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Dieses E-Book entspricht ca. 200 Taschenbuchseiten ... Vanessa ist sexuell frustriert, da ihr Mann sich nur noch mit seiner Arbeit beschäftigt. So befolgt sie den Rat ihrer Schwester, sich online einen Lover zu suchen, und stürzt sich gleich in mehrere Abenteuer. Ihre geheimsten Begierden erwachen, Fantasien werden wahr. Doch dann wird sie entführt. Ist es der zärtliche Philip, mit dem sie heimlich in einer Pension gevögelt hat, oder der verrückte Gordon, der versucht, eine Maschine zum Vögeln zu konstruieren? Oder gar der Stalker mit dem Hut? Ihr Entführer bringt sie schreiend zum Orgasmus, bevor er sich die Maske vom Gesicht nimmt. Mit dieser Person hätte Vanessa niemals gerechnet ... Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.
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Seitenzahl: 275
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum:
Entführt, geliebt und bestraft! Erotischer Roman
von Carrie Fox
1964 in Dinslaken geboren, verbrachte Carrie Fox ihre Jugend in Duisburg, wo sie auch heute wieder lebt. Ihr beruflicher Lebenslauf führte sie über eine handwerkliche Ausbildung zur Verkaufsberaterin in einem Baumarkt.Außer einer Eins in Deutsch und Kunst zeichnete sich nie ab, dass sie ihren privaten Ausgleich einmal im Schreiben finden würde. Nachdem sie über 50 wissenschaftliche Artikel für eine historische Fachzeitschrift verfasst hatte, veröffentlichte sie 2021 ein Sachbuch zur Geschichte. Seit 2010 widmet sich Carrie dem Schreiben erotischer Romane und liefert jedes Jahr ein neues Buch.
Lektorat: A. K. Frank
Originalausgabe
© 2025 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © Tverdohlib.com @ depositphotos.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783759000538
www.blue-panther-books.de
Die Schwestern
Vanessa hielt ein kleines Holzschild in der Hand. Es war etwas schmaler als ein Briefumschlag, mit abgerundeten Ecken und weiß lackiert. Auf ihm geschraubt befanden sich drei Zierhaken aus Chrom. HOME stand in geschwungener Schrift über den Haken. Sie hatte diese auffallend gut verarbeitete Schlüsselleiste beim Einkaufen gefunden. Sie hatte verdeckt in einem Stapel voller Kleinteile auf dem Wühltisch eines Kaufhauses gelegen. Es war ein Schnäppchen, ein günstiges Kleinod, das sich in ihrem Flur gut machen würde. Der Schriftzug vermittelte ihr ein bestimmtes Zuhause-Gefühl.
HOME…Zuhause… Das strahlte Geborgenheit aus und sie wollte es als heimelige Empfindung festhalten. Sie wusste schon genau, wo sie es hinhängen wollte, und hatte alles vorbereitet. Sie legte das Schild auf den Boden und nahm Ingos Bohrmaschine in die Hand. Das Teil wog schwer, zum Glück war die Maschine handlich. Dann setzte sie den Bohrer an. Das laute Aufheulen der Maschine glich einem startenden Porsche und ließ ihre Fingerspitzen prickeln. Vorsichtig und zitternd probierte sie, in die Wand zu kommen, und rutschte prompt ab. Mist, sie hatte die Wandoberfläche beschädigt. Ein kurzer, schräg verlaufender Kratzer war entstanden. Gott sei Dank würde das Schlüsselbrettchen den Schaden verdecken.
Sie beschloss sich mehr ins Zeug zu legen. Sie verstärkte den Druck ihrer Hände, stemmte sich mit aller Kraft dagegen und die Bohrmaschine drang mit lautem Getöse in die Wand ein. Die Maschine machte so einen Lärm, dass es heftig in ihren Ohren dröhnte. Die Vibration durchdrang ihren Körper und ihre Oberarme, sodass es in ihren Fingern kribbelte. Roter Staub rieselte aus dem darunterliegenden Ziegelmauerwerk zu Boden. Glücklicherweise musste sie nur zwei Löcher bohren.
Selbst ist die Frau. Vanessa hatte ihre ersten Bohrlöcher gut hinbekommen und fühlte sich wie ein Sieger. Sie lächelte zufrieden und betrachtete die gebohrten Schraubenkanäle in der Wand. Jetzt musste sie nur noch zwei Dübel hineindrücken und passende Schrauben mit dem Täfelchen hineindrehen und fertig war ihr erstes eigenes Werk. Ingo hätte sowieso keine Zeit gehabt, ihr beim Bohren zu helfen. Er war viel zu beschäftigt mit seiner Arbeit.
Eigentlich hatte sie zunächst eine Firma beauftragen oder den Hausmeister fragen wollen, ob er ihr half, aber sie hatte diesen Gedanken wieder verworfen. Engagieren und bezahlen, das konnte schließlich jeder. Nein, diese Arbeit, die sie mit ihren eigenen Händen geleistet hatte, sollte etwas sein, das Ingos fehlende Zuwendung ersetzen konnte. Sie wollte allein etwas fertigbringen, weil es ihr das Gefühl gab, gebraucht zu werden. Noch einmal betrachtete sie das weiße Schlüsselbrettchen an der Wand und das Gefühl in ihrem Inneren war richtig gut.
