Ella Fitzgerald und ihre Zeit - Johannes Kunz - E-Book

Ella Fitzgerald und ihre Zeit E-Book

Johannes Kunz

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Beschreibung

"Ella ist die Größte von allen!"" (Bing Crosby) Queen of Jazz und First Lady of Song wurde sie genannt, und ohne sie wäre die Musikgeschichte eine andere. 13 Grammys, zig Millionen verkaufte Schallplatten, dutzendfach als "Beste Sängerin" ausgezeichnet, das sind nur einige Meilensteine in der mehr als 50-jährigen Karriere von Ella Fitzgerald (1917−1996). Aus ärmlichsten Verhältnissen stammend, arrivierte das uneheliche Kind einer Wäscherin zur viel bewunderten Interpretin, die in den renommiertesten Konzerthallen weltweit gefeiert wurde. Ebenso einzigartig wie ihr Stimmumfang von über drei Oktaven ist ihre Bedeutung für die amerikanische Kultur. Bis heute zeugt ihr Leben von einer Zeit, in der rassistische Demütigungen alltäglich waren, Jazz- und Bluesmusiker jedoch von Weißen bewundert wurden. Das Buch erzählt somit auch von der Integrationskraft des Jazz. In Gesprächen, die Johannes Kunz mit Ella Fitzgerald, ihrem Manager Norman Granz oder dem Pianisten Oscar Peterson führte, wird die Aura dieser faszinierenden Persönlichkeit lebendig.

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Seitenzahl: 365

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Dem Andenken des im Juni 2016 verstorbenen österreichischen Jazzhistorikers Prof. Klaus Schulz gewidmet

Bildnachweis

Bildteil 1–15, 18–20: getty images

16, 17: www.jazzfotos-brunner.at

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagfoto: getty images

eBook-Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-7844-8265-1

Inhalt

Ein Leben für die Musik

Amerika im Umbruch

25. April 1917, Newport News, Virginia

Bessie Smith, die erste schwarze Diva

Ella und die »Harlem Renaissance«

Die ersten Jazzmusikerinnen

Ein erstes Vorbild: Connee Boswell

Der Savoy Ballroom wird Ellas Lieblingslokal

Swing: Die Tanzmusik der 1930er-Jahre

Benny Carter entdeckt Ellas Talent

Das Debüt im Harlem Opera House

Chick Webb, der »König des Savoy«

Im Plattenstudio mit Teddy Wilson und Benny Goodman

Auf dem Weg zum Star

Benny Goodman in der Carnegie Hall: Ein Meilenstein

1938 der erste große Hit: A-Tisket, A-Tasket

»Leader of the Band« – mit 22 Jahren

Die erste Ehe ist ein Flop

Eine Combo statt der Big Band

Eine musikalische Revolution in Minton’s Playhouse

New York 52nd Street: Das neue Kreativzentrum des Jazz

Ab 1944: »Jazz At The Philharmonic« durchbricht Rassenschranken

Rassismus in Europa: Die Nazis verbieten »Nigger-Jazz«

Ella scattet sich durch Flying Home

Mit der Dizzy Gillespie Big Band in den Südstaaten

Die neue Liebe heißt Ray Brown

1947: Oh, Lady Be Good und How High The Moon

Jazz und Rauschgift – ohne Ella!

Norman Granz vergoldet Ellas Talent

Die Plattenfirmen umwerben Ella

»Jazz At The Philharmonic« erobert mit »Lady Fitz« Europa

1954: Norman Granz wird Ellas Manager

Eine Filmrolle in Pete Kelly’s Blues

Ella wird in Houston verhaftet

Funk und Soul als Begleitmusik der Bürgerrechtsbewegung

Leonard Bernstein: »Jazz ist Kunst«

Ein fulminanter Start bei Verve: Das Cole Porter Songbook

1956: Ella And Louis

»First Lady Of Song«

Eine unglückliche Affäre

Porgy And Bess

Ella Fitzgerald At The Opera House

Am Filmset mit Nat »King« Cole in St. Louis Blues

Der Glücksfall Nelson Riddle

1960: Mack The Knife

Count Basie: »Ella ist wundervoll«

Nina Simone: Mississippi Goddam

Nica de Koenigswarter, adelige Jazz-Mäzenin

Tommy Flanagan wird Ellas Pianist

Erfolg auf Kosten der Gesundheit

Das Zwischenspiel bei Capitol und Reprise

Ella landet bei Pablo Records

In memoriam Duke Ellington

Die Zeit der vielen Ehrungen

Ein Interview

Ella Fitzgerald: »Ich singe, was ich fühle«

»Sassy« und »Lady Day«

»We love Ella!«

Ellas Vermächtnis: Jazz bringt die Menschen zusammen

Anhang

Biographie

Die wichtigsten Ehrungen

Diskographie (Auswahl)

Filmographie

Bibliographie

Register

Ein Leben für die Musik

13 Grammys, zahlreiche akademische Ehrungen, Dutzende Poll-Siege als »Beste Sängerin« in DOWNBEAT und anderen Jazzmagazinen, die Verleihung der National Medal of Arts 1987 und der Presidential Medal of Freedom 1992 – das sind nur einige Marksteine in der 60-jährigen Karriere der Ella Fitzgerald (25. April 1917–15. Juni 1996). Neben Billie Holiday, deren künstlerische Laufbahn freilich wesentlich kürzer währte, war sie gewiss die bedeutendste Sängerin des Jazz.

Duke Ellington sagte einmal: »Was ihre Musikalität betrifft, steht Ella außerhalb jeder Kategorie.« Und von Ellas Kollegin Betty Carter ist diese Aussage überliefert: »Sie kann denken, sie kann improvisieren.« Nnenna Freelon wiederum, eine wesentlich jüngere Sängerin, meinte einmal, wenn man einen Jazzstandard erarbeiten wolle und keine präzise Vorstellung von der richtigen Interpretation habe, brauche man nur die Aufnahme von Ella Fitzgerald anzuhören »und findet die akkurate Darstellung«. Einer von Ellas Klavierbegleitern, Jimmy Rowles, erzählte, sie habe mit der Musik gelebt, die alles für sie gewesen sei: »Sie kommt aus ihr. Wenn sie die Straße entlanggeht, hinterlässt sie Töne.«

Ella Fitzgerald nahm mehr Schallplatten auf als jede andere Jazzsängerin des 20. Jahrhunderts und gab auch mehr Konzerte rund um den Erdball als all ihre Kolleginnen. Sie hielt konstant ihr künstlerisches Niveau, war bescheiden, fast scheu, und schützte bei aller Liebe zu einem direkten Publikumskontakt ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit. Der Erfolg, der viele Jahre nach ihrem Tod auch im 21. Jahrhundert ungebrochen anhält, war Ella Fitzgerald wahrlich nicht in die Wiege gelegt worden. Sie hat ihn sich hart erarbeitet.

Der Saxophonist Flip Phillips meinte, ein großer Musiker sei jemand, der Time halten könne: »Und Ella konnte am großartigsten von allen Time halten. Mehr als alles andere ist es dieses, was sie in den Augen der Musiker als Musikerin auszeichnet.« Nicht zufällig hat ein anderer großer Saxophonist, Lester Young, der Billie Holiday »Lady Day« nannte, Ella Fitzgerald den Spitznamen »Lady Time« verpasst. Keine andere Sängerin des Jazz besaß eine größere Spannweite der Stimme als Ella Fitzgerald mit ihrem 3-Oktaven-Spektrum. Sie kam vom Swing, wurde in der Bebop-Ära mit ihrem Scat-Gesang berühmt und erlangte mit ihren Aufnahmen der Songbooks der großen amerikanischen Populärkomponisten schließlich eine weltweite Beliebtheit weit über den Kreis der Jazzenthusiasten hinaus. Aus der »First Lady Of Swing« wurde die »First Lady Of Jazz« und dann die »First Lady Of Song«. Nun agierte sie auf gleicher Höhe mit Frank Sinatra.

