Entdecke das Glück des Handelns - Hans-Werner Rückert - E-Book

Entdecke das Glück des Handelns E-Book

Hans-Werner Rückert

4,5

Beschreibung

Wodurch zeichnen sich glückliche und erfolgreiche Menschen aus? Sie beherrschen die Lebenskunst, sich selbst so anzunehmen, wie sie sind, und können sich gleichzeitig weiterentwickeln und verändern.

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www.campus.de

Rückert, Hans-Werner

Entdecke das Glück des Handelns

Überwinden, was das Leben blockiert

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2004. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40099-0

|9|Vorwort

»Man muss in das Gelingen verliebt sein!«

Ernst Bloch

Vielleicht gehören auch Sie zu den Menschen, die versuchen, ein wenig glücklicher zu werden, ihr Leben in den Griff zu bekommen und Dinge endlich zu erledigen. Für manche sind das die Hausaufgaben der Schule oder die Examensarbeiten in der Universität. Andere sitzen in Unternehmen oder Behörden vor Akten und an wichtigen Projekten. Wieder andere beabsichtigen, ein Haus zu bauen, eine Weltreise zu unternehmen, ihre unglücklichen Beziehungen zu beenden oder sich selbst endlich so zu nehmen, wie sie sind. Manche möchten nur wenig in ihrem Leben verändern, andere alles. An guten Vorsätzen herrscht kein Mangel, aber bei der Durchführung hapert es oft. Handlungsstörungen – so der psychologische Fachbegriff – sabotieren unsere schönsten Pläne: Wir zögern, zaudern, zagen und schieben die Dinge vor uns her, solange es irgendwie geht.

Ich werde in diesem Buch im ersten Teil einige der hauptsächlichen Quellen für das Scheitern trotz bester Absichten beleuchten, darunter

Entschlusslosigkeit, Zweifeln und Grübeln,

Sorglosigkeit und Unachtsamkeit,

Untergehen im Alltagstrott,

Leben in Dauerkonflikten und

Steckenbleiben in hartnäckigen Widerständen.

Im zweiten und dritten Teil mache ich Ihnen Vorschläge, wie Sie Ihre Blockaden überwinden können.

Wer mit dem Handeln, dem Tätigwerden Probleme hat, gerät über kurz oder lang in geschäftliche oder private Schwierigkeiten. Man erhofft sich die Lösung von mehr Selbstdisziplin, müsste sich zusammenreißen |10|und den inneren Schweinehund überwinden. Nun ist die Fähigkeit, sich selbst zu steuern und zu beherrschen, zweifellos eine feine Sache. Mit mehr Achtsamkeit und mehr Selbstkontrolle können Sie einerseits tatsächlich mehr erreichen, mit dem einen oder anderen Motivationstrick können Sie sich über den Berg helfen und eine Sache wirklich durchziehen.

Andererseits haben wir alle schon erlebt, dass mehr Einsatz und mehr Kontrolle manchmal noch mehr Probleme schaffen, die Entfremdung von uns selbst vergrößern und die Unlust noch steigern. Wir haben uns in eine Sache ergebnislos verbissen und schließlich verzweifelt von ihr abgelassen – und nach ein paar Tagen einen Dreh gefunden, um sie im Handumdrehen zu erledigen. Offenkundig gibt es unterschiedliche Probleme und verschiedene Lösungen. Mal hilft mehr Selbstkontrolle, mal weniger davon, mal etwas ganz anderes.

Die Autoren Paul Watzlawick, John Weakland und Richard Fisch haben diese unterschiedlichen Arten des Wandels als Lösungen erster und zweiter Ordnung bezeichnet. Eine Lösung erster Ordnung besteht darin, »mehr desselben« zu tun: Man ist nicht fit, beginnt zu joggen, ist immer noch nicht fit und steigert das Laufpensum, bis der gewünschte Zustand erreicht ist. Man muss bei der Sache bleiben, wozu eine fortlaufende Handlungskontrolle mit Hilfe guter Selbstmanagementfertigkeiten hilfreich ist. Natürlich funktionieren solche Lösungen letztlich nur mit Anstrengungsbereitschaft und Willenskraft.

Eine Lösung zweiter Ordnung besteht darin, einen untauglichen Versuch der Lösung nach dem Prinzip »mehr desselben« aufzugeben und etwas anderes zu machen: Jemand hat Arbeitsstörungen, versucht sich zu zwingen oder zu motivieren, kann immer noch nicht arbeiten, liest noch mehr Selbsthilfebücher und beobachtet sich noch schärfer. Nach einer gewissen Zeit ist der Selbstheilungsversuch in paradoxer Weise Teil des Problems geworden. Eine Veränderung zum Besseren ist nur möglich durch »weniger desselben« und dadurch, etwas anderes zu tun. Das aber scheint demjenigen, der sich anstrengt, um mehr zu machen, eine ganz unmögliche Strategie zu sein.

Wenn man mit der Strategie, mehr desselben zu tun, nicht weiterkommt – nachdem man es hinreichend oft probiert hat, versteht sich –, kann man vor gravierenden Veränderungsprozessen im eigenen Leben stehen. Ihre bisherigen Misserfolge können den besten Anstoß geben, die |11|richtige Art der erfolgreichen Veränderung zu wählen. »There is no success like failure, and failure is no success at all«, singt Bob Dylan. Mit einem wichtigen Vorhaben richtig zu scheitern, kann unglaublich heilsam, da aufrüttelnd und erkenntnisfördernd, sein. Im vordergründigen Verständnis sieht solch ein fundamentales Scheitern natürlich erst einmal überhaupt nicht nach einem Erfolg aus.

Bei den meisten direkten Mittel-Ziel-Prozessen können Sie sich von einem Mehr an Einsatz, Kraft und Anstrengung einen Erfolg versprechen. Bei allen Wachstumsprozessen, also solchen, die mit Entwicklung und deren Eigengesetzlichkeit zu tun haben, verschlimmert aber »mehr desselben« das ursprüngliche Problem. Hier sind Strategien eines tiefergehenden Wandels angebracht. Dafür brauchen Sie einen nachdrücklich erlebten Ausgangspunkt. Der Dichter Hölderlin hat einen solchen in dem Roman Hyperion mit folgenden Worten beschrieben: »Ich war es endlich müde, mich fortzuwerfen, Blumen zu suchen in der Wüste und Trauben über dem Eisfeld« – eine existenziell verändernde Einsicht in die Unangemessenheit und Vergeblichkeit der bisherigen Strategien. Aus dieser Erfahrung, die man als »Erleuchtung«, »Einsicht« oder auch als »Am-Ende-Sein« erlebt, können sich innere Umstellungsprozesse ergeben, die Sie mehr als bisher Sie selbst werden lassen und die mit einer Veränderung von Zielen einhergehen. Authentisch zu sein, sich selbst zu akzeptieren und in Übereinstimmung mit neuen, selbstbestimmten Werten zu handeln, bekommt eine herausragende Bedeutung.

Um die richtigen Wege zu wählen, ist es wichtig zu unterscheiden, in welcher Phase des Lebens man mit welchen Problemen konfrontiert ist. Dieses Buch hilft Ihnen, Ihre Probleme richtig zu diagnostizieren, um die angemessenen Strategien zur Veränderung anzuwenden. Sie brauchen beides, sowohl die »schnelle Eingreiftruppe« für die Wiedergewinnung von Handlungskontrolle als auch die »Entwicklungshilfemannschaft«, die dauerhaften Wandel in Einstellungen und Verhaltensweisen ermöglicht. Und Sie müssen wissen, in welcher Situation Sie sich befinden, um von der richtigen Strategie maximal zu profitieren.

Nach den Problemanalysen im ersten Teil des Buches geht es im zweiten Teil um Techniken, die es erlauben, Dinge mit mehr Einsatz und Energie wirklich zu Ende zu bringen. Doch Vorsicht: Vermutlich werden Sie in diesem Buch wenig gänzlich neue Tricks finden, von denen Sie noch nie etwas gehört haben. »Mehr desselben« heißt meistens, einfache Dinge, |12|die sich bewährt haben, häufiger, intensiver und ausdauernder zu tun. Das kann man lernen, darin kann man sich steigern, und dafür möchte ich Ihnen Anregungen geben.

Im dritten Teil zeige ich Ihnen Wege, wie Sie Ihre Einstellungen zu sich selbst und Ihrem Leben verändern können, hin zu mehr Selbstbestimmung und weniger Unterordnungsbereitschaft unter Regeln, die Sie ohnehin nicht befolgen.

