Entführung nach Alhalon - Charlotte Engmann - E-Book

Entführung nach Alhalon E-Book

Charlotte Engmann

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Beschreibung

Nicht aus eigener Entscheidung, doch aus freiem Willen folgt der junge Wüstennomade Shann dem Khedir Iskander in dessen Bergfestung, wo aus der anfänglich unverbindlichen Affäre echte Freundschaft und Zuneigung erwächst. Doch immer wieder bedrohen Intrigen und Verrat, Überfälle und Giftanschläge die beiden ...

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Entführung nach Alhalon

Charlotte Engmann

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2013

© Charlotte Engmann

http://www.deadsoft.de

Cover: Irene Repp

Motiv: closeupimages - fotolia.com

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN der Printausgabe

978-3-934442-05-4

ISBN der E-Book-Ausgabe

978-3-94473718-8

Dieser Roman ist Fiktion. Orte und Personen sind frei erfunden.

Widmung:

Dieses Buch widme ich Verena,

für die vielen schönen Stunden,

die wir mit Shann & Iskander hatten

Vorspiel

Shann löste sich langsam aus den Armen des Schlafes, und als er die Hand zur Seite ausstreckte, stellte er fest, daß sein Liebhaber nicht mehr neben ihm lag. Mit einem leisen, müden Murren rieb sich der junge Wüstennomade die Augen und setzte sich auf. Es mußte kurz vor Sonnenaufgang sein, denn graues Zwielicht erfüllte die Gemächer und kündete vom Ende der Nacht. Doch selbst für Iskander war dies eine zu frühe Zeit, um wach zu sein, und seufzend löste sich Shann aus den Laken und stand auf.

Hauchfeine Vorhänge trennten den Schlafbereich vom Hauptraum der Gemächer ab, von dem aus man durch einen geschwungenen Torbogen auf eine Terrasse gelangte. Wie erwartet stand dort draußen Iskander an das Geländer gelehnt und schaute über das Tal, das sich am Fuße der Bergfestung erstreckte.

Die ersten Sonnenstrahlen wagten sich gerade über die Gebirgsspitzen, und in der kalten Morgenluft fröstelnd zog Shann die Seidendecke, die er sich übergeworfen hatte, fester um die Schultern. Er trat neben seinen Liebhaber und schmiegte sich wortlos an ihn. Schon seit einigen Nächten schlief der ältere Mann unruhig, während des Tages schien er oft unkonzentriert und mit den Gedanken weit fort zu sein, und seinen Geliebten vernachlässigte er gänzlich. Besorgt fragte sich Shann, was ihn bedrückte, und er beschloß, dies jetzt zur Sprache zu bringen.

Iskander legte den Arm um seine Schultern und drückte ihn an sich. »Guten Morgen, Langschläferchen«, sagte er. »Du bist ja heute früh auf.«

»Du aber auch.« Es gab so viele Unterschiede zwischen ihnen beiden, und nur einer davon war, daß Iskander ein Morgenmensch war, während Shann gerne bis in den späten Vormittag hinein im Bett liegen blieb. »Und zwar früher als sonst. Was bedrückt dich?«

Iskander antwortete nicht sofort, sondern wandte den Blick wieder den Bergen zu, wo die aufgehende Sonne das Grau des Morgens vertrieb. Der Himmel über ihren Köpfen färbte sich dunkelblau, im Osten leuchtete er türkis, und strahlend rot und gelb erhob sich das Tagesgestirn über den Gipfeln. Für beide war es kein ungewöhnlicher Anblick, aber Iskander erfüllte er wohl immer noch mit Staunen und Bewunderung.

»Ich denke jetzt oft an meine Mutter«, gestand der Ältere schließlich. »Ich frage mich, wie es ihr geht oder ob sie überhaupt noch lebt. Und wie es meinen Geschwistern ergangen ist.«

Der Nomade nickte langsam. Iskander war weder Nethit noch Ferukh, sondern stammte aus den fernen Waldländern. Als junger Mann hatte er seine Heimatstadt Perlentor verlassen und war in die Khedirate gekommen, wo er bald den Thron von Alhalon bestiegen hatte. Seit fast vier Jahrzehnten war er von seiner Familie getrennt, und soweit Shann wußte, hatte Iskander ihnen nie eine Nachricht geschickt, noch je von ihnen gehört. »Warum besuchst du sie nicht einfach?« schlug er vor.

»Weil ich im Moment Alhalon nicht verlassen kann, zumindest nicht solange, wie diese Reise dauern würde«, erklärte Iskander ohne zu zögern, und der Nomade seufzte innerlich. Sein Liebhaber stellte die Belange seines Khedirats immer vor seine persönlichen Wünsche oder Bedürfnisse. Für Alhalon würde er alles und jeden opfern. »Seit Dehems Tod befürchtet sein Oheim, ich würde seinen Stamm zugunsten Maralons von der Erbfolge ausschließen und Dehems versprochene Braut mit Tamir verheiraten oder gar mit Satkandi.«

»Und du befürchtest, er würde deine Abwesenheit ausnutzen, um Alhalon zu erobern und sich selbst zum Khedir zu ernennen?« schloß Shann. Er kannte die politische Lage inzwischen gut genug, um den meisten von Iskanders Gedankengängen zu folgen. Im Gegensatz zu den anderen sechs Khediraten war Alhalon ein loser Zusammenschluß mehrerer Bergstämme, die untereinander verfeindet waren und nur durch Iskanders strenge Hand zusammengehalten wurden. Da der Khedir weder verheiratet war, noch legitime Kinder vorweisen konnte, hatte er schon vor Jahren beschlossen, den Frieden in seinem Reich durch geschickte Eheschließungen zu sichern. Doch nun war der junge Mann, der sein Nachfolger hätte sein sollen, bei einem Reitunfall ums Leben gekommen, und die Stämme beäugten sich mißtrauisch, bereit, die Nachfolge durch Waffengewalt zu regeln.

»Du kannst also nicht fort«, sagte Shann. »Aber du könntest doch einen Boten schicken.« Er sah den Älteren an. »Oder ich könnte nach Perlentor reisen und deine Familie aufsuchen.«

»Das würdest du tun?« Iskander wirkte erstaunt, doch schnell wurde sein Blick nachdenklich. »Warum?«

»Weil ich dich liebe«, lächelte Shann. »Und obwohl uns keine formalen Bande binden, betrachte ich deine Familie als die meinige, und ich würde sie gerne kennenlernen.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, murmelte Iskander so leise, daß der Nomade überlegte, ob er laut gedacht hatte oder nicht. Vernehmlich sagte der Khedir: »Ich will dich nicht an meiner Seite missen«, er legte Shann beide Hände auf die Schultern und drehte ihn zu sich hin, »aber vielleicht ist es eine gute Idee, dich in die Waldländer zu schicken. Du hast bis jetzt so wenig von der Welt gesehen, und die Stadt, aus der ich stamme, kennst du überhaupt nicht.«

Shann merkte, wie ihn die Reiselust packte. Die Länder jenseits der sieben Khedirate waren ihm tatsächlich fremd, er kannte sie nur aus Iskanders Erzählungen und Büchern. Jetzt würde er selbst dorthin reisen und sie mit eigenen Augen sehen. Es würde bestimmt eine spannende und interessante Zeit werden, und er bedauerte lediglich, daß Iskander nicht mit ihm kommen würde. Er mußte grinsen, als ihm einfiel, wie sehr sich ihre Beziehung verändert hatte, seit er dem Khedir im Sommer vor fünf Jahren in die Falle gegangen war. Er hätte niemals gedacht, daß er solange, ja vielleicht sogar für immer, bei Iskander bleiben würde, und er konnte sich noch ganz genau an ihr erstes Treffen – und an ihre erste Nacht – erinnern …

Eine fesselnde Begegnung

Shann blickte die Steilwand hinauf, und ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn. Vielleicht war es nur die Enge der Schlucht, die den Sohn der Wüste sein Pferd zügeln ließ, vielleicht war es aber auch eine Vorahnung, eine Warnung seines Kriegerinstinktes; hinter den Geröllhaufen auf dem oberen Rand konnte sich leicht ein Angreifer verstecken.

