Spielen Sie Detektiv! - Gabriel Laub - E-Book

Spielen Sie Detektiv! E-Book

Gabriel Laub

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Beschreibung

Gabriel Laub, der bekannte Autor hintersinnniger Aphorismen und Kurzgeschichten, hat ein literarisches Ratespiel für pfiffige Leser entwickelt. Gesucht werden 53 Helden aus dem klassischen Roman wie der modernen Erzählung, aus der antiken Tragödie wie der Boulevardkomödie, aus Kinder- und Märchenbüchern oder aus Comics. Nur daß diese Helden ihren eigenen Tod überlebt haben und in die Gegenwart versetzt sind! Und damit der detektivische Spürsinn vor einer noch kniffligeren Aufgabe steht, spielen die Episoden vor anderen Schauplätzen und unter anderen Menschen als in den Originalwerken. Doch findet der aufmerksame Leser genügend Hinweise und Spuren, die ihn auf den Lösungsweg führen, nicht zuletzt durch die eingestreuten Zitate, die kursiv gesetzt worden sind. Helfen ihm auch die gewagtesten Kombinationen nicht weiter, dann mag er die Auflösungen am Schluß des Bandes befragen, die ihn zusätzlich mit bibliographischen Angaben versorgen. Wer allerdings meint, daß es ganz ausgeschlossen sei, etwa einen Helden der griechischen Antike nach 3000 Jahren zu neuem Leben zu erwecken, der irrt; denn diese wie alle anderen Figuren aus der Weltliteratur sind geblieben, was sie immer schon waren, nämlich unsterblich.

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Gabriel Laub

Spielen Sie Detektiv!

Ein literarisches Quiz für schlaue Leser

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Über dieses Buch

Gabriel Laub, der bekannte Autor hintersinnniger Aphorismen und Kurzgeschichten, hat ein literarisches Ratespiel für pfiffige Leser entwickelt. Gesucht werden 53 Helden aus dem klassischen Roman wie der modernen Erzählung, aus der antiken Tragödie wie der Boulevardkomödie, aus Kinder- und Märchenbüchern oder aus Comics. Nur daß diese Helden ihren eigenen Tod überlebt haben und in die Gegenwart versetzt sind! Und damit der detektivische Spürsinn vor einer noch kniffligeren Aufgabe steht, spielen die Episoden vor anderen Schauplätzen und unter anderen Menschen als in den Originalwerken. Doch findet der aufmerksame Leser genügend Hinweise und Spuren, die ihn auf den Lösungsweg führen, nicht zuletzt durch die eingestreuten Zitate, die kursiv gesetzt worden sind. Helfen ihm auch die gewagtesten Kombinationen nicht weiter, dann mag er die Auflösungen am Schluß des Bandes befragen, die ihn zusätzlich mit bibliographischen Angaben versorgen.

Wer allerdings meint, daß es ganz ausgeschlossen sei, etwa einen Helden der griechischen Antike nach 3000 Jahren zu neuem Leben zu erwecken, der irrt; denn diese wie alle anderen Figuren aus der Weltliteratur sind geblieben, was sie immer schon waren, nämlich unsterblich.

Über Gabriel Laub

Gabriel Laub, geboren 1928, lebte nach seiner Prager Studien- und Journalistenzeit ab 1968 als Schriftsteller in Hamburg. Er veröffentlichte u.a. die Aphorismenbände ‹Verärgerte Logik› und ‹Erlaubte Freiheiten›, die Satirensammlungen ‹Enthüllungen des nackten Kaisers› und ‹Ur-Laub zum Denken› sowie, zusammen mit Hans-Georg Rauch, den Band mit Texten und Zeichnungen ‹Doppelfinten›.