Die Lektüre dieses Buches kann Ihnen Mut machen und einen Anstoß geben. Bücher können eine Schneise schlagen durch das Gestrüpp unserer selbst erzeugten Blockaden. Vor mehr als 2000 Jahren stand an der Wand des Apollo-Tempels in Delphi der ultimative Ratschlag: »Erkenne dich selbst!« Dazu möchte ich Ihnen ein paar Hilfestellungen geben. Die entscheidenden Schritte zur Veränderung müssen Sie jedoch selbst durch Handlungen machen. Ebenfalls vor knapp 2000 Jahren stellte der griechische Philosoph Epiktet lakonisch fest: »Nicht Sprüche sind es, woran es fehlt; die Bücher sind voll davon. Woran es fehlt, sind Menschen, die sie anwenden.« Es wäre schön, wenn Sie zu denjenigen gehören, die aktiv werden und die ins Gelingen verliebt sind, wie Bloch es empfahl, auch wenn nicht immer alles sofort klappt. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie sich bald zu denjenigen zählen werden, die das Glück des Handelns genießen.

Noch ein kurzer Hinweis an Sie, verehrte Leserinnen, bevor Sie nun starten: Aus sprachlichen Gründen verwende ich überwiegend die männliche Form der Anrede – selbstverständlich schließe ich Sie dabei stets mit ein. Für Ihr Verständnis danke ich Ihnen!

Berlin, im Sommer 2003

Hans-Werner Rückert

|13|Teil I Die besten Absichten – und dann das!

|15|1 Überwinden Sie Ihre Blockaden

»Mein Leben ist ein einziger Fehlschlag gewesen.«

Claude Monet

Jeder kennt das Gefühl, eine Sache mit den besten Absichten gestartet zu haben und schließlich vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Durch solche Erfahrungen erschüttert, kommen manche Menschen nie mehr über Intentionen hinaus, an denen sie ihr Herz wärmen, die aber nie Realität werden. Andere verstricken sich in den Tücken des Aktionismus. Wer jemals ein Haushaltsgerät selbst reparieren wollte und es zu diesem Zweck zerlegt hat, weiß, wovon ich spreche. Gerade handwerkliche Verrichtungen scheinen immer neue Werkzeuge und Zwischenschritte zu erfordern, an die man nie gedacht hat, als man guten Mutes einfach anfing. Aber auch die Systematiker unter uns kennen das Gefühl, vor lauter Planungen und Auflistungen der erforderlichen nächsten Schritte nie wirklich in Gang, geschweige denn voranzukommen. Es gibt immer neue Preisinformationen, neue Reisekataloge, neue Produkttests, die man berücksichtigen möchte, sodass es stets voreilig erscheint, gerade jetzt ein Auto zu kaufen, eine Fernreise zu buchen oder sich auch nur eine neue elektrische Zahnbürste anzuschaffen.

Auch am Anfang der meisten Ehen, die später geschieden wurden, standen die besten Absichten. Man meinte es ernst, aber irgendwann ging es nicht mehr. Es gab zu viele Probleme, die Gemeinsamkeiten waren verbraucht und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu schließen, nicht mehr vorhanden. Möglicherweise hatten sich auch Abenteuerlust und der Wunsch, Neues zu erleben, eingestellt; Bedürfnisse, deren Existenz die Partner sich vor sieben Jahren nicht hatten träumen lassen. Die Umstände ändern sich und wir uns mit ihnen, manchmal in eine unerwartete Richtung.

Die Ursachen für das bedrückende Gefühl, festzusitzen und zu stagnieren|16|, scheinen oft im eigenen Inneren zu liegen. Da gibt es die zwanghaften Handlungsstörungen, bei denen Unentschlossenheit, Zweifel und Grübeln im Vordergrund stehen. Aber auch das Versinken im Alltagstrott kann dazu führen, dass wichtige und erwünschte Vorhaben möglicherweise gar nicht mehr bewusst erlebt, geschweige denn umgesetzt und zu Ende geführt werden. Schließlich gehört zu den Bleischuhen an unseren Füßen ebenso das Phänomen, sich unbewusst im hartnäckigen Widerstand gegen die Dinge zu befinden, die wir verbal durchaus bejahen und einsehen.

Wer über diese Probleme Bilanz zieht, wird Kosten und Nutzen des bisherigen Lebensstils abwägen. Einige werden sich als »Small Winners« betrachten, die bei der Endabrechnung eher einen kleinen Gewinn als wirklich schlimme Verluste davontragen. Das kann ein Anlass dafür sein, sich mit dem Erreichten zu begnügen und alles beim Alten zu lassen. Wenn Ihre Bilanz jedoch ergibt, dass Sie sich wirklich verändern wollen (und sich nicht nur eine Änderung wünschen), dann haben Sie grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

Sie können im bisherigen Rahmen bleiben, sich aber mehr anstrengen als vorher, Dinge anders angehen, Ressourcen aktivieren oder anders nutzen und flexibler werden. Sie können dazulernen und Informationen aufnehmen, wie Sie erfolgreicher werden können. Wenn Sie über bewährte Strategien verfügen, können Sie diese intensiver einsetzen. In Analogie zu Ihrem Computer entspricht diesem Vorgehen, dass Sie Ihr Betriebssystem weiter nutzen, seinen Start aber optimieren, Ihre Festplatte einem Tuning unterziehen, die Möglichkeiten Ihrer vorhandenen Anwendungsprogramme voll ausnutzen oder auch ein paar neue erwerben.

Alternativ können Sie den Rahmen, den Sie bisher um Ihr Problem gezogen haben, verändern und damit zu Strategien des Wandels kommen, die radikaler und grundsätzlicher in Ihre Systemarchitektur eingreifen, vergleichbar mit einem BIOS-Update oder dem Wechsel zu einem neuen Betriebssystem. Vielleicht werden Sie ein paar neue Anwendungsprogramme benötigen, da Ihre alten eventuell gar nicht mehr funktionieren. Wenn Sie diese Art der Veränderung anstreben, dann werden Sie vorher die Erfahrung gemacht haben, mit mehr Einsatz und Anstrengungen nicht weiterzukommen. Wenn mehr Input nichts hilft, wenn alle Anstrengungen versagen oder sogar neue Probleme schaffen, kann es Zeit für eine neue Lebensphilosophie sein.

|17|Diese beiden Wege bilden zwei sehr unterschiedliche, einander aber ergänzende Strategien zu Veränderungen. Es ist meistens sinnvoll, mit einem Versuch nach dem Prinzip des »mehr desselben« zu beginnen. Mit ein wenig Glück nutzen Sie dann das Pareto-Prinzip, demzufolge mit nur 20 Prozent Input 80 Prozent der Ergebnisse erreicht werden. Nur 20 Prozent mehr Anstrengung können Ihnen helfen, 80 Prozent Ihrer Vorhaben zum Erfolg zu führen.

Tipp

Benutzen Sie in den folgenden Abschnitten die vorangestellten Fragebögen, um abzuschätzen, wie sehr Sie von den jeweils dargestellten Schwierigkeiten betroffen sind. Schauen Sie, ob Sie sich in den nachfolgenden Problembeschreibungen wiederfinden, und probieren Sie – auf Ihr Problem bezogen – anschließend ein paar der Vorgehensweisen aus, die im zweiten Teil des Buchs empfohlen werden.

|18|2 Entschlusslosigkeit, Zweifel und Grübeln: Zwanghafte Handlungsstörungen

»Lass das lange Vorbereiten, fang dein Leben an beizeiten!«

Rusticocampus

Ich möchte Sie in diesem Kapitel mit Birgit, Carlo und Jana bekannt machen. Diese drei haben mit Handlungsstörungen zu kämpfen, die mit Entschlusslosigkeit, Grübeln und Zweifeln einhergehen. Sie stellen ihre eigenen Intentionen in Frage und hadern mit sich und der jeweiligen Lage. In dieser Hinsicht ähneln sie dem berühmtesten Zauderer der Weltliteratur, dem Dänenprinz Hamlet, der, »angekränkelt von des Gedankens Blässe« in immer neue Zwangslagen gerät. Bei Hamlet geht es um durchaus tragische Dimensionen, um Schuld oder Unschuld, Mord aus Rache oder Selbstmord, um Wahnsinn und Raserei, was bei uns Normalbürgern glücklicherweise eher selten der Fall ist. Die Projekte, die unseren Zwiespältigkeiten zum Opfer fallen, stammen aus ganz alltäglichen Lebensbereichen.

Ob und in welchem Ausmaß Sie mit Zauder- und Grübel-Schwierigkeiten zu kämpfen haben, können Sie mit Hilfe des folgenden Fragebogens überprüfen.