Plötzlich bewegte sich ein großer Steinbrocken und kippte über die Kante. Er riß kleinere Felsstücke und Geröll mit sich, und donnernd stürzte die Lawine in die Schlucht hinab, nur wenige Schritte von Shann entfernt.

Sein Brauner stieg, doch geschickt hielt sich der Nomade im Sattel, bis der Lärm abgeklungen und Windjäger sich beruhigt hatte. Rasch sah er sich nach seinen Gefährten um, die alle noch auf ihren Pferden saßen. Anscheinend war keinem etwas passiert.

Ein Lichtblitz über ihm erregte seine Aufmerksamkeit, und alarmiert suchte er den oberen Rand der Felsen ab. Da war es wieder, es war wie das Leuchten der Sonne auf Metall. Auf einer Schwertklinge!

»Eine Falle!« Shann riß sein Pferd herum. »Zurück!«

Die Nomaden jagten die schmale Schlucht zurück, auf den rettenden Ausgang zu, hinter dem die Wüste begann. Schon glaubte Shann, daß sie unbehelligt entkommen würden, da umrundeten sie die letzte Kehre und stießen auf einen Trupp berittener Soldaten, der ihnen den Weg abschnitt. Es waren ihre Feinde, die seßhaften Ferukhen aus den Bergen.

Fast gleichzeitig zügelten die Nomaden ihre Pferde, und eine unheilvolle Stille breitete sich zwischen den Berghängen aus, während Shann Windjäger langsam vorwärts schreiten ließ, bis er an der Spitze seiner Krieger stand. Sie waren den Ferukhen weit unterlegen, und rasch erkannte der junge Sheiksohn, daß sie den Kampf nicht gewinnen konnten. Mochallah, Anmar, Ghanim und die anderen, sie alle würden sterben.

Wir hätten hier niemals auf die Jagd gehen dürfen, schoß es ihm durch den Kopf, Alhalon liegt viel zu nahe. Sein verzweifelter Blick suchte und fand den Anführer der Soldaten, einen schlanken Mann in einem dunkelroten Umhang, der ihn kühl aus hellen Augen musterte. Trotz der ergrauten Haare saß er aufrecht und stolz im Sattel, und es umgab ihn eine Aura der Macht, wie Shann sie nur von seinem Vater, dem Sheik, kannte. Das breite Schwert der Seßhaften hing an seinem Gürtel, und in der rechten Hand hielt er eine Peitsche. Es gab keinen Zweifel: Dies war der Herrscher der Ferukhen, der Khedir Iskander. Sogar in den Zelten der Nomaden galt er als fähiger Anführer und furchtloser Krieger, der vor vielen Jahren die untereinander zerstrittenen Bergbewohner unterworfen und vereint hatte. Seitdem regierte er mit strenger Hand, und der Friede hatte den Ferukhen neuen Wohlstand gebracht, der wiederum reich beladene Karawanen in das Gebiet der Wüstensöhne brachte.

Iskander erwiderte Shanns Blick, und für einen Moment hatte der junge Nomade das Gefühl, als würde der Khedir bis tief in sein Herz schauen. Ein seltsames Gefühl bemächtigte sich seiner, und obwohl er es nicht benennen konnte, wußte er, daß es keine Angst war. Ihm wurde klar, daß ihre einzige Chance in Iskanders Gnade lag, und er winkte seinen Kriegern zurückzubleiben, bevor er vom Pferd stieg, seinen Waffengürtel über den Sattelknauf hängte und unbewaffnet auf den Khedir zuging. In einer fließenden Bewegung sank er auf die Knie. »Ich bin Shann ben Nasar«, sagte er heiser. »Bitte, Herr, nehmt mich, aber verschont das Leben meiner Krieger.«

Ein undeutbares Lächeln huschte über Iskanders wettergegerbtes Gesicht. Er glitt vom Pferd und winkte dem Nomaden, sich zu erheben. »Bietest du mir nun dein Leben an«, eine kaum merkliche Pause, »oder deinen Leib?«

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Shann den Khedir an, während ihm langsam aufging, daß seine Worte tatsächlich zweideutig gewesen waren. Wieder nahm ihn Iskanders Blick gefangen, und der Nomade schluckte trocken. Die unterschiedlichsten Gefühle fochten um die Vorherrschaft in seinem Herzen, doch weder Verzweiflung noch Angst trugen den Sieg davon, sondern etwas, das verdächtig nach Lust schmeckte. Langsam hob er die Hand und löste den Schleier, der sein Antlitz vor der sengenden Sonne schützte. »Ich bin in Eurer Hand, Herr«, gestand er mit einem zaghaften Lächeln. »Nehmt, was Euch beliebt.« Gespannt blickte er Iskander an.

Der Khedir winkte einem Soldaten, ihm ein Seil zu bringen, und tauschte es gegen seine Peitsche. »Streck deine Hände aus.«

Der Nomade hob die Arme, hielt dem Khedir die überkreuzten Handgelenke hin, und Iskander fesselte ihn geschickt und beinahe liebevoll, wie Shann zu spüren glaubte. Mühsam zwang er sich zur Ruhe, als ihm bewußt wurde, daß ihm diese Situation nicht unangenehm war. Iskanders Hände streichelten geradezu über seine Haut und bildeten mit ihrer Sanftheit einen erregenden Kontrast zu dem Kratzen des Strickes.

Mit einem schmerzhaften Ruck zog der Khedir den letzten Knoten fest und jagte damit einen kalter Schauer über Shanns Rücken. Dem Nomaden wurde plötzlich bewußt, in welch gefährliche Situation er sich gebracht hatte, und beunruhigt blickte er Iskander an. Würde er seine Gefährten wirklich freilassen? Oder sie feige abschlachten, jetzt, wo ihr Anführer sein Gefangener war?

»Laßt sie gehen«, befahl Iskander, und seine Soldaten gaben eine Gasse frei. Der Sheiksohn drehte sich zu seinen Kriegern um und deutete ihnen mit einem Nicken, daß sie losreiten sollten. Doch keiner der Nomaden rührte sich, und Shann fühlte Freude, daß sie ihn nicht im Stich lassen wollten. Doch sie mußten gehen, sonst wäre alles umsonst gewesen!

»Mochallah!« rief er seine Schwester an. »Nimm Windjäger und meine Waffen und verwahre sie wohl. Und jetzt geht!« Nur zögernd lenkte die Angesprochene ihr Pferd neben Shanns Braunen und befestigte den darüber gehängten Waffengürtel an ihrem eigenen Sattel, ehe sie nach den Zügeln griff. Sie warf ihrem Bruder einen letzten Blick zu, dann ritten die Nomaden durch die Reihe der Soldaten und jagten in die Wüste hinaus.

Ein plötzlicher Ruck am Seil riß Shann beinahe von den Füßen, und er stolperte einen Schritt nach vorne. Während er seinen Kriegern nachgesehen hatte, war Iskander wieder in den Sattel gestiegen und hatte sein Pferd angetrieben. Er schlug eine rasche Gangart ein, und Shann mußte sich beeilen, um nicht zu stürzen und über den Boden geschleift zu werden.

Sie verließen die schmale Schlucht, in der der Khedir den Nomaden seine Falle gestellt hatte, und drangen tiefer ins Gebirge ein. Zuerst führte sie der Weg zwischen den Bergen hindurch, dann stieg er steil an, und sie gelangten auf einen Kamm, dem sie eine Zeit lang folgten. Schließlich erreichten sie eine Paßstraße, und als sie am höchsten Punkt ankamen, zügelte Iskander sein Pferd.

Er zog an dem Seil, und Shann schloß zu ihm auf. »Wir sind bald da«, sagte der Khedir und wies auf das Tal, das sich vor ihnen erstreckte.

