Elternsprechstunde - Michaela Glöckler - E-Book

Elternsprechstunde E-Book

Michaela Glöckler

4,5

Beschreibung

Familienleben ist in den letzten Jahrzehnten nicht einfacher geworden: die Familienstruktur, das Rollenverständnis, die Vorstellungen von einem erfüllten Leben, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt die Menschen selbst haben sich verändert. Michaela Glöckler, Autorin der Kindersprechstunde, gibt Antworten auf viele praktische und grundlegende Fragen, die Eltern heute bewegen.

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Dr. med. Michaela Glöckler

Eltern Sprechstunde

Erziehung aus Verantwortung

Schicksalsfragen

Entwicklungsstufen

Alleinerziehende

Unruhe – Angst – Aggressivität

Behinderungen

Erziehung zur Liebefähigkeit

Urachhaus

Inhalt

Vorwort

Der Vater in der ErziehungMenschsein als Mann, Frau und Kind

Zur Aufgabe des Vaters

Wie kann die Mutter die Aufgabe des Vaters unterstützen?

Geben und Empfangen: Zum geistig Väterlichen und Mütterlichen

Fragen zum Thema

Die alleinerziehende Mutter

Warum scheitern so viele Ehen?

Was erwartet das Kind von der Mutter?

Ist das Mutter-Dasein ein Beruf?

Die berufstätige Mutter

Die alleinerziehende Mutter

Fragen zum Thema

EngelIhre Wirksamkeit im Leben der Kinder und Erwachsenen

Warum sehen wir Engel nicht?

Worin liegt die Botschaft der Angst?

Warum sind Engel so zurückhaltend?

Im Denken dem Engel begegnen

Wege zum Engel

Fragen zum Thema

Ist das Böse für Kinder eine Wirklichkeit?

Die Möglichkeit des Bösen im Denken, Fühlen und Wollen

Das Erleben von Gutem und Bösem im Kindesalter

Vom Umgang mit dem Bösen

Vom Erleben des Bösen in der seelischen Innenwelt und in der täglichen Umwelt

Fragen zum Thema

Angst im Kindesalter und ihre ÜberwindungWie kommt Humor in die Erziehung?

Angst und Humor

Entwicklung durch Trennungserleben und Geborgenheit

Angst und Bewusstsein

Hilfen für den Umgang mit der Angst in den verschiedenen Lebensaltern

Und wie steht es mit dem Humor?

Fragen zum Thema

Aggression und Aggressivität im Kindesalter

Zum Verständnis der Aggressionsbereitschaft

Aggressivität im Kindesalter

Erziehung zur Handlungsbereitschaft

Aktivität statt Aggression

Begeisterung wecken

Einsicht fördern

Fragen zum Thema

Zum hyperkinetischen Syndrom (ADHS) im Kindesalter

Kontrollfunktionsstörung im Bereich des Denkens, Fühlens und Wollens

Die Botschaft der unruhigen Kinder

Warum Fernsehen doch nicht so harmlos ist

Therapeutisches für Kinder und Erwachsene

Fragen zum Thema

Nonverbale ErziehungEin pädagogisch‑medizinischer Kunstgriff in der Vorschulzeit

Die Entwicklung der Lernfähigkeit bis zum Beginn des Erwachsenenalters

Wie lernt man das nonverbale Erziehen?

Wiedererlernen der Körpersprache

Die Voraussetzung für freies und verantwortliches Handeln

Fragen zum Thema

Altersentsprechendes LernenEntwicklung zwischen Gelingen und Versagen, Versäumen und Erreichen

Lernen und Selbstbewusstsein

Die Lebensalter und ihre spezifischen Lerndispositionen

Vom Umgang mit Versagenszuständen und Misserfolgen

Lernen zwischen Überforderung und Unterforderung

Hindernisse des Lernens

Zum Umgang mit Lebenskrisen

Fragen zum Thema

Was ist Waldorfpädagogik?

Die Kinderzeit bis zum Schuleintritt

Die Schulzeit bis zur Pubertät

Die Pubertäts- und Jugendzeit

Erziehung und Selbsterziehung

Ergänzendes zur Waldorfschule

Fragen zum Thema

Die Zusammenhänge zwischen der Denktätigkeit und der Regenerations- und Wachstumstätigkeit des Organismus

Wachstums- und Lebenstätigkeit des menschlichen Organismus

Zur Identität von Wachstums-, Regenerations- und Gedankenkraft

Entwicklung der Organsysteme im Zusammenhang mit der Reifung des denkenden Bewusstseins

Konsequenzen für Pädagogik und Medizin

Meditatives Denken als Weg zur Geisterfahrung

Fragen zum Thema

Wie sind Leib, Seele und Geist in Gesundheit und Krankheit verbunden?Zum Verständnis körperlicher und geistiger Behinderung

Vom Sinn der Krankheit

Entwicklungsgesetze von Leib, Seele und Geist

Wie hängt das seelisch-geistige Leben mit dem Leib zusammen? Grundfragen der Selbsterziehung

Seelische und körperliche Erkrankungen

Angeborene Behinderungen

Fragen zum Thema

Was gewinnen Medizin und Pädagogik durch Einbeziehung der Tatsache der Wiederverkörperung?

Zum Verständnis der Idee der Wiederverkörperung

Erlebnisfelder des menschlichen Schicksals

Krankheitsverständnis durch Selbsterkenntnis

Fragen zum Thema

Strafe – Belohnung – GewissenGrundfragen im Zusammenhang mit einer idealistischen Lebenseinstellung

Was ist Idealismus?

Zum Verständnis des Gewissens

Was bedeuten Strafe und Belohnung für die Erziehung, und wie kann die Entwicklung zur Freiheit gefördert werden?

Ein Beispiel zur Ausbildung des Gewissens

Zum »schlechten« Gewissen

Vom Umgang mit Strafe und Belohnung

Fragen zum Thema

Erziehung zur Liebefähigkeit

Welche menschlichen Charaktereigenschaften stellen sich der Liebefähigkeit entgegen?

Entwicklungsbedingungen der Liebefähigkeit

Zum Problem des Egoismus

Schritte in der Entwicklung zur Liebefähigkeit

Die Sinneserfahrung

Das Erleben von Freude

Strafe, Verzicht und Konfliktbewältigung

Was kann der Erwachsene für die Entwicklung seiner Liebefähigkeit tun?

Fragen zum Thema

Idealismus als Frage der Selbsterziehung

Was sind Ideale?

Warum können Ideale auch destruktiv wirken?

Was behindert die Selbsterziehung zum Idealismus?

Wege zum Idealismus

Warum können Ideale Kraft geben?

Fragen zum Thema

Zur Frage nach dem Sinn lebenslanger Partnerschaft und Ehe

Vorbemerkung

Welchen Sinn hat die Ehe?

Mögliche Sinngebungen

Zur Bedeutung von Dauer und Wechsel in der Beziehung

Geben und Nehmen im Schicksalszusammenhang

Zur Sinngebung bei abgebrochenen Beziehungen

Liebe in der Ehe

Fragen zum Thema

Die Ehe als Aufgabe in persönlicher und sozialer Hinsicht

Zum Begriff der Ehe

Vom Egoismusproblem in der Ehe

Fördernde und hemmende Faktoren im Eheleben

Ehe als Kraftquelle

Fragen zum Thema

Leibliche, seelische und geistige Kraftquellen für den Alltag

Leibliche Kraftquellen

Seelische Kraftquellen

Geistige Kraftquellen

Zu den Grundübungen

Fragen zum Thema

Zur Entstehung der Elternsprechstunde

Anmerkungen

Literatur

Namen- und Sachregister

Bildnachweis

Die Autorin

Impressum

Weitere Bücher

Vorwort

Erziehung aus Verantwortung – diesem Ziel möchte die Elternsprechstunde dienen. Sie umfasst neunzehn Themenschwerpunkte, die Fragen des Familienalltags, nach dem Vater- und Muttersein ebenso umspannen wie die nach dem Umgang mit Angst, Aggression und Aufmerksamkeitsdefiziten. Ein besonderes Anliegen aber ist, bei jungen Eltern Mut und Sicherheit für den selbstständigen erzieherischen Umgang mit ihren Kindern zu wecken. Deshalb sind zentrale Kapitel praktischen Erziehungsfragen gewidmet: Wie lerne ich, gerecht und sinnvoll – und für das Kind nachvollziehbar – zu strafen? Kann man zur Liebefähigkeit erziehen? Welche Rolle spielt der Egoismus? Welchen Erziehungsstil braucht das kleine Kind im Unterschied zu den späteren Jahren bis hin zur Pubertät und Jugendzeit? Was heißt altersentsprechendes Lernen, entwicklungsbezogenes Begleiten? Was haben dabei die Waldorfpädagogik und die Gesundheitskonzepte der Anthroposophie Rudolf Steiners zu bieten? Warum sind auch spirituelle Fragen wie die nach dem Engel, dem Schicksal, dem Gedanken, dass der Mensch nicht nur einmal lebt, sondern sich durch wiederholte Erdenleben weiterentwickelt, nicht unwichtig für das Lebensgefühl von Kindern und Erwachsenen? Auch Fragen nach Sinn und Möglichkeit lebenslanger Partnerschaft und Ehe, nach der immer alltäglicher werdenden Situation Alleinerziehender und nach den Kraftquellen für die Bewältigung der täglichen Herausforderungen in Familie und Beruf werden zunehmend wichtig in ihrer Bedeutung für Lebensqualität und Gesundheit von Kindern und Erwachsenen.

