Enthüllung des nackten Kaisers - Gabriel Laub - E-Book

Enthüllung des nackten Kaisers E-Book

Gabriel Laub

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Beschreibung

Gabriel Laub, der Meister der aphoristischen Schuß- und Kurzform, hat seine Satiren – »eine so polgarisch wie die andere« – alphabetisch nach Begriffen geordnet. Kurz und böse – oft besser als kurz und gut – werden Begriffe wie Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Humor, Liebe, Nationalität, Talent, Wahrheit oder Irrsinn ihres geflügelten Sinngehalts entleert, wird eine neue Sinngebung begreifbar – wodurch? Der perfide erscheinende Satiriker meint: ganz einfach durch menschliches Tun, durch Entlarvung herkömmlicher Normen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 118

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Gabriel Laub

Enthüllung des nackten Kaisers

Satiren

Aus dem Tschechischen von H. Gaertner u.a.

FISCHER Digital

Ausgestattet von Ali Schindehütte

Inhalt

Aufrichtigkeit

Enthüllung des nackten Kaisers

Was Hans Christian Andersen in seinem Märchen von dem nackten Kaiser berichtet, stimmt nicht. Wissenschaftlich gesagt, hat er die damalige Realität des Lebens nach der Methode des monarchistischen Romantizismus geschildert.

Das Histörchen von den zwei Schwindlern, die dem König einredeten, sie würden ihm ein Goldgewand von ganz besonderer Art nähen, das nur für auserwählte Weise sichtbar sei, und auf diese Art seinen Staatssäckel leerten – das ist einfach bloß die offizielle Version. Beachten Sie, wie doch alles stimmt. Der Herrscher ist vertrauensseelig, weil er gütig ist, die Betrüger sind hergelaufene Strolche, wer weiß, wer sie aus dem Ausland an den Hof geschickt hat. Und kaum ertönt eine einzige Stimme prinzipieller Kritik, und das von ganz unten (der kleine Junge), folgt Beseitigung der Mißstände auf dem Fuß, und die Beutelschneider werden bestraft.

In Wirklichkeit wurde der König natürlich von niemandem hinters Licht geführt. Denn er paßte ja höllisch auf, daß dies nicht passierte, indem er nur Dummköpfe an seinen Hof berief – die würden ihn schon nicht überlisten. Seine Höflinge betrogen ihn auch wirklich nicht. Sie stahlen bloß – dazu braucht man nicht viel Verstand. Oder sie verteilten untereinander ganz legal und mit königlicher Zustimmung Belohnungen für den, der mehr Unsinn redete. Unter ihnen waren auch selbstlose Leute, Ehrenmänner, aber die waren in leitenden Funktionen für die Wirtschaft des Königs am gefährlichsten. Stellen Sie sich vor, was für Dummköpfe das gewesen sein müssen, wenn sie bei einer solchen Ordnung sich nichts unter den Nagel rissen und auch nicht sahen, wie die übrigen klauten.

Das Königreich dehnte sich nicht weit, so war die königliche Schatulle bald leer. Als Seine Majestät aus Verzweiflung auch den letzten Dukaten aus dem unantastbaren Teil des Staatsschatzes vertrunken hatte, an dem sich nicht einmal die Diebe zu vergreifen wagten – denn er war für die königliche Repräsentation bestimmt –, war klar, daß man etwas unternehmen müsse; desto eher als man ein großes Volksfest feiern wollte, an dem der Kaiser in seinen neuen Kleidern erscheinen sollte. So begann die Aktion »Goldene Kleider«. Zwei Schneiderlinge – Flickschneider, in ihrem ureigenen Handwerk bloße Stümper – die sich aber gerade deshalb vor Ehrgeiz verzehrten und sich um jeden Preis hervortun wollten, – wurden zu Ministern mit Sonderauftrag ernannt und entfalteten voller Elan ihre vorgespiegelte Tätigkeit. Alle Herolde erhielten Weisung, eine Propagandakampagne zu beginnen. So polierten die Herolde ihre Sprachrohre auf und lobten und priesen von früh bis spät des Kaisers neue Kleider – in Nachrichten und Kommentaren, in Hexametern und Jamben, ja sogar teils auch in losen Versen, freilich nicht in so freien, daß man es hätte als Anarchie deuten können.