Der Nomade wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß vom Gesicht und spähte nach unten. Am Ende des Tales konnte er eine Festung aus rötlichem Stein erkennen, zu ihren Füßen die weißen Häuser der Seßhaften und davor ein paar Felder und Weiden. Es war tatsächlich nicht mehr weit bis Alhalon, und erleichtert atmete Shann auf. Er war die weichen Sanddünen und auch die harte Steinwüste gewohnt, aber die Berge waren ihm fremd, und der anstrengende Marsch in dem ungewohnten Gelände hatte ihn erschöpft.

Er merkte, daß Iskander ihn beobachtete, und sah zu ihm hoch. Der Khedir lehnte sich zu ihm hinunter und streichelte über seine Wange. »Freust du dich?«

Eine Hitzewelle jagte durch Shanns Körper, und für einen Moment wußte er nicht, ob er sich auf die Ankunft freute oder nicht. Er konnte den Khedir nicht einschätzen, nicht abschätzen, was… nein, wie er es zu tun gedachte, ob und wieviel Leid er ihm zufügen mochte. Und dennoch war es diese Unsicherheit, die ihn auf ungeahnte Weise erregte.

Zu stolz, seine zwiespältigen Gefühle zu zeigen, zuckte Shann stumm mit den Schultern, und mit einem feinen Lächeln nahm Iskander seine Reaktion zur Kenntnis, ehe er sich wieder aufsetzte und ins Tal hinabritt.

Niemand arbeitete mehr auf den Feldern, da es bald dunkel wurde, aber auf den Straßen von Alhalon herrschte noch reges Treiben. Jubelrufe begrüßten den Khedir und seine Soldaten, während Shann mit kalten Blicken empfangen wurde. Den Kopf hoch erhoben ertrug er die Feindseligkeiten, doch er war froh, als sie endlich die Burg erreichten und das gaffende Volk vor den Toren zurückließen.

Iskander gab noch einige Befehle, bevor er seine Soldaten entließ und vom Pferd stieg. Mit der rechten Hand faßte er das Seil kürzer, mit der linken ergriff er Shanns Arm und führte den Nomaden in das Haupthaus, das eher einem Palast als einer Festung glich. Durch weite Korridore und über mehrere Treppen hinweg erreichten sie die Gemächer des Herrschers, und nachdem Iskander seinem Diener Peitsche, Umhang und Waffengürtel gereicht hatte, entließ er ihn mit einer knappen Geste.

Shann war in der Mitte des großen Raumes stehengeblieben und sah sich neugierig um. Wände und Boden waren mit Marmor verkleidet, hauchzarte Vorhänge unterteilten das Gemach in mehrere Bereiche, und ein geschwungener Türbogen führte hinaus auf eine großzügige Terrasse. Für einen Moment vergaß Shann, warum er hier war, und bestaunte die ungewohnte Pracht und den offensichtlichen Reichtum.

Iskander ließ sich auf einem Diwan nieder und knallte mit dem Stiefelabsatz kurz auf den Marmor, um Shanns Aufmerksamkeit zu erregen. Der Nomade fuhr zusammen, der Khedir wies auffordernd auf den Boden vor sich, und Shann kniete zu seinen Füßen nieder. Iskander nahm die Karaffe, die auf dem Tischchen neben ihm stand, goß Wasser in ein Glas und nahm einen Schluck. »Hast du Durst?«

»Ja, Herr.«

Er lehnte sich ein wenig vor, gab dem Nomaden zu trinken und nahm dann das Glas wieder fort. Er griff nach Shanns Kinn, ließ den Daumen über Unterkiefer und Mund gleiten, zwang mit sanftem Druck die Lippen auseinander. Fügsam umschloß Shann Iskanders Daumen und saugte vorsichtig an ihm. Er schmeckte Salz und Leder und fühlte die Kraft, die in den Händen des Khedirs lag.

Schließlich zog Iskander die Hand zurück, aber nur, um den Turban abzustreifen und seine Finger in der dunklen Mähne des jüngeren Mannes zu vergraben. Er zwang seinen Kopf zurück und küßte ihn. Nun nahm seine Zunge den Mund in Besitz, und Shann vergaß, wie unbequem er auf dem harten Marmor kniete. Warme Schauer rieselten durch seinen Körper, während er sich dem Älteren entgegendrängte, und er wollte nach ihm greifen, doch seine Hände waren ihm gebunden.

Iskander war seine Reaktion nicht entgangen, und mit einem Lächeln löste er sich von Shann. Er zog ihn auf die Füße und führte ihn in einen anderen Bereich seiner Gemächer. Hier war der Boden mit weichen Teppichen belegt, und an der Wand stand ein gewaltiges Bett, das unter unzähligen Kissen fast verschwand. Ein heller Blitz funkelte durch den Raum, als der Khedir das Messer aus seinem Stiefel zog. »Ich möchte dein Wort, daß du weder versuchst zu fliehen, noch mir oder den meinen auf irgendeine Weise schadest«, verlangte er. »Ansonsten müßte ich…« Er setzte das Messer an dem quadratischen Verschlußstück an, das den ärmellosen Burnus an der Brust zusammenhielt. Der Naht folgend schnitt er es auf, schob den dunkelblauen Stoff über Shanns Schultern zurück, und das schwere Kleidungsstück fiel zu Boden.

Der Nomade holte scharf Luft. Obwohl ihn die Vorstellung, wie Iskander ihm die Kleider vom Leib schnitt, faszinierte, mahnte ihn sein Verstand, daß er auf seine Sachen aufpassen mußte, da er sich neue Gewänder nicht so einfach leisten konnte. Der Vernunft gehorchend gab er Iskander sein Wort, und beinahe unwillig sah er zu, wie der Khedir seine Fesseln durchtrennte. Wie es wohl mit ihnen gewesen wäre…?

»Zieh dich aus.« Der Befehl riß Shann aus seiner Versunkenheit, und mit unbewegtem Gesicht schlüpfte er aus seinen Stiefeln und den weiten Kleidern, die ihn vor der unbarmherzigen Sonne schützten. Er spürte Iskanders graue Augen auf sich ruhen und merkte, wie ihn das Interesse das anderen Mannes erregte. Und er hatte keine Möglichkeit, seine Reaktion vor dem Khedir zu verstecken.

Tief Luft holend richtete er sich auf und begegnete offen Iskanders Blick. Er brauchte sich seines Körpers nicht zu schämen, und je besser er dem Khedir gefiel, desto angenehmer würde er die Nacht verbringen. Hoffte er zumindest.

»Jetzt entkleide mich«, kam die nächste Anweisung, und gehorsam half Shann dem anderen aus Stiefeln, Hemd und Hose. Er stellte fest, daß Iskander trotz seines Alters und seiner ergrauten Haare immer noch eine beeindruckende Gestalt war. Seine Haltung war ungebeugt, und er überragte Shann sogar ein kleines Stück. Sein sehniger Körper und die hellen Narben verrieten, daß er schon viele Kämpfe bestanden hatte und bei weitem kein verweichlichter Seßhafter war.

Nachdem Shann das letzte Kleidungsstück zur Seite gelegt hatte, blieb er stehen und wartete auf seine nächste Anweisung. Iskander trat auf ihn zu und streckte die Hand nach ihm aus. Er fuhr über die glatte Brust, die breiten Schultern, dann strich er über den festen Bauch nach unten und streifte kurz die beginnende Erektion, ehe er die Hoden faßte und sie prüfend wog.

