ESG - Made in Germany - Felix A. Zimmermann - E-Book

ESG - Made in Germany E-Book

Felix A. Zimmermann

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Umweltschutz, gute Unternehmensführung und soziale Verantwortung bieten für immer mehr Unternehmen Chancen, aber auch Herausforderungen. Anhand erfolgreicher Praxisbeispiele illustriert Felix Zimmermann anschaulich und einprägsam, wie ESG (Environmental, Social und Governance) als unternehmerische Chance genutzt werden kann, um Wettbewerbsvorteile auszubauen und nachhaltige Unternehmensstrukturen zu implementierten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 291

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Felix A. Zimmermann

ESG – Made in Germany

Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie für deutsche Familienunternehmen

Mit Beiträgen von Magdalena Blisch, Nils Detje, Hans Jürgen Kalmbach, Andreas Kämpfe, Kerstin Kohler, Nicole Kurek, Carlo Lazzarini, Michael Prochaska, Julia Schempp, Kurt Schmalz, Felix Schwörer, Johannes Schwörer, Friedemann Stock, Andreas Wallbillich, Christine Wüst

Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Suppachok Nuthep/GettyImages

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster

ISBN (Print): 978-3-451-39647-2

ISBN (EPUB): 978-3-451-83155-3

Inhalt

Vorwort

I. Warum jetzt gehandelt werden muss: Veränderte Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns

A. Nachhaltigkeit und ESG: Zwei Seiten einer Medaille

B. Die veränderten Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns

C. Fazit

II. Der regulatorische Rahmen für die nachhaltige Transformation wird konkret: Der lange Weg der Entscheidungen und deren Ergebnis

A. Der Ansatz der Vereinten Nationen

B. Der Ansatz der Europäischen Union

C. Der Ansatz der Bundesregierung

D. Ordnungspolitische Würdigung und volkswirtschaftliche Folgen der ESG-Regulierung und der Industriepolitik

E. Fazit

III. Wie Familienunternehmen die veränderten Rahmenbedingungen unternehmerisch nutzen können

A. Wie sich die Risiko- und Chancen-Landschaft der Unternehmen verändert

B. Warum Nachhaltigkeit und ESG insbesondere für Familienunternehmen eine Chance ist

C. Wie Unternehmen eine erfolgreiche ESG-Agenda entwickeln und umsetzen

D. Wie Eigentümer und Beiräte zum ESG-Erfolg beitragen können

E. Fazit

IV. ESG – Made in Germany: Wie Familienunternehmen ESG und Nachhaltigkeit erfolgreich in ihre Unternehmensstrategie integrieren

Endress+Hauser: Wie Endress+Hauser zur Dekarbonisierung beiträgt

Hansgrohe: Viele Schritte, großer Impact: Zukunft ist das, was wir daraus machen

MANN+HUMMEL: Wir trennen das Nützliche vom Schädlichen

PWO: ESG-Mindset schafft neue Lösungen

J. Schmalz: Nachhaltigkeit als Teil unserer DNA

SchwörerHaus: So gelingt die Nachhaltigkeitstransformation

SICK: Transformation durch Innovation

STIHL: Raum zum Wachsen

Trumpf: Klimaschutz bei TRUMPF

Witzenmann: Beständig im Wandel: Vom Schmuck zum Wasserstoff

V. Erfolgsmuster bei der Entwicklung und Umsetzung erfolgreicher ESG-Strategien bei Familienunternehmen

A. Eigentümer initiieren und treiben Nachhaltigkeit

B. Nachhaltigkeit ist Chefsache

C. Klare und integrierte Nachhaltigkeitsstrategie

D. Innovationen mit nachhaltiger Substanz

E. Kompetenz und Mandat der Mitarbeiter

F. Mitarbeiter einbinden

G. Netzwerken

H. Umbau braucht Zeit und Investitionen

I. Nachhaltigkeit wird als Wettbewerbsvorteil kommuniziert

Schlusswort – ESG nicht als lästige Pflicht, sondern als Chance

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Über Felix A. Zimmermann

Vorwort

Im Augenblick gibt es im Unternehmensalltag sicherlich drängendere Themen als das Thema ESG (Environmental, Social and Governance). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Bereich ein großer Handlungsbedarf auf die Wirtschaft zukommt. Die bisher erzielten Ergebnisse z. B. beim Klimaschutz, der Einhaltung der Menschenrechte und guter Unternehmensführung erfüllen nicht die Erwartungen. Insbesondere beim Klimaschutz werden die Ziele bei weitem verfehlt, was katastrophale Auswirkungen auf unsere Umwelt sowie unsere globale Welt-, Gesellschafts- und auch Wirtschaftsordnung haben kann.

Erkannt wurde die Notwendigkeit des Handelns bereits im letzten Jahrhundert. Jedoch haben die getroffenen Vereinbarungen ihre Wirkung verfehlt, da sie unverbindlich, nur für einen begrenzten Teilnehmerkreis, sanktionslos und ohne die Einbindung der Unternehmen erfolgten. Das änderte sich mit Übernahme des Generalsekretariats der Vereinten Nation durch Kofi Annan im Jahr 1997. Er hat erkannt, dass zum einen die Risiken für unsere Weltordnung aufgrund des anhaltenden Klimawandels massiv sind und zum anderen, dass es ohne die Wirtschaft als wesentlichen Partner im notwendigen Transformationsprozess nicht gehen würde. Unter seiner Führung wurde die UN deshalb reformiert und das Thema Klimaschutz explizit mit in die Aufgaben der UN aufgenommen.

Auch, wenn bereits im Jahr 2000 die Geburtsstunde von ESG war, dauerte es 15 weitere Jahre, bis mit dem Pariser Klimaabkommen und den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen die Grundlagen für die nationalen Nachhaltigkeitsstrategien und auch für die ESG-Anforderungen an die Unternehmen gelegt wurden. Mit der Verabschiedung der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive der EU) und der ESRS (European Sustainability Reporting Standards der EU) sowie vielfältiger Gesetze rund um den Klimaschutz, die Lieferketten und die Energieeffizienz sind die Themen ESG und Nachhaltigkeit in der Breite der Wirtschaft angekommen. Doch vielen Unternehmen fehlen die Ressourcen, die Zeit und auch die inhaltliche Kompetenz, um sich mit diesem drängenden und hochkomplexen Thema zielführend auseinanderzusetzen.

