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Am 22.06.1874 hisste der amerikanische Landarzt Andrew Taylor Still (1828-1917) nach eigenem Bekunden das ‚Banner der Osteopathie’. Damit begründete er nicht nur die moderne Manualtherapie der westlichen Welt, sondern er stellte zugleich einen neuen Typus Therapeut vor: Dieser versteht sich nicht mehr primär als Behandler, sondern als Philosoph, der seine durch unabhängiges Denken erworbenen Erkenntnisse im therapeutischen Kontext umsetzt. Durch dieses Denken ‚Jenseits der Wagenspuren’ zählt Stills gesundheitsorientierte Osteopathie inzwischen zu den treibenden Kräften jener Medizin, die versucht wieder menschlicher zu werden. Wie kaum ein anderer therapeutischer Ansatz ist die Osteopathie durch die Persönlichkeit ihres Entdeckers geprägt. Stills Texte bilden hier bei den Schlüssel zum besseren Verständnis der ursprünglichen Tiefe seines bemerkenswerten Ansatzes. Allerdings ist seine Sprache nicht ohne gute Kenntniss seiner Persönlichkeit zu verstehen. Das vorliegende Buch will hier eine Lücke schließen. Mit vielen teilweise noch nicht einmal in ihrer englischen Originalsprache veröffentlichten Primärquellen zahlreicher Wegbegleiter Stills, eröffnet sich dem Leser ein Panoptikum, dass keinen ‚Wunderheiler‘ sondern einfach nur einen besondern Mensch voller Witz, Intelligenz, Wissensdurst, Einfachheit, Gerechtigkeitssinn und Loyalität präsentiert. Einen Mensch der auch durchdrungen war von großer Liebe zur Schöpfung, zur Natur, den Menschen und zur Wahrheit. Lernen Sie einen der ungewöhnlichsten medizinische Reformer der Neuzeit hautnah kennen.
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Seitenzahl: 761
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ERINNERUNGEN AN ANDREW TAYLOR STILL
HERAUSGEGEBEN VON
Christian Hartmann
ÜBERSETZUNGEN VON
Martin Ingenfeld
ERKLÄRUNG
Dieses Buch beruht auf einem historischen Text aus der Gründerzeit der Osteopathie. Die darin enthaltenen medizinischen Aussagen entsprechen dem Wissensstand jener Zeit und ersetzen keinen Besuch eines Arztes oder Heilpraktikers.
Der Herausgeber übernimmt keinerlei Haftung, für Schäden, die durch Anwendungen auf Basis der Informationen in diesem Buch entstanden sind.
TITEL
Erinnerungen an Andrew Taylor Still
Deutsche Erstauflage
Copyright © 2016 bei JOLANDOS©
JOLANDOS©, Am Gasteig 6, 82396 Pähl
www.jolandos.de, [email protected]
ISBN 978-3-936679-92-2 (Print)
ISBN 978-3-941523-59-3 (Ebook/MOBI)
ISBN 978-3-941523-60-9 (Ebook/EPUB)
ORIGINAL
Osteopathic Therapeutics: Diagnosis
Unveröffentlichtes Unterrichtsskript (ca. 1898–1906)
Original liegt im Museum for Osteopathic Medicine, Kirksville, MO., USA
HERAUSGEBER
Christian Hartmann
ÜBERSETZUNG
Martin Ingenfeld
UMSCHLAGGESTALTUNG UND SATZ
Christian Hartmann
DRUCK / PRINTVERSION
Alfaprint
(Slowakei)
www.alfaprint.sk
EBOOK-GESTALTUNG
www.zeilenwert.de
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Raiffeisenalle 10
82041 Oberhaching
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ABB. 1: ANDREW TAYOR STILL
(1828–1917)
COVER
TITEL
ERKLÄRUNG
IMPRESSUM
QUELLENHINWEISE
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
VORWORT DES HERAUSGEBERS
WALTER: DER ERSTE D.O
ÜBER DIE AUTORIN
VORWORT
DANKSAGUNGEN
DER BEGRÜNDER DER OSTEOPATHISCHEN MEDIZIN
DER JUNGE
DER ARZT
DER LEHRER
DER ALTE DOKTOR
HUBBARD: EINE KLEINE REISE IN DIE HEIMAT VON ANDREW TAYLOR STILL
BOOTH: GESCHICHTE DER OSTEOPATHIE – ANDREW TAYLOR STILL
ÜBER DEN AUTOR
TEIL 1
Dr. A. T. Stills Vorfahren väterlicherseits
Seine Vorfahren mütterlicherseits
Seine Autobiografie
Seine Jugend
Seine eigene Familie
Interesse an höherer Bildung
Im Dienst seines Landes
Ein erfindungsreicher Geist
Dr. Stills Selbstlosigkeit
Seine religiösen Überzeugungen
Seine Hellsichtigkeit
Ein verrückter Sonderling
Ein erfolgreiches Leben
Hilfsangebote
In Missouri
Das Zeugnis alter Freunde
Einige Erinnerungen des Autors
Weise Sprüche
TEIL 2
Abraham Still, Prediger und Arzt
Dr. A. T. Stills Geburtsort
Dr. Andrew Taylor Still
Gedankenperlen und prägnante Aussprüche von Dr. A. T. Still
War Dr. A. T. Still ein Dichter?