Dieser Fragebogen hilft Ihnen herauszufinden, wie sehr Ihre Handlungen durch Entschlusslosigkeit, Zweifel und Grübeln beeinträchtigt werden. Kreuzen Sie – ohne lange nachzudenken – an, in welchem Ausmaß die einzelnen Aussagen auf Sie zutreffen, und addieren Sie dann die Punkte. Die Auswertung gibt Ihnen einen Anhaltspunkt dafür, wie sehr Sie von diesen Schwierigkeiten betroffen sind.

|19|

Fragebogen: Probleme mit Zweifeln, Zwiespalt und Grübeln?

|20|Auswertung:

0–5 Punkte: Wunderbar, Sie entscheiden schnell, zweifeln nicht an Ihren Beschlüssen, und Grübeln ist Ihnen fremd. Um Ihre Handlungssicherheit würden viele Leute Sie beneiden. Kann es sein, dass Sie manchmal vielleicht sogar als zu sicher empfunden werden?

6–11 Punkte: Sie kennen die Schwierigkeiten, die sich mit Zweifeln und ergebnislosem Grübeln verbinden, aber sind weit davon entfernt, darunter zu leiden. Ihre Handlungsfähigkeit ist nicht beeinträchtigt, auch wenn Sie vielleicht nicht immer sofort den richtigen Entschluss treffen können.

11–17 Punkte: Sie haben es nicht leicht, zu einem Entschluss zu finden, und es kann Ihnen durchaus passieren, dass Sie auch einmal ins Zweifeln oder Grübeln geraten. Das mag auch Ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Sie werden von den Tipps in diesem Buch profitieren und es genießen, Ihre Beschlüsse zügiger zu fassen und umzusetzen.

18–24 Punkte: Leider haben Sie es schwer, entschlossen zu handeln. Es dauert, bis Sie wissen, was Sie wollen, und auch nach einer Handlung können Sie in Zweifel verfallen und ins Grübeln geraten. Möglicherweise leiden Sie nicht nur unter den negativen Folgen Ihrer Handlungsstörung, sondern auch schon darunter, dass Sie sich als entschlussunfähig erleben. Sie sollten die Empfehlungen im zweiten Teil des Buches umsetzen, benötigen aber vielleicht neben mehr Handlungskontrolle auch eine Veränderung Ihrer Einstellungen, zu der Sie im dritten Teil viele Anregungen finden.

Birgit ist eine 29-jährige Juristin. Sie will in der Anwaltssozietät, in die sie nach ihrem zweiten Staatsexamen eingetreten ist, Karriere machen. Deswegen bleibt sie jeden Abend länger als ihre Kollegen und beugt sich über die Akten. Was sie nicht weiß: Ihre Chefs denken, dass sie ein wenig langsam ist, und deuten ihren Eifer nicht als besondere Einsatzbereitschaft. Und sie liegen damit nicht völlig falsch. Denn Birgit hat sich vorgenommen, die Fälle, an denen sie arbeitet, möglichst gut zu lösen. Sie macht sich viele Gedanken, ob sie hier einen Vergleich anstreben soll, ob sie dort einen Prozess riskieren will, und wägt das Für und Wider ausdauernd ab. Wenn sie schließlich doch nach Hause geht, kann sie die komplizierten juristischen Probleme oft immer noch nicht abschütteln. Dann recherchiert sie im |21|Internet weiter und bekommt neue Informationen. Aber, so zweifelt sie, werfen die nicht alle ihre vorherigen Überlegungen über den Haufen? Mit der Routinearbeit des nächsten Tages kommt sie – unausgeschlafen – nicht so zügig voran, und so verfestigt sich bei ihren Chefs der Eindruck, sie sei nicht die Schnellste.

Birgit hat in ihrer Karriereplanung übersehen, dass Zeit eine Ressource ist, die sie optimal nutzen muss. Mit der Menge, die ihr zur Verfügung steht, kommt sie nicht aus. Ihr Aufstieg wird jedoch daran geknüpft sein, dass sie in der Lage ist, innerhalb eines üblichen Zeitrahmens zu starten, zu entscheiden und Dinge durchzuziehen.

»Ich habe jede Menge Pläne«, sagt Carlo, der sich eine glänzende Zukunft in der Immobilienbranche ausgerechnet hat und seit ein paar Jahren selbstständig ist. »Wahrscheinlich habe ich sogar zu viele, sodass ich gar nicht alle umsetzen kann.« Er sitzt in seinem Büro und denkt darüber nach, wie himmlisch einfach es sein müsste, geschäftlichen Erfolg zu haben. »Im Prinzip ist alles ganz leicht«, sagt er, »ich muss nur genügend Objekte finden, die ich möglichst vielen Interessenten anbieten kann. Wenn von denen nur 10 Prozent kaufen, dann kann ich von meiner Provision ganz gut leben.« Objekte wie Interessenten will er durch eigene Anzeigen gewinnen. Außerdem denkt er daran, Werbeprospekte drucken zu lassen und Hauswurfsendungen zu starten. Carlo ist überzeugt von seinem festen Willen, diese relativ einfachen Vorhaben umzusetzen. »Aber irgendwie kommt es nie dazu«, muss er leider feststellen. Er hat sich von etlichen Druckereien Angebote zuschicken lassen, er weiß, welche Kosten die Post ihm für den Versand seiner Angebote in Rechnung stellen wird, er denkt über die Gestaltung seiner Anzeigen nach, kann sich aber zu nichts entscheiden. Die Frage ist also, wie ernsthaft er seine Absichten verfolgt.

Beim Golfspiel kann es Ihnen passieren, dass Sie über den Ball hinwegschwingen und einen so genannten Luftschlag hinlegen. Der wird nach den Spielregeln dann als regulärer Schlag gezählt, wenn Sie die »ehrliche Absicht« hatten, nach dem Ball zu schlagen und ihn zu bewegen. Brechen Sie Ihren Schwung ab, bevor Sie den Ball treffen, dann liegt diese »ehrliche Absicht« nicht vor, der Schlag zählt nicht.

|22|Wendet man diese Golfregel auf Carlo an, dann fehlt ihm die »ehrliche Absicht«. Er bricht seine Aktionen stets ab, bevor es wirklich ernst wird. Er macht keine strategischen Pläne, in denen er seinen Geschäftsverlauf der nächsten Jahre vorwegnimmt, und er plant auch nicht die taktischen, notwendigen Aktionen zur Gewinnung von Verkäufern und Käufern. Carlo meint, dass er »zu viel denkt und zu wenig entscheidet«. Tatsächlich denkt er zu lange über Unwesentliches nach und vermeidet es, sich festzulegen.

Jana, die als Betriebswirtin eine Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität hat und an ihrer Promotion arbeitet, neigt zum Grübeln. Sie macht sich tausend Gedanken über alle möglichen Dinge: Ob sie später eine Professur bekommen wird? Falls nicht: Würde sie in einem Unternehmen als Führungskraft klar kommen? Sie fragt sich, ob die Betreuerin ihrer Dissertation, die »Doktormutter«, mit ihr zufrieden ist, ob es ihr schadet, dass sie noch in einem Projekt mitarbeitet, von dem die Doktormutter abfällig gesprochen hat, und ob die anderen Mitarbeiter am Lehrstuhl neidisch auf ihren letzten Erfolg bei einem internationalen Kongress sind. Mit der Arbeit an der Dissertation ist sie in letzter Zeit nicht so richtig weitergekommen. Sie hatte Handwerker zu Hause, die eine neue Küche eingebaut haben, der Krach war unerträglich, sie konnte sich nicht konzentrieren. Jetzt liegen überall in der Wohnung Stapel mit Material für ihre Lehrveranstaltungen und für die Doktorarbeit, sie hat die Übersicht verloren und muss das alles sichten, aber wo anfangen? Tagsüber, abends und nachts im Bett vor dem Einschlafen drehen sich die Gedanken in ihrem Kopf wie ein Mühlrad. Sie wacht gerädert auf, und ihr graust vor dem nächsten Tag.

Jana produziert gedankliches Chaos, das sie anschließend nicht gut ertragen kann. Sie grübelt über Probleme nach, ohne Lösungen zu finden. Sie lebt gehetzt in einem Zustand rastloser Unentschlossenheit darüber, an welchen Problemen sie zuerst ansetzen sollte.

|23|Wenn aus Absichten nie Pläne werden

Alle komplexeren Handlungen, die nicht einfachen Reiz-Reaktions-Schemata folgen, setzen bewusste oder unbewusste Absichten, Intentionen, voraus.