Inhaltsübersicht

1 Der Fremde am Fischmarkt2 Ein Gast aus der Zukunft3 Der Menschenverachter4 Der berühmte Detektiv5 Der Mann mit dem Unschuldsgesicht6 Ein philosophierender Unternehmer7 Delegierte der Children’s Lib8 Die Schleuder des Königs David9 Der betrogene Polizeichef10 Jugendfreunde aus Berlin11 Der edle Geist12 Ein pünktlicher Gentleman13 Ein Moralist mit Verstand14 Kinder oder Erwachsene?15 Ein unseriöser Schriftsteller16 Der Herr der Insel17 Ein Detektiv, der die Täter laufenläßt18 Ein Mann mit vielen Namen19 Die Generalin20 Der schlaue alte Junge21 Der Vielgewanderte22 Eine gemäßigte Frauenrechtlerin23 Die neurotischen Geschwister24 Ein Arzt der alten Schule25 Der gute Franzose26 Der tragische Zauberer27 Der Besessene28 Der Traum des kleinen Mädchens29 Ein erfolgreicher Jurist30 Der Löwentöter31 Eine Königin vor Gericht32 Ein erfolgreicher Werbefachmann33 Der Verbrecher im weißen Kittel34 Die Liebenden35 Ein Kaufmann aus Passion36 Der Emigrant37 Die Karriere eines Räubers38 Ein überzeugter Junggeselle39 Ein Dorfschullehrer40 Eine Frau, die ihr eigener Herr ist41 Der Verlierer42 Der Urgroßvater des Grafen43 Der Rebell44 Der Usurpator45 Der ewige Student46 Der vornehme Heiratsvermittler47 Der gescheiterte Detektiv48 Der Tolerante49 Der Karrierist50 Ein musikalisches Ehepaar51 Die kleine Virtuosin52 Ein Schriftsteller, den die Liebe störte53 Die MemoirenschreiberinAuflösungenBlock IBlock IIBlock IIIBlock IVBlock V

1 Der Fremde am Fischmarkt

Der Mann auf der Davidswache in Hamburg-St. Pauli war an die fünfzig Jahre alt, von kräftiger Körperbeschaffenheit, hager am Leibe, dürr im Gesichte. Ärmlich und unmodern gekleidet, verhielt sich jedoch sehr vornehm. Er trug keine Papiere bei sich und sprach wirr. Ein Beamter versuchte gerade, die psychiatrische Anstalt in Ochsenzoll telefonisch zu erreichen, um feststellen zu lassen, ob es sich um einen entflohenen Patienten handle.

Dieser Mann hatte am Fischmarkt zwei Zivilfahnder angegriffen, die eine randalierende Dirne zur Wache führen wollten. Sie wurde von einem Freier als diejenige erkannt, die ihm am Vortag sechshundert Mark gestohlen hatte. Der Mann, der jetzt mit stolzer und beleidigter Miene auf der Wache saß, war den Fahndern entgegengetreten und hatte mit lauter Stimme gerufen: «Teuflisches, ungeschlachtes Volk, gleich auf der Stelle laßt die hohe Prinzessin frei!» Als ihn die Beamten höflich ermahnten, sich zum Teufel zu scheren, wurde er handgreiflich. Er kämpfte so verzweifelt, daß die beiden Männer ihn wahrscheinlich nicht hätten überwältigen können – zumal sie auch auf die Dame aufpassen mußten –, wäre ihnen nicht ein uniformierter Kollege zur Hilfe gekommen. Dabei war der Festgenommene alles andere als ein Kraftheld.

Man erlaubte mir, mit dem keineswegs reuigen Täter zu sprechen.

«Warum haben Sie die Beamten angegriffen?»

«Waren das etwa Beamte Ihrer Stadt, die einer Dame Gewalt angetan haben? Ist das bei euch Sitte? Sie scheinen mir ein edler Mann zu sein! Wissen Sie denn nichts von der ritterlichen Pflicht, einer Dame in Gefahr beizustehen?»

«Diese Frau steht im Verdacht, einen Diebstahl begangen zu haben. Man mußte sie abführen.»

«Aber sie ging doch nur gezwungen, wohin man sie führte, und nicht aus eigenem Willen!»

Ich versuchte, mich seiner antiquierten Sprechweise anzupassen.