Eine Definition der Osteopathie von Dr. Still
Fortschritt ist die Devise
Dr. Stills Glaube an die Unsterblichkeit
A. T. Stills letzte Mahnung
Dr. Still, ein Mann der Vision
Dr. A. T. Stills Vielseitigkeit
Dr. W. F. Link kannte Dr. A. T. Still als Junge und als Mann
Als Dr. William Smith, einer der ersten Lehrer der Osteopathie, Dinge sah
Die Erfahrung eines Zeitungsmanns
A. T. Stills außergewöhnliche Schlichtheit
Eine andauernde Freundschaft
Dr. A. T. Still, stets derselbe
Eine Offenbarung
A. T. Still, Philosoph, Lehrer
Dr. Still, ein Philosoph
Wirkungen von Dr. A. T. Stills Philosophie
Dr. A. T. Stills Religiosität
Dr. A. T. Stills Religiosität und die Wissenschaft
Der wahre A. T. Still
Der Tod von Dr. Andrew Taylor Still und Nachrufe aus den Kirksville Daily News
Aus dem Kirksville Daily Express
Aus der Grabrede von Dr. A. G. Hildreth
Verschiedene Ehrungen
Vertrauensvoll bis zum Ende
CHARLES-E.-STILL-SAMMLUNG
ELIZA ALDERMAN
CHARLES E. BEEKS
JENETTE (NETTIE) H. BOLLES
ELMAR R. BOOTH
ADDISON L. BREWER
HELEN DE LENDRECIE
WILLIAM F. ENGLEHART
E. F. GAIR
NETTIE O. HAIGHT
JAMES L. HOLLOWAY
MAC F. HULETT
E. R. LYDA
GEORGE A. MAHAN
SCHUYLER C. MATTHEWS
LAWRENCE H. MCCARTNEY
HAROLD R. PEAT
GEORGE W. PERRIN
NORA B. PHERIGO-BAIRD
HEZZIE C. PURDOM
G. W. RILEY
A. D. RISDON
ALICE P. SHIBLEY
KATHRYN A. TALMADGE
ERNEST E. TUCKER
GEORGE W. TULL
TUCKER: ERINNERUNGEN AN A. T. STILL
ÜBER ERNEST E. TUCKER
TEIL 1
TEIL 2
Osteopathie
Still als Lehrer
Still als Autor
TUCKER: DR. STILL, DER METAPHYSIKER
RUSSELL: GEDANKEN ZU ANDREW TAYLOR STILL
BROWN: DER BLITZEINRENKER
SPIRITISMUS – EINE NOTIZ VON HAROLD MAGOUN JR. BETREFFEND PRISCILLA BROWN
ANFANG
FORSCHUNGSREISE
STILL-FAMILIE
BILDER
[AUFBAU DES BUCHES]
[CHRONOLOGIE]
BÜCHER VON ATS
Bemerkenswerte Zitate von ATS
[DER ALTE DOKTOR]
PERSONENREGISTER
BEGRIFFSREGISTER
FUSSNOTEN
DER ERSTE D.O. – DR. ANDREW TAYLOR STILL
Originaltitel: G. W. Walter (2004). The First D.O. – Dr.Andrew Taylor Still. MOM, Kirksville, MO.