Der Ursprung des Wortes »Intention« kommt von dem lateinischen intendere, es bedeutet: »die Aufmerksamkeit auf etwas richten«. Mit dem Wort verbindet sich automatisch die Idee eines Ziels. Zum weiteren Begriffsumfeld gehört auch die Vorstellung einer Handlung oder einer Abfolge von Handlungen, um das intendierte Ziel zu erreichen.

Manche Absichten können Sie sofort in Handlungen umsetzen. Nichts ist leichter, als beispielsweise die Fernbedienung des TV-Geräts zur Hand zu nehmen und durch die Kanäle zu zappen, wenn Sie nach einem spannenden Krimi suchen. Wenn die Ziele, die Sie mit Ihren Handlungen verfolgen, jedoch nicht durch direkte Aktionen erreichbar sind, dann müssen Sie die Realisierung Ihrer Absichten planen. Zwischenschritte werden erforderlich, und Sie müssen festlegen, was Sie wann tun wollen.

Einen Plan zu haben bedeutet – bezogen auf Handlungen – eine systematische Ordnung von Schritten vor sich zu sehen, mit denen das Ziel erreicht werden beziehungsweise eine Absicht umgesetzt werden soll.

Ohne Planung sind die schönsten Absichten für die Katz. Sie bleiben Wünsche, Träume oder Hoffnungen. Erst ein handhabbarer Plan kann Ihnen zeigen, welche Schritte erforderlich sind, und Ihnen ein Verständnis dafür verschaffen, was Sie wann tun müssen, um Ihr Ziel zu erreichen.

Absichtserklärungen können eventuell ein Motor von Handlungen sein, aber gewiss ist das nicht. In Berlin gab es vor einiger Zeit einen Senator für Wissenschaft und Kultur, der die reine Absicht als Komponente in die Politik eingeführt hat. Er garantierte Kultureinrichtungen eine bestimmte Menge Geldes und gab außerdem vertraglich »Bemühenszusagen« ab, zum Beispiel die, nach Möglichkeit weitere Finanzmittel zu beschaffen. Wer glaubte, diese Absichtserklärung sei eine gute Planungsgrundlage, sah sich nach einiger Zeit bitter enttäuscht, denn die Kassen blieben leer. Der Senator aber verwies darauf, dass er sich ja seiner Zusage gemäß bemüht hatte. Nun weiß jeder: Mühe allein genügt nicht. Goethe hat das vor 200 Jahren bündig festgestellt: »Es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun!«

Die Absichtserklärung kann ohne Folgen bleiben, obwohl die richtigen |24|Schritte gemacht wurden. Dann war die Realität eben stärker, bestimmte Widerstände erwiesen sich als unüberwindlich, oder Finanziers waren nicht in Sicht. Der Politiker im obigen Beispiel sah das natürlich so. Andere vermuteten in dem zugesagten Bemühen eher eine von vornherein auf Tatenlosigkeit abzielende beschönigende Formulierung als Versuch, in einer schwierigen Verhandlungssituation den Partnern Handlungsmöglichkeiten vorzugaukeln, die in Wirklichkeit nicht existierten.

Eine Absicht zu bekunden, statt ein klares Nein zu äußern, erklärt immerhin, warum dann auch keine Pläne gemacht werden. »Ich bring den Müll später raus«, »ich kümmere mich schon noch drum«, »ich weiß, wir müssen uns mal wieder Zeit für uns nehmen« sind Äußerungen, die nach Konkretisierung verlangen. Sobald Sie auf diese Absichtserklärungen hin fragen: »Ja, prima, wann?«, können Sie an der mehr oder minder begeisterten Reaktion ablesen, ob wirklich eine Bereitschaft vorliegt, sich auf die Umsetzung der angekündigten Vorhaben einzulassen – oder nicht.

Genauso können Sie – sofern Sie sich selbst gegenüber eine Absicht erklärt haben – an Ihrem eigenen inneren Enthusiasmus ablesen, wie sehr Sie bereit sind, die Sache motiviert anzugehen.

Wenn Sie immer ein Haar in der Suppe finden

Wer hyperkritisch ist, findet an allem etwas auszusetzen. Zur Not wird so lange mit dem eigenen Kopf geschüttelt, bis in jede vorhandene Suppe ein Haar gefallen ist.

Heike hat als Journalistin ihren ersten Erfolg gehabt: Ihr Artikel über »Hausmeister an Gymnasien – eine zu Unrecht kaum beachtete Spezies« ist in einer bekannten deutschen Wochenzeitung veröffentlicht worden. Ein paar Radiostationen haben angefragt und sich erkundigt, ob sie nicht weitere interessante Beiträge in der Schublade hat. Heike gerät plötzlich in Klemmen, von denen sie zuvor nichts ahnte. Sie findet nämlich ihren Artikel gar nicht so toll, eigentlich war er schlampig recherchiert. Sie hat nur zwei |25|Interviews geführt und im Wesentlichen aus den Erinnerungen an den Hausmeister ihres früheren Gymnasiums geschöpft, der ein schrulliges Original war.

Wenn sie über die Angebote der Radiostationen nachdenkt, findet sie an diesen etwas auszusetzen: Der eine Sender ist ihr zu popelig, beim anderen fürchtet sie, in einem obskuren Spartenprogramm verheizt zu werden, und beim dritten stört sie die politische Parteinahme des Radiobetreibers. Überall müsste sie eine Kröte schlucken. Lohnt es sich überhaupt, Erfolg anzustreben, wenn die Leute sich so leicht hinters Licht führen lassen und man selbst so viele Kompromisse schließen muss?

Es ist gar nicht so selten, dass Menschen gerade dann, wenn sie Erfolg haben, sich und ihre Leistungen in Frage stellen. Da ist auf der einen Seite das Lob und der Zuspruch der Öffentlichkeit, aber Heike weiß um die Schwächen ihrer Arbeit. Sie sieht plötzlich Versäumnisse, über die sie vorher gar nicht nachgedacht hat. Ihre Selbstkritik ist natürlich überzogen. Wäre sie Wissenschaftlerin und hätte sie eine systematische Untersuchung an Hausmeistern durchführen wollen, dann wäre ihre Stichprobe in der Tat wesentlich zu klein. Für einen witzigen Artikel reichen ihre zwei Gesprächspartner und ihre Erinnerungen jedoch vollkommen aus. Der Erfolg bringt Heike in Kontakt mit ihren eigenen idealisierten Vorstellungen von sich selbst und von Qualität.

Wer Erfolg hat, kann wählerisch sein, und damit stellen sich Fragen, die es vorher nicht gab: In welche Talkshow gehen Sie, vor welchem Publikum wollen Sie Vorträge halten, welche Angebote nehmen Sie an, in welchem Medium publizieren Sie, mit dem Risiko, nun als eine Person des X-Senders oder des Y-Verlags wahrgenommen zu werden?

Wenn Sie immer ein Haar in der Suppe finden, dann haben Sie Angst vor den Deals, die das Leben Ihnen abverlangt, vor Kompromiss und Verzicht. Sie kennen sicher die Märchen, in denen eine Prinzessin allzu kritisch und wählerisch ist und an jedem Freier etwas auszusetzen findet. In Wirklichkeit haben diese Prinzessinnen Ängste, sich von ihren Vätern zu lösen, die privilegierte Tochterrolle als Papas Augenstern aufzugeben, sich zu binden und ihre Rolle als Frau zu finden.

|26|Sara hat die Qual der Wahl: Sowohl Jakob als auch Yves werben um sie. Beide sind dynamische junge Männer. Jakob hat eine interessantere Familie, der Vater ist Literaturprofessor in Italien, die Mutter als Künstlerin berühmt. Da ist sicher auch Geld in der Familie, denkt Sara. Yves hingegen hat diesen unwiderstehlichen französischen Charme, aber er ist leider ein bisschen »verkracht«, kommt beruflich nicht auf den grünen Zweig und kellnert mal hier, mal dort. Irgendwie hat sie bei ihm mehr Gefühle – aber soll sie die so wichtig nehmen? Jakob strahlt Sicherheit aus, er wird als Diplomat viel in der Welt herumkommen – ist das eigentlich so toll? Was ist, wenn erst einmal Kinder da sind? Außerdem ist er ein wenig zu konventionell. Stört das auf die Dauer nicht sehr? Da ist Yves ganz anders. Womöglich müsste sie ihn aber durchfüttern, da er so herrlich unbekümmert ist. Kann sie sich mit so einem Typ eigentlich vor ihren Freundinnen sehen lassen? Ein anderer Mann müsste her, ein Arzt, das wär’s, aber die hängen ja ewig lange in ihren Kliniken und sind immer total abgearbeitet ...