Ihre Gedanken schweiften zu Ingo. Er konnte sicher nichts dafür, dass er in seiner Arbeit versank, doch ihr Liebesbedürfnis verkümmerte dabei. Sie fühlte sich vernachlässigt, obwohl sie ihn liebte. Vielleicht wäre es ein guter Ausgleich, die Wohnung zu verschönern. Sie brauchte etwas, das Freude und Befriedigung brachte, wenn sie sich allein gelassen fühlte. Sie dachte an ihre Schwester Viola. Es bestand eine besondere Verbundenheit zwischen ihnen. Ihre Schwester war immer für sie zu sprechen. Wenn sie sie brauchte, war sie da und umgekehrt. Doch für die Aufgabe, die Wohnung zu verschönern, war Viola nicht die Richtige, denn sie experimentierte lieber mit Kleidung und Schmuck, anstatt mit gediegenen handfesten Werken.
Vanessa holte klappernd den Staubsauger aus der Abstellkammer, um den Mauerdreck zu entfernen. Der rote Schmutz flitzte hinein, als sie sich mit dem Saugrohr näherte. Dann räumte sie ihn zurück, trat beiseite und begutachtete ihr Werk voller Stolz. Es war gar nicht so schwer, wie sie am Anfang gedacht hatte. Sie ließ ihren Blick über die Wände und die Einrichtungsgegenstände schweifen. Zwei große Fotos hingen an der Längsseite.
Eines zeigte sie selbst und Ingo auf einer Sommerterrasse. Die Strahlen der untergehenden Sonne hatte sie in ein warmes Licht getaucht. Sie saßen, sich wie Kumpel umarmend, die Köpfe seitlich aneinander gelehnt, nebeneinander und lächelten in die Kamera. Es war ihr letzter schöner Urlaub in Spanien gewesen. Wie lange das her war… Sie vermisste die Augenblicke der Zweisamkeit mit ihm. Traurig seufzte sie. Am Anfang ihrer Partnerschaft waren sie und Ingo jedes Jahr in den Urlaub geflogen. In den letzten zwei Jahren hatte er jedoch keine Zeit mehr aufbringen können.
Das andere Bild zeigte Vanessa mit ihrer ein Jahr jüngeren Schwester Viola, als sie noch klein waren und Hand in Hand in süßen Kleidchen auf einer Blumenwiese standen. Viola sah Vanessa äußerlich ziemlich ähnlich. Sie waren zwar beide dunkelhaarig mit blauen Augen, aber jede von ihnen hatte andere Wesenszüge. Viola war schon damals eine vorlaute Göre gewesen, während Vanessa schüchtern war. Trotzdem fühlten sie sich tief verbunden. Innerlich spürten sie, wenn die andere nicht gut drauf war. Wenn eine krank war, fühlte sich auch die andere nicht gut und oft hatten sie den gleichen Gedanken zur selben Zeit, als wenn sie Zwillinge wären. Als Kinder hingen sie wie die Kletten aneinander und hatten die gleichen Interessen gehabt.
Doch genug von vergangenen Zeiten geträumt. Vanessa sah sich im Flur um. Wie er überhaupt aussah! Das Regal neben dem Spiegel war verkratzt, weil Ingo immer seinen Schlüsselbund dort hinwarf. Es war eine Unart von ihm, seine Schlüssel dort hinzuschmeißen. Immer wieder ärgerte sie sich darüber. Doch jetzt konnte er sie ordentlich aufhängen, damit es aufgeräumt aussah. Das Schlüsselbrettchen passte perfekt in den Flur. Es war nicht zu groß, aber unübersehbar. Seine weiß lackierte Oberfläche harmonierte mit der weißen Haustür und der lindgrünen Wandfarbe. Die Chromhaken passten gut zur Deckenlampe, die in hellem Silber erstrahlte.
Am liebsten würde sie noch einen neuen Schuhabstreifer kaufen und einen modernen schmalen Schuhschrank in Weißlack. Warum eigentlich nicht? Der Flur hatte, seit sie hier eingezogen waren, nichts Frisches mehr an Einrichtungsgegenständen gesehen. Wenn sie genau hinsah, konnte sie die abgewetzten Stellen an der Wand erkennen, wo ihre Schuhe standen und wo Ingo und sie die Jacken und Mäntel hingehängt hatten. Die Wand sah abgenutzt aus. Sie musste gestrichen werden. Eine neue Garderobe wäre auch nicht schlecht.
In Gedanken malte sie sich einen hübschen Eingangsbereich aus, mit einer anderen Farbe und einem neuen Design. Sie wollte, dass die Dinge farblich gut aufeinander abgestimmt und ausgewählt wurden. Die Bilder ließen sich bei dieser Gelegenheit bestimmt in einen passenderen Rahmen bringen. Neues zu schaffen, gäbe ihr mit Sicherheit ein neues Gefühl. Eins, dass sie glauben ließe, dass es ihr gehörte. Ihr allein, denn sie hatte es entworfen und eingerichtet. Durch ihre Ideen und der Hände Kraft sollte etwas Neues entstehen.
Was Ingo wohl dazu sagen würde, würde er zustimmen oder meckern? Bisher hatte er ihr freie Hand gelassen, wenn es darum ging, den Haushalt zu führen und hier und da einen Gegenstand zu kaufen. Aber diesmal ging es um etwas Größeres. Für Vanessa war dieser Akt unheimlich wichtig, doch was Ingo davon hielt, wusste sie nicht. Vielleicht war es ihm egal, weil er sowieso keine Zeit für sein Zuhause hatte.
