Emma - Jane Austen - E-Book

Emma E-Book

Jane Austen.

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Beschreibung

Ein großer Frauenroman einer begnadeten Erzählerin: zur Feier ihres 250. Geburtstags am 16.12.2025

Emma ist eine kluge, selbstbewusste junge Frau, aber sie ist auch ein wenig verwöhnt. Und egozentrisch. Und übergriffig. Stets meint sie am allerbesten zu wissen, was für andere gut ist – und irrt sich darin verlässlich. Kaum hat ihre frühere Gouvernante und Gefährtin Anne sie verlassen, versucht sie in Highbury Schicksal zu spielen und ihre männlichen und weiblichen Bekannten miteinander zu verheiraten, wie es ihr gerade in den Sinn kommt. Das muss natürlich schiefgehen. Als sie entdeckt, dass Harriet, die sie zuerst für den jungen Pfarrer und später für den attraktiven Frank Churchill vorgesehen hatte, eigentlich ein Auge auf den von ihr selbst heimlich verehrten Mr. Knightley geworfen hat, wird es Zeit für sie, endlich zur Vernunft zu kommen. Für Selbsterkenntnis und innere Reife ist es schließlich nie zu spät.

In ihrem künstlerisch avanciertesten Roman schildert Jane Austen die charakterliche Entwicklung ihrer Titelheldin mit – wie sollte es anders sein – allerfeinster Ironie.

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Seitenzahl: 841

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

Jane Austen (1775–1817) wurde in Steventon, Hampshire, geboren und wuchs als siebtes von acht Kindern im elterlichen Pfarrhaus auf. Ihre literarische Welt war die des englischen Landadels, deren sorgsam kaschierte Abgründe sie mit feiner Ironie entlarvte. Die Popularität von Jane Austen ist bis heute ungebrochen, ihre Romane begeistern Leser und Leserinnen auf der ganzen Welt.

«Immer wieder lesen, solange man lebt: alle Romane von Jane Austen.» FAZ

«Jane Austen vollbringt Wunder.» Süddeutsche Zeitung

«Jane Austens Romane bezaubern immer.» William Somerset Maugham

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Jane Austen

EMMA

Roman

Aus dem Englischen von Ilse Leisi

Mit einem Nachwort von Max Wildi

Die Originalausgabe erschien 1816.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 1981/2025 der deutschsprachigen Ausgabe by Manesse Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Umschlaggestaltung: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-33765-0V001

www.penguin-verlag.de

1

Emma Woodhouse, schön, gescheit und reich, mit einem behaglichen Zuhause und heiteren Gemüt, schien in sich einige der besten Glücksgüter des Daseins zu vereinigen und hatte nahezu einundzwanzig Jahre auf der Welt zugebracht, ohne viel Anlass zu Kummer oder Ärger zu finden.

Sie war die jüngere der beiden Töchter eines ungemein liebevollen, nachsichtigen Vaters und stand seinem Hause infolge der Heirat ihrer Schwester schon seit früher Zeit vor. Ihre Mutter war zu lange tot, als dass sie mehr als eine undeutliche Erinnerung an ihre Liebkosungen behalten hätte; ihre Stelle vertrat eine Hauslehrerin, eine vortreffliche Frau, die einer Mutter kaum an Liebe nachstand.

Sechzehn Jahre lang hatte Miss Taylor in Mr. Woodhouses Familie gelebt, weniger als Lehrerin denn als Freundin, beiden Töchtern herzlich zugetan, besonders aber Emma. Zwischen beiden bestand mehr die Vertrautheit von Schwestern. Schon zu einer Zeit, als Miss Taylor das Amt der Hauslehrerin nominell noch ausübte, hatte die Sanftmut ihres Wesens es ihr kaum erlaubt, irgendwelchen Zwang auszuüben; und nachdem der Schatten der Autorität nun lange geschwunden war, hatten sie wie Freundin und Freundin, gegenseitig einander innig zugeneigt, zusammengelebt und hatte Emma einfach getan, was ihr behagte, indem sie Miss Taylors Urteil zwar hoch schätzte, sich jedoch zur Hauptsache von ihrem eigenen leiten ließ.

Das eigentlich Ungute an Emmas Stellung war einerseits die Macht, ihren Willen allzu oft durchzusetzen, anderseits die Neigung, etwas allzu gut von sich selbst zu denken; dies waren die Nachteile, welche ihre vielen Freuden zu vergällen drohten. Die Gefahr war indessen noch so wenig wahrzunehmen, dass sie die Nachteile keineswegs als Unglück betrachtete.

Schmerz kam an sie heran – ein sanfter Schmerz –, doch durchaus nicht mit unangenehmen Vorstellungen verbunden: Miss Taylor heiratete. Es war der Verlust Miss Taylors, der zum ersten Mal Kummer brachte. Es war am Hochzeitstag dieser geliebten Freundin, dass Emma zum ersten Mal dasaß in traurigem Nachsinnen darüber, wie es weitergehen sollte. Nachdem die Hochzeit vorüber und die Hochzeitsgesellschaft gegangen war, blieben nur ihr Vater und sie zum gemeinsamen Nachtessen zurück, ohne Aussicht auf eine dritte Person zur Belebung eines langen Abends. Ihr Vater versank nach dem Essen allmählich in Schlaf, wie gewöhnlich, und sie hatte dann nur dabeizusitzen und an das zu denken, was sie verloren hatte.

Das Ereignis verhieß ihrer Freundin jedes nur mögliche Glück. Mr. Weston war ein Mann von untadeligem Charakter, in behaglichen Umständen, von passendem Alter und liebenswürdigem Benehmen; und es gab ihr einige Befriedigung, wenn sie bedachte, mit welch selbstloser, großmütiger Freundschaft sie die Verbindung stets herbeigewünscht und gefördert hatte; allein, für sie selbst war nur Ungutes dabei herausgekommen. Die Lücke, die Miss Taylor hinterließ, würde stündlich und täglich zu spüren sein. Sie erinnerte sich ihrer Güte – der Güte, der Zuneigung während sechzehn Jahren –, wie sie sie vom fünften Jahre an unterrichtet und mit ihr gespielt hatte – wie sie alle ihre Gaben daran gewendet hatte, sie in gesunden Tagen in Liebe an sich zu binden und ihr Kurzweil zu verschaffen, und wie sie sie durch die verschiedenen Kinderkrankheiten hindurch gepflegt hatte. Schon hier bestand eine große Dankesschuld; doch der Umgang der letzten sieben Jahre, die ebenbürtige Stellung und vollkommene Offenheit voreinander, die sich bald nach Isabellas Heirat bei ihnen, die nun ganz aufeinander angewiesen waren, ergeben hatte, lebte in ihr nach als noch teurere, zärtlichere Erinnerung. Sie war eine Freundin und Gefährtin gewesen, wie nur wenige sie besitzen: klug, gebildet, hilfsbereit, sanft, vertraut mit allen Eigenheiten der Familie, teilnehmend an allem, was die Familie betraf, und mit ganz besonderem Interesse ihr selbst, jedem Vergnügen und jedem Plan von ihr zugewandt – eine Freundin, zu der sie von jedem Gedanken sprechen konnte, der gerade in ihr aufstieg, und die ihr mit einer Zuneigung anhing, die nie etwas auszusetzen fand.

Wie sollte sie den Wechsel ertragen! Zwar würde ihre Freundin nur eine halbe Meile von ihnen wegziehen, doch Emma sah deutlich, dass der Unterschied groß sein musste zwischen einer nur eine halbe Meile von ihnen entfernten Mrs. Weston und einer Miss Taylor im Hause selbst; und bei allen Vorzügen – solchen der eigenen Natur und der häuslichen Stellung –, die sie genoss, war sie in großer Gefahr, an geistiger Vereinsamung zu leiden. Zwar liebte sie ihren Vater von Herzen, doch eignete er sich für sie nicht zu freundschaftlichem Umgang. Er konnte im Gespräch nicht auf sie eingehen, weder ernsthaft noch im Scherz.

Der Nachteil des beträchtlichen Altersunterschieds zwischen ihnen (und Mr. Woodhouse hatte nicht früh geheiratet) wurde noch vergrößert durch seine Konstitution und Lebensweise; denn da er zeitlebens leidend gewesen war, ohne Beweglichkeit von Geist oder Körper, war er jetzt seinen Gewohnheiten nach ein viel älterer Mann als seinen Jahren nach; und obschon man ihn überall wegen seiner Herzensgüte und seines freundlichen Wesens liebte, hätten seine Geistesgaben ihn doch zu keiner Zeit empfehlen können.

Obschon ihre Schwester durch die Heirat an einen verhältnismäßig nahen Ort – nach dem nur sechzehn Meilen entfernten London – versetzt worden war, befand sie sich jetzt doch weit außerhalb täglicher Erreichbarkeit; und so mancher lange Oktober- und Novemberabend musste in Hartfield überstanden werden, bevor Weihnachten den nächsten Besuch von Isabella, ihrem Mann und ihren kleinen Kindern brachte; wo dann das Haus sich wieder füllte und sie angenehme Gesellschaft erhielt.