Der König begann sich in dem neuen Gewand zu zeigen, erst den Vertretern des Volkes – die dabei bewirtet wurden –, dann den breiten Massen – ohne Bewirtung. Die Herolde und Freiwilligen aus den Reihen der Bewirteten steigerten das Lob.

Unabhängig davon erhielt auch die Polizei die entsprechenden Weisungen.

Dem ersten Bürger gelang es gerade noch zu rufen, »der Kaiser ist na …«, ehe man ihn schnappte.

Den zweiten und dritten packte man gleich, sobald sie nur »der Kaiser …« gerufen hatten.

Und alle anderen, die beim Anblick des Herrschers nur den Mund auftaten, marschierten gleich ins Gefängnis.

Es sei denn, sie hatten eine mit dem Staatssiegel versehene schriftliche Weisung, eine der obrigkeitlich genehmigten Losungen auszurufen: »Hoch, des Kaisers Goldgewand – ein Erfolg fürs Kaiserland! – Al-le treu-en Bür-gers-leu-te grü-ßen Kai-sers Kleider heu-te! Uns-re Fein-de sie nicht sehn – drum müssen sie un-ter-gehn!«

Ansonsten hörten die Leute überhaupt auf, den Mund aufzumachen, ja sie lernten sogar mit geschlossenen Lippen zu schimpfen. Am besten ging es damals den Taubstummen.

Wann immer ein paar Leute zusammenkamen, schwirrten unausgesprochene Bemerkungen durch die Luft wie »Der König ist nackt!«, »Das ist Betrug!«, »Sind wir denn taub und dumm?!« und eine Menge nicht salonfähige Worte.

Ähnlich lagen die Dinge auch bei dem Fest, das Andersen so ungenau schildert.

Wie sich das mit dem kleinen Jungen, der die Wahrheit sagte, wirklich zutrug, darüber gibt es heute verschiedene Theorien. Die eine, und ich glaube am wenigsten glaubwürdige, vermutet, es wär ein Lausbub gewesen, den die 00, die Ordnungsliebende Opposition, welche die Lage sondieren wollte, dazu angestiftet und mit zehn Tafeln Schokolade und einem Päckchen Zigaretten bestochen hatte. Ich glaube, für 00 ist das allzu kühn.

Wahrscheinlicher ist eine zweite Theorie, die behauptet, der Junge wäre ein Funktionär des Verbands der jugendlichen Anhänger der Krone gewesen, auf einen Wink vom Hofe herbeigeschafft und entsprechend instruiert, damit er zum Begründer einer Bewegung der jungen Volkshelden werden könne. Zugunsten dieser Theorie zeugt auch ein zeitgenössischer Kupferstich, wonach man das Alter des erwähnten Bübchens auf etwa vierzig Jahre schätzen kann.

Ich für meine Person neige jedoch zu jener Theorie, die meint, der unmündige Wahrheitssager sei von dem Autor des Leitartikels »Unser Kaiser ordnet allergnädigst Abhilfe an« allein wegen des Untertitels »Die Stimme aus dem Volk wurde gehört« nachträglich frei erfunden worden.

Damals wurde übrigens auch der Einfall geboren, die beiden unseligen, ehrgeizigen Schneiderlein zu hergelaufenen Fremdlingen zu erklären. Und sie gestanden’s dann auch.

Das ist die Wahrheit, wie wir sie heute kennen. Das soll freilich nicht als Kritik an Andersen verstanden werden. Denn wir wissen nicht, was er damals schon schreiben durfte und was nicht. Die Ansichten der dänischen Könige über die Satire sind uns nicht überliefert.

Beruf

Bereiten Sie sich auf den Beruf eines politischen Häftlings vor! Noch heute! – Morgen ist es vielleicht schon zu spät!

Der Beruf eines politischen Häftlings ist der einzige, der keine Werbung braucht. Es ist der meistverbreitete Beruf der Welt, denn die Menschheit des XX. Jahrhunderts teilt sich in politische Häftlinge, ehemalige politische Häftlinge und jene, die jeder Zeit zu politischen Häftlingen werden können.

