Eltern, die auf Schaukeln starren - Felix Denk - E-Book

Eltern, die auf Schaukeln starren E-Book

Felix Denk

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Beschreibung

Spielplätze sind längst nicht mehr nur Orte für die lieben Kleinen – nein, sie sind eine sandige Bühne, auf der Väter und Mütter ihre neue Rolle als Eltern öffentlich erproben. Da ist die Schnösel-Mutter im Kaschmirponcho, die ihren Heinrich zum Durchsetzen anfeuert – schließlich soll er mal eine Führungspersönlichkeit werden. Auf der Rutsche hampelt der Action-Daddy wilder als seine beiden Söhne, misstrauisch beäugt vom Business-Papa, der lieber über iPhones als über Kinderköpfe streichelt, während die Öko-Mama ihre fünfjährige Zoé mit einem kräftigen Schluck Muttermilch tröstet, wenn sie nicht gleich an der Wippe drankommt. Zwischen Schaufel und Schaukel liefern Silke und Felix Denk ein amüsantes Bild der heutigen Elterngeneration.

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Das Buch

Sieben Tage auf einem Spielplatz sind wie eine Komödie in sieben Akten. Denn obgleich es immer weniger Kinder gibt, wird immer mehr Tamtam um sie gemacht. Eltern sein ist heute eine Welt­anschauung, in all seinen Facetten. Das fängt beim Schnuller an ­(Silikon oder Kautschuk?), geht bei der Frage nach der richtigen Schaufel weiter (Holz oder Plastik?) und hört bei der Ernährung (Dinkelkeks oder Fruchtriegel?) lange nicht auf. Einigkeit herrscht zwischen Eltern nur in einem: Die anderen machen es falsch!

Und so hängen sie irgendwann allesamt auf dem übervölkerten Fleckchen Spielplatz herum: die Strengen und die Faulen, die Gehetzten und die Übermüdeten, die Freiberufler und die Festangestellten, dazwischen Babysitter und Großeltern. Manche profilieren sich als unermüdliche Antreiber, die den Nachwuchs für die Schikanen der globalisierten Wirtschaft fit machen wollen. Andere buddeln selbstverloren im Sand. Wieder andere erklären dem Nachwuchs den Faraday’schen Käfig – es könnte ja ein Gewitter aufziehen. Eingekeilt zwischen den üblichen Spaßstaffagen gehen sich die Eltern damit gehörig auf die Nerven. Das macht den Spielplatz zu einem Minenfeld. Und zu einem der besten Orte, um die neue deutsche Elterngeneration zu studieren.

Die Autoren

Felix Denk studierte Geschichte an der Berliner Humboldt-Univer­sität und Kulturjournalismus an der UdK. Heute arbeitet er als ­Redakteur des Berliner Stadtmagazins zitty und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Dummy und Groove. Seine Frau Silke ist Werbetexterin, arbeitet für renommierte Agenturen wie BBH, Jung von Matt und Kolle Rebbe und betreut Kunden wie IKEA, Levi’s, AXE und Nachtklubbesitzer. Sie leben mit ihren Kindern in Berlin.

Felix Denk

Silke Denk

Von Bio-Mamas, iPhone-Papis und anderen Spielplatz-Profis

Ullstein

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1. Auflage Februar 2015

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015

Umschlaggestaltung: semper smile Werbeagentur – Jefferey Swanda

Titelabbildung: © Shutterstock/Masson (Bank); © Shutterstock/doglikehorse (Mann)

ISBN 978-3-8437-0972-9

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Für Henry & Oskar, ohne die wir wohl nie auf einen Spielplatz gegangen wären.

Intro

Es hilft nichts: Die Kinder müssen raus. In der Etagenwohnung kommt der Lagerkoller noch vor dem Mittagsschlaf. Wer keinen Garten hat – und welcher Stadtbewohner hat schon einen? –, geht hinaus. Und zwar auf den Spielplatz.