EINE KLEINE REISE IN DIE HEIMAT VON ANDREW TAYLOR STILL
Originatltitel: E Hubbard (1912). A Little Journey to the Home of A. T. Still. East Aurora, NY.
GESCHICHTE DER OSTEOPATHIE: ANDREW TAYLOR STILL
Elmar R. Booth (1924). History of Osteopathy, and Twentieth-Century Medical Practice. Caxton Press, Cinncinati, Oh, USA.
CHARLES-E.-STILL-SAMMLUNG
Quelle: http://www.sos.mo.gov/archives/mdh_splash/default.asp?coll=charlesjrsr.
In eckigen Klammern finden Sie die jeweilige Archivnummer des Museum of Osteopathic Medicine, Kirksville, Mo., USA.
Eliza Alderman (Undatiert). [1997.04.93]
Charles E. Beeks (1924). [1997.04.94]
Jenette (Nettie) H. Bolles (1924). [1997.04.95]
Elmar R. Booth (ca. 1925) [1997.04.92]
Addison L. Brewer (Undatiert). [1997.04.96]
Helen de Lendrecie (Undatiert). [1997.04.97]
William F. Englehart (1924). [1997.04.98]
E. F. Gair (Undatiert). [1997.04.99]
Nettie O. Haight (Undatiert). [1997.04.100]
James L. Holloway (Undatiert). [1997.04.101]
Mac F. Hulett (1938). [1997.04.102]
E. R. Lyda (Undatiert). [1997.04.103]
George A. Mahan (1923). [1997.04.104]
Schuyler C. Matthews (Undatiert). [1997.04.105]
Lawrence H. McCartney (1925). [1997.04.106]
Harold R. Peat (1929). [1997.04.107]
George W. Perrin (1925). [1997.04.108]
Nora B. Pherigo -Baird (Undatiert). [1997.04.109]
Hezzie C. Purdom (1936). [1997.04.110]
George W. Riley (1938). [1997.04.111]
A. D. Risdon (Undatiert) [1997.04.112]
Alice P. Shibley (Jan 1925?). [1997.04.113]
Kathryn A. Talmadge (Undatiert). [1997.04.115]
Ernest E. Tucker (Undatiert). [1997.04.116]
George W. Tull (1923). [1997.04.117]
ERINNERUNGEN AN A. T. STILL
ÜBER ERNEST E. TUCKER
ERINNERUNGEN AN A. T. STILL – TEIL 1
Teil 1: E.E. Tucker (undatiert). Ohne Titel. Bisher unveröffentlicht.
Das Originaldokument befindet sich im Museum of Osteopathic Medicine, Kirksville, Mo., USA.
ERINNERUNGEN AN A. T. STILL – TEIL 2
Teil 2: E.E. Tucker (1954). Brief an Charles E. Still. Ohne Titel. Bisher unveröffentlicht.
Das Originaldokument befindet sich im Museum of Osteopathic Medicine, Kirksville, Mo., USA.
DR. STILL, DER METAPHYSIKER
E.E. Tucker (1919). JAOA June 1919, Vol. 18, 486-494.
James Russell (undatiert). Ohne Titel. Bisher unveröffentlicht.
Das Originaldokument befindet sich im Museum of Osteopathic Medicine, Kirksville, Mo., USA.
DER BLITZEINRENKER
SPIRITISMUS – EINE NOTIZ BETREFFEND PRISCILLA BROWN
Harold Magoun Jr. (undatiert). Bisher unveröffentlicht.
AUFZEICHNUNGEN
Priscilla Brown (undatiert). Bisher unveröffentlicht.
Das Originaldokument befindet sich im Museum of Osteopathic Medicine, Kirksville, Mo., USA.