Danach löste er sich von Shann, ging um ihn herum, und der Nomade fühlte die rauhe Hand über seinen Rücken gleiten. Nach einer kurzen Weile schlang der Khedir die Arme um ihn und preßte sich gegen ihn, so daß Shann seine Erektion spüren konnte, die gegen seinen Hintern drückte. Iskanders Zunge leckte über sein Ohr, glitt hinein und hinaus und folgte dem Schwung der Ohrmuschel. Spielerisch knabberte der Ältere an seinem Ohrläppchen, dann flüsterte er: »Auf die Knie.«

Shann verzog das Gesicht, blieb reglos stehen. So rasch und rüde hatte er es sich nicht vorgestellt, auch wenn das Verhalten des Khedirs genau darauf hingedeutet hatte. Er wollte protestieren, da packte ihn der Ältere und stieß ihn zu Boden, so daß er auf allen Vieren landete. Reflexartig spannte Shann alle Muskeln an. Doch der erwartete Schmerz blieb vorerst aus. Stattdessen spürte er Iskanders Hände, die seine Pobacken kneteten, einen Finger, der in seine Spalte fuhr und seinen Anus berührte. Kurz verschwand eine Hand, und ihre Rückkehr wurde von der beruhigenden Kühle eines Öls begleitet. Shann atmete erleichtert auf und entspannte sich. Sich in sein Schicksal fügend nahm er die Beine weiter auseinander, um Iskander einen besseren Zugang zu gewähren.

Der Khedir lachte leise. Er packte seine Hüften, und ehe Shann sich versah, stieß er tief in ihn hinein. Der Nomade keuchte auf, doch verbot er sich jegliche Gegenwehr. Er biß die Zähne zusammen, während Iskander erst langsam aus ihm herausglitt und dann wieder und wieder in ihn eindrang. Lust vertrieb den Schmerz, und Shann paßte sich dem Rhythmus des anderen an. Er fühlte, wie sich Erregung seiner bemächtigte und Hitze seinen Leib erfüllte. Stöhnend warf er den Kopf in den Nacken und krallte die Hände in den weichen Teppich. Iskander stieß immer härter und schneller in ihn hinein, bis er meinte, unter der Wucht zusammenzubrechen. Aber der Ältere hielt ihn fest, bis Shann seinen Höhepunkt erreichte, und erst dann kam auch er.

Erschöpft vergrub der Nomade den Kopf in seinen Armen, während Iskander aus ihm herausglitt und von ihm abließ. Schweigen breitete sich aus, das nur von den heftigen Atemzügen der beiden Männer unterbrochen wurde, und der Sheiksohn fühlte, wie er müde wurde.

Ihm fielen gerade die Augen zu, als er Iskanders Hand in seinem Haar spürte. Der Khedir streichelte liebevoll durch die schwarze Pracht und bemerkte: »Das Bad ist bereit.«

Müde erhob sich Shann und folgte dem anderen durch eine Seitentür in einen Nebenraum, in dessen Boden ein großes, mit Wasser gefülltes Becken eingelassen war. Fassungslos starrte der Sohn der Wüste auf das Naß, das einen unglaublichen Reichtum darstellte, und mit einem Gefühl der Ehrfurcht ließ er sich von Iskander über ein paar Stufen ins Becken hinunter führen. Den verschwenderischen Luxus sichtlich gewöhnt setzte sich der Khedir auf die gemauerte Bank, die sich an der Innenwand entlang zog, und lehnte sich entspannt zurück, während Shann verunsichert stehen blieb. Er ließ das Wasser durch seine Hände rieseln. »Ihr habt soviel«, murmelte er selbstvergessen.

»Aber das heißt nicht, daß ihr ungesühnt unsere Brunnen zerstören dürft.«

Shanns Kopf ruckte hoch. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen. »Wir zerstören keine Brunnen!« rief er zornig. Wie konnte dieser Ferukh es wagen, so etwas behaupten!

»Und was war mit Maralon?« Iskander setzte sich auf, blieb aber weiterhin ruhig. »Nicht genug, daß ihr die Siedlung überfallen habt, ihr habt auch die Zisterne zugeschüttet.«

»Nein!« fuhr Shann auf. »Wir würden niemals einen Brunnen anrühren!«

»Dann habt ihr Maralon also nicht überfallen?«

»Doch, das haben wir.« Shann verschränkte die Arme vor der Brust. »Weil es die Blutrache gebot.«

»Blutrache?« Iskander ballte die Faust, zwang aber seine Finger rasch wieder auseinander. »Wofür? Dafür, daß die Einwohner friedlich in ihrem Tal lebten, Getreide anbauten und Schafe züchteten?«

»Dafür, daß sie Mudars Karawane überfielen und ihn, seine Frau und seine Tochter töteten.«

»Das haben sie nicht getan.«

»Haben sie doch!«

Iskander schoß hoch, auf den Nomaden zu und riß ihn von den Füßen. Er packte ihn an den Haaren und drückte sein Gesicht unter Wasser. Shann wehrte sich verzweifelt, doch unerbittlich wurde er festgehalten. Rasch ging ihm der Atem aus, ihm wurde schwindelig. Abrupt wurde sein Kopf hochgerissen, und keuchend sog er Luft in seine Lungen.

»Du nennst mich einen Lügner?« zischte der Khedir.

Shann schwieg.

»Wie du willst.« Zum zweiten Mal drückte ihn Iskander unter Wasser, doch diesmal wehrte sich der Nomade nicht. Er würde die Wahrheit nicht verleugnen!

Nur Augenblicke später zog ihn der Khedir wieder an die Luft. »Warum glaubst du, daß es meine Leute waren?« verlangte er zu wissen.

»Beweise…«, japste Shann, und als Iskander ihn nicht erneut untertauchte, fuhr er fort: »Wir… fanden… Beweise.«

»Was für welche?« Der Herrscher packte ihn an den Armen und schob ihn auf die Sitzstufe an der Beckenwand.

»Ein Abzeichen. Das breite Schwert eines Ferukhen.«

Kopfschüttelnd ließ sich Iskander neben ihn auf den Sitz sinken. »Ellil hätte niemals eine eurer Karawanen überfallen«, meinte er nachdenklich.

»Vielleicht habt Ihr Euch in ihm getäuscht, Herr.«

»Nein.« Er lächelte. »Mein geliebter Freund hätte mich niemals verraten.«

Über sich selbst überrascht fühlte Shann Eifersucht auf diesen unbekannten Mann, der offensichtlich die Gunst des Khedirs besessen hatte, und um seine Verwirrung zu verbergen, rieb er sich über das Gesicht, strich die nassen Haare aus der Stirn. Eben noch wollte ihn der Khedir ertränken, und jetzt…

»Was ist mit der Oase von El Atarn?« unterbrach Iskander seine Gedanken.

»Was soll damit sein, Herr?«

»Die Wasserstelle wurde vergiftet.«

»Und Ihr glaubt, auch das wäre mein Volk gewesen? Haltet Ihr uns für so unermeßlich dumm, daß wir uns selbst die Quelle des Lebens nehmen? Kein Nethit würde jemals irgendeine Wasserstelle verunreinigen oder gar zerstören.«

Iskander runzelte die Stirn. »Aber wenn ihr es nicht gewesen seid – wer dann?« Er schien den Nomaden anzusehen, doch sein Blick ging durch ihn hindurch, hatte sich anscheinend in seinen Gedanken verloren.

Plötzlich schüttelte der Khedir den Kopf, und seine Aufmerksamkeit kehrte ins hier und jetzt zurück. Wortlos nahm er ein Waschtuch und ein Stück Seife vom Beckenrand und begann, Shann zu waschen. Er tat es vorsichtig und langsam, Liebkosungen gleich, und der Nomade hatte das Gefühl, als wolle Iskander damit sein vorheriges grobes Verhalten ausgleichen. Zusehends entspannte er sich und ließ sich von dem Älteren verwöhnen. Ihm wurde klar, daß er sich dem Khedir auf eine ganz unmännliche Weise überließ, aber es fühlte sich gut an, und er verspürte nicht den Wunsch, dies zu ändern.

Nachdem Iskander Shann und sich selbst gewaschen hatte, stiegen sie aus dem Becken, trockneten sich ab und gingen zurück ins Schlafgemach. Der Nomade stellte fest, daß die Diener aufgeräumt hatten und seine Kleider verschwunden waren, statt dessen lagen Hose, Hemd und eine ärmellose Weste für ihn bereit. Aber er würde die Sachen jetzt nicht brauchen, denn Iskander winkte ihn zum Bett hinüber.

