Emily Forever - Maria Navarro Skaranger - E-Book

Emily Forever E-Book

María Navarro Skaranger

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Beschreibung

Über Armut, Klassenscham und bedingungslose Solidarität: die neue, große literarische Stimme aus Norwegen. Autorin vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Literaturpreis der Europäischen Union, dem Hunger Preis, dem Klassenkampen Kulturpreis und dem Oslo Preis.

Emily ist neunzehn Jahre alt und schwanger. Ihr Freund Pablo ist vor Kurzem zur Tür hinaus, »um eine Sache zu regeln«, und seitdem nur sporadisch auf dem Handy zu erreichen. Ihre Mutter, die Emily allein großgezogen hat, entscheidet sich, zu Emily in die winzige Wohnung zu ziehen, um ihr vor und nach der Geburt unter die Arme zu greifen. Dann ist da noch Emilys Nachbar, der überlegt, ob es in Ordnung ist, sich in Emily zu verlieben, obwohl er noch nie ein Wort mit ihr gewechselt hat. Und Emilys Chef im Supermarkt hat möglicherweise auch Gefühle für sie, weiß aber nicht, wie er sich bemerkbar machen soll. Emily hat sicher andere Sorgen. Oder sorgt sie sich vielleicht zu wenig?

Höchst originell und mit viel Empathie und Humor umkreist Maria Navarro Skaranger in »Emily Forever« die Frage, wie eine Frau wie Emily von anderen gesehen wird, von denen, die zu wissen glauben, wer sie ist und wie ihr Leben verlaufen sollte. Ein schmerzlich ergreifender Roman über Armut, Klassenscham und bedingungslose Solidarität.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 172

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt:

Emily ist neunzehn Jahre alt und schwanger. Ihr Freund Pablo ist vor Kurzem zur Tür hinaus, »um eine Sache zu regeln«, und seitdem nur sporadisch auf dem Handy zu erreichen. Ihre Mutter, die Emily allein großgezogen hat, entscheidet sich, zu Emily in die winzige Wohnung zu ziehen, um ihr vor und nach der Geburt unter die Arme zu greifen. Dann ist da noch Emilys Nachbar, der überlegt, ob es in Ordnung ist, sich in Emily zu verlieben, obwohl er noch nie ein Wort mit ihr gewechselt hat. Und Emilys Chef im Supermarkt hat möglicherweise auch Gefühle für sie, weiß aber nicht, wie er sich bemerkbar machen soll. Emily hat sicher andere Sorgen. Oder sorgt sie sich vielleicht zu wenig?

Höchst originell und mit viel Empathie und Humor umkreist Maria Navarro Skaranger in »Emily Forever« die Frage, wie eine Frau wie Emily von anderen gesehen wird, von denen, die zu wissen glauben, wer sie ist und wie ihr Leben verlaufen sollte. Ein schmerzlich ergreifender Roman über Armut, Klassenscham und bedingungslose Solidarität.

Autorin:

Maria Navarro Skaranger wurde 1994 in Oslo geboren. Schon 2015, mit nur 21 Jahren, veröffentliche sie ihren ersten Roman, der mehrfach ausgezeichnet wurde, u. a. mit dem norwegischen Debütpreis für Prosa. Auch ihr zweiter Roman gewann zahlreiche Preise, darunter der Literaturpreis der Europäischen Union. Ihr dritter Roman »Emily Forever« verhalf ihr zum internationalen Durchbruch und wurde von Leser*innen und Presse euphorisch gefeiert.

Übersetzerin:

Julia Gschwilm, geboren 1977, studierte Skandinavistik, Germanistik und Philosophie in München und Lund (Schweden). Sie übersetzt Belletristik und Sachbücher sowie Dialogbücher für den Synchronbereich aus dem Schwedischen, Norwegischen und Dänischen.

MARIA NAVARRO SKARANGER

EMILY FOREVER

Roman

Aus dem Norwegischen von Julia Gschwilm

Luchterhand

Die norwegische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Emily Forever« bei Forlaget Oktober, Oslo.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.Die Übersetzung wurde von NORLA, Oslo, gefördert. Der Verlag bedankt sich sehr herzlich dafür.