Der Spielplatz zählt zu den erfolgreichsten Bauformen der Nachkriegszeit. Rund 40 000 davon sind es alleine in Deutschland: 40 000 Mal Sandkiste, Rutsche und Schaukel, Wippe, Klettergerüst und Karussell, bisweilen auch Schwengelpumpe, Trampolin und Tischtennisplatte. Fast immer stehen Bänke am Rand für die Eltern bereit. Dazu ein bisschen Grün und rundherum ein Zaun. Es soll ja keiner türmen.

Spielplätze sind extrem normierte öffentliche Räume. Das scheint auf das Verhalten ihrer Nutzer abzufärben. Und das sind längst nicht nur die Kinder. Pädagogen betonen zwar unermüdlich, wie wichtig Spielplätze für die soziale und motorische Entwicklung der Kleinen seien. Und natürlich lernen die hier wichtige Dinge, die sie später gut gebrauchen können: zum Beispiel sich an der Rutsche vordrängeln, Konkurrenten von der Schaukel wegschubsen, fremdes Spielzeug entführen und nicht mehr zurück­geben …

Doch Spielplätze sind eigentlich nicht, wie man meinen könnte, Orte für Kinder. Nein, sie sind von den Eltern geprägt. Ihnen sind sie ein Ort des Ausprobierens der neuen Rolle, der Selbstvergewisserung in einer neuen Lebensphase und vor allem die sandige Bühne eines niemals ­endenden Improvisationstheaters. Denn auf dem Spielplatz findet tagtäglich eine große Erziehungsshow statt.

Bühne frei also für die neue deutsche Elterngeneration. Es treten auf:

– die mode- und markenfixierte Bloggermum

– der allwissende und unüberhörbare Experte

– die Helikoptermutter, die von einer Panikattacke in die nächste jagt

– der Neodad, der alles macht, was man von ihm verlangt

– die dauerstillende Forenmutti

– der Kumpelpapa, der beste Buddy der Kleinen

– die kaschmirtragende Karrieremutter aus dem Dachgeschoss

– der von allem, was Kinder angeht, komplett überforderte Businessdad

– die dauermissgelaunte Guantánamo-Mutter

– der Gästelisten-Vater, der so tut, als gäbe es ein Nachtleben ohne Kinder

– die als Kind verkleidete Frag-Mutti-Mutti

In den Nebenrollen:

– der Opa, der die neue deutsche Elternwelt nicht mehr versteht

– die Oma, die von ihrer Tochter und allen anderen Müttern unbeirrt ihre eigenen Regeln aufstellt

– die unterbezahlte Babysitterin

– die von Müttern gestalkten Kita-Betreuerinnen

In noch kleineren Nebenrollen:

– die Kinder

Montag

9:30 Uhr: Die Materialschlacht

Die Forenmutti sitzt vor einer heißen Tasse Lupinienkaffee. In entkoffeiniertem Kaffee, das weiß sie genau, ist trotzdem noch Koffein, und das geht direkt in die Mumi, in die Muttermilch. Schnell schreibt sie unter ihrem Alias »Kuegelchen23« ihren Post im Forum fertig. Thema des Threads: Meine Erfahrung mit der Hausgeburt.

Alle drei Hausgeburten waren einfach wunderbar. Entspannt, gemütlich, schmerzarm. In einer Krankenhaus­atmosphäre hätte ich total verkrampft. Da würde sich mein Muttermund gar nicht öffnen. Kleine Tipps für die HG: Ein Beutel tiefgekühlter Erbsen für das Zusammen­ziehen der Gebärmutter, Kaffeekompresse für den Damm und ein schönes Gefäß für die Plazenta. Das hatte meine Hebi nicht dabei. Eure Kuegelchen23

Shyla Sunshine, 3, besucht die Waldorfkita und Maralina Fee, 7, die altersgemischte Klasse der Waldorfgrundschule. Cosma Moon, 12 Monate, hat gerade die rechte Brust bekommen. Die Forenmutti summt ihr ein Mantra vor, während sie sie in der Hängematte wiegt. Der vegane Kuchen für das Kitafest ist schon fertig. Sie gibt Cosma noch die linke Brust, bindet sie im Tuch an den Körper und schnappt sich die Tasche.