***

Die ersten Sonnenstrahlen schienen Shann ins Gesicht, und mit einem unwilligen Murren zog er das Seidenlaken über den Kopf. Neben sich spürte er eine Bewegung, und als er die Augen langsam öffnete, sah er Iskander aufstehen. Nachdem er sich eine weite Seidenrobe übergeworfen hatte, schob der Khedir einen der dünnen Vorhänge beiseite und trat durch den dahinterliegenden Türbogen auf die Terrasse hinaus. Für eine geraume Weile blieb er dort draußen stehen, die Hände auf das Geländer gestützt, und starrte auf das Tal hinaus, das sich unter der Festung ausbreitete. Schließlich kehrte er wieder ins Zimmer zurück und verschwand hinter einem weiteren Vorhang. Shann hörte Papier rascheln und wie ein Stuhl über den Boden gerückt wurde.

Neugierig stand er auf und folgte Iskander. In diesem Teil der Gemächer befanden sich quadratische Vertiefungen in den Wänden, in denen Schriftrollen steckten, und in der Mitte stand ein großer, mit Papier bedeckter Tisch. Es war offensichtlich ein Arbeitsraum, und Shann wunderte sich über diese Einteilung. Soweit er die Ferukhen kannte, hielten sie die Arbeit von der Familie fern und die Räumlichkeiten waren streng getrennt.

Iskander hatte sich am Schreibtisch niedergelassen und starrte, den Kopf in die linke Hand gestützt, nachdenklich auf eine Schriftrolle. Der Nomade trat an seine Seite und stellte fest, daß es eine Landkarte war. Sie war mit fremdartigen Schriftzeichen bedeckt, doch das gezeigte Gebiet kam ihm bekannt vor.

Der Khedir hob den Kopf von seiner Hand und lächelte ihn freundlich an. »Kannst du lesen und schreiben? Eine Karte deuten?« fragte er.

»Leidlich«, gestand Shann ehrlich. »Ich war kein geduldiger Schüler und habe meine Zeit lieber mit den Pferden verbracht.«

»Daß du geritten wurdest, ist mir nicht entgangen«, meinte Iskander glatt wie eine Natter, und Shann war sich nicht sicher, ob er ihn richtig verstanden hatte, bis der Ältere die linke Hand nach ihm ausstreckte und über die hintere Seite seines Oberschenkels strich. Unwillkürlich zuckte der Sheiksohn zusammen, und Iskander lächelte einmal mehr sein undurchsichtiges Lächeln. »Von einem oder mehreren?« erkundigte er sich.

»Mehrere«, antwortete Shann zögernd. Er hoffte, daß der andere nicht weiter nachhaken würde, denn die Frage nach seinen früheren Liebhabern war ihm unangenehm. In den Khediraten galt es als unmännlich, der Geliebte eines Mannes zu sein, und Shann hatte sich deshalb mehr als einmal mit seinem Vater gestritten.

Der Khedir nickte. »Geh und bring mir die türkise Flasche, die auf dem kleinen Tisch links neben dem Bett steht.«

Folgsam begab sich der Nomade ins Schlafgemach, nahm die Flasche, und aus einer Eingebung heraus überprüfte er den Inhalt. Es war ein angenehm duftendes Körperöl, und als ihm der Grund einfiel, weshalb er dies Iskander bringen sollte, konnte er ein wollüstiges Schaudern nicht unterdrücken. Wie eine rossige Stute, stellte er mit einem schiefen Lächeln fest und ging in den Arbeitsbereich zurück.

Der Khedir nahm die Flasche, doch entgegen Shanns Erwartungen stellte er sie seitlich von sich auf den Tisch und beachtete sie nicht weiter. Statt dessen zeigte er auf die Karte vor sich. »Wir sind hier.« Er deutete auf eine Markierung in der Mitte. »Dein Stamm zieht hier entlang.« Sein Finger strich über das Gebiet im Südosten. »Wenn ich nun meine Soldaten in dieser Gegend sammle – wem würde ich meine Flanke öffnen?«

Shann trat näher und deutete auf die Karte. »Dem Westen, Herr.«

»Dort herrscht Ijadia, und sie ist nicht nur klug und schön, sondern auch hungrig nach Macht.« Iskander nickte, als habe er eine Antwort auf eine Frage gefunden, dann wandte er sich dem Nomaden zu. Er streckte die Linke aus und streichelte erneut über Shanns Schenkel. »Hast du auch Erfahrungen mit Frauen?« kam er auf das vorherige Thema zurück.

»Ein paar.« Der Jüngere zog scharf die Luft ein, als Iskanders Hand höher strich und zwischen seine Beine griff.

»Und was ziehst du vor?« Der Khedir ließ ihn nicht aus dem Blick, während er begann, Shanns Hoden zu massieren. Der Nomade schluckte und versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen, während er gleichzeitig merkte, wie er unter Iskanders kundiger Hand steif wurde. »Einen Mann oder eine Frau?«

»Ein… einen Mann«, keuchte Shann. Heiße Röte überzog seine Wangen, und er suchte Halt an der Tischkante.

»Liebhaber oder Geliebten?« lautete Iskanders nächste Frage, und aufstöhnend kniff Shann die Augen zusammen. Er wollte nicht antworten, konnte den Khedir weder belügen, noch ihm die Wahrheit sagen.

Mit der freien Rechten fegte Iskander die Pergamente vom Tisch. Er ließ von Shann ab, erhob sich und trat hinter ihn, drängte ihn vorwärts, bis der Nomade an die Tischkante stieß. Dann legte er ihm die Hand in den Nacken und drückte ihn auf die Platte nieder. »Liebhaber oder Geliebten?« wiederholte er mit dunkler Stimme.

Shann biß sich auf die Lippen. Er wollte schweigen, was auch immer Iskander ihm antat … doch er hatte die Rechnung ohne den Khedir gemacht: Wellen der Erregung fluteten durch seinen Körper, als Iskander begann, das Öl auf und in seinem Hintern zu verteilen, und als der Ältere kurz darauf in ihn eindrang, stöhnte er vor Lust.

Iskander beugte sich zu seinem Ohr hinunter, stellte seine Frage ein drittes Mal, und Shann flüsterte heiser: »Liebhaber.«

Iskander küßte ihn auf die Schulter, auf den Nacken und Rücken, während er gleichzeitig um ihn herumgriff und seine Erektion umfaßte. Shann klammerte sich an der Tischkante fest, während sein Körper sich unter Iskanders Liebkosungen wand und die Wellen der Leidenschaft ihn immer höher und höher trugen, bis er seinen Höhepunkt erreichte. Iskander stieß noch einige weitere Male in ihn hinein, dann kam auch er.

Zufrieden ließ sich der Khedir nach vorne sinken und küßte Shann sanft, ehe er sich von ihm löste. Wie am Abend vorher gingen sie in den Baderaum, doch diesmal wuschen sie sich ohne einen Zwischenfall, ließen sich rasieren und kleideten sich an. Anschließend traten sie auf die Terrasse hinaus, wo die Diener ein Frühstück bereitet hatten. Iskander streckte sich auf einem der beiden Diwane aus, die einen niedrigen, üppig mit Speisen bedeckten Tisch flankierten, und winkte dem Jüngeren, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Staunend sah der Wüstenkrieger auf die Vielzahl an Speisen, und nachdem der Khedir sich ein paar frische Feigen genommen hatte, griff Shann nach dem noch warmen Fladenbrot und riß sich ein Stück ab. Als ihm der würzige Duft in die Nase stieg, erwachte sein Hunger, und er aß mit großem Appetit.