Die Elternsprechstunde verdankt ihre Entstehung der intensiven Zusammenarbeit mit einer Elterninitiative an der Kinderambulanz des Gemeinschaftskrankenhauses in Herdecke. Über gut vierzehn Jahre wurde ich zu monatlichen Gesprächsabenden eingeladen und gebeten, diese mit einem Vortrag einzuleiten. Die Eltern fertigten dann davon Nachschriften an, die sie unter Freunden und Bekannten weiterverbreiteten, so wie dies Wolfgang Goebel in seinem Entstehungsbericht beschrieben hat (siehe Seite 439f.). Die Frische und Unmittelbarkeit der mündlichen Darstellung und der sich daraus ergebenden Gespräche sind weitgehend beibehalten worden. Auch habe ich auf eine neuerliche Überarbeitung der Texte verzichtet. Denn die hier behandelten Grundfragen einer Erziehung aus Verantwortung sind gleich geblieben, auch wenn man dies oder das heute vielleicht anders formulieren würde. Zudem scheint mir heute manches eher noch aktueller zu sein als damals.

So gilt mein Dank dieser überaus inspirierenden Zusammenarbeit und all denen, die geholfen haben, die Manuskripte zu erstellen, kritisch gegenzulesen und für den Druck zu bearbeiten. Ein besonderer Dank gilt der Verlagslektorin Roswitha von dem Borne sowie Gisela Goebel, der erfahrenen Mutter und kritischen Gesprächspartnerin, und auch Ruth Andrea, die die Einarbeitung der Korrekturen vor der Drucklegung schnellstens besorgte.

Ich freue mich über Anregungen aus dem Leserkreis dieses Buches und verbinde den Druck dieser Neuauflage mit den besten Wünschen für die Eltern und die gesunde Entwicklung ihrer Kinder.

Michaela Glöckler

Dornach im April 2016

Der Vater in der Erziehung

Menschsein als Mann, Frau und Kind

Der Sohn

Ich erwarte den Vater vom Feld.

Er hat mir versprochen, den Drachen zu flicken …

Wolfdietrich Schnurre

Um herauszuarbeiten, welche Bedeutung der Vater für die Erziehung hat, sei zunächst der Blick auf dasjenige gelenkt, was zwischen Vater und Mutter steht: das Kind. Es ist weder Mann noch Frau, und bis zur siebten Schwangerschaftswoche zeigt der Embryo noch die Anlagen für die Fortpflanzungsorgane beiderlei Geschlechts. Danach geschieht die Rückbildung der Fortpflanzungsorgane des jeweils anderen Geschlechts. Erst jetzt beginnt die geschlechtsbestimmende Wirksamkeit der entsprechenden Chromosomen: Die Fortpflanzungsorgane werden angelegt und verbleiben in einem funktionellen Ruhestadium bis zur Vorpubertät, ab welcher sich dann ihre eigentliche Entwicklung bis zur vollen Funktionstüchtigkeit vollzieht. Das Kind vor dem neunten Lebensjahr hat noch wenig von geschlechtsspezifischem Charakter in leiblicher und seelischer Hinsicht an sich – es ist in erster Linie Kind und lebt in diesem Zwischenbereich des rein Menschlichen.

Wer zu sehr auf die geschlechtliche Disponierung und die mit dem »Kinderkriegen« verbundene Rollenverteilung blickt, verliert das eigentlich Zentralmenschliche leicht aus den Augen. Dass dies als ein Mangel empfunden wird, zeigt sich daran, dass heute immer mehr von »Selbstverwirklichung« gesprochen wird und gerade nicht in erster Linie von »Mann-Verwirklichung« oder »Frau-Verwirklichung«. Wir spüren, dass dieses »Selbst«, das sich durch eine männliche oder eine weibliche Konstitution äußert, nach einem neuen, mehr unabhängigen Selbstbewusstsein strebt. Eine gute Voraussetzung hierfür ist, die Kinder in erster Linie zum Menschsein zu erziehen und nicht zu einem rollenspezifischen Verhalten.

Eine junge Frau erzählte mir einmal, dass sie erst während des Studiums, am Beginn ihrer Zwanzigerjahre, realisiert habe, dass es viele Männer gibt, die in ihr in erster Linie die Frau und nicht den Menschen sehen. Sie war von ihren Eltern so erzogen worden, dass das »Mädchensein« nie eine besondere Rolle gespielt hatte. Daher fühlte sie sich im Umgang mit Männern und Frauen in gleicher Weise frei und wunderte sich, warum andere es im Umgang miteinander nicht so leicht hatten.

Die Art und Weise, wie Mutter und Vater ihre Aufgabe dem Kind gegenüber erfüllen, hat einen deutlichen Einfluss auf das spätere Sozialverhalten. Dabei spielt sowohl die Verschiedenheit der beiden als auch deren gemeinsame Orientierung eine wichtige Rolle.

Zur Aufgabe des Vaters

Vater sein ist ein biologisches, seelisches und geistiges Phänomen. Diese drei Aspekte des Väterlichen fallen nicht immer zusammen – weder zeitlich noch räumlich. Es gibt Väter, bei denen sich die Rolle des Väterlichen im Biologischen erschöpft. Andere wiederum haben mit dem Biologischen gar nichts zu tun, weil sie nicht die leiblichen Väter sind, und sie erfüllen trotzdem voll ihre seelische Vaterschaft. Darüber hinaus gibt es eine geistige Dimension, von der man zwar den Eindruck hat, dass sie heute noch eine geringe Rolle spielt, die aber dennoch eine wesentliche Komponente des Vaterseins ist.

Es sei jetzt einmal von der Situation ausgegangen, in der sich diese drei Möglichkeiten in einer Person vereinigen – das heißt von einer Beziehung zwischen Vater und Mutter, in der sich beide in voller Verbindlichkeit und gegenseitiger Zuneigung auf ein Kind freuen und dieses Kind dann eines Tages auch haben. In der ersten Zeit zeigt sich die Bedeutung des Vaters für die Erziehung des Kindes zunächst noch verhältnismäßig stark in Anlehnung an seine biologische Rolle. In biologischer Hinsicht ist der Vater derjenige, der zwar den Anstoß zur Schwangerschaft gibt, diese jedoch nicht auszutragen hat. Durch die Tatsache, dass er weder zum Austragen des Kindes noch zur Milchbildung befähigt ist, ist er körperlich ungebunden und frei, diesem ganzen Prozess mehr von außen zuzuschauen.

Diese gleichsam naturgegebene Rolle des Vaters entspricht dem, was Mutter und Kind insbesondere in der ersten Zeit am meisten brauchen: die Gegenwart, Hilfe und Anteilnahme des Vaters. Kann sich der Vater dieser Möglichkeit bewusst werden, die ihm in Form von liebevoller Anteilnahme und Wahrnehmung von Mutter und Kind gegeben ist, so ist dies eine entscheidende Voraussetzung für das Gedeihen der Familie. Die Mutter spürt, ob der Vater sie im Bewusstsein hat oder nicht und ob er innerlich Anteil nimmt. Und das Kind erlebt das durch seine enge Beziehung zur Mutter ebenfalls. Dabei spielt der Beruf keine große Rolle: Der Vater kann als Diplomat beispielsweise monatelang von zu Hause fort sein, er kann als Vertreter in der Wirtschaft ein reiner »Wochenend-Papa« sein, er kann in einem Restaurant tätig sein und morgens lange ausschlafen, um am Spätvormittag schon wieder zu verschwinden – ganz unabhängig von der Häufigkeit seiner äußeren Abwesenheit spürt die Mutter den Grad seiner inneren Beteiligung an ihr und dem Kind. Hier kommt es nicht auf viele Worte an – vielmehr darauf, ob er seiner Freude an dem Kind und seinen Wahrnehmungen Ausdruck verleihen kann oder nicht.

Dieses Wahrnehmen ist eigentlich die wichtigste Aufgabe des Vaters in der ersten Zeit. Da wird etwas vom Väterlichen geleistet, das in vielen großen Biografien rückblickend mit Dankbarkeit angesprochen wird. Besonders schön hat das Jacques Lusseyran in seiner Autobiografie geschildert. Das, was er als das Glück seiner Kindheit empfunden hat, war dieses Gefühl, getragen zu sein von dem elterlichen Bewusstsein. »Meine Eltern – das war Schutz, Vertrauen, Wärme. Wenn ich an meine Kindheit denke, spüre ich noch heute das Gefühl der Wärme über mir, hinter mir und um mich, dieses wunderbare Gefühl, noch nicht auf eigene Rechnung zu leben, sondern sich ganz, mit Leib und Seele, auf andere zu stützen, welche einem die Last abnehmen.«1 Dieses Empfinden, in der Wärme zu leben, ist das Erlebnis der Anwesenheit des liebevoll wahrnehmenden Bewusstseins.

Was hat nun ein Kind von einem Vater, der fast nie da ist? Den es wohl hin und wieder sieht, aber was ist mit der übrigen Zeit? Da ist es entscheidend, wie stark die Mutter innerlich dem Vater verbunden ist. Wenn die Mutter spürt, dass der Vater sie wahrnimmt, innerlich mitnimmt, so erlebt das Kind dies als Gefühl der Harmonie und der Dankbarkeit. Kommt hinzu, dass die Mutter gegenüber ihrem Säugling oder ihrem Kleinkind im Laufe des Tages immer wieder auch den Vater erwähnt und von ihm spricht und ihn in den Ablauf des Tages mit einbezieht, so ist der Vater anwesend, auch wenn er abwesend ist, und das Kind empfindet seine Nähe. Auch wenn die Mutter dem schon etwas älteren Kind viel vom Vater erzählt: »Weißt du, was der Papa jetzt macht? Weißt du, wo der Papa jetzt ist? Jetzt kaufen wir dies für den Papa, jetzt machen wir für den Papa das Bett«, so fühlt das Kind den Vater in alles mit einbezogen.