Wer Osteopathie wirklich verstehen will, muss ihre Wurzeln kennen. Und diese sind untrennbar mit dem amerikanischen Landarzt Andrew Taylor Still (1828–1917) verbunden. Still legte mit ihr nicht nur einen der bedeutendsten Grundsteine für die moderne manuelle Medizin, indem er die Hand des Therapeuten quasi zu einem medizinischen Werkzeug entwickelte. Darüber suchen sein funktionelles anatomisch-physiologisches Denken und vor allem dessen Umsetzung in der Praxis medizinhistorisch in jener Zeit ihresgleichen. In diesem neuen medizinischen Denken betrachtete er Symptome nicht mehr als Wegmarken zur Benennung einer spezifischen Krankheit, um diese ‚Begriffe‘ daraufhin mit unkritisch angewendeten, also ritualisierten Konzepten zu ‚bekämpfen‘, sondern er sah in ihnen lediglich Hinweise auf physiologische Prozesse im Körper. Diese, so war er überzeugt, hingen entscheidend von den gegebenen anatomischen Rahmenbedingungen ab, und so lag sein Fokus nicht auf der Beseitigung von Krankheiten mittels tradierter Methoden oder Techniken, sondern erachtete jeden einzelnen Fall als individuelle und unkategorisierbare Herausforderung. Das einzig sichere Zentrum in seinem Denken und damit auch seinem Handeln war die tiefe Überzeugung, dass die Kräfte der lebendigen Natur stets in Richtung Lebenserhaltung und -förderung wirken, insofern sie optimale anatomische Rahmenbedingungen vorfinden. Optimal verstand Still dabei aber nicht als absolut, sondern je nach Mensch und Lebenszeitpunkt individuell unterschiedlich bestimmt.
Still verließ sich bei der Behandlung also nicht auf als absolute Vorstellungen überlieferte und unkritisch nachgeahmte ‚Wahrheiten‘, sondern fügte seine Osteopathie prozess-, mensch- und gesundheitszentriert in die dynamisch-evolutorischen und sich daher ständig verändernden Zustände im lebendigen Leib des Patienten ein. Als einziger unverrückbarer Ankerpunkt diente ihm dabei der Glaube an das Wohlwollen einer sich durch Liebe und Weisheit ausdrückenden und durch alle Aspekte des Universums wirkenden höheren Intelligenz. Diese Aspekte sah Still in allen Erscheinungen und Zusammenhängen widergespiegelt und folglich stand in Stills Osteopathie der Glaube im Zentrum, dass man den Kräften der Natur bedingungslos vertrauen kann (insofern die Rahmenbedingungen für sie stimmen). Und in diesem Sinn ist sein folgender berühmter Ausspruch zu interpretieren:
„Finde es, bring es in Ordnung, und lass es in Ruh!“
Im Menschen betrachtete Still dessen Verstand (mind) und die Nächstenliebe als die beiden Entsprechungen der ‚göttlichen‘ Intelligenz und Liebe – und somit als höchstes Gut des Menschen. Und ganz im Sinne des Aufklärers Kant war er der Ansicht, dass die Unmündigkeit des Menschen in seinem Unvermögen liegt, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Und so lebt und wirkt er ganz nach dem Kernsatz eines durch und durch aufklärerischen Philosophen: „Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
In meinen Augen erscheint Stills größte Leistung folglich nicht in seinen medizinischen Errungenschaften, sondern in der Tatsache, dass es ihm erstmalig in der Neuzeit gelingt, die in der antiken Idealmedizin eng verwobenen Disziplinen der Philosophie und der Medizin nach fast zwei Jahrtausenden wieder auf harmonische und fruchtbare Weise zu vereinen und vor allem therapeutisch anwendbar zu machen. Metaphysik und Physik, Körper und Geist, Empirie und Logik, Kognition und Intuition, Objektivität und Subjektivität, all dies stellt in Stills Philosophischer Osteopathie keine Gegensätze mehr dar, sondern sich gegenseitig befruchtende Pole. Still verstand sein Wirkungsfeld als Arzt – das was gemeinhin als Osteopathie bezeichnet wird – folglich weniger als medizinische Methode, sondern vielmehr als Handlungsraum seines primär philosophischen Daseins, der sich lediglich aufgrund seiner Biografie im medizinischen Kontext wiederfinden sollte. Man muss Still primär also nicht als Behandler, sondern als redlichen, dem Gemeinwohl verpflichteten und entsprechend aktiv und pragmatisch handelnden Philosophen betrachten, der erst sekundär im medizinischen Umfeld wirkt. Weiterhin folgt daraus, dass man auch seine Schriften unter diesem Gesichtspunkt lesen muss, um sie überhaupt in ihrer ganzen Tiefe erfassen und interpretieren zu können. Ein rein therapeutischer oder medizinischer Blick reicht hierzu ebenso wenig aus wie der Blick eines erfahrenen Osteopathen, der Philosophie als ein Hobby ‚nebenbei‘ betreibt. Hier ist das Fachwissen philosophischer Experten gefragt.