Dieses Buch soll deshalb den Verantwortlichen in den Unternehmen – ob Geschäftsführung, Beirat, Gesellschafter oder Nachhaltigkeitsverantwortlicher – helfen, auf der einen Seite den aktuellen Handlungsbedarf und die momentan geltenden politischen Vorgaben und relevanten Regulierungen besser verstehen und in einem Gesamtkontext einsortieren zu können (Kapitel I und II). Auf der anderen Seite stellt es dar, wie Familienunternehmen die veränderten Rahmenbedingungen konkret als unternehmerische Chance nutzen und damit einen wesentlichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit und somit zur Stärkung des eigenen Unternehmens und des Standortes Deutschland leisten (Kapitel III bis V).

Zunächst werden in Kapitel I die Begriffe Nachhaltigkeit und ESG definiert, um dann das bisher Erreichte bei den Themen Environmental, Social und Governance zu erläutern. Daran anschließend wird in Kapitel II aufgezeigt, wie die Ebenen Vereinte Nationen, Europäische Union und Bundesregierung die politischen Nachhaltigkeitsziele und den entsprechenden Regulierungsrahmen im Nachgang zum Pariser Abkommen und den SDGs gestaltet und umgesetzt haben. Dieser Regulierungsrahmen wird abschließend einer ordnungspolitischen Würdigung unterzogen.

In Kapitel III werden dann die Chancen und Risiken aufgezeigt, die sich für die Unternehmen aus den neuen ESG-Anforderungen ergeben. In diesem Kontext wird insbesondere darauf eingegangen, warum sich für Familienunternehmen aufgrund ihrer Besonderheiten und Stärken große unternehmerische Chancen ergeben.

Darauf aufbauend wird dargestellt, wie Familienunternehmen in einem strukturierten und pragmatischen Prozess ihre unternehmensindividuelle ESG-Agenda mit einer fundierten Strategie und einer zielorientierten Berichterstattung aufbauen und umsetzen und wie z. B. Gesellschafter und Beiräte ihren Beitrag dazu leisten können.

Schließlich geben dann zehn sehr erfolgreiche Familienunternehmen in Kapitel IV einen individuellen Einblick in ihre ESG- und Nachhaltigkeitsaktivitäten. Sie alle eint, dass sie sich früh und sehr strukturiert mit den Themen Nachhaltigkeit und ESG beschäftigt haben und durch die Nutzung der unternehmerischen Chancen bereits heute Früchte ihrer Pionierarbeit ernten können.

Sie haben damit nicht nur einen spürbaren Beitrag zur notwendigen Transformation hin zu einer zukunftssicheren Wirtschaft geleistet, sondern ihr Unternehmen selbst auf einen profitablen Wachstumspfad geführt. Dabei wird deutlich, dass viele Wege zu einer erfolgreichen Nachhaltigkeitsstrategie und deren Umsetzung führen und jedes Unternehmen seine eigene Antwort finden muss. Dennoch sind Erfolgsmuster bei den zehn Pionieren zu erkennen, die in einem abschließenden Kapitel zusammengetragen werden

Wenn dieses Buch dazu beiträgt, dass sich noch mehr Unternehmen aus Überzeugung und mit Engagement dem Thema Nachhaltigkeit in der Form nähern, dass sie die unternehmerischen Chancen nutzen und die Risiken kontrollieren und damit einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung ihres eigenen Unternehmens, des Standortes Deutschlands und der Zukunftssicherheit der nächsten Generationen leisten, dann hat es sein Ziel erreicht. Beim Thema Nachhaltigkeit nichts zu tun, ist keine Alternative, verantwortungslos und mit einem enormen Risiko verbunden.

Widmen möchte ich das Buch der heutigen jungen Generation und den zukünftigen Generationen. Sie alle haben es verdient, dass wir uns mit der notwendigen Entschlossenheit mit dem Thema Nachhaltigkeit nicht nur beschäftigen, sondern auch Lösungen für die akuten Gefahren für unser Klima und unsere gemeinsame Welt-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung finden. Ich bin überzeugt davon, dass wir das gemeinsam schaffen und auch die nächsten Generationen ihren Beitrag dazu leisten werden. Ich traue ihnen viel zu!

Diese Buchprojekt wäre nicht möglich gewesen ohne die Bereitschaft der beitragenden Unternehmen, über ihre ESG-Erfahrungen offen zu berichten. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle ausdrücklich danken. Ihre Beiträge geben einen authentischen Einblick in die strategischen und auch operativen Herausforderungen, die sich aus dem Thema Nachhaltigkeit täglich für die Unternehmen ergeben. Sie zeigen aber auch, wie man den notwendigen Umbau der Wirtschaft als unternehmerische Chance nutzen kann.

Danken möchte ich ebenfalls Andrea Funk und Nike Lorenz für ihren unermüdlichen Einsatz. Sie haben mit ihrer Zuverlässigkeit, Hartnäckigkeit und Detailfreude maßgeblich und erfolgreich dazu beigetragen, dass wir dieses Buch im geplanten Zeitrahmen und in der vorliegenden Qualität erstellen konnten.

Stuttgart, im September 2023

Felix A. Zimmermann

I. Warum jetzt gehandelt werden muss: Veränderte Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns

A. Nachhaltigkeit und ESG: Zwei Seiten einer Medaille

1. Die Wurzeln von Nachhaltigkeit: »Ein eindimensionales Handlungsprinzip für die Forstwirtschaft«

In der aktuellen politischen Diskussion über die Rolle der Unternehmen in der angestrebten und notwendigen Transformation der Wirtschaft werden die Begriffe Nachhaltigkeit und ESG sehr oft als Synonyme verwendet. Bei genauerer Betrachtung lohnt es sich aber, eine Differenzierung dieser Begriffe vorzunehmen, da sie zwei unterschiedliche Seiten einer Medaille darstellen.

Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und wurde von Hans Carl von Carlowitz in seinem Buch »Sylvicultura Oeconomica« Anfang des 18. Jahrhunderts geprägt. Er beschreibt ein wesentliches Handlungsprinzip beim Einsatz von knappen Ressourcen. Bei der Bewirtschaftung des Waldes sollte stets darauf geachtet werden, dass nur so viel Holz entnommen wird, wie unter Nutzung der natürlichen Regenerationsfähigkeit auch wieder nachwächst.1 Von Carlowitz forderte dies vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Holznot infolge der Energiekrise und des starken Städtewachstums nach dem Dreißigjährigen Krieg. Er sah die Gefahr, dass die kurzfristig orientierte Ausbeutung des Waldes zur Linderung der akuten Holznot unabsehbare negative Folgen für die langfristige Bereitstellung der wichtigen Ressource Holz haben würde. Das Handlungsprinzip in diesem Kontext wird als eindimensional bezeichnet, da es sich nur auf einen Wirkungszusammenhang bezieht. Auf diesem Handlungsprinzip basierend haben sich drei Strategien entwickelt, die in der Wirtschaft häufig Anwendung finden: Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. Unter Suffizienz wird das Ziel eines möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauchs verstanden, der sich in jedem Falle in den ökologischen und planetarischen Belastungsgrenzen bewegen muss. Mit Effizienz wird der Wirkungszusammenhang bezeichnet, der auf das ökonomische Minimal- bzw. Maximalprinzip abstellt. Danach wird entweder der gewünschte Output mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch oder ein möglichst großer Output mit gegebenen Ressourcen angestrebt. Und schließlich bezeichnet Konsistenz im Kontext von Nachhaltigkeit die Herstellung naturverträglicher Stoffkreisläufe, die auf Müllvermeidung und Wiederverwertung abzielen.

Im Laufe der Diskussion über die Notwendigkeit von mehr nachhaltigem Handeln in einem gesamtgesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kontext wurde der bisherige Nachhaltigkeitsbegriff inhaltlich weiterentwickelt und ergänzt. So setzte sich nach dem »Erdgipfel« der UN in Rio de Janeiro 1992 in der politischen Diskussion ein Nachhaltigkeitsverständnis durch, das neben einer ökologischen Dimension auch eine soziale und ökonomische Dimension berücksichtigt. Die Erweiterung um die Dimension Soziales wurde aus Sicht der politischen Akteure erforderlich, um im Rahmen der politischen Diskussion über gesamtgesellschaftliche Nachhaltigkeitsziele auch Themen wie die Einhaltung von Menschenrechten oder die Chancengleichheit zu berücksichtigen. Und schließlich wurde auch die ökonomische Dimension als gleichberechtigt berücksichtigt, da alles gesellschaftliche und wirtschaftliche Handeln neben ökologischen und sozialen auch ökonomische Ziele erfüllen muss.

Im Ergebnis sollte sich damit gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln am Erreichen eines Gleichgewichtes zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Interessen orientieren. Dieser »Dreiklang« hat sich in der weiteren politischen Diskussion durchgesetzt und war auch Grundlage für den Green Deal der Europäischen Union sowie der Nachhaltigkeitsagenda der Bundesregierung.

Damit wurde der Begriff Nachhaltigkeit, der ursprünglich eine eindimensionale Handlungsempfehlung beschrieben hat, auf ein mehrdimensionales Konzept übertragen, was in der politischen Diskussion immer wieder zu Verwirrungen führt. Im Kern aber soll mit dem Begriff Nachhaltigkeit in diesem erweiterten Kontext ein Prinzip beschrieben werden, welches auf die drei Systeme Ökologie, Soziales und Ökonomie in gleichem Maße angewendet werden kann: Politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln soll sich daran orientieren, dass die angestrebten Standards, Regeln und Ziele in den jeweiligen Systemen keinen dauerhaften Schaden nehmen und die Systeme sich stabil weiterentwickeln. Damit soll ein Leben auf der Erde ermöglicht werden, welches die »Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht werden befriedigen können.«2

Abb. 1: Die politische Perspektive auf Nachhaltigkeit

2. Die Wurzeln von ESG: »Who cares wins«

Die stark zunehmende Globalisierung Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts hat die weltweit sehr unterschiedlichen Bedingungen hinsichtlich der Mindeststandards in den Systemen Ökologie, Soziales und Ökonomie z. B. bei der Einhaltung von Menschenrechten und des Umweltschutzes offensichtlich gemacht. Gleichzeitig war zu beobachten, dass aufgrund des stark ansteigenden internationalen Handels, der enormen Steigerung des Ressourcenverbrauchs und des ungebremsten Anstiegs der Emissionen die Umwelt weltweit mit allen negativen Konsequenzen auf das Klima und die Lebensbedingungen auf der Erde massiv und ungebremst belastet wurde.

Abb. 2: Handelsvolumen weltweit 1948–2022

Der damalige UN-Generalsekretär, Kofi Annan, befürchtete aufgrund dieser Entwicklung eine zunehmende Fragilität für die Weltordnung. Denn nach seiner Überzeugung führte die Globalisierung zu einem dauerhaften und weltweiten Ungleichgewicht in ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und damit auch in politischen Fragen mit all seinen Folgen für die Menschheit. In letzter Konsequenz sah er die Stabilität der Weltengemeinschaft in Gefahr.3

Aus diesem Grund haben sich die Vereinten Nationen unter seiner Führung dazu entschlossen, neben der Sicherung des Weltfriedens, der Einhaltung des Völkerrechtes und der Menschenrechte sowie der Förderung der internationalen Zusammenarbeit auch Themen aus den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Ökologie auf die Agenda der UN zu setzen. Ziel war es, die anhaltende Globalisierung zu einer positiven Kraft für die Weltgemeinschaft zu machen.4 Um diese zusätzlichen Themen erfolgreich adressieren zu können, wurde es allerdings erforderlich, neben den weltweiten Regierungen auch die global agierende Wirtschaft mit in die Verantwortung zu nehmen.