Der Spitzname »Lady Time« muss noch erklärt werden: Time beschreibt zunächst eine Taktart, und in time zu spielen meint die präzise Einhaltung des Taktmaßes. Das Timing ist im Jazz entscheidend für die Phrasierung und Interpretation. Es setzt ein solides Empfinden für ein konstantes Tempo voraus und beeinflusst somit die Qualität des swing, der das rhythmische Urphänomen des Jazz darstellt. Und Ella Fitzgerald stand eben für perfektes Timing.

Der amerikanische Jazzkritiker Will Friedwald hat die Wirkung ihres Gesanges treffend mit diesem Satz beschrieben: »Ella Fitzgeralds Kunst führt die Zuhörer aus sich heraus, um sie in sich gehen zu lassen.« Ihre idealen stimmlichen Voraussetzungen waren die Basis für ihren in der Jazzwelt unvergleichlichen Starruhm, den sie nicht zuletzt den Managerqualitäten ihres Betreuers Norman Granz verdankte.

Dieses Buch analysiert den künstlerischen Aufstieg der Ella Fitzgerald, der zu Lasten eines unglücklichen Privatlebens ging, und beschreibt ihren Stellenwert in der populären Musik Amerikas. Sie selbst und prominente Zeitzeugen kommen in dieser spannenden Lebensgeschichte zu Wort, in der es nicht zuletzt um die Rolle der Frau im Jazz und die Integration der Afroamerikaner in der Gesellschaft der USA geht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Ella Fitzgerald aufwuchs und ihre künstlerische Karriere startete, konnte wahrlich noch niemand ahnen, dass 2008 mit Barack Obama erstmals ein Afroamerikaner zum Präsidenten der USA gewählt werden würde.

Die Geschichte Nordamerikas war seit 1619, als in Jamestown, Virginia, ein Holländer die ersten zwanzig Afrikaner verkaufte, eng mit der Sklaverei verbunden. Im Jahr 1750 waren von den 1,5 Millionen Einwohnern in den 13 britischen Kolonien 300000 Sklaven, von denen die Hälfte auf den Plantagen in Virginia und Maryland arbeitete. 1808 verbot der Kongress den Sklavenimport aus Westafrika. Bis dahin hatte man ständig neue Sklaven aus Westafrika nach Amerika verschifft. Bei der Abschaffung der Sklaverei 1865 gab es in den USA rund vier Millionen Sklaven. Zwar wurden den schwarzen Männern nun formal die Bürgerrechte zugestanden, aber die weißen Südstaatler praktizierten weiterhin brutalen Rassismus. So wurde den Afroamerikanern in einigen Bundesstaaten durch die Einführung von unerschwinglichen Kopfsteuern oder Alphabetismus- und Wissensprüfungen das Wahlrecht entzogen. Die Namen schwarzer Wähler verschwanden aus Wählerlisten, man stahl oder fälschte Stimmzettel in Wohnvierteln von Afroamerikanern. Die Rassentrennung wurde in den sogenannten »Jim-Crow-Gesetzen« verankert, die Ehe zwischen Weißen und Schwarzen verboten. Die rassistischen Gewalttaten des Ku Klux Klan gegen Schwarze, Juden und Katholiken tolerierte die amerikanische Justiz. Und 1896 erklärte der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung für rechtmäßig. Bis in die 1960er-Jahre dauerte die Periode der Rassentrennung an.

Lange Zeit hatten Schwarze in Amerika nur im Sport sowie in Entertainment, Musik oder Tanz Aufstiegschancen. Oriental America hieß das von John W. Isham 1896 produzierte Musical mit erstmals ausschließlich afroamerikanischen Darstellern, das für kurze Zeit am Broadway in Palmer’s Theatre aufgeführt wurde. Im selben Jahr hatte Black Patti’s Troubadours mit Musik von Bob Cole und der Sängerin Sissieretta Jones an Proctor’s 58th Street Theatre in New York mehr Erfolg beim Publikum. Als erster afroamerikanischer Star am Broadway gilt übrigens der 1874 geborene Egbert Austin Williams, der 1903 in der musikalischen Komödie In Dahomey mitwirkte. Das erste rein afroamerikanische Musical, das es auf mehr als 500 Aufführungen brachte, hieß Shuffle Along und wurde vom Komponisten und Pianisten Eubie Blake mit dem Sänger und Textautor Noble Sissle geschrieben. Es startete im Mai 1921 an New York City’s 63th Street Theatre. Unter den Mitwirkenden befand sich Josephine Baker, Jahrgang 1906, die später als erste Afroamerikanerin in die französische Ehrenlegion aufgenommen wurde. Bei Shuffle Along war auch Florence Mills, geboren 1895, dabei, die bereits als Achtjährige im Musical Sons Of Ham auf der Bühne stand und die erste schwarze Entertainerin werden sollte, die es zu internationalem Starruhm brachte. »Blind Tom« alias Thomas Greene Bethune, Jahrgang 1849, war der erste berühmte afroamerikanische Konzertpianist und der 1871 geborene Joseph Douglass der erste schwarze Geiger, der eine Tour durch die USA unternahm. Harry Burleigh, Jahrgang 1866, gilt als der erste schwarze Komponist von Konzertmusik, der eine gewisse Bekanntheit erlangte.

Und Caterina Jarboro, die im Juli 1933 die Titelrolle in Verdis Oper Aida mit der Truppe der Chicago Civic Opera im Hippodrome Theatre in New York verkörperte, ist als erste Schwarze, die mit einem berühmten Opernensemble auftrat, in die amerikanische Musikgeschichte eingegangen. William Grant Still dirigierte als erster Afroamerikaner ein berühmtes Sinfonieorchester, nämlich 1936 die Los Angeles Philharmoniker, mit eigenen Kompositionen. Die 1897 geborene Marian Anderson sang 1935 in Salzburg, wo der Dirigent Arturo Toscanini von ihrer Stimme begeistert war, und stand 1955 als erste Afroamerikanerin auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York, wo sie die Ulrike in Verdis Maskenball verkörperte. Nur drei Wochen später sang mit Robert McFerrin, dem Vater des in unseren Tagen so populären Vokalakrobaten Bobby McFerrin, der erste Schwarze an der Met. Er gab den Amonasro in Verdis Aida. 1961 verkörperte schließlich mit Leontyne Price erstmals eine Afroamerikanerin bei einem Eröffnungsabend an der Met eine Hauptrolle, und zwar die Leonora in Verdis Il Trovatore. Im selben Jahr stand mit Grace Bumbry die erste Afroamerikanerin beim Wagner-Festival in Bayreuth auf der Bühne, als Venus in der Oper Tannhäuser.

Der fabelhafte schwarze Tänzer Bill »Bojangles« Robinson debütierte im Alter von 50 Jahren in Blackbirds Of 1928 am Broadway. Die erste afroamerikanische Tänzerin auf der Bühne der Met war Janet Collins 1951 in Verdis Aida. Für die Neuproduktion dieser Oper in der Saison 1963/64 wurde mit Katherine Dunham die erste schwarze Choreographin an die Met engagiert.