Eingepackt hat sie nur das Nötigste: abgekochtes Wasser und Waschlappen, falls sich Cosma in die Stoffwindel macht, hundert Blatt Windelvlies, die Waldorf-Puppe Gugguli für Cosmas Nachmittagsschlaf, Hirsebällchen, Apfelspalten, gekochte Eier und Nüsse für sich (die Kleine snackt ja noch an der Brust), eine Glasflasche (ohne die ganzen Weichmacher) mit Mondwasser. Außerdem ein paar Kleinigkeiten zum Spielen: selbstbeklebte Joghurt­becher, Löffel, Kindertöpfe und Siebe. Außerdem packt sie Stadelmann-Pocreme, Engelwurzsalbe gegen Cosmas Schnupfen, vegane Fairtrade-Sonnencreme und Wolle-Seide-Bodys zum Wechseln ein. Mehr nicht.

Für die Dachgeschossmutti (Theresa 3, Zwillinge Charlotte und Friedrich 14 Monate) heißt morgens aus dem Haus gehen: Nach ein paar Sonnengrüßen auf der Yogamatte eine Dusche nehmen, schminken, anziehen, anschließend die spanische Nachmittagsnanny anrufen und mit ihr das Programm für die Dreijährige durchsprechen (Ballett; Mitmachmuseum; keine Süßigkeiten!). Jetzt die vom französischen Au-pair zurechtgemachten und mit Dr. Duve Babies&Kids-Sonnencreme LSF 50 eingecremten Zwillinge im Matrosenlook in den Twin-Bugaboo setzen und die große Prada-Tasche im Laderaum des Kinder­wagens verstauen. Inhalt: ein Kalbsleder-Wickeletui mit Feuchttüchern, zwei Paar Wechselbodys von Petit Bateau, Pampers Active Dry Fit, Fendi-Schnuller mit Schnullerketten von Baby Dior, Thermoboxen mit dampfgegartem Bio-Brei, salzfreie Gebäck-Flûtes zum Knabbern, Cashmere-Babysöckchen und Mützchen, zwei Burberry-Jäckchen. Außerdem verchromte Schaufeln von Manufactum, ein nostalgisches Sieb und Sandförmchen aus Metall.

Immer dieser Aufwand, denkt die Dachgeschossmutti und drückt mit frisch manikürten Fingern den goldglänzenden Fahrstuhlknopf. Sie schwebt hinunter ins Erd­geschoss, setzt die Sonnenbrille vom Haar auf die Nase und rollt Richtung Spielplatz.

»Schon wieder der Akku fast alle«, stöhnt die Bloggermum. Sie schließt das iPhone 6 ans Netz. Zum Glück hat sie noch ihr altes iPhone 5s, da ist noch Saft drin. Heute gibt es einiges zu fotografieren für ihren Mama-Lifestyle-Blog, den sie seit der Geburt von Futura, 11 Monate, ­betreibt. Sie holt das neue Kleid des dänischen it-Labels aus dem Schrank, das sie diese Woche posten muss. Das war der Deal, um das Kleid umsonst zu bekommen. Sie drapiert es auf dem Bett, legt einen passenden Babylook daneben, macht ein paar Fotos – und entscheidet sich um. Sie versucht es mit einer neuen Kombination. Nimmt ein anderes Kleid aus dem Schrank, legt ein stimmiges Babyoutfit daneben und macht noch ein paar Fotos.

Huch, Futura schreit. Hat sie schon wieder Hunger? Da fällt der Bloggermum ein, dass sie den Erdbeershake ausprobieren könnte, von dem sie gestern auf einem Food-Blog gelesen hat. Während Futura den Erdbeershake trinkt, macht sie ein paar Fotos, lädt es auf Instagram hoch, #erdbeershake_yummy, und liked auf Facebook den Food-Blog, auf dem sie ihn gefunden hat.