In einem ersten Schritt schlug der Generalsekretär deshalb 1999 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos einen »Global Compact« zwischen Unternehmen und der UN vor.5 Die Idee war, dass insbesondere international agierende Unternehmen mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung gegenüber der UN hinsichtlich der Einhaltung von Menschenrechten und Mindeststandards bei Arbeitsbedingungen und Umweltschutz zu einer weltweiten Harmonisierung und damit auch Stabilisierung in diesen Bereichen beitragen. Mit dieser Initiative sollten die multinationalen Unternehmen von einem »Teil des Problems« zu einer wesentlichen »Lösung des Problems« werden. Der erste UN-Global Compact wurde im Jahr 2000 aufgesetzt. In ihm wurden neun zentrale Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz und Antikorruption dokumentiert. In nur wenigen Jahren haben sich rund 1000 international tätige Unternehmen mit ihrem Beitritt zum UN-Global Compact zur Einhaltung dieser Prinzipien verpflichtet.

In einem nächsten Schritt hat Kofi Annan im Jahr 2004 führende Finanzmarktteilnehmer zu einer Konferenz nach New York eingeladen. 18 weltweit führende Institutionen der Finanzmärkte, darunter Goldman Sachs, Morgan Stanley, UBS, HSBC, Deutsche Bank, BNP Paribas, Banco de Brasil, sowie führende Versicherungen haben an der Konferenz teilgenommen. Ziel dieser Konferenz war es, auch die Kapitalmarktakteure mit in die Pflicht zunehmen. Durch die Entwicklung und Festlegung von gemeinsam akzeptierten Kriterien für verantwortungsvolles Handeln und Investieren sollten sie – ebenso wie die multinationalen Unternehmen – dazu beitragen, dass die negativen Folgen der Globalisierung gestoppt werden. Im Ergebnis entstand der Bericht »Who cares wins – Connecting Financial Markets to a changing world«.

In diesem Dokument hielten die Teilnehmer neben der Stärkung und Steigerung der Widerstandsfähigkeit der Finanzmärkte, der Stärkung des Vertrauens in die Finanzinstitutionen, der Berücksichtigung der Interessen der Kapitalmarktteilnehmer auch ihren eigenen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaft als ein übergeordnetes Ziel ihres Handelns fest. Der Schlüssel zum Erreichen all dieser Ziele lag nach Überzeugung der Teilnehmer in einer besseren Integration von »Environmental, social and governance issues in analysis, asset management and securities brokerage«. Das war die Geburtsstunde für den Begriff »ESG«.6

Mit diesem klaren Bekenntnis der Finanzindustrie7 zur Verantwortungsübernahme in diesem Bereich sollte auch der Kapitalmarkt mit all seinen Akteuren als Transmissionsriemen zur Erreichung von mehr Nachhaltigkeit in der Welt genutzt werden. In der Folge wurden unter dem Dach der Weltbank erste Kriterien zur Beurteilung der ESG-Fähigkeiten börsennotierter Unternehmen entwickelt. Diese wurden später in zahlreichen Standards zur sogenannten Nachhaltigkeitsberichterstattung weiterentwickelt.

Im Ergebnis können die Begriffe Nachhaltigkeit und ESG vereinfacht als zwei Seiten derselben Medaille »Zukunftsfester Umbau der Wirtschaft« verstanden werden. Auf der einen Seite nimmt der Begriff der Nachhaltigkeit mit seiner dreidimensionalen Zielrichtung Ökologie, Soziales und Ökonomie die Perspektive von Regierungen, supranationaler Organisationen sowie NGOs ein und definiert auf dieser Grundlage die zu erreichenden Ziele bzw. Zielbündel für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Handeln eines Landes.

Auf der anderen Seite der Medaille steht der Begriff ESG. Er beschreibt aus der Perspektive eines Investors, Eigentümers oder auch Stakeholders, welche Anforderungen das Unternehmen erfüllen muss, um unter der gesetzten Bedingung des profitablen Wachstums seinen geforderten Beitrag zu einer verantwortungsvollen Wirtschaftsweise leisten zu können. Da in diesem Kontext die Unternehmensführung und damit die Governance eines Unternehmens eine große Rolle spielt, wurde dieses Thema als ein den Feldern Ökologie und Soziales gleichgewichtiges Handlungsfeld definiert.

Abb. 3: Die Unternehmensperspektive auf Nachhaltigkeit

Spätestens seit der Einführung des UN-Global Compacts im Jahr 1999 und der Konferenz in New York im Jahr 2004 ist das Thema Nachhaltigkeit in Form der ESG-Anforderungen in der Wirtschaft angekommen. Es hat im Laufe der Zeit eine zunehmende Dynamik und Relevanz entwickelt. Die Hauptursache hierfür liegt in der Erkenntnis, dass sich aufgrund der Entwicklungen in der Welt etwas im Verhalten von Regierungen, Gesellschaft und auch der Wirtschaft ändern muss, um den Fortbestand einer zukunftsfähigen, lebenswerten und stabilen Weltordnung zu gewährleisten. Doch was hat sich seither in den Bereichen Environmental, Social und Governance getan? Ein kurzer Blick in die wesentlichen Handlungsfelder zeigt, dass insbesondere bei den Themen Environmental und Social nahezu unverändert großer Handlungsbedarf besteht.