«Es ist eine käufliche Liebesdienerin …»

«Auch dann ist das arme Geschöpf unschuldig, was immer es getan hat. Es gibt zwar immer ungeeignete Kuppler, wie in unserem gesegneten Königreich zu meinen Zeiten auch. Denn das Geschäft eines Kupplers ist nicht derart, wie man wohl glauben mag: es ist ein Geschäft für Leute von Verstand und in einem wohlgeordneten Gemeinwesen ganz unentbehrlich. Es sollten nur Leute von gutem Hause es betreiben dürfen, und es sollte auch einen Aufseher und Examinator für sie geben, wie es deren für andre Berufsarten gibt; ihre Anzahl sollte festgesetzt und bekanntgemacht werden wie bei den Börsenmaklern. Dadurch würde viel Unglück vermieden, das daraus entspringt, daß dies Geschäft und Amt sich in den Händen einfältiger Leute ohne Einsicht befindet.»

In diesem Moment trat der Polizist hinzu, der telefoniert hatte, und sagte, daß man in Ochsenzoll keinen Insassen vermisse; es wäre jedoch am besten, den Mann dorthin zur Untersuchung zu bringen.

Ich habe den Herren inzwischen erkannt und hätte den Beamten sagen können, daß es vergebliche Mühe ist. Er ist nicht verrückt. Er hat nur zu viele Bücher gelesen und allzu buchstäblich die Ideale der Gerechtigkeit, Ritterlichkeit und Tapferkeit verfochten. Da diese Ideale in jener Zeit ebensowenig galten wie in der heutigen, glaubt man schon mehr als dreihundert Jahre lang, er sei ein Narr.

2 Ein Gast aus der Zukunft

Der Fremde irrte ziellos durch die Straßen der Innenstadt. Er ging sehr langsam und ruhte sich mehrmals unterwegs aus. Erst später, in meiner Wohnung, konnte ich sehen, daß er über dem rechten Fußknöchel dicke Krampfaderknoten hatte. An diesem frühen Neujahrsmorgen fiel sein langsamer Gang nicht auf, auch nicht der Ausdruck von absolutem Desinteresse in seinem Gesicht. Ich selbst wollte nur ein bißchen Luft nach der lustig-strapaziösen Silvesternacht schnappen. Ich hatte kein festes Ziel und ging einfach diesem Mann nach. Seine Kleidung war grau, zerknittert und aus schlechtem Stoff, der nach Kriegsmaterial aussah. Sonderbar die Blicke, die er auf die Schaufenster warf: kurz und verstohlen, und nach jedem Blick schüttelte er den Kopf, als wollte er einen bösen Gedanken vertreiben. Kämpfte er mit dem Gedanken, einen Laden auszurauben?

Er hatte längst bemerkt, daß ich ihm folgte, was ihm aber anscheinend nichts ausmachte. Er hörte nur auf, in die Schaufenster zu blicken. Als ich ihn ansprach, durchfuhr ihn ein Zittern, er blieb dann aber genauso apathisch wie zuvor. Deutsch verstand er nicht. Er sprach ein sehr primitives Englisch und verwendete merkwürdige Ausdrücke, die in keinem Wörterbuch zu finden sind. Der Aussprache nach war er jedoch zweifellos Engländer. Meine Einladung zu einer Tasse Kaffee nahm er ohne merkliches Zögern an, folgte aber lustlos – wie ein erwischter Ausreißer aus dem Gefängnis.

In meiner Wohnung sah er sich unruhig um, als ob er etwas Bestimmtes suchte. Dann fragte er mich: «Ist das Ihr Fernseher? So klein? Warum ist er nicht eingeschaltet – ist der elektrische Strom abgestellt?» Mein Apparat ist gar nicht klein. Ich erklärte ihm, daß ich einfach keine Lust habe, jetzt fernzusehen und gar nicht wüßte, ob man so früh am Morgen schon sendet. «Und Strom wird bei uns noch nicht abgestellt. Die ganze Ölkrise bestand doch nur aus Drohungen.»

«Ölkrise? Verzeihung, welches Jahr haben wir jetzt?»

«Vierundsiebzig, schon acht Stunden lang.»

«Achtzehnhundertvierundsiebzig?»