Eine Frau erzählte mir einmal eine entsprechende Kindheitserinnerung. Ihr Vater war Lehrer, in verschiedenen sozialen Zusammenhängen sehr engagiert und selten zu Hause. Morgens und abends sah man ihn selten, zum Mittagessen jedoch häufiger. Es waren mehrere Geschwister zu Hause, und sie erinnerte sich noch genau an ihre Mutter, die, wenn sie wusste, dass der Vater zum Mittagessen nach Hause kommen würde, die Kinder ausschickte, um zu schauen, ob er schon käme. Wenn er sich dann in der Ferne zeigte, rannte die kleine Mannschaft los, ihm entgegen, und das laute »Er kommt!«, mit dem die Kinder das Haus verließen, signalisierte der Mutter, dass es nun an der Zeit war, das Essen noch einmal warm zu machen.

Wie anders ist so ein Nachhausekommen, als wenn die Mutter sauer in der Küche steht, weil der Mann schon wieder zu spät zum Essen kommt und ja ohnehin fast nie da ist und sich viel zu wenig für die Kinder interessiert und am Familienleben kaum mehr Anteil nimmt …! Wie anders, wenn stattdessen in freudiger Atmosphäre ein gemeinsames Essen stattfinden kann, bei dem die Eltern sich gegenseitig die Vorkommnisse des Tages erzählen, wichtige Mitteilungen machen über dieses und jenes und noch verabreden, wie es am Abend und wie es morgen sein wird. Nichts ist für Kinder so wichtig, als das Interesse zu erleben, das die Eltern aneinander haben.

Diese Art der Vaterschaft, die das Kind in der Form erlebt, wie die Mutter mit ihm verbunden ist und wie sie sein Leben akzeptieren und mittragen kann und ihn lieb haben kann – sie erhält sich in dieser Weise etwa bis zum ersten Schulalter. Dann wird der Vater von den Kindern zunehmend persönlich entdeckt. Auch wenn er früher schon eine starke Beziehung zu seinem Kind hatte – die Hauptfigur ist doch in der frühen Kindheit die Mutter gewesen. Jetzt jedoch wird der Vater neu erlebt, als ein Mensch, der einem vieles zeigen kann, was man bisher nicht wusste und konnte. Das Interesse der Kinder für seinen Arbeitsbereich nimmt zu, und er wird bis hin zur Pubertät in der ganzen Art und Weise, wie er im Leben steht und das Leben meistert, immer wichtiger. Die Kinder erleben unter Umständen auch, dass der Vater gut planen kann und den Plan zügig durchführt, dass er schnell entscheidet und überhaupt entschlussfreudig ist. Jetzt ist es nicht mehr so entscheidend, welches Bild die Mutter vom Vater hat. Vielmehr kehrt sich das jetzt um: Nun wirkt auf die Kinder, welches Bild der Vater von der Mutter hat. Viele Schwierigkeiten, die im Schulalter in der Familie auftreten, haben ihre Ursache darin, dass dies nicht genügend gewusst wird. Meist hat sich die Ehe im Laufe der Jahre so entwickelt, dass eine gewisse Gewöhnung eingetreten ist. Jeder ist in seinem Alltagstrott voll ausgelastet, und die Ehe droht mehr und mehr Routine zu werden. Es ist die Zeit, in der man über viele Dinge nicht mehr spricht und sich daran gewöhnt hat, dass alles eben so ist, wie es ist. Es gibt keinen Grund für Krach, und wenn es ihn einmal gibt, so hat man sich auch daran gewöhnt, dass zu einer guten Ehe auch dazugehört, sich immer wieder einmal zu streiten – und es tritt die Gefahr auf, dass die Kinder in einer Atmosphäre neutraler Gleichgültigkeit leben und dieses dankbare und auch frohe Gefühl, das die Eltern früher verbunden hat, nicht mehr empfinden. Die Kinder werden selbstständiger, gehen in die Schule und schwärmen jetzt vielleicht für einen Lehrer oder einen Klassenkameraden und nehmen das häusliche Geschehen nicht mehr so wichtig. Der Vater löst sich unter Umständen innerlich mehr und mehr aus dem Familiengeschehen heraus, wodurch dann diese Atmosphäre freundlicher Neutralität auch noch gefördert wird.

Wenn die Kinder jedoch erleben, dass der Vater sich gerade jetzt zunehmend dafür interessiert, wie es der Mutter geht und was sie gerade macht, dann ist dies nicht nur für das Familienklima, sondern ganz besonders auch für die spätere Entwicklung der Kinder in sozialer Hinsicht wichtig. Denn die Mutter hat es in der Pubertätszeit ihrer Kinder deutlich schwerer als der Vater. Sie erlebt, dass sie nicht mehr so gebraucht wird wie früher, obwohl sie nach wie vor im Dienst ihrer Familie mehr oder weniger voll eingespannt ist. Und hier ist nun die Haltung des Vaters entscheidend. Nimmt er das, was die Mutter leistet, einfach nur als Selbstverständlichkeit hin, ohne ihr immer wieder seine Dankbarkeit für die Hilfe in allen Alltagsdingen zu zeigen, so erleben die Kinder nicht nur die abgekühlte Familienatmosphäre, sondern vor allem prägt sich für sie auch ein negatives Mutterbild: der Mensch, der sich im täglichen Einerlei erschöpft, der oft keine besondere Rolle spielt und über den verfügt wird. Die Mutter sorgt für regelmäßiges Essen, ausreichenden Schlaf, das Durchführen der Aufgaben im Haus und einen geregelten Tageslauf. Sie ist es zumeist, die die Kinder zu dieser oder jener Tätigkeit veranlasst und immer wieder auch etwas verbieten muss. Man hat sich an die Mutter und ihr selbstverständliches Dasein und ihre ständige Hilfe schon sehr gewöhnt und empfindet alle ihre Leistungen als ganz natürlich. Ergreift der Vater hier die Initiative, so kann das Familienleben neuen Schwung bekommen. Er zeigt, dass er die Leistungen der Mutter schätzt und mit Dankbarkeit beantwortet, und sagt beispielsweise: »So, Kinder, einen Nachmittag in der Woche machen wir jetzt etwas zusammen. Erst räumen wir das Notwendige zu Hause auf und dann gehen wir zusammen etwas unternehmen. Die Mama möchte einen freien Nachmittag, damit sie einmal ungestört etwas für sich tun kann.« Oder die Kinder erleben, wie hin und wieder ein Wochenende zur Entlastung für die Mutter eingeführt wird. Oder wie der Vater dafür sorgt, auch wenn nur wenig Geld da ist, dass jetzt doch stundenweise eine Hilfe ins Haus kommt.

So, wie er jetzt der Mutter begegnet, prägt das für das Leben. Welches Bewusstsein die Eltern voneinander haben, wie sie sich begegnen, das wirkt prägend für das spätere Sozialverhalten. Gerade in dem Alter, in dem die Kinder die Geschlechtsdifferenzierung am eigenen Leibe erleben und die Frage nach der Identifikation mit dem eigenen Geschlecht in den Vordergrund tritt, ist es wesentlich, wie das Vater- und das Mutterbild vorgelebt werden.

Nach der Pubertät kommt eine neue Phase in der Beziehung zu den Eltern. Mit der spezifisch väterlichen und mütterlichen Rolle ist es zu diesem Zeitpunkt eigentlich vorbei. Man braucht zwar immer noch Geborgenheit, Nahrung und ein einigermaßen harmonisches Familienklima – aber man ist nicht mehr so abhängig davon in Bezug auf die eigene Entwicklung, und man erwartet auch nicht mehr so viel von den Eltern, deren Grenzen und Schwächen man so nach und nach doch auch kennengelernt hat. Man erwartet nun mehr von sich, mehr von anderen, von Freunden, von Lehrern, von Zielsetzungen und Vorbildern. Natürlich braucht man auch noch eine gewisse Hilfe und Führung – aber es wird doch immer mehr möglich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Hier haben Vater und Mutter nun dieselbe Aufgabe: Gesprächspartner zu sein für die Jugendlichen, wenn sie Fragen haben – aber auch dann, wenn die Jugendlichen diese nicht recht formulieren können. Eine große Hilfe ist es, wenn sie bei wichtigen Gesprächen unter den Erwachsenen zugegen sein und zuhören dürfen. Wenn sie erleben, dass die Erwachsenen es auch nicht so leicht haben, mit Problemen fertig zu werden. Dass sie auch offene Fragen haben und ehrlich nach deren Beantwortung suchen. Wenn sie erleben, dass sich die Eltern gegenseitig ernst nehmen, einander zuhören und auch den Jugendlichen gegenüber eine offene und fragende Haltung einnehmen, so ist dies ein ideales Klima für die Heranwachsenden.

In dieser nachpubertären Zeit wird die soziale Grundeinstellung und damit auch ein feines moralisches Empfinden für menschliche Beziehungen ausgebildet. Eine starke Sensibilität ist da für das, was sich im Wechselverhältnis zwischen Mutter und Vater, aber auch überhaupt zwischen Erwachsenen abspielt. Das Beste, was der Vater in dieser nachpubertären Zeit tun kann, ist, den Jugendlichen vorzuleben, wie es ist, wenn man im Leben seine Orientierung gefunden hat. Auch wenn man noch viele offene Fragen hat, ist es doch für die Jugendlichen entscheidend, zu erleben, dass der Vater weiß, was er will und was er für richtig hält, und dies auch sagt; auch, dass er immer wieder Entscheidungshilfen gibt. Erleben die Jugendlichen auf der einen Seite Sicherheit und auf der anderen Seite die Offenheit, auch andere Möglichkeiten zuzulassen und ihre Ansichten ernst zu nehmen, so ist dies für sie eine große Hilfe. Wird das Gespräch nicht als etwas aufgefasst, bei dem es darum geht, recht zu haben oder recht zu behalten, sondern vielmehr als ein Prozess, in dem es gilt, Dinge gemeinsam zu bewegen und mit Interesse zu verfolgen, so verhilft dies den Jugendlichen zu geistiger Selbstständigkeit.