Highbury, das große, dicht bevölkerte Dorf, welches schon fast als Stadt gelten konnte und zu dem Hartfield trotz seines ihm besonders zugehörigen Rasengebiets, Strauchgartens1 und Namens eigentlich gehörte, bot ihr keine gesellschaftlich Gleichgestellten. Die Woodhouses hatten hier den höchsten Rang inne. Alles schaute zu ihnen auf. Sie hatte zwar viele Bekannte im Ort, denn ihr Vater war gegen jedermann zuvorkommend, doch niemanden, der auch nur für einen halben Tag Miss Taylor hätte ersetzen können. Es war ein trübseliger Wechsel; und Emma konnte nur darüber seufzen und Unmögliches herbeiwünschen, bis dann ihr Vater erwachte und es nötig wurde, frohmütig zu sein. Sein Gemüt war auf Ermunterung angewiesen. Er war sensibel, leicht zu verstimmen, den Menschen zugeneigt, an die er gewöhnt war, und höchst unwillig, sich von ihnen zu trennen; überhaupt höchst unwillig über jede Veränderung. Eine Heirat, von der ja Veränderung herrührte, brachte stets Unannehmlichkeiten; und so hatte er sich keineswegs mit der Verheiratung seiner eigenen Tochter abgefunden, konnte von ihr auch nie anders als voller Mitleid reden, obschon es durchaus eine Liebesheirat gewesen war; und nun musste er sich noch dazu von Miss Taylor trennen. Die ihm zur Gewohnheit gewordene harmlose Selbstsucht und Unfähigkeit, sich vorzustellen, dass andere Leute anderer Meinung sein könnten als er, machten ihn sehr geneigt zu glauben, Miss Taylor hätte einen für sie selbst wie für die Familie bedauerlichen Schritt getan, und er wäre um vieles glücklicher gewesen, wenn sie den Rest ihrer Tage in Hartfield zugebracht hätte.

Emma lächelte und plauderte so fröhlich sie konnte, um ihn von derartigen Gedanken abzulenken; doch als der Tee gebracht wurde, konnte er sich nicht enthalten, genau dasselbe zu sagen, was er beim Essen gesagt hatte: «Die arme Miss Taylor – wäre sie doch nur wieder hier! Wie sehr ist es zu beklagen, dass Mr. Weston sie erwählt hat!»

«Da kann ich Ihnen nicht zustimmen, Papa, wirklich nicht. Mr. Weston ist solch ein frohmütiger, gefälliger, ausgezeichneter Mann, dass er durchaus eine gute Frau verdient; und Sie hätten doch nicht gewollt, dass Miss Taylor auf immer bei uns lebt und alle meine Launen erträgt, wo sie nun ein eigenes Haus haben kann?»

«Ein eigenes Haus! Aber wo ist denn der Vorteil bei einem eigenen Haus? Unseres ist dreimal so groß. Und du hast nie Launen, liebes Kind.»

«Wie oft werden wir sie besuchen gehen und sie uns besuchen kommen! Wir werden einander ständig treffen! Wir selbst müssen anfangen, wir müssen schon bald hingehen und unsern Hochzeitsbesuch abstatten.»

«Liebes Kind, wie soll ich so weit kommen? Randalls ist so weit entfernt. Ich könnte nicht den halben Weg zu Fuß machen.»

«Nein, Papa, niemand dachte daran, dass Sie zu Fuß gehen sollen. Wir müssen mit dem Wagen fahren, das versteht sich.»

«Mit dem Wagen! Aber James wird die Pferde sehr ungern anspannen für so eine kleine Strecke; und wo sollen die armen Pferde bleiben, während wir unsern Besuch machen?»

«Sie sind in Mr. Westons Stall einzustellen, Papa. Sie wissen, wir haben das alles schon geplant. Wir haben das gestern Abend schon alles mit Mr. Weston besprochen. Und was James betrifft, so können Sie ganz sicher sein, dass er immer gern nach Randalls fährt, weil seine Tochter dort Hausmädchen ist. Ich frage mich nur, ob er uns je irgendwo andershin fahren wird. Daran sind Sie schuld, Papa. Sie haben Hanna diese gute Stelle verschafft. Niemand dachte an Hanna, bis Sie sie nannten – James ist Ihnen so dankbar!»

«Ich freue mich, dass sie mir eingefallen ist. Das hat sich gut getroffen, denn ich hätte um alles in der Welt nicht wollen, dass der arme James sich hintangesetzt vorkommt; und ich bin auch sicher, dass sie sich sehr gut bewähren wird; sie ist ein höfliches Mädchen, das sich nett auszudrücken weiß; ich habe eine hohe Meinung von ihr. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, knickst sie und fragt in sehr netter Art, wie es mir geht; und wenn du sie zum Nähen hier gehabt hast, habe ich stets bemerkt, dass sie den Türknauf in der richtigen Richtung dreht und die Tür nie zuschlägt. Sicher wird sie sich vorzüglich anlassen; und für die arme Miss Taylor wird es ein großer Trost sein, jemanden um sich zu haben, den sie zu sehen gewohnt ist. Jedes Mal, wenn James sich hinüberbegibt, um seine Tochter zu besuchen, wird sie von uns hören, weißt du. Er kann ihr dann erzählen, wie es uns allen geht.»

Emma ließ es an keiner Bemühung fehlen, diese fröhlicheren Gedanken in Fluss zu erhalten, und hoffte, mithilfe von Halma ihren Vater leidlich durch den Abend zu bringen und selbst von keinem Kummer angefochten zu werden als von ihrem eigenen. Der Spieltisch wurde aufgestellt; aber ein Besucher trat gleich darauf ein und machte ihn unnötig.

Mr. Knightley, ein verständiger Mann von etwa sieben- oder achtunddreißig Jahren, war nicht nur ein langjähriger und vertrauter Freund der Familie, sondern als älterer Bruder von Isabellas Ehemann noch besonders mit ihr verbunden. Er wohnte etwa eine Meile von Highbury entfernt, war ein häufiger Besucher und stets willkommen, und diesmal noch willkommener als sonst, da er geradewegs von den beiderseitigen Angehörigen in London kam. Er war, nachdem er einige Tage fort gewesen, zu einem späten Abendessen zurückgekehrt und jetzt noch nach Hartfield gewandert, um zu melden, am Brunswick-Platz wären alle wohlauf. Dies war ein erfreulicher Umstand und belebte Mr. Woodhouse während einiger Zeit. Mr. Knightley hatte eine fröhliche Art, die ihm stets wohltat, und seine vielen Erkundigungen nach der «armen Isabella» und den Kindern wurden höchst befriedigend beantwortet.

Als dies getan, bemerkte Mr. Woodhouse dankbar: «Es ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Knightley, zu dieser späten Stunde noch auszugehen, um uns zu besuchen. Ich fürchte, Sie haben einen widrigen Marsch hinter sich.»

«Gar nicht, Sir. Draußen ist eine schöne Mondnacht, so mild, dass ich mich von Ihrem kräftigen Feuer zurückziehen muss.»

«Aber Sie fanden es bestimmt sehr feucht und schmutzig. Ich möchte nicht, dass Sie sich noch einen Schnupfen holen.»

«Schmutzig, Sir! Schauen Sie meine Schuhe an. Kein Fleckchen zu sehen.»

«Nun, das ist ganz erstaunlich, denn wir haben hier eine Unmenge von Regen gehabt. Es regnete eine halbe Stunde lang in Strömen, während wir beim Frühstück saßen. Ich wollte schon, dass man die Hochzeit verschiebt.»

«Übrigens habe ich meine Glückwünsche noch nicht angebracht. Da ich mir denken kann, welche Art von Glück Sie beide jetzt fühlen, eilte es mir nicht mit dem Gratulieren. Aber ich hoffe, alles ist leidlich gut abgelaufen. Wie haben Sie sich alle verhalten? Wer hat am meisten geweint?»

«Ach, die arme Miss Taylor! Es ist eine traurige Geschichte.»

«Armer Mr. Woodhouse, arme Miss Woodhouse, wenn’s beliebt, aber ich kann unmöglich sagen ‹arme Miss Taylor›. Ich habe große Hochschätzung für Sie und Emma; doch wenn es sich um Abhängigkeit oder Unabhängigkeit handelt! Jedenfalls muss es angenehmer sein, wenn man sich nur nach einer Person zu richten braucht statt nach zweien!»

«Besonders wenn die eine solch ein launenhaftes, lästiges Geschöpf ist!», sagte Emma scherzend. «Dies ist, was Sie im Sinn haben, das weiß ich – und was Sie bestimmt sagen würden, wenn mein Vater nicht dabei wäre.»

«Ich glaube, so verhält es sich wirklich, mein Kind», sagte Mr. Woodhouse mit einem Seufzer. «Leider bin ich ja zuweilen sehr launenhaft und lästig.»

«Mein liebster Papa! Sie glauben doch nicht, ich könnte Sie meinen oder glauben, Mr. Knightley meine Sie. Welch schreckliche Vorstellung. Ach nein! Ich habe mich selbst gemeint. Mr. Knightley setzt gern etwas an mir aus, Sie wissen ja – zum Scherz – alles nur zum Scherz. Wir sagen einander immer, was uns gerade passt.»

Mr. Knightley war in der Tat einer von den wenigen Menschen, die an Emma Woodhouse Fehler bemerkten, und der einzige, der zu ihr von ihnen sprach; und wiewohl dies für Emma nicht eben angenehm war, wusste sie, dass ihr Vater es noch um viel weniger angenehm empfinden würde. Darum wollte sie ihn lieber im Glauben lassen, jedermann halte sie für vollkommen.

«Emma weiß, dass ich ihr nie schmeichle», sagte Mr. Knightley, «doch ich hatte es auf keine bestimmte Person abgesehen. Miss Taylor war es gewohnt, zwei Menschen gefällig zu sein; jetzt ist’s nur noch einer. Es besteht die Möglichkeit, dass sie dabei gewinnt.»