B. Die veränderten Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns

1. Umwelt (Environmental)

Anhaltender Klimawandel durch ansteigende Treibhausgasemissionen

Es ist unbestritten, dass der anhaltende und in manchen Regionen der Welt sogar noch steigende Ausstoß von Treibhausgasen zu einer Erwärmung der Welt mit all seinen negativen Folgen führt. Weltweit sind zwischen 2000 und 2020 die CO2-Emissionen von rund 25 Mrd. Tonnen auf rund 35 Mrd. Tonnen pro Jahr gestiegen. Das ist ein Anstieg von 40 %. Hingegen sind in der Europäischen Union die CO2-Emissionen im gleichen Zeitraum von rund 4,5 Mrd. Tonnen auf rund 3,3 Mrd. Tonnen gefallen. Das ist eine Reduktion von rund 27 %. Als Hauptverursacher für den starken weltweiten Anstieg gilt China. Hier sind die Treibhausgasemissionen von 2000 bis 2020 von rund 3,7 Mrd. Tonnen auf knapp 12 Mrd. Tonnen und damit um rund 300 % gestiegen. Hauptursachen für den starken Anstieg der Emissionen in China sind zum einen das starke Wirtschaftswachstum und zum anderen der mit 60 % sehr hohe Kohleanteil an der Energieversorgung. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Anteil bei 40 %, in Frankreich unter 5 %.

Wenn man sich den CO2-Ausstoß/Kopf ansieht, dann liegt dieser in den USA bei rund 14 Tonnen/Jahr, gefolgt von China mit knapp 9 Tonnen/Jahr und Deutschland mit rund 8 Tonnen/Jahr.8 Auch wenn sich die Hauptverursacher der Emissionen ehrgeizige Ziele hinsichtlich der Reduktion des CO2-Ausstoßes und damit der Klimaneutralität gesetzt haben (angestrebtes Jahr der Klimaneutralität: Europa 2050; Deutschland 2045; China 2060 und USA 2050), stellt sich die Frage, ob die Zeit noch reicht.

Denn im Zeitraum von 2000 bis 2020 ist die Erderwärmung von plus 0,6 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitraum (1850 bis 1900) bereits auf 1,2 Grad angestiegen. Das Jahr 2020 war das zweitwärmste Jahr seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Folgen sind offensichtlich: So nehmen z. B. Waldbrandgefahren, anhaltende Dürren, massive Überschwemmungen und auch Bodenerosionen mit entsprechenden finanziellen und nichtfinanziellen Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft gravierend zu.9

Abb. 4: CO2-Ausstoß 1990–2020

Steigender Ressourcen- und Rohstoffverbrauch

Auch beim Ressourcenverbrauch ist keine wesentliche Besserung der Entwicklung zu beobachten. Für die Wirtschaft ist eine gesicherte Rohstoffversorgung aber ein wichtiger Faktor für die Planungssicherheit und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit.

Ein guter Indikator für den Ressourcenverbrauch ist der »Earth Overshoot Day«. Er bemisst das Datum, an dem die Menschheit der Erde rechnerisch alle erneuerbaren Ressourcen verbraucht hat, die in einem Jahr auf dem Globus regeneriert werden können. Unter der Annahme, dass alle Menschen auf der Welt so leben würden wie in Deutschland, dann wäre der sog. Erdüberlastungstag im Jahre 2023 der 4. Mai gewesen. Oder mit anderen Worten: Wir bräuchten im Jahr 2023 rund drei Planeten, um die notwendigen nachwachsenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die in diesem Jahr verbraucht wurden. Bezogen auf die gesamte Welt liegt der »Earth Overshoot Day« im Jahr 2023 am 3. August. Das bedeutet, dass wir in etwa 1,7 Planeten für die Regenerierung der verbrauchten Ressourcen bräuchten. Auch wenn die Relation seit Jahren vergleichsweise stabil ist, so zeigt sie deutlich, dass die Menschheit über die regenerativen Ressourcenverhältnisse lebt.10 Der Verbrauch von Rohstoffen hat sich seit 1970 weltweit vervierfacht, obwohl sich die Weltbevölkerung in diesem Zeitraum »nur« verdoppelt hat.

In Deutschland hat sich der Rohstoffeinsatz in den letzten Jahren allerdings stabilisiert. Sowohl im Bereich der Wirtschaft als auch im Bereich Konsum ist der Rohstoffeinsatz bzw. -verbrauch von 2010 bis 2019 in absoluten Werten nahezu konstant geblieben. Während die Wirtschaft insgesamt rund 2500 Mio. Tonnen pro Jahr verbraucht, liegt der Rohstoffkonsum/Kopf in Deutschland stabil bei rund 16 Tonnen.11 Interessant ist, dass sich die Rohstoffproduktivität in Deutschland mit +12 % in der Zeit von 2010 bis 2018 positiv entwickelt hat. Damit ist insgesamt zwar noch keine absolute Entkopplung des Rohstoffverbrauchs vom wirtschaftlichen Wachstum erreicht worden, jedoch kann man durchaus von einer relativen Entkopplung sprechen. Vom angestrebten Ziel einer deutlichen Reduktion des Rohstoffkonsums auf 9,7 Tonnen/Kopf und damit auch einer absoluten Entkopplung des wirtschaftlichen Wachstums vom Rohstoffverbrauch sind wir dennoch weit entfernt.

Knappes Wasser

Weltweit sind seit dem Jahr 2000 die nutzbaren Süßwasserressourcen pro Person um ca. 20 % gesunken. Die Ursachen hierfür liegen vor allen Dingen in einem steigenden Verbrauch aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung, einer anhaltenden Verschmutzung bestehender Bestände durch z. B. Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und Plastik sowie einer zunehmenden Knappheit auch aufgrund des fortschreitenden Klimawandels.12 Darüber hinaus werden weltweit 90 % aller Abwässer ungeklärt abgelassen und sind damit eine zusätzliche Belastung für die Umwelt und die Wasservorräte. In der Folge haben 2,2 Mrd. Menschen weltweit keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser.

70 % des Süßwasserverbrauchs gehen auf die Landwirtschaft zurück. Damit ist die Verfügbarkeit von Wasser maßgeblich für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Insbesondere in Entwicklungsländern ist hier zu beobachten, dass diese aufgrund der fortschreitenden Wasserknappheit nicht mehr gewährleistet ist.13

Aber auch in den Industrieländern stellt die steigende Wasserknappheit zunehmend ein Risiko für die Wirtschaft dar. Wasserstress führt dazu, dass Produktionen zum Erliegen kommen, Lieferketten instabil werden oder die Energieproduktion eingeschränkt wird.14 Somit ist die Wasserknappheit ein sehr ernstes Problem sowohl für die weltweite Ernährungssicherheit als auch für die Stabilität der Wirtschaft.