Auch Ella Fitzgerald war eine afroamerikanische Pionierin. Als erste Schwarze konnte sie nämlich bei der allerersten Grammy-Verleihung gleich zwei dieser Schallplattenpreise für 1958 erschienene Alben erobern. Damit reihte sie sich in die lange Reihe afroamerikanischer Künstler ein, deren Namen mit einem gesellschaftlichen Durchbruch verbunden sind. Gerade die Musik des Jazz und deren Protagonisten spielten bei der Überwindung der Rassenschranken in Amerika eine große Rolle.

Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Johannes Kunz

Wien, im Juni 2016

Amerika im Umbruch

19 Tage vor der Geburt von Ella Fitzgerald, am 6. April 1917, traten die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg ein. Im Senat fiel die Entscheidung mit 82 zu 6 und im Repräsentantenhaus mit 373 zu 50 Stimmen. Österreich-Ungarn wurde seitens der USA erst Anfang Dezember 1917 der Krieg erklärt. Zunächst wollte man in Amerika die Unterstützung der Alliierten auf den Güternachschub, Schiffsraum und finanziellen Beistand beschränken. England und Frankreich verlangten aber darüber hinaus auch Truppenunterstützung. Aufgrund eines im Mai 1917 vom Kongress verabschiedeten Selective Service Act wurden alle Männer zwischen 21 und 30 Jahren dienstverpflichtet. Später dehnte man das Wehrdienstalter auf 18 bis 45 Jahre aus. Von den 24,2 Millionen registrierten Wehrpflichtigen trugen schließlich aber bloß 2,8 Millionen, was 12 Prozent entspricht, Uniform. Hinzu kamen 2 Millionen Freiwillige. Die Kader rekrutierten sich aus der Vorkriegsarmee und der Nationalgarde. Etwa 2 Millionen Amerikaner versahen Kriegsdienst in Übersee.

Als der Erste Weltkrieg 1914 begonnen hatte, schien eine Beteiligung der USA an dieser Auseinandersetzung noch äußerst unwahrscheinlich. Die amerikanische Außenpolitik folgte der Maxime, ein transatlantisches Engagement zu vermeiden. Noch im August 1914 hatte der 28. Präsident der Vereinigten Staaten, Thomas Woodrow Wilson, ein Demokrat, seine Landsleute aufgefordert, »unparteiisch in Gedanken und Handlungen« zu bleiben. Wilson (1856–1924), der von 1913 bis 1921 im Weißen Haus residierte, betrieb innenpolitisch eine sozialreformerische Politik. Seine ursprüngliche Neutralitätspolitik im Ersten Weltkrieg war ein wesentliches Thema bei seiner Wiederwahl 1916 gegen den Republikaner Charles Evans Hughes gewesen, den er knapp besiegte. Seine Demokraten warben mit dem Slogan »He kept us out of war!« (»Er hielt uns aus dem Krieg heraus!«). Der U-Boot-Krieg seitens des Deutschen Kaiserreiches, die Februar-Revolution in Russland und andere Ereignisse in Europa trugen aber zu einer Veränderung der öffentlichen Meinung in den USA bei.

In jedem Krieg spielt die Motivation der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Deshalb gründete Präsident Wilson gleich zu Kriegsbeginn im April 1917 das Committee on Public Information (CPI) unter Leitung des Zeitungsmannes George Creel. Man band 15000 Schriftsteller, Schauspieler und Künstler in die Propagandaaktivitäten ein. Wilson, der noch vor Kriegseintritt die Idee der Schaffung eines Völkerbundes geäußert hatte, gab 1917 seinem Mitarbeiter »Colonel« Edward House den Auftrag, Friedenspläne mit dem Ziel auszuarbeiten, das deutsche Hegemonialstreben einzudämmen und in Deutschland statt der Monarchie ein demokratisches Regierungssystem zu etablieren. Alles in allem begann jetzt auch für die Amerikaner die »heiße« und entscheidende Endphase des Ersten Weltkrieges.

Trotz der Kriegsanstrengungen nach außen setzte sich im Inneren der USA die Polarisierung der Gesellschaft fort, wobei der Rassismus eine traurige Rolle spielte. Vor allem britischstämmige Protestanten im Süden pflegten ihre Vorurteile gegenüber Afroamerikanern, Asiaten, Katholiken und Juden. Der wiedererstandene Ku Klux Klan war die militanteste Organisation in diesem Bereich. Die Männer in weißen Kapuzengewändern drangsalierten und mordeten insbesondere Afroamerikaner und Katholiken. 1917 wurden in den Vereinigten Staaten 34 Lynchmorde verzeichnet, zwei Jahre später sollten es mehr als 70 sein. Die offizielle Justiz sympathisierte zumeist mit den Klan-Mitgliedern. In der Folge kam es zu Aufständen der Afroamerikaner in mehreren Städten.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es aber auch Bestrebungen für eine Gleichberechtigung der Afroamerikaner und die Überwindung des Rassismus, also Vorläufer der modernen Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement). Mit dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges war die Sklaverei zwar abgeschafft worden, doch die Afroamerikaner insbesondere in den Südstaaten blieben bis auf Weiteres unterdrückt. Wenn auch schwarze Politiker in die Parlamente gewählt werden konnten, verbesserte sich die Lage der Afroamerikaner nur so lange, wie die Unionstruppen die Südstaaten besetzt hielten. Danach wurde alles viel schlimmer. Die Schwarzen waren nur noch schlecht bezahlte Arbeiter auf den Farmen, sie wurden eingeschüchtert, und ihr Wahlrecht wurde z.B. durch einen Alphabetismus-Test umgangen. Die politische Vertretung der Afroamerikaner blieb nicht zuletzt durch den 1865/66 gegründeten Ku Klux Klan auf der Strecke. Die Rassentrennung, in den »Jim-Crow-Gesetzen« fixiert, betraf Schulen, Universitäten, Spitäler, öffentliche Verkehrsmittel und Lokale.

Booker T. Washington propagierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die These, die Afroamerikaner sollten vorübergehend ihre triste Situation hinnehmen. Durch verbesserte Bildung würden sie irgendwann eine Gleichstellung mit den Weißen erreichen. Der Separatist Marcus Garvey, der 1914 die Universal Negro Improvement Association gründete, trat für eine kollektive Auswanderung nach Afrika ein und versuchte, den Schwarzen mehr Selbstachtung zu vermitteln. Und dann gab es noch die 1909 gegründete National Association for the Advancement of Colored People sowie W. E. B. Du Bois, einen Kämpfer für die Menschenrechte, die sich für die rasche Gleichstellung von Afroamerikanern und Weißen einsetzten. Unter den Schwarzen existierten um 1917/18 also verschiedene Strömungen mit teils unterschiedlichen Zielrichtungen.

Doch das turbulente Jahr 1917 bescherte den Amerikanern nicht nur den Kriegseintritt und Rassenkonflikte, sondern auch die ersten Schallplattenaufnahmen einer aufregend neuen Musik, genannt Jazz. Am 26. Februar spielte die Original Dixieland Jazz Band des weißen Trompeters Nick LaRocca in den Victor-Studios die beiden Nummern Dixieland Jazz Band One Step und Livery Stable Blues ein. Ab März 1917 konnte man diese Platte kaufen. In der Folge war die Original Creole Jazz Band des Posaunisten Kid Ory eines der ersten farbigen Ensembles des New-Orleans-Stils, das Schallplatten aufnahm – freilich erst fünf Jahre später, also 1922. Die Kreolen entsprangen meist Verbindungen weißer Herren mit deren schwarzen Sklavinnen, hatten französische Vorfahren und verfügten zum Teil über Bildung und Ansehen.