«Neunzehnhundertvierundsiebzig, natürlich. Hier liegt übrigens eine drei Tage alte Times. Sie können sich selbst überzeugen.»

Er vertiefte sich in die Zeitung und las äußerst konzentriert. «Wieso kriegen Sie eine nicht berichtigte Ausgabe? Es gehörte zu meiner Arbeit, die Times zu berichtigen. Wir hätten unmöglich so viel Altsprache in der Zeitung gelassen.»

«Ich bin kein Experte; aber ich glaube, es ist ein sehr modernes Englisch.»

Er lächelte müde. «Wir haben die Sprache modernisiert und vereinfacht. Mein Freund, ein Sprachwissenschaftler, hat mir die Prinzipien erklärt: Es ist eine herrliche Sache, dieses Ausmerzen von Worten. Es handelt sich nicht nur um die sinnverwandten Wörter, sondern auch um Wörter, die den jeweils entgegengesetzten Begriff wiedergeben … Jedes Wort enthält einen Gegensatz in sich. Zum Beispiel ‹gut›: Wenn du ein Wort wie ‹gut› hast, wozu brauchst du dann noch ein Wort wie ‹schlecht›? ‹Ungut› erfüllt den Zweck genauso gut, ja sogar noch besser, denn es ist das haargenaue Gegenteil des anderen, was man bei ‹schlecht› nicht wissen kann.»

«Und sind Sie mit dieser Sprache zufrieden?»

«Es gab Zeiten …» Er brach ab und sah sich unruhig um. «Natürlich bin ich zufrieden», sagte er mit frommer Stimme. «Es wird nicht mehr lange dauern, und Sie werden das Jahr erreichen, aus dem ich komme. Dann werden Sie verstehen, wie weise diese Sprache ausgedacht wurde.»

Ich ging Kaffee kochen. Als ich zurückkam, war mein Gast weg.

3 Der Menschenverachter

Der große Park, bevorzugtes Revier der Herrenreiter, war zu dieser frühen Nachmittagsstunde fast leer. Nur eine elegante junge Dame ritt langsam auf einem herrlichen schwarzen Hengst vorbei.

Der Mann lief ihr nach und schrie: «Wirf das Weibchen ab! Oh, edles Geschöpf, wie kannst du so ein schmutziges Untier auf deinem Rücken tragen?!»

Die Reiterin reagierte auf diese Worte ebensowenig wie das Pferd. Den Mann konnte man auch kaum ernst nehmen. Er steckte in einem Kostüm des XVIII. Jahrhunderts, obwohl die Faschingszeit noch nicht gekommen war. Die Tracht war ziemlich abgetragen; sie sah aus, als ob sie schon mehreren Schauspielergenerationen gedient hätte. Die Reiterin spornte das Pferd an und verschwand. Der Mann mußte das Rennen aufgeben.

«Was haben Sie gegen die junge Dame?» fragte ich. «Sind Sie ein konsequenter Tierfreund oder ein Revolutionär?»

«Nein, Sir, ich gehörte nicht zum Gefolge des Prinzen von Oranien; denn ich wurde erst achtzig Jahre nach seinem Sieg geboren. Ich bin ein ehrlicher Wundarzt und Schiffskapitän, Untertan Ihrer Majestät der Königin von England. Ich fand es nur ungerecht, daß dieser Hengst, offenbar einer der würdigen seines Volkes, ein Weib unseres erbärmlichen Geschlechts trägt.»

«Sie sind also Engländer, haben jedoch den Hengst auf deutsch angesprochen.»

«Ich folgte dem Beispiel des Kaisers Karl V., Sir, der sagte, er würde seinen Gott auf spanisch, seine Geliebte auf italienisch, sein Pferd aber auf deutsch anreden. Es fiel mir nicht schwer, da ich von früher Jugend an Begabung im Erlernen fremder Sprachen besessen habe.»

Ich lud ihn in eine Kneipe ein. Er bestellte Mineralwasser. Alkohol lehnte er entschieden ab, auch Bier, da, wie er sagte, der Gebrauch dieses Getränkes Krankheiten bei uns verursacht, die unser Leben unbehaglich und kurz machen.

