Emmi in Korea 6: Neujahr auf Koreanisch - Stephanie Auten - E-Book

Emmi in Korea 6: Neujahr auf Koreanisch E-Book

Stephanie Auten

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Beschreibung

Weihnachten ist vorbei und der Schock bei Emmi sitzt tief: Anne wird zurück nach Shanghai ziehen – und das schon in ein paar Wochen! Also wird Emmi nicht nur ihre beste Freundin in Korea verlieren – sondern auch ihren Schwarm Jan, Annes Bruder. Was macht es jetzt noch für einen Sinn für Emmi, länger in Seoul zu bleiben? Oder können sie und ihre Freundinnen den Umzug doch noch verhindern?
Und dann kommt da plötzlich noch diese ominöse Einladung von Jan – bei der er ein Geheimnis enthüllt, mit dem Emmi nie im Leben gerechnet hätte…

Teil 6 – der letzte Teil – der etwas anderen Buchreihe „Emmi in Korea“ über große Veränderungen, Freundschaft, Eltern und natürlich… Liebe!

Alle sechs Bände sind als E-Book erhältlich:

Band 1: Emmi in Korea - Urlaub mit Folgen
Band 2: Emmi in Korea - Umzug mit Hindernissen
Band 3: Emmi in Korea - Schulstart mit Herzklopfen
Band 4: Emmi in Korea - Herbstferien mit Nervenkitzel
Band 5: Emmi in Korea - Weihnachtszeit mit Pferdefuß
Band 6: Emmi in Korea - Neujahr auf Koreanisch

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel 1 – Flauschige Begrüßung

Kapitel 2 – Unerwartete Begegnung

Kapitel 3 – Kopf hoch!

Kapitel 4 – Verfolgungsjagd

Kapitel 5 – Erwischt

Kapitel 6 – Es wird ernst…

Kapitel 7 – Eine Frage des Alters

Kapitel 8 – Du bist dran…

Kapitel 9 – Und es geht weiter

Kapitel 10 – Ein letztes Lied

Epilog

Ausblick und Feedback

Danksagung

Emmi in Korea

***

Band 6

Neujahr auf Koreanisch

Impressum

©/Copyright: Leipzig, 2022 – Stephanie Auten

Anschrift:

Stephanie Auten

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

E-Mail: [email protected]

Umschlaggestaltung und -illustration: Katharina Netolitzky,

https://katharina-netolitzky.jimdo.com/

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Kapitel 1 – Flauschige Begrüßung

Fuchs! Oh mein Gott, Fuchs, ich hab dich so vermisst!« Umständlich lässt Emmi sich auf die Knie sinken, was mit der dicken Schiene, die sie am linken Unterschenkel trägt, gar nicht so einfach ist. Und weil ihr geliebter Hund sich ebenso wie seine Besitzerin nahezu überschlägt vor Wiedersehens-freude und Emmi damit fast zum Umkippen bringt.

Ein Stein in der Größe eines Zementblocks fällt Emmi vom Herzen. Die letzten Stunden im Flug-zeug nach Seoul war sie superungeduldig, aber auch supernervös gewesen: Was hätte Emmi nur gemacht, wenn der orange-weiße Fundhund von der Insel Jeju sie gar nicht wiedererkannt hätte nach ihren immerhin drei Wochen Aufenthalt in Deutschland? Schließlich ist Fuchs erst wenige Monate bei Familie Mayer.

Oder was, wenn er sich gar nicht gefreut, sondern sich schnurstracks zu Jeon-Kyeong umdreht hätte, die sich über Weihnachten und Neujahr so liebevoll um ihn gekümmert hat?

Doch Emmis Angst war völlig unbegründet, das zeigt Fuchs zum Glück mehr als deutlich: Er wedelt wie wild mit dem Schwanz, quietscht sogar ein klein wenig vor Freude und springt immer wieder an Emmi hoch, um ihr kleine Küsschen zu geben.

Emmi mag das normalerweise gar nicht gern, aber heute lässt sie es sich gefallen, so sehr hat sie ihren Hundefreund in den drei Wochen Weihnachtsferien vermisst.

»Jetzt bin ich ja doch ein wenig eifersüchtig«, sagt Jeon-Kyeong mit einem Lächeln und verschränkt demonstrativ die Arme vor der Brust.