Es sollte nie vergessen werden, dass sich die Jugendlichen danach sehnen, ihre Eltern auch als Menschen kennenzulernen. Genauso wie sie auf der Suche nach sich selbst sind, sind sie auch auf der Suche danach, wer die Eltern eigentlich sind. Daher sind sie so interessiert, die Meinung der Eltern zu hören, ohne den Zwang zu spüren, sich dieser Meinung anschließen zu müssen. Vielmehr stellen sie der Ansicht der Eltern gern ihre eigene entgegen. Führt dies dann nicht zum gegenseitigen Kennenlernen, sondern zum Streit der Meinungen, so ist dies für Jugendliche eine Enttäuschung, aus der sie früher oder später die Konsequenz ziehen, dass man »mit den Alten eben nicht vernünftig reden kann«. Führt es jedoch zum Kennenlernen und zur gegenseitigen Anerkennung, so sind die »Alten eben schwer in Ordnung«.

Wie kann die Mutter die Aufgabe des Vaters unterstützen?

Ist der Vater nur »Gast« in der Familie, da er durch seinen Beruf sehr viel auswärts sein muss, so ist es das Beste, wenn die Mutter diese Situation bejaht und nicht immer wieder insgeheim damit hadert. Gelingt es ihr, dankbar zu sein, wenn der Vater dann gelegentlich auch einmal das eine oder andere mit den Kindern macht (was sie sich natürlich wesentlich öfter gewünscht hätte), so ist das schon sehr viel.

Ein Familienvater sagte mir einmal, dass er schon gar keine Lust mehr habe, nach Hause zu gehen, um etwas mit den Kindern zu unternehmen, da er es seiner Frau doch nie recht machen könne. Sie sei mit seiner seltenen Anwesenheit nicht einverstanden und würde dies dann immer vorwurfsvoll anbringen, wenn er sich gerade einmal Zeit genommen habe, nur zu Hause zu sein.

Kein Gefühl ist so hilfreich für das häusliche Klima wie das der Dankbarkeit. Gelingt es der Mutter, immer wieder Gründe für Dankbarkeit aufzusuchen und dieses Gefühl zu entwickeln, so schafft sie eine seelische Atmosphäre, in der die Kinder fröhlich atmen können und sich geborgen fühlen.

Nach der Pubertät ist es meist die Mutter, von der es abhängt, ob die geschilderte Offenheit und Gesprächsbereitschaft stattfinden kann. Denn so wie die physische Mutterrolle daran gebunden ist, das Kind zu empfangen, auszutragen und in der ersten Zeit zu ernähren, so ist es ihr meist auch seelisch-geistig leichter möglich, Fragen und Ansichten aufzunehmen, gleichsam zu empfangen und in sich weiterzubewegen und zur Reife zu bringen, ohne gleich ihre eigene Ansicht dem entgegenzustellen. Wenn es im Lukas-Evangelium heißt: »Maria aber nahm alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen«,2 so ist hier dieses geistige Element des Mütterlichen am schönsten beschrieben. Demgegenüber repräsentiert das Geistig-Väterliche mehr das Antworten, Klarheiten-Schaffen, Zu-Ende-Bringen. Im Gespräch können dieses Geistig-Mütterliche und Geistig-Väterliche im Empfangen und Geben zusammenwirken.

Auch wenn diese geistigen Qualitäten des Mütterlichen und Väterlichen in der geschlechtsgebundenen Rolle leichter entwickelt werden können, so ist es doch auch jedem Menschen völlig unabhängig vom Geschlecht möglich, diese beiden Qualitäten auszubilden.

Geben und Empfangen: Zum geistig Väterlichen und Mütterlichen

In der Vorschulzeit herrscht bei den Kindern die Offenheit und das Empfangenkönnen ganz und gar vor. Sie fragen nach allem, sie ahmen es nach und nehmen vieles auf. So gesehen wären die Kinder dieses Alters überwiegend weiblich gestimmt, das heißt aufnehmend, offen. Deshalb fühlen sie sich in der mütterlichen Sphäre auch ganz verstanden und aufgehoben. Wenn sie dann in die Schule kommen, wollen sie etwas von sich geben, sie melden sich, fragen nach, untersuchen und werden zunehmend produktiv und schöpferisch. Sie wollen eigentlich immer tätig sein und sind traurig, wenn es ihnen langweilig wird. Dann kommen sie und sagen: »Was soll ich jetzt machen?« In dieser Zeit sind die Kinder – so gesehen – eher etwas männlich. Nach der Pubertät jedoch kommt beides in der geistigen Entwicklung zusammen und findet in der Gesprächsbereitschaft Ausdruck und Entwicklungsmöglichkeit.

Fragen zum Thema

Frage: Ich arbeite als Erzieher, das heißt als Mann in einem Frauenberuf. Ist das aus Ihrer Sicht vertretbar, wenn doch in der Vorschulzeit das mütterliche Element vorherrscht?

Antwort: Ich bin in meinen Ausführungen bewusst auf die Frage des Rollentausches nicht eingegangen. Selbstverständlich lässt sich die seelische und geistige Vater- und Mutterschaft geschlechtsunabhängig entwickeln und im Umgang mit den Kindern zur Ausübung bringen. Ein Erzieher wird unwillkürlich mütterliche Eigenschaften ausbilden, weil sie von den Kindern ganz selbstverständlich aus ihm herausgelockt werden.

Es gibt heute auch viele Väter, die den Haushalt besorgen, während die Mutter berufstätig ist und eben das väterliche Element vertritt. Da ist es dann tatsächlich umgekehrt. Der häuslich für Regelmäßigkeit und Gesundheit sorgende Vater muss danach trachten, den Kindern das notwendige Gefühl der seelischen Geborgenheit zu geben, und die Mutter verkörpert mehr das Äußere, Weltliche, für das die Kinder sich dann im Älterwerden zunehmend interessieren.

Frage: Mir gefällt die Zuordnung von Geben und Empfangen zum väterlichen und mütterlichen Element nicht.

Antwort: Die Frage ist, wo grundlegende Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei Mann und Frau sind. Es ist nun einmal so, dass bei der geschlechtlichen Vereinigung von Mann und Frau Geben und Empfangen in dieser Weise zugeordnet sind. Bemerkenswert ist, dass das seelische und geistige Leben bei Mann und Frau ähnlich gestaltet ist. Das seelische Leben ist bei beiden mehr empfangend, die geistige Aktivität des Denkens mehr impulsierend und gebend. Weil das so ist, können männliche und weibliche Eigenschaften in seelischer und geistiger Hinsicht von beiden Geschlechtern entwickelt und verwirklicht werden.

Beitrag einer Mutter: Mein Mann ist ein Vater, der eigentlich eine bessere Mutter ist. Immer wenn ich etwas anzweifle, fühlt er instinktiv das Richtige. Er braucht gar nicht viele Worte zu machen. Wenn irgendetwas passiert ist und ich mich furchtbar aufrege, dann kommt er nach Hause, lässt sich von seiner Tochter alles erzählen und sagt dann nur: »Das ist nun einmal so«, und dann machen wir das und das, und alles ist wieder gut. Auch wenn ich dann wieder Zweifel habe, ob das richtig ist, was getan wird, sehe ich doch, wie es auf meine Tochter wirkt und wie sie sich dann wieder geborgen fühlt.

Ein anderer Beitrag: Ich habe so eine Erinnerung an meine Mutter. Wenn es irgendwo Krach gab und man lief zu ihr, dann brauchte sie nur ein Wort zu sagen, und alles war wieder in Ordnung.

Ein weiterer Beitrag: Sie sagten vorhin in Ihrem Vortrag, dass die Persönlichkeit des Vaters dadurch dem Kind wahrnehmbar wird, dass die Mutter den Grund zu der Vaterbeziehung legt, indem sie ein bestimmtes Bild von ihm hat und damit lebt. Sehen die Väter das auch so? Mein Mann hat einmal gesagt: »Abgesehen von der Schwangerschaft sind wir ja von nichts ausgeschlossen.« Es gibt aber auch Gegenstimmen bei uns im Bekanntenkreis, die sagen, ihr macht das ja die ersten Jahre doch allein. Die Männer kommen mal hin und wieder und erzählen eine Gutenachtgeschichte, meistens reicht jedoch die Zeit am Abend zu nichts mehr, und man kann höchstens mal am Wochenende zusammen etwas machen.

Antwort: Ganz unabhängig davon, ob wir es realisieren oder nicht, ist es doch so, dass wir häufig unterschätzen, wie stark die Wirkung von der Art und Weise ist, wie wir übereinander denken. Spricht die Mutter liebevoll vom Vater, so empfindet das Kind seine Wärme und Nähe, auch wenn er sich hin und wieder ganz anders dem Kind gegenüber benimmt, sodass es vielleicht sogar Angst vor ihm bekommt.

Ergänzung einer Mutter: Wir haben drei Söhne, und ich spreche sehr viel von »unserem« Vater, der sehr oft weg ist. Das erste Wort, das alle drei sprachen, war »Papa«. Das sagt eigentlich alles.

Frage: Ich habe eine Frage, auf die ich gern die Antwort eines praktizierenden Vaters hören würde. Kann man das wirklich so sehen, dass das Vaterbild in den ersten Jahren mehr oder weniger von der »Gnade« der Mutter abhängig ist?