Leider würde ein neu gestalteter Flur nichts daran ändern, dass er die Zeit nicht mehr aufbrachte, es könnte jedoch wenigstens seine Stimmung aufhellen. In letzter Zeit sah er abgespannt und bedrückt aus. Ach, wenn er doch mit aussuchen könnte, was die Möbel anging. Früher waren sie oft einkaufen gegangen und hatten gemeinsam Sachen ausgesucht. Sehnsuchtsvoll dachte sie an die Zeit zurück, in der sie zusammengezogen waren und alles miteinander gekauft hatten. Aber heute war alles ganz anders.
Wie dem auch war, sie beschloss, den Flur in einem leichten, sonnigen und freundlichen Gelb zu streichen. Es würde sommerliches Flair in den Flur bringen und schlechte Laune vertreiben.
Den Haushalt hatte sie für heute erledigt. Bis Ingo nach Hause kam, hatte sie noch genügend Zeit, sich in einem Einrichtungshaus umzusehen. Sie wollte nicht bis morgen warten und musste die sprudelnden Ideen in ihrem Kopf ausschöpfen und realisieren. Im Möbelgeschäft gab es sicher tausend Auswahlmöglichkeiten.
Sie stieg in ihre Sportschuhe, schwang ihre dünne Sommerjacke über die Schultern und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Nicht, dass sich noch Bohrstaub in ihrem Gesicht oder in den Haaren befand. Nein, sie hatte sauber gearbeitet, in ihren dunklen Haaren fand sich kein Stäubchen. Sie schüttelte ihre Frisur auf, sodass die langen, braunen Haare schön über ihre Schultern fielen. Sie griff nach ihren Schlüsseln, nahm das Portemonnaie an sich und verschwand durch die Haustür.
***
»Frau Schmitz, bringen Sie mir bitte die Akte Greiner gegen Autohaus Ballinghoff.« Ingo hielt den Zeigefinger auf die Taste der veralteten Sprechanlage, die ihn mit der Dame im Vorzimmer verband.
»Ist sie beziffert?«, kam prompt die Frage.
»Nein, ich hatte keine Zeit. Sie müssen nach dem Namen suchen.«
»Ach, Herr Hohenstein! Sie wollten sich doch angewöhnen, fortlaufende Nummern für ihre Fälle auf die Ordner zu schreiben«, schepperte die Antwort durch den Apparat.
»Jaja, entschuldige, das habe ich nicht mehr geschafft.«
Ingo wandte sich erneut seiner Arbeit am PC zu. Er musste noch mehrere Anschreiben erledigen und einige wichtige Dokumente ausdrucken. Kurze Zeit später klopfte es, die Tür ging auf und Frau Schmitz trat mit einem dicken Leitzordner ins Büro. Sie schob den Anrufbeantworter beiseite und legte die Akte auf einen Beistelltisch.
»Herr Hohenstein, Sie haben ja immer noch keinen Platz gemacht.« Sie verzog missmutig den Mund und schüttelte leicht den Kopf. Anscheinend verstand sie nicht, dass er zu viel anderes zu tun hatte, als auch noch seinen Schreibtisch aufzuräumen.
»Danke«, antwortete er deshalb kurz zurück und machte eine wedelnde Handbewegung. »Sie können wieder gehen.«
»Tsss«, hörte er sie verständnislos zischeln, bevor sie die Bürotür hinter sich schloss.
Sie hatte ja recht, aber er konnte kaum noch dagegen ankommen. Jeglicher Papierkram stapelte sich mit der Zeit zu einem unordentlichen Haufen, sodass auf dem Schreibtisch keine Ablagemöglichkeit mehr war. Mitunter suchte er Dinge, die er selbst nach dem Umschichten der Stapel nicht mehr fand. Ja, er war schlampig geworden in letzter Zeit.
Mit der gestrigen Post war ein Antrag auf Verteidigung wegen eines Schadens an einem Sportauto gekommen. Es gab keine Verletzten. Er schüttelte missbilligend den Kopf. Kleinigkeiten wie diese machten die meiste Arbeit. Akten. Gespräche. Gerichtstermine. Botenfahrten. Der Stress ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Früher war er dreimal in der Woche ins Fitnessstudio gegangen. Selbst das konnte er nicht mehr mit einplanen. Wie schön wäre es, wenn er sich am Wochenende ausruhen könnte, wie andere Leute es auch taten. Wie gern würde er mit Vanessa etwas Schönes unternehmen. Doch sein Arbeitspensum ließ ihm keine Ruhe. Er nahm ständig viel Arbeit mit nach Hause, die er nicht aufschieben konnte.
Ingo seufzte und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Er betrachtete den Bilderrahmen mit dem Foto seiner Frau. Vanessa… Ihr schönes, langes Haar umrahmte ihr Gesicht. Auf dem Foto sah sie über die rechte Schulter, schien ihr Kinn darauf abgestützt zu haben und die Haare fügten sich der Körperdrehung, lagen harmonisch in einem geschwungenen Bogen über der Schulter. Ihre wunderschönen Augen sahen ihn direkt an. Der Hintergrund war blau, sodass ihr Gesicht, die schönen Haare und die strahlend blauen Augen besonders gut zur Geltung kamen. Sie hatte ihm das silbern gerahmte Foto zu ihrem gemeinsamen ersten Hochzeitstag geschenkt und nun stand es auf seinem Bürotisch. So hatte er seine Frau immer im Blick. Er lächelte das Bild an, nahm es, streichelte leicht über das Gesicht hinter der Glasscheibe und setzte einen angedeuteten Kuss darauf.