Etymologen tun sich mit der Klärung der Frage, woher der Begriff Jazz eigentlich kommt, ebenso schwer wie Musikwissenschaftler mit der Definition, was Jazz ist. Manche vermuten Zusammenhänge mit dem französischen »jaser« (schwatzen) oder dem englischen »chase« bzw. dem französischen »chasser« (jagen). Die Wurzeln des Jazz (ursprünglich Jass, Jasmo, Jismo) kann man bis in das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Das Wort Jazz, das für »Erregung«, »Energie« und »Kraft« stand, wurde erst 1915/16 als Musikbegriff gebraucht. In der Umgangssprache der Afroamerikaner weckte dieses Wort sexuelle Assoziationen. Der Posaunist Tom Brown behauptete, das Wort Jazz 1915 erstmals in Chicago gehört zu haben. Zweifellos war eine Wurzel des Jazz, der um New Orleans aus der Begegnung von afrikanischen und europäischen Einflüssen entstanden ist, die Kultur des entrechteten schwarzen Proletariats. Aber schon unter den ersten Musikern, die Jazz spielten, waren Weiße wie die erwähnte Original Dixieland Jazz Band, die beim Publikum in Reisenwebers Restaurant in New York sehr gut ankam.

Typisch für das Milieu, in dem der Jazz entstand, ist das Etablissement Mahagony Hall einer gewissen Lulu White, einer lokalen Berühmtheit im Vergnügungsviertel Storyville in New Orleans. Der Mahagony Hall Stomp geriet zur gefragten Musiknummer, als ihr großes Haus in der Basin Street immer beliebter wurde. Reiche Männer aus aller Welt kamen dorthin, um – wie Louis Armstrong, der wohl berühmteste Jazzmusiker dieser Stadt, erzählte – »sich die scharfen Kreolinnen mal ganz von nah anzusehen und um hier viel Geld auszugeben«. Diese Lulu White war eine Farbige. Es waren vorwiegend Bordelle, in denen der Jazz der Frühzeit gespielt wurde.

Louis Armstrong, den man »King of Jazz« nannte, hat das Wort Jazz interessanterweise kaum verwendet. Graue Theorie war ihm, dem Abkömmling der Südstaaten-Subkultur, schon aufgrund seiner schlechten Schulbildung fremd. Er tat einfach nur das, was das Publikum von ihm erwartete. Und er wollte nichts anderes als unterhalten. Jazz, der aus Blues, Spiritual und Ragtime entstanden ist, war für ihn Entertainment. Armstrong war somit das, was man heutzutage einen Entertainer nennt.

Als Storyville schließlich wegen der deutlichen Zunahme von Geschlechtskrankheiten bei Marineangehörigen auf Initiative des Kriegsministeriums geschlossen werden sollte, beklagte dies nicht nur der Bürgermeister von New Orleans, Martin Behrman, lautstark. Der Zeitzeuge John A. Provenzano sprach davon, dass 1917 »der bekannteste Trauermarsch der Jazzgeschichte« erklungen sei. Auf Befehl des amerikanischen Marineministers Josephus Daniels wurde das Ende des Red Light Districts besiegelt. Die schwarzen und weißen Prostituierten mussten die Basin Street, die Franklin, Iberville, Bienville und St. Louis Street mit ihrem Hab und Gut auf Schubkarren verlassen. Unter den Klängen von Nearer My God To Thee, gespielt von einem Massenaufgebot aller Jazzmusiker aus den Lokalen des Distriktes, zogen sie aus der Stadt aus. Für die Jazzmusiker galt es nun, sich neue Auftrittsorte zu suchen. Sie fanden diese bald im ganzen Land, wobei vor allem Chicago und New York die neuen Zentren werden sollten. Auf diese Weise wurde der Jazz des Südens im Norden der USA bekannt und populär. Dieser Auszug der Jazzmusiker aus Storyville wurde 1947 in dem Film New Orleans mit Louis Armstrong, Billie Holiday und Woody Herman unter der Regie von Arthur Lubin thematisiert.

25. April 1917, Newport News, Virginia

Knapp drei Wochen nach Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg und zwei Monate nach Einspielung der ersten Jazz-Schallplatte kam Ella Jane Fitzgerald zur Welt. Die Geburtsstadt Newport News, die auf eine Gründung aus 1621 zurückgeht, liegt im östlichen Virginia und erstreckt sich entlang des James River. Heute befindet sich in Newport News das größte Schifffahrtsmuseum der Vereinigten Staaten. Neben Ella Fitzgerald stammen noch mehrere andere berühmte Jazzmusiker aus dieser Stadt: so die Sängerin Pearl Bailey, der Schlagzeuger Billy Drummond, der Gitarrist und Sänger Tiny Grimes, die Sängerin Queen Esther Marrow und der Trompeter Ward Pinkett.

Ellas Vater William arbeitete bei der Eisenbahn, Mutter Temperance, genannt Tempie, war Wäscherin. Angeblich waren beide Eltern musikalisch: Der Vater spielte Gitarre, die Mutter sang. Ella Fitzgerald war noch ein Kleinkind, da trennte sich das unverheiratete Paar. Mutter Tempie zog mit Tochter Ella wie so viele Afroamerikaner in den Norden, nach Yonkers im Westchester County im Staat New York. Gegründet 1646, ist Yonkers heute die viertgrößte Stadt im Bundesstaat New York; im Süden grenzt es an New York City. Die bekannteste Attraktion der Stadt ist die Trabrennbahn Yonkers Raceway. 1906 wurde in einem Forschungslabor in Yonkers mit dem Bakelit der erste vollsynthetische Kunststoff erfunden. Eine Zeit lang florierte hier die landesweite Hutproduktion.

Ellas Mutter Tempie hatte in Yonkers, wo vorwiegend Arbeiter lebten, Weiße wie Afroamerikaner aus der Unterschicht, eine Beziehung mit einem portugiesischen Einwanderer namens Joseph »Joe« Da Silva. Man zog in eine Einzimmerwohnung, Joe fand einen Job in einer Zuckerfabrik, und Tempie arbeitete wieder als Wäscherin. 1923, Ella war gerade fünf Jahre alt, brachte Tempie eine zweite Tochter zur Welt. Zu dieser Frances Da Silva, die 1966 starb, hatte Ella ein herzliches Verhältnis. Das hervorzuheben ist wichtig, denn Ella Fitzgerald hatte zeitlebens nur wenige enge zwischenmenschliche Beziehungen. Kaum jemanden ließ sie nahe an sich heran. So souverän sie später auf der Bühne wirken sollte, so befangen, ja gehemmt, war sie im privaten Umgang mit Menschen, was sicher mit den schwierigen familiären Verhältnissen in ihrer frühen Kindheit zu erklären ist.

1923 trat Ella Fitzgerald in eine öffentliche Volksschule ein, und bald danach zog sie mit Mutter Tempie, Halbschwester Frances und Stiefvater Joe in eine andere Gegend, in der viele Italiener lebten. Freunde der Familie erkannten bei der jungen Ella bereits so etwas wie Ehrgeiz und das Streben nach Berühmtheit. Ellas Schulkollegin Rose Sarubbi erinnerte sich an Ella als ein Mädchen, »das gerne tanzte und sang und trotz der ärmlichen Verhältnisse, in denen es lebte, immer gute Laune hatte«. Ein bevorzugter Tanzpartner Ellas zu dieser Zeit war ihr Jugendfreund Charles Gulliver.