Antwort eines Vaters: Es wurde uns eine Familie vorgestellt, bei welcher der Vater zeitlich wesentlich weniger Anteil nahm als die Mutter. Nun ist es ja heute keine Seltenheit mehr, dass Väter und Mütter zu gleichen Anteilen zeitlich mit der Erziehung zu tun haben und daher der Vater wesentlich mehr die Möglichkeit hat, sich selbst dem Kleinkind gleichsam »vorzustellen«. Wie wirkt das jetzt auf das Kind? Wirkt sich das nicht doch etwas anders aus, als wie es besprochen wurde? Ich könnte mir das schon denken.

Antwort: Da ich in meiner kinderärztlichen Tätigkeit überwiegend mit Müttern zusammenkomme, die über die Abwesenheit ihrer Ehemänner klagen, habe ich vielleicht in meinen Ausführungen die Bedeutung des Vaterbildes im Bewusstsein der Mutter überbetont. Selbstverständlich kann der Vater, wenn er das Kind mitversorgt und täglich mit ihm zu tun hat, auch von Anfang an eine direkte und persönliche Beziehung zu ihm anknüpfen. Man sollte jedoch trotzdem nicht unterschätzen, dass nie nur die direkte Beziehung für das Kind Bedeutung hat, sondern eben auch die Art und Weise, wie die Eltern voneinander denken. Gedanken und Gefühle sind entscheidende Realitäten, die das Familienklima bestimmen. Und von diesem Familienklima ist ein heranwachsendes Kind in hohem Maße abhängig.

Beitrag eines Vaters: Es liegt sicher auch viel an der Bequemlichkeit des Vaters, das Vaterbild des Kindes durch die Mutter prägen zu lassen. Wenn die Mutter dem Kleinkind ein bestimmtes Vaterbild vermittelt, ist dadurch zwischen Vater und Kind ein gewisses Verhältnis durch die Mutter gesetzt, was natürlich für den Vater vieles erleichtert. Das ändert sich natürlich, wenn der Vater selber mit dem Kind etwas unternimmt. Ich habe beispielsweise mit meinem Dreieinhalbjährigen viel im Haus gebastelt, besonders als ich die Küche eingebaut habe. Er war ganz stolz, als ich ihm sagte, dass er ein fleißiger Handwerker sei, als er mit seinem Hämmerchen klopfte. Das hat unserem Verhältnis gutgetan. Und seither kommt er mit vielen Dingen zu mir, mit denen er früher nur zur Mutter gegangen ist. Ich glaube, dass es wichtig ist, wenn der Vater lernt, die Kinder an seinen Tätigkeiten zu beteiligen, selbst wenn man es vielleicht gewöhnt ist, seine Sachen schneller und einfacher allein zu machen. Auf diese Weise kann sich dann doch eine Art Partnerschaft mit dem Sohn aufbauen.

Beitrag eines Vaters: Inwieweit die Art der Beziehung zwischen Vater und Kind und Mutter und Kind gleich oder ähnlich ist, das ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich ist das auch individuell verschieden. Ich kann aus eigener Erfahrung Folgendes sagen: Wir haben ein Kind, das bald zwei wird. Ich bin während der Studienzeit sehr wenig zu Hause, aber in den Ferien immer. Und dann finden stets besondere Entwicklungsschritte statt. Beim ersten Mal waren es die ersten Schritte und jetzt, während der zweiten Sommerferien, ein deutlicher Fortschritt in der Sprachentwicklung. Auch von anderen Familien habe ich gehört, dass das Kind immer dann einen deutlichen Entwicklungsschritt mache, wenn nach längerer Abwesenheit eines Ehepartners beide wieder zusammen sind.

Beitrag eines Vaters: In meinem Bekanntenkreis ist mir aufgefallen, dass viele Väter sagen, sie könnten mit dem Kleinen noch nichts anfangen und dass sich eine Beziehung zu den Kindern erst später entwickelt habe. Ich meine jetzt nicht solche Dinge wie Zubettbringen und Geschichtenlesen, sondern die wirklich seelische Beschäftigung mit dem Kind. Vielleicht ist das auch ein Zeichen unserer heutigen Leistungsgesellschaft, dass man, wenn man den ganzen Tag im Beruf war, von einem kleinen Kind abends gewissermaßen das Gleiche verlangt: Es soll alles richtig machen und vielleicht schon bestimmte Leistungen vollbringen, die man zwar nicht bewusst anfordert, aber im Unterbewusstsein erwartet. Ich glaube, Mütter sind da ganz anders eingestellt. Sie haben bessere Möglichkeiten, das Kind einfach kommen zu lassen und ihm mehr die Chance zu geben, so zu sein, wie es jetzt eben sein möchte.

Beitrag eines Vaters: Wir hatten die Möglichkeit, uns die Kindererziehung aufzuteilen, weil wir beide teilzeitbeschäftigt sind. Vor diesem Hintergrund möchte ich zwei Erlebnisse erzählen: Das eine stammt mehr aus dem Anfang dieser Zeit. Da hatte ich, wenn ich zu Hause bei meinen Kindern war, große Schwierigkeiten. Ich konnte meinen beruflichen Plänen nicht so nachgehen, wie ich wollte. Es ging zulasten meiner Wünsche, hinauszugehen, mich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und beruflich fortzubilden. Es ist mir dann aber mehr und mehr gelungen, damit fertig zu werden.

Ich hatte den Eindruck, dass das meiner Frau leichter gefallen ist. Es war auch eine Zeit, in der ich mit meinem Vaterbild, also mit dem Bild, das ich mir von meinem eigenen Vater gebildet habe, zu kämpfen hatte. Mein Vater ist beruflich und auch sonst stark nach außen gegangen und war außerordentlich kreativ. Vielleicht hing es damit zusammen, dass ich zu Beginn große Schwierigkeiten hatte, mich in die häusliche Rolle hineinzufinden.

Später fiel mir das viel leichter. Es gelang mir, mit den Kindern den Alltag wirklich zu gestalten, wenn ich mit ihnen allein war. Allerdings traten immer dann Probleme auf, wenn meine Frau hinzukam. Und interessanterweise ging es ihr genauso. Wenn ich plötzlich unerwartet auftauchte, hatte auch sie mehr Schwierigkeiten mit den Kindern.

Aber eines möchte ich auch noch zugeben: Wenn ich nach der Arbeit nach Hause kam und meine Frau mich begrüßte, so wollte ich am liebsten auch »ein Kind« sein, mich versorgen lassen und ausruhen. Meine Frau und ich hatten daher immer wieder Schwierigkeiten, mit unseren Kindern zusammen unsere eigene Beziehung als Partnerschaft zu leben. Nachdem wir uns das aber klargemacht hatten, ging es und geht es uns heute wesentlich besser.

Beitrag einer Mutter: Ich möchte hier noch einen Vater-Aspekt einbringen – und zwar den spielenden Vater. Ich finde das für das Familienleben entscheidend wichtig und habe auch die Erfahrung gemacht, dass das die Mutter so nicht geben kann. Wenn die Mutter mit den Kindern spielt, hat sie eher pädagogische Gesichtspunkte. Sie ist meist vernünftig, achtet darauf, dass der Jüngste nicht so oft verliert und Ähnliches. Der Vater dagegen kann »Mensch ärgere dich nicht« so spielen, dass er sich richtig freut, wenn er einen rauswirft. Er äußert auch echte Emotionen, wenn er das Opfer ist, und die Kinder haben einen Heidenspaß dabei. So unbeschwert tut er das, auch wenn er einen grauen Flanellanzug trägt, wie die Mutter das eigentlich nie tun kann. Oder wenn die Kinder kleiner sind, kommt der Vater nach Hause und spielt »Wolf« und heult dabei und brüllt, während die Mutter mit ihren pädagogischen Büchern denkt, das könnte vielleicht schädlich sein und den Kindern Angst machen. Dieses Unbeschwerte, Jungenhafte und Sorglose scheint mir ein wichtiges Element zu sein, das der Vater in die Familie bringen kann. Ganz zu schweigen davon, dass er es auch wagt, die kleinen Kinder hoch in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen …

Beitrag eines Vaters: Unsere Tochter wird sechzehn Monate alt. Ich bin beruflich sehr eingespannt und habe keine Vierzig-Stunden-Woche. Wenn ich dann nach Hause komme und mich tagsüber sehr angestrengt und mein Tagespensum erfüllt habe, bin ich meist doch recht erschöpft. Dann ist es schon ein Problem, sich plötzlich auf »Familie« umzustellen. Besonders dann, wenn nicht alles schnell und planmäßig abläuft. Ich merke einfach, dass mir dieser Sprung aus einer angespannten, termingerechten Alltagssituation ins Familienleben ohne präzise Zeiteinteilung recht schwerfällt. Es würde mich interessieren, ob auch andere Väter das so empfinden.

Beitrag eines anderen Vaters: Ja, ich kann dem eigentlich nur zustimmen. Ich zähle mich zu den Leuten, die am Abend ziemlich genervt von der Arbeit nach Hause kommen. Wenn dann Situationen auftreten (ein Kind ist älter als zwei, das andere krabbelt erst), in denen ich nicht unmittelbar in der Lage bin, gleich mit den Kindern zu spielen, so merkt das unser Ältester sofort. Wenn ich mir die Zeitung nehme und mich ein bisschen hinsetze, um zu entspannen, spüre ich nicht nur die enttäuschte Reaktion meiner Frau, sondern muss mir sehr bald auch sein Gequengel anhören. Inzwischen hat jedoch meine Frau eingesehen, dass ich erst nach einer halben Stunde Zeitunglesen und Entspannen der Vater bin, den sie sich wünscht. Seither geht das besser, und ich bin dankbar, dass auch unser Zweijähriger das akzeptiert.