Auf all das zu starren, was nicht stimmt oder was schief gehen könnte, raubt die Kraft zu positiven, die Zukunft gestaltenden Handlungen und hält einen in Ängsten gefangen. Wir alle kennen Menschen, die eine Enttäuschung herbeiphantasieren, nur um in Sicherheit zu Hause bleiben zu können: Der Film, den sie sehen wollen, ist bestimmt langweilig, so reden sie sich ein; an der Abendkasse wird es ohnehin keine Karten mehr geben, und wenn doch, dann müssen sie sich in den ersten Reihen den Hals verrenken. Also können sie genauso gut gleich daheim bleiben.

Gewiss nervt der zur Schau getragene penetrante Optimismus, der heute Pflichtprogramm einer geglückten Selbstdarstellung zu sein scheint. Schwarzseherischer Pessimismus kann aber auch nicht die Lösung sein. Es stimmt, das Gegenteil von schlecht muss nicht gut sein – es kann auch noch schlechter werden, wie Paul Watzlawick einmal sagte. Der Optimist sieht das Glas halb voll Wasser, während der Pessimist es halb leer wähnt. Beiden kann jedoch noch ein Unternehmensberater oder ein Rechnungshofprüfer ins Haus stehen, der zu der Überzeugung kommt, beide hätten 50 Prozent zu viel Glas!

|27|Ängste, Zwänge, Trotz: Tutti quanti

Handlungsstörungen resultieren häufig und scheinbar direkt aus bestimmten Gefühlen. Wer sich nicht entscheiden kann, wer in 1000 Zweifeln steckt und endlos grübelt, berichtet häufig auch von depressiven Verstimmungen, tage-, wochen- oder monatelang anhaltenden Gefühlen von Bedrücktheit und Mangel an Antrieb. Oder er spricht von Ängsten, von Wut, Enttäuschung, Trotz und Ärger.

Ängste

Die große Bedeutung von Ängsten liegt auf der Hand. Wer Angst hat, will vermeiden und aus dem Feld gehen, sich nicht stellen, sondern sich verkriechen. Besonders wirksam sind Ängste vor Versagen, vor negativen Folgen von Handlungen (seltener vor schädlichen Konsequenzen durch ausbleibende Handlungen), vor peinlichen Situationen, vor Schmerz und Zurücksetzung. Auch Angst vor Erfolg kann jemanden dazu verleiten, seine Absichten nicht zu realisieren, denn Erfolg kann nicht nur positive Folgen haben. So bringt eine Karriere in der Wirtschaft Ihnen zwar mehr Geld, aber auch mehr Verantwortung, höhere Anforderungen und Verpflichtungen. Der Wechsel aus dem Außendienst in die Konzernzentrale beraubt Sie vieler Freiheiten und stellt Sie unter stärkere soziale Kontrolle und die Aufsicht Ihrer Vorgesetzten. Schließlich enthält jeder Erfolg auch den Keim eines künftigen Misserfolgs, denn mit den beruflichen Herausforderungen wächst auch das Risiko, es irgendwann einmal nicht mehr »zu bringen«.

Im Kern der meisten Ängste steckt jedoch eine groteske Überzeichnung: Es kann sein, dass Sie ein punktuelles Versagen gleichsetzen mit der Überzeugung, dass Sie dadurch zu einem Versager würden. So machen Sie aus einer möglichen Pleite eine drohende totale Herabsetzung Ihrer ganzen Person. Versagensängste treten immer dann bevorzugt auf, wenn Sie dazu neigen, Ihren Wert als Person mit Erfolg gleichzusetzen, sei es im privaten, sei es im geschäftlichen Bereich. Unvermeidliche Enttäuschungen und Konjunkturschwankungen werden dadurch zu einer persönlichen Katastrophendrohung.

Die meisten Ängste haben auch eine interpersonelle Komponente: |28|Man fürchtet, vor anderen Menschen schlecht dazustehen. Dabei geht es letztlich immer um den drohenden Verlust der Selbstachtung. Die macht sozusagen einen Umweg über die anderen Menschen, die man sich herbeiphantasiert und in deren Augen man Verachtung, Ablehnung oder Spott hineinprojiziert. Sobald diese Angst im Spiel ist, wird es eigentlich immer wichtiger, sich durch Handlungen gegen sie zu wehren. Wer aber aus seiner Kindheit und Jugend durch die Angst vor Selbstbeschämung geprägt ist, für den scheint die Sache genau anders herum Sinn zu ergeben: bloß nichts tun, bloß nichts planen, bloß nicht handeln, bloß nicht auffallen.

Alexander ist ein Banker in den Vierzigern, der konditionsmäßig nicht mehr so ganz in Form ist. Sein Freundeskreis hat sich vor einigen Jahren begeistert auf Inline-Skating geworfen. Alexander hat Angst vor den Dingern, er hat als Kind das Rollschuhlaufen nicht gelernt und ist auch mit Schlittschuhen niemals gut Freund geworden. Er hat sich zwar ebenfalls ein paar Inline-Skates zugelegt, sogar ein paar Unterrichtsstunden genommen, aber er fühlt sich weiterhin außerordentlich unsicher. Er fürchtet, sich bei einem Sturz zu verletzen, und ist dadurch verkrampft. Mit den eleganten Schwüngen seiner Freunde kann er ohnehin nicht mithalten, und er hat über ihren Spott angesichts seiner vorsichtigen Bewegungen schon ein paar Mal schwer schlucken müssen. Er fürchtet, dass sie die Achtung vor ihm verlieren. Am liebsten würde er einfach nicht mit ihnen laufen. Aber dann, so ängstigt er sich, werden sie ihn ausschließen, und das wäre auch schlimm. Letztlich macht er mit, zwischen mehreren Ängsten eingeklemmt, die ihm seine Unbefangenheit rauben.

Perfektionismus

Perfektionistische Erwartungen an sich und an das Leben spielen immer dann eine Rolle, wenn bei zukunftsbezogenen Plänen Fehler und Rückschläge besonders gefürchtet werden. Hundertprozentige Ergebnisse anzustreben ist der sicherste Weg, mittelfristig kaum noch etwas anzufangen. Denn wenn Sie von sich vollkommene Ergebnisse verlangen, dann können Sie nur Sachen machen, die Sie bereits perfekt beherrschen. Das heißt, Sie können sich nicht weiterentwickeln. »Wenn zu perfekt, |29|liebe Gott böse!«, hat der berühmte koreanische Videokünstler Nam June Paik all jenen tröstend ins Stammbuch geschrieben, die ganz irdisch mit sich selbst hadern, wenn ihre Leistungen den überhöhten Idealen nicht entsprechen.

Oleg ist Autor. Er schreibt Hörspiele und hat damit schon Erfolge erzielt. Leider ist die Arbeit am Schreibtisch für ihn eine Qual, die mit jeder fertigen Szene nur noch größer wird. Dann schaut er zurück und erkennt die Ungereimtheiten sowie die verbesserungswürdigen Details seines Textes. Das deprimiert ihn, und dann fällt es ihm schwer weiterzumachen. Weder überarbeitet er die schon geschriebenen Szenen, noch fährt er fort, neue zu erfinden, stattdessen hadert er mit sich. Unwille und Trotz regen sich, aber gleichzeitig klammert er sich mit perfektionistischen Ansprüchen an sein Manuskript. Immer wieder zerstört die Selbstkritik die freie Produktion von Texten.

Oft hat Oleg für seine Hörspiele eine einfache, aber gute und handhabbare Idee. Von der erzählt er dann seinen Freunden. Wenn die darauf einsteigen, schließt er messerscharf, dass sein Ausgangspunkt zu einfach sei, und verkompliziert die Handlungen so sehr, bis er völlig die Übersicht verliert.

Oleg begreift nicht, dass jeder Text eines jeden Autors über lange Zeit (und manchmal für immer) hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibt. Das liegt an der fortschreitenden Entwicklung des Denkens beim Schreiben: Nach jeder Szene ist Oleg klüger geworden, das schon Geschriebene erscheint ihm dementsprechend unvollkommen. Er könnte immer wieder von vorne anfangen und sähe immer wieder etwas, was besser formuliert sein könnte. Das wird dann zum bedrückenden Problem, wenn man von sich verlangt, endgültige Formulierungen zu finden.

