Emma James und die Zukunft der Schmetterlinge - Silke Scheuermann - E-Book

Emma James und die Zukunft der Schmetterlinge E-Book

Silke Scheuermann

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Beschreibung

Schicksal oder Zufall? Die elfjährige Emma James kann in die Zukunft sehen: nicht oft und nicht besonders weit, aber immerhin reicht es, um vorsorglich einen Regenschirm einzupacken, wenn sie einen Wolkenbruch voraussieht. Aber auch ohne diese Gabe ist das Leben für Emma James aufregend genug. Da ist ihr bester Freund Paul, der gegen Bezahlung Hunde ausführt und einen davon zum Theaterstar machen will. Da ist die Wahrsagerin Karin Korall, die junge Frauen in Liebesdingen berät. Da sind ihre Eltern, die mit Emma James nicht über die Krankheit ihres Bruders sprechen wollen. Und Emma James hat einen Traum, der das Schlimmste befürchten lässt. Steht die Zukunft eigentlich fest oder kann man sie vielleicht doch beeinflussen? Mit zauberhaften Vignetten von Franziska Harvey.

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Seitenzahl: 214

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Silke Scheuermann

Emma James und die Zukunft der Schmetterlinge

Fischer e-books

Für Max und Matthias

1.Was man über Emma James wissen sollte

»Hör mal«, sagten manchmal Leute aus heiterem Himmel zu Emma James, »ich wollte dich etwas fragen.«

Emma James wusste dann gleich, worum es ging. Nämlich um ihren Namen. Emma James war ein Mädchen, aber ihr zweiter Vorname war eindeutig ein Jungenname, und noch dazu ein englischer, und viele Leute fanden das komisch. Wenn sie Emma Gerlinde oder Emma Amalia geheißen hätte, hätte sich kein Mensch gewundert.

Emma James fand an ihrem Namen nichts Ungewöhnliches, schließlich war er immer so gewesen, seit sie lebte, und das war immerhin schon elf Jahre lang. Aber warum sie so hieß, hatte sie zuerst selbst nicht gewusst.

Sie erinnerte sich genau daran, wie sie ihre Mutter vor einiger Zeit danach gefragt hatte. Es war später August, Sommerferien, und sie saßen schon vormittags auf dem kleinen Balkon ihrer Wohnung, wo genau zwei Stühle Platz hatten und sonst nichts, nicht einmal ein Blumentopf. Die Mutter legte die Zeitung weg, schob den Sonnenhut hoch, und Emma James bemerkte, dass sie das, was sie gleich erzählen würde, gerne erzählte: »Als ich mit dir schwanger war, wussten dein Vater und ich nicht, ob du ein Mädchen oder ein Junge wirst. Deshalb haben wir einen Mädchen- und einen Jungennamen ausgesucht. Wenn du ein Mädchen wirst, beschlossen wir, heißt du Emma. Und wenn du ein Junge wirst, James.«

Emmas Mutter sagte auch, dass ihr und ihrem Mann während der Schwangerschaft, als sie so dick und rund wurde, dass sie aussah, als hätte sie einen dieser großen Gymnastikbälle verschluckt, beide Namen sehr ans Herz gewachsen wären.

»So sehr, dass wir keinen aufgeben wollten, als das Baby geboren wurde. Emma musste natürlich am Anfang stehen, damit man gleich wusste, dass du ein Mädchen bist.«

Emma James merkte sich das, und von da an antwortete sie den Leuten, die sie nach ihrem Namen fragten, in so ziemlich den gleichen Worten.

»Das bedeutet, wenn deine Eltern einen Jungen bekommen hätten, würde er James Emma heißen?«, fragten die Leute dann, nachdem sie eine Weile nachgedacht hatten. Manche dachten übrigens ziemlich lange nach, und Emma James machte sich Sorgen, dass sie vielleicht ein bisschen schwer von Begriff wären.