***
Viola schleuderte die braune Mähne im Takt der Musik hoch und runter. Headbangend tanzte sie Schritt für Schritt durch ihr Wohnzimmer.
Sie genoss es, frei und ungebunden zu sein. Sie konnte tun, was sie wollte. Niemand fragte, warum sie ging und wie lange sie blieb. Und das Beste war, dass keiner wissen wollte, wohin sie ging. Sie grinste schelmisch bei dem Gedanken, tun zu können, was auch immer ihr in den Sinn kam. Sie hatte die neongrünen Kopfhörer aufgesetzt und stellte die Musik lauter. Ihr Lieblingssong erklang. Sie tanzte zu den heißen Rhythmen. Niemand sah ihr beim Herumhopsen zu. Sie war allein und freute sich darüber, dass sie seit ein paar Monaten ohne festen Partner war. Ihre neu gewonnene Freiheit war das Beste, was ihr jemals passiert war, und ein Grund zur Dauerfreude. Sie wollte ihre Freiheit genießen und viele verschiedene Männer kennenlernen. Ihre Charaktere erforschen, ihr Verhalten studieren und natürlich testen, wie sie im Bett waren. Sie wollte sich austoben und sich die Männer schnappen, die ihr gefielen. Die Welt stand ihr offen und sie beschloss, alles mitzunehmen, was sich ihr an Gelegenheit bot.
Es mochte in den Augen anderer schlampig und sexistisch sein, doch Viola war das egal. Sie war frei und ungebunden und plante, alles auskosten, ohne sich zu binden. Sie war der festen Meinung, sie als freie Frau dürfe das Spiel bis in die Unendlichkeit treiben.
Das Lied war zu Ende. Sie zog den Kopfhörer ab und ließ sich erschöpft vom Tanzen in den Sessel fallen. Sie dachte über ihre Freiheit nach und zählte in Gedanken die Männer, die sie seitdem vernascht hatte. Bisher waren es vier. Allesamt kannte sie aus dem Internet. Was täte sie nur ohne die virtuelle Welt? Vier kurze Begegnungen mit heißem Sex und ohne Verpflichtungen, was könnte es Schöneres geben? Vier Kerle waren doch ein guter Schnitt. In jedem Monat einen. Es wurde Zeit, dass sie sich nach jemand Neuem umsah.
Heute hatte sie beschlossen, nach Feierabend in die Stadt zu fahren. Auf dem Weg zur Arbeit waren ihr bunte Plakate aufgefallen. Ein Rummelplatz wurde aufgebaut, wie jedes Jahr um diese Zeit. Sie wollte dabei zusehen. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit. Sicher kamen viele Schaulustige, um zu sehen, wie der Rummelplatz aufgebaut wurde.
Doch vorher hatte sie noch im Laden zu tun. Sie zog ihren Lieblingsoverall an, den mit der Glitzerkante an dem weit ausgeschnittenen Dekolleté. Sie wusste, wie das petrolgrüne Kleidungsstück wirkte und dass ihr männliche Kunden ständig in den Ausschnitt sahen. Ihre üppige Oberweite lag darin wie zwei übergroße Pfirsiche. Sie war darüber äußerst amüsiert.
Aufdringlich? Anzüglich? Nein, sie empfand dieses Kleidungsstück als einen Blickfang für die männliche Kundschaft. Sie hatte den Eindruck, dass es verkaufsfördernd war, in dieser Aufmachung im Laden zu stehen. Sie schmunzelte bei diesem Gedanken. Ihr Körper war mit dem wallenden, dunklen Overall verdeckt und zeigte ihre schlanke Taille, die sie mit einem Glitzergürtel betonte.
Viola arbeitete in einer Accessoire-Boutique am Anfang der Einkaufsstraße. Als sie das Geschäft betrat, war ihr Kollege gerade dabei, Kartons aufzuschneiden.
»Hallo, Juppi«, grüßte sie. Juppi sah auf und schnitt weiter, ohne hinzusehen. So ritzte er einen Karton an der falschen Stelle auf und stach sich mit der Messerspitze in den Finger der anderen Hand.
»Scheiße«, schimpfte er und steckte den verletzten Finger in den Mund.
»Na, wenn das mal keine herzliche Begrüßung ist.« Viola lachte, als sie ihren Kollegen am Boden knien sah. Das Cuttermesser in der Hand haltend, sah er sie von unten herauf an, wie ein Dackel, der um Futter bettelt.
»Hast du dich verletzt?«
»Nein, nicht der Rede wert. Hab nicht aufgepasst. Mist.« Während er sich erhob, lutschte er noch mal an seinem Finger. »Heute ist eine Sendung Handtaschen gekommen.«
»Lass mal sehen.« Viola nahm den Karton, der an der falschen Stelle einen Schnitt abbekommen hatte. Bunte Taschen lagen darin. Ein ganzes Sortiment in verschiedenen Mustern und Farben. Karierte und geblümte. Pastellfarbene und knallbunte. Den Schnitt hatte die leuchtend rote Lacktasche abbekommen. An einer unauffälligen Stelle am Boden und zwei Zentimeter lang. Es war kein großer Schaden, aber sie wusste, dass die Leute diese Tasche stehenlassen würden. Die Kundschaft verlangte einwandfreie Ware.