O nein, Futura hat gekleckert. Also noch mal neues Outfit für Mama und Kind. Und noch die passende Oversize-Bag raussuchen. Sie schaut auf die Uhr: Um 10 Uhr macht der Pop-up-Shop eines coolen Kinderlabels auf. Da will sie vor dem Spielplatz noch schnell hin – gibt ja ­kreischend günstige Sachen da. Außerdem ergibt sich vielleicht eine Kooperation mit ihrem Blog. Sie sucht Sandförmchen in der Farbwelt von Futura raus, heute rot-weiß mit Pünktchen, genau wie Mama. Sie beklebt die Sandförmchen mit kleinen Punkten. Das werden Super-Fotos, denkt sie. Dann füllt sie Apfelschnitze in rot-weiße Plastikboxen, Leitungswasser in die Pünktchenflasche, schmiert das Baby mit Sonnencreme aus der Goodie-Bag des letzten Mum-Blogger-Treffens ein, macht ein Foto von der Tube und dem dick eingeschmierten Baby, packt noch einen Erdbeerfruchtriegel (rotes Fruchtgelee zwischen zwei weißen Oblaten) ein und schnappt sich die gepunktete Wickeltasche. Geschafft!

Die Helikoptermutter liefert um 8:45 Uhr Ole (4 Jahre) in der Elterninitativ-Kita ab. Danach folgt sie einem eng­maschigen Zeitplan, um den Besuch auf dem Spielplatz zu optimieren. Wie immer bringt sie Hanna (53 Wochen) um exakt 9:30 Uhr für 25 Minuten zum Schlafen. Während die Kleine schlummert, checkt sie den Wetter­bericht (heiter, 23 Grad, Regenwahrscheinlichkeit 12 Prozent), die Ozon- und Feinstaubwerte sowie die Pollenflugvorhersage. Dann setzt sie Wasser auf, kocht Schnuller und Fläschchen ab und bereitet alles fürs Baby-Mittagessen ­unterwegs vor. Das macht zugegebener­maßen ein bisschen Arbeit, denn sie ernährt Hanna nach der Baby-­led-weaning-Methode. Dabei bestimmt das ­Baby selbst, wie, wann, was und wie viel es isst. Wenn die Helikoptermutter das Essen vorbereitet, geht es daher zu wie in einer Großküche, die ein internationales Staatsbankett vorbereitet: erst schälen, raspeln, stampfen, kneten, abmessen, wiegen, hacken; dann garen, dämpfen, pürieren, dünsten, blanchieren. Für das Baby-led-weaning-Mittagessen braucht sie:

 

– glutenfreie Babykekse (ohne Zucker!)

– laktosefreie Reismilch

– fructosearme Bio-Reis-Crispies

– Urmöhrenbrei, Brokkoli- und Blumenkohlröschen, ­Paprikastreifen, Baby­spargel, Kohlrabistreifen und ­Romanescospalten

– laktosefreie Käsestreifen

– Algencracker

– gefiltertes Wasser in Weichmacher-freier Flasche

– Lätzchen mit Ärmel

Okay, 9:55 Uhr. Sie weckt Hanna auf, wickelt sie und cremt ihren Po mit Calendula-Wundcreme ein. Das war’s eigentlich schon. Jetzt kommen nur noch die Sachen, die sie eh immer macht, wenn sie mit Hanna das Haus verlässt. Sie schmiert sie mit mineralischer Sonnencreme Lichtschutzfaktor 50 ein, dann mit Wind-und-Wetter-Creme und schließlich mit Feuchtigkeitscreme. Den Bauch hat sie schon vorher mit Windsalbe gegen Blähungen eingerieben. Sie dreht die Sanduhr um und putzt Hannas ersten Zahn zwei Minuten lang mit fluorfreier Zahnpasta.