In der Bethany African Methodist Episcopal Church besuchte Ella Fitzgerald Gottesdienste und Jugendveranstaltungen. Gelegentlich konnte sie sich in diesem Rahmen auch als Sängerin produzieren. 1929 wechselte sie auf die Benjamin Franklin Junior High School und nahm Klavierstunden. Dies zu ermöglichen war für Mutter Tempie angesichts der bescheidenen Lebensumstände nicht einfach, berichtete Ella Fitzgerald einmal: »Wir hatten nicht viel … Wir wuchsen in einer Zeit auf, in der man für einen Beutel Pferdefleisch Schlange stehen musste. Aber wir teilten alles, was wir besaßen.«

Schon 1929 begeisterte sich die gerade 12-jährige Ella Fitzgerald für die ersten Plattenaufnahmen von Louis Armstrong. Nie hätte sie damals zu träumen gewagt, dass Armstrong einmal ihr Partner bei Live-Auftritten und im Plattenstudio werden würde. Insbesondere seine Gesangsinterpretation von Ain’t Misbehavin hatte es Ella angetan. Sie begann, Armstrongs Gesangsstil zu imitieren, insbesondere den Scat, also die lautmalerische Wiedergabe von Silben anstelle eines Textes. Später sollte Ella Fitzgerald zu einer grandiosen Scatsängerin werden. Die Familie leistete sich ein Grammophon und erwarb gelegentlich ein paar Schellacks. Auch aus dem im Haushalt vorhandenen Radio bezog Ella erste musikalische Inspirationen. Auf CBS hatte Arthur Tracy eine Show, die sie regelmäßig hörte, und auch NBC brachte Musikprogramme, an denen sie Gefallen fand.

Das Radio war das Medium der 1920er-Jahre. Es verbreitete Blues und Jazz im ganzen Land, und die Jugend hing förmlich an den Empfangsgeräten. Und Ella sang bei den Liedern, die sie im Radio hörte, einfach mit. Dachte sie bislang daran, nach der High School vielleicht Medizin zu studieren und Ärztin zu werden, so entschied sie sich nun zwischen Bildender Kunst und Musik für das Wahlfach Musik. Dabei erlernte sie das Notenlesen, die Basis ihres späteren Berufsfeldes einer Sängerin.

Beim Radiohören hatten es ihr vor allem populäre Vokalisten angetan, neben Armstrong etwa Thomas »Fats« Waller. Wenn sie deren Lieder nicht gerade mitsang, tanzte sie dazu. Black Bottom, Suzy Q und Step waren die Modetänze, die sie bald beherrschte. Der bei der Jugend populärste Profitänzer dieser Zeit war der schon erwähnte Bill »Bojangles« Robinson (1878–1949). Der aus Richmond, Virginia, stammende Afroamerikaner galt als Großmeister des Step. Ursprünglich Straßentänzer, ermöglichte ihm sein Talent Auftritte in den Lokalen von New York. Auch Hollywood begann sich für ihn zu interessieren, und er agierte wiederholt mit der jungen Shirley Temple vor der Kamera. »Bojangles« stand in der Umgangssprache der Afroamerikaner für einen streitfreudigen Zeitgenossen. Bill Robinson war so populär, dass er nach seinem Herztod – der begeisterte Glücksspieler starb verarmt – in Harlem aufgebahrt wurde. Tausende Menschen kamen zu seiner Beerdigung. Unter den Sargträgern waren Duke Ellington, Cole Porter und Irving Berlin. 2001 wurde seine Lebensgeschichte mit Gregory Hines in der Hauptrolle verfilmt. Und Sammy Davis Jr., selbst ein begnadeter Steptänzer, zollte seinem Idol mit der Aufnahme des Songs Mr. Bojangles Tribut.

Anders als die meisten afroamerikanischen Sängerinnen wurde Ella Fitzgerald in ihrer Kindheit und Jugend kaum durch die Musik der schwarzen Kirchen, den Gospel, oder den Blues beeinflusst. Sie wurde vielmehr via Radio und Schallplatte vom Jazz, der damals Unterhaltungsmusik war, geprägt. Doch sie kannte natürlich die größte Bluessängerin, an der man damals einfach nicht vorbeikam.

Bessie Smith, die erste schwarze Diva

Die größte Zeit der »Empress of the Blues« waren die 1920er-Jahre. Damals spielte Bessie Smith (1894–1937) mehr als 150 Schallplatten ein. Sie war eines von sechs Kindern des Predigers einer Baptisten-Gemeinde, der bald nach ihrer Geburt starb. Geboren in Chattanooga, Tennessee, wuchs sie in armseligen Verhältnissen in einer Hütte bei ihrer Mutter auf, die starb, als Bessie gerade neun Jahre alt war. Washwoman Blues heißt ein Bessie-Smith-Song über ihre triste Kindheit.

Mit Vaudeville-Truppen tingelte sie durch die Lande und wirkte in der Moses Stokes Show als Tänzerin mit. Dort lernte sie Ma Rainey, die man »Mother of the Blues« nannte, kennen, die als ihre Entdeckerin gilt. In der Prohibitionszeit sang Bessie Smith in Lokalen, die durch illegalen Alkoholausschank von sich reden machten. Sie gehörten zumeist Mafiosi. In diesen Lokalen wurde Bessie Smith zur Alkoholikerin. Ihre Schallplatten Me And My Gin, Gimme A Pigfoot And A Bottle Of Beer oder Gin House Blues geben davon Zeugnis. Unter ihren ersten Einspielungen 1923 war der von Alberta Hunter komponierte Down Hearted Blues, der zu ihrem ersten großen Hit werden sollte. Einen Monat lang stand er auf Platz 1 der BILLBOARD-Charts, und nach etwas mehr als einem halben Jahr waren 870000 Scheiben davon verkauft. Ella Fitzgerald war zu diesem Zeitpunkt gerade sechs Jahre alt.

So richtig los ging es mit der Karriere von Bessie Smith ab 1924, als sie zum ersten Mal in der Blues-Metropole Chicago auftrat, wo ihre Platte Weeping Willow Blues aufgenommen wurde. Nun arbeitete sie mit Louis Armstrong, Buster Bailey, Fletcher Henderson und Jack Teagarden, die der Jazzelite dieser Zeit angehörten, zusammen. Vorübergehend war Bessie Smith von 1925 bis 1927 bei der Harlem Frolics Show und erregte 1928 mit dem Empty Bed Blues, der einen pornographischen Text hatte, Aufsehen.

Wie ihre Kindheit sollte auch ihr Ende tragisch verlaufen. Nach einem schweren Autounfall am 26. September 1937 in Mississippi musste ihr rechter Arm amputiert werden. Einen Tag später starb sie, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Mehr als 40 Jahre später wurden Bessie Smith posthum große Ehrungen zuteil: Sie wurde in die »Blues Hall Of Fame« (1980) und in die »National Women’s Hall Of Fame« (1984) aufgenommen und erhielt den »Lifetime Achievement Award« (1989).