»Genau«, sagte Emma James. »Und übrigens mögen meine Eltern England.«

Emmas Bruder hieß Rainer Maria. Er war fünf Jahre jünger als sie, also sechs, und er war der Grund, dass Emma James’ Eltern oft müde waren. Während dieser zweiten Schwangerschaft war die Mutter nämlich sehr dünn geblieben, und das Baby, das sie dann geboren hatte, war winzig und krank gewesen. Das war bis heute so geblieben: Für einen Sechsjährigen war Rainer Maria schmächtig. Er litt unter starkem Asthma, einer Krankheit, bei der man schlecht Luft bekam. Anstatt normal zu atmen, musste er häufig husten, und es sah aus, als ob er jeden Moment erstickte. Deshalb war er auch noch nicht eingeschult worden. Und obwohl Emma James ihm sagte, »Mensch, sei doch froh!«, quengelte er deswegen.

Die Eltern waren dauernd damit beschäftigt, Rainer Maria zu neuen Ärzten zu bringen, so dass weniger Aufmerksamkeit für Emma James blieb, woran die sich aber inzwischen gewöhnt hatte. Zurzeit ging es Rainer Maria aber einigermaßen gut, er lag oft auf dem Bett und hörte sich CDs an, während Emma James’ Eltern in ihren getrennten Zimmern am einen und am anderen Ende der Wohnung arbeiteten.

An dem Tag, an dem diese Geschichte beginnt, packte Emma James nach dem Aufstehen ihre Schulsachen für den Tag. Normalerweise machte sie das abends, aber montags ging es erst zur zweiten Stunde los. Es war ein schönes Wochenende gewesen, und sie sang leise vor sich hin, während sie ihr Mäppchen richtete und es zum Biologiebuch, ihrem Malkasten und den Mathesachen in den Ranzen steckte. Dann spazierte sie ins Badezimmer, um nach einem Pflaster zu suchen.

»Wieso brauchst du denn ein Pflaster?«, fragte ihre Mutter, die in ihrer üblichen Morgenhektik über den Flur gelaufen kam. »Hast du dich geschnitten?«

Emma James schüttelte den Kopf und sagte: »Mia wird heute in der großen Pause hinfallen, und dann blutet ihr Knie.«

»Ach so«, sagte Emma James’ Mutter und ging wieder in ihr Arbeitszimmer. Zugegeben, das ist eine ziemlich gelassene Reaktion dafür, dass Emma James gerade gesagt hatte, was später passieren würde. Aber erstens muss man wissen, dass Mia die beste Freundin von Emma James war und dass jeder wusste, dass Mia dauernd hinfiel oder aus Versehen etwas kaputt machte. Und zweitens hatte Emma James’ Mutter sich inzwischen damit abgefunden, dass ihre große Tochter ein bisschen in die Zukunft sehen konnte – meist ungefähr einen oder zwei Tage, selten mal eine Woche. Einen Monat hatte sie noch nie geschafft.

Es waren bisher immer Kleinigkeiten gewesen, die Emma James vorausgesehen hatte, zum Beispiel wie das Wetter würde oder dass ihre neue rote Mütze verlorenging oder eben, dass Mia am Knie blutete, nicht mehr. Wenn es mal wieder so weit war, bekam sie Kopfschmerzen, die eine Weile dauerten, und dann wusste Emma James etwas, das sie vorher nicht gewusst hatte. Sie sah es wie einen kleinen Film vor sich. So einfach war der Ablauf. Emma James nannte ihre spezielle Fähigkeit ihr »Träumen«, weil es dem normalen Träumen beim Schlaf ähnelte. Ihr »Träumen« war aber viel aufregender, weil es ja wahr wurde. Emma James hatte immer etwas zu organisieren – Pflaster, einen Regenschirm, oder etwas zum Spielen, falls ihr eine Katze zuliefe.

Fremde Leute fragten Emma James nie etwas über den kommenden Tag, weil man dieses spezielle Talent nicht sah, und Emma James war froh darum, sie hatte schon mit ihrem Namen genug zu erklären und konnte auf weitere Fragerei gut verzichten.