Es ist der demokratischste Beruf der Welt, denn politischer Häftling kann jeder werden – Laie und Priester, Weißer und Schwarzer, ein Armer, ein ganz Armer und sogar auch ein Reicher, alt oder jung. Ja es gibt sogar Leute, die als politische Häftlinge im Gefängnis geboren wurden.

Dieser Beruf ist in keiner Weise geographisch begrenzt. Überall in der Welt gibt es politische Häftlinge – bis auf jene Staaten, wo man sich ihrer auf eine genial einfache Weise entledigt: Dort wird einfach niemandem der Charakter eines politischen Häftlings zugestanden und jeder, den man einsperrt, wird als gemeiner Verbrecher behandelt. Und da den Herrn dort dabei gar nicht einfällt, damit aufzuhören, Leute ihrer Ansichten wegen einzusperren, ergibt sich daraus: Eine eigene Meinung zu haben ist ein gemeines Verbrechen. Eine Ansicht, die weder neu, noch außergewöhnlich ist; in anderen Staaten wird sie bloß nicht laut und offiziell verkündet.

Der Beruf eines politischen Häftlings ist der einfachste Beruf von der Welt. Wenn Sie auf irgendeine andere Weise ins Gefängnis kommen wollen, müssen Sie sich physisch oder geistig anstrengen: jemanden umbringen, bestehlen, vergewaltigen, betrügen … Um politischer Häftling zu werden, brauchen Sie überhaupt nichts zu tun! Es genügt einfach, daß man Sie einsperrt.

Einsperren kann man Sie einer bloßen Meinung wegen, doch auch das muß nicht sein, denn es ist ganz egal, was für Ansichten Sie Ihrer Ansicht nach haben. Wichtig ist nur, was für Ansichten Sie nach Ansicht jener haben, die darüber entscheiden.

Sie können einwenden, in vielen Staaten gebe es doch Gesetze, die verbieten, daß der Mensch seiner Meinung wegen zum Gefangenen wird. Das stimmt schon, liebe Freunde, doch es ist kein Hindernis für Ihre Karriere eines politischen Häftlings. Die Gesetze gelten für jeden nur solange, als er nicht zum politischen Häftling wird. Das größte Privilegium der politischen Häftlinge ist, daß keine Gesetze für sie gelten. Es gibt keine Verfassung auf der Welt, die es so oder so nicht verbietet, Menschen ihrer Überzeugung wegen festzusetzen – und trotzdem gibt es politische Gefangene!

Im übrigen, warum sollte man sie Ihrer Ansichten wegen einsperren, wenn es so viele andere Möglichkeiten gibt?

Wer nach Gerechtigkeit ruft, kann wegen Hausfriedensbruch festgenommen werden.

Und wer nicht ruft, den kann man wegen strafbarer Fahrlässigkeit belangen.

Wenn Sie sich gegen die Gewalt wehren, kann man Sie wegen Behinderung von Amtshandlungen verhaften.

Und wenn Sie sich nicht wehren, ist es ein so eindeutiges Bekenntnis der eigenen Schuld, daß Sie sich gar nicht wundern dürfen, wenn man Sie hinter schwedische Gardinen steckt.

Sobald Sie eingesperrt sind, ist alles in Ordnung, denn – wie schon gesagt – die einzige Bedingung dafür, daß der Mensch zum politischen Häftling wird, ist, daß man eingesperrt ist. Sonst wird nichts anderes von einem verlangt, alles übrige besorgen schon andere. Der Beruf eines politischen Häftlings ist ein Beruf mit unbegrenzten Möglichkeiten. Sie können politischer Häftling werden um dessentwillen, was Sie sind und dafür, was Sie nicht sind, dafür, daß Sie gegen etwas sind oder auch gegen etwas nicht sind. Es gibt Leute, die sitzen in Ländern mit antireligiöser Staatsideologie ihrer religiösen Überzeugung wegen im Kerker und auch in Staaten, deren Ideologie sich auf die Religion stützt; es gibt Leute, die lange Jahre ihrer kommunistischen Überzeugung wegen in antikommunistischen Ländern im Gefängnis saßen und dann aus dem gleichen Grund noch weitere Jahre in einem kommunistischen Staat.