Die bereits erwähnte Bluessängerin Alberta Hunter bezeichnete Bessie Smith als »die Größte von allen«. Der Gitarrist Danny Barker erzählte, Bessie Smith habe jede Bühne beherrscht: »Man wandte den Kopf nicht nach links und nicht nach rechts, wenn sie auftrat.« Der Klarinettist und Saxophonist Buster Bailey wiederum berichtete, ihre Stimme habe die Carnegie Hall und den Madison Square Garden gefüllt: »Sie konnte jeden Raum nur durch die Kraft ihrer Stimme ausfüllen, und sie hielt die ganze Nacht durch. Das alberne Geflüster vor dem Mikrophon gab es damals nicht.« Der legendäre Produzent John Hammond, von dem später noch ausführlich die Rede sein wird, unter dessen Leitung sie Anfang der 1930er-Jahre einige Songs eingespielt hatte, sagte über Bessie Smith: »Sie war eine jener seltenen Persönlichkeiten mit der Fähigkeit, das eigene Ego völlig in ihre Musik zu projizieren.«

Der Rassismus, mit dem Bessie Smith in den 1920er- und 1930er-Jahren konfrontiert wurde, der Jahrzehnte später auch noch Ella Fitzgerald entgegenschlagen sollte, kommt in dem Einakter Der Tod der Bessie Smith von Edward Albee zum Ausdruck, der 1960 in Berlin seine europäische Uraufführung erlebte. Nach jenem Autounfall, bei dem sie so schwere Verletzungen erlitt, dass sie schließlich starb, wurde Bessie Smith angeblich nicht zum nächstgelegenen Spital, das Weißen vorbehalten war, sondern zum Afro-American Hospital in größerer Entfernung gebracht. Karriere und Schicksal von Bessie Smith sind auch Thema der Jazzoper Cosmopolitan Greetings von George Gruntz, Rolf Liebermann und Allen Ginsberg, die 1988 in Hamburg uraufgeführt wurde. Das Bühnenbild stammte von Robert Wilson, unter den Mitwirkenden waren die Sängerinnen Dee Dee Bridgewater und Sheila Jordan, der Vokalist Mark Murphy und der Trompeter Don Cherry.

Mit ihrer Ausstrahlung, kraftvollen Stimme und Bedeutung für die amerikanische Musik war Bessie Smith der erste weibliche afroamerikanische Gesangsstar von Weltrang – und somit eine Vorgängerin von Billie Holiday, Sarah Vaughan und Ella Fitzgerald. Und der Blues, das Lied der Schwarzen, stellte die Quelle für alle Stilrichtungen des Jazz und letztlich auch für die Popmusik der USA bis in die Gegenwart dar. Der Blues, die erste große kulturelle Eigenleistung der Afroamerikaner, schuf die Basis für die Transformation von Volksmusik in eine authentische »schwarze« Kunstform. Verbreitet durch Minstrel-Shows ab Beginn des 20. Jahrhunderts, war der Blues zunächst ein musikalisches Dokument schwarzer Identität. Er speiste sich aus Work Songs, Shouts und Field Hollers. Die Entstehung des Blues dürfte um 1863 erfolgt sein, als der Emancipation Act den Afroamerikanern ein bisschen Freizügigkeit verschaffte. Der Dichter Langston Hughes bemerkte zutreffend: »Im Blues verbirgt sich hinter der Trauer fast immer ein Lachen der inneren Stärke.«

»Eine atemberaubende Performerin« nannte der Bluesforscher Derrick Stewart-Baxter Bessie Smith, die den klassischen Blues zu einer neuen Gesangsform verwandelt habe. Das sei ganz unbewusst geschehen: »Mit ihrer natürlichen Genialität nahm sie den Gesangsstil des Vaudeville, den Country-Blues sowie gewisse Jazzelemente und verschmolz diese zu einem perfekten Ganzen.«

Bis in unsere Tage ist der Blues »mehr als nur Musik – er ist ein Gefühl«, wie es der 2015 im Alter von 89 Jahren verstorbene Bluesmusiker B. B. King formulierte.

Ella und die »Harlem Renaissance«

Bessie Smith, aber auch so unterschiedliche Künstler wie Louis Armstrong, Duke Ellington oder Bill Robinson wurden mit der »Harlem Renaissance«, einer Kulturbewegung der Afroamerikaner in den 1920er-Jahren, assoziiert. In dieser Kulturbewegung ging auch das »Jazz Age« auf.

Harlem, ein Viertel im New Yorker Stadtteil Manhattan, wird durch die 155th Street im Norden und den Harlem River im Osten begrenzt. Die südliche Grenze trennt Harlem von der wohlhabenden Upper East Side. Im heutigen Harlem hatten im 16. Jahrhundert holländische Pioniere eine erste europäische Siedlung gebildet. Auf das Jahr 1658 geht der Name Nieuw-Haarlem nach der holländischen Stadt Haarlem zurück. Schließlich baute die Dutch West India Company mit Hilfe afrikanischer Sklaven eine Landstraße in die Wiesen von Haarlem, aus der die berühmte Boston Road wurde. 1664 eroberten englische Truppen die holländische Kolonie, und aus Haarlem wurde Harlem. Bis ins 19. Jahrhundert war es eine ländliche Gegend, es gab viele Farmen und repräsentative Landsitze für die wohlhabenden New Yorker. Ein Grundstück besaß etwa James Roosevelt, der Vater des späteren amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt. Mit dem Ausbau von Hochbahnen um 1880 erfolgte eine rasche Verstädterung, und auch die musikalische Kultur bekam eine neue Heimat: 1889 eröffnete der Komponist Oscar Hammerstein I das Harlem-Opernhaus an der östlichen 125th Street. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderte sich das ganze Viertel. Um 1905 kamen vor allem jüdische Einwanderer aus Europa, in einem Konjunkturtief gegen 1910 wurden zahlreiche Wohnungen an Afroamerikaner vermietet. Viele von ihnen waren wegen der Rassendiskriminierung im Süden in die Städte des Nordens der USA gezogen. Eine Folge war, dass zunehmend weiße Bewohner Harlem verließen. Aus anderen Vierteln New Yorks wie Tenderloin oder San Juan Hill zogen hingegen nun viele Afroamerikaer nach Harlem, und deren Bevölkerungszahl vervierfachte sich in den 1920er-Jahren. Es begann die »Harlem Renaissance«, eine Blütezeit der »schwarzen« Kultur. Bis heute gibt es in Harlem eine Vielzahl von Kirchen verschiedener Konfessionen. Unter den zahlreichen Prominenten, die in Harlem aufwuchsen, sind der Schriftsteller James Baldwin, die Sänger Sammy Davis Jr. und Harry Belafonte, der Tänzer Gregory Hines, der Dichter Langston Hughes, die Rhythm & Blues-Interpretin Alicia Keys, die Jazzpianisten Fats Waller und Bud Powell oder der Politiker Al Sharpton von der Demokratischen Partei.

Die »Harlem Renaissance« wurde auch New Negro Movement genannt und bezeichnet eine künstlerische Bewegung afroamerikanischer Schriftsteller und Maler in den 1920er-Jahren. Die Begleitmusik war der Jazz, personifiziert in Louis Armstrong, Duke Ellington oder Bessie Smith, die freilich eine Blues-Sängerin im engeren Sinn des Wortes war. Man sah im aufkommenden Jazz auch ein Zeichen der Rebellion gegen kommerzielle Nüchternheit und Spießigkeit. In den 1920er-Jahren blühte die Aktienspekulation in den USA. Allein 1923 wurden neue Aktien im Nennwert von 3,2 Milliarden USD ausgegeben. 1927, also nur vier Jahre später, war die entsprechende Summe schon dreimal so hoch. Und der Umsatz an der New Yorker Börse sprang von 236 Milliarden Stück 1923 auf 577 Milliarden 1927 und verdoppelte sich bis 1929 noch einmal. Viele Menschen wurden von der Raffgier dieser Zeit abgestoßen und flüchteten vor der Jagd nach materiellen Gütern. Harlem wurde – neben Greenwich Village – ein gesellschaftlicher Kristallisationspunkt der Avantgarde. In den 1920er-Jahren änderten sich Erziehungsmethoden und lösten sich patriarchalische Strukturen auf. Die Emanzipation der Frauen gewann an Bedeutung, die Mode befreite sich von Tabus, und man proklamierte freie Sexualität.