«Nun gut», sagte Emma im Bestreben, dies auf sich beruhen zu lassen, «Sie wollen etwas von der Hochzeit hören, und ich erzähle Ihnen davon mit Vergnügen, denn wir benahmen uns alle reizend. Jeder war pünktlich, jeder wirkte schön und festlich. Keine Träne und kaum ein langes Gesicht. O nein! Wir alle dachten daran, dass wir ja nur eine halbe Meile voneinander entfernt sein werden und uns bestimmt alle Tage sehen.»

«Die liebe Emma schickt sich so gut in alles», bemerkte ihr Vater. «Aber sie ist im Grunde sehr traurig, Mr. Knightley, dass sie die arme Miss Taylor hergeben muss, und ich bin sicher, sie wird sie stärker vermissen, als sie sich jetzt vorstellt.»

Emma wandte den Kopf ab, zwischen Tränen und Lächeln schwankend.

«Es ist unmöglich, dass Emma eine solche Gefährtin nicht vermisst», sagte Mr. Knightley. «Wir hätten sie nicht so gern, wenn wir etwas anderes denken könnten. Aber sie weiß, wie sehr die Heirat zu Miss Taylors Vorteil ist; sie weiß, wie willkommen es in Miss Taylors Alter sein muss, in einem eigenen Zuhause eine Heimat zu finden, und wie wichtig für sie, einer großzügigen Versorgung sicher zu sein. Darum kann sie sich nicht gestatten, ebenso viel Schmerz zu empfinden wie Freude. Jeder, der Miss Taylor nahesteht, muss sich freuen, sie so glücklich verheiratet zu sehen.»

«Und Sie haben dabei einen für mich erfreulichen Umstand vergessen», sagte Emma, «und einen ganz wichtigen dazu – dass nämlich ich selbst die Verbindung herbeiführte. Schon vor vier Jahren habe ich, wie Sie wissen, diese Verbindung ins Auge gefasst, und dass sie nun wirklich stattgefunden und mir Recht gegeben hat, wo doch so viele Leute behaupteten, Mr. Weston würde nie wieder heiraten, das kann mich über alles hinwegtrösten.»

Mr. Knightley schüttelte den Kopf über sie. Ihr Vater antwortete liebevoll: «Ach, mein Kind, ich wünschte, du möchtest keine Ehen stiften und Dinge voraussagen, denn was du sagst, trifft regelmäßig ein. Bitte stifte keine Ehen mehr.»

«Ich verspreche Ihnen, Papa, dass ich für mich selbst keine stiften werde; doch für andere Leute, da muss ich’s einfach! Es ist das größte Vergnügen auf der Welt! Und nun noch nach diesem Erfolg! Jeder sagte, dass Mr. Weston nie wieder heiraten würde. Du liebe Zeit, nein! Mr. Weston, der schon so lange verwitwet war und sich augenscheinlich so völlig wohlfühlte ohne eine Frau, so ausgefüllt mit seinen Geschäften in der Stadt oder mit seinem hiesigen Freundeskreis, stets willkommen, wohin immer er kam, stets vergnügt – Mr. Weston brauchte keinen einzigen Abend im Jahr allein zu verbringen, wenn es ihm nicht gefiel. O nein! Mr. Weston würde bestimmt nicht wieder heiraten. Manche Leute sprachen sogar von einem Versprechen am Totenbett seiner Frau; andere wollten wissen, der Sohn und der Onkel hinderten ihn daran. Ernsthafter Unsinn aller Art wurde zu dem Thema herumgeboten, aber ich glaubte nichts davon. Von dem Tage an (vor etwa vier Jahren), da Miss Taylor und ich ihm auf dem Brodway-Pfad begegneten, wo er dann, weil es zu nieseln begann, mit so viel Beflissenheit davonstürzte, um bei Bauer Mitchell zwei Regenschirme für uns auszuborgen, stand die Sache bei mir fest. Von jener Stunde an plante ich die Verbindung; und wenn mir in diesem Fall ein solcher Erfolg beschieden war, lieber Papa, können Sie nicht denken, dass ich das Ehestiften aufgeben werde.»

«Ich verstehe nicht, was Sie mit ‹Erfolg› meinen», bemerkte Mr. Knightley. «Erfolg setzt Bemühung voraus. Ihre Zeit ist sinn- und taktvoll angewendet worden, wenn Sie sich während der letzten vier Jahre kräftig bemüht haben, diese Ehe zustande zu bringen. Eine würdige Betätigung für den Geist einer jungen Dame! Wenn dagegen, was mir eher vorschwebt, Ihr Ehestiften, wie Sie es nennen, nur darin besteht, dass Sie die Ehe geplant haben, dass Sie sich eines schönen Tages gesagt haben: ‹Ich glaube, es wäre sehr gut für Miss Taylor, wenn Mr. Weston sie heiraten würde›, und dass Sie sich dasselbe auch später von Zeit zu Zeit gesagt haben – warum reden Sie dann von Erfolg? Wo liegt Ihr Verdienst? Worauf sind Sie stolz? Sie haben Glück im Erraten gehabt; mehr lässt sich darüber nicht sagen.»

«Haben Sie denn nie das Vergnügen und den Triumph beim Glück im Erraten verspürt? Sie tun mir leid. Ich habe Sie für klüger gehalten – denn das steht fest: Glück im Erraten ist nie einfach Glück. Es ist immer Talent dabei. Und was mein armes Wort ‹Erfolg› angeht, an dem Sie sich stoßen, so weiß ich nicht, ob ich wirklich so gar keinen Anspruch darauf habe. Sie haben zwei hübsche Bilder gezeichnet – doch ich glaube, es ist noch ein drittes möglich: etwas zwischen dem Nichtstun und dem Allestun. Hätte ich Mr. Westons Besuche hier bei uns nicht gefördert und viele kleine Ermutigungen gegeben und viele kleine Dinge geebnet, so wäre vielleicht nichts aus der Sache geworden. Sie kennen Hartfield bestimmt gut genug, um das zu verstehen.»

«Einen geraden, offenherzigen Mann wie Mr. Weston und eine klarsichtige, natürliche Frau wie Miss Taylor kann man zur Bereinigung ihrer Angelegenheiten getrost sich selbst überlassen. Indem Sie sich einmischten, haben Sie sich wohl eher selbst geschadet als ihnen genützt.»

«Emma denkt nie an sich, wenn sie andern Gutes tun kann», bemerkte Mr. Woodhouse, der nur teilweise verstanden hatte. «Aber bitte, liebes Kind, stifte keine Ehen mehr, sie sind etwas Dummes und reißen schmerzliche Lücken in den Familienkreis.»

«Nur noch eine, Papa; nur für Mr. Elton. Der arme Mr. Elton! Sie haben Mr. Elton gern, Papa – ich muss mich nach einer Frau für ihn umschauen. In Highbury ist niemand, der ihn verdient – und er ist schon ein ganzes Jahr hier und hat sein Haus so behaglich ausgestattet, dass es schade wäre, ihn noch länger unbeweibt zu lassen –, und als er heute ihre Hände ineinanderlegte, da dachte ich, er blickte genauso drein, als hätte er diese freundliche Handlung gerne an sich selber vollzogen gesehen! Ich habe eine hohe Meinung von Mr. Elton, und dies ist die einzige Art, wie ich ihm einen Dienst erweisen kann.»

«Mr. Elton ist ein sehr hübscher junger Mann, zweifellos, und auch ein sehr seriöser junger Mann, und ich schätze ihn hoch. Doch wenn du ihm eine Aufmerksamkeit erweisen willst, liebes Kind, so lade ihn doch einmal zu uns zum Essen ein. Das wird besser sein. Ich nehme an, Mr. Knightley wird so freundlich sein, sich bei uns mit ihm bekannt zu machen.»

«Mit großem Vergnügen, Sir, jederzeit», sagte Mr. Knightley und lachte dazu; «und ich bin vollkommen Ihrer Meinung, dass das viel besser ist. Laden Sie ihn zum Essen ein, Emma, und legen Sie ihm die besten Stücke von Fisch und Geflügel vor, aber überlassen Sie die Wahl seiner Frau ihm selbst. Seien Sie unbesorgt: Ein Mann von sechs- oder siebenundzwanzig Jahren findet sich allein zurecht.»

2

Mr. Weston war in Highbury geboren und entstammte einer angesehenen Familie, die im Laufe von zwei oder drei Generationen zu vornehmem Stand und Besitz emporgestiegen war. Er hatte eine gute Ausbildung erhalten, doch da er schon in jungen Jahren als Erbe eines kleinen Vermögens unabhängig wurde, hatte er wenig Neigung gezeigt, einer von den bescheideneren Tätigkeiten nachzugehen, denen sich seine Brüder widmeten; vielmehr hatte er einen beweglichen, frohmütigen Geist und eine gesellige Natur befriedigt, indem er in die Miliz seiner Grafschaft eintrat, welche damals im Dienst stand.

Hauptmann Weston war allgemein beliebt; und als die Wechselfälle seiner militärischen Laufbahn ihn mit Miss Churchill, Spross einer bedeutenden Familie in Yorkshire, in Berührung gebracht hatten und als Miss Churchill sich in ihn verliebte, überraschte das niemanden als ihren Bruder und dessen Gattin, die ihn nie gesehen hatten und die erfüllt waren von Stolz und von einem Selbstgefühl, das durch eine solche Verbindung beleidigt würde.