Copyright © der Originalausgabe 2021 Maria Navarro Skaranger

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025 Luchterhand Literaturverlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Umschlaggestaltung: buxdesign I München unter Verwendung

einer Illustration von plainpicture / Ruth Botzenhardt

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29329-1V001

www.luchterhand-literaturverlag.de

facebook.com/luchterhandverlag

ARME EMILY

Winter und fast den ganzen Tag dunkel, morgens bis zehn Uhr stockdunkel. Emily (Em? Oder Emma, vielleicht?) wacht mit der Dämmerung auf, für sie ist das spät.

Sieh sie dir an, mit einem Kissen zwischen den Beinen und einer Hand auf dem Bauch liegt sie da, die Augen schauen zum Fenster, sie schauen aus dem Fenster, draußen ist es grau heute. Emily, was für ein trauriger Name, so regenschwer, dass eine alte Tante ihr übers Haar streichen und sagen würde, ach, meine Kleine, bist du ganz allein hier in der Wohnung. Zeit, aufzustehen, Emily, würde die Tante sagen, und da steht sie auf, das Bettzeug riecht nach irgendetwas, nicht nur nach ihr, und sie windet sich aus dem Bett, wegen des Bauchs, langsam, langsam, der Körper ist jetzt fast wie ein Ziegelstein, sie fühlt sich eckig, breit am ganzen Rücken, dick, Wasser in den Fußgelenken, das Gesicht zu flach und zu rund.

Sie betrachtet sich im Spiegel, und da ist der Vater in ihrer Nase, der Haut, den breiten Handgelenken, die Mutter ist im Haar. Emily will nicht daran denken, sie zieht sich Pulli und Hose an.

Ihre Wohnung ist ziemlich klein, gerade mal Platz für zwei, eigentlich kein Platz für noch mehr. Ein kleines Wohnzimmer, ein Schlafzimmer mit einem Bett, und unter dem Bett Schubladen für die Kleider, die jetzt auf einem Haufen an der Wand liegen, weil sie sich nicht aufraffen kann, sie zusammenzulegen (jetzt hat sie immer zerknitterte Kleider an, weshalb sie dreckig aussieht, auch wenn sie sauber ist). Eine kleine Küche, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, mehrere Wände, die die Zimmer voneinander trennen, Waschmaschine im Keller. Sie verbringt viele Minuten und Stunden damit, im Bett zu liegen und mitten in der Nacht an die Wand und die Decke zu starren, und weil sie wenig schläft, sieht sie an den Tagen, an denen sie nicht arbeitet, viele Stunden fern. Sie schaltet den Fernseher an, sobald sie aufwacht, und er muss den ganzen Tag laufen, auf Lautstärke dreiunddreißig, damit sie keine eigenen Gedanken zu haben braucht. Bei der Morgensendung mit dem Koch, der ein großes weißes Stück Fisch brät, springen ihre Gedanken vom Balkon und landen mit einem Rumms auf dem Asphalt, bevor sie verschwinden.

Als sie auf ihr Telefon schaut, steht da, dass MAMA dreimal angerufen hat, und eine Minute nach dem dritten Anruf hat MAMA eine Nachricht geschrieben: HALLOBISTDUWACH, KANNSTDUEINENPIEPSVONDIRGEBENWENNDUDASSIEHST. Man kann nicht rumlaufen und vor seiner eigenen Mutter Angst haben (so wie Mütter Angst vor ihren Töchtern haben), wenn eine Mutter das Einzige ist, was man hat, denn Em hat jetzt niemand anderen als ihre alte Mutter, aber als sich die Haare an ihren Armen aufrichten, spürt sie, dass sie sofort antworten muss, damit die Mutter keine Angst bekommt. Sie ruft zurück und weiß, dass die Mutter mit Absicht erst spät abnimmt, und wenn Em auflegt, bevor die Mutter abheben kann, wird die Mutter sagen: Aber du darfst nicht so schnell auflegen, sonst muss ich weinen.

Erst nach dreißig Sekunden, Em zählt, während es tutet, ist die Mutter dran.

Em fragt, warum sie angerufen hat, und die Mutter sagt, dass sie heute noch rausgeht, und sie will wissen, ob Emily Hilfe braucht, ob sie was für sie einkaufen soll. Em fragt, wobei sie denn Hilfe brauchen sollte. Nicht, um unverschämt zu sein, auch wenn es so aufgefasst wird, und die Mutter sagt: Nein, ich weiß ja nicht, und Emily überlegt, wobei sie Hilfe brauchen könnte, sie weiß nicht, was das sein sollte, vielleicht dabei, die Glühbirne im Bad zu wechseln. Sie sagt, dass die Mutter so um vier kommen kann, wenn sie will, und die Mutter sagt zu.