Kurzer Anruf in der Kita: »Hallo Ulrike. Ist noch genug Sojamilch da? Perfekt. Und bitte kein Rührei heute Mittag, Ole hat schon am Sonntag Ei gegessen. Sie wissen ja: Zu viel tierisches Protein kann Allergien auslösen.«

Beim Telefonieren setzt sie Hanna Sonnenhut und ­Sonnenbrille auf und beginnt den großen Rucksack zu packen:

 

– Regenhose (Baby)

– Regenjacke (Baby)

– Gummistiefel (Baby)

– Regenhose (Mama)

– Regenjacke (Mama)

– Gummistiefel (Mama)

– Kinder-Regenschirm

– Taschen-Knirps

– Matschhose

– Ersatzklamotten lang

– Ersatzklamotten kurz

– Babykini

– Lillifee-Pflaster

– Desinfektionsspray für Wunden

– Desinfektionsspray für Toiletten

– Sterilium (tötet 99,9 % der Viren bei Händen)

– Wundschutzcreme Po

– Windsalbe gegen Blähungen

– Babynasenspray

– Kochsalzwasserpipetten

– Fieberthermometer

– Fieberzäpfchen

– Mückenschutzmittel

– SOS-Gel zur Behandlung von Mückenstichen

– Mückenschutz für den Kinderwagen

– Erste-Hilfe-Booklet

– kleines Verbandsset

– mineralische Babysonnencreme Schutzfaktor 50

– Salbe gegen Sonnenbrand

– Sonnensegel für den Kinderwagen

– Zahnungskügelchen

– Arnica-Kügelchen

– acht Windeln mit verschiedenen Aufdrucken (Elmo, Giraffe, Löwe)

– Wegwerf-Wickelunterlage

– Einmalhandschuhe

– drei Packungen Feuchttücher sensitiv

– leere Plastiktüte (für die volle Windel)

– Fleckenstift

– Kinder-Taschentücher

– Impfpass-Kopien

– Kühltasche mit Kühlpads und Antibiotika

– Zeckenzange

Und natürlich (weil die Müttergruppe ja bis zum Mittagsschlaf auf dem Spielplatz bleibt):

– Ergo-Carrier-Babytrage, falls Hanna im Kinderwagen nicht einschläft

– Kuschelhase

– zwei abgekochte, keimfreie Schnuller

In ihrer Handtasche hat die Helikoptermutter ihr Notizbuch, in dem beim Windelnwechseln Frequenz sowie Konsistenz und Farbe des Inhalts notiert werden, ebenso die Wach- und Schlafenszeiten. Und im Kinderwagen, als Anregung zum Spielen, ein Jutebeutel mit Buddelzeug: acht mit Namen beschriftete Sandspielzeuge von Spiel­stabil, alle in Rot, damit man sie im Sand auch gut wiederfindet. Und schon geht’s los.

Denn jeden Montag um 10 treffen sich die vier Mütter aus der Pekip-Runde. Die Kinder sind für die Nacktkrabbelstunde schon zu groß, für die Kita aber noch zu klein. Deshalb geht es raus – auf den Spielplatz.

10:15 Uhr: Mein Kind ist geiler als dein Kind

Klack. Die Helikoptermutter lässt das Schloss zuschnappen, mit dem sie den Kinderwagen an den Spielplatzzaun sperrt. Vollbepackt wie er ist, sieht er aus wie der Laster eines Speditionsunternehmens. Die Forenmutti und die aus dem Dachgeschoss sitzen schon auf einer Decke im Sand.

Egal, wie früh man kommt, der Erste ist man nie auf dem Spielplatz. Meist war schon der Pfandsammler da, der im Morgengrauen nach den leeren Bierflaschen sucht, die die Teenager am Vorabend bei der Tischtennisplatte stehen ließen. Manchmal stoppt ein Jogger und nutzt das Klettergerüst für ein paar Klimmzüge oder die Wippe für Dehnübungen.

Vormittags ist es immer ruhig. Die Kinder sind ent­weder in der Kita oder in der Schule. Bevor sich die ­Heli­koptermutter mit Hanna und dem vollgepackten Rucksack zu den anderen Pekip-Müttern setzt, scannt sie den Sand nach verschluckbaren Kleinteilen. Man weiß ja nie.