Doch Miss Churchill, volljährig und frei in der Verfügung über ihr Vermögen (dieses Vermögen stand allerdings in keinem Verhältnis zum ganzen Familienbesitz), war von der Heirat nicht abzubringen, und diese fand denn auch statt, zu der unendlichen Kränkung von Mr. und Mrs. Churchill, die sich von ihrer Schwester in aller Form lossagten. Es war eine ungünstige Verbindung, und sie brachte nicht viel Glück. Mrs. Weston hätte darin eigentlich größeres Glück finden sollen, denn sie hatte einen Gatten, dessen warmes Herz und gleichmäßig freundliches Wesen ihn glauben ließen, es stünde ihr alles zu als Dank dafür, dass sie die große Güte hatte, ihn zu lieben; doch obschon sie eine bestimmte Art von Kühnheit hatte, hatte sie doch nicht die beste. Sie hatte genügend Entschlossenheit, ihren Willen dem Bruder zum Trotz durchzusetzen, doch nicht genug, um sich unvernünftiger Reue wegen des unvernünftigen Grolls ihres Bruders zu enthalten, auch nicht genug, um den Aufwand ihres Elternhauses nicht zu vermissen. Sie lebten zwar üppiger, als ihr Einkommen es erlaubte, doch im Vergleich mit Enscombe war es dennoch nichts; zwar liebte sie ihren Mann immer noch, aber sie wollte gleichzeitig Hauptmann Westons Frau und Miss Churchill von Enscombe sein.

Hauptmann Weston, den man, insbesondere die Churchills, als den Nutznießer bei dieser erstaunlichen Heirat betrachtet hatte, erwies sich als der Verlierer; denn als seine Frau nach dreijähriger Ehe starb, war er eher ärmer als vorher und musste obendrein für ein Kind sorgen. Vom Unterhalt des Kindes wurde er indessen bald befreit. Der Junge selbst sowie der Umstand, dass eine sich lange hinziehende Krankheit seiner Mutter die Gemüter zu Milde stimmte, hatten eine Art Versöhnung bewirkt; und Mr. und Mrs. Churchill, die weder eigene Kinder hatten noch für andere junge Wesen von gleichem Verwandtschaftsgrad sorgen mussten, anerboten sich bald nach Mrs. Westons Hinschied, gänzlich für Unterhalt und Erziehung des kleinen Frank aufzukommen. Dass der verwitwete Vater dabei einige Skrupel und innere Widerstände verspürte, wird man annehmen dürfen; doch als andere Überlegungen obsiegten, wurde das Kind der Fürsorge und dem Reichtum der Churchills überlassen, und er hatte nur noch dem eigenen Behagen nachzugehen und wo möglich seine eigene Lage zu verbessern.

Eine völlige Veränderung seines Lebens wurde nun wünschbar. Er quittierte den Dienst und wandte sich dem Handel zu, da er zwei Brüder hatte, die sich in London bereits zu ihrem Vorteil etabliert hatten, was ihm eine günstige Ausgangslage verschaffte. Es war ein Unternehmen, das ihm gerade genug Beschäftigung bot. Er besaß immer noch ein kleines Haus in Highbury, wo er die meisten freien Tage verbrachte; und so gingen die nächsten achtzehn oder zwanzig Jahre zwischen nützlicher Betätigung und geselligen Vergnügungen fröhlich dahin. Unterdessen hatte er ein ansehnliches Vermögen erworben – genug, um ein kleines Anwesen in der nächsten Umgebung Highburys käuflich zu erwerben, nach dem er sich schon immer gesehnt hatte – genug sogar, um eine so unbemittelte Frau zu heiraten wie Miss Taylor und entsprechend den Bedürfnissen seiner eigenen freundlichen und geselligen Natur zu leben.

Es war nun schon einige Zeit her, seit Miss Taylor seine Pläne zu beeinflussen begonnen hatte; doch weil dabei nicht der tyrannische Einfluss von Jugend auf Jugend wirkte, hatte er an seinem Entschluss festgehalten, sich nicht zu binden, bevor er Randalls kaufen konnte. Dass Randalls einmal verkauft würde, darauf hatte er sich schon lange gefreut, und so war er, die selbst gesteckten Ziele vor Augen, unentwegt vorangegangen, bis er sie erreicht hatte. Er hatte sich Vermögen erworben, sich ein Haus gekauft und sich eine Frau errungen; nun stand er im Begriff, in einen neuen Lebensabschnitt einzutreten, welcher die Wahrscheinlichkeit größeren Glücks in sich schloss als jeder vorhergehende. Er war zwar nie unglücklich gewesen; sein eigenes Naturell hatte ihn davor bewahrt, sogar während seiner ersten Ehe; allein seine zweite sollte ihm zeigen, wie wundervoll eine verständige und wahrhaft liebenswürdige Frau sein konnte, und ihm den schönsten Beweis liefern, um wie vieles besser es ist, zu erwählen statt erwählt zu werden, Dankbarkeit zu erwecken, als sie selbst zu fühlen.

Er brauchte bei seiner Wahl auf niemanden Rücksicht zu nehmen: Sein Vermögen gehörte ihm allein; denn was Frank betraf, so wurde er nicht einfach im Stillen als künftiger Erbe seines Onkels erzogen, vielmehr hatte die Adoption Rechtskraft erlangt, sodass er – volljährig geworden – den Namen Churchill angenommen hatte. Es war daher höchst unwahrscheinlich, dass er je die Hilfe seines Vaters nötig haben würde. Jedenfalls befürchtete sein Vater nichts dergleichen. Die Tante war zwar eine kapriziöse Dame und beherrschte ihren Gatten vollkommen, doch es lag nicht in Mr. Westons Art, sich vorzustellen, eine Laune von ihr könnte sich zum Nachteil eines so lieben und, wie er glaubte, verdientermaßen liebenswerten Jungen auswirken. Er sah seinen Sohn alljährlich in London und war stolz auf ihn; und seine liebevolle Schilderung von ihm als einem prächtigen jungen Mann hatte Highbury veranlasst, seinerseits eine Art von Stolz für ihn zu empfinden. Man betrachtete ihn schon so als zum Ort zugehörig, dass seine Verdienste und Aussichten zu etwas wie einer Sache allgemeinen Interesses wurden.

Mr. Frank Churchill war eins der Glanzstücke von Highbury, und es herrschte lebhafte Neugier, ihn einmal zu sehen, obschon dieses Kompliment so wenig erwidert wurde, dass er noch nie im Leben hier gewesen war. Über einen bevorstehenden Besuch bei seinem Vater war zwar oft geredet worden, doch er kam nie zustande.

Nun, als sein Vater heiratete, fand man es ein dringendes Gebot der Höflichkeit, dass der Besuch stattfände. In diesem Punkt gab es keine abweichende Meinung, weder anlässlich des Teebesuchs von Mrs. Perry bei Mrs. und Miss Bates noch anlässlich der Gegenbesuche von Mrs. und Miss Bates. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo Mr. Frank Churchill sich bei ihnen einfinden musste; und die Hoffnung erstarkte, als bekannt wurde, dass er seiner neuen Mutter zu dem Ereignis geschrieben hatte. Ein paar Tage lang war bei jedem Vormittagsbesuch in Highbury von dem schönen Brief die Rede, den Mrs. Weston erhalten hatte. «Sie wissen wohl von dem schönen Brief, den Mr. Frank Churchill an Mrs. Weston geschrieben hat? Wie ich höre, war es wirklich ein schöner Brief. Mr. Woodhouse hat mir davon erzählt. Mr. Woodhouse hat den Brief gesehen und sagt, er habe nie im Leben einen so schönen Brief gesehen.»

Und es war in der Tat ein hochgeschätzter Brief. Mrs. Weston hatte sich natürlich eine sehr günstige Meinung von dem jungen Mann gemacht, denn solch reizende Aufmerksamkeit war ein überzeugender Beweis seiner Herzensbildung; auch vermehrte er auf willkommene Art jede Quelle und jeden Ausdruck herzlicher Mitfreude, die ihrer Heirat bereits zuteilgeworden war. Sie fühlte sich als eine vom Glück besonders begünstigte Frau, und sie war alt genug, um zu wissen, dass man sie mit Recht glücklich nennen durfte, wenn nichts sie betrübte als die zeitweilige Trennung von Freunden, deren freundschaftliche Gefühle für sie sich nie abgekühlt hatten und die es schwer ertrugen, sie scheiden zu sehen.

Sie wusste wohl, dass man sie dann und wann vermissen würde, und konnte sich nicht ohne Kummer vorstellen, dass Emma auch nur um ein einziges Vergnügen gebracht werden oder auch nur eine Stunde unter Langeweile leiden sollte aus Mangel an ihrer freundschaftlichen Nähe; aber die liebe Emma war nicht von schwächlichem Charakter; sie war ihrer Lage gewachsen, besser, als die meisten Mädchen es gewesen wären, und hatte Verstand, Energie und Temperament, von denen man hoffen durfte, dass sie sie gut und beschwingt über die kleinen Schwierigkeiten und Entbehrungen der neuen Lage hinwegheben würden. Und außerdem lag großer Trost im Gedanken an die bequeme Entfernung Randalls’ von Hartfield, die sogar für unbegleitete weibliche Spaziergänge günstig war, ferner im Gedanken an Mr. Westons gesunde Natur und Anlagen, die auch in der bevorstehenden raueren Jahreszeit einen beinahe täglichen Verkehr mit der Familie Woodhouse gestatten würden.