Armes Mädchen namens Emily, heute, auf den Tag genau heute, ist sie seit ganzen sieben Monaten schwanger, und jetzt sind es nur noch die beiden, Em und der wachsende Bauch, Em und das Kind, nachdem Pablo zur Tür hinaus verschwunden ist, um eine Sache zu regeln, wie er es nannte. Ja, so war es, verschwunden. Oder war es nicht so? Ich muss was in Ordnung bringen, hatte Pablo gesagt und sich für zwei Stunden mit dem Schlüssel im Schlafzimmer eingesperrt, Em hatte auf dem Sofa gesessen und ferngesehen, sie war eingeschlafen, aufgewacht, Pablo immer noch im Schlafzimmer, bis er dann zur Tür hinausging, mit einer schwarzen Tasche über der Schulter. Emily sah Pablo an, bevor er ging, Pablo sah sie an, Emily fragte sich, was Pablo dachte, wo er hinwollte, Pablo zwinkerte Emily zu, schloss die Tür, Emily sah weiter fern.

Die ersten Tage saß sie abends da und wartete, sie horchte, ob jemand draußen den Aufzug nahm oder ob jemand die Treppe hochging, horchte, ob ein Auto vor dem Häuserblock hielt. Dann ruft sie wieder an, es tutet und tutet, bis er abnimmt, die Stimme flach, und sie fragt »was ist los«, und Pablo sagt »nichts«, seine Stimme ist furchtbar desinteressiert, und Em wiederholt »nichts, was bedeutet das«, und Pablo sagt »ich weiß nicht«, jetzt entsteht eine lange Pause, »ich brauch ein bisschen Zeit allein, und ich muss eine Sache mit Ousman regeln«. Em trommelt mit den Fingern an die Fensterscheibe, sie sagt »allein, was heißt das«, und Pablo sagt »das heißt, ich glaub, es ist am besten, dass wir ein bisschen auseinander sind«, und das versteht sie nicht, dass er mit ihr Schluss macht, oder sie will es nicht verstehen, nein, sie begreift es nicht, sie denkt, er wird diese Sache mit Ousman regeln, und danach, oder später, wird er anrufen, aber wer weiß.

Manchmal begreift Emily für einen Moment, dass sie verlassen worden ist, aber nur für einen Moment. Wenn man sie dann ansieht, bekommt sie große und dunkle, müde Augen (man wird so schrecklich müde vom Verlassenwerden) und sieht ganz unglücklich aus.

Aber als sie zwanzigtausend Kronen in einer Plastiktüte unter einem Kissen im Schlafzimmer findet und das ganze Geld gezählt hat, leuchten ihre Augen wieder.

Die alte Tante würde sagen: Ach, mein Kind, solche Dinge passieren eben, und sie würde Emily festhalten und hin- und herwiegen, und da würde Emily wieder einschlafen.

Dann würde sie aufwachen, man schaut sie wieder an und will fragen, was willst du werden, wenn du groß bist?

Einmal hatte die Mutter gesagt, Em muss anfangen, ihr eigenes Geld zu verdienen, wenn sie Haarreifen und Schminke kaufen will, so wie die anderen Mädchen (die Mutter war in der letzten Woche vor der Gehaltszahlung immer so blank, dass Em anrufen und fragen musste, ob sie sich Essen nehmen durfte, wenn sie allein zu Hause war). Em ging mit einem ausgedruckten Lebenslauf und einem Anschreiben in einen Kiwi-Supermarkt, und so bekam sie ihren ersten Job.