Steigende Umweltverschmutzung

Neben der Luft- und Wasserverschmutzung hat die anhaltende Verschmutzung des Bodens eine zentrale Auswirkung auf die Umwelt und die Menschheit.15 Vor allen Dingen die fortschreitende Versiegelung sowie die anhaltende Erosion und Kontamination des Bodens können als die wichtigsten Verschmutzungsfaktoren bezeichnet werden. So werden z. B. in Deutschland pro Jahr rechnerisch 168 km2 Bodenfläche versiegelt. Damit stieg der Anteil der versiegelten Flächen von 5,3 % im Jahr 1992 auf 6,5 % im Jahr 2021 an. Diese Flächen können nicht mehr als Regulator des natürlichen Wasserhaushalts, als Anbaufläche für Pflanzen oder auch als Regenerator für die Bodenfruchtbarkeit dienen.16

Die fortschreitende Erosion des Bodens infolge des Klimawandels ist weltweit und auch in Deutschland ein zentrales Problem für die Landwirtschaft. So sind 25 % der Ackerflächen in Deutschland winderosionsgefährdet und 33 % sind mittel bis stark von einer möglichen Wassererosion bedroht.17

Vor dem Hintergrund, dass der Boden die Grundlage für die Herstellung 90 % aller menschlichen Nahrungsmittel sowie für 100 % des Tierfutters in der Landwirtschaft bildet, sind diese Entwicklungen von besonderer Bedeutung für die Ernährungssicherheit der Menschheit.18

Steigende Gefahr für die Biodiversität

Der Begriff Biodiversität steht für die Beurteilung der Fülle unterschiedlichen Lebens oder auch der biologischen Vielfalt. Dabei werden die genetische Vielfalt, die Artenvielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme unterschieden. Ein hohes Maß an Biodiversität ist wichtig für den Erhalt der Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme z. B. bei Umweltveränderungen. Wichtige Ökosystemleistungen sind z. B. die Bestäubung von Pflanzen, der Erhalt der Fruchtbarkeit des Bodens, der Abbau von Luft- und Wasserverschmutzungen bzw. Schadstoffen sowie die natürliche Schädlingskontrolle.19

Der Erhalt der Biodiversität ist das mit Abstand komplizierteste Umweltziel, da es mehrdimensional, schwer messbar und wenig sichtbar ist. Darüber hinaus hängt das Maß an Biodiversität sehr stark von der Erreichung anderer Umweltziele ab, wie der Reduktion der Umweltverschmutzung und vor allen Dingen der Reduktion der fortschreitenden Erderwärmung. So kann eine Erderwärmung von 3 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit in weiten Teilen der Welt zu einem Biodiversitätsverlust von bis zu 50 % führen.20 Der Erhalt der Biodiversität ist das Umweltziel, welches von seiner Tragweite und Bedeutung für die Menschheit am meisten unterschätzt wird.

Aufgrund der besonderen Bedeutung für die Ernährungssicherheit, die wirtschaftliche Entwicklung sowie die Gesundheit der Menschheit haben sich im Jahr 2010 die Staaten der Welt im Rahmen der »UN-Konvention über die biologische Vielfalt« 20 Ziele gesetzt, die sie bis 2020 erreichen wollten.21 Der Abschlussbericht »Global Biodiversity Outlook« vom 15. September 202022 macht deutlich, dass die Ziele nahezu vollständig nicht erreicht wurden.

Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Bedeutung der Artenvielfalt und die notwendigen Schritte zu deren Schutz noch nicht in der Breite der Gesellschaft und der Politik verstanden und akzeptiert werden. Vielmehr ist zu beobachten, dass z. B. Regierungen unverändert wirtschaftliche und landwirtschaftliche Aktivitäten subventionieren, die nachweislich die Biodiversität beeinträchtigen. Wertvolle Waldflächen werden weiter gerodet und die Meere in weiten Teilen der Welt weiter überfischt. Fortschritte hingegen wurden beim Ausweis von Naturschutzgebieten und bei der Bereitstellung von finanziellen Mitteln zur Sicherung der Biodiversität erreicht. Jedoch werden diese positiven Effekte durch die beschriebenen negativen Effekte überkompensiert.23 Auch im Bereich Gesellschaft und Soziales sind die weltweit erzielten Fortschritte seit 2020 als gering einzustufen.

Abb. 5: Den Verlust an biologischer Artenvielfalt stoppen

2. Gesellschaft und Soziales (Social)

Verstöße gegen Menschenrechte

Die 30 definierten Menschenrechte der UN haben aufgrund ihrer Universalität, Egalität, Unveräußerlichkeit und Unteilbarkeit als sog. Naturrecht eine sehr hohe moralische Bedeutung für die Menschheit. In Artikel 1, Abs. 3 bekennt sich die UN zu dem Ziel, »eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen«.

Zu den 30 Menschenrechten zählen unter anderem das Verbot der Diskriminierung, das Recht auf Leben und Freiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf ein allgemeines und gleiches Wahlrecht sowie das Recht auf Arbeit und gleichen Lohn.24 Trotz der hohen moralischen Bedeutung und des verankerten Ziels in der UN-Charta wird weltweit regelmäßig gegen die Einhaltung der Menschenrechte verstoßen.25

Aufgrund der Komplexität des Themas, der unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten und der fehlenden Transparenz existiert kein allgemeingültiger Indikator für die Einhaltung von Menschenrechten. Jedoch gibt es Institutionen, die die Einhaltung einzelner Menschenrechtsvorgaben verfolgen.