Die Rolle der Frau wurde ganz generell aufgewertet. Dabei spielten viele Afroamerikanerinnen einen progressiven Part wie etwas A’Lelia Walker. Diese reichste schwarze Frau Amerikas hatte ihr Vermögen durch eine Geheimformel zur Glättung krausen Haares gemacht. In ihrem Salon trat die Blues-Sängerin Alberta Hunter auf, die mit Songs wie Downhearted Blues, Amtrac Blues, Handy Man oder Old Fashioned Love berühmt wurde. Mit W.C. Handys Beale Street Blues, begleitet von Fats Waller an der Orgel, kam sie auf Platz 16 in den BILLBOARD-Top 30.

Neben Ma Rainey und Bessie Smith, die durch Schlägereien und Alkoholexzesse von sich reden machte, war Ethel Waters wichtig, die viel für die Durchsetzung von Blues und Jazz in der amerikanischen Kultur geleistet hat. Man kann sie als eine der ersten schwarzen Entertainerinnen bezeichnen; ab 1927 trat sie am Broadway auf und wurde ein Hollywood-Star.

Unter den vielen Weißen, welche die »Harlem Renaissance« förderten, war der Journalist und Fotograf Carl Van Vechten. Dieser einflussreiche Musik- und Theaterkritiker der NEW YORK TIMES war jedermann in Harlem und Greenwich Village wohlbekannt. Er hat die »schwarze« Kultur publizistisch unterstützt und darüber hinaus deren Protagonisten materiell gefördert, so etwa Langston Hughes (1902–1967), dessen Gedicht I, Too, Sing America für die Bürgerrechtsbewegung bedeutsam werden sollte.

Die Avantgarde traf sich in einschlägigen Lokalen. Man nahm alles Neue begeistert auf, öffnete sich dem Experiment, trat für Geburtenkontrolle und gegen jede Art von Rassendiskriminierung ein, liebte Blues und Jazz sowie moderne Kunst und Literatur. Im Nachtclub Barron’s spielten schwarze Musiker für ein gut situiertes weißes Publikum. Connie’s Inn, gegründet 1923 während der Prohibition von Connie Immerman, einem weißen Schnapsbrenner, bot Duke Ellington ein erstes Betätigungsfeld als Probenpianist. Später trat Fletcher Henderson mit seinem Orchester ebenso wie Fats Waller, Louis Armstrong, der Sänger Harlan Lattimore oder Bessie Smith im Connie’s Inn auf.

Die Prohibition, die von 1920 bis 1933 in Kraft war und in ganz Amerika den Verkauf und Konsum jeder Form von Alkohol verbot, führte zum Entstehen der sogenannten Speakeasies. In diesen Lokalen wurde Alkohol illegal ausgeschenkt, was unter den Bohemiens als besonders schick galt. An vielen Orten in Harlem konnte man Alkohol kaufen: in Delikatessenläden, an Zeitungsständen oder sogar in Schuhgeschäften.

Der Cotton Club wurde durch Auftritte der Big Bands von Duke Ellington und Cab Calloway berühmt. Ab 1923 im Besitz des Gangsters Owney Madden, entwickelte sich das Lokal bald zu einem Hot Spot der New Yorker High Society. Wenngleich die Musiker fast ausschließlich Afroamerikaner waren, wurde farbigen Gästen der Zutritt verweigert. Das Publikum bestand also zunächst nur aus Weißen. Hier entwickelte Duke Ellington den »Jungle Style«, eine Trademark seines Orchesters. Cineasten sei der Spielfilm Cotton Club von Francis Ford Coppola aus dem Jahre 1984 über die Geschichte dieses Lokales und seines Mafia-Publikums (Dutch Schultz, Lucky Luciano und Vincent »Mad Dog« Coll) empfohlen. Und dann gab es noch das Small’s Paradise mit einem Fassungsraum für 1500 Personen und Charlie Johnsons Jazzband als Hausorchester über zehn Jahre. Den nächtlichen Jamsessions wohnte hier u.a. der Schriftsteller William Faulkner häufig bei.

In Harlem wurde die Nacht zum Tag, die Boheme feierte 24 Stunden lang. Es gab Restaurants mit Nachtservice wie Tillie’s Chicken Shack oder Pod’s and Jerry’s. Glitter, Glamour und Dekadenz waren hier zu Hause. Lloyd Morris schrieb in der NEW YORK HERALD TRIBUNE, im Small’s Paradise hätten die Kellner tanzend mit Drinks beladene Tabletts auf den Fingerspitzen balanciert, und das Happy Rhone’s sei durch seinen schwarz-weißen Dekor und seine gleichermaßen schwarz-weiße Klientel aufgefallen: »Und es gab Dekadentes in schäbigen Kellerlokalen, wie die buffet flats, wo verschiedenartigste, oft perverse sexuelle Vergnügungen angeboten wurden. Harlems schillernde Nachtclubs zogen alle an: von Charlie Chaplin bis zu den Rothschilds, von Gangstern bis zu den Betuchten aus der Park Avenue, von den Village-Bohemiens bis zu Angehörigen europäischer Königshäuser.«

Hier in Harlem wurde der Aufbruch eines selbstbewussten neuen Amerika nach dem Ersten Weltkrieg und vor der »Great Depression«, der großen Wirtschaftskrise, die 1929 begann und die frühen 1930er-Jahre prägte, zelebriert. Als Reaktion auf die »Great Depression« entstand eine politisierte Kultur, die von Sozialkritik gekennzeichnet war und sich in Literatur, Film, Theater, Malerei und Musik widerspiegelte. Und die Musik hieß ebenso wie während der »Harlem Renaissance«, die das Mädchen Ella Fitzgerald vom Hörensagen kannte, Jazz. Aber wie sah es mit der Rolle der Frau in der Frühzeit des Jazz aus? Und wer waren die ersten bedeutenden Instrumentalistinnen?

Die ersten Jazzmusikerinnen

Bis in unsere Gegenwart gilt der Jazz als Domäne der Männer, sieht man von den Sängerinnen ab. Natürlich gab es früher und gibt es heute auch Instrumentalistinnen, aber sie sind eher rar und die Namen der Pionierinnen kaum bekannt. Und doch gab es schon am Anfang des 20. Jahrhunderts neben den großen Bluessängerinnen im Jazz Pianistinnen, Komponistinnen und Arrangeurinnen. Vor allem drei Frauen taten sich hervor, als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ein Aufschwung der amerikanischen Unterhaltungsindustrie einsetzte. Nicht nur in New York, sondern auch in Chicago oder Kansas City brach eine Art von Vergnügungssucht aus, was zur Folge hatte, dass neue Music Halls, Nachtclubs, Tanzlokale und Theater öffneten. In all diesen Etablissements gab es Live-Musik. Diese Situation bot natürlich nicht nur männlichen Instrumentalisten und Sängern, sondern auch musikalischen Damen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Lovie Austin (1887–1972) war eine Blues- und Jazzpianistin aus Chattanooga, Tennessee, die in den 1920er-Jahren als Bandleaderin, Sessionmusikerin, Komponistin und Arrangeurin von sich reden machte. Sie lebte die längste Zeit in Chicago, wo sie in Vaudeville-Shows nicht nur als Pianistin, sondern auch als Schauspielerin mitwirkte. Austin ist auf Schallplatten der Bluessängerinnen Ma Rainey (Moonshine Blues), Ida Cox (Wild Women Don’t Have The Blues), Ethel Waters (Craving Blues) und Alberta Hunter (Sad ’n’ Lonely Blues) zu hören, hatte aber auch eine eigene Band namens The Blues Serenaders. Diesem Ensemble gehörten prominente Jazzmusiker wie der Trompeter Tommy Ladnier, der Posaunist Kid Ory oder der Drummer Johnny Dodds an. Später, in den 1930er-Jahren, wurde Lovie Austin musikalische Leiterin des Monogram Theatre in Chicago.