Neuer schwarzer Asphalt ist vor dem Häuserblock verlegt worden, ein dunkler Weg mit Geländer die ganze Strecke von Ems Tür bis hinunter zur U-Bahn-Haltestelle, von wo sie die U-Bahn zur Arbeit nimmt, früh, früh geht Em aus der Tür (sie kann fast nicht vor die Tür gehen, ohne dass jemand sie ansieht) und hält sich bis zum Bahnsteig hinunter die ganze Zeit am Geländer fest, damit sie nicht auf dem Eis ausrutscht, früh, früh kommt sie im Laden an, um alles vorzubereiten. Aufsperren, die Geldkassetten herausholen, Bankterminal im Laden, Marewan loggt sich in den Computer ein, er macht sich auch einen Smoothie und geht aufs Klo, während Em Wasser kocht und sich einen Kaffee macht. Em trägt Stapel mit Zeitungen, legt VG und Dagbladet und Aftenposten und ein paar andere, etwas kleinere Zeitungen aus. Marewan stellt einen Stuhl hinter die Apfelkisten, Em setzt sich hin und atmet aus, jetzt kommt Ems allerliebste Aufgabe in der Arbeit, das Obst durchschauen. Sie schaut nach kleinen Fehlern, Kerben in den Äpfeln, Flecken auf den Bananen, zu weichen Avocados, manche Kunden drücken die Avocados ganz flach, um sich den halben Preis zu sichern, sie baut eine Pyramide aus den Orangen. Sie zupft ein paar Blätter vom Kohl und pflückt ein paar Blätter vom Basilikum und von den Tomatenzweigen ab, und dann setzt sie sich wieder hin.

Em kann den ganzen Tag schauen und schauen, bis die Augen vom gelben Licht an der Decke müde werden, bis Marewan sie bittet, die aussortierten Sachen zum Container zu bringen und zur Kasse zu gehen.

Irgendwann, es ist noch vor der Pause, rückt sie die Zeitungen im Ständer zurecht, sodass sie aussehen wie ein Klotz, und sie entdeckt, dass in der Ecke auf einer der Titelseiten ein klitzekleines Foto von Pablos Freund Ousman ist. Sie schlägt die Zeitung auf, da steht, dass die Polizei eine Razzia im Haus einer zentralen Person aus dem kriminellen Milieu in Oslo gemacht hat, Ousman, und dort haben sie eine schwer verletzte Person gefunden, Fast-Koma-Situation, in einem Bett, und viele Drogen. Da steht, wenn man Hinweise hat, soll man sich melden.

Sie liest mit großen Augen und offenem Mund, sie sieht so dumm aus, es fühlt sich nicht unangenehm, sondern aufregend an, fast, als würde sie auch da in der Zeitung stehen. Marewan sagt: Was treibst du da, Em sagt: Nichts, und sie muss eine Ausgabe für sich zur Seite legen, um es nachher noch mal zu lesen. Auf dem Klo ruft sie Pablo an, aber er nimmt nicht ab.

Es ist Morgen, der Laden hat gerade aufgemacht, als Marewan, der Chef, die anderen Kiwi-Filialen durchgeht, nachschaut, was sie verkaufen, einer hat fast vier Millionen Umsatz gemacht. Marewan hat ein paar dieser Besitzer kennengelernt, junge, ehrgeizige, oft homosexuelle Männer, die beschlossen haben, noch ein bisschen mit dem Studium zu warten, weil man als stellvertretender oder leitender Geschäftsführer in der Supermarktbranche bis zu mehreren Millionen im Jahr verdienen kann. Er selbst hat einen großen Umsatz, aber nicht soo groß, er hätte gern noch mehr, aber es gibt viele Diebe im Laden, und Marewan ist der Diebe müde, er ist der Tage müde, die nacheinander kommen, und er ist müde, weil er es nicht geschafft hat, seinen Smoothie auszutrinken, ganz innen im Augenwinkel ist alles steif vor Schlaf. Er druckt drei Seiten aus, hängt die drei Blätter mit Fotos von den Dieben an die Tür des Gefrierschranks, schreibt mit Edding auf ein A4-Blatt, Kurdische Mafia, Diebe, Ausrufezeichen. Meistens sind die Diebe Kurden, meint Marewan, manche stehlen Marmelade, stecken viele Gläser in ihre Taschen, andere stehlen Bier, stecken Bier in ihre Taschen, und es gibt auch Bulgaren, die stehlen, oder Rumänen, die vielleicht gar nicht alle aus Rumänien sind, Marewan hat die Buchstaben BG auf den großen Geländewagen gesehen, die an der Straße parken, die Pakistani sind keine Diebe, dafür aber alles andere, man muss auch auf sie achtgeben, denkt Marewan.

Er hängt einen Zettel zum Betriebsfest auf, es ist auch das Abschiedsfest für Emily, bevor sie beurlaubt wird, er hat für alle Bowling im Zentrum des Vororts gebucht, sie treffen sich zuerst am Laden, fahren zum Bowling, danach fahren sie wieder zum Laden und parken und gehen in ein schönes Restaurant mit gutem Essen in der Nachbarschaft. Es ist wichtig, rechtzeitig Bescheid zu geben, ob man kommt, hat Marewan auf den Zettel geschrieben.