Die Lektüre vor allem seiner vier Bücher Autobiografie (1897), Die Philosophie der Osteopathie (1899), Die Philosophie und mechanischen Prinzipien der Osteopathie (1902) sowie Forschung und Praxis (1910), die alle zusammen in Das große Still-Kompendium (2005) zusammengefasst wurden, stellt aber nicht nur aus dieser Sicht eine besondere Herausforderung dar. Still, der nie eine reguläre Schule oder Hochschule besuchte, gelangte allein durch autodidaktische Naturstudien sowie durch den Austausch mit ebenfalls auf alle Geheimnisse des Lebens neugierigen Mitmenschen im entlegenen Grenzland der Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts zu seinen bemerkenswerten Erkenntnissen. Und wie die Grenzlandbewohners jener Zeit war auch Still: direkt, pragmatisch und konsequent. Und so entspricht seine Sprache nicht dem, was man normalerweise in medizinischen Sammelwerken erwartet. Ganz im Gegenteil: Hier begegnet uns ein Mann am Lagerfeuer und erzählt uns zwar einfache, aber umso durchdringendere Geschichten. Vergessen wir nicht, zu jener Zeit war die mündliche Überlieferung das Mittel der Wahl bei der Übermittlung von Informationen. Und vergessen wir weiterhin nicht, dass unter den Grenzlandbewohner jener Zeit aufgrund der extremen Lebensbedingungen eine außergewöhnlich tiefe Verbindung herrschte. So erklärt sich dann auch, dass Still sein Wissen vorrangig diesen Zeitgenossen und nicht Vertretern der akademischen Medizin hinterlassen wollte. Dementsprechend ‚unwissenschaftlich’ hat er geschrieben. Wer aber um den historischen und vor allem auch biografischen Kontext weiß, erkennt schnell, dass es hier einem Menschen auf geradezu einmalige Weise gelungen ist, tiefste Weisheiten des Lebens sowie modernste Sichtweisen der Medizin auf den Menschen in für Akademiker geradezu beleidigend einfacher und verständlicher Sprache zu vermitteln. Kein Wunder also, dass Stills Osteopathie in etablierten Medizinerkreisen bis heute eher abschätzig als ‚Handauflegen’, bei der einfachen Bevölkerung aber aufgrund ihrer Mischung aus intelligenter und menschlicher Einfachheit so hoch geschätzt wird.
Und so wie die Texte Stills den Schlüssel zum umfassenden Verständnis seiner Philosophischen Osteopathie und damit auch zum therapeutischen Handlungsraum selbiger, der Osteopathie an sich, repräsentieren, so bildet die gute Kenntnis des Menschen Andrew Taylor Still den Schlüssel zu seinen Texten. Erst eingebettet in seiner Zeit und seinem Umfeld erkennt man ihn nicht nur als bedeutenden Arzt, sondern und vor allem auch als großen philanthropischen Philosophen, der zudem noch über die seltene Gabe verfügte, bei aller Tiefe seiner Erkenntnisse über einen unwiderstehlichen Humor und eine geradezu beneidenswerte Leichtigkeit im Leben zu verfügen. In ihr bekömmlich verpackt präsentiert er seinen Mitmenschen ganz nebenbei ein völlig neues therapeutisches Selbstverständnis: Der Behandler als Mensch unter Menschen und als Erfüllungsgehilfe der Natur. Nicht mehr, aber auch nicht weniger …
In diesem Sinn soll das vorliegende Werk mit seinen größtenteils nicht einmal in ihrer Originalsprache veröffentlichten Dokumenten von Zeitzeugen als medizinhistorischer Baustein gesehen werden, um über die bessere Kenntnis des Menschen Still auch einen besseren Zugang zu seinen Texten und damit letztlich auch zu dem zu bekommen, was Osteopathie ursprünglich einmal war: Philosophische Osteopathie.