Schlimm war es am Anfang mit ihren Eltern gewesen. Sie wollten andauernd Dinge von Emma James wissen, zum Beispiel, wie die Präsidentschaftswahl in Amerika ausging, ob Frau Soundso ihre neue Ferienwohnung in der Schweiz gefiel oder was die nächste Ziehung der Lottozahlen ergeben würde, denn dann wären sie eine Millionärsfamilie. Aber Emma James hatte die Antworten darauf nicht gekannt, und seit sie einmal am Abendbrottisch in Tränen ausgebrochen war, ließen ihre Eltern sie in Ruhe. Einmal hatte sie gehört, wie ihr Vater zu ihrer Mutter sagte: »Das wächst sich sicher raus.«

Der Vater meinte damit, dass Emma James sich ständig veränderte, größer wurde, mehr lernte, jedes Jahr schneller laufen und schwimmen konnte und dass es umgekehrt auch Sachen gab, die einfach weggingen – ihre Angst im Dunkeln zum Beispiel. Aber was das »Träumen« anging, da täuschte er sich. Inzwischen war Emma James elf Jahre alt, und ihr spezielles Talent war geblieben. Sie hatte sich daran gewöhnt, genauso wie daran, dass ihre Eltern die Einzigen waren, die ihr glaubten – oder zumindest so taten. Sie waren schließlich höfliche Menschen. Nur wenn etwas wirklich Schlimmes passierte, dann sollte Emma James es sagen, hatten die Eltern verlangt. Das war allerdings noch nie vorgekommen.

Emma James’ beste Freundin Mia war nicht so leicht zu überzeugen.

»Blödsinn«, hatte sie gesagt, als Emma James ihr erzählte, dass sie manchmal Kopfweh bekam, die Augen zumachte und dann etwas sah, das in Kürze wahr werden würde. »Du willst nur angeben.«

»Aber ich wusste, dass ich eine Eins in Erdkunde kriege«, sagte Emma James, »ich hatte es dir gesagt, und es ist so passiert.«

»Das kommt daher, dass du alle Flüsse in Europa auswendig kannst. Deshalb hast du eine Eins geschrieben.«

Emma James überlegte: »Aber ich weiß auch, was ich zum Geburtstag bekomme. Ich weiß es einen Tag vorher, und dann freue ich mich drauf.«

»Ich weiß es noch viel länger vorher«, sagte Mia, »meine Mutter hat nämlich eine Geheimschublade für Geschenke, und ich habe herausgefunden, wo der Schlüssel ist. Manchmal kauft sie Sonderangebote, und das ist dann Monate vorher.«

Wenige Wochen nach diesem Gespräch, das im November stattgefunden hatte, nahm Emma James eine Mohrrübe und Kohlestücke mit in die Schule, weil sie wusste, nach der Schule würde der Schnee so hoch liegen, dass sie einen Schneemann bauen konnten. Sie zeigte Mia stolz die Sachen, die sie mitgebracht hatte, und sagte: »Siehst du. Ich habe gewusst, dass es schneit, ich habe das geträumt.«

Daraufhin sah Mia Emma James an, als würde bei ihr etwas nicht ganz stimmen.

»Du hast nicht zufällig die Wettervorhersage gesehen?«, fragte sie dann.

»Nein!«

Aber Mia guckte weiter komisch – als wäre Emma James ein kaputter Toaster und der Frühstückstoast käme tief gefroren heraus, nicht warm und knusprig. Daraufhin sagte Emma James nichts mehr. Wenn jemand nichts mit ihrem Geheimnis anfangen konnte, dann eben nicht. Es war nicht mehr ihr Problem.

Nur einmal glaubte Emma James noch, dass sie Mia von ihrer Gabe überzeugen könnte. Es war ein Donnerstag, und alle Kinder waren im Kunstsaal und matschten mit Ton herum: Da streckte der Sekretär der Rektorin seinen Kopf herein und sagte, die Sportstunde würde ausfallen, weil die Lehrerin immer noch die Grippe hätte.

»Jetzt habe ich extra meinen neuen Jogginganzug dabei, und die Turnschuhe und Handtuch und Duschzeug und alles«, sagte Mia enttäuscht.

Emma James, die nichts Überflüssiges dabeihatte, räusperte sich und wollte gerade sagen, wie gut es doch war, ein bisschen in die Zukunft sehen zu können, da flog ihr von hinten ein kleiner Klumpen Lehm an den Rücken, und sie war abgelenkt.