Jetzt sitzt Emily draußen im Laden und klebt Diebstahlsicherungen unter alle Bierdosen, sie sitzt auf einem Stuhl, hat Kältehandschuhe an, und hier soll sie nun mehrere Stunden kleben.

Marewan fühlt sich irgendwie für Emily verantwortlich, nicht wie ein Vater oder wie ein Bruder und vielleicht auch nicht wie ein Lebensgefährte, aber noch weniger wie ein verantwortlicher Chef? Das irgendwie geartete Verantwortungsgefühl kommt angeschlichen, als ein männlicher Kunde, den Marewan als Schleimer kennt, den Laden betritt und Emily bittet, ihm den Zucker zu zeigen; obwohl Emily nur mit Mühe gehen kann, oder wenn dann sehr langsam geht, hin und her schwankt, mit den Händen ihren Rücken stützt, muss sie den Kunden weit ins Innere des Ladens führen, bis zum zweiten Regal ganz hinten unter einem Schild, auf dem Backwaren steht, sie beugt sich hinunter, um ein Päckchen Zucker herauszuholen, und gibt es dem Kunden, der sagt, dass Emily fast so süß ist wie der Zucker. Da kommt Marewan und übernimmt, hilft dem Kunden, bittet Emily, eine Pause zu machen, und danach, an der Kasse, wenn Em Cola und Knäckebrot kauft, sagt sie: Da hast du mich gerettet, Marewan.

Und Marewan würde sie so gern mit einem Spitznamen ansprechen, Em Em Em, wie Tina es macht. Er weiß nur nicht, wie.

Bevor Marewan Feierabend macht, sieht er sich die Abrechnungen an. Die ersten Tage, Montag, Dienstag und Mittwoch, waren ruhig, abgesehen von den Abendstunden, wo viel Geld reingekommen ist, aber am Wochenende ist es hochgegangen, und sie sind auf 601 gelandet, während das Budget bei 558 war, was gut ist, denn in Zukunft wird sich der Umsatz bei 600 stabilisieren. Aber Marewan sieht auch, dass die Angestellten bei teuren Waren Geld zurückgeben, im letzten Monat war das bei acht Packungen blauen Trauben für fast fünfzig Kronen und mehreren Raumsprays der Fall, es war unter anderem Emily, aber auch nicht nur sie – sie ist so nett, weil sie schwanger ist –, die den Kunden Geld zurückgegeben hat. Er geht in den Laden hinaus und sagt zu Emily, die abschließen soll, dass das Schwindel ist, dass zukünftig alle Waren bei der Geld-zurück-Garantie von ihm freigegeben werden müssen, sogar die unter hundert Kronen. Emily sagt, dass es einer der Wütenden war, der sicher zu den Behörden gegangen wäre, ganz sicher, sie wusste nicht, was sie tun sollte, sie war allein, Jørgen an der Kasse hatte Pause. Ruf mich immer an, sagt Marewan. Das ist eine Technik, die Junkies benutzen, gerade aus dem Regal geholt und dann fragen, ob sie es zurückgeben können. Deshalb musst du immer nach der Quittung fragen und sie gaaanz genau prüfen, sagt Marewan. Der Rest ist wie immer, Emily soll in der letzten halben Stunde das Brot ausräumen, und das Gebäck, das muss in den Container, sie soll den Kassierer bitten, die Waren rauszuholen, Zahnbürsten usw., die Zeitungen zusammenpacken, Snus und Zigaretten müssen nachgefüllt werden.

Marewan schreibt auch die Superaufgabe der Woche auf: Zusammen mit ihm das neue Regal mit internationalen Spezialitäten aufbauen.

Dann ist Marewan im Auto, im Stau, auf dem Trondheimsveien nach Hause zum Wohnblock oder auf der E6 nach Hause nach Lørenskog oder irgendeinem anderen Ort da draußen, Ellingsrud vielleicht, nach Hause zur Frau, nach Hause zu Abendessen und Dusche und Bett und Lampe, die ausgeschaltet wird.

