«

»Demnach scheint es keine Rivalität, sondern ein nach wie vor gutes Verhältnis zwischen beiden Zwergenminen zu geben.«

»In der Tat. Die Bevölkerung von Zarkhadul besteht zu einem großen Teil aus den Zwergen, die wir aus der Gewalt der Thir-Ailith befreit haben, ob nun in der Mine selbst, oder im Reich der Dunkelelben. Wir unterrichten sie gemäß ihren Fähigkeiten, so gut es geht, aber nachdem sie vorher nur Sklaven und Schlachtvieh gewesen sind, braucht es mehr als ein paar Jahre, bis ihre Ausbildung in einer unserer Kasten als Krieger, Arbeiter oder Gelehrter abgeschlossen ist und sie vor allem gelernt haben, frei und selbstständig zu denken und Eigenverantwortung für ihr Schicksal zu übernehmen. Gerade daran mangelt es noch – viele werden immer noch von der Angst beherrscht, die ihr ganzes früheres Leben bestimmt hat, und es wird lange dauern, bis sich das ändert. Aus diesem Grund wird Zarkhadul auch vorläufig noch von hier aus regiert.«

»Ich dachte, in Zarkhadul gäbe es einen eigenen Hohen Rat, der die Entscheidungen fällt«, mischte sich Lhiuvan ein. Warlon hatte nicht einmal bemerkt, dass auch er dem Gespräch gelauscht hatte.