Iskander beobachtete ihn mit einem sanften Lächeln, und erst, nachdem Shann eine Weile gegessen hatte, forderte er ihn auf: »Erzähl mir von dir und deiner Familie. Hast du noch Brüder und Schwestern?«

»Ja, Herr.« Shann schluckte den letzten Bissen hinunter. »Zwei ältere Brüder und eine ältere und eine jüngere Schwester, Mochallah. Sie war dabei, als Ihr mich in Eure Falle locktet. Und Haneh, die ältere, lebt beim Volk ihres Mannes, Sheik Halef.«

»Und du? Hast du eine Braut?«

Shanns Blick verfinsterte sich, und seine Stimme nahm einen vorwurfsvollen Ton an. »Ich sollte Mudars Tochter Shamira ehelichen, doch auch sie wurde getötet, als ihr …« Er unterbrach sich, als Iskander warnend die Hand hob.

»Als die Karawane überfallen wurde«, berichtigte ihn der Khedir. »Es tut mir leid.«

Shann nahm seine Worte mit einem stummen Nicken entgegen. Langsam begann er zu bezweifeln, daß die Ferukhen Mudar überfallen hatten. Aber wenn nicht sie, wer dann? Ihm fiel ein, daß sich der Khedir gestern die gleiche Frage gestellt hatte, und plötzlich mußte er an das Gespräch von eben denken. Steckte vielleicht jemand anders dahinter? Jemand, der sich feige hinter falschen Spuren verbarg?

Doch ehe er den Gedanken weiterverfolgen konnte, fragte ihn Iskander nach dem Leben in der Wüste, und ein munteres Gespräch entspann sich zwischen ihnen. Rasch kamen sie auf Pferde zu sprechen, und Shann entdeckte zu seiner Freude, daß der Khedir ein lebhaftes Interesse an ihnen hatte und über ein großes Wissen verfügte. Wie im Flug vergingen die Stunden, und überrascht stellte der Sheiksohn fest, daß es schon fast Mittag war, als das Erscheinen eines Dieners ihre Unterhaltung beendete.

Die Mann verneigte sich und meldete: »Herr, am Tor warten drei Krieger des Sheik Nasar. In Frieden bitten sie, von Euch empfangen zu werden.«

»Ich habe sie erwartet.« Der Khedir sah zu Shann hin. »Laß sie ein, Barik. Ich werde sie als meine Gäste willkommen heißen«, erklärte er, und mit einer Verbeugung eilte der Diener davon.

»Herr, darf ich Euch um etwas bitten?« fragte der Nomade leise, und auf Iskanders Nicken hin fuhr er fort: »Wir sind kein reiches Volk, und wenn Ihr die Höhe meines Lösegeldes festsetzt, dann, bitte, Herr, fordert nicht so viel, daß es meinen Stamm zugrunde richten würde.«

»Du gehst also davon aus, daß ich dich freigeben werde.« Iskander stand auf, ging zu ihm hinüber und streichelte mit der Hand durch sein schwarzes Haar. »Aber was, wenn ich dich behalten möchte?«

Shann sah ihn groß an. Daran hatte er gar nicht gedacht, doch die Vorstellung löste ungeahnte Gefühle in ihm aus. Er fühlte sich gefangen zwischen der Pflicht, die ihm die Rückkehr zu seinem Volk gebot, und der erregenden Aussicht, bei Iskander zu bleiben. Er verschränkte die Hände und vergrub sie in seinem Schoß, um das verräterische Zeichen seiner plötzlich entfachten Lust zu verbergen, doch Iskander hatte es offensichtlich bemerkt. Mit seinem spöttischen Lächeln sagte er: »Ich möchte meine Gäste nicht warten lassen. Du kannst nachkommen«, sein Blick streifte Shanns Unterleib, »sobald du dich etwas … entspannt hast.«

Mit glühenden Wangen erhob sich der Sheiksohn und murmelte: »Es geht schon wieder.«

Die beiden Männer verließen die Terrasse und begaben sich in eine Halle im Erdgeschoß, wo die Nomaden auf sie warteten.

»Ich bin Iskander«, begann der Khedir, »und ich heiße Euch in meinem Haus willkommen.«

»Möge der Segen des Allmächtigen auf Eurem Haus ruhen, Herr«, entgegnete die Anführerin der drei und zog den Schleier von ihrem Gesicht. »Ich bin Mochallah bint Nasar, und dies sind Anmar und Ghanim, die Söhne des Yumar.«

Iskander reichte ihnen Brot und Salz und führte sie anschließend in einen anderen Raum, in dem weiche Teppiche und Kissen zum Sitzen einluden. Sie nahmen Platz und unterhielten sich, den Sitten der Gastfreundschaft folgend, eine Weile über unbedeutende Dinge, bis der Khedir sich an Mochallah wandte: »Nun, reden wir darüber, weshalb Ihr zu mir gekommen seid.«

»Mein Bruder Shann«, sie warf ihm einen kurzen Blick zu, »befindet sich in Eurer Gewalt, und ich bin gekommen, Euch zu bitten, ihn wieder freizugeben.« Ihre Augen richteten sich fest auf den Khedir. »Bitte, Herr, laßt ihn zu seiner Familie zurückkehren, und der Segen des Allmächtigen wird für immer auf Eurem Haus ruhen.«

Iskander lachte leise auf. »Allein um Eurer mutigen Worte willen sollte ich Shann jetzt gehen lassen. Aber, Mochallah, das kann ich nicht.« Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, und er sah die junge Frau ernst an. »Ich nehme an, Euer Vater ist bereit, über ein Lösegeld zu verhandeln?« Auf ihr Nicken hin, fuhr er fort: »Und ich muß einen Preis verlangen, einen sehr hohen Preis, und obwohl ich mir sicher bin, daß Ihr ihn bezahlen würdet, weiß ich nicht, ob der Sheik sich damit einverstanden erklären wird.«

Verunsichert blickte Shann von Iskander zu seiner Schwester und wieder zurück. Was meinte der Khedir damit? Auch die junge Nomadin wartete besorgt auf eine Erklärung, doch ihr Gesicht hellte sich auf, als Iskander sagte: »Ich will die Kämpfe zwischen unseren Völkern beenden. Ich will Nasars Wort, daß die Überfälle auf die Meinigen aufhören, und im Ausgleich dazu werden wir Euer Volk nicht mehr angreifen.«

Die Erleichterung, die Shann fühlte, zeigte sich auch auf Mochallahs Zügen, doch ernst sagte sie: »Ihr habt recht, Herr. Mit Freuden würde ich diesen Preis zahlen, aber der Sheik muß seine eigene Entscheidung treffen.«

»Ich möchte mich so bald wie möglich mit ihm treffen«, erklärte Iskander. »An dem Ort, wo wir uns das erste Mal begegnet sind: am Ausgang der Schlucht am Rande der Wüste.«

»Ich werde es ihm ausrichten. Darf ich Euch morgen früh seine Antwort überbringen, Herr?«

»Ja.« Iskander stand auf, und auch die anderen erhoben sich. »Und darf ich Euch um einen Gefallen bitten, Mochallah: Würdet Ihr Shanns Pferd und seine Waffen mitbringen? Er soll sie wiederhaben.«

Die Nomadin nickte, und während der Khedir die beiden anderen Krieger zur Tür geleitete, hielt sie ihren Bruder zurück. »Bist du wohlauf?« flüsterte sie, ihn prüfend musternd. »Oder hat er dir wehgetan? Dir …«

»Nein«, unterbrach er sie. »Keine Sorge, mir geht es gut.«

»Sicher? Ich kann auch bleiben«, bot sie an und legte bedeutungsvoll die Hand auf den Griff ihres Dolches.

»Mochallah.« Er lachte leise. »Du kannst beruhigt sein. Er behandelt mich«, ein kaum merkliches Zögern, »gut«, sagte er seiner Schwester, obwohl er sich dessen nicht ganz sicher war. Iskander behandelte ihn eigentlich ziemlich rüde, aber wenn er ehrlich war, gefiel ihm diese grobe Art und sie erregte ihn.

»Wir sehen uns morgen«, meinte er lauter, da sie Iskander und die beiden anderen erreichten.