Beitrag eines Vaters: Für mich hat die Vaterrolle mit einem großen Stress begonnen, und zwar mit der Geburt unseres Sohnes. Ein Bekannter von mir hat drei Kinder und war bei den Geburten immer dabei. Er sagte: »Mach dir keine Sorgen, das ist ganz harmlos.« Ich bin trotzdem bei unserem ersten Kind ängstlich ins Krankenhaus gegangen. Ich habe festgestellt: Es gibt Leute – auch im Bekanntenkreis –, die sagen, der Vater muss unbedingt bei der Geburt dabei sein. Ich muss sagen, die erste Geburt habe ich zitternd überstanden, bei der zweiten ging es schon etwas besser, und jetzt fühle ich mich langsam diesem Vorgang seelisch gewachsen.

Und noch einen Tipp möchte ich geben. Wenn Sie gestresst nach Hause kommen und haben da noch ein kleines Kind, dann setzen Sie es in den Kinderwagen und schieben es erst einmal eine Stunde spazieren. Das Kind ist ruhig und zufrieden, schaut sich die Leute an, und bei Ihnen kann sich der Stress abbauen.

Zwischenbemerkung: Die letzten Beiträge haben trotz ihrer Verschiedenheit doch etwas Typisches gezeigt: den Vater, der, wenn er abends nach Hause kommt, seine Ruhe braucht. Dabei wäre jedoch die Frage danebenzustellen, wie es der Mutter nach einem langen Arbeitstag mit dem Kind oder den Kindern zumute ist, wenn sie sich freut, jetzt am Abend etwas lockerlassen zu können, wenn der Mann nach Hause kommt. Es ist für die Mutter schwer zu ertragen, wenn der Vater sich dann erst einmal zurückzieht. Daher habe ich schon öfter geraten, wenn zwischen Arbeit und Zuhause eine Ruhepause notwendig ist, diese unterwegs einzubauen. Man kann (kurz!) in eine Kneipe gehen, sich auf einem Parkplatz im Auto ein wenig ausruhen oder an einer bestimmten Stelle noch einen kleinen Rundgang machen. Vielleicht lässt sich auch die geliebte Zeitung im Auto lesen, sodass man dann, wenn man nach Hause kommt, die Frage im Herzen haben kann: Mal sehen, was der Kleine gerade macht und wie es meiner Frau geht. Es ist sicher für Ihre Frau leichter, wenn Sie zwanzig Minuten später nach Hause kommen, aber dann auf das Familienleben eingestellt sind, als wenn Sie etwas früher kommen und erst einmal demonstrieren, wie erschöpft Sie sind.

Frage: Wie ist es nun mit dem alleinerziehenden Vater?

Antwort: Nicht sehr viel anders als mit der alleinerziehenden Mutter. Hinzu kommt, was über den männlichen Erzieher gesagt wurde. Beide tun den ganzen Tag beziehungsweise Vormittag dasselbe, was sonst die Mutter beziehungsweise die Erzieherin macht. Es geschieht das, was das Kind braucht. Und das ist das Wesentliche. Viel entscheidender als der Rollenaspekt ist, ob die Kinder bezüglich Ernährung, Kleidung, Tagesrhythmus und seelischer Anregung bekommen, was sie brauchen. Die Teilnahme an den verschiedenen Tätigkeiten im Haushalt, das Einkaufen, das Putzen und Waschen und Essenbereiten – das alles sind für Kinder schöne Erlebnisse, wenn die Erwachsenen diese Tätigkeiten gern tun.

Überhaupt würde ich gern nochmals betonen, wie wichtig es für den Umgang mit Kindern ist, in erster Linie den Menschen zu sehen und nicht das Geschlecht. Natürlich verkörpert die männliche Konstitution mehr physische Kraft und die weibliche zeigt meist mehr seelische Differenziertheit. Individuell kann das jedoch außerordentlich verschieden sein.

Auch muss man daran denken, dass die Kinder mit bestimmten Erwachsenen auch bestimmte Schicksalsbeziehungen haben. Eine Mutter erzählte mir einmal, dass sie ein vollkommenes Mamakind und ein vollkommenes Papakind hat, obwohl der Vater sehr wenig zu Hause ist. Es spielen da eben noch andere Faktoren herein, die sich rational nicht ohne Weiteres erklären lassen. Man versteht sie erst, wenn man den Hintergrund der wiederholten Erdenleben ernst nimmt und davon ausgeht, dass Eltern und Kinder sich nicht das erste Mal begegnen, sondern an der Weiterentwicklung ihrer Beziehungen arbeiten. Unabhängig von männlich und weiblich, von Mutter und Vater, von Rollenverhalten und allgemein Menschlichem ist jede Familie auch ein Schicksalsraum, in dem konkrete Beziehungen bestehen und man sehr unterschiedlich aufeinander reagiert und miteinander auskommt. Dabei kann auch erlebt werden, dass gerade in einer Familie bisweilen Menschen zusammenkommen, die es aufgrund früherer Schicksalsverhältnisse schwer haben, miteinander warm zu werden und sich harmonisch aufeinander abzustimmen. Andererseits gibt es auch schwierige Kinder und schwierige Erwachsene, denen es dennoch gelingt, recht harmonisch im Familienzusammenhang zu leben.

Ein Vater: Aus der Praxis eines älteren Vaters heraus möchte ich gern noch Folgendes sagen: Dass heute Abend so viele Väter hier sind und sich auch am Gespräch beteiligt haben, zeigt, dass sie ihre Aufgabe in der Erziehung stärker empfinden als früher. Beispielsweise war es an meinem Arbeitsplatz nie üblich, sich über die Kinder und über Erziehungsfragen zu unterhalten. Die Mütter dagegen sprechen sehr viel davon und sind ununterbrochen damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie sie das Beste aus ihren Kindern machen und für die Kinder tun können. Auch möchte ich noch darauf hinweisen, dass es in Schweden heute den Hausmann schon häufig gibt – das heißt die Daueranwesenheit des Vaters zu Hause. Bei uns hat der Hausmann immer noch ein wenig den Anstrich des Besonderen. Ich denke jedoch, dass das nur eine Frage der Zeit ist, wann sich das ändern wird. Denn die Struktur unserer Arbeitswelt ändert sich sehr, was nicht ohne entsprechende Konsequenzen auch für das Familienleben bleiben wird.

Auch ich würde es sehr begrüßen, wenn in den Familien das Menschliche mehr in den Vordergrund treten würde und die Kinder erleben, dass die Erwachsenen selbstverständlich wechselseitig das tun, was für das Gelingen des Familienlebens notwendig ist. Wenn keiner sagt: »Das ist doch deine Sache«, sondern man vielmehr einander in die Hände arbeitet. Dadurch wird verhindert, dass die Kinder sich mit einem bestimmten Rollenverhalten zu stark identifizieren.

Auch das Vaterbild, das man von seinem eigenen Vater hat, hat meiner Erfahrung nach nichts Zwingendes. Vielmehr habe ich in meinem Bekanntenkreis oft erlebt, dass die Väter mit ihren Kindern gerade das Gegenteil von dem machen wollen, was sie an ihrem eigenen Vater erlebt haben. Gerade die Negativ-Erlebnisse sind es, die man sich ja oft zu Beginn einer Partnerschaft erzählt und die dann zu neuen Konzepten führen, wie man das Leben mit seinen Kindern gestalten möchte. Wir sind eben doch viel freier von den prägenden Einflüssen unserer Kindheit, als wir gemeinhin glauben. Ja, wir können unsere Ansichten sogar ständig ändern, je nachdem wir lernen, immer besser auf das Kind zu schauen und ihm das zu geben, was es braucht.

Die alleinerziehende Mutter

Kaum drei Jahre alt, war ich weder für Furcht noch für Entzücken genügend entfaltet; ich saß am Arm der Mutter und spürte durch sie hindurch den sichern Gang der Welt …

Hans Carossa

Es gibt heute eine kaum mehr überschaubare Literatur zum Thema »Mutter« beziehungsweise »Mutter und Kind«. Dies macht deutlich, wie vielgestaltig die damit zusammenhängenden Erfahrungen, Probleme und Perspektiven sind und wie unterschiedlich deren psychologische oder philosophische Interpretation. Einmal werden mehr die soziokulturellen Strukturen der Mutter-Kind-Beziehung herausgestellt in ihrer spezifischen Bedeutung für die spätere Biografie. Dann wieder werden neue Lebensformen vorgestellt der »Mütter ohne Männer«, in denen die Frauen zu Wort kommen, die sich zwar ein Kind wünschen, das Zusammenleben mit einem Mann jedoch problematisch finden und lieber mit zwei oder drei anderen Müttern und deren Kindern eine Wohngemeinschaft bilden wollen. Natürlich werden auch die »Mütter mit Beruf« in der Literatur beschrieben und beraten. Ihnen wird Hilfestellung geleistet mit dem Ziel, die mit der Doppelbelastung verbundenen Vorurteile und Selbstzweifel zu überwinden.

Die Vielzahl der Veröffentlichungen und die darin aufgezeigten und beschriebenen Probleme machen auch deutlich, dass der Beruf der Mutter, so menschheitsalt er auch ist, in unserer Zeit neu überdacht und in seiner sozialen Bedeutung neu verstanden werden muss.

Warum scheitern so viele Ehen?