2.Mias Sturz

An dem Tag, an dem diese Geschichte beginnt, hatte Emma James also ein Pflaster in die Schule mitgenommen. Als es zur großen Pause läutete, sagte Emma James zu Mia, sie wollte nicht rausgehen, sondern gemütlich auf dem neuen Sofa im Aufenthaltsraum sitzen. Sie hoffte natürlich, Mia würde bei ihr bleiben, dann könnte auch nichts mit ihrem Knie passieren. Eigentlich wusste Emma James, dass es so nicht funktionierte, aber sie wollte es wenigstens versucht haben.

»Ich will nicht auf dem Sofa sitzen«, sagte Mia. »Ich will schnell zur Bäckerei in der Waldstraße, Hefeschnecken kaufen.«

»Ich habe gar keinen Hunger«, log Emma James.

»Dann renne ich eben alleine los und bringe dir nichts mit«, sagte Mia.

Lieber nicht, dachte Emma James, steckte das Pflaster in die Tasche und trabte neben Mia her. Besorgt sah sie auf die dünnen braunen Beine ihrer Freundin in den kurzen Hosen. Noch war alles heil.

Sie verließen flugs das Schulgelände, was eigentlich verboten war. Die große Pause dauerte nur fünfzehn Minuten, und die Schüler sollten auf dem Hof bleiben, aber gerade die Heimlichkeit machte die kleinen Ausflüge besonders spannend. Gute Gründe fanden sich immer, zum Beispiel, dass die Plunderstücke von der Bäckerei in der Waldstraße besser schmeckten als die steinharten Vollkornteile vom Schulbäcker. Emma James versuchte, dicht bei Mia zu bleiben, damit sie ihre Freundin auffangen konnte, wenn sie hinfiel. Aber Mia war zappelig; sie machte Drehungen und ging in Schlangenlinien und rannte ein Stück weit vor. Emma James rief: »Jetzt bleib doch mal bei mir!«

Mia sagte »okay«, doch sie hopste weiter herum.

»Hallo Mia, hallo Emma James«, sagte die Bäckerin und verkaufte ihnen Hefeschnecken mit Rosinen. Sie war eine der Personen gewesen, die bei der Erklärung von Emma James’ Namen ziemlich lange überlegt hatten, aber ihre Hefeschnecken waren extraklasse – weich und goldgelb, mit viel Zimt und einer dicken weißen Zuckerglasur. Sie aßen die Plunderstücke auf dem Rückweg in großen Bissen.

»Wieso heißt diese Straße eigentlich Waldstraße? Weit und breit ist kein Wald zu sehen«, sagte Emma James kauend.

»Namen sind oft alt«, sagte Mia, »vielleicht war hier früher einmal ein Wald.«

Als sie an die Ecke zur Hauptstraße kamen, bog gerade ein Junge, der drei auffällige Hunde ausführte, um die Ecke.

»Paul!«, rief Emma James erfreut.

Mia sagte nichts, sondern starrte verängstigt die Hunde an. Der eine war fast so groß wie der Junge, hatte sehr hohe, dünne Beine und einen winzigen, grauen Kopf. Der ganze Körper sah seltsam und unförmig aus, ungefähr so als hätte man ihn in eine Presse gesteckt und zugedrückt, damit er schmaler würde. Wenn die Tür zu einem Zimmer nur zwei Fingerbreit offen war, würde er sich hindurchzwängen können. Der zweite Hund war etwas kleiner und hatte lange Haare, braun wie die von Emma James. Das dritte Tier war ein Pudel, der müde mitschlurfte.

Paul war in der Schule eine Klasse über Mia und Emma James gewesen, aber er war wegen seiner vielen, zeitaufwendigen Freizeitbeschäftigungen so selten hingegangen, dass die Rektorin seinen Eltern gesagt hatte, Paul wäre wohl in einem Internat besser aufgehoben. Paul selbst sagte jedem, der es wissen wollte (und allen anderen auch): »Ich bin von der Schule geflogen«, und es war ihm kein bisschen peinlich. Die Suche seiner Eltern nach einem Internatsplatz für ihn dauerte allerdings, weil Paul in eine Schule wollte, in der er Reiten und Tennis spielen lernte, und die besaßen Wartelisten.