Ihre Lage gab Mrs. Weston überhaupt Anlass zu ganzen Stunden der Dankbarkeit und nur zu Momenten des Bedauerns; und ihre Zufriedenheit – ja mehr als Zufriedenheit, ihre freudige Heiterkeit war so echt und so sichtbar, dass Emma, so gut sie ihren Vater kannte, zuweilen in Staunen geriet, dass er noch immer geneigt war, die «arme Miss Taylor» zu bedauern, etwa wenn sie sie in Randalls inmitten jeden häuslichen Behagens zurückließen oder sie am Abend weggehen sahen, von ihrem netten Mann zum eigenen Wagen geleitet. Aber sie ging nie fort, ohne dass Mr. Woodhouse einen leisen Seufzer von sich gegeben und gesagt hätte: «Ach, die arme Miss Taylor! Sie würde sehr gerne hierbleiben.»

Miss Taylor war nicht wiederzuerlangen – und die Wahrscheinlichkeit gering, dass er aufhören würde, sie zu bemitleiden; doch nach ein paar Wochen kam für Mr. Woodhouse einige Erleichterung. Die Glückwünsche seiner Nachbarn waren überstanden; er wurde nicht mehr gereizt, indem man ihm zu einem so traurigen Ereignis gratulierte; und der Hochzeitskuchen, dessentwegen er sich schwere Sorgen gemacht hatte, war ganz aufgegessen. Sein eigener Magen ertrug nichts Schweres und Fettes, und er vermochte nie zu glauben, dass andere Leute anders waren als er. Was ihm nicht bekam, betrachtete er als unzuträglich für jedermann; er hatte sie deshalb inständig zu bewegen versucht, ganz auf den Hochzeitskuchen zu verzichten, und, als dies nicht gelang, ebenso inständig zu verhindern versucht, dass irgendjemand davon aß. Er hatte sich sogar die Mühe genommen, Mr. Perry, den Landarzt, in dieser Sache zu konsultieren. Mr. Perry war ein kluger, fein gesitteter Mann, dessen häufige Besuche zu den Annehmlichkeiten von Mr. Woodhouses Leben zählten; und nach seiner Meinung gefragt, konnte er nur bestätigen (wiewohl dies eher seinen persönlichen Neigungen widersprach), dass ein Hochzeitskuchen für viele Menschen gewiss unzuträglich sein könnte – vielleicht für die meisten –, wenn nicht mit Maß genossen. Mit solch einer Meinung, in Bestätigung seiner eigenen, hoffte Mr. Woodhouse jeden Gast der Neuvermählten zu beeinflussen; aber dennoch wurde der Kuchen gegessen; und seine menschenfreundlichen Nerven fanden keine Ruhe, ehe er ganz aufgezehrt war.

Es entstand das sonderbare Gerücht in Highbury, sämtliche kleinen Perrys wären mit einem Stück von Mrs. Westons Hochzeitskuchen in der Hand gesehen worden; doch Mr. Woodhouse wollte es durchaus nicht glauben.

3

Mr. Woodhouse hatte auf seine Art gern Gesellschaft. Er mochte es sehr, wenn seine Bekannten ihn besuchen kamen; und aus verschiedenen zusammenwirkenden Gründen, wegen seines langen Aufenthalts in Hartfield und seines freundlichen Wesens, wegen seines Vermögens, seines Hauses und seiner Tochter, standen ihm die Besuche seines eigenen kleinen Kreises fast nach Belieben zur Verfügung. Er verkehrte wenig mit Familien außerhalb dieses Kreises; seine Scheu vor Anlässen zu später Stunde und vor großen Nachtessen machte ihn ungeeignet zu anderem Verkehr als dem mit Leuten, die bereit waren, sich ihm anzupassen. Glücklicherweise fanden sich viele von dieser Art in Highbury, in dem zur selben Kirchgemeinde gehörigen Randalls sowie in der benachbarten Kirchgemeinde Donwell Abbey, dem Wohnsitz Mr. Knightleys. Nicht selten, auf Emmas Zureden hin, lud er einige der Erwählten und Besten zum Mittagessen ein; doch was ihm besonders zusagte, war ein Beisammensein am Abend, und so verging – abgesehen von den Zeiten, wo er sich für Besuche nicht wohl genug fühlte – kaum ein Abend, an dem Emma ihm nicht die nötigen Mitspieler zum Kartenspiel verschaffen durfte.

Echte, seit Langem bestehende Freundschaft führte das Ehepaar Weston und Mr. Knightley zu ihm; und bei Mr. Elton, einem jungen Mann, der notgedrungen allein lebte, bestand keine Gefahr, dass er die Annehmlichkeit verschmähen würde, einen leeren Abend seiner trostlosen Einsamkeit mit der Eleganz und Geselligkeit von Mr. Woodhouses Salon und dem Lächeln seiner schönen Tochter zu vertauschen.

Auf diese Gruppe folgte eine zweite; unter den am leichtesten zu erlangenden Gästen waren hier Mrs. und Miss Bates und Mrs. Goddard, drei Damen, die eine Einladung nach Hartfield fast immer annahmen und die so oft abgeholt und wieder heimgebracht wurden, dass Mr. Woodhouse dies weder für James noch für die Pferde zu anstrengend fand. Hätte so etwas nur einmal im Jahr stattgefunden, so wäre es ein Ärgernis gewesen.

Mrs. Bates, die Witwe eines ehemaligen Pfarrers in Highbury, war eine sehr alte Dame, schon fast über alles hinweg außer Tee und Quadrille. Sie lebte mit ihrer unverheirateten Tochter in sehr bescheidenen Verhältnissen und genoss die ganze Zuneigung und Hochachtung, die eine harmlose alte Dame unter so widrigen Umständen hervorrufen kann. Für eine Frau, die weder jung, schön und reich noch verheiratet war, erfreute sich ihre Tochter eines höchst ungewöhnlichen Maßes von Beliebtheit. Sie hatte sich nie durch Schönheit oder Klugheit hervorgetan. Ihre Jugend war ereignislos vorübergegangen, und ihre Lebensmitte war der Betreuung einer hinfällig werdenden Mutter und dem Bemühen gewidmet, mit einer kleinen Rente auszukommen. Und dennoch war sie eine glückliche Frau, eine Frau zudem, deren Namen niemand ohne Wohlwollen aussprach. Es waren ihr eigenes Wohlwollen gegen alle Welt und ihr zufriedenes Gemüt, die solche Wunder wirkten. Sie liebte jedermann, interessierte sich für jedermanns Ergehen, erkannte mit raschem Blick jedermanns Verdienst; hielt sich für bevorzugt vom Schicksal inmitten all des Guten, das sie umgab: einer vortrefflichen Mutter und so zahlreicher guter Nachbarn und Freunde, und eines Zuhauses, wo es an nichts fehlte. Die Einfalt und Heiterkeit ihres Wesens, ihr zufriedener und dankbarer Sinn machten sie allen angenehm und waren für sie selbst eine Quelle des Glücks. Sie plauderte ausführlich über die kleinsten Dinge, was Mr. Woodhouses Bedürfnis nach einer Fülle von alltäglichen Mitteilungen und harmlosem Klatsch entgegenkam.

Mrs. Goddard war die Leiterin einer Schule – nicht eines Seminars oder Instituts oder dergleichen, das sich in langen Sätzen voll gezierten Unsinns anheischig macht, aufgrund neuer Prinzipien und neuer Systeme allgemeine Bildung mit feiner Sittlichkeit zu verbinden, und wo junge Damen gegen enormes Entgelt aus ihrer Gesundheit herausgeschraubt und in Eitelkeit hineingeschraubt werden können: vielmehr eines echten, ehrlichen, altmodischen Internats, wo eine vernünftige Menge von Kenntnissen und Fähigkeiten zu einem vernünftigen Preis vermittelt wurde und wohin man Mädchen zu dem Zwecke schicken konnte, dass sie einem nicht im Wege wären und sich zu ein bisschen Bildung durcharbeiteten ohne jede Gefahr, dass sie als Wunderkinder zurückkehrten. Mrs. Goddards Schule genoss den besten Ruf – und sehr zu Recht; denn Highbury galt als besonders gesunder Ort. Sie besaß ein geräumiges Haus und einen großen Garten, gab den Kindern reichlich gesunde Nahrung, ließ sie im Sommer viel im Freien herumlaufen und verband im Winter ihre Frostbeulen mit eigener Hand. Es war kein Wunder, dass jetzt eine Prozession von zwanzig Jungmädchen-Paaren hinter ihr her zur Kirche zog. Sie war eine einfache, mütterliche Frau, die in ihrer Jugend schwer gearbeitet hatte und sich nun zum gelegentlichen Ausspannen bei einer Teevisite berechtigt glaubte; und da sie Mr. Woodhouses Güte in früheren Tagen viel verdankte, durfte er, wie sie meinte, besonders von ihr erwarten, dass sie wann immer möglich ihr schmuckes, ringsum mit feinen Handarbeiten behängtes Wohnzimmer verließ und bei seinem Kaminfeuer ein paar Sixpence-Stücke gewann oder verlor.

Dies waren die Damen, die einzuladen Emma sich sehr oft in der Lage fand; und glücklich war sie um ihres Vaters willen, dass ihr dies gelang, obschon darin – was sie persönlich betraf – kein Ersatz für die fehlende Mrs. Weston lag. Sie freute sich herzlich, zu sehen, dass ihr Vater sich wohlfühlte, und war sehr zufrieden mit sich, weil sie alles so gut arrangiert hatte. Allein, das behagliche Dahinplaudern dreier Frauen von solcher Art gab ihr das Gefühl, dass jeder so verbrachte Abend nun wirklich einer von den langen Abenden war, vor denen sie sich schon im Voraus gefürchtet hatte.