Lilian »Lil« Hardin Armstrong (1898–1971) aus Memphis, Tennessee, war eine zweite Frau, die als Pianistin, Sängerin und Komponistin in der Frühzeit des Jazz Karriere machte. Die Halbwaise spielte Orgel in der Kirche, studierte an der Fisk University in Nashville, arbeitete dann in einem Musikalienladen und spielte ab 1918 gegen den Willen ihrer Eltern in der Band von Lawrence Duhé, der auch der legendäre New-Orleans-Kornettist Freddie Keppard angehörte. Als sie in die Band des Kornettisten Joe »King« Oliver wechselte, lernte sie den dort beschäftigten Louis Armstrong kennen, den sie 1924 heiratete. Eine Zeit lang war sie dann Pianistin in den Hot Five- und Hot Seven-Bands von Armstrong. Da sie eine solidere musikalische Ausbildung als ihr Mann hatte, half sie ihm, sein Talent zu formen und weiterzuentwickeln. 1938 wurde die Ehe geschieden.

Mary Lou Williams (1910–1981) aus Atlanta, Georgia, war nicht nur eine hochbegabte Pianistin, Komponistin und Arrangeurin, sondern gilt neben Lovie Austin und Lilian »Lil« Hardin Armstrong als wichtigste Wegbereiterin einer geschlechtlichen Gleichberechtigung im Jazz. Ihre Mutter, eine Putzfrau, sang in ihrer Freizeit Spirituals und spielte Ragtime auf dem Klavier. Die kleine Mary Lou Williams erlernte das Klavierspiel autodidaktisch, indem sie der Mutter zuhörte und nachspielte. Schon mit sechs Jahren trat sie in der Umgebung ihres Wohnortes auf und spielte bald als Attraktion auf Partys. Ihr erstes professionelles Engagement hatte Mary Lou Williams bei der Vaudeville-Truppe Toba. Dort glänzte das Mädchen bereits mit Showeinlagen. Im Alter von 16 Jahren heiratete sie den Saxophonisten John »Bearcat« Williams, mit dessen Orchester sie auf Tournee ging. Später war sie kurz in der von Andy Kirk geleiteten Big Band The Twelve Clouds of Joy und schrieb ab 1936 über Vermittlung von John Hammond auch für das Benny Goodman Orchester. Mary Lou Williams nahm Platten mit der Sängerin Mildred Bailey auf und wirkte ab 1946 in diversen Frauenbands mit. Und dann trafen einander in ihrer Wohnung in Harlem Musiker wie Thelonious Monk, Dizzy Gillespie oder Tadd Dameron, die an der Wiege des modernen Jazz standen. Deshalb nannte man Mary Lou Williams fortan auch »Mutter des Bebop«. Schließlich konvertierte sie zum Katholizismus und komponierte liturgische Musik wie z.B. die Suite Black Christ Of The Andes. Aber sie schrieb auch ganze Messen wie Mass For The Lenten Season. Gegen Ende ihres Lebens, in den 1970er-Jahren, spielte sie wieder Jazz und trat 1978 im Weißen Haus vor dem demokratischen Präsidenten Jimmy Carter auf.

Sowohl Mary Lou Williams als auch Lilian »Lil« Hardin Armstrong und Lovie Austin waren Afroamerikanerinnen. Unter den wenigen weißen Instrumentalistinnen in der Frühzeit des Jazz war die Saxophonistin Betty Sattley Leeds.

Bald schon gab es zahlreiche Damen, die ein Jazzinstrument spielten: die Trompeterinnen Ernestine »Tiny« Davis, Valaida Snow und Jane Sager oder die Saxophonistinnen Viola »Vi« Burnside und Margaret Backstrom. Die Komponistin und Pianistin Irene Kitchings hat Songs für Billie Holiday geschrieben. Später, zu Beginn der 1940er-Jahre, machte die Trompeterin und Sängerin Billie Rogers im Woody Herman Orchester von sich reden. Und es bildeten sich ausschließlich aus Damen bestehende Orchester heraus: das Eddie Durham All Star Girl Orchester, die International Sweethearts of Rhythm, das Prairie View College Co-Eds All Girl Orchester und viele andere.

Im Laufe der Zeit setzten sich im Jazz immer mehr Frauen durch, darunter die Pianistinnen Marian McPartland, Jutta Hipp, Carla Bley, Toshiko Akiyoshi und Joanne Brackeen, die Posaunistin Melba Liston, die Tenorsaxophonistin Barbara Thompson oder die Schlagzeugerinnen Marilyn Mazur und Terri Lyne Carrington. Und dennoch standen die Sängerinnen immer im Mittelpunkt des Publikumsinteresses. Das war ganz besonders in den 1920er- und 1930er-Jahren so, als sich die junge Ella Fitzgerald musikalisch orientierte.

Ein erstes Vorbild: Connee Boswell

Ella Fitzgerald saugte akustisch auf, was immer sich ihr darbot, von Bing Crosby bis zu Louis Armstrong. Besonders angetan hatte es ihr Connee Boswell von den Boswell Sisters. Connee, Martha und Helvetia Boswell stammten aus New Orleans und hatten mit Songs wie Crazy People, Wha’d Ja Do To Me?,Everybody Loves My Baby oder Roll On, Mississippi großen Publikumserfolg.

Das Radio machte all diese Vokalgruppen von den Andrews Sisters über die Mills Brothers bis zu den Boswell Sisters populär, vor allem beim jungen Publikum. Der Vokalstil der Boswell Sisters orientierte sich stark am Jazz. Zunächst wirkten sie in den Programmen eines Radiosenders in Honolulu mit, dann in der Chesterfield Show oder der Bing Crosby Show in New York. Begleitet von Jazzmusikern wie Joe Venuti, Artie Shaw, Benny Goodman, Mannie Klein, Jimmy und Tommy Dorsey oder Bunny Berigan sangen sich die drei weißen Mädchen in die Herzen ihrer jugendlichen Fangemeinde, zu der auch Ella Fitzgerald zählte. Die Boswell Sisters waren seit 1925 aktiv und hatten mit The Object Of My Affection 1935 ihren größten Plattenhit. Bald nach Erscheinen dieser Platte lösten sie sich auf. Während Martha und Helvetia heirateten, startete Connee Boswell eine tolle Solokarriere. Trust In Me spielte die aufgrund einer Kinderlähmungserkrankung an den Rollstuhl gebundene Connee mit dem Orchester Ben Pollack 1937 ein, mit Bing Crosby nahm sie im selben Jahr Alexander’s Ragtime Band und den Basin Street Blues auf. Connee Boswell war Autodidaktin und brachte sich selbst das Spielen von Klavier, Cello und Saxophon bei. In ihrem Rollstuhl war ein Hebemechanismus eingebaut, der den Eindruck vermittelte, sie würde aufrecht stehen. So konnte sie sogar in Broadway-Shows wie Curtain Time oder Showtime auftreten.