Bis es so weit war, hatte Paul vom Arzt ein Attest bekommen und beschäftigte sich selber: Er organisierte Flohmärkte mit den Sachen, aus denen er herausgewachsen war, und mit Filmen und Büchern, die er nicht mehr mochte. Und er handelte mit gehäkelten kleinen Umhängetaschen, die seine Großmutter im Altersheim herstellte, wenn sie sich beim Fernsehen langweilte, was sehr oft vorkam. Er hatte ein gutes Händchen für alle möglichen Arten von Geschäft: Die Umhängetaschen zum Beispiel waren unter den Schülerinnen der Oberstufe Mode geworden, und inzwischen häkelte eine zweite Oma aus dem Heim mit. Der Hundeausführdienst war das neueste Projekt und ließ sich ebenfalls gut an. Paul hatte Emma James diesen Sommer schon einige Male zum Eis eingeladen.

Als Emma James vor Paul stand, wurde sie rot, nicht sehr, aber man sah es.

»Hallo Emma James!«, sagte er und hob die Hand zur Begrüßung. Dabei ließ er leider aus Versehen eine Hundeleine los, und der riesige, dünne Hund kam schnell wie ein Pfeil auf Mia zugeschossen.

»Uaah«, schrie Mia.

Sie wollte wegrennen, aber ihre Beine verhedderten sich, und sie krachte hin.

Emma James hatte sofort das Pflaster zur Hand, und gemeinsam mit Paul verarztete sie Mia, während der Windhund zufrieden den Rest der Hefeschnecke fraß, die Mia fallen gelassen hatte.

»Es tut mir leid«, sagte Paul, »aber die Hunde sind eigentlich ganz lieb. Sehr gut erzogen. Kann ich euch ein Eis spendieren?«

»Nein, danke, wir haben keine Zeit für ein Eis«, sagte Mia böse, »wir müssen wieder zum Unterricht. Wir sind schließlich nicht von der Schule geflogen. Und ich persönlich habe auch nicht vor, es so weit kommen zu lassen!«

Paul zuckte die Schultern, zwinkerte Emma James zu und verschwand mit den Hunden. Emma James freute sich so über das Zwinkern, dass sie Mia ihre Hefeschnecke schenkte, oder zumindest das, was noch übrig war. Trotzdem hatte Mia den Rest des Tages hindurch schlechte Laune.

»Jetzt mach doch nicht so ein Gesicht! Immerhin hatte ich ein Pflaster dabei!«, sagte Emma James.

»Ja, ganz toll«, brummte Mia. »Noch besser wäre gewesen, wenn du um die Ecke hättest gucken können und mich vor den Hunden warnen.«

Emma James spazierte nach der letzten Stunde in Gedanken versunken nach Hause. Was Mia gesagt hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Das Pflaster hatte sie dabeigehabt, doch es war ihr nicht gelungen, etwas dagegen zu tun, dass Mia hinfiel. Hatte sie es genügend versucht? Was hätte sie tun können, außer das Pflaster einzupacken? Mia warnen? Aber Mia glaubte ihr die Sachen mit dem »Träumen« gar nicht, sie hätte sie nur ausgelacht!

Ich kann zwar ein wenig in die Zukunft schauen, sagte sich Emma James, aber wenn ich etwas sehe, das mir nicht gefällt, kann ich es nicht verhindern. Wenn ich sehe, dass es am nächsten Tag regnen wird, dann wird es regnen. Wenn ich weiß, ich werde in Erdkunde eine drei minus schreiben, dann hilft es nichts, wenn ich die Lage sämtlicher deutscher Flüsse auswendig lerne, weil ich mit Sicherheit etwas gefragt werde, das ich nicht kann.

Nachdenklich schloss Emma James die Haustür auf. Nachdenklich sah sie im Kühlschrank nach, was es zu essen gab, und nachdenklich goss sie die Salatsoße über den Feldsalat in der kleinen Schale und wärmte die Makkaroni mit Käse in der Mikrowelle auf. Es schmeckte dann so gut, dass sie vergaß nachzudenken. Als ihre Mutter mit Rainer Maria heimkam und fragte, wie es Mia ginge, sagte Emma James, es ginge ihr gut, und sie meinte damit zugleich auch sich selbst.