Gott sei Dank hat Oleg Humor. Der hilft sehr dabei, diese Probleme zu überwinden. Als ich seine perfektionistische Haltung einmal mit den Worten Ernst Jüngers ironisch aufspieße: »Ihnen geht es halt immer darum, einmal vor Unerbittlichem zu stehen!«, gibt Oleg zu: »Ja, leider beginnt das bei mir schon beim Hosenanziehen!«. Ich halte das für einen gelungenen |30|Scherz und amüsiere mich, doch nein, es ist ihm Ernst: Auch das Anziehen misst er an einem irrealen Gütemaßstab, dem er nicht gerecht werden kann. Aus irgendeinem Grund hat er ein inneres Bild davon, wie jemand wirklich elegant seine Hose anzieht. »Und wenn ich mich dann im Spiegel sehe, wie ich da mühselig auf einem Bein balanciere und versuche, mit dem anderen in das Hosenbein zu treffen und dabei nicht umzufallen ... lächerlich!«

Energiemangel

Depressive Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle sowie Mangel an Energie und Tatkraft angesichts von Aufgaben und Entscheidungen sind Zeichen einer Ich-Verarmung, bei der man sich ausgehöhlt und leer fühlt. Ressourcen, die zur Planung und zum Verwirklichen von Vorhaben unentbehrlich sind, scheinen nicht mehr verfügbar zu sein. Kompetenz und Selbstvertrauen sind verloren, wenn Sie es gelernt haben, mit Hilflosigkeit und einem überwältigenden Gefühl von Ohnmacht auf bestimmte Herausforderungen zu reagieren. Mit dem Gefühl, sich nicht mehr zu Taten aufraffen zu können, verbindet sich häufig die pessimistische Einschätzung, dass sich daran nie mehr etwas ändern werde, sprich: dass Sie nicht lernen können, Ihre Depressionen zu überwinden, weil Sie sich so hilflos fühlen. Natürlich ist das ein Trugschluss, aber leider scheint er ziemlich glaubwürdig zu sein, solange Sie glauben, dass eine gegenwärtig gefühlte Kraft und Mutlosigkeit eine Art Beweis dafür sei, dass Sie niemals etwas anders machen können. Das stimmt natürlich nicht. Im richtigen Tempo und mit den richtigen Schritten können Sie lernen, Ihre Hilflosigkeit zu überwinden. Oft ist Ohnmacht auch ein Ausweg, in einer Zwangslage keine Verantwortung übernehmen zu müssen.

|31|Grübeln

Doris sitzt da und grübelt. Tagelang. Soll sie aufräumen oder nicht, soll sie sich einen Job suchen oder ihr Studium fortsetzen, soll sie sich von Harald trennen oder nicht? Sie fühlt sich nervös und angespannt, aber gleichzeitig auch wie gelähmt. Manchmal ist sie mit der einfachen Frage, ob sie ins Bett gehen oder vor dem Fernseher sitzen bleiben soll, überfordert. Sie bringt nichts zustande. An manchen Tagen schafft sie es nicht einmal, das Geschirr zusammenzuräumen und in die Spülmaschine zu stellen. Dann wieder hat sie ein wenig Energie und versucht, ihre Empfindungen zu sortieren: Da sind zum Beispiel Ängste. Gut, sie weiß natürlich, dass sie sich vor scheinbar endgültigen Festlegungen fürchtet. Die Angst, die sie empfindet, richtet sich vordergründig darauf, sich falsch zu entscheiden (sich zu trennen, obwohl Harald doch der Richtige sein könnte). Dahinter liegt so etwas wie die Angst vor dem Verlust der Selbstachtung: Wenn sie immer wieder nicht aufräumt, wenn sie so einfache Dinge nicht einmal auf die Reihe kriegt, dann ist doch offensichtlich nicht viel mit ihr los. Oder sie sucht sich einen Job, wird auch genommen und versagt dann kläglich. Peinlich, peinlich.

Wer grübelt, denkt immer wieder und in den unpassendsten Situationen– beispielsweise beim Einschlafen – darüber nach, ob er einen Schritt machen soll oder nicht. Dabei werden Vor- und Nachteile in einem manchmal unendlichen Abwägungsprozess miteinander in Beziehung gebracht, verrechnet, in den Wahrscheinlichkeiten, mit denen sie eintreten könnten, gewichtet, bis sich alles gegenseitig aufhebt und in einem grauen, kreisenden Nebel der Ungewissheit verschwindet, aus dem sich am nächsten Morgen dieselben, altbekannten Konturen wieder herausbilden und so weiter und so fort ...

»Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen«, hat Camus gesagt. Der Grübler ähnelt jenem Helden der griechischen Mythologie, den die Götter verdammt hatten, immer wieder denselben Stein einen Abhang hinaufzurollen, von dem er – kaum oben angekommen – wieder herunterrollte. Aber sind Grübler glücklich?

Nein, natürlich nicht, denn sie erreichen ihr Ziel nicht. Die Ängste, die vermieden werden sollen, stellen sich dennoch ein, nicht aber die positiven Konsequenzen, die mit mutigen und kraftvollen Entscheidungen verbunden |32|sind. Der Versuch, eine perfekte Lösung zu finden, die mit keinerlei Ängsten und Risiken behaftet ist, schafft ein neues, quälendes Problem, weil es diese Lösung nicht gibt. Menschen, die zum Grübeln und zum Zaudern neigen, sind meistens Perfektionisten, die auf der Suche nach der einzig wahren, richtigen und allein selig machenden Lösung oder Entscheidung sind. Die ist in unserer Welt aber nicht zu bekommen. Und vielleicht nicht einmal im Jenseits: Was erwartet einen, wenn man nach dem Tod in den Himmel kommt? Man steht vor zwei Türen. Auf der einen steht: Eingang zum Himmel, auf der anderen Eingang zum großen Saal: Vorträge über den Himmel. Grübler und Zauderer werden vor beiden Türen verharren; wer das Haar in der Suppe befürchtet, wird zunächst einmal zum Vortrag gehen.

Doris spürt im Inneren eigentlich immer ziemlich genau, was richtig für sie wäre. Da sie sich aber nicht danach richtet, haben ihre Zweifel hintergründig wohl zu tun mit der bangen Frage: »Darf ich innerlich aufsässig sein und meinen eigenen Weg gehen, oder muss ich artig und gehorsam sein?« Doris, die nicht handelt, sondern grübelt, gehört zu den zwanghaften Menschen.

Zwanghaftigkeit

Es gibt unterschiedliche Grade von Zwanghaftigkeit. Am einen Ende stehen die Zwangskranken, am anderen wir alle, wenn wir ein bisschen »zwängeln« und dreimal kontrollieren, ob wir unser Portemonnaie auch eingesteckt haben.

Manche Menschen mit Zwangserkrankungen müssen gegen ihren eigenen Willen bestimmte Handlungen exzessiv wiederholen, sich beispielsweise hundertmal tagsüber die Hände waschen, die Herdplatten kontrollieren oder sich davon überzeugen, dass Scheren und Messer wirklich gut verstaut in der Schublade sind und keineswegs offen herumliegen. Wer unter Zwangsgedanken leidet, muss immer wieder dieselben Gedanken denken, oft mit aggressiven Inhalten und häufig begleitet von der Überzeugung, dass nur dieses zwanghaft wiederholte Denken davor schützt, dass die gefürchteten Gefahren eintreten.

Die Probleme, die zwanghafte Menschen haben, werden dadurch verschärft, dass sie dazu neigen, das Gegenteil von dem zu tun, wonach |33|ihnen innerlich auch und überwiegend zu Mute ist. Sie haben eine Wut auf jemanden, machen ihm aber ein Geschenk. Sie möchten sich von ihren Partnern lösen, fühlen sich innerlich deswegen aber so schuldig, dass sie sich durch tägliche Anrufe immer mehr an den anderen binden.

Die Mischung aus Reaktionsbildungen, wie man das nennt, und direktem Gefühls- oder Wunschausdruck macht das Verhalten zwanghafter Menschen so widersprüchlich. Sie sind dann zugleich sauber wie unsauber, moralisch hochstehend und niedrig gesinnt, ordentlich und chaotisch. Oberflächliche Aktivität kann tiefe innere Wünsche nach Passivität verdecken. Auch Doris kennt das, was man eine tiefe Ambivalenz nennt: ein Wollen und zugleich Nicht-Wollen. Das Ganze ist in tiefe Scham getaucht. Wenn man Doris auf ihre Probleme anspricht, dann reagiert sie beleidigt.

So wie es beim Umgang mit Explosivstoffen Sinn macht, Pulver und Lunte getrennt zu halten, so isolieren Menschen mit zwanghaften Charakterzügen Gedanken und Gefühle voneinander. Ihren Plänen fehlt auf diese Weise häufig der emotionale Motor, sie sind zu »kopfig«, ihre Gefühle bleiben blass und abgeriegelt, verborgen hinter einer häufig kühlen, intellektuellen Fassade.