Emmi versucht aufzustehen, was ihr dank ihrer Fußfessel, wie Papa ihre Schiene liebevoll nennt, erst beim zweiten Versuch gelingt. Zu Silvester hatte Emmi sich dann auch ganz fest für das neue Jahr vorgenommen, nicht mehr so viel zu stolpern, hinzufliegen oder auszurutschen. Und wenn doch, dann nicht allein im Wald wie zuletzt kurz vor Weihnachten, sondern bevorzugt, wenn andere Leute in der Nähe sind – sie dürfen nur nicht genau in diesem Moment kucken. Diesen Vorsatz hat sie direkt am Neujahrsmorgen am Frühstückstisch mit ihrer Familie geteilt. Papa hat gelacht, ihr auf die Schulter geklopft und Emmi viel Glück gewünscht.

Nun steht Emmi, um ihren Fuß zu entlasten und die gerissene Sehne möglichst schnell verheilen zu lassen, wie ein Flamingo auf einem Bein und sieht ebenso verzückt wie Jeon-Kyeong dabei zu, wie Fuchs nun auch den Rest der Familie Mayer begrüßt. Vor allem ihr kleiner Bruder Benno freut sich fast genauso sehr wie Emmi, Fuchs wiederzusehen. Sofort grapscht er ungestüm in das weiche Hundefell und will auf Fuchs aufsteigen wie auf ein Pony. Dies versucht Papa zu verhindern, indem er Benno weghebt wie einen Karton, der im Weg steht. Benno quittiert dies mit einem Aufjaulen.

Nicht nur Emmi, auch alle anderen kneifen die Augen zusammen – das sieht sie aus dem Augen-winkel – in Erwartung, dass Benno gleich losbrüllen wird wie eine Sirene.

Doch der hat bereits seinen Spielzeug-Kipplaster in einer anderen Ecke des Wohnzimmers entdeckt und rennt auf ihn zu, jedoch nicht, ohne dabei ein-mal auf die Knie zu fliegen.

Es muss in der Familie liegen.

»Ihr müsst müde sein vom Flug.« Frau Park, die zusammen mit Jeon-Kyeong und ihrer kleinen Schwester die letzten Wochen in der Mayer'schen Wohnung verbracht hat, um auf Fuchs aufzupassen, zeigt auf den gedeckten Esstisch, auf dem bereits Kaffee und Tee vor sich hin dampft. »Wir werden gleich nach Hause fahren, damit ihr euch ausruhen könnt.«

»Oh, das wäre doch überhaupt nicht nötig gewesen!«, ruft Mama überrascht. »Bleibt doch noch ein wenig!« Es ist ihr anzusehen, wie sehr sie sich über den herzlichen Empfang in ihrer neuen zweiten Heimat freut. Und wahrscheinlich freut sie sich noch vielmehr, die anstrengende Reise endlich hinter sich zu haben. Der Flug war unruhig, so dass nicht nur Benno viel geweint hat, auch Papa ist zwischendurch ein paar Mal sehr blass geworden. Nur Emmi hatte Glück. Die hat aufgrund ihrer Schiene zwei Sitze ganz für sich allein bekommen. Aber das war auch dringend nötig, denn ein mehr als zehnstündiger Flug eingeklemmt zwischen Mama und Papa – oder vielleicht sogar ein paar Fremden – wäre für Emmi eine richtige Tortur geworden.

Emmi beugt sich erneut zu Fuchs runter, drückt ihr Gesicht in seinen Nacken, atmet seinen Duft ein und schließt die Augen. Sie weiß gerade nicht, ob sie müde oder aufgekratzt ist. Sie weiß nur, dass sie mit gemischten Gefühlen nach Südkorea zu-rückgekehrt ist. So holprig der Beginn der Weihnachtsferien in Deutschland auch war, so wohl hat sie sich doch zum Schluss gefühlt: mit Sina, nach-dem sie sich nach ihrem riesigen Streit endlich wie-der versöhnt hatten, mit Melanie, mit der sich Emmi irgendwann sogar richtig gut verstanden hat, mit Timo und Sina als frischgebackenem Pärchen, die so schüchtern und frischverliebt einfach nur zuckersüß in Emmis Augen sind und mit Opa sowieso immer. Sogar auf einem Pferd hat Emmi noch einmal gesessen, einem blonden Haflinger namens Susi, trotz Schiene, dank einer Leiter und Melanie, die Susi geduldig an einer Leine geführt hat. Und diesmal hat das Reiten Emmi sogar Spaß gemacht.