Ich wollte ergründen, warum er sich im Park so benommen hatte: «Ich kann nicht verstehen, Sir, wem Ihre Verachtung galt – den Frauen oder den Menschen überhaupt?»

«Vor dreihundert Jahren, Sir, hatte ich das Glück, drei Jahre unter vernünftigen und edlen Wesen zu verbringen, die dem Menschen weit überlegen sind. Sie führen keine Kriege, sie brauchen keine Gesetze; denn sie glauben, Natur und Vernunft seien für ein vernünftiges Wesen ausreichende Führer, um uns zu zeigen, was wir zu tun und was zu lassen hätten. Sie machen auch keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Mein damaliger Herr hielt es für ein widernatürliches Verfahren, daß wir den weiblichen Personen unseres Geschlechtes eine andere Erziehung geben, als den männlichen; es sei denn in einigen Punkten, welche die Verwaltung des Hauswesens betreffen. Dadurch, bemerkte er mit vollkommenem Recht, wäre ja die Hälfte unseres Volkes zu nichts anderem brauchbar als zum Kinderkriegen. Und der Umstand, daß man solchen nutzlosen Personen die Erziehung der Kinder anvertraue, sei ein noch größerer Beweis unserer tierischen Natur. Da ich unter wirklich vernünftigen Wesen gelebt habe, lernte ich die Menschen gering zu schätzen, obgleich es damals nur wenige gab, welche die Menschheit so liebten wie ich.»

Ja, als Kind habe ich die Geschichte der Abenteuer dieses Mannes gelesen in einem von jenen Büchern, die die Erwachsenen den Kindern überlassen, weil sie sie selbst nicht verstehen. Damals ist mir natürlich nicht aufgefallen, daß er die Menschen verachtet und verhöhnt, weil er sie liebt. Was weiß man schon als Kind vom Wesen der Liebe?

4 Der berühmte Detektiv

Es war ein glücklicher Zufall, daß der berühmte Detektiv gerade in unserer Stadt weilte. Er erklärte sich bereit, sich mit mir in dem Restaurant seines Hotels zu treffen.

Mein Gastgeber war klein und zappelig. Er kleidete sich altmodisch und geradezu pedantisch. Man sah auf den ersten Blick, daß Reinlichkeit und äußerste Sorgfalt seine Passion waren. Für einen Mann, der jahrzehntelang in England lebte, waren seine Sprachkenntnisse erstaunlich schlecht.

Ich hatte nicht viel zu erzählen. Vor zwei Stunden hatte ich die Perle aus dem Safe geholt – ein prachtvolles, teures Erbstück –, um sie zum Juwelier zu bringen. In einer Woche war unser erster Hochzeitstag, zu dem ich meiner Frau einen Perlenring schenken wollte. Die Perle lag auf meinem Schreibtisch. Ich packte sie gerade ein, als das Telefon läutete. Das Gespräch dauerte etwa zwölf Minuten. Mein amerikanischer Verleger verlangte, daß ich meinen neuesten Kriminalroman um sechzig Seiten und mindestens eine Leiche erweiterte. Ich war natürlich sauer, mußte aber zugeben, daß ein Verleger besser weiß, was sich in den Staaten verkauft. Nach dem Auflegen des Hörers dachte ich nach, wen ich zusätzlich ermorden lassen konnte. Nach höchstens drei Minuten kam meine Frau, legte ihre Hand auf meine Schulter und erinnerte mich, daß ich in der Stadt eine Verabredung hätte. Ich wollte noch die Perle zudecken – es sollte ja eine Überraschung sein –; aber das kostbare Stück war verschwunden. Daß sie nicht auf dem Tisch lag, war sofort zu sehen – auf ihm stehen nur das Telefon, die Schreibmaschine und das Diktiergerät. Wir haben dann den Teppichboden Zentimeter für Zentimeter abgesucht. Auf dem dunkellila Teppich hätte die Perle übrigens sofort auffallen müssen.

Nicht nur der Verlust der Perle machte mich nervös. Es ärgerte mich, daß ich, ein Krimiautor, vor einem Rätsel stand.