Der Inhalt von Zweifeln bezieht sich am häufigsten auf die Vereinbarkeit von inneren Wünschen und Verboten. Die Ambivalenz, der Konflikt zwischen Autonomiewünschen und Unterordnungsbereitschaft, führt zum dauernden Brüten und Drehen und Wenden der immer gleichen Überlegungen. Durch die Isolierung von den Gefühlen kommt keine Energetisierung zustande und damit auch keine Richtung, in die sich die Gedanken bewegen könnten.

Denken ist immer auch Probehandeln und damit für jemanden, der Handlungen fürchtet, potenziell bereits gefährlich. Wer Angst vor bestimmten Folgen seiner Handlungen hat, kann die Zahl der Vorbereitungsmaßnahmen steigern, bis die Zeit nicht mehr ausreicht, um wirklich zu handeln. Vieles wird für eine Zukunft vorbereitet, die niemals Gegenwart sein wird. »Mein Leben war voller schrecklicher Unglücke, von denen die meisten nie eingetreten sind«, hat der berühmte französische Essayist Michel de Montaigne diese Haltung beschrieben.

Angst vor Veränderungen überhaupt führt auch dazu, dass die Betroffenen |34|lieber in ihrem Elend verharren, als zu neuen Ufern aufzubrechen. Außerdem kann das Leben in Vorbereitung eine gewisse Vorlust bescheren, die zwar nicht vergleichbar ist mit der wirklichen Befriedigung. Wenn diese aber mehr gefürchtet als wirklich angestrebt wird, dann ist ein bisschen Vorlust besser als gar nichts.

Das Gegenstück zum Vorbereiten liegt im Ungeschehenmachen einer schließlich doch zustande gekommenen Handlung nach dem Prinzip: ein Schritt vor, zwei zurück. Es ist der Versuch, den zwangsläufig unerfreulichen Folgen jedweder Festlegung zu entgehen. Dafür empfiehlt sich auch das abergläubische oder magische Denken.

Trotz

Als Doris noch klein war, opponierte sie in der Schule gegen die Regeln der deutschen Zeichensetzung. Es regte sie auf, dass sie die Kommata nicht setzen durfte, wie sie wollte, sondern so, wie der Duden es bestimmt hatte. Sie hasste den Duden, den sie sich als einen strengen, alten Herrn vorstellte.

Trotz ist eng verknüpft mit zwanghaften Problemen und wird erlebt als wütende Auflehnung gegenüber Autoritäten oder die eigene innere Stimme, die einem sagt, was zu tun oder was richtig wäre. Trotzigen Menschen widerstrebt es, Handlungen auszuführen, weil sie nur Unterwerfung oder Rebellion kennen. Entweder sind die inneren oder die äußeren Kräfte so dominant, dass sie sich ihnen nur beugen können. Dann fügen sie sich, erleben das aber als narzisstische Niederlage und nehmen sich vor, bei nächster Gelegenheit durch Widersetzlichkeit die Scharte wieder auszuwetzen. Im Kern fürchten trotzige Menschen ihre Selbstachtung und ihr Selbstbestimmungsrecht zu verlieren. Beides sehen sie jederzeit als bedroht an und sind bereit, es zu verteidigen, vorausgesetzt es gibt eine Chance dazu. Als Kompromiss zwischen sofortiger Unterwerfung unter Abspaltung aller kritisch-selbstbehauptenden Impulse und rebellischer, manchmal rechthaberischer und unbeugsamer Auflehnung gibt es das Trödeln, das endlose Hinauszögern, das quälende Andere-warten-Lassen, mit dem Trotzige ihre Macht durch passiv-aggressive Hinhaltepolitik zum Ausdruck bringen.

|35|Aggressionen

Wer Ärger und Wut in sich trägt, grübelt gerne über vergangene Kränkungen nach und erhitzt sich an Rachephantasien. Leider (oder Gott sei Dank) sind diese häufig nicht leicht umsetzbar. Negative Erfahrungen, die Anlass für die Aggressionen waren, immer wieder zu recyceln, schwächt natürlich eine positive, zukunftsbezogene Haltung. Wer verärgert der Vorstellung nachhängt, vergangene Kränkungen wieder gutzumachen, kommt mit dem Schmieden realistischer Pläne nicht voran. In den Zweifel- und Grübelorgien vieler Menschen wechseln sich zudem Wut und Angst ab und schaukeln sich gegenseitig hoch.

Schamgefühle

Beschämung steht in enger Beziehung zu Handlungsstörungen. Sobald sie erwartet wird, hört man auf zu denken oder zu handeln. Oft sind es Vorstellungen von Misserfolg und Versagen, die mit der Angst davor, beschämt dazustehen, erlebt werden. Scham tritt dann auf, wenn man sich entblößt fühlt, gewissermaßen nackt und hässlich unter lauter gut gekleideten Menschen, deren unbarmherziger Blick auf einem ruht. Das, was man an sich selbst für Schwächen, Schmutzigkeiten und Defekte hält, ist normalerweise den anderen verborgen. Wird es dennoch sichtbar, sind die Schamgrenzen verletzt worden. Zwanghafte Menschen schämen sich meistens für ihre Zwanghaftigkeit, ihre Rituale und ihr Zaudern.

Überkompensatorische Idealbilder

Erfahrungen von Schmerz, Ungenügen, Demütigungen und Kränkungen sind für uns alle leidvoll, deswegen denken wir ungern an sie zurück. Weil unser Gehirn auf das Aufspüren kausaler Zusammenhänge ausgelegt ist, suchen die meisten von uns bei sich selbst, in ihrem Verhalten oder in ihrer Persönlichkeit, nach Ursachen für negative Ereignisse. Das suggeriert zumindest Handlungskontrolle: Wenn wir selbst schuld waren, dann können wir das nächste Mal etwas anders machen. Oder es besser machen. Wenn Sie auf der Basis solcher Gedanken tatsächlich |36|üben, sich anders zu benehmen, ist das eine gute Kompensation für Schwächen. Wenn Sie aber Vorstellungen entwickeln, wie Sie künftig unangreifbar sein und besser als besser auftreten sollten, dann entwickeln Sie ein Ideal. Das wäre dann eine Überkompensation. Sobald Sie in Ihrer Vorstellungswelt ein Ideal errichtet haben, werden Sie sich noch mehr abwerten, wenn Sie ihm nicht genügen. Damit verfestigen Sie das Ideal, verpassen sich grausame Strafen und verwandeln sich in ein Opfer. Latent kann dabei Hochmut eine Rolle spielen. Auch das ist eine Überkompensation von Elend: sich zu behandeln wie den Elendigsten, das Hiob-Syndrom. Auf die Dauer haben Sie mit dieser Strategie keine Kraft mehr für Handlungen.

Selbstwertgefühl

In Ihnen gibt es eine seismografische Instanz, die Ihren Umgang mit der inneren und äußeren Welt mit einem Register an Vorstellungen darüber vergleicht, wie Sie sein sollten und wie Sie in Relation zu anderen abschneiden. Aus der Bilanz dieser Vergleiche ergibt sich Ihr Selbstwertgefühl. Wenn Sie Handlungen und Entscheidungen sowie deren erfolgreichen Ausgang mit Ihrem Selbstwertgefühl verbinden, haben Sie eine schöne Möglichkeit geschaffen, sich gut zu fühlen – vorausgesetzt, alles klappt. Was aber, wenn etwas schief geht? Dann fällt der Misserfolg – derselben Logik folgend – auf Sie zurück und wird zum Zeichen Ihres Unwerts. Sich unwert zu fühlen gehört zu den erniedrigendsten Emotionen.

Vieles wird gar nicht erst angepackt, weil ein ohnehin geringes Selbstwertgefühl nicht gefährdet werden soll. Manches aber auch vermieden, um eine aufgeblähte Selbstüberschätzung nicht wie eine Seifenblase zerplatzen zu lassen. Aus der Angst vor drohender Beschämung und dem Verlust des Selbstwertgefühls wird nicht gehandelt, und damit werden genau jene Reste des Selbstwertgefühl, die geschützt werden sollten, peu à peu ruiniert. Denn irgendwann werden Sie anfangen, sich auch wegen Ihrer Ängste, wegen Ihres Ärgers, wegen Ihrer ohnmächtigen Depressivität und wegen Ihrer Tatenlosigkeit zu schämen.

|37|3 Vermeiden, Vertrödeln, Sich-Verzetteln: Feinde von Erfolg und Genuss

»Abends denk ich immer: Was ich heute alles nicht gemacht habe, reicht auch für zwei!«

Wolfgang Neuss

Der folgende Fragebogen hilft Ihnen herauszufinden, wie sehr das Aufschieben bei Ihnen zu einer Gewohnheit geworden ist, die durch falsche Einstellungen zu Leistung und Aufgabenerledigung hervorgerufen wird.