Jeder Mensch kann zum politischen Häftling werden, denn jeder gehört einer gewissen sozialen Gruppe an. Bei einer sozialen Bewegung, welche es auch sei, kann eine soziale Gruppe im Kampf um die Macht unterliegen – oder auch siegen. Wenn Sie zu den Besiegten gehören, werden Sie ganz mühelos politischer Häftling. Doch noch leichter ist es, wenn Sie zu den Siegern gehören. Die Leute, die an die Macht kommen, können zuweilen denen verzeihen, die sie an ihrem Aufstieg zu hindern suchten, doch nur schwer verzeihen sie jenen, die ihnen bei ihrem Aufstieg halfen.

Der Weg zur Karriere eines politischen Häftlings steht jedem offen. Wir verbergen nicht: Bildung, Charakter, selbständiges Denken und eigene Meinung können den Fortschritt zu dieser Karriere beschleunigen, doch man kann sie auch ohne diese Eigenschaften machen.

Clown

Der Stammbaum des Clowns

Der Stammbaum des Clowns ist uralt. Schon als der liebe Gott die Welt erschuf, hatte er den Teufel bei der Hand, der nicht nur an einen Hanswurst erinnert, sondern auch zweifellos ein Narr ist, weil er ganz öffentlich mit dem Herrn des Weltalls nicht übereinstimmt; als sodann der Schöpfer den Menschen zu seinem Ebenbild machte, ohne ihm seine Macht und seine Möglichkeiten zu verleihen, hielt er die Menschheit ganz offensichtlich zum Narren.

Es gibt kaum eine modernere und notwendigere Kunst als die des Clowns. Notwendiger für Theater, Film und Fernsehen – in weit höherem Maße als für den Zirkus. Denn jeder echte Komiker ist mehr Clown als Schauspieler. Er ist in jeder Rolle anders, und trotzdem ist er Darsteller einer einzigen Rolle, einer einzigen Maske. Er hat sich vom Urtheater her seine Persönlichkeit als Autor bewahrt. Er kann sich nie völlig seiner Rolle unterwerfen, er muß zugleich spielen und kommentieren – was die Meister der stummen Groteske auch bei den wildesten Hetzjagden durch eine einzige Geste oder Grimasse fertigbrachten. Nicht nur muß er mit dem Publikum eins sein – sonst wird keiner lachen, sondern er muß auch ein Mitverschworener des Zuschauers sein, sein Agent auf der Bühne oder auf der Leinwand.

Einer der Vorfahren des Clowns war der antike Chor, der die Ansichten der Menge ausdrückte, die durch ihre Naivität weise und in ihrer Gerechtigkeit lächerlich waren. Der Stammbaum des modernen Clowns ist reich an Vorfahren: Harlekin und Pierrot, Buffone und Pantalone, fahrende Komödianten, Gaukler, Jongleure, Seiltänzer, Puppenspieler samt ihren Marionetten, Kasperle, Petruschka, Pancho und Punch, Bärenführer auf dem Jahrmarkt samt ihren Bären …

Und da ist der Narr des Königs – der königliche Narr.

Obwohl – weise Narren gab es nur bei weisen Königen. Lec sagt: »Die Herrscher gewährten den Narren Privilegien, doch diejenigen konnten diese nicht gewähren, die sich nicht als Herrscher fühlten.« Und einem dummen König die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, ist nicht nur eine törichte und gefährliche, sondern vor allem eine völlig überflüssige Narretei. Wenn der Narr also seinem Herrn die herbe Wahrheit sagt, ist dies ein Ausdruck von Hochachtung und Vertrauen. Die Vernunft hat nämlich die unangenehme Eigenschaft, daß man sie nur in einem Bündel mit der eigenen Haut zu Markte tragen kann. Und so pflegt ein Narr, der mit seinem Vertrauen hasardiert, bald einen Kopf kürzer zu sein, was recht unangenehm ist, da man ohne Kopf insbesondere kein Narr sein kann. Dieser einfache Mechanismus garantiert, daß jeder Herr die Narren hat, die er verdient.

Ein Narr war immer eine Karikatur seines Herrn, und das war für einen weisen König sehr wertvoll – damals gab es nämlich noch keine Watschenmänner aus Kunststoff, wie die japanischen Fabrikanten sie in ihren Fabriken aufstellen, damit ihre Angestellten daran ihr Mütchen kühlen können. Es ist besser, wenn die Untertanen über den König im Narren, als über den Narren im König lachten.