Als sie eines Morgens dasaß und genau solch einem Abschluss des heutigen Tages entgegensah, wurde ihr ein Briefchen von Mrs. Goddard überbracht, in welchem diese in ausgesucht höflicher Form um die Erlaubnis bat, Miss Smith mitzubringen; eine sehr willkommene Bitte; denn Miss Smith war ein siebzehnjähriges Mädchen, das Emma sehr wohl vom Sehen kannte und für das sie sich schon lange um seiner Schönheit willen interessiert hatte. Eine sehr liebenswürdige Einladung wurde zurückgesandt und von der schönen Herrin des Gutshauses der Abend nun nicht mehr gefürchtet.

Harriet Smith war jemands natürliche Tochter. Jemand hatte sie vor mehreren Jahren in Mrs. Goddards Internat untergebracht, und jemand hatte sie kürzlich von der Stellung einer Schülerin zu derjenigen einer Pensionärin und Haustochter erhoben. Mehr war von ihrer Geschichte niemandem bekannt. Sie hatte augenscheinlich keine andern Freunde als die in Highbury erworbenen; im gegenwärtigen Moment war sie gerade von einem langen Landaufenthalt bei zwei jungen Damen zurückgekehrt, die mit ihr zusammen im Internat gewohnt hatten.

Sie war ein sehr hübsches Mädchen, und ihre Schönheit war zufällig von der Art, die Emma besonders bewunderte. Sie war zierlich, rundlich, hatte eine helle Haut mit einem schönen rosigen Hauch, blaue Augen, lichtes Haar, regelmäßige Gesichtszüge und einen Ausdruck von großer Sanftheit; und ehe der Abend noch zu Ende war, hatte Emma an ihrem Benehmen ebenso viel Gefallen gefunden wie an ihrem Äußeren und war fest entschlossen, die Bekanntschaft fortzusetzen.

In Miss Smith’ Konversation war ihr zwar nichts ungewöhnlich Kluges aufgefallen, allein, sie fand sie höchst einnehmend – nicht unpassend schüchtern und nicht ungeneigt zum Plaudern – und doch so weit entfernt, sich im Gespräch vorzudrängen; sie zeigte eine so richtige und ihr wohl anstehende Ehrerbietung, schien so reizend dankbar für die Einladung nach Hartfield und so ehrlich beeindruckt, dass alles, was sie hier umgab, einen so viel vornehmeren Anstrich hatte, als sie es gewohnt war, dass sie sicherlich Herzensbildung besaß und Ermunterung verdiente. Ermunterung sollte sie auch erhalten. Diese sanften blauen Augen und all diese natürlichen Reize sollten nicht für die untergeordnete Gesellschaft Highburys und ihren Anhang verschwendet werden. Die Bekannten, mit denen sie bereits verkehrte, waren ihrer unwürdig. Die befreundete Familie, von der sie gerade Abschied genommen hatte, sehr rechte Leute in ihrer Art, musste ihr auf die Dauer schaden. Es war eine Familie Martin, die Emma dem Namen nach gut kannte; die Martins hatten einen großen Bauernhof von Mr. Knightley gepachtet und lebten in der Gemeinde Donwell – durchaus rechtschaffen, wie sie glaubte: Sie wusste, dass Mr. Knightley sie hoch achtete; allein, sie waren bestimmt derb und ungeschliffen, ganz ungeeignet zu traulichem Verkehr mit einem Mädchen, das, um vollkommen zu sein, nur noch etwas mehr Wissen und gesellschaftlichen Schliff nötig hatte. Sie selbst würde ihr Beachtung schenken; sie würde sie veredeln; sie würde sie dem schlechten Bekanntenkreis entziehen und sie in gute Gesellschaft einführen; sie würde sie im richtigen Denken und Benehmen unterweisen. Dies wäre eine interessante und bestimmt sehr menschenfreundliche Aufgabe, ihrer eigenen Stellung im Leben, ihrer freien Zeit und ihren Möglichkeiten höchst angemessen.

Sie war so damit beschäftigt, die sanften blauen Augen zu bewundern, zu plaudern und zuzuhören und sich dazwischen alle diese Pläne durch den Kopf gehen zu lassen, dass der Abend mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit dahinflog und der Tisch mit dem Imbiss, der solche Einladungen stets beschloss und auf dessen pünktliches Erscheinen sie früher jeweils gewartet hatte, gedeckt und bereit und näher zum Kamin herangerückt worden war, ehe sie sich’s versah. Mit einer Beschwingtheit, die hinausging über das normale Streben, alles gut und aufmerksam zu tun, mit dem echten Wohlwollen eines von den eigenen Ideen angefeuerten Gemüts versah sie dann bei der Mahlzeit ihre Hausfrauenpflichten, servierte und empfahl das Geflügelhaschee und die überbackenen Austern mit einer Dringlichkeit, die – so wusste sie – geeignet war, die höflichen Bedenken ihrer Gäste wegen der vorgeschrittenen Stunde und der Umstände, die man ihretwegen machte, zu zerstreuen.

Bei derartigen Anlässen lagen die Gefühle des armen Mr. Woodhouse miteinander in argem Streit. Er liebte es, wenn der Tisch gedeckt wurde, denn so war es in seiner Jugend der Brauch gewesen; doch seine Überzeugung, dass Abendmahlzeiten sehr ungesund waren, machte ihn eher bekümmert, wenn er sah, dass man etwas darauf stellte; und während seine Gastfreundschaft den Besuchern alles von Herzen gern gegönnt hätte, beklagte er es aus Sorge für ihre Gesundheit, dass sie aßen.

Eine kleine Schale mit dünnem Haferbrei, wie er selbst eine hatte, war alles, was er mit gutem Gewissen empfehlen konnte; während die Damen behaglich daran waren, mit den leckersten Sachen aufzuräumen, überwand er sich dann aber doch und sagte: «Mrs. Bates, darf ich Ihnen vorschlagen, dass Sie sich an eins von diesen Eiern heranwagen. Ein sehr weich gekochtes Ei ist nicht ungesund. Serle versteht sich besser als irgendwer aufs Eierkochen. Ich würde kein Ei empfehlen, das jemand anderer gekocht hätte – doch Sie brauchen keine Angst zu haben – sie sind ganz klein, wie Sie sehen –, eins von unsern kleinen Eiern wird Ihnen nicht schaden. Miss Bates, lassen Sie sich von Emma ein kleines Stückchen Kuchen reichen – ein ganz kleines Stückchen. Wir haben nur Apfelkuchen. Hier brauchen Sie keine Angst zu haben vor ungesunden Konserven. Zur Vanillecreme rate ich nicht. Mrs. Goddard, was meinen Sie zu einem halben Glas Wein? Ein kleines halbes Glas, zu einem Becher Wasser gemischt? Ich glaube, das wird Ihnen nicht schlecht bekommen.»

Emma ließ ihren Vater reden – bediente aber ihre Gäste auf viel befriedigendere Art; am heutigen Abend machte es ihr besondere Freude, sie glücklich nach Hause zu entlassen. Die Beglücktheit Miss Smith’ entsprach genau Emmas Absichten. Miss Woodhouse war in Highbury eine so wichtige Person, dass die Aussicht, ihr vorgestellt zu werden, ebenso viel Angst wie Freude hervorgerufen hatte; allein, das bescheidene, dankbare kleine Mädchen ging mit Gefühlen höchster Genugtuung fort, entzückt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher Miss Woodhouse sie den ganzen Abend behandelt hatte; und zum Abschied hatte sie ihr sogar die Hand gereicht.

4

Harriet Smith’ traulicher Verkehr mit Hartfield war bald eine feste Einrichtung. Rasch und entschlossen in ihrem Wesen, verlor Emma keine Zeit, sie einzuladen, zu ermuntern und zu häufigem Kommen aufzufordern; und je näher sie einander kennenlernten, umso mehr waren sie voneinander angetan. Wie nützlich sie ihr als Wanderkameradin sein würde, hatte Emma schon früh vorausgesehen. In dieser Beziehung war Mrs. Westons Verlust bedeutsam gewesen. Ihr Vater ging nie weiter spazieren als bis zum Strauchgarten, wo zwei Bereiche des Parks ihm für den langen Spaziergang, oder den kurzen, je nach der Jahreszeit, genügten; und so war sie seit Mrs. Westons Heirat in ihrer Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt. Sie hatte sich zwar einmal allein nach Randalls gewagt, doch es war kein Vergnügen; und deshalb wäre eine Harriet Smith, jemand, den sie jederzeit zu einem Spaziergang auffordern konnte, ein wertvoller Zuwachs an Annehmlichkeiten. Aber als sie sie öfters sah, begann sie sie auch sonst in jeder Beziehung zu schätzen und wurde in all ihren freundlichen Absichten bestärkt.

Harriet war zwar nicht besonders gescheit, aber sie hatte ein sanftes, schmiegsames, dankbares Wesen; sie war kein bisschen eingebildet und wünschte sich nur nach jemandem zu richten, zu dem sie aufblicken konnte. Die Zuneigung, die sie von Anfang an für sie, Emma, gefasst hatte, war reizend, und ihr Streben nach guter Gesellschaft, ihre Fähigkeit, zu schätzen, was kultiviert und gescheit war, zeigte, dass es ihr nicht an Geschmack mangelte, wenn auch Verstandesschärfe nicht erwartet werden durfte. Im Ganzen war Emma fest überzeugt, dass Harriet genau die junge Freundin war, die sie brauchte – genau das Etwas, das ihrem Heim fehlte. Von einer Freundin wie Mrs. Weston konnte freilich nicht die Rede sein. Zwei von solcher Art waren dem Menschen nicht beschieden. Zwei von solcher Art wollte sie auch nicht. Es war jetzt etwas ganz anderes – eine von der früheren verschiedene und unabhängige Empfindung. Mrs. Weston war Gegenstand einer Zuneigung, die sich auf Dankbarkeit und Achtung gründete. Harriet dagegen wurde geliebt als Mensch, dem sie nützlich sein konnte. Für Mrs. Weston war nichts zu tun; für Harriet alles.