Alles hätte so schön sein können.

Wenn nur nicht Annes Nachricht am Weihnachtsabend gewesen wäre:

Zurück nach Shanghai.

Für immer.

Oder zumindest für ein paar Jahre.

Emmi schluckt und drückt ihr Gesicht dichter in das Hundefell.

Die Deutsche Schule ohne Anne ist einfach nicht dasselbe. Sie ist schließlich die engste Freundin, die Emmi hat! Und dann ist da ja auch noch Jan…

Emmi kann sich gar nicht vorstellen, wie es bald sein wird, ihm nicht mehr im Schulflur zu begegnen, auf dem Weg von einem Klassenzimmer ins andere. An der Bushaltestelle. Oder zuhause bei Anne. So viele Schmetterlinge sind ihr bei diesen Begegnungen im letzten halben Jahr im Bauch herumgeflattert. Und das soll nun in wenigen Wochen einfach vorbei sein?

Am liebsten wäre Emmi gleich ganz in Deutsch-land geblieben. Doch was wäre dann aus Fuchs geworden?

Natürlich haben Mama und Papa Emmi noch am Weihnachtsabend getröstet. Aber an den Tagen danach kam von ihnen nur noch so etwas wie Du wirst schon andere Freundinnen finden. So richtig unsensibel! Emmi möchte überhaupt keine anderen Freundinnen! Warum kann nicht alles genau so bleiben, wie es ist?

»Weißt du es schon?«, fragt Emmi Jeon-Kyeong leise, während sie am Esstisch zusammen Platz nehmen, und schaut ihr prüfend ins Gesicht. Eigentlich wollte Emmi nicht gleich damit heraus-platzen gegenüber Jeon-Kyeong, doch der Wunsch, sich mit jemandem über ihren Kummer auszutauschen, ist einfach zu groß. Und Jeon-Kyeong scheint die Einzige zu sein, die Emmi wirklich verstehen kann.

»Du meinst Anne?«, antwortet Jeon-Kyeong fast beiläufig, während sie einen Schluck Tee trinkt.

Emmi ist erleichtert. Jeon-Kyeong weiß es also auch schon.

Die starrt auf den gedeckten Tisch, aber sie nimmt sich nichts, so dass ihre Mutter ihr ungefragt zwei kleine Schüsseln mit Suppe und Reis hinstellt.

»Wir dachten, ihr mögt vielleicht ein koreanisches Frühstück nach all den Brötchen.«

Mama und Papa lachen, und auch Benno lacht mit, während Emmi und Jeon-Kyeong ihre Stimmung deutlich anzusehen ist.

»Ach ihr beiden!«, seufzt Mama und legt Emmi die Hand auf den Arm. »Wisst ihr, ich mag Annes Mutter auch. Schließlich waren wir zusammen im Urlaub. Sie wird mir auch fehlen.«

»Aber nicht so sehr wie Anne uns«, erwidert Emmi trotzig. »Wir sehen sie schließlich jeden Tag. Und bald…« Emmis Stimme stockt.

»Shanghai ist aber auch nicht aus der Welt«, fügt Mama hinzu. »Zumindest hier von Seoul aus nicht. Wir können sie besuchen. Vielleicht in den Osterferien. Was meinst du?«

Mama schaut Emmi aufmunternd an, aber Emmi hat dafür nicht mehr als ein Mundwinkelzucken übrig. Ostern – das ist ja noch Monate hin!

»Noch ist sie ja nicht weg«, versucht nun Papa die Stimmung am Tisch nicht vollkommen kippen zu lassen.

»Aber bald«, mault Emmi und knibbelt lustlos an einer Serviette herum. »Nur noch ein paar Wochen, dann wird sie weg sein.« Und Jan auch, fügt sie in Gedanken hinzu.

»Dann habt ihr ja noch ein paar Wochen, eure verbleibende Zeit in Seoul so gut wie möglich zu nutzen.«

»Und wie? Mit Schule?«, gibt Emmi zurück.

»Auch. Aber danach mit… quatschen… und… na, was ihr Mädels eben immer so macht.«

Emmi kann sich trotz ihrer schlechten Stimmung ein Grinsen nicht verkneifen. Für Papa ist Emmi wohl immer noch zehn und nicht dreizehn-dreiviertel. Wahrscheinlich denkt er, dass sie in ihrer Freizeit Bilder ausmalt und mit Plüschtieren spielt.