3.Gut erzogener Hund gesucht

Der nächste Kopfschmerz kam ein paar Tage später. Anschließend wusste sie, dass einer der Hunde, die Paul ausgeführt hatte, berühmt werden würde. Es war der Pudel. In ihrem »Traum« trippelte der Pudel nämlich an Pauls Leine über einen roten Teppich, während – unglaublich! – Stars wie Marilyn Monroe und Britney Spears nur ein paar Meter von ihm entfernt standen. An der einen Seite des roten Teppichs knipsten einige Fotografen wie wild.

Was soll dieser »Traum« anderes heißen, als dass der Pudel berühmt wird?, fragte sich Emma James, als sie wieder halbwegs zu sich gekommen war. Sie war gerade dabeigewesen, ihre alten und schon ziemlich abgenutzten Buntstifte zu spitzen, als der »Traum« sie überraschte, aber dazu hatte sie jetzt keine Lust mehr. Sie packte die Schachtel weg und rief Paul auf seinem Handy an: »Hör mal, kann ich bei dir vorbeikommen? Es gibt was zu besprechen.«

Sie hoffte, dass Paul nicht schon den ganzen Tag ausgebucht war, und sie hatte Glück.

»Klar«, sagte Paul, »aber erst in einer guten Stunde. Ich muss noch bei Schoppenhöpels den Rasen mähen. Drei Euro. Wollen wir uns beim Eissalon treffen?«

»Ich weiß nicht, ich bin ziemlich pleite.«

»Macht doch nichts«, sagte Paul, »ich habe doch gerade genug Zeit und verdiene Geld«.

Um drei Uhr trafen sie sich, und zuerst kam Emma James gar nicht zu Wort. Paul empfahl Eissorten, erkundigte sich, wie es Mias Knie ging, und erzählte von den Hunden.

Dann sagte er: »Du, es gibt etwas, das ich dich fragen wollte …«

»Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, seufzte Emma James.

»Wie denn das, kannst du hellsehen?«, fragte Paul erstaunt.

Emma James wurde verlegen: »Nein, so richtig hellsehen kann ich nicht. Ich kann träumen, aber das erzähle ich dir ein andermal. Deine Frage kann ich erraten. Es ist wegen meinem Namen, stimmt’s? Alle Leute fragen immer nach meinem Namen.«

»Na ja«, sagte Paul zögernd, »was ich …«

Aber Emma James winkte ab.

»Ich habe meine Mutter gefragt, weil es mich selber gewundert hat. Emma ja, aber Emma James? Und weißt du, was sie erzählte?«

»Du, ich wollte eigentlich …«

Paul hatte keine Chance. Emma James kannte ihre Geschichte von hinten bis vorne auswendig und schnurrte sie nun herunter. Endlich schwieg sie und sah Paul erwartungsvoll an.

»Mann, das wusste ich doch längst!«, sagte ihr Freund. »Und dein Pistazieneis ist inzwischen zu Pistaziensuppe geworden.«

Er wedelte mit einem Zettel.

»Ich wollte dich fragen, was du hiervon hältst.«

Emma James nahm das Blatt und las:

Gut erzogener Hund gesucht

für Theaterstück »Die Farm«

von S. Spielvogel

 

Freie Theatergruppe Spielvogel

Direktion und Regie Schorsch Spielvogel

 

Transport und Füttern garantiert

Gute Bezahlung

 

Telefon: 12345

»Fällt dir etwas auf?«, fragte Paul.

»Ja, das ist eine komische Telefonnummer«, sagte Emma James. Sie war erleichtert und glücklich, weil das etwas mit dem Berühmtwerden des Pudels zu tun haben musste, da war sie sich ganz sicher.

»Ja! Aber abgesehen davon.«

»Nee. Wo hast du das Blatt eigentlich her?«

»Es hing am Schwarzen Brett im Supermarkt. Weißt du, da wo die Leute alte Schränke verkaufen wollen oder ihren entflogenen Wellensittich suchen oder Putzfrauen ihre Dienste anbieten. Ich wollte gerade einen Zettel aushängen, auf dem steht, dass ich als Hundespazierenführer und Gärtner arbeite, als ich das fand. Ich dachte, es wäre eine gute Idee. Ich könnte Beowulf oder Hoppel oder Schmitti da hinbringen, als Theaterhunde.«

»Welcher ist denn der Pudel?«, fragte Emma James.