Sie überlegte, ob sie die Tasche beim Hersteller als Transportschaden reklamieren sollte, oder sie abschreiben und wegwerfen. Da fiel ihr ihre Schwester Vanessa ein. Rot war ihre Lieblingsfarbe, das wusste Viola genau. Für die Farbe Rot hatte sie genau so viel übrig wie Vanessa. Sie waren wie beste Freundinnen. Während der Schulzeit war Vanessas Federmappe genauso rot gewesen wie die Sportschuhe, die sie manchmal trug. Bestimmt würde sie ihr gefallen, also deponierte sie das Ferrari-rote, leuchtende Täschchen unter der Verkaufstheke zwischen den Ordnern.
Sie griff zum Geschäftstelefon und rief ihre Schwester an.
»Hallo, Vanessa. Was machst du gerade, bist du zu Hause?«
»Grüß dich, Viola. Ich bin unterwegs. Ich plane, unseren Flur zu renovieren. Was gibts denn?«
»Den Flur renovieren? Bist du sicher, dass du das kannst?«
Die schüchterne und zurückgezogene Vanessa wagte eine Renovierung. Viola staunte.
»Wenn er fertig ist, zeige ich ihn dir. Also, was gibts?«
»Komm bitte in mein Geschäft, ich habe dir etwas Feines zurückgelegt.«
»Ach ja? Was ist es denn?« Vanessas Neugier war durch das Telefon zu spüren.
»Das sag ich dir noch nicht. Es ist eine Überraschung und ich weiß, dass es dir gefällt.«
»Mach es doch nicht so spannend«, erwiderte Vanessa.
»Komm einfach bei mir vorbei, okay? Wann hast du Zeit?«
»Na gut. Ich komme morgen am Nachmittag zu dir. Heute muss ich mir Möbel anschauen.«
»Da würde ich am liebsten mitgehen, aber ich habe hier noch viel zu tun. Bis morgen, Schwesterlein.«
Viola legte auf und gesellte sich zu ihrem Kollegen, um weitere Pakete zu öffnen und die Geschenkartikel ins Regal einzusortieren.
»Was machst du heute Nachmittag, bei dem schönen Wetter?«, fragte sie Juppi.
»Ich werde mein Auto waschen und mit meiner Familie ins Grüne fahren.«
»Wie schön«, erwiderte sie und war insgeheim froh, außer zu ihrer Schwester keine anderen bindenden Kontakte zu haben. Sie würde lieber für alle Zeit allein und unabhängig bleiben, anstatt sich noch mal fest zu binden. Eine solche Familie würde sie nur erdrücken und sie ihrer Freiheit berauben. Sie mochte keine Einschränkungen. Schon gar nicht, wenn es um ihre Lebensführung ging.
»Und du?«, fragte Juppi zurück.
»In der Stadt wird ein Jahrmarkt aufgebaut. Der soll dieses Jahr riesengroß werden und mehrere Attraktionen bieten. Mit einer großen Loopingachterbahn, einem Riesenrad und anderen tollen Sachen. Das muss ich sehen.«
***
Charly war mit Schaustellern unterwegs und Chefmonteur der Loopingbahn. Die Schule hatte er nicht bis zum Abschluss geschafft. Damals hatte er sie abgebrochen, weil er dem verlockenden Angebot »Mitreisende gesucht« gefolgt war. Es bedeutete ein Leben in Freiheit und es war ihm durchaus klar, dass er seinen Wohnstandort ständig wechseln musste. Gut, die ganze Welt konnte er dadurch nicht bereisen, aber es brachte ihm immerhin ein Pendelleben zwischen acht großen, deutschen Städten ein. Zehn Jahre war das nun her. Heute war er Verantwortlicher für den Aufbau. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren war er im besten Alter und ihm war bewusst, welche Wirkung er auf die Damenwelt hatte. Schließlich arbeitete er täglich an der frischen Luft und hatte einen braun gebrannten Körper. Oft wurde er angesprochen, wo er im Urlaub gewesen wäre.
Seine Arbeit war ein echter Knochenjob, der ihm allerdings einen gestählten und muskulösen Körper beschert hatte. So ein Auf- und Abbau prägte sein Aussehen. Jemand hatte einmal zu ihm gesagt, dass ihn seine Arbeit auf eine exotische Art zu einem kraftvollen Burschen machte. Er setzte seinen gelben Sicherheitshelm auf und sah sich um.
Seit einigen Tagen brachten Transporter und Lastkraftwagen mit Überlänge die langen Metallstreben der transportfähigen Loopingachterbahn. Fünfzig riesige Metallcontainer waren auf dem Stellplatz abgeladen worden. Alle waren nummeriert und aufs Peinlichste geordnet. In einem befanden sich die Streben, Stützen und überdimensionalen Metallgelenke. Tomasz, einer seiner polnischen Helfer, transportierte gerade Unmengen von Fetteimern in einer Schubkarre zum Aufbauplatz. Sie wurden zum Schmieren der Stahlgelenke gebraucht.