So bewertet der CIVICUS-Monitor regelmäßig die »zivilgesellschaftlichen Rahmenbedingungen« aller Länder weltweit. Dabei wird der »Respekt in Politik und Praxis für die Freiheiten der friedlichen Versammlung, Vereinigung und Meinungsäußerung« gemessen. Je nach erreichter Punktzahl wird ein Land als offen, eingeengt, behindert, unterdrückt oder geschlossen eingestuft. Bei der letzten Bewertung im März 2023 galten z. B. China, Russland und auch weite Teile des Nahen Ostens als »geschlossen«, während große Teile von Afrika als »unterdrückt« eingestuft wurden.26

Das Verbot von Diskriminierung jeglicher Art ist ein weiteres zentrales Menschenrecht. Es hat zum Ziel, dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe, seiner Religion oder anderer Unterschiede diskriminiert werden darf. Positiv ausgedrückt, besteht ein Recht auf Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Dieses Recht ist weltweit sehr unterschiedlich umgesetzt. So zeigt z. B. der »Geschlechterungleichheitsindex (GII)« der UN auf, dass die Geschlechtergleichbehandlung weltweit sehr verschieden ausgeprägt ist, auch wenn die Situation sich insgesamt seit 1990 leicht verbessert hat. Einen besonders negativen (hohen) Index haben z. B. Länder aus Afrika, aber auch Afghanistan und Pakistan. Hingegen haben die europäischen Länder in der Regel einen sehr guten (geringen) Index. Weltweit sind hier die skandinavischen Länder führend.27

Der kurze Blick auf das Thema Menschenrechte zeigt, dass dies ein komplexes Thema ist und sehr differenziert betrachtet werden muss. Jedoch ist insgesamt festzustellen, dass weltweit – trotz vieler Maßnahmen und Bekenntnisse – immer noch umfangreiche Verstöße gegen Menschenrechte stattfinden. Eine Situation, die extrem unbefriedigend ist.

Arbeitsbedingungen weltweit mit spürbarem Gefälle

Eine ähnliche Situation ist bei dem Zustand der Arbeitsbedingungen zu beobachten.28 Zum einen sind die Arbeitsbedingungen aus historischen, gesellschaftlichen und auch politischen Gründen sehr unterschiedlich. Gleichzeitig ist aber auch eine dynamische Veränderung in diesem Umfeld zu beobachten. In der zunehmend weltweit vernetzten Wirtschaft verlagert sich die Produktion und damit Teile der Lieferketten in Regionen, in denen die Kosten am geringsten sind. Gleichzeitig kommen aufgrund der instabilen politischen Lage in einigen Regionen der Welt vermehrt Wanderarbeiter und Migranten in diese Regionen, um Arbeit zu finden. Dadurch können teilweise einseitige Abhängigkeitsverhältnisse und Rahmenbedingungen entstehen, welche die Arbeitsbedingungen massiv beeinträchtigen.

Zusätzlich werden in diesen Regionen teilweise Wirtschaftszonen gebildet, in denen die Arbeitnehmerrechte weiter eingeschränkt werden.29 Eine Dynamik, deren Auswirkungen nicht unterschätzt werden darf.

Der Internationale Gewerkschaftsbund erhebt daher regelmäßig weltweit den sog. »Globalen Rechtsindex«. Dieser misst, in welcher Form und in welchem Umfang gegen international anerkannte und grundlegende Rechtsnormen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen verstoßen wird. Nach diesem Index zählen z. B. Brasilien, Ägypten, Bangladesch, die Philippinen und die Türkei zu den zehn schlechtesten Ländern hinsichtlich der Einhaltung der Arbeitsrechtsnormen. Die schlimmsten Regionen sind nach dieser Analyse der Nahe Osten und Nordafrika. Insgesamt ist zu beobachten, dass die Länder des »globalen Südens«30 einen deutlich schlechteren »Globalen Rechtsindex« haben als die des »globalen Nordens«.31

Einige weitere Kennzahlen machen deutlich, dass die Arbeitsbedingungen weltweit zum Teil doch sehr unterschiedlich sind:

So müssen rund 21 Millionen Menschen weltweit im privaten oder staatlichen Sektor Zwangsarbeit leisten. Zwangsarbeit ist dabei definiert als »jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung einer Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat«.32

160 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren müssen weltweit regelmäßig arbeiten. 70 % davon in der Landwirtschaft, 20 % im Dienstleistungsbereich und 10 % in der Industrie.33

Frauen verdienen für vergleichbare Arbeit teilweise signifikant weniger und sind überproportional in den geringbezahlten Berufen beschäftigt.34

Während in Europa 15 % der Arbeitnehmer mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten, sind es in China 40 % und in der Türkei mehr als 60 % der Arbeitnehmer.35

Im Beruf erhalten 41 % der Arbeitnehmer in Europa, 16 % in der Türkei und 7 % in China eine Weiterbildungsmöglichkeit.36

Abb. 6: Arbeitnehmerrechtsverletzungen weltweit 2014–2022

Im Kontext von Nachhaltigkeit kommt somit der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen sowie der Einhaltung der Menschenrechte weltweit eine besondere Bedeutung zu. Denn aufgrund des stark ansteigenden Welthandels und der damit verbundenen Internationalisierung der Lieferketten sowie der Verlagerung der Produktionsstandorte in kostengünstigere Regionen steigt auch der Anteil des Handels mit den Ländern, die die Menschenrechte offensichtlich nicht vollumfänglich einhalten bzw. deren Arbeitsbedingungen zum Teil weit unter den international geforderten Standards liegen. Unabhängig von den damit einhergehenden Risiken hinsichtlich der Stabilität der Lieferketten stellt sich die durchaus berechtigte Frage, inwieweit die Unternehmen und Endverbraucher, die aus diesen Regionen Produkte beziehen, Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in ihrer Lieferkette übernehmen und damit zu einer Verbesserung der Situation beitragen müssen.

Korruption nimmt zu

Neben den anhaltenden Verstößen gegen die Menschrechte und dem nach wie vor starken Gefälle in den weltweiten Arbeitsbedingungen ist ein Ansteigen der Korruption mit all seinen Folgen für die Gesellschaften und Wirtschaften zu beobachten. Korruption führt zu Verzerrungen im Wettbewerb, zu höheren Kosten und hat einen negativen Einfluss auf die Investitionsbereitschaft. Häufig ist eine negative Korruptionsspirale mit gravierenden Folgen für die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und den Wohlstand der Gesellschaft eines Landes zu beobachten.