»Das ist Schmitti.«

»Dann nimm ihn. Sie werden ihn engagieren.«

»Aha. Und woher weißt du das?«

Aber Emma James hatte jetzt keine Lust auf komplizierte Erklärungen – obwohl sie hoffte, dass Paul ihr, anders als Mia, die Sache mit dem »Träumen« glauben würde. Ein andermal, sagte sie sich.

»Sagen wir einfach, ich hab es im Gefühl. Ruf lieber schnell an, sonst nehmen sie noch einen anderen Hund.«

»Wenn wir einen Termin für ein Vorstellungsgespräch kriegen – würdest du mitkommen?«

»Klar, nur nicht Montagnachmittag, da habe ich Tennis.«

Paul holte sein Handy heraus und sprach mit dem Direktor der Theatergruppe. Sie probten drei Mal die Woche nachmittags im Gemeindezentrum: mittwochs, donnerstags und freitags. »Passt perfekt«, sagte Emma James, die ungern beim Tennis fehlte.

»Pro Probe fünf Euro und pro Aufführung zehn«, sagte Paul. »Das ist eine gute Gage. Und der Hund muss nichts tun als dasitzen und auf Schafe aufpassen. Und einmal ein Stück Wurst fressen.«

»Sagst du es denn Schmittis Besitzer?«, fragte Emma James.

»Natürlich. Aber erst einmal schauen, ob sie ihn überhaupt nehmen. Der Spielvogel war aber ganz begeistert, als er hörte, dass es ein Pudel ist.«

»So, so«, murmelte Emma James. Sie überlegte kurz, ob das Geld nicht eigentlich dem Besitzer von Schmitti zustand. Andererseits war er ja bei der Arbeit, verdiente da sein Geld und hatte deshalb keine Zeit, sein Haustier auszuführen.

Am Mittwoch trafen sie sich gleich nach der Schule. Emma James hatte sich eine Tüte Kartoffelchips als Mittagessen mitgebracht. Zu mehr blieb keine Zeit, Paul wollte nämlich vor dem Termin bei dem Regisseur noch mit Schmitti zum Hundefrisör. Neulich hatte er einen Kaugummi ausgespuckt, und der war aus Versehen in Schmittis Haaren hängen geblieben. Paul hatte das verklebte Stück Fell zwar mit der Papierschere weggeschnitten, aber es sah nicht gut aus.

Die Frisöse war sehr freundlich und setzte Schmitti in eine kleine Wanne, um ihn abzuduschen, aber Schmitti sprang immer wieder heraus. Erst als Emma James ein paar Chips hineinwarf, blieb er darin, um die einzelnen Stücke zu suchen, und da das seine Zeit dauerte – anscheinend sah er nicht so gut – konnte die Frisöse die Gelegenheit nutzen. Sobald Schmitti das letzte Chipsstück im Maul hatte, drehte sie das Wasser an, zielte mit dem Duschkopf auf ihn und begann, ihn mit der anderen Hand einzushampoonieren. Man merkte, dass sie das schon sehr oft gemacht hatte; sie war einerseits vorsichtig, dass Schmitti kein Shampoo in die Augen geriet, andererseits auch sehr schnell. Schmitti sah nass und seifig sehr, sehr unglücklich aus und winselte leise.

»Ach, du armer Hund«, sagte Emma James und verfütterte nach und nach alle Chips an ihn.

»Ihr verwöhnt ihn zu sehr«, fand die Frisöse, aber Paul sagte nur: »Er muss heute noch arbeiten!«

Sie empfahl eine leichte Tönung des weißen Fells in Rosa, unaufdringlich und modisch zugleich, und Emma James und Paul entschieden sich nach kurzer Beratung dafür, das Angebot anzunehmen. Das Mittel musste fünfundzwanzig Minuten einwirken, und die ganze Zeit über ärgerte sich Emma James, dass sie keine Chips mehr hatte. Als Schmitti endlich fertig war, roch er fürchterlich künstlich, und die Frisöse sprühte ihn mit Rosenduftwasser ein. Schmitti bellte und japste, und die Frau wurde nervös.