Metallenes Hämmern erscholl über den Platz. Hebemaschinen quietschten und Männer riefen sich auf Polnisch etwas zu. Sie begannen, das Fundament mit den Tragstreben zu verbinden. Charly trat hinzu und vermaß den Ausgangspunkt. Er prüfte mit der elektronischen Wasserwaage die Genauigkeit. Alles musste exakt sitzen, denn die Tragfähigkeit des Grundgerüstes entschied über die Sicherheit des nachfolgenden Aufbaus. Er holte aus und schlug mit dem großen Hammer gegen den Stahl. Er wackelte daran, prüfte seine Festigkeit und die Passgenauigkeit der übergroßen Muttern. Dann nickte er den Arbeitern zu und streckte den Arm aus, damit alle sein Daumen-oben-Zeichen erkennen konnten. Das Fundament war passgenau montiert, der Aufbau des Riesenloopings konnte beginnen.
Charly nahm sein Handy aus der Hosentasche und rief den Kranführer an, dass er mit dem Stellen der Metallteile beginnen konnte. Er setzte sich wartend auf das Rohrgerüst und versuchte, die Temperatur einzuschätzen. Es war ziemlich heiß für einen Frühsommer, gefühlte dreißig Grad. Er schwitzte und spürte den Schweiß auf seiner Haut herunterlaufen. Die Hitze und die schwere Arbeit hatten ihm sein Muskelshirt am Rücken durchnässt und Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Er setzte den Sicherheitshelm ab und wischte sie mit dem Handrücken fort. Anschließend öffnete er eine Flasche Wasser. Er setzte sie an und trank einen großen Schluck, bevor er sich den Rest über den Kopf goss. Wie erfrischend das war. Er genoss es, wie das Wasser kühlend in seinen Nacken und über das Gesicht lief. Es floss vom Kinn herab und tropfte auf seine Brust. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund und wischte sich, die Flasche in der Hand haltend, das Kinn ab. Dann hörte er den Kran, wie er über die unebene Wiese heranrumpelte. Charly blinzelte dem Sonnenlicht entgegen.
Er dirigierte den Kran in die Richtung, in die er die Schwerlasten drehen musste, damit sie millimetergenau an ihrem Bestimmungsort befestigt werden konnten.
»Hey, da oben! Den Ring neben der Halterung festmontieren!«, rief er Tomasz zu.
»Ok!«, schrie der zurück.
»Steck das lange Ding tief rein!«
Ein dreckiges Lachen erklang von oben. Tomasz war damit beschäftigt, die tonnenschweren Rundstahlstreben zusammenzusetzen, und blickte frech grinsend auf ihn.
»Bis zum Anschlag!«, befahl Charly und musste jetzt selbst lachen.
»Schon gemacht.« Seine Stimme klang rau, wie die eines Seemanns. Wenn Charly ihn betrachtete, sah er genauso aus, nur dass er an einer Stahlstrebe hing und nicht am Mast eines Segelschiffes.
»In drei Tagen ist Sicherheitsabnahme. Ihr müsst euch beeilen!«, rief Charly zurück und machte sich daran, die erste Etage der Rohrverbindungen zu erklimmen. Bald würde die Loopingbahn stehen.
Irgendwo hatte jemand ein Radio angestellt. Musikschwaden wehten über den Platz. Charly nahm einen Stahlträger in Empfang, den der Kran vorsichtig in seine Richtung drehte und koppelte das tonnenschwere Teil mithilfe eines Riesenwerkzeugs mit einem anderen Metallteil zusammen. Er setzte seine ganze Muskelkraft ein, um positionsgenau zu hantieren. Ein dumpfer, metallischer Klang und ein anschließendes Klicken verrieten ihm, dass die Verbindung eingerastet war und richtig saß.
Er ließ seinen Blick über das Kirmesgebiet schweifen. Von hier aus konnte er über den ganzen Platz sehen. An den Absperrungen standen Schaulustige, die den Fortgang des Aufbaus beobachteten. Eine junge Frau drängte sich nach vorn. Sie hatte lange braune Haare und trug einen dunklen Overall. Sie schien interessiert an dem ganzen Treiben. Plötzlich blickte sie ihn an. Er sah sich um. Nein, es war niemand anderer in seiner Nähe, also fixierte sie sicher ihn. Er kannte diesen Beobachtungsblick der Frauen. Er hatte ihn mehrmals aufgefangen und wusste, was diese Damen von ihm wollten. Nur allzu gern hatte er sich darauf eingelassen. In jeder Stadt gab es mindestens eine, mit der er sich vergnügte. Um herauszufinden, ob die Frau mit den langen Haaren auch so eine war, musste er zu ihr hingehen.
Zuckerwatte und Achterbahn
Viola war in ihr Auto gestiegen. Das hätte sie lieber stehen lassen sollen, denn sämtliche Straßen rund um den Rummelplatz waren abgesperrt. Schwerlastschlepper auf sechzehn Rädern brachten riesige Verstrebungen und kunstvoll bunt lackierte Metallteile. Ihr blieb der Mund offenstehen, als sie die riesenhafte Fratze des Teufels vorbeiziehen sah. Wahrscheinlich war es ein Teil der Horrorbahn. Das Gesicht beeindruckte sie auch ohne blinkende Lichtleisten, zuckende Blitze und unheimlicher Geräusche.
Sie musste eine Umleitung fahren, um nahe an den Rummelplatz zu gelangen. Sie parkte ihr Auto abseits und musste noch einige Minuten laufen, bevor sie ankam.