»Vielleicht hast du recht«, sagt sie irgendwann und schaut nicht ihren Vater, sondern Jeon-Kyeong an, die irritiert die Augenbraue hebt. »Ich hab zwar diese blöde Schiene an der Backe, aber wir sollten die nächsten Wochen hier in Seoul noch so viele Sachen wie möglich machen, damit Anne uns immer in Erinnerung behält. So richtig koreanische Sachen. Bist du dabei?«

Jeon-Kyeongs Gesicht hellt sich ein wenig auf und sie nickt, ohne zu zögern. »Klar bin ich dabei!«

Kapitel 2 – Unerwartete Begegnung

Zwei Tage später, am 9. Januar und dem ersten Montagmorgen nach den Weihnachtsferien, stakst Emmi um halb 8 Uhr, dank ihrer Fußfessel mechanisch wie ein Roboter, zu den großen Glasschiebe-türen am Eingang ihres Seouler Hochhauses. Über den Türen hängt neuerdings eine große digitale Anzeige mit roten Ziffern, auf der sich in regelmäßigem Takt die Uhrzeit und die Temperatur ab-wechseln. Angeblich sind es draußen minus zehn Grad. Emmi bleibt abrupt stehen und schaut entsetzt die Anzeige an. Für einen Moment ist sie versucht, auf der Stelle wieder umzudrehen, doch – schwupps – öffnet sich die automatische Eingangs-tür. Sofort pfeift ein unangenehmer Wind um die Ecke.

Ist das dieser sibirische Wind, der angeblich da-für sorgt, dass der südkoreanische Winter so unheimlich kalt ist? Emmi zögert ein paar Momente. Zum Glück hat Mama für sie noch in Deutschland ein paar weite Stiefel gefunden, in die sie trotz der Schiene am linken und extradicken Socken am rechten Fuß hineinpasst.

Unfassbar, dass es im August, als Emmi mit ihrer Familie frisch in Seoul angekommen war, weit über dreißig Grad hatte und die Luft so schwül war, dass Emmi schon nach Sekunden der Schweiß aus-gebrochen ist.

Und jetzt? Temperaturen so weit unter null, wie sie es zuhause in Deutschland selten erlebt hat, und eine trockene Luft, die selbst Emmis pubertierende, ölige Haut zum Spannen bringt. Nur Schnee ist weit und breit nicht in Sicht. Das hat aber auch sein Gutes: Emmi muss sich keine Sorgen machen, dass es irgendwo glatt sein könnte. Wäre ja auch noch schöner, wenn sie wenige Wochen nach ihrem Unfall im Wald gleich noch eine Pirouette auf dem Eis dreht.

Schließlich zieht sie den Kragen ihrer dicken Jacke fester um ihren Hals und humpelt entschlossen los. Schon nach ein paar Sekunden in der koreanischen Eiszeit kramt sie eine Gesichtsmaske aus der Jackentasche und zieht sie sich über Mund, Nase und Ohren. Mit Maske im Gesicht ist es sofort viel wärmer durch den eigenen Atem, das hat Emmi bereits zu Beginn des Winters hier in Seoul gelernt.

Eigentlich hätte sie heute Morgen bereits mit Fuchs eine Runde gehen sollen. Es ist ihr Hund, also muss sie sich auch um ihn kümmern, haben Mama und Papa Emmi immer wieder eingetrichtert, seit er ihnen auf der Insel Jeju nicht mehr von der Seite gewichen ist. Doch das fällt aufgrund von Emmis Verletzung mindestens noch ein bis zwei Wochen aus. Trotzdem hat sie ein schlechtes Ge-wissen, dass ihre Eltern sich jetzt um ihren Hund kümmern müssen. Sie wird in Zukunft besser auf-passen und damit meint sie nicht nur irgendeinen Neujahrsvorsatz, den sie normalerweise nach spätestens zwei Wochen vergisst, sondern sie meint es diesmal richtig ernst – das hat sie Fuchs noch gestern Abend vor dem Zubettgehen versprochen und ihm ein Küsschen auf den weichen Kopf gedrückt.