Ihre ersten Nützlichkeitsversuche bestanden in der Bemühung, sich zu erkundigen, wer Harriets Eltern waren; doch Harriet konnte es nicht sagen. Sie war bereit, alles zu sagen, was sie wusste, aber in Bezug auf dieses Thema waren Fragen vergeblich. Emma war genötigt, sich vorzustellen, was ihr beliebte – aber sie konnte einfach nicht glauben, dass sie selbst in der gleichen Lage die Wahrheit nicht entdeckt hätte. Harriet hatte keinen Wissensdrang. Es hatte ihr genügt, genau das zu hören und zu glauben, was Mrs. Goddard ihr zu sagen für richtig hielt, und fragte nicht weiter.

Mrs. Goddard, die Lehrerinnen, die Mitschülerinnen und überhaupt alles, was die Schule anging, machten naturgemäß einen großen Teil ihrer Erzählungen aus – und hätte sie nicht die Bekanntschaft mit den Martins von der Abbey-Mill-Farm gehabt, so wäre es ganz dabei geblieben. Doch die Martins beschäftigten ihre Gedanken häufig; sie hatte bei ihnen zwei sehr glückliche Monate verbracht, sprach jetzt gerne von den Erlebnissen des Besuchs und beschrieb eifrig die vielen Freuden und Wunder des Ortes. Emma unterstützte ihr Bedürfnis, zu erzählen. Die Schilderung eines ganz anderen Kreises von Menschen machte ihr Spaß, und sie freute sich an der jugendlichen Einfalt, die mit so viel Begeisterung berichten konnte, Mrs. Martin hätte zwei Wohnzimmer, zwei wirklich schöne Wohnzimmer; das eine ganz so groß wie Mrs. Goddards Salon; und sie hätte eine Jungfer, die schon fünfundzwanzig Jahre bei ihr war; und sie hätten acht Kühe, darunter zwei Alderneys und eine kleine Waliser Kuh, eine wirklich hübsche kleine Waliser Kuh; und Mrs. Martin hätte gesagt, man sollte das Tier ihreKuh nennen, weil sie es gar so gernhatte; und sie hätten im Garten ein prächtiges Gartenhaus, wo sie nächstes Jahr einmal alle Tee trinken sollten – ein ganz prächtiges Gartenhaus, groß genug für ein Dutzend Leute.

Eine Zeit lang hatte sie Spaß daran, ohne sich über den unmittelbaren Anlass hinaus Gedanken zu machen; doch als sie die Familie besser kennenlernte, stiegen andere Gefühle in ihr auf. Sie hatte sich eine unrichtige Vorstellung gemacht, indem sie annahm, es wären eine Mutter und Tochter, ein Sohn und eine Sohnsfrau, die beieinander wohnten; doch als es sich zeigte, dass der Mr. Martin, der in der Erzählung eine Rolle spielte und wegen seiner liebenswürdigen Bereitschaft, dies und jenes zu tun, stets lobend erwähnt wurde, ein unverheirateter Mann war, dass es keine Frau, keine junge Mrs. Martin gab, witterte sie in dieser ganzen Gastlichkeit und Freundlichkeit Gefahr für ihre arme kleine Freundin: dass, wenn man sich nicht um sie kümmerte, jemand vielleicht einmal das Ansinnen an sie stellen würde, sich auf immer zu erniedrigen.

Bei dieser erregenden Vorstellung nahmen ihre Fragen an Zahl und Wichtigkeit zu; und sie ermunterte Harriet besonders, noch mehr von Mr. Martin zu erzählen – was augenscheinlich ohne Widerwillen geschah. Harriet war gerne bereit zu berichten, welchen Anteil er bei ihren Mondscheinspaziergängen und fröhlichen abendlichen Spielen gehabt hatte, und hob beflissen hervor, wie umgänglich und zuvorkommend er wäre. – Er sei einmal drei Meilen weit gegangen, um ihr Walnüsse zu holen, weil sie gesagt hätte, wie gerne sie sie esse – und überhaupt sei er in jeder Beziehung so überaus zuvorkommend! Er hatte den Sohn seines Schäfers eines Abends ins Wohnzimmer kommen lassen, damit er ihr vorsinge. Sie hörte so gern singen. Er könne auch selbst ein wenig singen. Sie glaube, er sei sehr gescheit und verstehe alles. Er habe eine sehr schöne Schafherde; und während sie noch dort weilte, habe man ihm mehr für seine Wolle geboten als jedem andern in der Umgebung. Sie glaube, jedermann spreche nur Gutes von ihm. Seine Mutter und Schwestern liebten ihn sehr. Mrs. Martin habe ihr einmal gesagt (und ein Erröten kam bei den folgenden Worten), man könne sich keinen besseren Sohn vorstellen; und darum sei sie sicher, dass er, wenn er einmal heiratete, ein guter Ehemann sein würde. Nicht dass sie wünschte, er möchte heiraten. Ihr eilte es damit gar nicht!

«Ausgezeichnet, Mrs. Martin!», dachte Emma. «Sie wissen, wie Sie es anstellen müssen.»

Und als sie von dort zurückgekehrt war, hätte Mrs. Martin die große Güte gehabt, Mrs. Goddard eine prächtige Gans zu schicken: die schönste Gans, die Mrs. Goddard je gesehen hatte. Mrs. Goddard hätte sie an einem Sonntag gebraten, und alle drei Lehrerinnen, Miss Nash, Miss Prince und Miss Richardson, zum Essen eingeladen.

«Mr. Martin verfügt wohl über kein Wissen, das über sein eigenes Tätigkeitsgebiet hinausreicht. Er liest nicht?»

«O doch! Das heißt, nein – ich weiß nicht … aber ich glaube, er hat eine Menge gelesen – freilich nicht das, was Sie für wichtig halten würden. Er liest die Landwirtschaftlichen Berichte und ein paar andere Bücher, die in einer von den Fensternischen liegen – aber die liest er alle für sich allein. Doch abends zuweilen, bevor wir zum Kartenspielen gingen, las er etwas vor aus den Eleganten Zitaten – sehr amüsant. Und ich weiß, dass er den Landpfarrer von Wakefield gelesen hat. Die Romanze vom Walde und auch die Kinder von der Abtei2 hat er zwar nicht gelesen. Er hatte von solchen Büchern nie etwas gehört, ehe ich sie erwähnte, aber er will sie sich jetzt so schnell wie möglich beschaffen.»

Die nächste Frage lautete: «Welchen Eindruck macht denn Mr. Martin als Mann?»

«Oh! Schön ist er nicht – ganz und gar nicht. Am Anfang fand ich ihn sehr unscheinbar, doch so unscheinbar finde ich ihn jetzt nicht mehr. Nach einer gewissen Zeit sieht man eben die Menschen anders. Aber haben Sie ihn denn nie gesehen? Er ist immer wieder einmal in Highbury und fährt jede Woche regelmäßig durch, wenn er nach Kingston unterwegs ist. Er ist schon oft an Ihnen vorübergefahren.»

«Mag sein – und ich habe ihn vielleicht fünfzigmal gesehen, ohne eine Ahnung zu haben, wie er heißt. Ein junger Bauer, mag er nun zu Pferde sitzen oder zu Fuß gehen, gehört zu den Leuten, die mich nicht im Geringsten interessieren. Die kleinen Grundbesitzer sind genau der Kreis von Leuten, mit denen ich meiner Meinung nach nichts zu schaffen haben kann. Ein oder zwei Stufen darunter, dazu ein vertrauenerweckendes Aussehen, das könnte mein Interesse erregen; ich könnte hoffen, ihren Familien auf die eine oder andere Art nützlich zu sein. Aber ein Bauer bedarf gewiss keiner Hilfe von mir und steht daher in einem bestimmten Sinne ebenso viel höher als jene, denen ich Beachtung schenke, wie er in jedem andern Sinne tiefer steht.»

«Sicherlich. O ja! Es ist unwahrscheinlich, dass Sie ihn je wahrgenommen haben – doch er kennt Sie ganz genau – ich meine vom Sehen.»

«Ich zweifle nicht daran, dass er ein sehr ehrenwerter junger Mann ist. Ich weiß in der Tat, dass er das ist, und darum wünsche ich ihm nur Gutes. Wie alt schätzen Sie ihn?»

«Er war vierundzwanzig am 8. Juni, und mein Geburtstag ist am 23. – nur fünfzehn Tage Unterschied! Was sehr merkwürdig ist!»

«Erst vierundzwanzig. Das ist zu jung, um sich zu binden. Seine Mutter hat vollkommen recht, wenn es ihr damit nicht eilt. So, wie sie jetzt sind, scheint es allen sehr wohl zu sein, und wenn sie Anstrengungen machen würde, ihn zu verheiraten, würde sie’s vermutlich bereuen. In sechs Jahren, wenn er dann mit einem rechtschaffenen Mädchen bekannt würde, von gleichem Rang wie er, mit ein bisschen Vermögen, wäre das wohl sehr erwünscht.»

«In sechs Jahren! Liebe Miss Woodhouse, dann wäre er ja schon dreißig Jahre alt!»