Zudem hoffe ich natürlich, dass die „Still-Forschung“ damit einen weiteren Schub bekommt, um mit neuen Argumenten und Quellen bewaffnet jene (selbst-)kritische Diskussion innerhalb der modernen Osteopathie weiter zu befeuern, die bitter nötig erscheint, um ihr drohendes Abdriften in eine krankheits- und konzeptorientierte „Methode“ zu verhindern.
Letztendlich aber soll die vorliegende Sammlung von Zeitzeugenberichten vor allem eines: Ihnen beim Lesen Freude machen. Und sollte dies gelingen, möchte ich den geneigten Leser darauf hinweisen, dass sie diese Freude auch den Mitarbeitern des Museum of Osteopathic Medicine in Kirksville, Missouri – dem Geburtsort der Osteopathie – verdanken. Ohne ihre unermüdliche Arbeit vor allem bei der minutiösen Erfassung und Archivierung wichtiger osteopathiehistorischer Dokumente wäre dieses Buch nicht möglich gewesen.
Aber nun: Tauchen sie ein in die Gründerzeit der Osteopathie und lernen sie jenen Menschen besser kennen, der vor über 150 Jahren die Osteopathie entdeckte. Lassen Sie sich unterhalten!
Christian Hartmann
Pähl, 22.02.2016
KURZE ANMERKUNGEN ZUM INHALT
Und hier stichpunktartig noch einige kurze Anmerkungen zum Buch:
Die Übersetzungen halten sich nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihrer Strukturierung an die Originale. Kommentare durch den Übersetzer oder Herausgeber sind im Text mit eckigen Klammern markiert.
Zuweilen weisen Personen keine Titel auf, an anderer Stelle wieder doch. Dies ist auch der Übersetzungstreue geschuldet. Auf eine „Harmonisierung“ wurde nicht nur hier, sondern auch in Bezug auf andere Textaussagen ganz bewusst verzichtet.
Die im amerikanischen Original verwendeten Begriffe
mind, spirit
oder auch
soul
wurden uneinheitlich je nach Kontext mit
Verstand, Geist
oder an manchen Stellen auch mit
Seele
übersetzt. Allein über die Ausdeutung dieser Begriffe bei Still könnte man inzwischen Bücher füllen. Wir haben bei der Übersetzung darauf geachtet, bei der Auswahl des deutschen Begriffs möglichst den Kontext vor allem von Stills vier Büchern zu berücksichtigen.
Irrelevante Details aus Briefköpfen oder handschriftliche Notizen ohne Aussagekraft wurden weggelassen.
Alle Originaldokumente sind im
Museum of Osteopathic Medicine
(ehem.
Still National Osteopathic Museum
) archiviert. Auf Wunsch können dort jederzeit Kopien bzw.
PDF-Dokumente
mit Scans der Originale erworben werden.
Von Zeitzeugen genannte Still-Zitate aus einem seiner vier Bücher sind im Anschluss mit einem in Klammern gefassten Quellenhinweis versehen, der auf die entsprechende Textstelle in der deutschsprachigen Gesamtausgabe hinweist, also z.
B.
Still 2005, S. I-34
für Seite 34 in der Autobiografie, oder
Still 2005
, S. IV-12 auf Seite 12 in seinem vierten Buch
Forschung und Praxis
. Gesamtausgabe: A. T. Still (2005)
Das große Still-Kompendium
, JOLANDOS Verlag, Pähl.
ERINNERUNGEN AN ANDREW TAYLOR STILL
DR. ANDREW TAYLOR STILL
Autorin: G.W.Walter
Original: The First D.O.– Dr.Andrew Taylor Still. MOM, Kirksville, MO. (2004)
ABB. 1: GEORGIA W.WALTER
Georgia Walter Warner, Bibliotheksdirektorin im Ruhestand, war über 17Jahre Direktorin der A.T.Still Memorial Library des Kirksville College of Osteopathic Medicine (KCOM), der heutigen MOM. Anlässlich ihrer Pensionierung im Jahr 1986 wurde ihr ein Ehrendoktor für osteopathische Ausbildung verliehen. Während ihrer Amtszeit als Bibliotheksdirektorin entwickelte Dr.Walter ein Interesse für die Geschichte des Colleges und des Berufsstandes, häufig wurde sie eingeladen, um Vorträge über Dr.Still und die Geschichte der osteopathischen Medizin zu halten. Sie ist die Autorin dreier weiterer Bücher über die Osteopathie, darunter First School of Osteopathic Medicine, das zu schreiben sie anlässlich seiner Hundertjahrfeier durch das College beauftragt wurde.