Es gibt heute immer mehr Schulklassen, in denen nur ein Drittel der Kinder aus Familien kommt, in denen Vater und Mutter noch zusammenleben. Die Zeit ist vorbei, in der eine Ehe nur aufgrund eines einmal in der Kirche gegebenen Versprechens oder aufgrund gesellschaftlicher Normen und Verpflichtungen aufrechterhalten wurde. Vielmehr entscheidet über das Zusammenleben, ob die Partner in der Lage sind, ihre persönliche Entwicklung (ihre Selbstverwirklichung) auch in der familiären Bindung zu realisieren. Und es zeigt sich, dass es ohne klare Gesichtspunkte für die Selbsterziehung immer schwerer wird, mit dem anderen Menschen und seinen Bedürfnissen zurechtzukommen. Enttäuschte Erwartungen, Ansprüche, Missverständnisse, unerfüllte Sehnsüchte, Wunschträume, deren Realisierungsmöglichkeiten man nicht klar durchdacht hat, Neid- und Eifersuchtssituationen und nicht zuletzt Meinungsverschiedenheiten über Kindererziehung und Lebensgestaltung wirken sprengend, wenn sie nicht als fruchtbare Felder der Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Partner angesehen werden können.

Bisweilen ist es so, dass einer der beiden Partner die Notwendigkeit der Selbsterziehung entdeckt hat oder durch andere Hilfen die Kraft besitzt, eine Beziehung auch dann fortzusetzen, wenn bereits vieles dafür spricht, sie abzubrechen. Oft ist es aber auch so, dass die Umstände so unerträglich geworden sind, dass es zum Wohl der beiden Partner und insbesondere zum Wohl des Kindes ist, die Trennung zu vollziehen. Es ist für ein Kind wesentlich gesünder, zum Beispiel in einer harmonischen Mutter-Kind-Beziehung aufzuwachsen, als täglich die zermürbenden Spannungen oder die immer wieder auftretenden eisigen oder resignierten Stimmungen einer in Zerrüttung begriffenen Ehe zu erleben.

Was erwartet das Kind von der Mutter?

Die Beantwortung dieser Frage kann eine Hilfe sein, in der Vielfalt der Probleme, die mit dem Alleinerziehen verbunden sind, eine Orientierung zu finden für die innere und äußere Lebensgestaltung.

Das Kind erwartet von der Mutter zunächst das, was es schon empfangen hat, bevor es geboren wurde, und woran es sich gewöhnt hat: Geborgenheit. Was sich während der Schwangerschaft zwischen Mutter und Kind als Atmosphäre des Bergens, Hütens und Ernährens entwickelt hat, das setzt sich zunächst nach der Geburt fort. Bergen und Ernähren sind zunächst biologische Tatsachen, die an das Organ des Uterus und an die Art der Keimreifung gebunden sind.

Hier tritt bereits ein ganz grundsätzliches Problem des Menschen auf. Im Gegensatz zum Tier, das seine biologischen Funktionen mit entsprechenden seelischen Verhaltensweisen hingebungsvoll begleitet, ist dies beim Menschen nicht selbstverständlich der Fall. Es kann eine Kluft bestehen zwischen der leiblichen Fähigkeit, zu bergen, und der manchmal fehlenden Fähigkeit, auch seelisch Geborgenheit zu bieten, da sich die Mutter selbst nicht genug geborgen fühlt.

Ein gesunder Mensch hat auf der leiblichen Ebene alles, was er braucht: Organe der Kraftentfaltung, Organe des Rhythmus, Organe der Ernährung, Organe der Bilanz, Organe der Kontrolle, Organe der Aufrichtung, Organe des Oben, Unten, Links und Rechts. Seelisch jedoch sind diese Eigenschaften meist nicht in derselben Weise vorhanden. Da fehlt beispielsweise der Mut, da fehlt für vieles noch die richtige Orientierung. Auch kann einem seelisch das Rückgrat durchaus gebrochen sein, obwohl es physisch ganz in Ordnung ist. Jede Selbstbesinnung dieser Art macht deutlich, wie vollkommen der Leib mit seinen Funktionen gebildet ist, während beim Seelischen alles noch offen, noch in Entwicklung, noch im Bereich der Selbstsuche, der Unsicherheit und des Umbruchs, ja des lebenslangen Lernens ist. Alles, was leiblich gegeben ist, hat man sich seelisch, das heißt bewusst, noch einmal zu erwerben, damit es wirklich eigene seelische oder geistige, das heißt persönliche Eigenschaft werden kann. Wie ist also Geborgenheit zu realisieren?

Auf leiblicher Ebene: Wärme, Wohnung, Nahrung, Kleidung, regelmäßige Lebensgestaltung.

Auf seelischer Ebene: Interesse, liebevolle Zuwendung.

Auf geistiger Ebene: sichere Orientierung, den Sinn der Dinge erleben, Verstehen- und Einordnen-Können von Schwierigkeiten.

Wie kann das gelernt werden?

Wir können die Sorge für das Kind und seine Erziehung nicht trennen von der eigenen Entwicklung. Nicht nur das Kind hat es nötig, dass wir nach seinen Entwicklungsbedingungen fragen, sondern jeder Mensch braucht dies für jedes Lebensalter neu. Denn seelisch und geistig sind wir genauso wenig ausgewachsen, wie das Kind physisch noch nicht ausgewachsen ist. Seelisch und geistig sind wir als Erwachsene oft in einer ähnlichen Lage wie ein Kind, das gehen und sprechen lernt. Wir stolpern, verlieren den Halt, benützen die falschen Worte …

Wenn wir uns fragen, woher kleine Kinder ihre Energie nehmen, unverdrossen und unermüdlich das Aufrichten und Sprechen zu üben und sich durch keine Misserfolge beirren zu lassen, so werden wir auf eine entscheidende Tatsache hingelenkt: Das Kind beginnt erst bewusst »ich« zu sich zu sagen, wenn diese wesentlichen Lernschritte absolviert sind. Und darin liegt das Geheimnis seines Erfolges. Denn in dem Augenblick, in dem die Beteiligung des Selbstbewusstseins die Lernprozesse begleitet, ist zugleich auch die Möglichkeit gegeben, zu zweifeln, ob man das überhaupt lernen kann oder will. Ein älteres Kind oder ein Erwachsener kann nach zwei Misserfolgen entscheiden: »Das kann ich nicht, das gebe ich auf. Das ist mir jetzt schon zweimal misslungen, davon habe ich genug!« So kann ein kleines Kind nie reagieren, weil es die Fähigkeit zur Selbstkritik noch gar nicht besitzt und stattdessen unverdrossen und hingebungsvoll seinem Nachahmungstrieb folgt und weiter übt.

Hier kann der Erwachsene vom Kind lernen. Die Beobachtung dieser freudigen Lernbereitschaft kleiner Kinder kann uns darauf aufmerksam machen, wie viel Unzufriedenheit, Unlust und Destruktivität unserer Lebenshaltung davon herrühren, dass wir unsere Lernbereitschaft durch zu kritische Selbst- und Weltbetrachtung lähmen und stören. Dies zu bemerken kann für jede Mutter eine große Hilfe sein. Angesichts ihres Kindes kann sie sich täglich sagen: »Das Vertrauen, mit dem du auf mich zugehst, deine Bereitschaft, mich und meine Umwelt als sinnvoll und nachahmenswürdig anzunehmen, und deine Daseinsfreude – das will ich dir wiedergeben, indem ich an meinem Vertrauen in die Welt und in mich selber arbeite, indem ich mir Ziele für meine Entwicklung setze und so lerne, ein zufriedener und daseinsfroher Mensch zu werden.« Wird dies angestrebt, so kann das Kind von seiner Mutter bekommen, was es braucht: geistige Geborgenheit durch Zuversicht und Vertrauen, seelische Geborgenheit durch Liebe und leibliche Geborgenheit durch Wärme, Sicherheit und Stabilität.

Diese Qualitäten sind nicht primär davon abhängig, ob man haupt- oder nebenberuflich Mutter ist, ob ein Vater in der Familie ist oder nicht. Vielmehr sind es Eigenschaften, die jeder Mensch sich erarbeiten und anderen Menschen und insbesondere Kindern schenken kann.

Bevor wir auf die Probleme der alleinerziehenden Mutter eingehen, seien noch zwei grundsätzliche Fragen des heutigen Mutter-Daseins berührt: die Wertschätzung des Berufs der Mutter in der heutigen Gesellschaft und die Mutter im Berufsleben.

Ist das Mutter-Dasein ein Beruf?

Blickt man auf die Arbeit, die eine Mutter von morgens bis abends zu leisten hat, damit das Kind alles hat, was es braucht, und nicht nur leiblich gepflegt und versorgt ist, sondern auch seelisch angeregt und getragen, so kann man nur sagen: Das Mutter-Dasein ist ein anstrengender Beruf ohne geregelte Arbeitszeit und ohne festen Ferienplan. Würde er mit einem angemessenen Stundenlohn honoriert, so wäre er sicher einer der bestbezahlten Dienstleistungsberufe der Gegenwart. Und damit ist auch bereits das Problem beim Namen genannt: In einer Zeit, in der eine Leistung, die nichts kostet, auch nichts gilt und in der überall nur auf den Profit geschaut wird, ist es selbstverständlich, dass dem Beruf der Mutter nicht die gesellschaftliche Achtung zuteilwird, die ihm vom Arbeitsaufwand und der Leistung wegen zukommen müsste. Ganz abgesehen davon, dass jede Mutter im Bewältigen der täglichen Probleme auf Fragen stößt, deren Beantwortung ebenfalls Zeit und Kraft kostet. Sie muss sich weiterbilden in Erziehungsfragen, in psychologischen Fragen, in Ernährungsfragen, in sozialhygienischen Fragen und vielem mehr.