»Bis morgen.« Seine Schwester umarmte ihn herzlich, und nachdem sich die Nomaden verabschiedet hatten, stiegen sie auf ihre Pferde und verließen die Festung.

Kaum waren sie außer Sicht, packte Iskander Shann am Arm und zerrte ihn durch den Palast bis in seine Gemächer. Dort angekommen donnerte er ihn gegen die Wand und verlangte zu wissen: »Worüber hast du mit deiner Schwester geredet?«

»Sie hat sich um mich gesorgt und wollte wissen, wie es mir geht, Herr.«

»Und was hast du ihr gesagt?«

»Daß es mir gut geht und daß Ihr mich gut behandelt.«

»Und ist das die Wahrheit?« Er preßte sich gegen Shann, ließ ihn seine Kraft spüren, und seine grauen Augen blitzten wie eine Klinge in der Sonne. »Gefällt es dir, wie ich dich behandle?« Seine Hand glitt zwischen ihre Körper, griff nach Shanns Schritt und rieb mit dem Ballen sein Geschlecht. Beharrlich schweigend versuchte der Jüngere, sich aus seinem Griff zu winden, doch bald schon wand er sich vor Lust.

»Ich werde meine Frage nicht wiederholen«, bemerkte Iskander kühl, abrupt in seiner Bewegung innehaltend, und keuchend schnappte Shann nach Luft. Leise gestand er: »Ja, Herr.«

»Was, ja?«

»Ja, Herr, es gefällt mir«, der Sheiksohn schluckte, »wie Ihr mich behandelt.«

»Siehst du, es geht doch.« Iskander rückte von ihm ab und ließ ihn los. Er nahm auf einem Diwan Platz und streckte die Beine aus. »Sag mal, Shann, ist es üblich bei deinem Volk, daß Frauen Waffen tragen und in den Kampf ziehen?«

Verständnislos blickte der Nomade Iskander an, zu überrascht von dem abrupten Wechsel der Situation. Sein Körper sehnte sich nach der Erfüllung der Lust, die Iskander in ihm entfacht hatte, doch stolz verbot er sich, nach seiner pochenden Erektion zu greifen. Er zwang sich, ruhig stehenzubleiben und sich auf die Frage zu konzentrieren. Langsam antwortete er: »Es ist nicht üblich, aber wenn ein Mädchen es wirklich will, dann kann es den Umgang mit Dolch und Bogen erlernen und auch später mit den Männern auf die Jagd reiten. Aber nur, solange sie unverheiratet ist, danach muß ihre erste Sorge der Familie und dem Zelt gelten.«

»Und findest du es richtig, daß nicht deine Brüder, sondern Mochallah, eine Frau, gekommen ist, um über deine Freilassung zu verhandeln?« Aus einer Schale mit Obst nahm Iskander ein kleines Messer und eine Orange und begann, die Frucht zu schälen.

Shann überlegt kurz, ehe er erklärte: »Ja, Herr, es war die richtige Entscheidung. Meine Brüder haben Frauen und Kinder, um die sie sich kümmern müssen, und Mochallah… sie ist meine Schwester, und sie würde alles daransetzen, damit ich freikomme.«

»Ihr steht euch sehr nahe.« Iskander legte die Orangenschale zur Seite und schnitt die Frucht auf. »Was ist mit deinem Vater? Wie steht er zu dir?«

»Er mißbilligt zwar meine … Vorlieben, doch er duldet sie, solange ich keine Schande über die Familie bringe.« Shann bemerkte überrascht, wie verbittert er klang, und ihm wurde bewußt, daß er seinen Vater trotz aller Meinungsverschiedenheiten liebte und sich wünschte, ein besseres Verhältnis zu ihm zu haben.

»Komm her«, forderte ihn Iskander mit sanfter Stimme auf und hielt ihm eine Orangenscheibe entgegen. Shann setzte sich auf die Diwankante, doch als er nach dem Fruchtstück greifen wollte, zog es der Khedir weg. »Nicht mit den Händen.«

Gehorsam öffnete der Nomade den Mund, und Iskander steckte ihm die Orangenscheibe zwischen die Lippen. Doch anstatt sie zu schlucken, hielt er sie vorsichtig mit den Zähnen fest und sah den Khedir auffordernd an. Der Ältere lehnte sich nach vorne, griff in Shanns Haare und zog seinen Kopf nach hinten in den Nacken, ehe er nach der Frucht schnappte. Ihre Lippen trafen sich, Shann durchbiß die Orangenscheibe, und der Saft lief über sein Kinn und in den Ausschnitt seines Hemdes. Iskanders Zunge leckte über die warme Haut, seine Lippen folgten der süßen Spur über Kiefer, Kehle und Brust. Er rutschte von dem Diwan und kniete sich zwischen die Beine des Jüngeren. Geschickt öffnete er die Hose, drückte die Schenkel weiter auseinander und nahm Shanns Glied in den Mund.

»Was …«, keuchte der Nomade überrascht. Sein Körper drängte sich dem anderen entgegen, der feuchten Wärme, die seine empfindlichste Stelle umschloß. »Herr …« Er schlang die Arme um die Diwanlehne, hielt sich daran fest, während Iskanders Zunge die Spitze seiner Erektion umspielte und seine Lippen die heiße Haut küßten. Stöhnend warf Shann den Kopf in den Nacken, und er schrie vor Lust, als er seinen Höhepunkt erreichte und sich ergoß. Dann sank er auf die Kissen zurück, und Iskander gab ihn frei.

Für eine Weile verschwand der Khedir im angrenzenden Baderaum, um sich zu reinigen und umzuziehen. Mit einem feuchten Tuch kehrte er zu Shann zurück und wusch ihn, ehe er eigenhändig die Kleider des Nomaden richtete. Anschließend setzte er sich und griff nach der Orange, als wäre nichts geschehen.

»Herr…«, begann der Jüngere, doch unsicher, was er sagen sollte, verstummte er.

Iskander musterte ihn nachdenklich. »Kann es sein, daß es das erste Mal war?«

Shann nickte. »Das…«, er machte eine hilflose Geste, »hat noch niemand…«

»Hat es dir denn gefallen?«

»Ja.« Er lächelte zaghaft. »Sehr sogar.«

Offen erwiderte Iskander das Lächeln. Er setzte zum Sprechen an, überlegte es sich jedoch anders und aß noch ein Stück Orange. Schließlich fragte er: »Kennst du Khedich, das Spiel der Khedire?«

»Ich habe schon einmal dabei zugesehen. Aber gespielt habe ich es noch nie.«

»Soll ich es dich lehren?«

»Ja, bitte, Herr.«

Iskander stand auf und nahm aus einer Truhe an der Wand ein schwarzweiß-gemustertes Brett und eine hölzerne Schatulle. Nachdem er beides auf einem runden Tischchen abgelegt hatte, holte er schwarze und weiße Spielfiguren aus dem Kästchen heraus und stellte sie auf. Er lächelte Shann an. »Die erste Regel lautet: Für jedes Mal, das du verlierst, wirst du mein sein.«

***

Noch im Halbschlaf streckte Shann die Arme aus, seine linke Hand glitt über die Wand am Kopfende des Bettes und stieß gegen ein Hindernis. Neugierig drehte er sich auf den Bauch, rückte ein Kissen beiseite, und im Morgenlicht entdeckte er einen eisernen Ring, der auf seiner Seite in die Wand eingelassen war.

Ob auf Iskanders Seite auch einer ist? überlegte er. Er spähte zu dem Herrscher hinüber und blickte direkt in die grauen Augen, die ihn wach ansahen. »Wozu …?« begann er, dann fiel ihm die Antwort ein, und er wurde blaß.

Iskander schien seinem Gedankengang gefolgt zu sein, denn er versicherte ihm: »Niemals gegen den Willen.«

»Wer würde denn freiwillig …« Shann verstummte. Er erinnerte sich an die ersten Momente seiner Begegnung mit Iskander, an das verwirrende Gefühl, als der Khedir ihn gefesselt hatte, und an die vage Enttäuschung, als dieser später in der Festung die Fesseln zerschnitten hatte.