»Mensch, eure Mäuse sind ja wieder gewachsen«, sagt Kuegelchen23, während sie ihr T-Shirt hochschiebt und Cosma an die linke Brust andockt.

»Ja, Friedrich läuft seit letzter Woche endlich. Charlotte schon seit drei Wochen, aber Mädchen sind ja immer schneller«, erwidert die Dachgeschoss-Mutter, während sie Schaufel, Sieb und Förmchen für die Zwillinge aus dem Hermès-Schuhbeutel in den Sand kippt.

»Habt ihr das irgendwie gefördert? Hanna krabbelt immer noch«, fragt die Helikoptermutter und steckt ihre Tochter in eine Matschhose. »Dafür war sie schon immer total weit mit dem Lautieren. Sie spricht schon ziemlich gut, nicht, Hanna?« Die Helikoptermutter fasst mit der flachen Hand an die Baby-Stirn und prüft, ob Hanna in den letzten fünf Minuten vielleicht erhöhte Temperatur bekommen hat. Hanna brabbelt »Krrrschlummm« und krabbelt matschhosenraschelnd davon.

»Nö, das haben wir nicht gefördert. Liegt wohl in der Familie. Theresa konnte ja schon mit 14 Monaten auf einem Bein hüpfen und mit drei lesen«, antwortet die Dachgeschoss-Mutter, während sie ihren Sohn ermahnt: »Friedrich, nicht den Sand essen!« Dann schärfer: »FFRIEDRICH – AUS!«

»Die Erstgeborenen kann man aber auch gezielter fördern«, erklärt die Helikoptermutter. »Ole konnte mit drei Monaten klatschen, mit einem Jahr sich selbst auf der Schaukel anschubsen und mit eineinhalb im Purzelbaum die Rutsche runter. Und da hat mir kein Au-pair, keine Nanny, keine Tagesmutter, keine Oma und kein Baby­sitter dabei geholfen, wie bei dir, du stinkreiche, arrogante Ziege, die eine ganze Armee an Helfern beschäftigt für Sachen, die ich alle alleine mache, weil mein Mann kein Unternehmensberater ist, so wie deiner. Und ich habe es keinen Deut schlechter gemacht als du!«

Die letzten beiden Sätze hat die Helikoptermutter ­natürlich wieder nicht gesagt, obwohl sie das schon lange gerne einmal getan hätte. Stattdessen observiert sie jetzt jede Bewegung von Hanna, die 123 Zentimeter entfernt im Sand sitzt und mit dem Sieb gräbt. Nicht, dass sie wieder Steinchen in den Mund nimmt.

Pekip gab es schon, da war die Debatte um den frühkindlichen Förderwahn noch längst nicht geboren. In den 60er Jahren erfunden, geht es im Prager Eltern Kind Programm darum, die Motorik des Kindes ganzheitlich zu fördern und die Bindung zwischen Eltern und Kinder zu stärken. Das sieht konkret so aus: Die Heizung wird im Kursraum auf Anschlag aufgedreht, die Babys werden nackt ausgezogen, und die Mütter sitzen schwitzend daneben. Dann wird gesungen, gestreichelt, gerasselt und mal ein Küsschen gegeben. Das allerdings unter fachlicher Anleitung einer ausgebildeten Gruppenleiterin und für 11 Euro die Stunde.

Mittlerweile sind Neugeborene eine umkämpfte Zielgruppe auf dem privaten Bildungssektor. Zur Auswahl stehen etwa Baby-Shiatsu, Baby-Yoga, Baby-Turnen, Baby-Schwimmen, Baby-Massage, Zwergensprache, Delfi, Pikler, Fenkid, Elba, Fabel, Babyfitness, Baby-Snoezelen und natürlich einige frühkindliche Musikangebote wie Little Music Makers oder Musiküken.