Nach einer Weile wurde das Drängeln der Schaulustigen unbequem. Viola kämpfte sich vor, bis sie die Absperrung erreicht hatte. Dicke, rot und weiß gestreifte Plastikgitter versperrten den Platz. Es liefen schwarz gekleidete Security-Mitarbeiter mit wachsamen Augen am Zaun hin und her. Sie trugen Kappen, die an Polizisten erinnerten und an ihren schweren Gürteln hingen Schlagstöcke. Offenbar mussten sie für alle Fälle ausgerüstet sein oder zumindest bedrohlich aussehen. Beeindruckt beobachtete Viola sie, wie sie wie die Tiger im Zoo am Absperrzaun patrouillierten.
Dann betrachtete sie das Skelett des stählernen Kolosses, der später die Loopingbahn werden sollte. In einer Woche begann das Fest. Sie freute sich auf die leckeren Köstlichkeiten, die gebrannten Mandeln und Zuckerwatte. Dieser Rummelplatz war traditionsreich und bestand seit dem siebzehnten Jahrhundert, hatte sie gehört. Die bunten Lichter der modernen Kirmes würden in Kürze schillernd blinken und die laute Musik an jedem Stand anders klingen.
Für Viola konnte es nicht hoch oder schnell genug sein. Das war ein echter Kick, ein Adrenalinstoß, den sie genießen musste. Mal ganz abgesehen von den wohlschmeckenden Süßigkeiten, von kandierten Äpfeln oder einem großen Humpen Bier am Abend, war die Atmosphäre auf dem Jahrmarkt beinahe wie auf dem berühmten Oktoberfest. Und am Ende ließ stets ein gigantisches Feuerwerk den Himmel erleuchten. Es würde das pure, spritzige Abendleben für sie sein. Ach, wenn es doch schon so weit wäre.
Plötzlich riss sie ein prachtvoller Anblick aus ihren Träumereien. Da saß der braun gebrannte, coole Typ, den sie zuvor schon fixiert hatte, mit halb nacktem Oberkörper auf der ersten Etage des Gerüstes. Er sah beeindruckend sexy aus. Neben ihm stand eine Flasche Wasser, daneben lag ein gelber Sicherheitshelm. Der Mann nahm die Flasche, trank zuerst und schüttete sich die Flasche Wasser über den Kopf. Wie herrlich erfrischend das aussah. Das Wasser floss über seine schwarzen Haare und sein sonnengebräuntes Gesicht. Er öffnete den Mund, trank den Rest des fließenden Wassers im Vorüberlaufen. Er schüttelte sich, wischte die Wassertropfen mit dem Handrücken fort und streckte danach seinen braunen Oberkörper der Sonne entgegen. Dann setzte er den Helm wieder auf und sprang elegant wie eine Raubkatze von der ersten Plattform des Gerüstes auf den Boden. Dabei hielt er sich mit einem Arm an einer Stange fest und schwang seinen schönen Körper drehend hinunter. Hatte er sie noch gar nicht bemerkt?
Himmel noch mal, was hatte der für einen durchtrainierten Körper! Sie konnte aus dieser Entfernung erkennen, wie seine Muskeln an den Armen spielten. Und erst der Rücken, wie schön er geformt war. Ein großes V ging in eine schlanke Hüfte über, die in einem Jeansbund verschwand. Die Jeans war zerschlissen, ein Blau war kaum noch zu erkennen und seine Füße steckten in klobigen, schwarzen Sicherheitsschuhen. Wie ein Bauarbeiter sah er aus. Voller Kraft und schmutzig von der Arbeit.
Sie seufzte bewundernd. Offensichtlich war er der Vorarbeiter der Truppe und hatte hier etwas zu sagen. Er gab Anweisungen, die von den anderen Arbeitern ausgeführt wurden. Schließlich wandte er den Kopf zum Absperrzaun. Eine Weile verharrte er. Sah er sie etwa an? Eigentlich konnte es jeder andere sein, der hinter oder neben ihr stand, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sie meinte. Wenn er doch nur näherkäme, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Aber er ging zurück in den hinteren Bereich. Schade, sie hätte ihn gern noch länger beobachtet.
Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie sich an der Security vorbeischleichen sollte, um den Mann an dem großen Gerüst zu verfolgen. Aber sie könnte genauso gut des Platzes verwiesen werden, wenn man sie erwischte. Vielleicht würden die Sicherheitsbeamten sie zurückhalten. Nein, das durfte sie nicht riskieren. Sie hielt sich zurück und beschloss, den gut aussehenden Kerl zu suchen, wenn der Rummel begann. Irgendwo würde sie ihn finden. Er gehörte ja schließlich hierher.
Sie sah noch eine geraume Zeit dem Treiben zu, genoss die metallisch hämmernden Geräusche, den Sonnenschein und die Musik, die von weit her zu ihr wehte. Die Monsterteile, die der Kran brachte, wurden von den Arbeitern routiniert zusammengesetzt. Die Sonne schien hell und ließ die Stahlstreben aufblitzen. Der Frühsommerhimmel zeigte weiße Wölkchen. Es war ungewöhnlich heiß. Kein Schatten war weit und breit, keine Bäume, keine hohen Mauern. Ihre Kehle fühlte sich staubig an. Durstig, wohl wegen der Hitze. Oder weil sie wegen des Typs staunend den Mund offenstehen lassen hatte. Sie kicherte insgeheim. Bei einem Prachtwetter wie diesem konnte sie sich noch ein Eis gönnen.