«Nun ja, das ist so früh, wie die meisten Männer ans Heiraten denken können, die nicht durch ihre Geburt auf ein Vermögen Aussicht haben. Mr. Martin, stelle ich mir vor, muss ein Vermögen erst erwerben – kann sich’s durchaus noch nicht wohl sein lassen. Wie viel Geld er auch immer erben könnte, wenn sein Vater gestorben wäre, wie viel auch immer sein Anteil am Familienbesitz sein mag, so ist das doch, glaube ich, alles nicht greifbar, alles in seinem Viehbestand und so weiter angelegt; und obschon er mit Fleiß und Glück im Lauf der Zeit reich werden mag, ist es doch nahezu unmöglich, dass er schon jetzt etwas erspart hat.»

«Freilich, so ist es. Aber sie leben recht behaglich. Sie haben zwar keinen Hausdiener – sonst aber fehlt es ihnen an nichts; und Mrs. Martin spricht davon, dass sie später einmal einen Burschen anstellen will.»

«Ich möchte nur nicht, dass Sie in Verlegenheit geraten, Harriet, wenn er dann tatsächlich heiratet – ich meine dadurch, dass Sie mit seiner Frau bekannt werden müssten –, denn wenn sich auch gegen seine Schwestern mit ihrer höheren Bildung eigentlich nichts einwenden lässt, so folgt daraus nicht, dass er einmal eine erwählen wird, die zu beachten sich für Sie schickt. Die Nachteile Ihrer Geburt sollten Sie in Bezug auf Ihren Umgang besonders vorsichtig machen. Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass Sie die Tochter eines Mannes von Stande sind, und Sie müssen Ihr Anrecht auf diesen Rang behaupten mit allem, was Ihnen zu Gebote steht, denn sonst werden viele Leute sich ein Vergnügen daraus machen, Sie hinunterzuziehen.»

«Ja, sicherlich – solche wird es wohl geben. Aber solange ich in Hartfield verkehre und Sie so gütig zu mir sind, Miss Woodhouse, habe ich keine Angst vor dergleichen.»

«Sie verstehen die Macht des Einflusses ziemlich gut, Harriet, doch ich möchte Sie der gehobenen Gesellschaft so sicher zugeordnet wissen, dass Sie sogar von Hartfield und Miss Woodhouse unabhängig sind. Ich möchte Sie in die besten Kreise aufgenommen sehen – und um dies zu erreichen, wird es sich empfehlen, so wenig Zufallsbekannte wie möglich zu haben; und deswegen – ich sage das für den Fall, dass Sie sich noch in unserer Gegend aufhalten, wenn Mr. Martin heiratet –, deswegen möchte ich nicht, dass Sie durch Ihre Freundschaft mit den Schwestern mit hineingezogen werden in eine Beziehung zu der jungen Frau, die wahrscheinlich nur irgendeine ungebildete Bauerntochter sein wird.»

«Gewiss. Ja. Ich glaube zwar nicht, Mr. Martin würde jemanden heiraten, der nicht etwas Bildung hätte und sorgfältig erzogen worden wäre. Aber ich will meine Ansicht nicht der Ihrigen entgegenstellen – und ich bin auch sicher, dass es mich nicht verlangen wird, seine Frau kennenzulernen. Den Miss Martins werde ich stets herzlich zugetan bleiben, besonders Elizabeth, und es würde mich schmerzen, von ihnen zu lassen, denn sie sind genauso gut erzogen wie ich. Doch wenn er eine ganz unwissende, gewöhnliche Frau heiratet, ist es bestimmt besser, nicht mit ihr zu verkehren, wenn es sich vermeiden lässt.»

Emma betrachtete sie beim Auf und Ab dieser Rede und bemerkte keine bedrohlichen Symptome von Liebe. Der junge Mann war der erste gewesen, der sie bewunderte, doch sie glaubte fest, dass keine andere Bindung bestand und dass es von Harriets Seite ihren eigenen wohlgemeinten Plänen gegenüber keine ernsthaften Schwierigkeiten geben würde.

Sie begegneten Mr. Martin schon am folgenden Tage, als sie auf der Landstraße nach Donwell wanderten. Er ging zu Fuß, und nach einem höchst ehrfurchtsvollen Blick auf sie selbst schaute er mit ganz ehrlicher Freude ihre Begleiterin an. Emma bedauerte gar nicht, solch eine Gelegenheit zum Beobachten zu haben; und indem sie ein paar Schritte zur Seite trat, während die beiden miteinander plauderten, machte sie ihr rasch aufnehmendes Auge bald hinreichend mit Mr. Robert Martin bekannt. Sein Äußeres war sehr ordentlich, und er erweckte den Eindruck eines verständigen jungen Mannes; doch seine persönliche Erscheinung hatte keine weiteren Vorzüge, und bei einem Vergleich mit Männern von Stande müsste er – so meinte sie – das ganze Terrain verlieren, das er in Harriets Neigung gewonnen hatte. Harriet war nicht unempfänglich für gutes Benehmen; sie hatte von selbst ihres Vaters Umgangsformen mit Bewunderung und auch mit Staunen wahrgenommen. Mr. Martin sah aus, als wüsste er nicht, was gutes Benehmen ist.

Sie verweilten nur wenige Minuten beieinander, da man Miss Woodhouse nicht warten lassen durfte; und Harriet kam dann auf sie zugelaufen mit lächelndem Antlitz und in einer freudigen Aufregung, die Miss Woodhouse rasch zu besänftigen hoffte.

«Zu denken, dass wir ihm so zufällig begegnet sind! Höchst merkwürdig! Um ein Haar hätte er den Weg an Randalls vorbei gewählt, sagte er. Er hätte nicht gedacht, dass wir je auf dieser Straße spazierten. Er meinte, wir gingen fast täglich gegen Randalls zu. Es war ihm noch nicht möglich, sich die Romanze vom Walde zu beschaffen. Als er das letzte Mal in Kingston war, hatte er so viel zu tun, dass er’s ganz vergaß, aber morgen fährt er wieder hin. So höchst merkwürdig, dass wir einander zufällig getroffen haben! Nun, Miss Woodhouse, ist er so, wie Sie erwartet haben? Was halten Sie von ihm? Finden Sie ihn gar so gewöhnlich?»

«Er ist sehr gewöhnlich, zweifellos – auffallend gewöhnlich –, aber das ist nichts im Vergleich mit seinem völligen Mangel an vornehmem Auftreten. Ich war freilich nicht berechtigt, viel zu erwarten, und ich erwartete auch nicht viel; doch ich hätte mir nicht vorgestellt, dass er so bäurisch, so völlig ohne Grazie sein könnte. Ich hatte ihn mir – das muss ich gestehen – eine oder zwei Stufen näher zum Vornehmen hin gedacht.»

«Sicherlich», sagte Harriet kleinlaut, «ist er nicht so vornehm wie ein wirklicher Mann von Stande.»

«Ich glaube, Harriet, seitdem Sie bei uns verkehren, waren Sie wiederholt in Gesellschaft derart wirklicher Männer von Stande, dass Ihnen selbst auffallen muss, wie anders Mr. Martin ist. In Hartfield haben Sie sehr schöne Exemplare von gut erzogenen gebildeten Männern gehabt. Es würde mich überraschen, wenn Sie, nachdem Sie sie gesehen haben, wieder in Mr. Martins Gesellschaft sein könnten, ohne zu merken, dass er ein höchst ungeschliffener Mensch ist – und ohne sich über sich selbst zu wundern, dass Sie ihn vorher je als angenehmen Umgang empfunden haben. Gehen Ihnen nicht allmählich die Augen auf? Waren Sie nicht betroffen? Sicherlich waren Sie betroffen von seinem verlegenen Gesicht, von seinen eckigen Bewegungen – und von den seltsam rauen Lauten einer Stimme, die mir ganz ohne Wohlklang erschien, als ich hier stand.»

«Gewiss, er ist nicht wie Mr. Knightley. Er hat nicht das elegante Auftreten und den schönen Gang von Mr. Knightley. Ich sehe den Unterschied klar genug. Aber Mr. Knightley ist eben solch ein eleganter Mann!»

«Mr. Knightleys Auftreten ist so bemerkenswert gut, dass es nicht fair ist, Mr. Martin gerade mit ihm zu vergleichen. Sie sehen unter Hunderten nicht einen, dem Gentleman so deutlich im Gesicht geschrieben steht wie ihm. Aber er ist nicht der einzige Mann von Stande, mit dem Sie in letzter Zeit zusammenkamen. Was sagen Sie zu Mr. Weston und Mr. Elton? Vergleichen Sie Mr. Martin mit einem von diesen beiden. Vergleichen Sie die Art, wie sie sich halten, wie sie gehen; wie sie sprechen; wie sie schweigen. Sie müssen den Unterschied merken.»

«O ja! Da ist gewiss ein großer Unterschied. Aber Mr. Weston ist beinahe schon ein alter Mann. Mr. Weston muss so zwischen vierzig und fünfzig sein.»

«Was seine guten Manieren umso wertvoller macht. Je älter ein Mann wird, Harriet, umso wichtiger ist es, dass er keine schlechten Manieren hat – umso auffallender und abstoßender wirkt dann lautes, derbes, linkisches Wesen. Was in der Jugend noch hingehen mag, ist im Alter hässlich. Mr. Martin ist jetzt linkisch und eckig; wie wird er sein, wenn er einmal Mr. Westons Alter hat?»

«Das lässt sich nicht sagen, nein», erwiderte Harriet sehr nachdenklich.

«Doch es lässt sich wohl ziemlich gut erraten. Er wird ein schwerfälliger, ordinärer Bauer sein – nicht im Geringsten auf seine äußere Erscheinung achten und an nichts anderes denken als an Gewinn und Verlust.»

«Wird er das wirklich? Das wird sehr schlimm sein.»