Emily schickt ihm spätabends eine Nachricht, nachdem ihre Schicht zu Ende ist, es ist nach ein Uhr nachts, sie schreibt ICHKANNNICHTZUMFESTKOMMEN, Marewan schreibt sofort zurück ABERDASFESTISTDERABSCHIEDFÜRDICH, und Emily antwortet: ICHMUSSAUFEINFAMILIENTREFFEN, HABTVIELSPASS.

Man denkt vielleicht, Emily ist eine starke und markante Frauenfigur, aber nein, Emily ist schwach, schwach im Körper, weil sie schwanger ist (und bald ist sie auch in Mutterschutz), die Beine sind dünn, dünn, der Kopf hängt vornüber. Auch schwach in ihrem Wesen, das verschwimmt, allmählich zerfließt wirklich alles, das ist der Grund dafür, dass Marewan in der Arbeit einen Stuhl für sie hingestellt hat.

Sie muss fast den ganzen Tag auf dem Stuhl sitzen, wegen des Beckens. Sie hat Tagträume auf dem Stuhl, woran denkt sie, sie denkt an … weiß nicht, sicher nichts, bis ein Kunde direkt vor ihr steht und fragt, ob sie Pavlova-Torte haben, und Em fragt, ob er tiefgefrorene Pavlova-Torte meint, aber das weiß der Kunde nicht, er hat nur eine Einkaufsliste von seiner Frau bekommen. Sie gehen zusammen zur Tiefkühltruhe, sie geht vor, er hinterher, sie beugt sich hinunter, um nachzuschauen, und ihr Bauch trifft auf die Kante der Truhe, sie kann keine Pavlova-Torte sehen. Ich glaube, wir haben keine, sagt sie. Es gibt heute auch noch einen anderen erinnernswerten Kunden, der sich fragt, warum sie immer so traurig aussieht, oder sauer (der Kunde kennt den Unterschied zwischen sauer und traurig nicht), es scheint, als würde sie sich kein bisschen freuen, die Kunden zu sehen, nicht einmal die Stammkunden, die jeden Tag hier einkaufen, sie sollte ein bisschen mehr lächeln.

Vor ein paar Tagen ist Em in der Arbeit in der Pause eingeschlafen, am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt oder einfach mit der Wange auf der Tischplatte, dem Bauch unter der Tischkante, und nach vierzig Minuten kam Marewan herein. Er hat sie am Arm gerüttelt und gesagt, dass die Pause vorbei ist.

Es ist viel stiller als sonst, nur das Wasser läuft, so wird es noch viel schlimmer; wenn es still ist, muss sie in langen Bahnen denken, Gedanken um Gedanken um Gedanken, die sich aneinanderreihen und nie aufhören. Sie seift sich unter den Armen und unter den Brüsten und im Schritt und im Nacken ein, und sie duscht sich ab und dreht den Hahn zu. Jetzt ist sie ganz nass, und es ist kalt im Bad, und das Wasser läuft aus der Duschkabine auf den Boden, sie tritt mitten in eine Pfütze auf dem Boden, und sie denkt – ein plötzlicher, sorgenschwerer Gedanke –, dass sie ein Kind bekommen wird, das in einem Zuhause aufwachsen muss, in dem die Duschkabine leckt, in einem Zuhause, in dem der Türrahmen mit Bräunungscreme verschmiert ist, oh nein.

Ob sie sich im Stich gelassen fühlt? Erst hat sie dauernd geweint, sie hat so viel geweint, dass sie gar nicht mehr wusste, warum, und da war das Ganze auf einmal nur noch etwas Vages. Aber ist er etwas, das sie wegkratzen kann, wie harten, dunklen Schorf auf einem Mückenstich?

Ist ihre innere Welt so viel größer als die äußere?

Ja, sie denkt an Pablos Gesicht, den Leberfleck an der Wange und die gelbliche Haut.

Nachts träumt sie von Gesichtern und von Körpern und davon, ganz nah beieinander zu sein, und ab und zu, wenn sie lange genug mit geschlossenen Augen daliegt, schafft sie es, das reale Gefühl heraufzubeschwören, dass Pablo da ist, mit ihr zusammen. Em kann spüren, dass Pablo tatsächlich da ist.

Früher hat Pablo ihren Bauch berührt, den flachen Bauch, und Pablo hat ihn in Kreisen gestreichelt, immer um den Nabel herum. Da drinnen wohnt ein Pablo junior, hat Pablo gesagt und war sich ganz sicher, dass es ein Junge wird.