Auch hierfür stehen keine Hilfen und Mittel bereit. Was die Mutter tut, muss sie aus eigenem Antrieb und ohne entsprechende Impulsierung und Honorierung von außen tun. Wie viel leichter ist demgegenüber jeder andere Beruf!

Es gehört zu den größten sozialen Problemen der Gegenwart, dass aufgrund des materialistischen Wertsystems nur das anerkannt wird, was auch Geld kostet. Wer mit solchen Wertsystemen und Wertvorstellungen aufgewachsen ist, wird den Mutterberuf leicht als disqualifiziert erleben, weil er nicht bezahlt wird. Es hat zwar immer wieder Initiativen gegeben, die gefordert haben, dass die Mutter für ihr Muttersein und für ihre jahrelange Tätigkeit ein Gehalt beziehen sollte – es konnte dies jedoch in der noch immer weitgehend von Männern geprägten Kultur und Politik nicht durchgesetzt werden. Lediglich in der ersten Zeit bietet das Elterngeld jungen Familien eine Hilfe. Das Leben von Mutter und Kind wäre zweifellos ein anderes, wenn die Mutter aus Steuergeldern ein gewisses Grundgehalt beziehen könnte, das ihr persönlich andere Möglichkeiten ihrer Zeitgestaltung geben würde – zum Beispiel das Bezahlen einer Haushilfe, damit verbundene neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, eine kleine Erholungsreise, dies oder jenes, was das Leben erleichtern kann und die Lebensqualität erhöht. Es könnte auch in vielen Einzelfällen soziales Elend abgebaut werden, das dadurch entsteht, dass der Mann aufgrund der Tatsache, dass er die Familie erhält und die Macht in Form des Geldes hat, weitgehend über den Ablauf des Familienlebens bestimmen kann. Er hat damit häufig ein Druckmittel in der Hand, das die Frau daran hindert, sich von ihm zu trennen, weil sie den sozialen Abstieg scheut und nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein will.

Es gehört heutzutage immer noch großer Mut dazu, diesen Weg zu gehen und mit sehr wenig Geld auskommen zu müssen oder aber den Kompromiss einzugehen, selbst berufstätig zu werden und gleichzeitig ein Kind allein zu erziehen.

Glücklicherweise haben sich die Möglichkeiten für Frauen, in Teilzeit zu arbeiten, und auch die Angebote an Kinderbetreuung inzwischen etwas verbessert, sodass ein großer Teil der Frauen heute unabhängiger ist.

Wenn die Frau für die Erziehungsarbeit unabhängig von ihrem Ehemann ein entsprechendes Gehalt bezöge, würde das nicht nur ihre persönliche Freiheit und Lebensqualität erhöhen, sondern ihr auch gesellschaftlich eine ganz andere Stellung und eine andere Wertschätzung einräumen. Es würde ein attraktives Berufsangebot werden und sicher auch dazu beitragen, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche aus sozialer Indikation drastisch abnähme. Eine Fülle von Problemen würde durch eine solche Regelung beseitigt, die aus dem gekränkten Selbstbewusstsein der Mutter resultieren, die in dem Empfinden lebt: »Mein Beruf gilt nichts. Ich kann arbeiten, wie ich will – es wird nicht anerkannt.«

Selbstverständlich gibt es auch unter den gegenwärtigen Bedingungen Frauen, die »nur« Mutter sind, diesen Beruf bewusst und mit vollkommener Bejahung und Freude ausüben und die Probleme, die auftreten, genauso bejahen und bearbeiten wie Probleme in anderen Berufen. Natürlich gibt es auch Ehemänner, die die Arbeit ihrer Frauen honorieren, und Kinder, die froh und dankbar sind.

Eine Mutter erzählte auf meine Frage hin, worin sie den Sinn ihres neuen Berufes sieht (sie war vor ihrem ersten Kind berufstätig gewesen): »Also der Sinn des Mutter-Berufs – das ist doch das Kind.« Auf die Frage: »In welcher Hinsicht?« antwortete sie: »Wissen Sie, es ist so unglaublich schön, noch einmal von Anfang an zu erleben, was es heißt, Mensch zu werden – und was da alles dazugehört! Davon habe ich ja irgendwie doch keine Ahnung gehabt, was das alles heißt!« Und dann erzählte sie eine Fülle von Einzelheiten. Interesse, Glück und Freude strahlten aus ihren Augen. Sie schloss dann ihre Antwort damit: »Man hat dieses schöne Gefühl, nicht umsonst zu leben. Man tut doch wirklich etwas für die Zukunft, wenn man einem Menschen gute Startbedingungen schafft.«

Sicher wird jede Mutter auf eine solche Frage hin etwas anderes sagen. Aber an solch einem Einzelfall kann auch etwas Charakteristisches klar werden. Man sieht daran, dass eine Mutter, die bereits berufstätig war und sich dann mit vollem Bewusstsein entschließt, »nur Mutter« zu werden, mit einer ganz anderen Sicherheit und Selbstverständlichkeit in diesem Beruf steht und den Sinn und die Anerkennung in dieser Tätigkeit selber findet und sie nicht von außen braucht. Andere Mütter beantworten die Frage oft einfach so, dass sie sich eben ein Kind gewünscht haben. Auf die Frage »Warum?« können sie oft gar nicht konkret antworten. Sie würden jedenfalls nicht sagen: »weil mich das Menschsein interessiert«. Ja, man wird sogar ein wenig komisch angesehen, wenn man solch eine Frage überhaupt stellt. Sie empfinden es als selbstverständlich, dass man als Frau ein Kind haben möchte.

Fragt man nun Mütter, die nicht durch Kinderwunsch oder durch Entschluss zur Familie ganz bewusst ihren Beruf als Mutter ergriffen haben, so stößt man bei ihnen auf eine Fülle von Konflikten und Problemen: Die Kinder werden als lästig empfunden, denn sie machen Arbeit. Es gibt Zeiten, in denen diese Mütter nur das Negative sehen können und ihre eigentlichen Lebenswünsche als nicht erfüllt betrachten. Auf sie wartet ein schmerzhafter Aufwachprozess und ein schrittweises Annehmen-Lernen der Situation, in die sie eben nicht freiwillig eingetreten sind.

Hier liegt die Schwierigkeit vor, einen Lebensentschluss, den man nicht bewusst herbeigeführt hat, im Nachhinein zu fassen und zu bejahen. Eine Frau, die gegen ihren Willen oder ganz ungeplant ein Kind bekommt und sich entschließt, es zu behalten, braucht Zeit, bis dieser Entschluss wirklich ihr eigener geworden ist. Sie wird immer wieder Phasen haben, in welchen sie denkt, dass sie es schon geschafft hat, um dann doch wieder verzweifelt dazusitzen und sich zu fragen, wie sie alles bewältigen soll. Es ist dies ein Beispiel für die Schwierigkeit, sein Schicksal anzunehmen. Denn man kann Mutter sein, ja sogar mehrere Kinder haben, ohne jedoch diese Situation innerlich anzunehmen. Schafft man es jedoch, zu der Situation, in der man sich befindet, wirklich Ja zu sagen, so gelingt der Mutter-Beruf, und die Kinder finden die Geborgenheit und die warme und herzliche Atmosphäre, in der sie am besten gedeihen können.

Sich mit den Lebensrealitäten zu identifizieren und daraus das Beste zu machen – das ist das Schwerste, aber auch das Schönste, was man im Leben erreichen kann. Dichter wie Goethe haben dies als die »sauerste aller Lebensproben«3 bezeichnet und die Selbstüberwindung beziehungsweise den inneren Sieg als höchsten menschlich-moralischen Wert dargestellt. Gelingt es, diesen Zwiespalt in der Seele durch einen solchen inneren Sieg zu überwinden, so hat das Kind von einem Tag auf den anderen eine neue Mutter bekommen. Jetzt ist sie nicht nur leiblich die wirkliche Mutter des Kindes, sondern auch seelisch und geistig. Kann sie so zu ihrem Kind stehen, so spielen andere Faktoren wie Berufstätigkeit oder Partnerlosigkeit für das Kind eine untergeordnete Rolle. Denn das Kind hat, was es braucht: einen Menschen, der es bejaht und es im wahrsten Sinne des Wortes beim Namen ruft und haben will. Aber auch die Mutter hat, was sie zum Leben braucht: nämlich eine gewisse Übereinstimmung mit sich selbst und ein daraus resultierendes gesundes Selbstbewusstsein.

Viele Menschen leben heute mit einem kranken Selbstbewusstsein. Es äußert sich darin, dass sie mit sich uneins sind und dadurch ein gespaltenes Selbstbewusstsein besitzen: eines, das sie haben, aber als wertlos empfinden, und eines, das sie gerne hätten und in ihren Wunschvorstellungen überbewerten. Das wirkliche Selbst befindet sich zwischen diesen beiden Möglichkeiten in einer tiefen Verunsicherung. Es bemerkt im Hin- und Hergehen zwischen Wunsch und scheinbarer Wirklichkeit, dass sich in dieser Spannung das eigentliche Selbstbewusstsein regt, das nach einer sinnvollen Identifikationsmöglichkeit mit sich sucht. Zustände dieser Art können durch eine ungewollte Schwangerschaft, durch das Auseinandergehen einer Partnerschaft, durch eine plötzliche Krankheit oder durch ein anderes Schockerlebnis ausgelöst werden. Derart schwere Erlebnisse sind jedoch auch oft der Beginn für den Vorgang, den man zu allen Zeiten die »zweite Geburt« genannt hat: nämlich sich selbst akzeptieren zu lernen und sich dadurch noch einmal neu zu wollen, das heißt selbst noch einmal hervorzubringen. Mit dieser Schicksalsbejahung beginnt dann auch ein zweites Leben.