Mehr als die Kinder lernen allerdings meist die Mütter. Etwa, dass jeder neue Entwicklungsschritt der Kleinen unbedingt eine Eilmeldung wert ist, die sofort auf allen Kanälen gesendet werden muss. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Der schon in der Schwangerschaft angelegte Hang zum Vergleichen (»Mein Kind hat sich schon längst im Bauch gedreht«) wächst sich hier zu einer kollektiven Neurose aus. Krabbeln, Sitzen, Stehen, Laufen, Sprechen. Wer kann’s als Erstes? Wer versagt? Welche Mutter hat’s am besten gemacht? Schon aus Selbstschutz wird da wahnsinnig übertrieben und der Alltag mit Kind gerne noch mal per Photoshop nachbearbeitet. Mütterrunden sind eine permanente Siegerehrung – inklusive Verliererschelte.

»Futura soll ja jetzt endlich durchschlafen«, erwähnt die Helikoptermutter beiläufig.

»O nein, die Arme«, entgegnet Kuegelchen23. »Ihre Brüste müssen ja schrecklich spannen. Ich bin total froh, dass Shyla bis zu elf Mal in der Nacht kommt und ihre Portion abtrinkt. Ich wache davon auch nie auf. Sie schläft bei mir im Bett und trinkt, wann sie will«, freut sie sich.

»Mir macht der Schlafmangel eigentlich gar nichts aus«, behauptet die Helikoptermutter.

»Meine Zwillinge machen das mit dem Schlaf auch echt gut. Ich bin eigentlich nie müde«, steuert die Dachgeschoss-Mutter bei. Die Nachtschwester, die sie seit der Geburt der Zwillinge angestellt hat, unterschlägt sie. »Und Theresa ist ganz hin und weg wegen der Zwillinge«, ergänzt sie.

Neben ihr auf der Decke bohrt Charlotte Friedrich gerade den Finger ins Auge. Der fängt an zu weinen, was die aus dem Dachgeschoss mit einen gefauchten »Schhhhhh« beendet. »Das ist so lustig für Theresa, dass sie nicht nur ein, sondern gleich zwei Geschwister bekommen hat. Klar, am Anfang haben wir uns Sorgen gemacht, dass sie eifersüchtig sein könnte, weil sie nicht mehr so viel Aufmerksamkeit von Mama bekommt. Aber sie macht das toll. Und das mit dem Stottern bekommen wir auch noch hin.«

Endlich kommen die Bloggermum und Futura auch auf den Spielplatz. Die Helikoptermutter ist sich nicht mehr sicher, ob ihr die Müdigkeit vielleicht doch mehr zusetzt, als sie es zugeben möchte. Tragen die beiden wirklich das gleiche Pünktchenkleid, oder ist das eine optische Täuschung?

»O Gott, Hanna krabbelt alleine auf die Rutschen-­Leiter. Da kann man böse hinfallen. HANNA! STOPP! HANNA!«, schreit die Helikoptermutter und rennt Hanna hinterher. Manchmal würde sie ja gerne sitzen bleiben, aber dafür lauern auf dem Spielplatz einfach zu viele Gefahren. Angefangen von den Bakterien im Sand, die Viren der anderen Kinder, die steile Rutsche, die Strangula­tionsgefahren am Klettergerüst. Die anderen Mütter sitzen träge wie Vollkornteig im Sand und quatschen nur. Die machen es sich leicht. Aber das merkt man auch. Cosma zum Beispiel, die müsste doch schon längst krabbeln können. Aber dazu kommt sie ja nicht, weil sie ­entweder im Tragetuch festgeschnallt nichts von der Welt sieht oder mal wieder am Busen hängt, während sich ­ihre Mutter lieber auf Staatskosten mit anderen unterhält. Na ja, muss ja jeder selbst wissen, wie er’s anstellt … Sie zieht Hanna an den ausgestreckten Ärmchen über den Sand und hofft, dass das ihre Lauflernentwicklung nach vorne bringt.