Während ich berichtete, schien der Detektiv ganz in die Speisekarte vertieft zu sein. «Wenn die Gerichte hier tatsächlich ihren französischen Namen entsprechen, können wir uns freuen, Monsieur. Was werden Sie bestellen?»

Ich murmelte, ich könne jetzt überhaupt nicht an Essen denken; der Kellner sollte mir irgend etwas nach eigener Wahl bringen.

«Mon Dieu!» sagte der kleine Mann. «In diesem Lande behandelt man die gastronomischen Genüsse mit einer geradezu kriminellen Gleichgültigkeit.»

«Ich bin einfach nervös.»

«Warum rauchen Sie nicht? Sie haben schon viermal in die Tasche gegriffen, ohne etwas herausgezogen zu haben. Wollen Sie sich das Rauchen abgewöhnen?»

«Ja, das habe ich meiner Frau schon vor drei Wochen versprochen. Sie versorgt mich mit Pfefferminzbonbons und paßt auf mich auf. Aber sagen Sie, Monsieur, können Sie mir helfen?»

«Ihr Problem werden wir noch während des Mittagessens lösen.»

«Sie wollen doch nicht damit sagen, daß Sie sich zutrauen würden, einen Fall zu lösen, ohne sich aus Ihrem Stuhl zu erheben, oder doch?»

«Genau das wollte ich sagen – vorausgesetzt allerdings, daß ich im Besitz der einschlägigen Tatsachen bin … Der Schlüssel zum Erfolg ist hier!» Er tippte an seine Stirn. «Mehr als die kleinen grauen Gehirnzellen hier sind nicht nötig.»

Ich war jetzt bereit, alle Fragen im Detail zu beantworten: daß der Tisch zwei Meter vom Fenster entfernt steht und wir im dritten Stock wohnen; daß außer meiner Frau und mir nur noch Frau Müller in der Wohnung war, jedoch nicht in meinem Arbeitszimmer. Außerdem führe sie mir den Haushalt seit zwanzig Jahren und sei die Ehrlichkeit in Person …

Statt dessen fragte mich der Detektiv: «Waren Sie bei dem Telefongespräch sehr aufgeregt?»

«Ja. Ich habe keine Lust, ein fertiges Manuskript zu ändern. Aber warum fragen Sie?»

«Nur ein kleiner Einfall von mir, sonst nichts. Ich … ich bin berühmt meiner kleinen Einfälle wegen. Welche Sorte Pfefferminzbonbons nehmen Sie?»

«Ich weiß nicht, meine Frau kauft sie. Es sind große weiße Kugeln.»

«Steht die Schachtel mit den Bonbons auf Ihrem Schreibtisch?»

«Normalerweise ja, aber heute nicht; die war wohl alle.»

«Also, Sie waren bei dem Gespräch aufgeregt. Sie wollten natürlich rauchen, oder mindestens Ihre Bonbons lutschen … Eh bien – Sie haben die Perle mit einem Bonbon verwechselt und in der Aufregung verschluckt. Nehmen Sie sofort ein starkes Abführmittel, bevor Ihre Magensäure die Perle zerstört hat.»

Am nächsten Tag konnte ich mich bei dem Meister für seinen Rat bedanken. Er hat mich vor dem wirklichen Verlust der Perle bewahrt.

5 Der Mann mit dem Unschuldsgesicht

Die Streifenpolizisten wurden von einem älteren Herren gerufen, einem pensionierten Postbeamten. Er hatte seine Geldbörse verloren, wahrscheinlich in der Bahnhofstoilette. Und jetzt hätte er sie gesehen, auf einem Tisch im Bahnhofsrestaurant neben einem Kerl – der da ist es, mit dem rundlichen Gesicht und blauen Augen. «Sehen Sie, er zahlt seelenruhig aus meiner Börse. Ich erkannte sie sofort, ich besitze sie ja seit sechsundzwanzig Jahren. Es waren ursprünglich zwölf Mark achtzig darin und eine entwertete Fahrkarte.»

Der Mann am Tisch schaute sich die Polizisten ruhig an und lächelte ihnen entgegen.