Emmi stellt sich an die Bushaltestelle, an der sie nun seit einigen Monaten täglich von Montag bis Freitag – außer in den Ferien – steht und auf den richtigen Bus wartet. Es ist eine große Haltestelle, an der innerhalb von wenigen Minuten bestimmt zehn verschiedene Busse halten. Sie muss sich manchmal richtig konzentrieren, damit sie ihren Bus mit der richtigen Nummer nicht verpasst, denn manchmal fahren die Busfahrer nur ein wenig an die Haltstelle heran und dann sofort weiter, wenn keiner der Wartenden rechtzeitig zuckt.

Manchmal, während sie wartet, fragt Emmi sich, wohin die Leute in den Bussen fahren. Bestimmt fahren die meisten von ihnen einfach nur zur Arbeit oder zur Schule. Aber ob Emmi diese Orte kennt? Oder fahren sie in Stadtteile von Seoul, in denen Emmi noch nie gewesen ist? Und in die sie viel-leicht auch nie kommen wird, weil die Stadt so riesig ist? Ob Anne vielleicht noch ein paar andere Ecken kennt, die sie Emmi zeigen kann, bevor sie wegzieht?

Schlagartig wird Emmi traurig. Sie starrt auf die Straße und nimmt den dichten Seouler Morgenverkehr kaum mehr wahr. Sie kann sich gar nicht vor-stellen, wie es ihr die ersten Tage und Wochen ohne Anne hier in dieser Stadt ergangen wäre. Schließlich war immer Anne diejenige, die Emmi jede noch so doofe Frage geduldig beantwortet hat.

Und Emmi hat wirklich viele doofe Fragen gestellt!

Die Fahrt zur Schule dauert ungefähr zehn Mi-nuten. Emmi schaut sich in ihrem Bus um. Sie ist eindeutig die Einzige mit einem nichtkoreanischen Gesicht. Wahrscheinlich ist sie sogar die Einzige, die überhaupt aus einem anderen Land kommt. Und das, obwohl Emmi mit ihrer Familie sogar in einem Viertel lebt, in dem auch viele andere Aus-länder leben. Und obwohl sie vermutlich die einzige Nichtkoreanerin ist, fühlt sich das für Emmi nicht komisch an, so sehr hat sie sich an ihren täglichen Schulweg gewöhnt. Niemand nimmt Notiz von ihr. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass sie die Kapuze ihrer dick wattierten Jacke tief ins Gesicht gezogen hat, und dass sie eine Maske trägt, so wie auch die meisten anderen Leute im Bus. Im Winter, in der Erkältungszeit, hat Emmi gelernt, ist es in einer asiatischen Millionenstadt wie Seoul ganz selbstverständlich, eine Maske zu benutzen, um sich vor Viren zu schützen oder andere nicht mit der eigenen Erkältung anzustecken. Und so kommt Emmi auch das Masketragen schon längst nicht mehr komisch vor.

Zwei Haltestellen vor Emmis Ziel steigt plötzlich Jan in den Bus. Er ist ebenso vermummt wie Emmi, aber die erkennt ihn sofort an seiner Größe und an seiner dunkelblauen Daunenjacke mit dem großen Logo einer deutschen Sportfirma, die er auch vor den Ferien schon täglich getragen hat. Emmi ist verblüfft. Sie hat Jan noch nie in ihrem Bus gesehen. Hatte er keine Lust zu laufen? Oder kommt er heute Morgen gar nicht von zuhause, sondern von woanders her? Ein Kribbeln steigt in ihr auf, egal ob sie es möchte oder nicht. So wie fast jedes Mal, seit sie ihn in den Osterferien bei ihrem allerersten Besuch in Seoul das erste Mal gesehen hat.

Plötzlich schaut Jan von seinem Handy auf, das er eben aus der Hosentasche gezogen hat und – Emmi direkt in die Augen.

Reflexartig senkt sie den Blick auf den grauen, von Profilspuren dicker Stiefel übersäten Fußboden des Busses. Ob er sie erkannt hat?

»Emmi?«, hört sie es rufen.

Okay, damit wäre ihre Frage beantwortet.

Betont überrascht schaut sie Jan an, der sich an den anderen Passagieren vorbei zu ihr durchschiebt.

»Hey!«, stammelt sie und hebt die Hand. »Frohes neues Jahr!«

Warum hat sie das denn jetzt gesagt? Das wünschen sich doch sonst nur alte Leute.

»Ähm ja, dir auch«, erwidert Jan und zieht belustigt eine Augenbraue nach oben.