»Nicht dass er die Inhaltsstoffe nicht verträgt«, murmelte sie, und dann spülte sie Schmitti noch einmal gründlich mit Wasser ab. Der Pudel war zu Tode erschöpft, als sie fertig waren.

Paul wurde beim Bezahlen hektisch, er wollte auf keinen Fall, dass sie zu spät zu dem Vorstellungsgespräch kamen. Schmitti aber, dessen Fell in der Sonne besonders hübsch glänzte, setzte sich nach jedem zweiten Schritt hin, und so kamen sie absolut nicht vorwärts. »Warte mal«, sagte Paul, als sie an einem Supermarkt mit aneinandergeketteten Einkaufswagen vorbeikamen, und blieb stehen.

»Was wir hier brauchen, ist ein Schmittimobil.«

Er kramte in der Tasche nach einem Eurostück, steckte es in den Schlitz am Schiebegriff und parkte einen Wagen aus der Reihe aus. Sie hoben Schmitti vorsichtig hoch, weil sie nicht sicher waren, ob es ihm in seinem neuen Fahrzeug gefiel, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Schmitti ließ sich zufrieden hineinplumpsen, seufzte entzückt und bettete den Kopf auf die Pfoten. Während der Fahrt blinzelte er ab und zu aus müden Augen auf den schiebenden Paul.

»Er glaubt, das ist die verdiente Belohnung für die Strapaze«, sagte Emma James.

»Aber die Strapaze kommt doch erst noch«, sagte Paul.

Er konnte nicht wissen, wie recht er hatte.

4.Schmittis erste Probe

Am Gemeindezentrum parkte Paul den Einkaufswagen zwischen einem grünen Fahrrad, das schon fast schrottreif war, und einem schicken BMW. Emma James machte sich nichts aus Autos, aber Paul blieb vor dem silberfarbenen Fahrzeug stehen und pfiff durch die Zähne: »Guck dir das an, diese Eleganz! Als käme er direkt aus der Zukunft!«

Emma James sah nur einen sehr flachen Wagen, in dessen Tür sich Paul spiegelte. Viel interessanter war das komisch zerdellte Fahrrad.

»Glaubst du, da hatte jemand einen Unfall?«, fragte sie.

Paul bewunderte sich weiterhin in der spiegelnden Autotür: »Nein.«

Emma James griff nach Schmitti, der lieber im Hundewagen bleiben wollte und nach ihrer Hand schnappte.

»Paul! Hilf mir doch mal!«

Der künftige Theaterstar zierte sich noch ein bisschen, dann hatte Emma James ihn im Arm, und sie betraten das Gemeindezentrum. Es gab einen langen, grauen Flur, in dem es ungelüftet roch. Eine Tür ging zum WC, zwei andere waren abgeschlossen. Endlich gelangten sie ganz hinten an eine Tür, an der mit Tesafilm ein beschriftetes DIN-A4-Blatt klebte. »Großer Proberaum« stand darauf.

Der große Proberaum war eher klein. Darinnen wartete schon der Regisseur Spielvogel. Er trug ein kariertes Hemd und einen Schal und saß auf einem Stuhl mitten im Zimmer. Hinter ihm standen noch ein paar Stühle und Tische, ansonsten war der Raum weiß und leer; Emma James schaute sich vergeblich nach einer Bühne um.

Der Regisseur begrüßte sie kurz und nicht besonders herzlich. Er erklärte, Schmittis Rolle sei es, auf einer kleinen, armen Farm, in der eine Familie mit vier Kindern lebte, die Schafe zu hüten. Die Schafe seien in der Bühnendekoration auf die Wand gemalt. Die Kinder würde man nie sehen, daher hätte er keine engagiert. (»Die sind wahrscheinlich in der Schule, keine Ahnung, die haben keinen Auftritt.«) Der Hund müsste aber unbedingt echt sein, denn er müsste im ersten Teil einmal bellen und im zweiten Teil eine Wurst fressen.