«Können wir Ihre Papiere sehen?»

«Ich habe keine. Sie sind in meinem Koffer geblieben, im Zug nach Passau. Ich bin mit dem Morgenzug gekommen, wollte, bitte schön, ein Bier trinken, und der Zug ist mir fortgefahren.»

Der Mann sprach mit deutlichem slawischen Akzent. Wer ihn in diesem Augenblick betrachtete, mußte den Eindruck gewinnen, es sei überhaupt nicht möglich, daß ein Mann mit einem solchen Gesicht und so einer Gestalt irgendwelche Dokumente bei sich haben könne.

«Es gingen inzwischen zwei weitere Züge nach Passau ab. Warum sind Sie nicht mit diesen gefahren?»

«Bitte schön, Herr Wachtmeister, es ist mir unterdessen, was ich auf den nächsten Zug gewartet hab, das Malör passiert, daß ich am Tisch ein Bier nach dem andern getrunken hab.»

«Was sind Sie von Beruf?»

«Ich verkaufe Hunde. Das hab ich schon vor dem Ersten Weltkrieg gemacht. Ich wollte von einer Dame einen Pudel abholen, den sie verschenken wollte; aber sie hat’s sich anders ibrlegt.»

«Ist das Ihre Börse?»

«Die hab ich auf der Toilette gefunden, als ich nach dem finften Bier … nein, das war nach dem siebten. Nach dem finften war sie noch nicht da.»

«Sie gestehen also, daß es nicht Ihre Börse ist?»

«Wenn Sie wünschen, Herr Wachtmeister, daß ich gesteh, sogesteh ich, mir kanns nicht schaden. Wenn Sie aber sagen: ‹Gestehn Sie nichts ein›, wer ich mich herausdrehn, bis man mich in Stücke reißt.»

«Warum haben Sie den Fund nicht bei der Polizei abgegeben?»

«Wenns ums Geld geht, möcht sich vielleicht kein ehrlicher Finder finden, obzwar es schon solche Leute gibt … Einmal hat in unserer Gasse ein Schneider einen goldenen Ring gefunden. Die Leute ham ihn gewarnt, er soll ihn nicht auf der Polizei zurückgeben, aber er hat sich nichts sagen lassen. Man hat ihn ausnehmend freundlich empfangen, daß dort herich schon der Verlust von einem goldenen Ring mit einem Brillanten gemeldet ist, aber dann schaun sie auf den Stein und sagen ihm Menschenskind, das is doch Glas und kein Brillant. Wieviel hat man Ihnen denn für den Brillanten gegeben? Solche ehrliche Finder kennen wir! Zum Schluß hat sichs aufgeklärt, daß noch jemand einen goldenen Ring mit einem falschen Brillanten verloren hat, ein Familienandenken, aber der Schneider is halt doch drei Tag gesessen, weil er sich in der Aufregung eine Wachebeleidigung hat zuschulden kommen lassen. Er hat zehn Prozent gesetzlichen Finderlohn bekommen, 1 K 10 h, weil der Schmarrn 12 K wert war, und hat diesen gesetzlichen Finderlohn dem Besitzer ins Gesicht geworfen, und der hat ihn wegen Ehrenbeleidigung geklagt, und der Schneider hat noch 10 K Strafe bekommen. Dann hat er überall gesagt, daß jeder ehrliche Finder fünfundzwanzig verdient, daß man ihn verprügeln soll, bis er blau wird. Man soll ihn öffentlich verhaun, damit sichs die Leute merken und sich danach richten.»

Die Polizisten wischten sich den Schweiß von der Stirn. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich ebenfalls ein Bier zu bestellen.

6 Ein philosophierender Unternehmer

Es sollte ursprünglich eine Reportage werden – über ein bizarres Londoner Unternehmen, zum Teil Maskenverleih, zum Teil Arbeitsvermittlung, dazu noch eine Art Theaterschule, das seit fünfundvierzig Jahren in der ganzen Welt recht bekannt geworden ist. Ein wenig Soho-Kolorit, ein wenig Unternehmer-Cleverness.