Emmi wird rot unter ihrer Maske. Zum Glück sieht Jan das nicht.

»Wie… war Shanghai?«, fragt sie zögernd. Emmi bereut es sofort, gefragt zu haben, aber auf die Schnelle ist ihr nichts anderes eingefallen. Anne ist bestimmt richtig schlecht drauf, und Emmi hat fast ein bisschen Angst davor, ihr heute das erste Mal seit dieser Hiobsbotschaft über den Weg zu laufen. Ob es Jan ähnlich geht? Oder ist es ihm vielleicht sogar recht, nachdem er und Sora nicht mehr zusammen sind?

Jan überlegt für ein paar Sekunden, was er antworten soll. »Überraschend«, antwortet er schließlich.

Emmi ist ratlos, was sie darauf antworten soll. Hat Jan das jetzt positiv oder negativ gemeint? »Schön«, sagt sie und lächelt unsicher unter ihrer Maske. »Zu Weihnachten gibt es ja immer die ein oder andere Überraschung, nicht?!«

Emmi beißt sich innerlich auf die Zunge. Hat sie diesen Quatsch gerade wirklich gesagt?

Der Bus kommt zum Halten. Autos hupen neben und hinter dem Bus. Nervös versucht Emmi einen Blick nach vorn auf die Straße zu erhaschen. Normalerweise wären es nur noch zwei Haltestellen, aber es scheint, als ob der Linienbus inmitten der mehrspurigen Straße in einem dicken Stau steckt. Das heißt, wenn Emmi Pech hat, wird sie Jan noch länger als drei Minuten so gegenüberstehen und keinen blassen Schimmer haben, was sie zu ihm sagen soll.

»Wo kommst du jetzt eigentlich her?«, fragt sie schließlich in der Hoffnung, von dem Shanghai-Thema abzulenken.

»Wie meinst du das?«, fragt Jan.

»Na der Bus. Du fährst doch sonst nie mit diesem Bus mit, oder? Zumindest habe ich dich noch nie gesehen.«

»Ach so«, sagt Jan und dann nichts mehr.

Anscheinend schafft es Emmi in jedes Fettnäpfchen-Thema zu treten, das sich ihr bietet.

»Ich war bei meiner Mutter auf der Botschaft. Papierkram für das Visum und so. Du weißt ja, dass wir umziehen.«

Emmi nickt und senkt den Blick. »Freust du dich?«, fragt sie zögernd – nicht sicher, ob sie die Antwort hören möchte. Was ist, wenn Jan ja sagt?

Der zuckt mit den Schultern. »Nein, eigentlich nicht.«

Der Bus ruckelt, als der Busfahrer stärker als nö-tig auf das Gaspedal drückt.

»Au!« Emmi verliert mit ihrem geschienten Fuß die Balance und stolpert einen Schritt auf Jan zu.

Nicht schon wieder! Das letzte Mal, als sie auf einen Jungen zugestolpert ist, nämlich auf Min-Jun, hat sich daraus eine der bisher größten Katastrophen ihres Lebens entwickelt.

»Alles okay bei dir?« Jan fasst Emmi am Arm. »Anne hat erzählt, dass du dir den Fuß nochmal verstaucht hast.«

»Das stimmt. Also, das Band ist gerissen. Ich hab hier so eine Schiene.« Emmi lüpft ihr extraweites Hosenbein, um ihre graue Schiene, umhüllt von einer dicken Socke zu präsentieren.

»Oh Mist! Dann können wir ja gar nicht mehr zusammen mit deinem Hund gehen«, sagt Jan.

Emmi erstarrt für eine Sekunde. Sie erinnert sich sehr wohl daran, was Jan ihr ein paar Wochen vor den Weihnachtsferien vorgeschlagen hat.

Und dann nie wieder nachgefragt hat.

Und dass Emmi darüber insgeheim sehr enttäuscht war, obwohl sie doch geglaubt hatte, längst über ihn hinweg zu sein.

»Aber zusammen einen hotteok essen können wir doch bestimmt noch, oder?«

Emmi merkt, wie sie trotz ihrer dicken Jacke Gänsehaut bekommt. Hat Jan das gerade wirklich gesagt? Emmi liebt die kleinen, warmen koreanischen Pancakes mit der zuckrigen Nussfüllung, aber der Hotteok interessiert sie gerade herzlich wenig.

---ENDE DER LESEPROBE---