1979 verlieh die nationale Medical Library Association Dr.Walter den Gottlieb-Preis für ihren Aufsatz „Osteopathic Medicine: Past and Present,“ der später durch das KCOM publiziert wurde. Ihr anderes Buch Women in Osteopathic Medicine: Historical Perspectives ging aus einem Vortrag für die American Academy of Osteopathy anlässlich der Jahrestagung der AOA im Jahr 1991 hervor. Es wurde ebenfalls anschließend durch das KCOM veröffentlicht.
Während ihrer Amtszeit als Bibliotheksdirektorin wirkte Dr.Walter über fünf Jahre im Akkreditierungsausschuss des AOA Bureau of Education sowie als Beraterin für verschiedene neu gegründete osteopathische Colleges. Sie war Mitglied im Ausschuss für Bibliotheksplanungen des Staates Missouri und im Bibliotheksplanungsausschuss für Nordost-Missouri, und sie wurde vom Gouverneur zur Delegierten in der White House Conference on Libraries and Information Services berufen. Der Lesesaal der ATSU-Bibliothek wurde ihr zu Ehren benannt und ihr wurde die Ehrenmitgliedschaft der Kirksville Osteopathic Alumni Association verliehen. 1990 erhielt sie den Living Tribute Award des KCOM.
Dr.Walter erhielt den „Women in History“-Award des Regionalverbandes der Daughters of the American Revolution und im Jahr 2005 den Buchpreis des Gouverneurs für Geisteswissenschaften.
Dr.Walter Vater, Maxwell D.Warner, D.O., wirkte als Dekan des Colleges von den 1940er- bis in die 1960er-Jahre. Ihr Ehemann, Francis M.Walter, M.S., D.O.Ed. (Hon.), war über 35Jahre Studiendekan der KCOM. Die Walter leben in Kirksville, der Heimatstadt der Osteopathie.
Im Frühling 2002 machte ich die Feststellung, dass seit der Veröffentlichung von The First School of Osteopathic Medicine zehn Jahre vergangen waren. In diesem Buch war ich nicht näher auf die Jugend von Andrew Taylor Still eingegangen. Meine Absicht war es gewesen, über sein Leben und seine Zeit ein weiteres Buch zu schreiben. In jenem Frühling brach ich mir das Handgelenk, das dann für sieben Wochen eingegipst war. Ich konnte deshalb viele Dinge nicht tun, doch konnte ich lesen und meine Finger für die Arbeit am Computer nutzen. So traf ich die Entscheidung, dieses Buch über Dr.Still zu schreiben, nun war die Zeit gekommen.
Ich kramte meine alten Notizbücher hervor, randvoll mit Hinweisen auf in alten Zeitschriften gesammelte Informationen, insbesondere aus dem Journal of Osteopathy, das ab dem Jahr 1894 veröffentlicht wurde. Dr.Stills handschriftliche Notizen waren mir beim Schreiben eine wertvolle Unterstützung. Einige seiner persönlichen Unterlagen waren mir von Dr.Stills Enkel Dr.George Andrew Laughlin und seiner Frau Elizabeth vorgelegt worden, als ich Direktorin der Bibliothek des KCOM war.
Ich las noch einmal Booths History of Osteopathy, Hildreths Lengthening Shadow, Pages The Old Doctor sowie Stills Autobiografie. Und erneut musste ich feststellen, was für eine faszinierende Persönlichkeit Dr.Still war. Es gab so zahlreiche interessante Geschichten über ihn, dass es schwer zu entscheiden war, welche aufzunehmen und welche fortzulassen sein würden. Ich habe versucht, einen chronologischen Bericht seines Lebens mit Anekdoten, Zitaten, seinen Sorgen und seinen Erfolgen zusammenzustellen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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