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Fragebogen: Sind Sie ein notorischer Aufschieber?

Auswertung:

0–5 Punkte: Glückwunsch, Aufschieben gehört nicht zu Ihren Angewohnheiten. Sie haben die richtige Einstellung, um Ihre Angelegenheiten schnell und mühelos zu erledigen. Sie überfordern sich nicht und bleiben auch bei Schwierigkeiten locker.

6–10 Punkte: Es passiert Ihnen schon einmal, dass Sie Dinge vor sich her schieben, aber Sie empfinden das zu Recht nicht als Problem. Die meisten Ihrer Pläne setzen Sie auch um. Bei Schwierigkeiten finden Sie deren Ursachen heraus und stellen sie ab.

11–15 Punkte: Vorsicht: Bei Ihnen droht das Aufschieben zur leidigen Gewohnheit zu werden. Statt mit den wichtigen Dingen anzufangen, verbringen Sie zu viel Zeit mit Nebensächlichkeiten und fühlen sich dann überlastet. Überprüfen Sie Ihre Erwartungen an sich selbst und finden Sie heraus, wie es zu Ihrem Aufschieben kommt.

16–20 Punkte: Oh je, bei Ihnen ist das Aufschieben zu einem Muster geworden, unter dem Sie leiden. Sie fühlen sich überlastet und verlangen zu viel von sich. Mit Ihrem Perfektionismus hindern Sie sich daran, die Gründe für Ihr Aufschieben herauszufinden und zu verändern. Versuchen Sie sich mit den Tipps im zweiten Teil dieses Buches zu helfen.

|39|Aufschieben

Vermeiden, Vertrödeln und Sich-Verzetteln sind Erscheinungsformen des Aufschiebens. Aufschieben ist ein faszinierendes Phänomen. Deswegen habe ich darüber ein Buch geschrieben (Schluss mit dem ewigen Aufschieben, Frankfurt/New York 1999) und seit dessen Veröffentlichung durch zahlreiche Zuschriften von Lesern noch viel dazugelernt.

Aufschieben bedeutet: Sie tun nicht das, was Ihrer eigenen Meinung nach vordringlich ist, was Sie selbst als wichtig und/oder dringlich einstufen. Stattdessen beschäftigen Sie sich mit weniger wichtigen oder dringlichen Dingen.

Natürlich gibt es ein alltägliches Aufschieben, das wir alle praktizieren und das keinen massiven Veränderungsdruck mit sich bringt. Gelegentliches Aufschieben hat durchaus Vorteile, wie mir jemand mitteilte, der sich als Angehöriger einer Verwaltungsbehörde outete: »Manche Vorgänge, die man mir zur Bearbeitung hergereicht hatte, die von mir jedoch zur Seite gelegt wurden, sind im Lauf der Jahre in völlige Vergessenheit geraten. Nie hat sich jemand nach dem Bearbeitungsstand erkundigt. Mit anderen Worten: Es wäre ineffektiv gewesen, wenn ich mich der Vorgänge angenommen hätte, da sie offenkundig völlig unwichtig waren.« Nun ja.

Sicher kann man durch Aufschieben auch anders profitieren, so beim Preisverfall bei Elektronikgeräten oder bei Last-Minute-Reisen. Wer jedoch wichtige Vorhaben ernsthaft aufschiebt, hat dadurch eher private oder berufliche Nachteile und leidet zumeist unter dem Aufschieben selbst.

Tanja ist eine 25-jährige Studentin, die einen Berg von Referaten angehäuft hat, die sie in schriftliche Ausarbeitungen verwandeln müsste, um ihre Leistungsnachweise zu bekommen. Sie hat sich schon lange vorgenommen, am kommenden Wochenende anzufangen. Nun ist der Samstag da, mit schönstem Sommerwetter. Sehnsuchtsvoll denkt Tanja an einen Ausflug ins Strandbad, den sie sich jetzt verkneifen muss. Als es um 10 Uhr losgehen soll, merkt Tanja, dass sie noch nicht in Stimmung ist, und beschließt, erst einmal die Zeitung zu lesen. Nach der Zeitungslektüre spürt sie ein gewisses |40|Schuldgefühl: War das wirklich nötig, oder hätte sie nicht besser doch gleich mit dem ersten Referat anfangen sollen? Als sie ihre Notizen zur Hand nimmt spürt sie, wie eine innere Unruhe aufkommt. Sie versucht, sich zu konzentrieren, aber das gelingt nicht. Vielleicht kann eine Tasse Kaffee helfen! Tanja geht in die Küche und wirft die Kaffeemaschine an. Während die vor sich hin gurgelt, fällt ihr Blick auf den Abwasch, der seit Tagen darauf wartet, dass sich jemand seiner annimmt. Den wird sie jetzt erst einmal erledigen, danach geht es bestimmt besser voran. Sie spült und fühlt sich gleich wohler.

Eine dreiviertel Stunde später – Tanja sitzt wieder am Schreibtisch – klingelt das Telefon. Tanjas Freundin Beate hat Liebeskummer und braucht Trost. Nach einer halben Stunde gerät Tanja irgendwie unter Druck: Wenn Beate doch nur endlich zum Ende käme! Als sie den Hörer auflegt und auf die Uhr schaut, packt sie leichte Panik: Es ist gleich zwölf, und Tanja hat noch nichts geschafft! Nun muss sie sich endlich den vermaledeiten Seminarnotizen und Fotokopien zuwenden. Aber wo sind die Aufzeichnungen, die sich auf ihr erstes Referat beziehen? Tanja sucht und sucht. Welch eine Unordnung! Es geht nicht anders, sie muss erst einmal den Schreibtisch aufräumen und ihre Papiere sichten und sortieren.

Nachdem sie das erledigt hat, ist es Mittag geworden, Tanja hat Hunger. Was ist eigentlich zu essen da? Der Kühlschrank ist ziemlich leer, sie muss einkaufen gehen.

Um halb drei ist Tanja satt, aber müde. Ein Power-Nap wird ihr die nötige Energie verschaffen, um mit den Aufzeichnungen endlich anfangen zu können. Sie verschläft ein bisschen, sodass sie die Arbeit erst um 4 Uhr wieder aufnehmen kann. Sie fährt ihren PC hoch und sucht im Internet nach einer Erklärung für den Begriff des »Grenznutzens«, den sie in der Vorlesung neulich nicht richtig verstanden hat. Sie findet ein paar brauchbare Definitionen, aber auch einige sehr interessante Artikel. Nach zwei Stunden brennen ihr die Augen, und sie wundert sich selbst: Wie ist sie eigentlich auf diese Websites über das Filmfestival in Cannes gekommen?

Man kann Aufschieben als einen Versuch ansehen, mit unangenehmen Gefühlen fertig zu werden, die mit Vorhaben in Verbindung stehen. Man weicht auf etwas anderes, nicht ganz so Unangenehmes, aus, sobald die Anspannung einen bestimmten kritischen Wert erreicht hat. Unangenehme Gefühle entstehen durch bestimmte unzulängliche Arbeits- und Selbststeuerungsfertigkeiten, durch:

|41|unklare Prioritäten,

eine schlechte Organisation der Aufgabenerledigung,

Impulsivität und

Mangel an Sorgfalt.

Als unangenehm kann aber auch das Auftreten störender Emotionen erlebt werden, die sich dann regen, wenn Sie eine Sache anpacken wollen, wie beispielsweise:

Abneigung gegen Aufgaben,

Ängste,

Ärger,

Perfektionismus,

auftauchende Konfliktspannungen oder

Bedrohungen des Selbstwertgefühls.

Nun machen sich diese im Hintergrund liegenden Kräfte oft nicht direkt bemerkbar, sondern tarnen sich. Sie spüren Unlust, und sagen sich:

Ich muss erst mal ein paar Vorarbeiten erledigen, wie zum Beispiel meinen Schreibtisch aufräumen.

Es bringt sowieso nichts, wenn ich nicht in der richtigen Stimmung bin.

Das geht alles so zäh voran, morgen wird es bestimmt besser laufen.

Hinter den aktuell auftauchenden Gedanken, die Sie zum konkreten Vermeiden veranlassen, stecken manche dauerhaftere Überzeugungen und Ideen, die ein Ausweichen ohnehin schon begünstigen:

Es ist zu anstrengend.

Ich weiß nie, womit ich anfangen soll.

Die Sache wird sich schon von allein regeln.