Nach dem jährlich erhobenen Korruptionswahrnehmungsindex ist die Wahrnehmung des Korruptionsniveaus im öffentlichen Sektor in Skandinavien mit Werten um die 90 (von 100) am geringsten. Deutschland liegt auf Platz 9 von 180 mit einem Wert von 79. Deutlich über die Hälfte der Länder weltweit verfügt über einen Index von unter 50, was auf ein relativ hohes Korruptionsniveau hindeutet. Dazu zählen Länder wie China (45), Kuweit (42), Indien (40) oder auch Brasilien (38).37

Auch wenn das Thema Korruption in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland keine große Rolle spielt, so ist es weltweit ein sehr präsentes Thema und rückt damit durch die wachsenden internationalen Handelsbeziehungen auch sehr nah an die Staaten und Volkswirtschaften heran, die ein geringes Korruptionsniveau haben. Der durch Korruption entstehende Schaden für die Volkswirtschaften weltweit wird auf 1 % bis 4 % der jährlichen Bruttowirtschaftsleistung geschätzt. Ein beachtlicher Betrag an Wohlstandverlust, der unvermindert jedes Jahr entsteht.38

Nach der Analyse der beobachtbaren Entwicklungen in den Handlungsfeldern Ökologie und Soziales fehlt noch der Bereich Governance, der häufig auch mit Unternehmensführung bezeichnet wird. Im Kern umfasst die Unternehmens-Governance die angemessene und wirkungsvolle Anwendung aller Gesetze, Regeln und Verfahren (extern/intern), nach denen ein Unternehmen zu führen ist. Diese können zwingend und bindend oder auch freiwillig sein. In der Regel sind ein wirksames Risiko- und Compliance Management, wirksame interne Kontrollsysteme sowie klare und dokumentierte Regeln der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den zentralen Unternehmensorganen Grundbestandteile einer guten Unternehmens-Governance.

3. Unternehmensführung (Governance)

Kontrolle, Transparenz und Aktionärsinteressen

Aufgrund international gestiegener Kapitalmarktstandards entstand in Deutschland zum Ende der 90er Jahre ein erheblicher Handlungsbedarf hinsichtlich der Verbesserung der Unternehmens-Governance. Mit Regeln, die sich an den internationalen Gepflogenheiten orientieren, sollte das Vertrauen der nationalen und internationalen Investoren wieder zurückgewonnen werden.

1998 verabschiedete die Bundesregierung zunächst das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG). Danach ist der Vorstand einer börsennotierten Aktiengesellschaft dazu verpflichtet, ein angemessenes und wirksames Risikomanagementsystem einzuführen, um über die bestehenden Risiken und Chancen für das Unternehmen zu berichten und auf existenzgefährdende Risiken hinzuweisen. Da der Risiko-Chancenbericht Bestandteil des Jahresabschlusses ist, muss der Wirtschaftsprüfer in seinem Prüfbericht auf die Wirksamkeit des bestehenden Risikomanagementsystems entsprechend eingehen. Mit dem KonTraG wurde dem zunehmenden Bedürfnis der Kapitalmarktteilnehmer nach mehr Transparenz hinsichtlich der Chancen und Risiken für die langfristige Wertentwicklung der Unternehmen Rechnung getragen. In den Folgejahren sind weitere Gesetze z. B. hinsichtlich der Erweiterung der Publizitätspflichten, der Offenlegung der Vorstandsvergütung und deren Angemessenheit oder auch der Stärkung der Aktionärsrechte verabschiedet worden, um die Transparenz und Kontrolle bei den börsennotierten Gesellschaften in Deutschland zu stärken.39

Im Nachgang zur Pleite des damals größten deutschen Bauunternehmens Philipp Holzmann wurde zudem im Jahr 2002 der Deutsche Corporate Governance Kodex eingeführt. Er enthält – neben den wesentlichen und relevanten Rechtsgrundlagen aus dem Aktiengesetz – Empfehlungen und Anregungen für die Führung börsennotierter Gesellschaften und soll dazu beitragen, die geltenden Regeln für die Unternehmensführung auch für internationale Investoren transparent zu machen. Der Kodex ist relevant für alle börsennotierten Gesellschaften in Deutschland. Mit der Entsprechenserklärung müssen Vorstand und Aufsichtsrat jährlich dokumentieren, in welcher Form sie den Kodex einhalten. Sowohl die Einführung des Corporate Governance Kodex und dessen kontinuierliche Weiterentwicklung als auch die neuen gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich mehr Transparenz und Kontrolle haben das Vertrauen der Investoren in deutsche Unternehmen und damit in den deutschen Kapitalmarkt wieder gestärkt.

Bedeutung der Nachhaltigkeit

Was jedoch im Bereich der Unternehmensführung kaum eine angemessene Berücksichtigung fand, war die Verankerung des Themas Nachhaltigkeit im Sinne von ESG. Auch wenn in der seit 2009 verpflichtenden Erklärung zur Unternehmensführung erste Ansätze zu erkennen waren, wurde erst mit der Umsetzung der »Non Financial Reporting Directive« der Europäischen Union40 in das deutsche »CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz« im Jahr 2017 das Thema merklich sichtbar.

Seitdem müssen Versicherungen, Finanzinstitute und Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und kapitalmarktorientiert sind, jährlich einen Bericht vorlegen, aus dem Risiken, Maßnahmen und nichtfinanzielle Kennzahlen zu den Themenfeldern Umwelt, Soziales, Menschenrechte sowie Korruption und Bestechung hervorgehen. Der Bericht kann sowohl in den Lagebericht integriert als auch in einem Extradokument vorgelegt werden. Für die Berichte und die verwendeten Kennzahlen gelten keine verpflichtenden Standards und sie werden auch nicht vom Wirtschaftsprüfer geprüft. Bisher müssen in Deutschland nur rund 500 Unternehmen nach diesen Vorschriften berichten. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Themas sowohl für die Gesellschaft als auch für die Wirtschaft erscheint das relativ wenig.