Sie drehte sich um und wollte sich gerade einen Weg durch die Menschenmenge bahnen, um den Platz zu verlassen, zögerte aber, einen weiteren Schritt zu tun. Sie spürte, wie sie von hinten beobachtet wurde. Etwas bohrte sich scheinbar in ihren Nacken. Als hielte sie jemand im Genick fest. Sie ließ ihre Augen nach rechts und links rollen, ohne ihren Kopf zu bewegen. Irgendjemand war nahe an sie herangetreten und hielt sie mit seinem Blick fest. Ein leichter Hauch schien sich auf ihren Hals gelegt zu haben. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und eine Gänsehaut überzog ihre Arme. Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie eine flüsternde Stimme hinter sich vernahm. Der Mund, aus dem die Stimme kam, befand sich dicht an ihrem Ohrläppchen. Wie unverschämt. Eigentlich war es sogar sehr unverschämt, aber irgendwie auch überraschend angenehm. Intim und gleichzeitig spannend. So ein Gefühl hatte sie noch nie gehabt.
»Verzeihen Sie, dass ich Sie störe, aber Sie sind mir in der Menge aufgefallen.«
Violas Atem stockte. War es wirklich der Eros, den sie vorhin bewundert hatte? Langsam drehte sie ihren Kopf. Tatsächlich, er war es. Ihr Herz stolperte kurz, als sie ihn zuerst aus den Augenwinkeln ansah und schließlich sein Gesicht betrachtete.
»Oh, ich habe Sie gar nicht bemerkt.« Jetzt drehte sie sich vollends um und sah seine ganze Gestalt. Er hatte ein verwegenes, braun gebranntes Gesicht. Eins, das erfahren aussah, unerhört männlich und herausfordernd, aber auch offen und freundlich. Sie las eine Spur von Wildheit darin und eine bestimmte Verlockung, die sie mit Absicht treffen sollte. Seine stahlblauen Augen blitzten sie erotisierend an. Mein Gott, was für schöne Augen. Sie kontrastierten mit dem schwarzen, halblangen Haar, wie funkelnde Sterne am Nachthimmel.
Seine Nase war leicht gekrümmt und sein Mund lächelte zunächst verschmitzt, bis er seine Reihe weißer, gepflegter Zähne zum Vorschein brachte. Er strahlte wie ein Zigeunerjunge und zog sie komplett in seinen Bann.
»Ich bin Charly«, stellte er sich vor und gab ihr seine Hand.
»Und ich heiße Viola«, antwortete sie und legte zaghaft ihre Hand in seine. Die Luft schien wie elektrisiert und als sie seine kraftvolle Hand in ihrer spürte, knisterte es leicht.
»Wie ich sehe, interessiert dich der ganze Aufbau?«
Er legte ungefragt einen Arm um ihre Schultern. Seine forsche Art, sie zu berühren, gefiel ihr. So erfrischend plötzlich. Sie liebte Spontanität und es fühlte sich warm an. Es war ihr, als ob sie diesen Mann schon kannte, dabei war es unmöglich, sie hatte bisher niemals Leute vom Rummelplatz kennengelernt.
»Möchtest du dich backstage umschauen?«
»Oh ja, sehr gern.« Wow, sie durfte mit ihm durch die Absperrung gehen. Stolz erfüllte sie. Charly gab dem Sicherheitsmann ein Handzeichen und öffnete einen bestimmten Teil der Plastikabsperrung. Sie gingen in den Bereich der geparkten Lkws und Wohnwagen. Eine Holzbank mit zwei Plätzen stand vor einem der Caravans.
»Setz dich doch«, sagte er und führte sie auffordernd zur Bank. Sie nahm Platz und sah sich um. Die fleißigen Arbeiter kamen ihr vor, als wären sie in einem Bienenstock beschäftigt. Sie räumten Dinge und Teile zum Aufbau hin und her. Sie sah Charly an, der ebenso Platz genommen hatte.
»Wieso bin ich dir aufgefallen?«, fragte sie und sah ihn direkt an.
»Du hast eine Ausstrahlung, die jeden in hundert Metern Umkreis umhaut. So etwas wie dich bemerke ich unter zehntausend anderen Menschen sofort.«
»Ach komm!«, widerlegte sie sein Schmeicheln. »Das sagst du doch bestimmt zu jeder Frau.«
»Nein, wirklich. Ich schwöre«, sagte er mit ernster Miene und legte, drei Finger zeigend, seine Hand auf seine Brust. »Du siehst toll aus und du hast ein wunderbares Lächeln. Ich stehe darauf, weißt du?« Er war nah an sie herangerückt. Ihre Körper berührten sich. Viola spürte eine eigenartige Wärme, die sich zwischen ihnen entwickelte, wie ein Schwelbrand. Sie fühlte sich geschmeichelt und lächelte ihn an. Sie ließ ihren Blick über seine Armmuskeln und Schultern gleiten.
Selten hatte sie einen solch formschönen Oberkörper gesehen. Adern zeigten sich unter seiner glatten Haut, als seien sie Stromleitungen, die zu seinem Herzen führten. Wie gern würde sie mit ihren Fingerspitzen darüberfahren. Zögerlich suchte sie den Kontakt zu seiner Hand, die er auf seinen Schenkel gelegt hatte. War das zu schnell und wollte er das überhaupt? Schließlich hatte er sie nur kurze Zeit über den Platz geführt und anschließend knappe drei Minuten im Arm gehalten.
»Machst du das schon lange, diese Aufbauten?«, fragte sie, um eine Unterhaltung zu beginnen, und damit es ihm nicht auffiel, wie sehr sie ihm nahe sein wollte.