»In der Truhe dort liegt noch der Rest Seil«, bot Iskander an.

Shann sah ihn an, dann wanderte sein Blick zu dem Ring in der Wand und zurück zu dem älteren Mann. Soll ich? Er dachte an die drei Spiele, die er am gestrigen Abend verloren hatte. Ich schulde ihm noch eines…Wieder blickte er zu dem Ring in der Wand hin. Er fühlte einen warmen Schauer durch seinen Körper rieseln, und abrupt stand er auf. Ehe er es sich anders überlegen konnte, holte er das Seil aus der Truhe, reichte es Iskander und legte sich erwartungsvoll zurück aufs Bett.

»Bist du sicher, Shann? Du mußt nicht, wenn du nicht willst.«

»Aber ich will … denke ich«, setzte er nach kurzem Zögern hinzu.

»Nicht denken«, mahnte Iskander scherzhaft. Er küßte ihn auf die Lippen, seine Zunge verlangte Einlaß und wurde willkommen geheißen. Während er Shanns Mundhöhle ausführlich erkundete, schob er ganz beiläufig die Arme des Nomaden über seinen Kopf und fesselte seine Handgelenke an den Eisenring. Sich von den Lippen lösend ging Iskanders Mund auf Wanderschaft und liebkoste Hals, Schultern und Brust, die sich im Gleichtakt mit Shanns keuchenden Atemzügen hob und senkte. Seine Zunge umspielte erst die eine, dann die andere Brustwarze, glitt tiefer und verweilte kurz am Bauchnabel, ehe Iskander sich Shanns Beinen zuwandte. Lippen und Hände liebkosten die warme Haut, unter der sich vom Kämpfen und Reiten gestählte Muskel abzeichneten, und erst zum Schluß widmeten sie sich Shanns Männlichkeit.

Der Nomade stöhnte und warf sich seinem Liebhaber entgegen, soweit es seine Fesseln erlaubten. Er murmelte unzusammenhängende Worte, und als er spürte, wie Iskander von ihm abließ, seufzte er enttäuscht. Doch der Khedir veränderte nur seine Position, kniete sich zwischen Shanns Beine und schob sie hoch. Aus der türkisen Flasche goß er Öl auf seine Hände, verteilte es auf seine Handflächen und den festen Hintern, den der Nomade zuvorkommend anhob. Erst mit einem Finger, dann zweien und dreien bereitete er den Jüngeren vor, ehe er ihn packte, hochhob und langsam in ihn eindrang. Er liebte ihn, langsam und genüßlich, bis Shann glaubte, vor Lust zu vergehen, und er seinen Liebhaber anflehte, ihn kommen zu lassen. Was Iskander nach einer kleinen Ewigkeit voller Leidenschaft auch tat.

Nachdem der Khedir ebenfalls seinen Höhepunkt erreicht hatte, ließ er sich nach vorne sinken und ruhte sich eine Weile auf Shanns Brust aus, ehe er seine Fesseln löste und ihn freigab. Erschöpft, aber befriedigt gingen sie ins Bad, wo das Wasser ihre Müdigkeit fortspülte. Sie kehrten ins Hauptgemach zurück, das die Diener inzwischen aufgeräumt hatten, und der Nomade stellte fest, daß seine Kleider, die er bei seiner Ankunft getragen hatte, für ihn bereit lagen. Er schlüpfte in Hemd und Hose, blieb aber barfuß, und als er den Burnus über eine Stuhllehne hängte, fiel sein Blick auf das quadratische Verschlußstück, das Iskander vor zwei Tagen zerschnitten hatte. Es war durch ein neues, reich mit silbernen Fäden besticktes ersetzt worden.

»Es paßt zu diesen hier«, sagte der Khedir und reichte ihm zwei mit Silber beschlagene Armschützer aus schwarzem Leder. »Nimm sie. Ich schenke sie dir.«

»Danke«, stotterte Shann überrascht, »aber das kann ich nicht annehmen.«

»Doch, das kannst du.« Iskander schob das Nomadenhemd über die Handgelenke zurück, und sie beide konnten die dunklen Streifen sehen, wo das Seil die braune Haut wundgerieben hatte. »Oder willst du das Mochallah erklären?« Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er das Hemd wieder glatt und legte Shann die Armschützer an.

»Ich danke Euch, Herr.«

»Ich danke dir«, erwiderte Iskander und sah ihn ernst an. »Ohne deine Bereitschaft, dich für deine Gefährten zu opfern, wäre weiteres Blut unnütz vergossen worden; du hast unseren beiden Völkern einen großen Dienst erwiesen.«

»Es war mir eine Freude«, gab Shann mit einem Grinsen zu.

Ein Klopfen an der Tür verlangte ihre Aufmerksamkeit, und auf Iskanders »Herein« betrat der Diener Barik das Gemach. »Mochallah bint Nasar wünscht Euch zu sprechen, Herr.«

»Führ sie herein.«

Erschrocken sah Shann Iskander an und sprang hastig in seine Stiefel. Seltsamerweise wollte er seine Schwester nicht offen wissen lassen, daß er die Nächte im Bett des Khedirs verbracht hatte; sie würde sonst richtig vermuten, daß Iskander die Situation ausgenutzt hatte – wenn auch nicht gegen Shanns Willen.

Er strich gerade noch einmal seine Kleidung glatt, da trat Mochallah in das Gemach und verbeugte sich höflich. Der Khedir hieß sie wieder willkommen und lud sie ein, mit ihnen zu frühstücken.

Sie setzten sich auf die Terrasse, und nachdem die Nomadin die ersten Schlucke Mokka getrunken hatte, kam sie auf das Anliegen ihres Besuches zu sprechen. »Ich habe Sheik Nasar Eure Botschaft überbracht, und er ist mit einem Treffen einverstanden. Da Ihr ein baldiges Treffen wünscht, erwartet er Euch bereits heute zur Mittagszeit an dem von Euch vorgeschlagenen Ort.«

Shann blickte Mochallah durchdringend an. Das war eine unhöflich knapp bemessene Zeit, wodurch der Sheik aber das Risiko verminderte, daß ihm Iskander eine Falle stellte. Vermutlich hegte der Khedir ähnliche Gedanken, ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern antwortete glatt: »In diesem Fall muß ich mich nun um die Vorbereitungen kümmern. Euer Bruder wird Euch solange Gesellschaft leisten. Oder wollt Ihr vorausreiten?«

»Nein, ich werde bleiben, wenn es Euch recht ist, Herr«, antwortete sie, und nachdem Iskander den Raum verlassen hatte, wandte sie sich an Shann. Sie deutete auf die Armschützer. »Woher hast du sie?«

»Er hat sie mir geschenkt.«

»Wofür?« fragte sie scharf, und Shann seufzte.

»Das geht dich nichts an, Mochallah.«

»Es geht mich was an: Du bist mein Bruder, und …« Sie brach ab, als ihr aufging, was er ihr nicht hatte sagen wollen. »Nein, das ist nicht dein Ernst.«

Shann schwieg und bemühte sich um eine unbewegte Miene.

»Sag mir, daß er dich nicht in sein Bett genommen hat.«

»Mochallah …« Abrupt lehnte er sich nach vorne und drückte ihre Schulter. »Also gut, wenn du es wissen willst: Ja, er hat mich in sein Bett genommen, und es hat mir gefallen. Er hat mir keine Gewalt angetan. Zufrieden?«

Röte färbte ihr Antlitz dunkel, und sie murmelte: »Wenn du es bist.«

Er küßte sie auf die Wange und flüsterte: »Ja, das bin ich.« Und als er es aussprach, merkte er, wie sehr seine Worte zutrafen, und mit Unwillen dachte er daran, daß er Iskander schon in wenigen Stunden verlassen würde.

»Es ist sehr schön hier«, wechselte Mochallah das Thema mit einem Wink durch den Raum. »Iskander muß sehr reich sein.«