»Was mich viel mehr nervt, ist, dass Cosma immer alle so hübsch finden«, sagt Kuegelchen23. »Ja, klar, sie hat langes, dickes Haar, große Kulleraugen, lange Wimpern und lächelt immer. Aber das ist doch total das Püppchenschema. Nie kann ich mal zum Bäcker gehen oder eine Straße lang, ohne dass mir jemand ins Tragetuch glotzt und mir sagt, wie wunderschön mein Kind ist.« Sie zieht Cosma vom Plastikspielzeug der anderen weg.

»Ja, das stelle ich mir echt anstrengend vor«, murmelt die Bloggermum, mühevoll ihre Missgunst verbergend. Sie streichelt über die weiche Babyglatze von Futura. ­Vermutlich hatte Mutter Natur einen Kater, als sie über Futuras Haarpracht entschied, denkt sie. Ein Jammer – all die schönen Frisuren, die sie hätte machen können. Und all die schönen Haarspangen. Für ihre Schönheit direkt wurde Futura jetzt leider noch nicht gelobt. Für ihre Kleidung hin­gegen schon. Erst gestern hatte das ­Colourblocking-Outfit wieder 62 Likes und 12 Kommentare.

»Hanna, so langsam müssen wir aber mal in den Schatten.« Die Helikoptermutter drückt mit dem Finger auf die Haut ihrer Kleinen. Nicht, dass sie einen Sonnenbrand bekommt. Je länger die Haut weiß bleibt, desto schlimmer der Sonnenbrand. Sieht aber gut aus – weiter also mit den Lauflernübungen. Hanna könnte immerhin noch die zweitschnellste Ex-Pekiplerin werden, die laufen kann. Vielleicht lernt das Baby es schneller, wenn sie entsprechende Anreize bekommt. Dazu hat die Mutter das Lieblingskuscheltier auf die Wippe gesetzt.

»Hanna, schau, da ist der Kuschelsaurus. Komm, wir spazieren mal hin.« Wieder zieht die Helikoptermutter ihre Kleine an den Ärmchen durch den Sand. »Schau mal. Das ist eine Wippe, die funktioniert mit Schwerkraft. Da können sich zwei Personen auf das waagrecht angebrachte Brett setzen, und wenn die Personen unterschiedlich schwer sind, greift das Hebelgesetz.«

Hanna lässt sich in den Sand fallen und brabbelt: »HHHHHRRRRRRRSCHSCHM.«

»Genau. HE-BEL-GE-SETZ. Das sind vier Silben.« Sie zeigt eine Vier mit den Fingern. »Komm, wir gehen jetzt mal zu deinen Freundinnen. Möchtest du über die Schaukel zurücklaufen oder lieber an der Rutsche vorbei?«

Hanna fängt laut an zu schreien.

»Du möchtest gar nicht laufen? Na gut, dann trag ich dich.«

Hanna windet sich wie ein Fisch auf dem Trockenen aus den Armen der Mutter und krabbelt zurück zu den anderen. Bestimmt Blähungen, denkt die Helikoptermutter.

15:30 Uhr: Die große Erziehungsshow

»Diiiiinkelkeks!«

»Ole, du musst sagen: Darf ich bitte einen Dinkelkeks haben?«

»Dinkelkeeeeeks – BITTEEEEE!«

Geht doch, denkt die Helikoptermutter, die mit einer Spielplatzbekanntschaft auf der Bank sitzt. Hanna schläft seit 17 Minuten, Ole ist aus der Kita zurück und rennt mit seinem zuckerfreien Keks davon. Sie ist zufrieden. Man muss nur konsequent sein, dann benehmen sich die Kinder schon so, wie es sich gehört. Das Kind der Bekannten könnte sich auch mal angewöhnen, »Danke« und »Bitte« zu sagen, denkt die Helikoptermutter. Ist ja eigentlich ­eine Selbstverständlichkeit. Der Kleine ist bereits drei ­Jahre alt, da muss das sitzen. Ole jedenfalls konnte das in seinem Alter schon längst.